[40] Galathea

Am Fuß des Latmos wölbt sich eine tiefe Grotte,
Vom Finger der Natur, der Kunst Vitruvs zum Spotte,
In adrigten Granit mit Allkraft eingedrückt
Und durch ein Säulenpaar von Tropfstein ausgeschmückt.
In ihrem Schooß umschlang die göttliche Selene
Einst den Endymion. Zur Feyer dieser Szene
Hat Amor das Portal mit Myrthen rund umschanzt
Und einen Rosenhain ins nahe Thal gepflanzt,
Das ein gekrümmter Bach mit seiner Fluth bespület,
Hell wie der Morgenthau, der Florens Busen kühlet,
Und majestätisch still, wie die Zufriedenheit.
Sein flacher Boden ist mit Goldkies überstreut,
Den das beglückte Volk, das diese Flur besitzet,
Für gelben Sand nur hält und blos zum Scheuern nützet.
Oft wann der Flor der Nacht die bunten Auen schwärzt,
Kömmt Thetis Nymphenchor den Bach heraufgescherzt,
Denn früh verliert er sich und deckt mit seinem Schaume
Des Meeres grüne Fluth gleich einem Silberpflaume.
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Schon nahte sich Apoll der Grenze seiner Bahn;
Schon blies ein kühler West die welken Blumen an,
Als Galathea, schön wie keine der Najaden,
Die schwüle Trift verließ, um einsam sich zu baden.
Sie warf sich in den Bach, der gierig sie verschlang
Und wollustmurmelnd sich um ihren Busen drang.
Die Schöne plätschert schon im flüßigen Kristalle;
Bald trägt sein Rücken sie gleich einem Federballe,
Bald tauchet sie das Haupt bis auf den Grund hinab
Und hebt es triefend auf aus dem zerwühlten Grab.
Hier sah sie Tityrus, der lieblichste der Hirten
Des karischen Gefilds, durch die verwachsnen Myrthen,
Zwo Stunden gieng er schon dem schönsten Schaafe nach,
Das von der Trift entlief, und naht sich nun dem Bach,
Wo er das Götterbild kaum in der Fluth erblicket,
Als er voll Ehrfurcht sich dreymal zur Erde bücket;
Er glaubt Dianen selbst (daß es hier oft geschehn,
Erzählt die ganze Flur) in vollem Reiz zu sehn.
Ihr Anblick schmelzt sein Herz, das laute Schläge hoben,
Schon will er ihr ein Lamm zum Opfer angeloben,
Als ihn von ungefehr des Mädchens Aug entdeckt.
Dem bangen Täubchen gleich, wenn es der Habicht schreckt,
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Entschlüpft sie längs dem Schilf und fliehet in die Höhle,
Die ihr Gewand verwahrt, und ruft aus voller Kehle
Die Hülfe des Neptuns und aller Nymphen an.
Ihr Ruf erfüllt das Thal. Der edle Hirt Sylvan,
Ein Liebling des Apolls, der bey der Abendröthe
Am nah gelegnen Hain zu einer neuen Flöte
Sich einen Buxbaum hieb, vernahm ihr Angstgeschrey.
Von Mitleid angespornt eilt er im Flug herbey
Und sieht den Tityrus, der vor der Höhle wachte,
Bald einzudringen droht und bald des Mädchens lachte,
Das jezt ihm stolz befahl, jezt ihn beym großen Pan
Voll Huld zu weichen bat. Der Anblick des Sylvan
Beschämt den Tityrus, der hastig ihm erzählet,
Wie diesen Abend ihm sein schönstes Schaaf gefehlet,
Wie er es lang gesucht und hier von Amors Hand
Dem Bache zugeführt das schönste Mädchen fand,
Das er für Phöben hielt; wie es sein Wahn erschreckte
Und wie es mit Geschrey sich in die Kluft versteckte.
Hier, fuhr der Schäfer fort, hält mich die Sehnsucht fest,
Bis es den dunkeln Schoos des Heiligthums verläßt;
Dann soll es nur ein Kuß aus meinem Arme retten.
Nun drang die Schäferin, umschwebt von Amoretten,
Mit holder Majestät sich durch das Myrthenthor.
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So hob Aurora sich, um einst dem Götterchor
Den Tag der Wiederkehr des Phöbus anzusagen,
Aus Thetis Schilfpallast auf ihren Rosenwagen.
