[165] Dritter Tag.

Als am anderen Morgen die Gesellschaft in den gemeinschaftlichen Saal kam, fand sie daselbst Oisille, die schon seit einer halben Stunde die Predigt überdachte, die sie halten wollte. Und wie das vorhergehende Mal, waren alle auch diesmal mit der Rede wohl zufrieden, und wäre nicht einer der Klosterbrüder gekommen, um sie zur Messe zu holen, so würden sie bei ihrem aufmerksamen Zuhören die Glocke überhört haben. Als sie dann die Messe gehört und sehr mäßig zu Mittag gegessen hatten, damit ein übermäßiger Genuß nicht ihr Gedächtniß herabminderte, zogen sie sich ein jeder auf sein Zimmer zurück, um ihre Tagebücher durchzusehen und die Stunde für die Zusammenkunft auf der Wiese abzuwarten. Als diese nun gekommen war, fanden sie sich alle dort zusammen. Denen, die eine amüsante Geschichte erzählen wollten, war es schon am Gesicht anzusehen, so daß sie sich alle der Hoffnung hingaben, viel lachen zu können. Als sie nun Platz genommen hatten, fragten sie Saffredant, wem er das Wort gebe. Dieser sagte: »Wenn der Fehler, den ich gestern machte, wirklich so groß ist, wie Ihr sagtet [166] und da ich keine Geschichte weiß, um ihn wieder gut zu machen, gebe ich Parlamente das Wort, die es schon verstehen wird, die Damen so zu loben, daß die Wahrheiten, die ich gestern sagte, in Vergessenheit gerathen werden.« Parlamente erwiderte: »Ich will es nicht unternehmen, Euren Fehler wieder gut zu machen, aber ich werde mich hüten, einen gleichen zu begehen. Deshalb habe ich mich entschlossen, immer bei der zur Bedingung gestellten Wahrheit bleibend, Euch zu zeigen, daß es sehr wohl auch Damen giebt, die in ihrer Freundschaft und Neigung kein anderes Ziel als die Ehrbarkeit vor Augen haben. Und da diejenige, von der ich Euch erzählen will, aus vornehmem und bekanntem Hause stammt, werde ich in der Geschichte nichts als den Namen ändern und Euch bitten, überzeugt zu sein, daß die Liebe nicht die Macht hat, einem Herzen die Keuschheit und das Gefühl für Wohlanständigkeit zu nehmen, wie die folgenden Begebenheiten Euch darthun werden.«

Einundzwanzigste Erzählung.

Von der treuen und ehrbaren Liebe eines Mädchens aus vornehmem Hause, namens Rolandine, zu einem Edelmann, deren Heirath ihre Verwandten und die Königin nicht wünschten, von dem heimlichen Verlöbniß der beiden, der Standhaftigkeit des Mädchens, der Treulosigkeit und dem Ende des Ritters und dem schließlichen Glück Rolandinens.


In Frankreich lebte eine Königin, welche mehrere junge Mädchen aus guten und großen Häusern in ihrer Nähe hielt, darunter auch eine nahe Verwandte, namens Rolandine; aber die Königin, welche ihrem Vater feindlich gesinnt war, behandelte sie nicht allzu gut. Obgleich dieses junge Mädchen weder besonders schön noch häßlich war, war sie doch so klug und liebenswürdig, daß mehrere große Herren sie zum Weibe begehrten, doch wurde keiner von ihnen angenommen, denn der Vater war so überaus geizig, daß er über dem Gelde das Wohl der Tochter vergaß. Ihre Herrin aber schenkte ihr wie gesagt so wenig Gunst, daß alle diejenigen, welche der [167] Königin gefallen wollten, nicht um sie warben. So blieb das arme Mädchen durch die Vernachlässigung ihres Vaters und die Mißachtung ihrer Herrin lange unverheirathet. Mit der Zeit wurde sie so traurig, weniger aus Lust zum Heirathen, als weil sie sich schämte, nicht vermählt zu sein, daß sie sich ganz Gott zuwandte, und statt den weltlichen Eitelkeiten des Hofes zu fröhnen, nur noch betete oder irgend eine Handarbeit machte. Als sie sich ihrem wichtigsten Lebensjahre näherte, lernte sie einen Edelmann, Bastard aus einem großen Hause, kennen, welcher ein ausgezeichneter Gesellschafter und vortrefflicher Mensch war; aber Reichthümer besaß er nicht und ebensowenig Schönheit, so daß ihn eine Dame aus Vergnügen an seiner Erscheinung nicht erwählt haben würde. Dieser arme Edelmann war unverheiratet geblieben, und wie oftmals ein Unglücklicher sich zu dem anderen gesellt, kam er auch viel zu dem armen Fräulein Rolandine. Sie waren sich an Vermögen, Gestalt und Verhältnissen ähnlich, und indem sie sich gegenseitig ihr Leid klagten, faßten sie eine große Freundschaft zu einander; und da sie sich als Leidensgenossen erkannten, suchten sie sich allerorts zu sprechen und sich gegenseitig zu trösten, so daß in diesem Verkehr ihre Freundschaft nur wuchs.

