Alf von Dülmens Geständnisse an die Nachwelt.
1210.
Ich ward gerettet, aber o Gott, zu welch einem Leben! – Ist das Leben im Kerker Leben zu nennen? – Lebe ich würklich? – Würde ich, wenn heute mir die Freyheit wieder geschenkt wär, anders unter den Lebendigen wandeln, als ein aus jener Welt zurückkehrender Schatten? – Die Sonne ist mir fremd geworden, meine Augen, Jahre lang – (ach ich mag sie nicht zählen!) an die Dunkelheit des Grabes gewöhnt, würden ihren Glanz nicht mehr ertragen können. – Die Welt ist mir fremd geworden, keiner meiner Lieben, keiner meiner Bekannten würde [344] mir dort oben begegnen, der da sagen könnte: das ist Alf von Dülmen! Den größten und besten Theil dessen, woran mein Herz hing, verlor ich, ehe man mich hier lebendig verscharrte, die wenigen Uebrigen werden längst auch abgetreten seyn von dem grossen Schauplatz des Elends; nur mir fristete die Vorsicht mein Leben zur längern Qual! Ich verdiente diese grausame Fristung, denn ich war ein Verbrecher! – Ja das war ich! ein grösserer Verbrecher, als zu meinen Zeiten die Erde einen tragen mochte! Heiliges Blut haftete an diesen Händen. Entschuldige dich nicht, gequältes Herz, du weißt die Lehren, welche die Nacht, und Einsamkeit diese halbe Ewigkeit hindurch predigten; Nacht und Einsamkeit, diese grossen Lehrerinnen, welche das Gewissen laut reden machen, und jedem Verbrechen seine Hülle nehmen! Hier gilt keine Entschuldigung! auf der Stelle, wo ich hin geschleudert wurde, ist der Standpunkt, wo man jedes Ding nach seinem wahren Werthe schätzt, jedes mit seinem rechten Namen benennt, Sclave der Ehrsucht, Sclave noch thörigterer Leidenschaften, der war ich! Dies war der Anfang einer glorreichen Laufbahn, die sich mit Kaiser- mit Freundesmord endigte! O Philipp und Kalatin! laßt ab von mir! eure rächenden Schatten, die mich unabläßig umschwebten, könnten [345] wohl mit meinen langen, langen Leiden befriedigt seyn!
O, daß die Fluthen der Donau nicht mein Grab wurden! Grausame Hülfe, die mich zu endloser Qual rettete! – Ja wohl endlos! Ich ward müde die Jahre zu zählen, die man mich hier schmachten ließ, und doch finde ich, da ich nun auf einer Art von Ruhepunkt stehe, und rückwärts blicke, auch sie sind wie ein Traum verschwunden! – Die erste Epoche meines Elends, da ich ganz unwissend war warum man mich hier einkerkerte, war kurz, ihr folgte eine andre, da ich heller sehen lernte, da man mir die Möglichkeit zeigte, Freyheit und Glück durch Treubrüchigkeit zu erkaufen; sie war schrecklich; die Kämpfe zwischen der Stimme der Menschheit und den Forderungen der Tugend waren nicht leicht; ich seufzte nach Ruhe, aber die Ruhe, welche ich endlich fand, war noch schrecklicher, sie hieß Vergessenheit. Meinen Verfolgern hatte entweder der Tod die Schlangengeissel aus den Händen gewunden, oder sie waren müde geworden, immer vergebens gegen einen Fels zu wüten, und ich blieb ungestört in langer, langer Nacht, deren grauenvolle Einförmigkeit mir nach und nach fast Empfindung und Bewußtseyn raubte, und mich mein Daseyn in einer Art von Schlummer hinbringen [346] ließ, dessen Ende, bey den allmählig sinkenden Kräften der Natur, wahrscheinlich der Tod seyn mußte.
