Neunte Erzählung.

Bedauernswerther Tod eines Edelmanns, der zu spät von seiner Geliebten erhört wird.


Zwischen der Dauphiné und der Provence lebte ein Edelmann, reicher an Tapferkeit, Schönheit und Wohlanständigkeit als an irdischen Gütern, welcher eine junge Dame liebte, deren Name ich mit Rücksicht auf ihre Eltern, die aus einem sehr vornehmen Hause stammten, nicht nennen will. Aber seid versichert, daß diese Geschichte sich wirklich ereignet hat. Da er nun nicht von so vornehmer Abkunft war, wie sie selbst, wagte er nicht, ihr seine Liebe zu erklären. Vielmehr war dieselbe so groß und edel, daß er lieber gestorben wäre, als irgend etwas, was ihr zur Unruhe gereichen könnte, zu begehren. Sie heirathen zu können hatte er keine Hoffnung, eben wegen des Standesunterschiedes. Er hatte also kein anderes Ziel, als sie mit aller Macht seines Herzens zu lieben. Das that er denn auch, bis schließlich auch sie davon etwas merkte, und da sie seine reine, von allen Nebenabsichten freie Freundschaft für sich sah, fühlte sie sich ganz glücklich, von einem so edlen Manne geliebt zu sein, und behandelte ihn von nun an wie einen Freund, so daß er, der besseres nie erwartet hatte, ganz zufrieden war. Aber die Verläumdung, die Feindin allen stillen Glücks, konnte auf die Dauer diesem durchaus reinen Verhältniß gegenüber nicht müßig bleiben. [56] Ganz Unberufene gingen zur Mutter des jungen Mädchens und sagten ihr, es beleidige ihr Anstandsgefühl, daß jener Edelmann so viel in ihrem Hause sei, und man erzähle sich, daß die Schönheit der Tochter, mit der man ihn so oft in Unterhaltung antreffe, der Hauptgrund wäre.

Die Mutter wußte ganz genau, wie es mit der Ehrlichkeit des Edelmannes stand, und sie war seiner so sicher wie irgend eines ihrer eigenen Kinder; nichtsdestoweniger betrübte es sie zu vernehmen, daß die Welt in diesem unschuldigen Verkehr etwas fand, und um der Klatschsucht, die sie fürchtete, weitere Nahrung zu nehmen, bat sie ihn, eine Zeit lang ihr Haus zu meiden. Es war das eine bittere Pille für ihn, der besser wie irgend jemand sonst wußte, daß seine Beziehungen zu dem jungen Mädchen eine solche Entfernung nicht erheischte. Um aber die bösen Zungen zum Schweigen zu bringen, reiste er fort, bis die Gerüchte sich gelegt hatten, und nahm dann den alten Verkehr wieder auf. Die Abwesenheit hatte seine Neigung nicht verringert. Als er aber wieder zu Hause war, hörte er von einer beabsichtigten Heirath der jungen Dame mit einem Edelmanne sprechen, der ihm garnicht so reich dünkte, daß er selbst nicht den Versuch wagen sollte, ihm seine Freundin streitig zu machen. Er faßte sich also ein Herz und bewog seine Freunde, zu seinen Gunsten zu sprechen, in der Meinung, daß dann, wo sie selbst die Wahl zu treffen hätte, sie ihn jenem vorziehen würde.

Die Mutter aber und die Verwandten befürworteten den andern, weil er reicher war. Da der Edelmann wußte, daß seine Freundin damit ebensowenig zufrieden war, wie er selbst, verfiel er in großen Trübsinn, und ohne krank zu sein, nahm er langsam ab und veränderte sich in kurzer Zeit so sehr, daß sein schönes Gesicht wie mit einer Todtenmaske überzogen schien. Er ging dem Tode freudig entgegen, konnte es aber doch nicht über sich bringen, seine Geliebte garnicht mehr zu sehen. Schließlich aber verließen ihn die Kräfte ganz, und er mußte das Bett hüten. Er verbot, sie hiervon zu benachrichtigen, damit sie nicht auch bekümmert würde. So gab er sich ganz der Verzweiflung hin, verlor den Appetit und [57] den Schlaf und war schließlich garnicht mehr wiederzuerkennen, so eingefallen und blaß sah er aus.