Noch hängt ein lichter Thau der himmlischen Gestalt
Am goldgelockten Haar, das ihr vom Nacken wallt;
Ein weißer Leibrock deckt, von ihren eignen Händen
Aus zartem Flachs gewebt, den schlanken Wuchs der Lenden,
Die nach Cytherens Art ein breiter Gürtel schmückt,
Von weiß und grünem Bast mit seltner Kunst gestrickt.
Verstummt erkennen nun die Hirten an der Schönen
Die junge Galathe, die Schwester der Kamönen,
Die bey dem Hochzeitfest Damöts im Wettgesang
Den bunten Gürtel sich als einen Preis errang.
Sie naht sich dem Sylvan: Heil dir, o du mein Retter!
Sprach sie, dich sandten mir die mitleidvollen Götter
Als dieser böse Hirt ... Ich bin nicht böse, nein,
Beym Pan, das bin ich nicht, fiel Tityrus ihr ein.
Was that ich? als die Furcht dich in die Höhle jagte,
Hab' ich dich zwar verfolgt; doch ob ich es gleich sagte,
So drang ich nicht hinein. Was hemmte meinen Fuß
Als Ehrfurcht? Freylich bat ich dich um einen Kuß
Zum Lösegeld; allein den konnt' ich mir ja rauben.
Ja, Kind! so sprach Sylvan, du kannst dem Hirten glauben,
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Ich bin dein Retter nicht, denn bieder ist sein Herz.
Gieb ihm den Kuß zum Lohn, was er gethan, war Scherz.
Doch als dein Angstgeschrey den Vater der Tritonen
Um seinen Beystand bat, dacht ich an Amymonen,
Von der mein Ahne mich ein hohes Lied gelehrt,
Das er als Jüngling einst auf ferner Trift gehört.
Noch muß ich es ihm oft mit meiner Chloe singen;
Dann drückt er mir die Hand; erstickte Seufzer dringen
Aus seiner frommen Brust. Des Mädchens Wange glüht
Und weinend dankt es ihm von neuem für das Lied.
Wirst du, so fuhr er fort, des Hirten Wunsch gewähren,
Dann, holde Sängerin, will ich auch dich es lehren.
Halb lächelnd, halb erzürnt bot Galathe den Kuß.
So küssen Grazien. Entzückt gab Tityrus
Das süße Lösegeld der Schönen zweymal wieder,
Dann setzten alle sich im bunten Grase nieder;
Der Schäfer blies das Lied auf seinem Haberrohr
Und sang dem stummen Paar die ernsten Worte vor:
Sängerin des Jammers, Philomele,
Hebe dich aus deiner Trauerhöhle,
Komm, begleite meiner Flöte Klang;
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Fromme, gattenlose Turteltaube,
Komm zu mir in die Cypressenlaube,
Girre mit in meinen Nachtgesang.
Feyrt mit mir, entfernt von Phöbus Blicke,
Feyrt mit mir das traurige Geschicke
Einer Fürstin aus der alten Zeit!
Holder Geist der edlen Amymone,
Kröne mich mit deiner Todtenkrone
Für die Klagen, die mein Lied dir weiht.
Amymone, grauenvoller Name!
Echo, blasses Bild von meinem Grame,
Treues Echo, sing ihn mir nicht nach!
Oder tragen ihn die stillen Lüfte
Bis zu dir in deine schwarzen Klüfte,
Göttin, o so nimm auch dieses Ach!
Reines Opfer deiner frühen Tugend,
O wie schön floß deine Götterjugend!
Edles Kind des großen Danaus!
Neben ungestümmen Wasserfällen
Fließen so die stillen Ambraquellen
An des Hybla honigreichem Fuß.
Oftmals, wenn dein Tritt auf steilen Höhen
Um den stolzen Damhirsch auszuspähen,
Durch den Cedernhayn gewandelt ist,
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Hat dein Antlitz und dein sichrer Bogen
Der Dryaden rege Schaar betrogen,
Und sie hat dich Cynthia gegrüßt.
Plötzlich schwieg der Bäche rasches Brausen,
Selbst der West hob sanfter an zu sausen,
Und die stillen Wipfel neigten sich;
Frischer quollen dir des Cythrus Düfte,
Frischer färbte sich das Blau der Lüfte,
Und die Grazien umtanzten dich.
Doch wo seyd ihr, prächtige Gefilde?
Ihr entweicht gleich einem Schattenbilde,
Gleich der Träume flatterhaftem Chor.
Ach, was seh' ich? Feyre diese Szene,
Hekate, komm, hauche Klagetöne
Und Verzweiflung in mein mattes Rohr.