Ein wohlthätiger Schlag erweckte mich zu einem neuen Leben! Wer mißt die Empfindungen eines Menschen, der schon mehr als halb dem Grabe anheimgefallen ist, wenn eine mächtige Erschütterung ihn gewaltsam empor reißt, und ihn fühlen läßt, daß er noch lebt? Wer mißt die Empfindung jener Nacht, da ich im Donner Gottes die letzte Posaune zu hören glaubte, die mich Toden zur Auferstehung rief, da die Fesseln von meinen Händen sprangen, und die einstürzenden Gewölbe um mich her die kaum erlangte Freyheit, von der ich keinen Gebrauch zu machen wußte, schnell zu endigen drohten? –
Frommer, mildherziger Ademar, du warst der erste Gegenstand, den ich nach meiner Betäubung erblick te; es war mir wohl zu verzeihen, daß ich dich für einen Engel, den schönen Ort, an den du mich gebracht hattest, für den Wohnplatz der Seeligen hielt! Einen Menschen der gelitten hat, wie ich, scheint jede kleine Besserung seines Schicksals überirrdisch, jeder lindernde Helfer eine Gottheit zu seyn.
Guter Ademar! dir danke ich Erleichterung meines Schicksals, du mußt dich nicht entschuldigen, [347] daß du mir dieselbe nicht ehr gabst; du warst Hüter meines Kerkers, du hattest geschworen meine Ketten nicht zu brechen, du kanntest deinen unglücklichen Gefangenen nicht einmal, ein Blitz vom Himmel mußte mich dir kenntlich machen, ein Blitz vom Himmel mußte dir zeigen, was du für mich thun solltest; wie konntest du ohne höhere Führung dich zu mir finden? Keiner deiner Vorgänger hatte ja in langen dreyßig Jahren daran gedacht, daß es Pflicht für ihn sey, zu mir in mein Grab hinabzusteigen, wie hätte dir, der mit ihnen nach einerley Grundsätzen zu handeln verpflichtet war, dieses einfallen sollen? Was würde dir der Anblick eines Elends geholfen haben, das du, durch Eid gebunden, nicht lindern durftest?
Jetzt, da der Himmel selbst dich zu mir führte, da der Himmel selbst meine Bande brach, jetzt hast du freyere Hand zu handeln. Niemand beeidigte dich mir neue Fesseln anzulegen, und diese wunden Hände, diese steifgewordenen Füsse bleiben also frey; mein altes Grab ist zusammen gestürzt, warum solltest du mir ein neues bauen? du gönnst mir ja gern diese hellere geräumigere und reinere Wohnung, und die Aussicht den Schloßberg hinab, die mir beym ersten Anblick so elisisch dünkte. Etwas bessere [348] Pflege kann vielleicht mir einen Theil der verlornen Kräfte wieder erstatten; dann und wann eine Stunde in deiner Gesellschaft wird mir das Leben zum Himmel machen, und die Beschäftigung mit Büchern, und mit der Feder, die du mir gönnst, vertreibt die ärgste Quälerin des Gefangenen, die Langeweile, mit allen Schrecknissen, die sie in ihrem Gefolge hat; nur zuweilen in meinen schwärzesten Stunden kehren jetzt jene Furien, die Gefärthinnen meiner Einsamkeit zurück. Nur zuweilen ist mirs, als läg ich noch in jener Nacht begraben; aber ein Blick von dir, ein Gedanke an dich, kann diese Phanthasien immer verjagen!
O Ademar! Ademar! Gott seegne dich, und erhalte dich mir! Sollte dich ein feindliches Geschick mir entreissen, was würde aus mir werden? Töde mich lieber, ehe du mich in fremde Hände kommen lässest; du weißt wohl, es war ein Theil deines Eides, den du jenen Unerbittlichen schwören mußtest, als sie dich zum Hüter dieses alten Steinhaufens und zu dem Meinigen machten, mich hinzurichten, wenn der Zufall mich und die Geheimnisse ihrer Grausamkeit, die in meinem Gedächtniß verwahrt sind, unter fremde Gewalt zu bringen drohte!