Diejenigen, welche Fräulein Rolandine früher so zurückhaltend gesehen hatten, daß sie kaum mit jemand sprach, und sie jetzt in beständiger Unterhaltung mit dem Edelmann sahen, hielten sich sofort darüber auf und sagten ihrer alten Amme, daß sie diese langen Unterredungen nicht dulden sollte. Diese machte Rolandine nun Vorstellungen. Rolandine aber, welcher man immer eher ihre Strenge als ihre Weltlichkeit vorgeworfen hatte, sprach zu ihrer Amme: »Ach, Mütterchen, Ihr habt gesehen, daß ich keinen Gatten, der meines Hauses würdig wäre, bekommen habe, aus Furcht, in dieselben Unannehmlichkeiten wie andere mir Bekannte zu gerathen. Dieser Edelmann aber ist weise und ritterlich, wie Ihr wißt, und spricht mir nur von guten und tugendhaften Dingen; was schade ich Euch oder denen, die sich darüber aufhalten, wenn ich mich über meinen Kummer tröste?« Die gute Alte, welche ihr Pflegekind mehr als sich selbst liebte, sprach darauf: »Ich sehe wohl, Fräulein, daß Ihr die Wahrheit sagt und von Eurem Vater und Eurer Herrin nicht nach [168] Verdienst behandelt werdet; dennoch aber müßt Ihr, da man Eure Ehre angreift, (und wäre es Euer leiblicher Bruder) Euch mehr von ihm zurückziehen.« Rolandine antwortete ihr weinend: »Da Ihr es mir rathet, gute Mutter, werde ich es thun, aber schlimm genug ist es, daß man in dieser Welt keinerlei Tröstung findet.«

Der Edelmann wollte sie wie gewöhnlich unterhalten, aber sie erzählte ihm getreulich, was ihre Amme ihr gesagt hatte, und bat ihn unter Thränen, eine Zeit lang nicht mehr mit ihr zu sprechen, bis sich das Gerede ein wenig gelegt hätte, was er ihr auch versprach. Aber während dieser Zeit, in der sie beide ihren Trost verloren hatten, begannen sie eine Qual zu empfinden, welche wenigstens ihr ganz neu war. Sie hörte nicht auf zu beten, Wallfahrten zu machen und zu fasten; denn diese Liebe, welche ihr so ganz unbekannt war, gab ihr soviel innere Unruhe, daß sie sich nicht eine Stunde davon befreien konnte. Bei dem Edelmann war die Liebe nicht schwächer; aber er hatte schon vorher beschlossen gehabt, sich in sie zu verlieben und sie zu heirathen, und da er neben ihrer Liebe auch die Ehre, welche ihm durch diese Verbindung zu Theil werden würde, erwog, suchte er eine Gelegenheit, sich ihr zu erklären und vor allem ihre Amme für sich zu gewinnen. Dies gelang ihm auch, indem er der guten Alten sein Mitgefühl für ihre Herrin, welche so schlecht behandelt würde, daß man ihr jeden Trost nehmen wolle, aussprach, so daß sie ihm gerührt für die ehrbare Freundschaft dankte, welche er für ihr Fräulein empfand. Nun besprachen sie ein Mittel, wie sich die Beiden sprechen könnten: Rolandine sollte sich krank an Kopfweh stellen, wobei man alles Geräusch vermeiden muß, und wenn die anderen Hofdamen zur Königin in den Saal gingen, würden sie beide allein bleiben, und dann könnte er zu ihr sprechen. Der Edelmann war sehr erfreut darüber und richtete sich ganz nach den Vorschlägen der Amme, so daß er, wenn er wollte, mit seiner Freundin redete. Aber dieses Glück dauerte nicht lange, denn die Königin, welche ihn nicht leiden konnte, fragte, was Rolandine so viel allein in ihrem Zimmer treibe, worauf Jemand antwortete, daß sie krank sei; jedoch warf ein Anderer, der der Abwesenden gram war, dazwischen, daß ihr wohl bei der Unterhaltung mit dem Edelmann der Kopfschmerz versehen wurde. Die Königin, [169] welche die verzeihlichen Sünden Anderer an ihr unverzeihlich fand, schickte alsobald nach ihr und verbot ihr, jemals wieder mit dem Edelmann zu sprechen, außer im Saal oder in ihrer Gegenwart.