Zur Versöhnung für den Gott der Meere,
Der mit Aeols kettenlosem Heere,
Argos Küsten mit Verwüstung plagt,
Wird vom frommen Vater ihr befohlen,
Opferwasser an dem Strand zu holen,
Dessen Fluth des Tempels Mauer nagt.
Froh, wie sie die Götter stets verehret,
Eilt sie, mit dem Marmorkrug beschweret,
Durch den Hayn, der Argos Ufer schließt;
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Und sie kniet schon am beschäumten Damme,
Als aus einem hohlen Eichenstamme
Ihr ein Satyr wild entgegenschießt.
Ach es war von ihrem goldnen Bogen
Einst ein Pfeil ihm in die Brust geflogen,
Der ein allzuschnelles Reh verfehlt:
Brüllend schwur er, diesen Schimpf zu rächen,
Bey den schwarzen, schwefelreichen Bächen
Und den Furien der Unterwelt.
Wie der schnaubende Monarch der Winde,
Die der Mutterschoos entrißne Linde
In der ersten Blüthe niederwirft,
Also stürzet mit entflammtem Blicke
Sie der Waldgott in den Sand zurücke,
Der des Opfers heil'ge Ströme schlürft.
Ach, Neptun! ruft sie mit banger Stimme,
Rette mich vor dieses Frevlers Grimme,
Stehe der bedrängten Unschuld bey!
Weinend bäumt sie sich in seinen Armen,
Doch der Satyr kennet kein Erbarmen
Und verlacht ihr ängstliches Geschrey.
Aber schnell verdoppeln sich die Stürme,
Tausend Wellen ziehn, wie stolze Thürme,
Drohend gegen den verheerten Strand!
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Und der Abgrund speyt mit hohlem Stöhnen
Den abscheulichsten von seinen Söhnen
Aus dem schwarzen Rachen an das Land.
Wildes Feuer sprüht aus seinen Blicken,
Wie ein Berg erhebet sich sein Rücken,
Den ein Felsen-Panzer überzieht;
Ströme sind das Spiel von seinem Hauche,
Tellus berstet unter seinem Bauche
Und der Satyr bebt und flucht und flieht.
Götter, steiget selbst von Euern Thronen,
Schützt die Tugend, rettet Amymonen!
Ach! schon faßt das Ungethüm sie an.
Ach! ... verstummt, verstummt, ihr Klagetöne!
Und du, stille, blutgefärbte Thräne,
Sage du, was ich nicht sagen kann.
Argos bebt! es bebten die Najaden,
Als mit seinem schönen Raub beladen
Schnell das Unthier in den Abgrund fuhr.
Argos klagt und in den öden Haynen
Hört man Philomelen lauter weinen,
Und der Lenz entweichet von der Flur.
So sang der Hirt; sein Lied begleiteten die Thränen
Des biedern Tityrus und der verstummten Schönen;
Ein sanfter Händedruck (mehr lohnt kein Lorbeerreis
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Von Phöbus eigner Hand) war seines Sieges Preis.
Sie bat noch zweymal ihn mit hochgefärbten Wangen
Und seelenvollem Blick es wieder anzufangen,
Und eh noch Lunens Strahl sich an dem Latmos brach,
Sang sie's, wie Echos Mund einst Orpheus Klage, nach.
Nun deckte sich die Flur mit einer grauen Hülle
Und Galathea gieng in feyerlicher Stille
Am Arm des Tityrus durch den bethauten Wald;
Vor ihr flog Zypripor in Schmetterlingsgestalt.
Bald schmieget sie vertraut sich an des Hirten Seite,
Der ihre weiche Hand als eine süße Beute
In seine Rechte schließt und an den Busen drückt,
Bis sie der Mutter Dach am bunten Rain erblickt.
Sie naht der Thüre sich mit immer trägerm Fuße
Und hält ihm röthend still bey seinem Abschiedskusse.
Von nun an kam es oft, weil Hylax leicht entschlief,
Daß sich ein keckes Lamm von ihrer Trift verlief.
Indeß wenn Tityrus dann seine Heerde zählte,
Durch Amors Zauber ihm ein junger Widder fehlte;
Sie suchten beyderseits und fanden jedesmal
Den Widder und das Lamm am Bach im Myrthenthal.
Doch floh die Nymphe nicht, wenn schnell ihr aus dem Schilfe
Der Hirt entgegensprang, und schrie nicht mehr um Hilfe.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Erster Teil. Erstes Buch. Galathea. Galathea. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-726C-0