Silvester bei den Kannibalen

Am Silvesterabend setzen

Sich die nackten Menschenfresser

Um ein Feuer, und sie wetzen

Zähneklappernd lange Messer.


Trinken dabei – das schmeckt sehr gut –

Bambus-Soda mit Menschenblut.


Dann werden aus einem tiefen Schacht

Die eingefangenen Kinder gebracht

Und kaltgemacht.

Das Rückgrat geknickt,

Die Knochen zerknackt,

Die Schenkel gespickt,

Die Lebern zerhackt,

Die Bäuchlein gewalzt,

Die Bäckchen paniert,

Die Zehen gesalzt

Und die Äuglein garniert.


Man trinkt eine Runde und noch eine Runde.

Und allen läuft das Wasser im Munde

Zusammen, ausnander und wieder zusammen.

Bis über den feierlichen Flammen

Die kleinen Kinder mit Zutaten

Kochen, rösten, schmoren und braten.


Nur dem Häuptling wird eine steinalte Frau

Zubereitet als Karpfen blau.

Riecht beinah wie Borchardt-Küche, Berlin,

Nur mehr nach Kokosfett und Palmin.


Dann Höhepunkt: Zeiger der Monduhr weist

Auf zwölf. Es entschwindet das alte Jahr.

Die Kinder und der Karpfen sind gar.

Es wird gespeist.


Und wenn die Kannibalen dann satt sind,

Besoffen und überfressen, ganz matt sind,

Dann denken sie der geschlachteten Kleinen

Mit Wehmut und fangen dann an zu weinen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Ringelnatz, Joachim. Gedichte. Kinder-Verwirr-Buch. Silvester bei den Kannibalen. Silvester bei den Kannibalen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-9619-6