[125] [127]Die Heirat des Herrn Stäudl

1.

[127] [131]I.

»Danke, Herr Landesgerichtsrat. Ich setze mich nicht. Ich kann aufrecht vor Ihnen stehen.« Und Herr Stäudl richtete seine eingesunkene knochige Hünengestalt in ihrer ganze Höhe empor, so daß ihn der Untersuchungsrichter und sein Schriftführer mit einigem Erstaunen ansahen.

»Nun, wie Sie wollen. Aber Sie haben das Recht, sich auf den Stuhl niederzulassen. Und es wäre mir angenehmer; Sie verdunkeln uns sonst den Tisch. Auch haben Sie ja viel vorzubringen.«

»Das würde mir nichts machen, Herr Landesgerichtrat. Da Sie es aber wünschen so werde ich mich setzen.« Er tat es und legte die unglaublich großen, mit verschrumpften Hautfalten bedeckten Hände vor sich auf die Knie. Der lang hinabfallende, halb ergraute Zottelbart, die kahle, vielfach gehöckerte Schädeldecke, die weit aufgerissenen farblosen Augen, die starr auf den Richter geheftet waren, gaben dem Manne etwas unheimlich Wildes, das nur durch schmerzlichen Ausdruck in seinem schlaffen, bräunlich fahlen Antlitz gemildert wurde.

»Sie können beginnen, Herr Stäudl.«

»Nun alsdann. Aber um alles genau auseinanderzusetzen, werde ich von kleinauf anfangen müssen.«

»Tun Sie das.«

»Nun alsdann. Sehen Sie, Herr Untersuchungsrichter, ich hatte mich seit jeher von den Weibern ferngehalten. Nicht [131] etwa, daß ich keinen Gefallen an ihnen gefunden hätte oder daß ich, wie so mancher, zu schüchtern gewesen wäre, mich an sie heranzumachen. Keineswegs. Aber ich bin immer sehr stolz gewesen auf meine Mannheit und habe es unter meiner Würde gehalten, mich mit ihnen abzugeben. Schon als ich noch die Schule besuchte, war es so. Damals saßen Buben und Mädel in einem Klassenzimmer beisammen, und da suchten bereits die meisten Knirpse mit den kleinen Flittchen anzubandeln. Sie steckten ihnen Zettelchen zu und waren froh; wenn sie in ihrer. Gesellschaft allerlei Schabernack treiben konnten. Ich aber hielt mich vollständig abseits und sprach mit keiner ein Wort. Ich merkte, daß sie sich deshalb über mich lustig machten. Sie spielten. mir allerlei Streiche und legten mir zuletzt förmliche Fallen, um mich an sich zu bringen. Aber ich wußte immer auszuweichen. Das verdroß sie nach und nach. Sie zogen mir schiefe Gesichter, und schließlich taten sie so, als wär ihnen nicht das geringste an mir gelegen. Ich aber fuhr fort, mit Verachtung über sie hinwegzublicken. Nur ein einziges Mal habe ich mich herabgelassen. Es war da ein schmächtiges, flachshaariges Ding, dessen Eltern gleich den meinen ziemlich weit draußen vor der Stadt wohnten. Ich meine Korneuburg, wo ich geboren bin. Die Franzl, so hieß die Kleine, hatte also denselben Weg zu machen. Es fiel mir aber nicht ein,. mich ihr anzuschließen. Ich grüßte sie nicht einmal und überholte sie stets mit langen Schritten. Eines Tages jedoch, im Winter, gab es einen argen Schneesturm. Dabei stellenweise scharfes Glatteis, so daß das arme Mädel nicht wußte, wohin es den Fuß setzen sollte. Sie trippelte und wankte hin und her, bis sie endlich der Länge nach auf den Rücken plumpste. Da hielt ich es denn doch für meine Pflicht, ihr aufzuhelfen und sie nach Hause zu führen, wobei sie sich gleich einer Klette an mich hängte. Seitdem ging ich mit ihr. Denn sie gefiel mir, weil sie ein sanftes, stilles Kind war, keine ausgelassene Schnattergans wie die anderen. Aber ich schloß mich nicht etwa gleich von der [132] Schule weg an, sondern erst draußen, wo das freie Feld begann; denn meinem Ansehen wollte nichts vergeben. Das dauerte so ein paar Wochen, bis Tauwetter mit starkem Regen, eintrat. Als ich nun eines Nachmittags so recht im Gusse auf sie wartete, sah ich, wie sie einem anderen Jungen, den ich überdies seit jeher nicht hatte ausstehen können, herankam. Der hoffärtige Schlingel – er war der Sohn eines Beamten – hatte einen Regenschirm, während ich natürlich keinen besaß, und den hielt er über der Franzl ausgespannt, die darunter ganz. stolz seelenvergnügt einherging. Kaum hatte ich das gesehen, als ich auch schon kehrtmachte und nach Hause eilte. Seit diesem Tage sprach ich mit der Franz I kein Wort und grüßte sie nicht einmal mehr.«

»Es scheint, daß Sie eifersüchtig waren«, sagte der Richter.