Das Gerücht kam aber doch der Mutter seiner Geliebten zu Ohren, die ein mitleidiges Gemüth hatte und für ihre Person so wenig gegen den Edelmann einzuwenden hatte, daß, wenn ihre Verwandten so wie sie und ihre Tochter gedacht hätten, sie ihn dem Reichthum des andern vorgezogen hätte. Aber die Anverwandten des Vaters blieben unerbittlich. Mutter und Tochter besuchten ihn aber und fanden ihn mehr todt als lebendig. Er fühlte sein Ende herannahen, hatte gebeichtet und die Sterbesakramente erhalten und glaubte nun zu sterben, ohne seine Geliebte noch zu sehen. Als er nun zwei Schritt vom Grabe entfernt noch einmal die sah, an der sein ganzes Leben hing, kehrten ihm auf kurze Zeit die Kräfte zurück. Er setzte sich in seinem Bett auf und sagte: »Was führt Euch hierher zu mir, der ich schon mit einem Fuß im Grabe stehe und dessen Tod Ihr mit verschuldet habt?« »Wir,« riefen jene, »wie wäre es möglich, daß wir Schuld am Tode desjenigen hätten, den wir selbst so sehr lieben? Saget uns, was Euch zu dieser seltsamen Anschuldigung veranlaßt.« Er wandte sich an die Mutter mit den Worten: »Wohl habe ich mich, soweit ich konnte, bemüht, meine Liebe zu Eurer Tochter Niemanden sehen zu lassen; meine Verwandten haben aber, durch meine Hoffnungslosigkeit und mein Unglück veranlaßt, mehr davon gesprochen, als mir lieb ist. Ich selbst bin nicht so bekümmert um meinetwillen, als vielmehr weil ich weiß, daß sie von keinem andern so sehr geliebt und so sorgfältig behütet werden wird, als es von mir der Fall gewesen wäre. Und daß sie ihren besten und getreuesten Freund auf dieser Welt verlieren muß, das schmerzt mich mehr als der Verlust meines Lebens, welches mir nur für sie Werth hatte, und da es ihr nichts nützen kann, ist es für mich nur ein Gewinn zu sterben.«

Als sie diese Worte hörten, bemühten sie sich, ihn zu beruhigen. Die Mutter sagte deshalb zu ihm: »Fasset Muth, mein Freund, ich verspreche Euch feierlichst, wenn Gott Euch wieder gesund werden läßt, soll meine Tochter keinen andern als Euch heirathen. Höret auch sie selbst, sie mag Euch das gleiche Versprechen geben.« Das junge Mädchen that es unter Thränen und mit vielen Versicherungen. [58] Er aber sagte sich, daß, wenn er auch gesund würde, er seine Geliebte doch nicht heimführen würde, und daß alle diese Versprechungen nur dazu dienen sollten, ihn zu trösten. Deshalb sagte er ihnen, wenn ihm das vor drei Monaten gesagt worden wäre, wäre er der glücklichste Edelmann von ganz Frankreich geworden; jetzt sei die Hülfe zu spät gekommen, und er habe kein Vertrauen und keine Hoffnung mehr. Als er aber sah, daß sich beide um die Wette bemühten, ihm Hoffnung zu geben, sagte er zu ihnen: »Da Ihr mir aus Mitleid ein Glück versprecht, das Ihr mir nicht geben könnt, auch wenn Ihr wolltet, so laßt mich Euch um ein viel geringeres bitten, das ich niemals zu verlangen gewagt habe.« Sie versprachen seine Bitte zu erfüllen und drangen in ihn, ohne Scheu sie auszusprechen. »Ich bitte Euch denn,« sagte er, »laßt mich Eure Tochter umarmen und küssen.« Das junge Mädchen sträubte sich anfangs in jungfräulicher Scham; ihre Mutter aber, welche sah, daß in ihm nicht mehr die Gefühle und Kräfte eines Mannes waren, befahl es ihr. Sie näherte sich deshalb dem Bett des armen Kranken, beugte sich weiter zu ihm und sagte: »Mein Geliebter, umarme mich.«

