[253] Dreiunddreißigste Erzählung.

Von einem blutschänderischen Priester, welcher seine Schwester schwängert und sie dann als ein Wundermädchen ausgiebt, und von seiner Bestrafung.


Als der Graf Karl von Angoulême, der Vater des Königs Franz I., ein gottesfürchtiger Prinz, in Cognac war, erzählte ihm jemand, daß in dem benachbarten Dorfe Cherves eine Jungfrau sei, die so zurückgezogen und streng sittlich lebe, daß man sie nur bewundern müsse. Nichtsdestoweniger sei sie schwanger, verheimliche das auch garnicht, versichere aber allen Leuten, sie habe sich nie mit einem Mann eingelassen und wisse nicht, wie ihr das habe passiren können, es sei denn, daß der heilige Geist zu ihr gekommen sei. Das Volk glaubte es und sah in ihr eine zweite Jungfrau Maria. Jeder wußte ja auch, daß sie schon von frühester Kindheit an sehr vernünftig gewesen war und niemals irgendwelchen weltlichen Hang gezeigt hatte. Sie hielt nicht nur die gebotenen kirchlichen Fasten inne, sondern fastete noch mehrmals die Woche aus eigenem Antrieb und bei jedem, auch dem kleinsten Gottesdienst, war sie in der Kirche zu finden. Alle Welt war deshalb von ihrem heiligen Leben erbaut, und man kam, sie wie ein Wunderding zu besuchen, und war glücklich, ihr Kleid berühren zu können. Der Dorfpfarrer war ihr Bruder, ein Mann in gesetzten Jahren und von strengem Lebenswandel, der von seiner Gemeinde hochgeschätzt und für einen heiligen Mann gehalten wurde. Der verfuhr sehr streng mit dem Mädchen und schloß es in ein Haus ein. Das Volk war aber unzufrieden damit und schlug so viel Lärm deshalb, daß (wie ich schon gesagt habe) das Gerücht auch dem Grafen zu Ohren kam, welcher das Volk von dem Mißbrauch, der mit seinem Glauben getrieben wurde, befreien wollte. Er schickte deshalb seinen Kanzler und Großalmosenier, zwei sehr angesehene Männer, aus, um die Wahrheit herauszubekommen. Sie begaben sich an Ort und Stelle und zogen unter der Hand Erkundigungen ein; sie wandten sich auch an den Pfarrer, dem die ganze Sache so unangenehm war, daß er sie bat, der Vernehmung, welche er am andern Tage anzustellen gedachte, beizuwohnen. Der Pfarrer celebrirte am andern [254] Morgen die Messe, der seine Schwester schon in sehr vorgeschrittenem Stadium der Schwangerschaft auf den Knieen zuhörte. Am Ende der Messe nahm er den Leib Christi und sagte in Gegenwart der ganzen Versammlung zu seiner Schwester: »Du Unglückliche, hier halte ich Dir den vor Augen, der für Dich gelitten hat und gestorben ist, und frage Dich vor seinem Angesicht, bist Du Jungfrau, wie Du mir immer betheuert hast?« Ohne zu schwanken und ohne Furcht antwortete sie: »Ja«. »Wie ist es dann möglich, daß Du schwanger und doch noch Jungfrau bist?« Sie antwortete: »Ich kann nichts anderes annehmen, als daß der heilige Geist zu mir gekommen ist; aber ich kann auch nicht in Abrede stellen, daß Gott mir die Gnade erwiesen hat, mich jungfräulich zu erhalten, denn ich hatte niemals Neigung, mich zu verheirathen.« Darauf sagte ihr Bruder: »Ich reiche Dir hier den kostbaren Leib Jesu Christi, den Du zu Deiner ewigen Verdammniß nehmen sollst, wenn es sich anders verhält, als Du sagst, und die Abgesandten des Herrn Grafen hier sind Zeugen Deines Thuns.« Das Mädchen, das ungefähr dreizehn Jahre alt war, leistete folgenden Eid: »Ich nehme den Leib meines Herrn Jesu Christi vor Euch, meine Herren, und vor Dir, mein Bruder, zu meiner Verdammniß, wenn jemals ein Mann mich anders berührt hat als Du.« Mit diesen Worten empfing sie den Leib unseres Herrn Jesu Christi. Der Kanzler und Großalmosenier des Grafen gingen ganz verwirrt nach Hause, denn sie konnten nicht glauben, daß bei einem solchen Eid Lüge unterlaufen könnte, berichteten dann dem Grafen und wollten ihn ihre eigene Ansicht glauben machen. Er aber war sehr weise, dachte lange nach, ließ sich die Worte des Schwurs wiederholen, und nachdem er sie wohl überdacht hatte, sagte er zu ihnen: »Sie hat Euch gesagt, niemals habe sie ein Mann anders berührt, als ihr Bruder, und ich glaube nun, daß ihr Bruder sie geschwängert hat und sein Verbrechen unter dieser ganzen Verstellung verdecken will; wir, die wir an den auf die Erde gekommenen Herrn Jesus Christus glauben, dürfen nicht einen neuen erwarten. Geht deshalb und setzt den Pfarrer gefangen; ich bin überzeugt, er wird schon die Wahrheit beichten.« Sein Befehl wurde trotz vieler Einwendungen, den Geistlichen nicht so bloßzustellen, ausgeführt. Sobald der Pfarrer [255] ins Gefängniß gebracht war, gestand er seine Missethat ein, und daß er seiner Schwester eingegeben habe, damit sie ungestört ihren verbrecherischen Verkehr weiter fortsetzen könnten, die Angelegenheit so zu drehen, daß nicht nur eine Beschönigung, sondern ein Betrug daraus wurde, unter welchem sie vor aller Welt weitergeachtet wurden. Als man ihm dann vorhielt, wie verwerflich er gehandelt habe, sie auf den Leib Christi einen Meineid schwören zu lassen, sagte er, er sei nicht so vermessen gewesen, er habe ein ungeweihtes Brod genommen. Man berichtete nun den Grafen von Angoulême, der die Sache zur weiteren Verfolgung den Gerichten übergab. Man wartete bis zur Niederkunft der Schwester, und nachdem sie einen kräftigen Knaben zur Welt gebracht hatte, wurden sie und ihr Bruder verbrannt. Alle Leute, die nun sahen, daß unter der Scheinheiligkeit ein so schreckliches Verbrechen begangen, und unter einem äußerlich so heiligen und frommen Leben ein so verabscheuungswürdiges Laster getrieben worden war, waren im höchster Grade betroffen.

