[290] Fünfter Tag.

Als der Morgen gekommen war, bereitete sich Frau Oisille auf das geistige Frühstück vor und machte es so geschmackvoll, daß es Körper und Geist stärkte und die ganze Gesellschaft sehr aufmerksam war, so daß alle niemals eine Rede gehört zu haben glaubten, die ihnen so dienlich gewesen wäre. Als sie den letzten Glockenschlag hörten, gingen sie, mit Andacht die frommen Bemerkungen, die sie gehört hatten, zu überdenken. Als die Messe dann zu Ende und sie eine Weile spazieren gegangen waren, setzten sie sich zu Tisch und versprachen sich, den gegenwärtigen Tag eben so angenehm wie die vorhergehenden zu gestalten. Saffredant sagte, er wünschte, die Brücke bliebe noch einen Monat ungemacht wegen des Vergnügens, welches ihr Zusammensein gewähre. Der Abt aber ging sehr eifrig an die Wiederherstellung derselben; es war nämlich nicht gerade trostreich für ihn, so viele hochstehende Leute bei sich zu haben, weil wegen ihrer Gegenwart die sonst oft kommenden Pilger und Pilgerinnen nicht so eingehend und lange an den heiligen Orten verweilten. Als sie sich nun nach Tisch einige Zeit ausgeruht [291] hatten, gingen sie zu ihrem gewohnten Zeitvertreib über und fragten, nachdem sie alle Platz genommen hatten, Parlamente, wem sie das Wort gäbe. »Mir scheint«, sagte diese, »daß Saffredant recht gut diesen Tag beginnen könnte, denn er sieht nicht danach aus, als ob er uns würde Thränen vergießen lassen.« Saffredant erwiderte: »Ihr würdet nur sehr grausam sein, meine Damen, wenn Ihr nicht Mitleid mit dem Franziskaner, dessen Geschichte ich Euch erzählen werde, haben wolltet. Nach den Geschichten, die einige von uns bisher von diesen erzählt haben, könntet Ihr glauben, daß die darin besprochenen Fälle nur arme einfältige Frauen betrafen, an die sie sich, des Erfolges sicher, ohne Furcht heranmachten, deshalb gerade will ich Euch zeigen, daß ihre Verblendung ihnen alle Furcht und kluge Ueberlegung raubt, wie die in Flandern passirte Geschichte, die ich Euch erzählen will, beweist.«

Einundvierzigste Erzählung.

Absonderliche Sühne, welche ein Franziskanermönch einem jungen Mädchen auferlegt, deren Beichtvater er ist.