Das Fräulein ließ sich nichts merken, sondern antwortete, wenn sie gedacht hätte, daß er oder ein anderer ihr, der Königin, mißfiele, sie niemals mit ihm gesprochen hätte. Innerlich aber meinte sie, daß sie schon ein anderes Mittel finden würde, von dem die Königin nichts erfahren werde, was ihr ebenfalls gelang. Jeden Mittwoch, Freitag und Sonnabend, wenn sie fastete, blieb sie mit ihrer Amme auf ihrem Zimmer, wo sie mit Muße zu Dem, den sie so sehr zu lieben begann, reden konnte. Immerhin konnten sie die Sache nicht so heimlich betreiben, daß nicht ein Knappe ihn an den Fasttagen dorthin gehen sah und es sofort da berichtete, wo es niemand verborgen blieb, auch nicht der Königin, welche so zornig darüber wurde, daß der Edelmann nicht mehr wagte, in das Damenzimmer zu gehen. Um aber nicht der Gunst verlustig zu gehen, die zu sprechen, welche er so sehr liebte, gab er oft vor, auf Reisen zu gehen, und kehrte dann des Abends in die Schloßkapelle zurück, so gut als Dominikaner oder Franziskaner verkleidet, daß ihn niemand erkannte; dort traf ihn dann Rolandine, von ihrer Amme begleitet, um sich mit ihm zu unterhalten. Da er nun ihre große Liebe erkannte, war er nicht länger verzagt, sondern sprach zu ihr: »Ihr habt gesehen, edles Fräulein, in welche Gefahr ich mich begebe, um Euch zu dienen, und Ihr kennt das Verbot der Königin, mit mir zu reden. Andererseits wißt Ihr auch, daß Euer Vater nicht daran denkt, Euch zu verheirathen. Wenn ich so glücklich wäre, daß Ihr mich zum Gatten wähltet, würde ich Euch mein ganzes Leben lang Gemahl, Ritter und Freund sein. Mein Verlangen, diesen Wunsch erfüllt zu sehen, und meine Furcht, Ihr möchtet einen anderen erwählen, lassen mich Euch anflehen, daß Ihr mich glücklich und zugleich Euch zu der zufriedensten und bestbehandelten Frau macht.« Rolandine, welche von ihm dieselben Worte hörte, welche sie zu ihm sprechen wollte, antwortete ihm mit zufriedener Miene: »Ich freue mich sehr, daß Ihr nun geredet habt, wie ich seit Langem entschlossen war, es zu thun, und woran ich seit den zwei Jahren, die [170] ich Euch kenne, unaufhörlich denke.« Ich habe keinen gefunden, weder reich, groß, noch schön, mit dem sich mein Herz und mein Geist vertragen würden, ausgenommen Euch. Und was meinen Vater anbetrifft, so hat derselbe so wenig auf mein Wohl geachtet und so viele Partien ausgeschlagen, daß ich mich jetzt wohl ohne ihn verheirathen kann, obgleich es ihm frei steht, mich dann zu enterben. Wenn ich auch einmal nichts als mein eigenes Vermögen besitzen werde, so werde ich mich doch mit einem Gatten, wie Ihr, für die reichste Frau der Welt halten.

»Aber damit Ihr erkennet, daß meine Freundschaft für Euch auf Tugend und Ehre gegründet ist, versprecht mir, daß Ihr keinen Anspruch auf eheliche Rechte macht, ehe mein Vater todt ist oder bis ich seine Einwilligung erlangt habe.« Das versprach ihr der Edelmann gern, und darauf gaben sie sich gegenseitig als Heirathspfand einen Ring und küßten sich vor Gott in der Kirche, indem sie ihn zum Zeugen ihrer Verbindung anriefen; aber niemals ist es zwischen ihnen zu einer größeren Vertraulichkeit als der des Küssens gekommen.