[349] Ademar, ich habe gedacht, wie ich dir deine Treue gegen mich Hülflosen belohnen wollte; und schnell fiel mir ein, da ich sonst nichts habe, dir ein treues Geständniß vergangener Dinge, so weit ich das darf, zu schenken; Du mußt dies Geschenk nicht gering schätzen, es hat gewiß seinen Werth, und wird mir hier und da viel schmerzhafte Aufopferung kosten. Zeit und Kräfte, die ich zum Niederschreiben meiner traurigen Geschichte brauche, bringe ich nicht in Rechnung; ich kann sie nicht besser anwenden als für dich und die Nachwelt, wenn du ihr die Mitwissenschaft dieser Dinge gönnen willst.
O mein Freund, du mußt hier auch auf den Nutzen rechnen, den du aus der Kenntniß dieser Dinge schöpfen kannst. Du bist gegen mich sechzigjährigen Alten – (Gott! ich war noch nicht dreyßig Jahr, als man mich in jene Tiefe hinabstieß) – du bist gegen mich alten Lehrling in der Unglücksschule noch ein Jüngling; manches in dem Leidenverzeichniß des armen Alf von Dülmen wird dir aufstossen, das dir zu Trost und Leitung für dein künftiges Leben dienen kann.
Doch nichts mehr von Vertheurung meiner Gabe, sondern nun ohne weitere Umschweife den Anfang meines Versprechens!
[350] Mein Vaterland ist Westphalen. Bis in mein zwanzigstes Jahr hielt ich mich für den Sohn eines gemeinen unbemittelten Edelmanns, ohne Rang und ohne Ansprüche, und war glücklich in diesem Wahn; o Gott, daß er mir ewig geblieben wär! –
An hohen Flügen schwärmender nach Ruhm und Grösse dürstender Phanthasie, fehlte es mir von meinen ersten Jünglingsjahren an, nicht; Trieb, mich in einer höhern Sphäre zu zeigen, mußte mir angebohren seyn; ich tödete ihn nicht, sondern ich hing ihm mit geheimer Wohllust nach. Die Bahn, auf welcher ich das zu erlangen glaubte, was ich wünschte, lag, wie ich meynte, offen vor mir; schon mancher gemeine unbemittelte Jüngling, das sagte mir die Geschichte, welche mein Lehrer, ein gelehrter Mönch aus dem benachbarten Kloster, fleißig mit mir traktirte, hatte sich durch sein Schwerdt und seine Tugend empor geschwungen. Ich hatte mir schon eine Reihe von Edelthaten vorgezeichnet, zu denen sich, wie ich meynte, nach meiner Vorschrift, die Gelegenheit ganz genau finden mußte, und die mich Zeit genug mit Ehre und Glück krönen mußten. O Schicksal, [351] warum verleidetest du mir diesen sichern und anmuthsvollen Weg zu Erreichung meiner Wünsche, indem du mir einen kürzern aber gefahrvollern zeigtest? Doch ich will nicht mit der Vorsicht rechten, sondern mich demüthigen, mich als den allein Schuldigen bekennen.
Voll Ungeduld sahe ich den Jahren entgegen, da mein Vater mir versprochen hatte, mich wehrhaft machen zu lassen, und an irgend einen Fürstenhof zu schicken; ich war geitzig nach jeder Gelegenheit mich in den Waffen zu üben; ich fand sie in der Gesellschaft eines guten Jünglings aus unserer Nachbarschaft, dessen Namen ich mir nie ohne Schmerzen denken kann. Ach auch an ihm habe ich gesündigt! – Sein Name war Evert von Remen!