»Keineswegs. Ich. dachte mir: Warum braucht. sie sich von dem Laffen mit einem Schirm begleiten zu lassen? Kann bis auf die Haut durchnäßt werden, kann sie es auch.«

»Eine eigentümliche Auffassung.«

»Mag sein. Aber ich war nun einmal so – und blieb es auch, als ich heranwuchs und mich der Gärtnerei widmete, zu der ich große Lust und Liebe hatte. Ich arbeitete zuerst in der Lehre bei einem benachbarten Nutzgärtner; später nahm mich über Verwendung meines Onkels, der in Wien lebte, ein Herrschaftsgärtner in Hietzing zu sich, und nach ein paar Jahren kam ich schon als Gehilfe in die großen Villengärten des Herrn Ritter von Artner. Sie werden sie wohl kennen oder wenigstens davon gehört haben, denn die dortigen Treibhäuser sind eine Sehenswürdigkeit. Der damalige Obergärtner hieß Nowak. Ein sehr hervorragender Mann in seinem Fache; als Rosenzüchter stand er weit und breit in Ruf. Er erkannte auch bald meine Fähigkeiten und zog mich im Laufe der Zeit den älteren Gehilfen vor. Die waren zwar nicht ungeschickt, aber faul und leichtsinnig. Sie taten was sie gerade mußten; im übrigen [133] gingen sie ihrem Vergügungen nach. Ich aber blieb des Abends immer zu Hause, wo ich allerlei Bücher über die Gartenkunst las. Die andern verdroß das. Sie fingen an, mich zu hänseln und zu vexieren; zuletzt suchten sie gar, mit mir anzubinden. Ich aber, als sie mir einmal, ihrer drei, zu Leibe wollten, stieß ihnen mit diesen Händen« – Herr Stäudl hob sie mit ausgespreizten Fingern in die Luft – »die Köpfe aneinander. Da hatte ich Ruhe; sie erkannten und fürchteten meine Stärke. Auf diese Art stieg ich mehr und mehr im Ansehen, so daß mich sogar der Herr Ritter von Artner mit einer lobenden Ansprache auszeichnete. Dies, sowie meine zunehmende Fertigkeit ließen mich hoffen – und auch Herr Nowak war dieser Meinung –, daß ich Aussicht hätte, dereinst Obergärtner zu werden. Er selbst, schon an die Siebzig, wurde von Jahr zu Jahr gebrechlicher. Bei alledem führte ich mein eingezogenes Leben fort. Mäßigkeit war immer mein Wahlspruch gewesen, obgleich mich die meisten deswegen für einen Knauser hielten. Des Morgens ein Stück Brot und. einen Trunk Wasser. Mittags im nächsten kleinen Wirtshaus Suppe, Fleisch, Gemüse. Basta. Abends wieder ein Stück Brot und ein Seidel Wein, das, ich mir selbst nach Hause holte. Mich wie die andern mit Weibsbildern abzugeben fiel mir nicht ein. Aber ich dachte endlich im stillen daran, mich zu verheiraten. Denn das schien mir unerläßlich, wenn. ich, woran ich nicht mehr zweifelte, bald Obergärtner sein würde. Ich hatte auch schon ein Mädchen ins Auge gefaßt: die Tochter eines Handelsgärtners an der Nußdorfer Lände, mit welchem wir in Geschäftsverbindung standen, indem wir ihm Pflanzen und Setzlinge abließen und umgekehrt. Als ich Gertrud, so hieß das Mädchen, zum ersten Mal sah, stand sie gerade am Herd und kochte. In der Küche alles sehr sauber und nett. Sie selbst eine stattliche, kräftig gebaute Person, die mir wohlgefiel. Die würde, so schloß ich, eine tüchtige Hausfrau abgeben – um so mehr, als sie auch, ihrem ganzen Benehmen nach, sehr züchtig und tugendhaft zu sein [134] schien. So ließ ich denn meine Absicht den Vater merken, der darüber sehr froh war, da er um meine Aussichten wissen mochte. Es kam zu näherem Verkehr, und ich und das Mädchen galten schon als Verlobte. Aber in alle Ehren. Das Haus betrat ich nur an Sonntagen. Und zwar nachmittags zur Jause. Dann gingen wir, immer im Beisein des Vaters, in den Nußdorfer Bockkeller zum Bier oder nach Heiligenstadt zum Heurigen. Das tat ich eigentlich nur dem Alten zulieb, der nicht ungern ins Glas guckte. Aber um neun Uhr mußte es ein Ende haben, denn ich war seit jeher gewohnt, früh schlafen zu gehen. So zog sich die Sache fast ein Jahr hin. Mit einmal ganz plötzlich, wurde ich zum Ritter von Artner gerufen. Er teilte mir mit, daß Nowak mit Neujahr zur Ruhe gesetzt werde und ich an seine Stelle ernannt sei. Ich dankte ehrerbietig, aber aufrecht. Denn sosehr mich die Ernennung freute, war es doch auch ein Vorteil für den Herrn Ritter von Artner, daß er einen Mann wie mich als Obergärtner bekam, Aber im Innern war ich doch sehr aufgeregt, und da trieb es mich, meine Zukünftige von dem Ereignis in Kenntnis setzen. Wie gesagt, kam ich an Wochentagen niemals hin. Aber heute war gerade erst Montag; ich hätte also die Woche warten müssen. Freilich hätte ich auch schreiben können; aber das fiel mir zum Glück nicht ein, sondern ich eilte schnurstracks hinab an die Nußdorfer Lände. Trat ohne weiteres ins Haus, das mitten in dem großen Gemüsegarten lag – und dann gleich rechts in die Küche hinein, wo ich die Gertrud um diese Zeit sicher anzutreffen hoffte. Sie war auch dort. Aber dicht bei ihr, gewissermaßen Kopf an Kopf, stand der Bäckerjunge, der in dieser Gegend Brot und Semmeln austrug – ein bartloser Bursche von siebzehn oder achtzehn Jahren. Am linken Arm den Korb, hatte er den rechten um ihre Mitte geschlungen, es sah aus, als hätt sich die beiden soeben geküßt. Ich das sehen und kehrtmachen und nach Hause gehen war eins. Dort erst fing mich die Sache zu wurmen an. Aber mein Stolz behielt [135] die Oberhand. Ein Mädchen, das sich von einem Bäckerjungen. küssen läßt, ist nicht wert, daß du noch an sie denkst. So sprach ich zu mir selbst. Und dabei blieb es, ob mir auch der Alte ganz weinerlich auf die Bude gerückt kam und alles nur auf den Bäckerjungen schieben wollte, dessen unziemlicher Frechheit sich seine Tochter nicht hätte erwehren können. Ich erwiderte darauf gar nichts und wies ihm bloß mit einer bezeichnenden Handbewegung die Tür. Einen dicken Schreibbrief, den mir die Gertrud schickte, zerriß ich ungelesen. Kurz: so, als wäre gar nichts vorgefallen und als hätt ich das Mädchen niemals gesehen, trat ich zu Neujahr mein Amt an. Ans Heiraten dacht ich nicht mehr. Die einzige Sorge in dieser Beziehung machte mir die große Wohnung,. die ich jetzt bekam. Drei sehr geräumige Zimmer außer der Küche und sonstigem Zubehör. Aber da war ja bald geholfen. Ich sperrte die letzten zwei Zimmer ab. In das erste ließ ich das Bett schaffen, in dem ich bis jetzt geschlafen hatte; die andern notwendigsten Möbelstücke. kaufte ich mir – und führte ganz ruhig meine Junggesellenwirtschaft fort. Einen Augenblick dachte ich daran, eine Magd zu halten. Aber eine junge oder jüngere wäre nicht passend gewesen – und vor alten Weibern habe ich immer Abscheu empfunden. Schöpfte mir also auch als Obergärtncr beim Brunnen das Wasser, ging zum Mittagessen ins Wirtshaus holte mir abends meinen Wein herüber – und räumte täglich mit eigenen Händen auf. Ich hätte zwar das meiste durch einen Gärtnerburschen besorgen lassen können – und ein anderer hätte es auch getan. Ich aber hielt strenge Dienstordnung; es sollte nicht heißen, daß ich einen der Leute, die der Herr Ritter von Artner bezahlte, für mich verwende. So lebte ich also für mich allein, einen Tag wie den andern, fast zehn Jahre lang und befand mich wohl dabei – bis ich endlich – –« Herr Stäudl brach ab und blickte starr vor sich hin.

