5.

Sinnend stand ich, traumverloren
Vor dem kleinen Altar in der Kapelle.
Schwarze Gewitterwolken waren aufgezogen
Südlich am Himmel.
Mitten in die purpurne Abendröte
Zuckten goldene Blitze flammend in Siegesgewißheit,
Und dennoch schnell verschwindend –
Also zuckte durch meine Seele,
Blitzend ein Gedanke
Eine Gedächtnistafel schwarz-rot-golden
In meinem Innern enthüllend.
Und auf der Tafel stand mit leuchtender Schrift:
Tausend achthundert und siebzehn.
[86]
Und ich stand vor dem Altar
Vor dem damals die deutsche Jugend
Siegesmutig gestanden,
In allgemeiner Liebesverbrüderung
Sich die Hände gereicht und das vaterländische Bündnis
Auf die Hostie feierlich beschworen.
Und ich stand vor dem Altar
Thränenden Auges!
Und doch fühlt ich wie sie, wie die hoffende Jugend,
Jugendkraft in den Adern
Freiheitsglut – Todesmut
Für die heilige Sache des Vaterlands! –
Aber ich stand und weinte.
Auch das mutige Aufjauchzen
Aus dem Herzen der deutschen Jugend
Durfte nicht frei in die Lande dringen
Durfte es damals nicht – darf es auch heute nicht –
Denn es will mich bedünken:
Als habe der Argwohn selbst eine Burg erbaut
Mitten im deutschen Land – auch eine Wartburg!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Otto, Louise. Gedichte. Mein Lebensgang. Abteilung 1. Aus den Jahren 1840-1850. Wartburg. 5. [Sinnend stand ich, traumverloren]. 5. [Sinnend stand ich, traumverloren]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-649D-F