In dem Jahre, in dem Margarethe von Oesterreich im Auftrage des Kaisers, ihres Neffen, wegen der Friedensverhandlungen zwischen diesem und dem Könige von Frankreich, in dessen Namen sich dort Louise von Savoyen einfand, nach Cambrai kam, war im Gefolge der deutschen Prinzessin die Gräfin von Aiguemont, welche den Ruf, die schönste Flamänderin zu sein, mit sich brachte. Auf der Rückkehr von dieser Conferenz kehrte die Gräfin von Aiguemont in ihr Schloß zurück, und als die Adventszeit gekommen war, schickte sie in ein Franziskanerkloster und erbat sich einen kundigen und ehrbaren Pater, um auf ihrem Schloß zu predigen und ihr und ihrem ganzen Haushalt die Beichte abzunehmen. Der Prior suchte den würdigsten für diese Verrichtungen aus, da dem Kloster von den Aiguemonts und den Piennes, von denen die Gräfin abstammte, viel Gutes zu Theil geworden war. Und da dieser Orden [292] vor allen anderen die Achtung und Geneigtheit vornehmer Häuser zu erlangen strebt, so schickten sie den ansehnlichsten Prediger des ganzen Klosters, der auch während der ganzen Adventszeit seinen Dienst aufs Beste verrichtete und sich die volle Zufriedenheit der Gräfin erwarb. Zu Weihnachten wollte die Gräfin das heilige Abendmahl nehmen und schickte deshalb nach dem Beichtvater; nachdem sie die Beichte, damit sie um so geheimer sei, in einer wohlverschlossenen Kapelle abgelegt hatte, ließ sie den Platz ihrer Ehrendame, welche, nachdem sie ebenfalls gebeichtet hatte, ihr Mädchen zum Beichtvater schickte. Nachdem diese nun alles, was sie zu sagen hatte, gesagt und der Beichtvater auf diese Weise von ihr ein kleines Geheimniß erfahren hatte, kam ihm die Luft an, ihr eine ungewohnte Sühne aufzuerlegen, und er sagte deshalb zu ihr: »Eure Sünde ist so groß, daß ich Euch zur Buße aufgebe, meinen Strick auf Eurem nackten Körper zu tragen.« Das Mädchen wollte ihm nicht ungehorsam sein und antwortete: »Gebt ihn mir, ehrwürdiger Vater, und ich werde nicht verfehlen, ihn zu tragen.« »Nein, meine Tochter«, sagte der Geistliche, »Eure Hände würden nicht dienlich sein, ich muß vielmehr mit meinen eigenen Händen, aus denen Ihr den Erlaß Eurer Sünden erhaltet, Euch mit ihm umgürten, dann erst werdet Ihr von allen Sünden befreit sein.« Das Mädchen begann zu schluchzen und sagte, sie gehe hierauf nicht ein. Der Prediger sagte: »Seid Ihr denn eine Ketzerin, daß Ihr die Buße, wie Gott und unsere heilige Mutter, die Kirche, sie Euch auferlegt, zurückweist?« Das Mädchen antwortete: »Ich komme zur Beichte, wie die Kirche es gebietet, und ich will wohl die Absolution und die Buße empfangen; ich will aber nicht, daß Eure Hände mit dieser Buße etwas zu thun haben, sonst weise ich sie zurück.« Jener antwortete: »Dann kann ich Euch auch keine Absolution geben.« Das junge Mädchen erhob sich, sehr betroffen in ihrem Innern, denn sie war so jung, daß sie sich fürchtete, durch ihre Weigerung ungehorsam gegen den Pater gewesen zu sein. Als nun nach der Messe die Gräfin das Abendmahl genommen hatte und ihre Ehrendame im Begriff stand, es ebenfalls zu nehmen, fragte diese ihre Tochter, ob sie bereit sei. Das Mädchen sagte unter Schluchzen, daß ihr die Beichte nicht abgenommen worden sei. Die Mutter [293] fragte: »Was habt Ihr denn mit dem Beichtvater vorgehabt?« Das Mädchen antwortete: »Nichts weiter; aber da ich die Buße, die er mir auferlegt hat, zurückgewiesen habe, hat er mir auch die Absolution verweigert.« Die Mutter fragte nun weiter und erfuhr von der absonderlichen Art Buße, welche der Mönch ihrer Tochter hatte auferlegen wollen. Sie ließ dann ihre Tochter bei einem anderen beichten, und sie nahmen dann zusammen das Abendmahl. Sobald die Gräfin aus der Kirche zurückgekommen war, führte die Ehrendame bei ihr Klage über den Mönch, worüber jene in Anbetracht der guten Meinung, welche sie von ihm gehabt hatte, sehr betrübt und erstaunt war. Trotz ihres Zornes konnte sie sich gegenüber dieser neuen Art der Buße nicht enthalten zu lachen. Diese scherzhafte Auffassung hinderte sie aber nicht, ihn festnehmen und in der Küche durchprügeln zu lassen, wo er auch unter den Ruthenstreichen die Wahrheit eingestand. Dann schickte sie ihn mit gebundenen Händen und Füßen zum Prior mit dem Ersuchen heim, ihr ein ander Mal eine geeignetere Persönlichkeit zum Verkünden von Gottes Wort zu senden.