»Bis Sie endlich doch heirateten«, sagte der Richter. »Lassen Sie hören, wie Sie dazu gekommen sind.«

2.

[136] II.

»Ja, wie das gekommen ist« – sagte Herr Stäudl, ohne sich erregen. »Das ist so gekommen. Der Herr Ritter von Artner hatte einen Bedienten, der bei ihm und seiner Familie sehr in Gunst stand. Er verdiente es auch, denn er war ein brav Mensch, willig und unermüdlich – ein Böhme von Geburt. Er hieß Thomas. Da er, wie gesagt, sehr in Gnaden stand, war ihm gestattet worden, ein Mädchen zu heiraten, in er sich verliebt hatte. Auch eine Böhmin. Ins Haus aber durfte er sie nicht nehmen, sondern es wurde für sie in Nähe der Villa, wo die Herrschaft sich aufhielt, eine Wohnung genommen. Dort gebar sie in den nächsten Jahr zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen. Man nannte sie nach ihrem Manne die Thomasin. Sie galt als hübsch Weib und stand insofern auch im Dienste der Herrschaft, sie bei der Wäsche und sonstigen Verrichtungen mithalf. Ich selbst kannte sie kaum. Ich hielt mich ja fast den ganzen Tag in den Gärten auf, und wenn ich ihr je einmal begegnete, blickte ich – wie überhaupt bei meiner Größe über alle Weiber – auch über sie hinweg, denn die Freude machte ich keiner, mich zu bücken, um ihr unter das Kopftuch oder unter den Hut zu schauen. Kurz, ich wußte eigentlich gar nicht, wie sie aussah.

Da geschah es, daß ihr Mann starb. Er hatte sich, wie es hieß, durch einen kalten Trunk, den er erhitzt getan ein Lungenübel zugezogen, das ihm den Garaus machte. Nun hatte die Herrschaft die Wittib auf dem Halse. Sie erhielt Pension und überdies freie Wohnung in einem kleinen, außer Gebrauch befindlichen Maschinenhause, wo Wasser aus der Donau heraufgepumpt wurde und das in einem der unteren Gartenteile lag. Als ich davon in Kennt gesetzt wurde, erlaubte ich mir, Einsprache zu tun. Denn gerade um das Häuschen herum lagen meine feinsten Obstkulturen, denen zwei übel gehütete Rangen großen Schaden tun konnten; auch war ja der [137] ganze Blumenflor vor solchen Grasteufeln nicht sicher. Aber der Herr Ritterr von Artner, dem das Weib höchstwahrscheinlich den Aufenthalt in dem Häuschen abgebettelt hatte, bestand auf seiner Anordnung. Wenn ich merkte, sagte er, daß die Kinder etwas verwüsten, so möchte ich es nur melden, er würde dann schon Abhilfe zu treffen wissen. Da konnte ich denn nichts mehr einwenden, dachte aber bei mir: den Aufpasser und Ankläger mach ich nicht; ich werde schon selbst Vorsorge treffen. Beschloß also,. mit der Thomasin, sobald sie eingezogen war, ein Wort zu reden. Als ich sie – es war an einem schönen Maimorgen – aufsuchte, stand sie mit ihren Kindern gerade vor der Tür. Ich trat auf sie zu, und zwar mit sehr strenger Miene, so daß sich, wie ich bemerken konnte, die Kinder gleich vor mir zu fürchten anfingen, was ich gerade bezwecken wollte. ›Frau Thomasin‹, begann ich ohne jede weitere Begrüßung, ›Sie haben von der Herrschaft hier Wohnung erhalten. Gut. Aber sie liegt in den Gärten, und für diese bin ich verantwortlich. Ich verbiete also Ihnen und den Kindern, irgend etwas anzurühren. Weder Blumen noch Früchte. Auch kein Fallobst, denn selbst dieses wird aufgelesen und in Rechnung gestellt. Wenn Sie Gemüse oder sonstiges benötigen, so haben Sie sich an den ersten Gehilfen zu wenden, der es Ihnen zum billigsten Preis ablassen wird. Hoffentlich haben Sie mich verstanden, und ich mache Sie daher auch für die Kinder verantwortlich.‹

