[105] [107]Die Lyrik
Ob auch ein überkluges Geschlecht
Dich belächelt als Unverstand;
Ob der banausische Schwarm,
Der in den Tempel der Kunst sich drängt,
Um bei des Altars heiliger Flamme
Mahlzeit zu halten,
Dir, weil du den Mann nicht nährst,
Hochmüthig den Rücken kehrt,
Indeß ein Heer frecher Stümper
Dich entweiht zu nichtigem Spiel:
Immer und ewig
Bleibst du, hochaufstrebende Lyrik,
Blüthe und Krone der Dichtkunst.
Denn überall sonst befehden sich Stoff und Form,
Und der Meister selbst,
Der den Zwiespalt zu lösen scheint,
In tiefster Brust empfindet er
Vor dem beendeten Werk
Vorwurfsvollen Mißklang
Des Unbewältigten.
[107]Du aber, athmend reinster Empfindung Hauch,
Folgst in sanften Rhythmen
Willig dem Geist
Und lenkst ihn zuletzt,
Da du Worte hast für das Unsagbare,
Siegreich hinan zu ahnungsvollster Erkenntniß.
Und wie du der Freude Höhen
Als leuchtendste Rose schmückst,
Blühst du auch, schwermuthsvoll,
Als Passiflore hervor
Aus den Abgründen des Lebens.