»Nun sehet, meine Damen«, fuhr Saffredant fort, »wenn sie selbst in einem so vornehmen Hause sich nicht scheuen, sich in ihrer Unverschämtheit zu zeigen, wie mögen sie erst in den Bauernhütten verfahren, wo sie gewöhnlich ihr Verlangen hintragen, und wo die Gelegenheiten zur Erfüllung ihrer Wünsche so leichte sind, daß man es als ein Wunder bezeichnen muß, daß sie immer ohne Skandal davonkommen. Das läßt mich Euch bitten, meine Damen, Eure verächtliche Meinung in Mitleid umzuwandeln und überzeugt zu sein, daß der Teufel, der Mönche verblenden kann, auch die Damen nicht schont, wenn er sie in seine Klauen bekommt.« »Nun wahrlich«, sagte Oisille, »das ist ein netter Mönch! Geistlicher, Priester und Prediger sein und solche Gemeinheit am Weihnachtsabend begehen und in der Kirche unter dem Deckmantel der Beichte, alles Umstände, welche die Sünde nur noch verschlimmern.« Hircan sagte: »Glaubt Ihr denn, daß die Franziskaner nicht Menschen wie wir sind und entschuldbar, vor Allem jener, der sich zur Nachtzeit mit einem schönen Mädchen allein sah?« »Nun«, wandte Parlamente ein, »wenn er an die Geburt Jesu Christi, welche an jenem [294] Tage gefeiert wurde, gedacht hätte, so würde er nicht auf solche verwerfliche Absichten gekommen sein.« »Ihr vergeßt zu sagen«, bemerkte Saffredant, »daß vor der Geburt erst noch anderes kommt. Immerhin war es ein Mensch von schlechten Absichten, da er wegen einer so geringfügigen Sache eine so schwere Sünde beging.« Oisille sagte: »Jedenfalls scheint die Gräfin eine recht zutreffende Bestrafung vollzogen zu haben, an der seine Brüder sich ein Beispiel nehmen konnten.« »Es ließe sich noch darüber streiten«, wandte Nomerfide ein, »ob es gut war, so seinen Nebenmenschen bloßzustellen, und ob es nicht besser gewesen wäre, ihm seine Sünde im Geheimen vorzuhalten, anstatt sie so allen Leuten bekannt zu geben.« »Ich hätte das auch für das Richtigere gehalten«, sagte Guebron, »denn die Vorschrift heißt, unseren Nächsten unter vier Augen Vorhaltungen zu machen, bevor man es anderen sagt, selbst der Kirche nicht. Hat ein Mensch erst einmal die Scham verloren, so wird er sich nur mit Mühe bessern, denn die Scham entfernt ebensosehr von der Sünde, wie das Gewissen.« Parlamente sagte: »Ich meine, daß man gegen Jedermann die Vorschriften des Evangeliums bethätigen muß, nur gegen die nicht, die es selbst predigen und dagegen handeln; denn man muß nicht davon zurückschrecken, die bloßzustellen, welche selbst andere bloßstellen. Auch scheint es mir nur verdienstlich, dazu beizutragen, daß man sie in ihrer wahren Gestalt erkenne, damit wir gegen ihre Verstellungskünste bei unseren Töchtern, die nicht immer selbst bedacht genug sind, Vorkehrungen treffen können. Wem wird aber Hircan das Wort geben?« »Da Ihr danach fragt, will ich es Euch selbst geben, da ja auch kein verständiger Mann es Euch verweigern würde.« Parlamente sagte: »Da Ihr mich erwählt, will ich Euch eine Geschichte erzählen, für deren Wahrheit ich selbst die Bürgschaft übernehme. Ich habe immer sagen hören, daß, wenn die Tugend in einem schwachen und hinfälligen Geschöpf und zwar von einem mächtigen und überlegenen Gegner angegriffen wird, sie sich nur um so lobenswerther darstellt und am besten in ihrem wahren Lichte zeigt. Denn wenn ein Starker sich gegen einen Starken wehrt, ist dies nichts Absonderliches; wenn aber ein Schwacher den Sieg davonträgt, so erntet er ganz besonderen Ruhm. Um diesen Gegensatz einmal recht vor Augen [295] zu fähren, will ich von einem jungen Mädchen sprechen, welches so viel Ehrbares gethan hat, wie Ihr jetzt hören sollt; auch würde ich nur ein Un recht an der Wahrheit begehen, die ich in diesem Falle unter einer so armseligen Kleidung fand, daß Niemand sie sonderlich beachtete.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Fünfter Tag. 41. Erzählung: [Absonderliche Sühne]. 41. Erzählung: [Absonderliche Sühne]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5EDF-8