Das Weib war bei dem ganz verdutzt dagestanden und hatte mich mit halb offenem Munde angestarrt. Jetzt sagte sie in singendem Böhmisch-Deutsch: ›Aber Jesus! Was glauben S' denn, Herr Stäudl? Wer'n mir was anrühr'n? Bitt' ich Ihne! Könnt' uns einfall'n so was! Meine Kinderle sind brav. Schaun Sie S' nur an, sind ja liebe Kinderle!‹

›Hab' sie schon gesehen‹ sagte ich und blickte weg. Das tat ich aber eigentlich nur, um die Thomasin nicht länger anschauen zu müssen. Denn die war wirklich ein hübsches Weib. [138] So gegen die Dreißig. Nicht gar groß, aber auch nicht klein. Voll, aber doch schlank. Und eine Haut hatte sie milchweiß. Und braune Haare, die in der Sonne wie Gold glänzten; auch die Augen, die von derselben Farbe waren. Es war Zeit, daß ich ging, und so wendete ich mich einem kurzen, barschen Gruß. Sie aber suchte mich beim Arm festzuhalten, indem sie sagte: ›Sein S' doch nit so bös, Herr Stäudl! Mir wer'n Ihne kan Verdruß machen. Wer'n S' seh'n, wir wer'n ganz gut auskummen miteinand.‹ Und dabei lächelte sie mit einem ganz eigenen Zug um den Mund, rot war wie eine Granatblüte. Natürlich riß ich mich gleich los; aber meine Hand war zufällig mit der ihren in Berührung geraten, und da fühlte ich, wie es mir heiß durch den Arm hinaufging bis in die Brust. Eine ähnliche Empfindung hatte ich gehabt, als einmal ganz zufällig an das Atlaskleid einer jungen Dame streifte, die unsere Treibhäuser besichtigte. Die Hand der Thomasin war, trotz aller harten Arbeit, die sie verrichtete glatt und knisterig wie der Atlas an jenem Damenkleide. Ich konnte dieses Gefühl den ganzen Tag nicht aus dem Leib bringen. Dabei schwebte mir das Weib und ihre milchweiße Haut beständig vor Augen. Auch in der nächsten Zeit, bis ich endlich über mich selbst wild wurde und mir alle diese Phantasien gewaltsam aus dem Sinn schlug. So hatt' ich's auch untergekriegt. Aber dem Maschinenhaus wich ich immer in weitem Bogen aus: Ich fühlte, daß mir dort Gefahr drohte. Die Thomasin jedoch schien es darauf anzulegen, mir in den Wurf zu kommen. Denn sie begegnete mir manchmal da oder dort, wo sie nicht zu vermuten war. Dabei wollte immer unterwürfig grüßend, mit dem gewissen Lächeln ein Gespräch anknüpfen. Ich aber erwiderte kein Wort und ging ohne Gruß an ihr vorüber, obgleich es mir bei ihrem Anblick immer einen Riß gab.

Eines Abends, da ich mich von der Arbeit weg gerade meine Wohnung begeben wollte, sah ich das Weib davorstehen und durch das offene Fenster in mein Zimmer gucken. Das [139] brachte mich in Wut. ›Was hat Sie da zu schaffen!‹ schrie ich. ›Was spioniert Sie da?‹

›Aber Jesus‹, antwortete sie, ohne im geringsten zu erschrecken, ›sein S' doch nit gleich so bös, Herr Stäudl! Was soll ich spioniern? Hab' mir nur wolln Ihr Zimmerle anschaun. Mein Gott‹ – sie schlug dabei ihre weißen Hände zusammen –, ›wie sieht's bei Ihne aus! Wie bei an Arrestant. Nit amal Vorhangl haben S'. Wie können S' nur so allanig bleibn, Herr Stäudl? Sie sollten a brave Frau habn. Da hätten S' Ordnung. Auch sonst möcht's Ihne gut gehn. Hätten S' Freud am Leben – und wären nicht immer so brummig.‹

›Will Sie jetzt still sein, Sie unverschämte Person!‹ sagte ich. ›Ich brauch Ihren Rat nicht. Schau Sie, daß Sie weiterkommt!‹

›No ja, i geh' schon‹, erwiderte sie und lächelte wieder. ›Aber bleiben S' nit so allanig, sag ich Ihne.‹ Damit entfernte sie sich langsam und griff dabei mit beiden Händen nach rückwärts, um den dicken Haarzopf aufzustecken, der ihr in den Nacken gesunken war.