Nimmer müde, Arbeit für Schwerdt und Wurfpfeil zu suchen, ward ich ein wilder Jäger. Tag und Nacht lag ich in den Wäldern. Meine Faust ward stark, mein Wuchs außerordentlich durch die unaufhörlichen Uebungen. Mein braver Vater, selbst in seinen Jünglingsjahren ein tapferer Krieger, hatte seine Freude an mir, und nannte mich oft gegen Konraden von Remen, Everts Vater, seinen jungen Helden. Lob und Beyfall feuerten mich noch mehr an; ich dürstete nach immer neuen Beweisen meiner Stärke, und [352] trauerte aufrichtig, daß es in den europäischen Gehölzen nicht Löwen und Tieger gebe, und daß Wölfe und Bären nur zuweilen in den unsrigen gefunden wurden. Hinfort kam ich nur selten in das Haus meines Vaters, um daselbst zu übernachten, und die Wälder wurden meine Heimath.
Ich hatte eine jüngere Schwester, ich zürnte mit ihr über die Schwäche ihres Geschlechts, die mich um ihre Begleitung bey meinem Herumschweifen brachte, zürnte mit ihrem und meinem Freunde, dem jungen Evert von Remen, der ganz an ihr hing, und der, da sich sein Gemüth mehr zu weiblicher Sanftmuth neigte, lieber bey ihr zu Hause blieb, als die Gefahren der Jagd mit mir theilte.
Ich war die mehresten mahle auf meinen Wanderungen ganz allein, und da mir die tausendmahl durchstreiften Gegenden in der Einsamkeit endlich lange Weile machten, so entfernte ich mich oft mehrere Tagereisen von meines Vaters Wohnung, um neue Unterhaltung für mich, neue Beute für meine Waffen zu finden.
Weit nach Norden am Ausfluß der Weser, zwischen einer Gruppe von kahlen Gebürgen, liegt ein enges Thal, von welchem in unsrer Gegend zur Zeit meiner Jugend viel seltsame Sagen gingen. [353] Die meisten machten es zu einem Eigenthum böser Geister, welche zu gewissen Zeiten daselbst ihre Zusammenkünfte halten sollten; man sprach viel von Personen, welche es betreten hätten, ohne wieder herauszukommen, von nächtlichem Getös, das sich daselbst hören ließ, von quellendem Blut und blaulichen Flammen, und andern ungeheuren Dingen, welche ich mir alle auf meine Art deutete. Ich glaubte nehmlich, gewisse weisse Bären, die sich zuweilen in unsern Waldungen spüren ließen, und davon ich einst einen erlegt hatte, hätten daselbst ihre Behausung und die Legende von übermenschlichen Wesen, welche dort regierten, diene der Furchtsamkeit nur zum Vorwand, sich nie dorthin zu wagen. – Ich kannte keine Furcht; die Vorstellung neuer Gefahren war mir ein Gedankenfest; daß ich überall durch meine Faust unverletzt hindurch kommen würde, war mir gewiß, und die Reise dorthin ward beschlossen. –
Man war in meines Vaters Hause gewohnt, mich mehrere Tage nach einander nicht zu sehen, und die Ausführung meines Plans, welcher in der That Zeit brauchte, hatte also keine Schwierigkeit.
Es war einst gegen den Abend, da ich nach einer würklich mühseligen Reise, das Ende meines Wegs vor mir sah; der letzte von mehrern großen [354] und kleinen Bergen, welche sich immer einer hinter dem andern erhuben, war erstiegen; ich sah ins Thal hinab, welches ich mir als eine schöne weite waldigte Gegend, die Wohnung zahlreichen Wilds, vorgestellt hatte, und das sich mir nun ganz als das Gegentheil zeigte. Hier, das sagte mir mein erfahrner Waidmanns Blick, hier möchten weder Wölfe noch Bären hausen. Vielleicht hatten in dem niedrigen Gestände einige Hasen ihr Lager, die ich aber in unsern Wäldern besser finden konnte, und deren Nachstellung überhaupt meine Sache nicht war, wenn ich mir nicht etwa zuweilen die Lust machte, einen in vollem Lauf mit der Hand zu ergreifen, und mir selbst dadurch einen Beweis meiner Schnelligkeit zu geben.