Zufällig kam eine Dame an den Hof, welche eine nahe Verwandte des Edelmanns war. Diese Dame wurde mit ihrem Sohn im Schloß untergebracht, und es traf sich, daß das Zimmer des jungen Fürsten in einem Vorbau lag, so daß er von seinem Fenster aus Rolandine sehen und sprechen konnte; denn ihre Fenster befanden sich genau rechtwinkelig zu einander In diesen Gemächern, welche sich über dem Königssaal befanden, wohnten alle Hofdamen, die Gefährtinnen von Rolandine, welche, nachdem sie mehrere Male den jungen Fürsten am Fenster gesehen hatte, ihren Ritter durch ihre Amme davon benachrichtigen ließ; dieser beschaute sich den Ort genau und begann dann, großen Gefallen an einem Buche von den Rittern der Tafelrunde zu finden, welches sich in den Zimmern des Fürsten befand. Wenn dann alle Anderen zu Tisch gingen, bat er einen Lakaien, ihn das Buch auslesen zu lassen und ihn in dem Zimmer, wo er verweilen wolle, einzuschließen. Der Lakai, welcher wußte, daß es ein Verwandter seines Herrn sei, ließ ihn lesen, so viel er wollte. Von der anderen Seite kam Rolandine an ihr [171] Fenster, welche um eine Ausrede für ihr langes Verweilen in ihrem Zimmer zu haben, vorgab, ein schlimmes Bein zu haben und so früh zu Mittag und Abend speiste, daß sie nicht mit den anderen Damen zur Tafel ging. Sie machte sich einen Vorhang aus rother Seide und befestigte ihn am Fenster, wo sie allein bleiben wollte; wenn dann alle fortgegangen waren, unterhielt sie sich mit ihrem Gatten, was sie in einer Weise thun konnte, daß es niemand merkte, und wenn dann jemand kam, hustete sie, zum Zeichen, daß sich der Edelmann zurückziehen solle. Eines Tages, als die Mutter des jungen Fürsten in dessen Zimmer war, begab sie sich an das Fenster, wo das große Buch lag, und hatte sich kaum sehen lassen, als eine von Rolandinens Genossinnen, welche an deren Fenster stand, die Dame grüßte und mit ihr sprach. Die Dame fragte sie, wie es Rolandine ginge, worauf das Fräulein antwortete, daß sie sie sehen könne, wenn sie Lust habe; sie rief Rolandinen, und diese kam in ihrer Nachthaube ans Fenster, wo sie sich über ihre Krankheit unterhielten, worauf eine jede in ihr Gemach zurücktrat. Die Dame, welche das große Buch von der Tafelrunde betrachtete, sprach dem Diener ihr Erstaunen aus, daß die jungen Leute ihre Zeit mit dem Lesen solcher Thorheiten vergeudeten. Der Diener erwidert darauf, daß er sich noch mehr wundere, wenn Leute, die für alt und verständig gälten, noch lieber dergleichen lesen als die jungen, und als Beispiel erzählte er ihr, daß ihr Vetter, der Edelmann, täglich vier oder fünf Stunden lang in diesem schönen Buche lese. Sogleich kam der Dame der Gedanke, weshalb das geschähe, und sie befahl dem Diener, sich irgendwo zu verstecken, um den Edelmann zu beobachten; das that er und entdeckte, daß das Buch, welches er las, das Fenster sei, wo Rolandine mit ihm sprach, auch hörte er mehrere Liebesworte, welche sie so geheim zu halten gedachten. Am nächsten Morgen erzählte er es seiner Herrin, welche sogleich ihren Vetter rufen ließ und ihm nach vielen Ermahnungen verbot, weiter in das Zimmer zu gehen; abends sprach sie darüber mit Rolandine und drohte ihr, wenn sie in dieser thörichten Freundschaft fortfahre, werde sie alles der Königin er zählen. Rolandine, welche nicht erstaunt darüber war, schwur, daß sie seit dem Verbot ihrer Herrin [172] nicht mehr mit ihm gesprochen habe, was man auch darüber schwatzen möge, und daß die Königin alles wisse, was zwischen ihren Hofdamen und Rittern vorginge, und an dem Fenster habe sie niemals zu dem Edelmann gesprochen. Dieser, welcher Verrath fürchtete, entfernte sich vor der Gefahr und blieb lange vom Hofe fort; jedoch schrieb er inzwischen an Rolandine, und zwar unter so viel Listen, daß trotz aller Fallen, welche die Königin ihnen stellte, keine Woche verging, wo sie nicht zweimal Nachrichten von ihm erhielt.

Einmal schickte der Ritter einen alten Diener, welcher, ohne Angst vor dem Tode, mit welchem, wie er wußte, diejenigen bedroht waren, welche sich in diese Angelegenheit mischten, es übernahm, Rolandine die Briefe zu bringen. Als er in das Schloß eingetreten war, stellte er sich an einer Thür, am Fuße einer großen Treppe, welche die Damen passiren mußten, auf. Aber ein Knecht, welcher ihn von früher her kannte, sah ihn und ging sogleich mit der Nachricht zum Haushofmeister der Königin, welcher alsobald herunter kam, um ihn zu ergreifen. Der Diener, welcher klug und vorsichtig war, sah, daß man ihn von fern beobachtete, stellte sich an ein Portikus und zerriß dort die Briefe in lauter kleine Stückchen und warf sie hinter die Thür. Sogleich wurde er ergriffen und genau durchsucht, und als man nichts fand, fragte man ihn auf seinen Eid, ob er keine Briefe bei sich getragen hätte, indem man ihm alle möglichen Strafen und Verfolgungen androhte, um ihn die Wahrheit gestehen zu lassen; aber trotz aller Drohungen und Versprechungen brachte man nichts aus ihm heraus. Es wurde der Königin berichtet, und jemand schlug vor, hinter der Thür nachzusehen, wo man ihn ergriffen hatte; das geschah, und man fand daselbst die gesuchten Stücke der Briefe. Man schickte nun nach dem Beichtvater des Königs, welcher, nachdem er die Stücke auf einem Tisch zusammengesetzt hatte, den ganzen Brief, in welchem die so lange verheimlichte Wahrheit ihrer Verheirathung enthüllt war, vorlas; in dem Briefe hatte der Edelmann Rolandine immer nurseine Frau genannt.