Ich fühlte mich wirklich höchst aufgebracht über ihre Reden. Als ich aber in mein Zimmer trat, mußte ich ihr unwillkürlich recht geben. Es sah in der Tat ganz gefängnismäßig bei mir aus. Auch ziemlich unsauber. Ich konnte mir ja nicht, immer die Zeit nehmen, ordentlich aufzuräumen. So war ich unzufrieden mit mir selbst – und blieb es auch. Ich fing sogar an, mich abends allein zu fühlen, und ging hin und wieder ins Wirtshaus, was ich früher niemals tat. Kurz, es war in mir etwas aus dem Geleis' gekommen – und ich konnte mich nimmer ganz zusammenfinden.

Eines Tages, so gegen den Herbst zu, fühlte ich mich unwohl. Aber ich war nicht gewohnt, auf derlei zu achten. Ging also wie sonst meiner Beschäftigung nach, auch nicht zeitiger zu Bette, vielmehr ins Wirtshaus, weil ich mir dachte, ein Glas [140] Rotwein würde mir guttun. Aber schon während der Nacht wurde mir ganz miserabel, und am Morgen konnt ich nicht mehr aufstehn. Es war der Typhus, und ich weiß nicht, wie viele Tage ich im Delirium gelegen bin. In diesem Zustand kam es mir vor, als ob die Thomasin im Zimmer und um mich beschäftigt sei. Sie legte mir Umschläge auf den Kopf und tat auch sonst alles, was bei einem Schwerkranken notwendig ist. Aber ich wußte nicht, ob ich es nur träumte oder ob das Weib wirklich da war. Als ich meiner Sinne wieder mächtig wurde, da merkte ich freilich, daß es sich so verhielt. Die Herrschaft hatte sie zu meiner Wartung befohlen. Und die verrichtete sie in einer Weise – ich brauchte sie nur anzublicken, so wußte sie gleich, was ich wollte. Ich lag noch immer ganz kraftlos da und konnte mich lange kaum rühren – und da tat es mir so wohl, wenn sie die Decke oder die Polster richtete – und mir dann mit ihrer glatten Hand über die Stirn strich ..... Was soll ich noch sagen, Herr Untersuchungsrichter? Als ich wieder gesund war, hab' ich sie geheiratet.«

»Soweit wären wir also«, bemerkte der Richter nach einer Pause.

3.

III.

»Soweit wären wir«, wiederholte Herr Stäudl mechanisch. »Und ich muß sagen, daß ich mich zufrieden und glücklich fühlte. Denn ich lernte kennen, was das heißt, ein eigenes Hauswesen zu haben. Und die Thomasin – ich nannte sie auch nach meiner Verheiratung so – war eine ganz vortreffliche Hausfrau. In Wohnung und Küche alles immer spiegelblank wie sie selbst. Es war eigentümlich, daß an ihr niemals etwas haftenblieb, obgleich sie überall zugriff. Auf andern ist gleich jeder Fleck sichtbar, der vom Himmel fällt, trotz aller Sorgfalt. Bei ihr aber mußt ich im stillen immer an den Schwan denken, der in dem kleinen seichten Teich in einem der Gärten gehalten [141] wurde. Sooft er auch unter das schlammige Wasser tauchte, er kam immer wieder zum Vorschein wie der frisch gefallene Schnee. Ja, so war sie. Und ich wußte nun auch, was es heißt, ein Weib zu besitzen. Den ehelichen Verkehr hatte ich mir den Umständen gemäß eingerichtet. Die Frau hatte Kinder, und die durften nicht etwa Zeugen von Zärtlichkeiten sein. Ich wies ihnen also das letzte Zimmer an, wo sie auch schliefen. In dem mittleren schlief die Thomasin; ich selbst blieb, wo ich immer gewesen, und obendrein wurde nachts die Tür zugemacht. Im übrigen waren wir eine Familie. Die Kinder, namentlich das Mädchen, waren wirklich lieb und gut; sie folgten mir auf den Wink, obgleich ich nicht ihr Vater war. Deshalb gab ich mich auch nicht viel mit ihnen ab. ›Es sind deine Kinder‹, sagte ich zur Frau; ›erziehe sie, wie du es für recht und gut hältst. Ich will nur, daß sie sich anständig benehmen.‹ Das taten sie auch, denn obgleich ich ihnen kein böses Wort gab, fürchteten sie mich wie den Teufel. Eigene Kinder wollten sich nicht einstellen, mir war es ganz recht. Denn das hätte jedenfalls Unordnung ins Haus gebracht; auch würde ich mich gewissermaßen vor den Stiefkindern geschämt haben, die ja doch schon heranwuchsen und sich jedenfalls über die Sache ihre Gedanken gemacht hätten.

So lebte ich, wie gesagt, zufrieden und behaglich über zwei Jahre. Abends ging ich nie aus. Nur alle vierzehn Tage besuchte ich einen Verein, welchen die Gärtner der ganzen Gegend gegründet hatten und wo neben geselliger Unterhaltung auch allerlei ins Fach schlagende Gegenstände zur Sprache kamen. Ich war nie ein Freund von solchen Veranstaltungen, bei denen doch nichts anderes herauskommt, als daß ein paar vorlaute Leute den Ton angeben und sich geltend zu machen suchen. Wollte also anfänglich dem Verein gar nicht beitreten. Aber da hieß es: ›Was? Sie wollen sich ausschließen, Herr Stäudl? Sie, eine unserer ersten Kapazitäten? Und wir haben die Absicht gehabt, gerade Sie zu unserem Obmann zu wählen!‹ Da [142] konnte ich wohl nicht anders und ergab mich darein, obwohl mir die ganze Sache höchst zuwider war.

