[42] Clarisse

Noch glänzt dein Aug', das wunderbare,
Und deine Stirn ist licht und frei –
Doch ach, es zieh'n, es zieh'n die Jahre
An dir auch spurlos nicht vorbei.
Oft ist's, als wäre schon verschimmert
Der Schmelz der Wangen, zart und hold,
Und ganz so reich, wie einstens, flimmert
Nicht mehr der Haare dunkles Gold.
Schon blickst du sinnend vor dich nieder,
Den Mund umzuckt von leisem Weh';
Schwermüthig haucht's um deine Glieder
Und deiner Hand durchpuls'ten Schnee.
O sieh', die Zeit naht mit dem Loose,
Das keine Macht dir ferne hält;
Du gleichst schon längst der vollen Rose,
Der langsam Blatt um Blatt entfällt.
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Du aber solltest nicht verblühen,
Hinschmelzen feurig nur wie Erz –
So laß doch endlich rasch erglühen,
Erglüh'n dein allzu zages Herz.
Laß diesen schlanken Leib erwarmen,
Den stets nur scheuer Traum umfing –
Daß du vergehst in Liebesarmen,
Wie einstens Jovis Braut verging!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Saar, Ferdinand von. Gedichte. Gedichte. Erstes Buch. Vermischte Gedichte. Clarisse. Clarisse. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-AF6C-A