Als die Königin nun durch den Brief diese Heirath erfahren [173] hatte, schickte sie nach Rolandine und nannte sie zornigen Angesichts mehrere Male »Unglückliche« anstatt »Cousine«, indem sie ihr die Schande vorhielt, welche sie dem Hause ihres Vaters, sowie ihren Verwandten und ihr selbst angethan habe, indem sie sich ohne Erlaubniß ihrer Herrin verheirathet habe. Rolandine, welche seit Langem wußte, wie wenig hold ihr die Königin war, vergalt Gleiches mit Gleichem, und da sie in ihrem Herzen keine Liebe für sie fühlte gab sie auch der Furcht nicht Raum. Da sie meinte, daß diese Maßregelung in Gegenwart mehrerer Personen nicht aus Liebe zu ihr entsprungen war, sondern um sie zu beschämen, und daß ihre Herrin nicht so sprach aus Mißvergnügen über ihr Vergehen, sondern aus Freude, sie zu züchtigen, antwortete sie mit einem Gesicht, das so ruhig und froh war, wie das der Königin erregt und zornig: »Wenn Ihr Euer Herz selbst nicht kennet, edle Frau, so will ich Euch klar machen, welche Ungnade Ihr über meinen Vater und mich ergießt. Ihr habt mich ganz wie eine Person behandelt, die von Eurer Huld vergessen ist, so daß alle guten Partien, welche ich machen konnte, mir vor den Augen entgangen sind, und das mir wegen der Nachlässigkeit meines Vaters und Eurer Mißachtung; ich war darüber so in Verzweiflung gerathen, daß ich, wenn meine Gesundheit es erlaubt hätte, Nonne geworden wäre, um der beständigen Qual, welche Eure Strenge mir bereitete, zu entgehen. In dieser Verzweiflung traf ich den, der aus eben so reichem Hause wäre, wie ich, wenn dies der Liebe zweier Menschen gegenüber überhaupt in Frage käme; denn Ihr wißt, daß an Rang sein Vater höher steht, als der meine. Er hat mich lange geliebt und sich mit mir unterhalten; aber Ihr, edle Frau, Ihr habt es sogleich gerügt, daß ich zu einem Edelmann sprach, der eben so unglücklich war wie ich, und in dessen Freundschaft ich nichts anders zu suchen gedachte, als eine Tröstung für meinen Geist. Und als man mir diesen Trost nahm, war ich so verzweifelt, daß ich beschloß, gerade so eifrig nach Ruhe zu suchen, wie Ihr getrachtet habt, sie mir zu nehmen; und von Stund' an schlossen wir das Ehebündniß, welches wir durch Wort und Ring bestätigt haben. Es scheint mir also, daß Ihr mir schweres Unrecht thut, indem Ihr mich so scheltet, denn bei [174] meiner so großen Liebe hätte ich wohl Gelegenheit gefunden, wenn ich gewollt hätte, Böses zu thun; aber zwischen ihm und mir sind nie größere Vertraulichkeiten als Küsse vorgefallen, da ich zu Gott hoffte, vor der Vollziehung der Ehe noch meinen Vater für diese Heirath zu gewinnen. Darum bitte ich Euch, geruht zu verzeihen, was, wie Ihr selbst wohl wisset, sehr verzeihlich ist, und laßt mich in Frieden mit ihm leben.« Die Königin, welche ihre standhafte Rede hörte und ihr ruhiges Gesicht sah, konnte ihr mit Gründen nicht entgegnen und indem sie vor Zorn weinte, fuhr sie fort, ihr Vorwürfe zu machen und sie zu beleidigen, indem sie sagte: »Unglückliche, die Ihr seid! Anstatt Euch vor mir zu demüthigen und Reue über ein so großes Vergehen zu zeigen, sprecht Ihr kühnlich zu mir und habt nicht eine Thräne im Auge; dadurch zeigt Ihr recht deutlich den Trotz und die Härte Eures Herzens. Aber wenn Euer Vater und der König auf mich hören, so werdet Ihr an einen Ort gebracht werden, wo Ihr eine andere Sprache lernen werdet.«

