Zal und sum meiner gedicht auf dise zeit

In der hohen tagweis Hans Sachsen.


31. decemb. 1554.

1.
Als ich, Hans Sachs, alt ware
zwei monat sechzig jare
wurt schwach mein gedechtnus,
und auch mein sinreicher einfluß
wart machtlos und entwichte;
Verstopft wurden die quellen
der artlichen einfellen,
vernunft wurt schwach und blöd,
lust und begir wurt schwach und öd
zu höflichem gedichte:
Da beschloß ich, mein leben
in stille ru zu geben,
forthin zu leben frei,
müßig von aller poetrei.
[320]
als ich solches bedachte
und gleich die selbig nachte
mir in dem traum erschin
die neun Musä, der kunst göttin;
Melpomene tet sagen:
»freunt, wiltu uns enttragen
die neun himlischen gab,
weliche ich dir geben hab
als man zelt fünfzehn hundert
und vierzehn jar gesundert?
derhalb bistu aufs minst
die weil du lebst in unserm dinst
verbunden und verpflicht.«
2.
Ich sagt: »ich hab für ware
euch dinet vierzig jare,
darin eur himlisch gab
gar emsiklich gebrauchet hab;
der zal mich selb verwundert:
Ich hab der meisterlider
warhaft gemachet sider
von anfang in der sum
acht und dreißg hundert um und um
acht und vierzig gesundert,
Wol in zweihundert schönen
und vier und vierzig tönen,
der sint dreizehen mein,
die bar ich alle schrieb allein
mit eigner hant dem sücher
wol in vierzehen bücher,
allerlei art manier,
der kunst zu ausbreitung und zier,
schriftlich zu gottes glori,
auch vil schöner histori,
stampanei und gut schwenk,
philosophisch poetisch renk;
[321]
auch hab ich der zeit fleißig
hundert und drei und dreißig
Comedi zugericht;
sprüch, gesprech und der lobgedicht
wol dreißig und fünfhundert
3.
In mein büchern beschloßen
mit fleiß und unverdroßen.
mein bitt ist, ir göttin,
das ir mich zelen wolt forthin
quit ledig aller pflichte,
Weil ich euch dinet habe
bis in mein alter grabe,
das mich nun merklich krenkt,
all mein kraft mir zu grunde senkt
kan weiter dinen nichte.«
Terpsychore, die gute,
sprach: »freunt, sei wolgemute,
du erwelter dinstman,
kein urlaub kanstu von uns han;
die weil du hast dein leben,
hilf und steur wir dir geben
durch die neun gülden ler.
zu preis wirt dir lob, rum und er
von manchem werden munde.«
zuhant der traum verschwunde,
darvon ich auferwacht.
das gschach gleich in der jaresnacht,
als man der mindren zelet
vier und fünfzig erwelet,
da dis bar machet ich
und das vierzehnte buch warlich
beschloß mit dem gedichte.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Sachs, Hans. Gedichte. Geistliche und weltliche Lieder. Zal und sum meiner gedicht auf dise zeit. Zal und sum meiner gedicht auf dise zeit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-B0C0-1