Nun, die Zusammenkünfte fanden jeden zweiten Freitag in einem Grinzinger Gasthause statt, wo bekanntlich guter Wein geschenkt wird. Eines Freitags also ging ich wie gewöhnlich so nach sechs vom Hause fort. Ich hatte schon ziemliches Stück Weges zurückgelegt, als mir plötzlich. Gedanke kam, ob meine Leute wohl das kleine Warmhaus geheizt haben möchten. Es war zwar schon im April und die Tag auch sehr sonnig gewesen, aber ein Nachtfrost w doch nicht ganz ausgeschlossen – und strikten Befehl ich nicht gegeben. Die Sache schien mir wichtig, einiger sehr seltener Keimpflanzen wegen, die dort untergebracht waren. Kehre also um, begehe mich durch ein Seitenpförtchen dessen Schlüssel ich immer bei mir trug, in den Garten, wo sich das Warmhaus befindet. Mache die Tür auf – was seh' ich? Meine Frau steht drinnen mit einem meiner Gehilfen – und zwar in einer Art und Weise, die mir keinen Zweifel darüber läßt, was da vorgeht. Ganz starr stand ich da. Auch die beiden. Dann fingen sie zu zittern an, daß ihnen fast die Knie einbrachen. Sie dachten wohl, nun würde ich auf sie losfahren. Aber nichts da! Ich drehte mich wie damals vor der Gertrud und dem Bäckerburschen auf dem Absatz um und ging. Aufrecht, ohne jedes Gefühl in mir als das der tiefsten Verachtung, ging ich nach Grinzing. Ich war um so ruhiger, als ich bei meinem Eintritt in das Warmhaus gemerkt hatte, daß geheizt war. Machte daher ganz ordentlich den Vereinsabend mit; nur des Trinkens enthielt ich mich soweit wie möglich, denn ich wollte nicht, daß mir das Geschehene, weil es mir jetzt doch allmählich zuzusetzen begann, über den Kopf wüchse. Vielmehr überlegte ich schon auf Heimwege – obgleich ich mit ein paar andern Gärtnern, mich begleiteten, unausgesetzt reden mußte, ganz gründlich, was nun zu tun sei. Sonst wurde ich immer von der Frau erwartet, wenn nach Hause kam. Diesmal nicht. Sie wagte es offenbar [143] nicht, mir unter die Augen zu treten. Während ich bei mir, wo ganz finster war, Licht machte, hörte ich leises Geräusch im Nebenzimmer. Da sperrte ich die Tür gleich mit Schlüssel ab und legte mich zu Bett. Schlafen konnte ich allerdings nicht. Als aber der. Morgen graute, hatte ich meinen Entschluß gefaßt. Ich stand auf, holte mir wie früher das Wasser vom Brunnen, wusch mich und kleidete mich völlig an. Dann drehte ich den Schlüssel wieder um und ging sogleich in den Garten, wo ich, als wäre nichts vorgefallen; meinen Verrichtungen oblag. Dabei sah ich mich nach dem Gehilfen um – ich hatte deren vier –, den ich gestern bei der Frau gesehen. Er war nicht zu erblicken, er mußte sich absichtlich von. mir fernhalten. Ich ließ ihn rufen. Es dauerte lange, bis er erschien, ganz blaß wie das böse Gewissen. Ich ließ mir aber gar nichts anmerken, sondern erteilte ihm bloß einige Aufträge; der Schuft sollte nicht etwa glauben, daß mir das Vorgefallene naheging oder gar Herzweh bereitete. So gegen. acht verließ ich den Garten und ging die Hauptstraße hinunter, gegen den Ort zu. Dort hatte man in den letzten Jahren eine Unmasse neuer Häuser gebaut, wo immer Wohnungen leerstanden und sofort zu mieten waren. Fand auch bald eine, die mir passend schien. Ich nahm sie auch gleich auf und bezahlte den vierteljährigen Zins. Dann kehrte ich nach Hause zurück, wo die Thomasin am Herd stand und das Mittagessen zu kochen anfing. Ich gab ihr einen Wink, mir ins Zimmer hinein zu folgen. Als sie jetzt vor mir stand, sah sie mich mit ungewissem Blick an und wollte etwas sagen. Ich aber schnitt ihr das Wort vom Mund ab. ›Thomasin‹, sagte ich ganz kurz, ›Ihr werdet übermorgen mit den Kindern mein Haus verlassen. Ich habe Euch eine Wohnung genommen. In der Panzergasse. Zimmer, Kabinett, Küche. Der Zins ist gezahlt und wird jedes Vierteljahr von mir gezahlt werden. Außerdem erhaltet Ihr monatlich soundso viel. Keine Widerrede! Mit den Gerichten geb' ich mich nicht ab. Wir sind geschiedene Leute. Übermorgen müßt Ihr mit den Kindern fort [144] sein. Die Möbel, die sich in Eueren Zimmern befinden, könnt Ihr mit nehmen.‹

Sie erwiderte nichts, wollte aber meine Hand erfassen und vor mir auf die Knie sinken. ›Hinaus!‹ schrie ich, und zwar mit einer solchen Stimme, daß sie auch schon, wie geflogen, aus dem Zimmer war. Nun hatte ich Ruhe. In zwei Tagen war sie fort.

Ihr Wegziehen machte natürlich das größte Aufsehen Kein Mensch außer dem jungen Schurken wußte es sich erklären; vorwitzige Frager fertigte ich kurzweg ab. Aber der Herr Ritter von Artner ließ mich zu sich bescheiden und wollte wissen, was da vorgefallen sei. Ich antwortete mit al1er Ehrerbietung, doch in einem Ton, der weiteres Forscher abschnitt: ›Herr Ritter von Artner, das geht mich allein an.‹ Er stutzte und schien ungehalten. Aber er besann sich sagte: ›Allerdings geht das Sie allein an. Sie werden Ihr Gründe gehabt haben.‹ ›Ganz gewiß‹, erwiderte ich empfahl mich. Damit war die Sache abgetan.«

»Leider noch nicht«, sagte der Richter. »Die Hauptsache kommt erst.«

4.