»Edle Frau,« versetzte Rolandine, »da Ihr mich beschuldigt, zu dreist zu sprechen, so will ich schweigen, es sei denn, Ihr wünschtet, mich weiter zu hören.« Und da man ihr befahl, fortzufahren, sagte sie: »Es ist nicht meine Schuld, o Königin, zu Euch, die Ihr meine Herrin und die größte Fürstin der Christenheit seid, so kühnlich und ohne die schuldige Ehrfurcht zu sprechen. Doch warum soll ich weinen, hohe Frau, da mir meine Ehre und mein Gewissen keine Vorwürfe in dieser Sache machen, und da ich auch von Reue so weit entfernt bin, daß, wenn ich noch einmal anfangen könnte, ich es um kein Haar anders machen würde? Ihr mögt mir nun, welche Strafe Ihr wollt, zu Theil werden lassen, so wird meine Freude, sie grundlos zu erdulden, noch größer sein als die Eure, sie mir zu ertheilen.«

Die Königin war so zornig, daß sie sich kaum noch halten konnte, und befahl, daß sie ihr aus den Augen in ein abgelegenes Zimmer geführt würde, wo sie mit niemand sprechen könne; doch ließ man ihr die Amme, durch welche sie den Edelmann wissen ließ, was ihr begegnet war, und was er ihr zu thun riethe. Dieser, [175] welcher glaubte, daß die Dienste, welche er dem König geleistet hatte, ihm vielleicht etwas helfen würden, eilte sogleich an den Hof und fand den König auf dem Felde; er erzählte ihm die ganze Sache und bat ihn, daß er ihm, dem armen Edelmann, die Gnade anthun wolle, die Königin zu besänftigen, so daß sie die Heirath vollziehen könnten. Der König antwortete ihm nur das Eine: »Versichert Ihr mir, daß Ihr mit ihr vermählt seid?« »Ja, Sire«, sprach der Edelmann, »vor der Hand nur durch Worte und Geschenke, so es Euch aber gefällig ist, wollen wir das Ende noch vollziehen.« Der König neigte den Kopf und wandte sich, ohne ihm etwas zu erwidern, nach dem Schloß; und als er dort angelangt war, rief er den Hauptmann seiner Wache und befahl ihm, den Ritter gefangen zu nehmen. Ein Freund jedoch, welcher die Miene des Königs wohl kannte, benachrichtigte ihn zur rechten Zeit, daß er sich in ein ihm gehöriges, nahe gelegenes Haus zurückziehen solle; wenn der König nach ihm suchen ließe, wie er es fürchtete, würde er es ihm sofort wissen lassen, damit er aus dem Königreich entfliehen könne; wenn dann die Sache beigelegt wäre, würde er ihn zurückkommen lassen. Der Edelmann folgte ihm und beeilte sich so sehr, daß der Hauptmann ihn nicht fand. Der König und die Königin überlegten nun zusammen, was sie mit dem armen Fräulein, das die Ehre hatte, ihre Verwandte zu sein, machen sollten, und dem Rath der Königin zufolge wurde beschlossen, sie zu ihrem Vater dem man die geschehenen Dinge mittheilte, zurückzuschicken.

Als der Vater die betrübenden Nachrichten hörte, wollte er Rolandine nicht sehen, sondern schickte sie in ein Waldschloß, welches er früher bei einer Gelegenheit erbaut hatte, welche werth ist, nach dieser Geschichte erzählt zu werden. Dort hielt er sie lange gefangen, indem er ihr mittheilte, wenn sie ihren Gatten verlassen wolle, würde er sie in Freiheit setzen und wieder als seine Tochter betrachten. Dennoch aber blieb sie fest und zog die Gefangenschaft, mit dem Bewußtsein ihrer Treue, aller Freiheit der Welt ohne ihren Gatten vor; es schienen ihr sogar alle Schmerzen ein angenehmer Zeitvertreib, da sie diese für den erlitt, welchen sie liebte. [176] Was soll ich aber von den Männern sagen? Jener Edelmann, welcher so viele Verbindlichkeiten gegen sie hatte, flüchtete nach Deutschland, wo er viele Freunde hatte, und zeigte bald durch seinen Leichtsinn, daß wahre und vollkommene Liebe ihn nicht so sehr zu Rolandine getrieben hatten als Geldgier und Ehrgeiz; so verliebte er sich dermaßen in eine deutsche Dame, daß er vergaß, in Briefen zu derjenigen zu sprechen, welche um seinetwillen so viel Trübsal erlitt; denn wie hart immer das Schicksal mit ihnen verfahren war, so behielten sie doch immer die Mittel, einander zu schreiben. Die thörichte und pflichtvergessene Liebe, in die er verfallen war, wurde von Rolandine erst nur geahnt; doch nahm ihr schon das alle Ruhe.