Der arme Kranke streckte seine schon ganz fleischlosen Arme aus, umarmte sie mit aller Kraft, die ihm noch zu Gebote stand, küßte sie mit seinen kalten, blassen Lippen und hielt sie lange fest an sich gepreßt. Dann sagte er zu dem jungen Mädchen: »Meine Liebe zu Euch war so groß und lauter, daß ich mir, abgesehen von einer Heirath, nie ein größeres Glück gewünscht habe, als ich jetzt habe, und da mir jene nie zu Theil werden wird, gebe ich mit Freuden mein Leben Gott zurück, der Liebe und Barmherzigkeit ist und die Reinheit meiner Liebe und die Lauterkeit meiner Wünsche kennt; möge er jetzt, wo ich Dich in meinen Armen halte, meine Seele zu sich nehmen.« Mit diesen Worten umschlang er sie nochmals heftig mit seinen Armen; die Anstrengung und Aufregung war aber eine zu große für ihn, die Freude machte sein Herz schnell und laut schlagen, und so gab er seinen Geist auf. Leblos sank er auf das Lager zurück, und seine Arme lösten sich aus der Umarmung; zur Stunde aber wurde sich das junge Mädchen ihrer Liebe, die sie bisher immer unterdrückt hatte, so sehr bewußt, daß die Mutter [59] und die Diener des Edelmanns Mühe hatten, sie vom Lager zu entfernen, und nur mit Anstrengung die Halbtodte vom Bett ihres Geliebten fortreißen konnten. Es wurde ihm ein feierliches Leichenbegräbniß veranstaltet, aber die größte Zierde desselben waren die Thränen und der Schmerz des jungen Mädchens, der jetzt nach seinem Tode um so heftiger hervorbrach, als sie während seines Lebens sich Zwang angethan hatte, gleich als sollte jetzt das gegen ihn begangene Unrecht gesühnt werden. Sie hat sich dann verheirathet, aber wie ich gehört habe, ist sie nie wieder froh geworden.