IV.

»Ja, die kommt erst«, bekräftigte Herr Stäudl mit dumpfer Stimme, während er sich mit seiner vertrockneten Gigantenhand über die Stirn fuhr. »Wenn mir jemand gesagt hätte daß ich mich jemals so ganz und gar selbst verlieren könnte den hätt ich reif fürs Tollhaus erklärt. Denn ich habe mich immer für felsenfest und unerschütterlich gehalten. Und war es auch. Aber es muß schon so sein, für jeden kommt einmal die Stunde, die ihn niederwirft. Doch ich will fort fahren.

Sehen Sie, Herr Untersuchungsrichter, als das Weib weg war, erschien mir auch alles wieder in Ordnung. Denn mein Herz hatte ich ja nicht an sie gehängt – wie überhaupt [145] an keinen Menschen; nicht einmal an meine Eltern, die mir allerdings früh gestorben waren. Aber auch an keinen sogenannten Freund. Ich verkehrte wohl in meinen jungen Jahren mit diesem oder jenem nicht ungern, wie das schon der gemeinsame Beruf und sonstige Umstände mit sich bringen. Sobald aber einer mein Selbstgefühl irgendwie verletzte, war es aus. Ich kannte ihn nicht mehr. So war es auch mit dem Weibe. Sie hatte ein Verbrechen gegen mein Selbstgefühl begangen. Somit war sie für mich tot – oder schien es wenigstens zu sein, wie ich denn auch über den schuldigen Gehilfen; bis er eines Tages selbst den Dienst kündigte, vollständig hinwegsah, als wäre gar nichts geschehen.

Auch im Häuslichen vermißte ich die Thomasin nicht allzusehr. Ich war das einsame Leben zu lange gewohnt gewesen, um es nicht ohne besondere Beschwerden wiederaufzunehmen. Nur die Abende begannen mir lang zu werden. Da fühlte ich mich einsam. Am Lesen fand ich keine rechte Freude mehr, und so stiegen allerlei Gedanken in mir auf, denen ich nicht gerne nachhing. Ich fing also an, ins Wirtshaus zu gehen. Aber in kein nahes, wo mich jedermann kannte, sondern hinunter ans Donauufer in eines der Einkehrhäuser für die Schiffsleute, die mit ihren Zillen und Flößen aus den oberen Gegenden, von Linz oder auch von Passau, kommen. Da ging es oft recht lebhaft zu. Das zerstreute mich, und ich begann sogar mit den Leuten Karten zu spielen, wobei ich natürlich auch immer mehr Bier oder Wein trank. Zwar nicht unmäßig, aber doch mehr, als ich sonst im Leben gewohnt war. Wie gesagt, das zerstreute mich. Aber es dauerte nicht lange, so stellte sich ein Unbehagen an mir selbst ein, das ich nicht loswerden konnte. Es fehlte mir etwas, und in diesem Zustande mußte ich immer häufiger an die Thomasin denken. Ich sah sie oft so deutlich vor mir mit ihrer milchweißen Haut, mit den glatten, schimmernden Armen und Händen, als stände sie leibhaft da. Selbst bei der Arbeit ließ mir das höllische Bild keine Ruhe. [146] Schließlich empfand ich eine solche Sehnsucht nach dem Weibe, daß ich oft laut hätte aufbrüllen können vor Schmerz. Ich tat alles mögliche, um mein fortwährendes Verlangen zu übertäuben; ich versuchte sogar – nein, ich will nicht aussprechen, was ich da versuchte. Aber es half alles nichts: mein elender Zustand blieb sich gleich. Und ich kam ganz herunter dabei. Ich fühlte mich so schwach und hinfällig, daß ich kaum mehr kriechen konnte. Und da – ich schäme mich es zu sagen – kam mir auch der Gedanke, die Thomasin aufzusuchen, und nur die Vorstellung, daß sie mir vielleicht die Tür weisen könnte, hielt mich zurück, es zu tun.

Um diese Zeit ließ ich wieder einmal mein Zimmer gründlich scheuern und ausfegen, wie das bei mir, seit das Weib fort war, jeden Monat geschah. Und zwar durch eine Taglöhnerin, die in den Gärten arbeitete und von mir für besondere Dienstleistung auch besonders bezahlt wurde. Es war eine bejahrte, gutmütige Person, die gern schwatzte. Obgleich ich ihr niemals Red und Antwort gab, suchte sie doch immer ein Gespräch anzuknüpfen. So auch diesmal, da ich gerade in die Wohnung getreten war, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. ›Sie sollten sich in acht nehmen Herr Stäudl‹, sagte sie.

Da ich nichts erwiderte, wiederholte sie: ›Ja, wirklich, Sie sollten sich in acht nehmen.‹

Das machte mich stutzig, und ich sagte barsch: ›Wieso? Warum?‹

›Ihre Frau lauert Ihnen auf.‹

Es gab mir einen Riß durch den ganzen Leib, und das Herz stand mir still. ›Was soll das heißen?‹ brachte ich mühsam hervor.