Dann, als sie von ihm so überladene und doch gegen seine gewohnte Sprache erkaltete Briefe erhielt, daß sie den früheren garnicht mehr glichen, schöpfte sie Verdacht, daß eine neue Freundschaft sie von ihrem Gatten trenne und ihn so fremd gegen sie mache; dies betrübte sie mehr, als alle Schmerzen und Leiden es gekonnt hatten. Und da sie in ihrer reinen Liebe ihn nicht auf einen bloßen Verdacht hin richten wollte, schickte sie heimlich einen Diener, auf den sie sich verlassen konnte, zu ihm, nicht um ihm zu schreiben oder mit ihm zu sprechen, sondern um ihm aufzupassen und die Wahrheit zu ersehen. Als der Diener zurückkam, berichtete er ihr, daß ihr Ritter in eine deutsche Dame sehr verliebt sei, und daß man davon spreche, er wolle sie heirathen, denn sie sei sehr reich. Diese Nachricht traf das Herz der armen Rolandine so schwer, daß sie den Schlag nicht tragen konnte und in eine ernste Krankheit verfiel. Einige wollten die Gelegenheit benützen und bestellten ihr von Seiten ihres Vaters, daß sie jetzt, da sie doch die Schlechtigkeit des Edelmannes sähe, ihn wohl aufgeben könne, und quälten sie, so viel sie konnten. Aber obgleich sie bis aufs Aeußerste gepeinigt wurde, konnte man sie doch nicht dazu bringen, ihre Meinung zu ändern, und in dieser letzten Versuchung bewies sich ihre Liebe und Treue aufs Herrlichste; denn in dem Maße, wie sich seine Liebe verringerte, wuchs die ihre und blieb trotz seiner Untreue die wahre und vollkommene Liebe; denn alle Zärtlichkeit, welche ihn verließ, zog in ihr Herz ein, und als sie erkannte, daß die ganze Liebe, welche [177] früher in zwei Herzen vertheilt war, in ihr lebte, beschloß sie, dieselbe bis zu ihrem oder seinem Tode zu bewahren.

Endlich erbarmte sich der gute Gott, welcher die Barmherzigkeit und Liebe selbst ist, ihrer Schmerzen und Geduld, denn nach wenigen Tagen fand der Edelmann bei der Verfolgung einer anderen Frau seinen Tod. Als sie von denen, die seinem Begräbniß beigewohnt hatten, diese Nachricht erhielt, ließ sie ihren Vater bitten, ihn sprechen zu dürfen.

Der Vater ging sogleich zu seiner Tochter, welche er seit ihrer Gefangenschaft nicht gesprochen hatte, und nachdem er lange ihren guten Gründen zugehört hatte, schloß er sie, anstatt, wie er oftmals gedroht hatte, sie zu tödten, in seine Arme und sprach weinend zu ihr: »Meine Tochter, du bist gerechter als ich, denn ich trage die Hauptschuld an allen diesen Vorgängen; aber da es Gott also gefügt hat, will ich das Vergangene vergessen.« Und damit führte er sie in sein Haus und behandelte sie als seine geliebte Tochter. Sie wurde zuletzt noch von einem Ritter aus ihrem Hause und mit demselben Wappen umworben; der Edelmann war weise und tugendreich und achtete Rolandine, welche er oft besuchte, ebensosehr, wie er sie wegen des Geschehenen in demselben Grade lobte als die Andern sie tadelten, da er wußte, daß sie stets tugendhaft geblieben war. Diese Heirath erschien dem Vater Rolandinens und ihr selbst angenehm, und so wurde alsobald die Ehe geschlossen. Ihr Bruder, der alleinige Erbe des Hauses, wollte ihr allerdings jedes Erbtheil absprechen, weil sie ihrem Vater ungehorsam gewesen war, und hielt sie nach dem Tode desselben so knapp, daß ihr Gatte, welcher ein jüngerer Sohn war, und sie selbst kaum genug zu leben hatten. Doch half ihnen auch hier Gott, denn eines Tages starb der Bruder plötzlich und hinterließ ihr sein und ihr ganzes Vermögen. So wurde sie die Erbin eines reichen und mächtigen Hauses, wo sie ehrenvoll und fromm in der Liebe ihres Gatten lebte; nachdem sie dann zwei Söhne, welche Gott ihnen schenkte, aufgezogen hatte, starb sie, indem sie froh ihre Seele dem empfahl, in dem sie schon lange vorher gänzlich aufgegangen war.