»Nun, Ihr Herren,« fuhr Dagoucin fort, »die Ihr mir nicht glauben wolltet, scheint Euch dieses Beispiel nicht genügend, um Euch einsehen zu lassen, daß eine große mißachtete Liebe den Menschen selbst den Tod bringen kann? Ihr alle kennt die beiderseitigen Eltern; Ihr könnt also an der Wahrheit der Geschichte nicht zweifeln; freilich kann sie nur glauben, wer selbst Aehnliches erfahren hat.« Alle Damen hatten Thränen in den Augen; Hircan aber sagte: »Das ist denn doch der größte Thor, der mir je begegnet ist. Ist es denn vernünftig, um der Frauen willen zu sterben, die schließlich doch nur für uns geschaffen sind, und sich zu scheuen, von ihnen das zu verlangen, was sie von Rechtswegen uns geben müssen? Ich spreche nicht etwa für mich oder im Namen aller Verheiratheten; ich habe Frauen genug und mehr als das; ich spreche vielmehr für die, denen es daran fehlt, und die ich in ihrer übergroßen Scheu für dumm halte. Ihr könnt hier recht sehen, wie das Mädchen ihre Thorheit bedauerte, denn wenn sie den Todten umarmte (an sich schon ein widerwärtiges Bild), würde sie den Lebenden nicht zurückgewiesen haben, wenn er nur eben so kühn gewesen wäre, als er mitleiderregend in seinem Tode ist.« »Immerhin zeigte der Edelmann eine so große Zuneigung und Wohlanständigkeit«, sagte Oisille, »daß er schon deshalb Lob verdient, denn volle Lauterkeit der Absichten bei einem Verliebten ist ein seltenes Ding hier auf der Welt.« »Ich kann mich nur den Worten Hircans anschließen«, sagte Saffredant, »und Ihr könnt versichert sein, wenn ein Mann eine Frau liebt und im übrigen sich auf die Sache versteht, so wird er schließlich alles oder wenigstens einen Theil dessen, was er verlangt, erreichen; gerade Schwachheit und Furcht läßt den Männern [60] die schönsten Abenteuer entgehen, und sie kommen zu Fall, weil sie an der Tugendhaftigkeit ihrer Geliebten auch nicht einmal mit der Fingerspitze zu rühren wagen. Gemeiniglich ist noch kein befestigter Platz gut belagert worden, der nicht auch eingenommen wurde.« »Ich komme aus dem Erstaunen über Euch beide nicht heraus«, sagte Parlamente, »für solche Ansichten können sich Eure Geliebten nicht bei Euch bedanken, oder Ihr habt Eure Kunstfertigkeit in so schlechter Gesellschaft erprobt, daß Ihr alle Frauen nach jener beurtheilt.« »Was mich anbetrifft«, sagte Saffredant, »so kann ich mich nicht großer Erfolge rühmen, und ich bin darüber bekümmert genug; ich kann aber meine Mißerfolge viel weniger der Tugend der Frauen zuschreiben, als vielmehr dem Umstande, daß ich selbst meine Sache nicht mit Geschick und Klugheit geführt habe, und als Beleg will ich Euch nur die Alte aus dem Roman de la Rose anführen, welche sagt:


Ihr schönen Ritter, wir sind mit Verlaub
Alle für Euch und Ihr alle für uns.

Wenn also die Liebe erst einmal das Herz einer Dame erobert hat, so glaube ich, daß es nur am Ungeschick des Mannes liegt, wenn sie nicht die seine wird.« »Und wenn ich Euch nun eine Frau nennen würde«, unterbrach ihn Parlamente, »eine Frau, die herzlich liebt, eifrig umworben und hart bedrängt wird und dennoch ehrbar bleibt und über sich selbst und ihren Geliebten siegt, würdet Ihr das immer noch für unmöglich erklären?« »Wahrscheinlich auch dann noch.« »Ihr wäret nur eigensinnig, wenn Ihr diesem Beispiel keinen Glauben schenken wolltet.« Dagoucin wandte sich zu ihr mit den Worten: »Ich habe eben die bis zum Tode tugendhafte Liebe eines Edelmanns gepriesen; wißt Ihr eine ähnliche Geschichte zu Ehren einer Dame, so bitten wir Euch, erzählet sie uns heute noch und laßt es Euch nicht stören, wenn sie auch lang ist; wir haben noch Zeit genug, viel Gutes zu hören.« »Da es heute die letzte Geschichte ist«, sagte Parlamente, »und meine Erzählung schön und wahrheitsgetreu ist, daß ich sie Euch sehr gern mittheile, will ich Euch nicht mit vielen Vorreden aufhalten. Ich habe sie zwar nicht aus eigener Anschauung, aber der sie mir erzählt hat, war einer meiner besten Freunde, der den Helder derselben [61] selbst genau gekannt hatte; ich habe ihm nur versprechen müssen, wenn ich sie weiter erzählen sollte, die Namen der Personen zu verschweigen. Es ist also Alles der Wahrheit gemäß, bis auf die Namen und das Land.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Erster Tag. 9. Erzählung: [Bedauernswerther Tod eines Edelmanns]. 9. Erzählung: [Bedauernswerther Tod eines Edelmanns]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F1A-B