Hierauf sagte Simontault weiter: »Ihr sehet hier also, meine Damen, daß der Glauben des Grafen sich nicht durch Zeichen und Wunder bethören ließ, da er wohl wußte, daß wir nur einen Heiland haben, welcher mit den Worten ›Es ist vollbracht‹ dargethan hat, daß er für einen weiteren Erretter keinen Raum mehr ließ.« Oisille sagte: »Wahrlich, die Kühnheit ist eben so groß, wie die Heuchelei, ein so ungeheuerliches Verbrechen unter der Lehre Gottes und hinter das Wesen eines guten Christen zu verstecken.« »Ich habe mir sagen lassen«, bemerkte Hircan, »daß die, welche bei Ausführung eines Auftrages des Königs sich der Grausamkeit und Tyrannei schuldig machen, doppelt schwer bestraft werden, weil sie ihre Ungerechtigkeit hinter das Recht des Königs verstecken. Nicht viel anders ergeht es den Heuchlern; eine Weile sind sie von ihrer Lebensstellung und ihrem frommen Rufe beschirmt, wenn ihnen dann aber Gott die Maske vom Gesicht herunterzieht, kommt ihre wahre Gestalt zum Vorschein, und ihre Schlechtigkeit und Gemeinheit steht dann in um so häßlicherem Lichte, als der Deckmantel ein achtunggebietender war.« »Nichts ist auch lieblicher«, sagte Nomerfide, »als freimüthig zu reden, wie das Herz es denkt.« »Um [256] damit zu foppen«, sagte Longarine; »ich glaube, Ihr sprecht auch, wie es gerade die Lage erheischt.« Nomerfide antwortete: »Ich sehe, daß die Thörichten, wenn man sie nicht tödtet, länger leben, als die Weisen, und ich finde dafür nur den einen Grund, daß sie ihren Leidenschaften freien Lauf lassen; sind sie zornig, so schlagen sie darauf los, sind sie vergnügt, so lachen sie. Die hingegen, die weise sein wollen, verstecken alle ihre Unvollkommenheit, bis ihr Herz davon ganz vergiftet ist.« »Ich meine, Ihr habt Recht«, sagte Guebron, »und ich glaube auch, daß Heuchelei gegen die Menschen und gegen die Natur die Ursache alles Uebels ist.« Parlamente sagte hier: »Es wäre ein schönes Ding, wenn unser Herz so von dem Glauben an Denjenigen, der nur Tugend und Freude ist, erfüllt wäre, daß wir ihn jedem frei zeigen könnten.« »Das wird erst der Fall sein«, bemerkte Hircan, »wenn wir kein Fleisch mehr auf unseren Knochen haben werden.« »Immerhin«, warf Oisille ein, »kann der Geist Gottes, der stärker und mächtiger als der Tod ist, unser Herz ganz einnehmen, ohne daß unser Körper sich ändert.« »Madame«, wandte sich Saffredant an sie, »Ihr sprecht von einer Gabe Gottes ...« »Welche sich nur bei den Menschen findet«, unterbrach ihn Oisille, »welche gläubig sind; da dieser Punkt aber den weltlich Gesinnten schwer begreiflich zu machen ist, laßt uns lieber erfahren, wem Simontault das Wort geben wird.« »Ich gebe es Nomerfide«, sagte dieser, »denn da sie von freudiger Gemüthsart ist, wird sie uns nichts Trauriges erzählen.« Nomerfide sagte: »Nun gut, wenn Ihr Lust habt zu lachen, will ich Euch die Gelegenheit dazu geben, und um Euch zu zeigen, wie sehr Furcht und Unkenntniß schaden und eine falsch verstandene Bemerkung viel Unheil anrichten kann, will ich Euch von zwei armen Franziskanermönchen von Niort erzählen, welche, da sie die Worte eines Schlächters nicht richtig verstanden, vor Angst beinahe gestorben wären.«

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Vierter Tag. 33. Erzählung: [Von einem blutschänderischen Priester]. 33. Erzählung: [Von einem blutschänderischen Priester]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F5B-8