»Und nun, meine Damen«, schloß Parlamente ihre Erzählung, »nun sollen einmal die Männer, welche uns stets als so unbeständig [178] schildern, herkommen und mir einen Gatten zeigen, der so gut war und so viel Glauben und Standhaftigkeit besaß wie diese Frau. Sicherlich würde ihnen das so schwer werden, daß ich es ihnen lieber erlassen will, als mich dieser Last zu unterziehen, (Ihr mögt es thun, meine Damen;) und ich bitte Euch, wollt Ihr unseren Ruhm fortsetzen, so liebt entweder garnicht oder so vollkommen wie dieses Fräulein, und laßt Euch nicht einreden, daß sie ihre Ehre beleidigte, da sie durch solche Festigkeit nur unsere eigene Ehre erhöhte.« »In der That, Parlamente«, sprach Oisille, »Ihr habt uns eine Geschichte erzählt, welche ebensosehr ihre Festigkeit wie die Untreue ihres Gatten, der sie um einer Anderen willen verlassen wollte, beleuchtet.« »Ich glaube«, sprach Longarine, »daß diese Qual ganz unerträglich war; denn wenn auch keine Bürde so schwer ist, daß sie nicht die vereinigte Liebe zweier Personen leicht tragen könnte, so ist doch die Last für Einen allein zu groß, wenn der andere seine Pflicht vergißt und alles von sich abwälzt.« »So solltet Ihr also Mitleid mit uns haben«, sprach Guebron, »da wir die ganze Liebe tragen, ohne daß Ihr uns auch nur mit einem Finger helft.«

»Ach, Guebron«, sprach Parlamente, »die Bürden für Frau und Mann sind oftmals verschieden; denn die Liebe der Frau, welche sich auf Gott und ihre Ehre stützt, ist so gerecht und vernünftig, daß der, welcher sich von solcher Freundschaft lossagt, für feige und schlecht gegen Gott und brave Menschen gehalten werden muß. Aber die Liebe der meisten Männer ist auf das Vergnügen gegründet, welchem sich die unerfahrenen Frauen, um ihm zu entgehen, nicht genug widersetzen; wenn ihnen nun später Gott die Bosheit des Herzens derjenigen zeigt, welche sie für gut gehalten haben, können sie sich ruhig von ihnen trennen, ohne ihrer Ehre und ihrem Ruf zu schaden; denn die kürzesten Thorheiten sind immer die besten.«

»Das sind Gründe,« sagte Hircan, »die sich auf den Gedanken stützen, daß ehrbare Frauen getrost die Liebe der Männer aufgeben können, aber die Männer nicht die der Frauen, als ob ihre Herzen verschieden wären. Wenn das aber auch die Kleider und Gesichter sind, so meine ich doch, ihr Wille ist derselbe, nur daß die verborgene Bosheit die schlimmere ist.« Parlamente erwiderte ihm mit etwas [179] zornvoller Stimme: »Ich verstehe wohl, Ihr haltet die für weniger schlecht, deren Bosheit offenkundig ist.« »Lassen wir nun diesen Streitpunkt«, sagte Simontault, »denn wenn Ihr das Facit des Männer- und Frauenherzens zieht, so taugt auch das Beste davon nichts. Laßt uns lieber hören, wem Parlamente das Wort zu einer weiteren Erzählung geben wird.« »Ich gebe es Guebron«, sagte diese. »Ich habe schon einmal von Franziskanern gesprochen,« begann Guebron, »nun will ich auch den Orden des heiligen Benedikt nicht vergessen und berichten, was zweien davon zu meiner Zeit passirt ist; womit ich aber, auch wenn ich jetzt die Geschichte eines verschlagenen Geistlichen erzähle, Niemanden hindern will, eine gute Meinung über die Achtungswerthen zu haben. Da aber der Psalmist sagt, daß alle Menschen Lügner seien, und an anderer Stelle zu lesen steht, es giebt überhaupt keinen, einen ausgenommen, der Gutes thut, so kann man nicht damit Unrecht thun, wenn man einen Menschen so giebt, wie er ist. Denn findet man etwas Gutes, so muß man es dem zuschreiben, welcher der Ursprung alles Guten ist, nicht aber der irdischen Kreatur, bezüglich welcher die meisten Menschen sich in einer Selbsttäuschung befinden, wenn sie ihr Ruhm und Lob spenden oder meinen, daß das Gute aus ihr fließe. Damit Ihr nun nicht für unmöglich haltet, welche große sinnliche Begierde sich unter großer Frömmigkeit verstecken kann, so vernehmt, was zur Zeit des Königs Franz I. sich ereignet hat.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Dritter Tag. 21. Erzählung: [Von der treuen und ehrbaren Liebe eines Mädchens]. 21. Erzählung: [Von der treuen und ehrbaren Liebe eines Mädchens]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5EE4-9