›Na, sie möcht' halt mit Ihnen zusammenkommen. Darum schleicht sie auch seit einiger Zeit, wenn's finster wird, draußen auf der Straße herum. In die Gärten hinein traut sie sich nicht. Aber sie wird Sie schon einmal erwischen, wenn Sie gerade ausgehen wollen oder bei der Nacht heimkommen.‹

[147] Die Knie wankten mir. Aber ich sagte: ›Was redt Sie da für dummes Zeug! Warum sollt' sie –‹

Das Weib sah mich von der Seite an. ›No, sie soll in der Hoffnung sein. Aber nicht von Ihnen. Und da will sie halt, daß Sie der Vater sind.‹

Mir wurde ganz kalt, aber das Blut stieg mir dabei brennheiß zu Kopf. ›Woher weiß Sie denn das?‹ fragte ich mit versagender Stimme.

›Woher ich das weiß? Von der Greißlerin, wo sie einkauft. Dort soll sie g'sagt haben: es nutzt ihm nix. Er muß der Vater sein. So oder so. Und das Kind muß ihn beerben, wenn er einmal stirbt.‹

Jetzt brachte ich keinen Laut mehr hervor.

›Darum sag' ich Ihnen‹, fuhr das Weib fort, ›sein S' g'scheit, Herr Stäudl. Lassen Sie sich in nix ein.‹ Damit ging sie.

In welchem Zustand ich zurückblieb, können Sie sich denken, Herr Untersuchungsrichter. Einesteils empfand ich eine so höllische Wut über diese Niedertracht, daß ich das Weib hätte zerreißen können, wenn sie dagewesen wäre. Andernteils aber überfiel mich eine solche Schwachheit, daß mir bei dem Gedanken an sie sogleich wieder ein wahnsinniges Verlangen aufstieg. Nun war ich fertig. Ich hatte weder Rast noch Ruhe mehr. Ich wagte mich nicht auf die Straße, und daheim konnt ich auch nicht bleiben. So ging ich doch wieder hinunter in das Wirtshaus an der Donau. Beim Fortgehen spähte ich immer früher durch die Torspalte, ob sie nicht etwa draußen stehe. Ich atmete auf, wenn ich mich überzeugt hatte, daß sie nicht da sei – und doch war mir's auch wie eine Enttäuschung. So ging's eine Zeitlang fort. Ich verwilderte dabei ganz und begann nun wirklich zu trinken. Vor Mitternacht ging ich nicht nach Hause, weil ich mir dachte, so lange wird sie auf mich wohl nicht warten, aber ich fühlte, daß es mir recht wäre, wenn sie es täte.

[148] Da – in einer finsteren Nacht geschah es. Ich war keineswegs betrunken, aber bis zum äußersten aufgeregt, das Blut pochte mir an die Schläfe. Es hatte sich starker Südwind erhoben und verlöschte das Licht der Laterne, die ich bei meinen nächtlichen Gängen immer mit mir trug. Ein scharfer Strichregen schlug mir ins Gesicht. Wenn sie jetzt da wäre! Ich wünschte es mehr, als ich es fürchtete. Wie ich nun an die Haustür trete, kauert etwas Dunkles auf der Schwelle. Sie war es. Es hatte mir den Atem verschlagen. Am ganzen Leibe zitternd, schloß ich die Tür auf und ging in den dunklen Gang hinein. Sie mir nach. Im Zimmer fiel ich sie an wie ein wildes Tier. Mit einem Schrei riß ich ihr die durchnäßte Jacke auf – warf sie aufs Bett und mich über sie. Aber in meiner wahnsinnigen Gier überkam im mich plötzlich der Gedanke an ihre ganze Schändlichkeit – und da – da – mit diesen Händen« – – Er hielt keuchend inne.

»Haben Sie das Weib erwürgt«, ergänzte der Richter.

Stäudl schwieg. Dann erhob er sich langsam und sagte:

»Ja, ich – habe einen Mord begangen. Aber ich wußte nicht, was ich tat. Die Geschworenen werden mich freisprechen.«

»Wir wollen es hoffen. Jedenfalls wird man mildernde Umstände finden.«

»Man braucht keine zu finden«, entgegnete Stäudl, indem er seine knochige Hünengestalt wieder zu voller Höhe emporrichtete. »Was geschehen ist, ist geschehen. Das Weib hat seinen Tod selbst verschuldet. Sie ist gerichtet. Mich kann man nicht verurteilen. Aber ich werde mich selbst justifizieren, weil es mit mir so weit hat kommen können. Dieses Bewußtsein erträgt keiner, der beschaffen ist wie ich. Für die Kinder wird gesorgt sein, denn ich habe mir etwas erspart. Das hat auch die Thomasin gewußt.«

Der Richter drückte an der elektrischen Klingel. Ein Justizwachmann erschien, um den Angeklagten abzuführen.

Als er draußen war, wendete sich der Rat zu dem Schriftführer, [149] einem schmächtigen jungen Mann, der eben die erste Zeit seiner Gerichtspraxis durchmachte. »Nun, Herr Doktor, was sagen Sie dazu? Wie ich höre, sind Sie ja auch Dichter. Hätten Sie da nicht Stoff zu einer Novelle?«

Der junge Mann zog seine Nase in die Länge und die stark gewölbten Brauen noch höher hinauf, so daß sie über den kalten, unbeweglichen Augen zwei Rundbogen bildeten. »Nun ja«, sagte er mit einem geringschätzigen Achselzucken. »Aber ich befasse mich nur mit Zukunftsmenschen. Und dieser Stäudl ist nichts als ein atavistischer Schwachkopf, der an Größenwahn leidet und überdies mit verlarvter Epilepsie behaftet ist.« Der Rat sah ihn an, ohne etwas zu erwidern. Dann er nahm Hut und Überrock und ging.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Saar, Ferdinand von. Erzählungen. Novellen aus Österreich. 5. Teil. Die Heirat des Herrn Stäudl. Die Heirat des Herrn Stäudl. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-AF39-B