Misvergnügt, daß ich hier das so wenig fund, was ich suchte, wollte ich schon unverrichteter Sache zurückkehren, als ich ein Volk Rebhühner vor mir aufsteigen sah; ich schenkte ihnen einige Pfeile, hub mein gefälltes Wildpret auf und trat den Rückweg an, entschlossen, diese Gegend nie wieder zu betreten, die ich in der Folge noch so oft sehen sollte.
Ich entdeckte einen kürzern Weg als den, welcher mich zuerst hieher geführt hatte. Man fand zu Hause mein Wildpret köstlich; die Damen [355] vornehmlich wollten nie etwas ähnliches gekostet haben, und der Frau von Remen zu Liebe, verging keine Woche, da ich nicht ausging, in jenen Gegenden Beute zu machen.
Sie wurden jetzt genauer untersucht, ich stieg hinab, ich durchspähte alle Winkel, die sich zwischen den zerstreuten Gebürgen verbargen, und fand endlich eines Tages eine Stelle, die zwar dem Auge des Jägers nicht eben merkwürdig war, die aber doch auf andere Art meine Aufmerksamkeit reizte.
Ich hatte die alte Geschichte der Römer gut studirt, ich wußte viel Wahres und Unwahres, das mir mein Lehrer von Spuren ihrer Anwesenheit gesagt hatte, die sie in Deutschland zurückgelassen haben sollten, und glaubte hier sehr kenntliche Ueberbleibsel eines römischen Amphitheaters zu finden. Dies war etwas, das meiner Phanthasie schmeichelte, und ich beschloß, hier das Andenken der grauen Vorzeit oft zu feyern. In der Folge war allemahl ein Fragment aus der römischen Geschichte, dergleichen mir aus der Klosterbibliothek nicht versagt wurde, ein nothwendiges Stück meiner Jagdbagage. Halbe und ganze Tage wurden hier in Gesellschaft der Alten verträumt, Vergangenheit vergegenwärtigt, Zukunft herbeygerufen, Plane und Vergleichungen gemacht, und all der phantastische Unfug [356] getrieben, welchen eine junge Seele gemeiniglich in dem Gebiet des Wissens oder Empfindens zu treiben pflegt, das sie sich vor andern ausgesehen hat.
Die Gegend, auf eine halbe Meile umher, war ganz öde; ein heftiger Regen, der mich einst aus meinen Träumen aufschreckte, fand mich ganz ohne Obdach; alle Ueberbleibsel von Gemäuer, die man hier fand, waren gegen den Himmel zu offen, und meine Zuflucht war ein holer Baum, in welchem ich gemeiniglich meine mitgebrachten Geräthschaften zu bergen pflegte, es war eine ungeheure Weide, welche außer mir wohl noch eine Person hätte beherbergen können, und deren überhangende Zweige mich vollkommen schützten. Ich saß warm und reinlich; der Regen hielt an, sein monotonisches Rauschen schläferte mich ein; der weite Weg hatte mich ermüdet, und die hereinbrechende Nacht führte die Zeit des Schlummers herbey.
Nach Mitternacht, wie mir der Stand des Mondes sagte, der jetzt rein und voll am Himmel leuchtete, erwachte ich. Ich wußte nicht was mich erweckte; es war Geräusch, desgleichen ich in der ewigen Stille, die hier herrschte, nie vernommen hatte. Ich schlug die Augen auf und sah die Gegend rund umher von Menschen belebt. Ich schauderte in mich selbst zusammen, [357] und alle ehedem vernommene und für Märchen gehaltene Geistersagen kamen mir vor die Seele. – Mein innres Beben dauerte indessen nur kurze Zeit; gewohnt, mich vor nichts zu fürchten, erhub ich mich, verließ meine enge Wohnung und trat ohne besondere Vorsicht näher hinzu, um Dinge zu sehen und zu hören, zu deren genauer Schilderung mir Zunge und Feder gebunden ist. Euch sey genug, zu wissen, daß ich mich hier auf einmahl ohne es zu wissen zuerst in einer Versammlung befand, die man wohl mit recht unter die furchtbarsten und ehrwürdigsten rechnet, welche unsere Zeiten kennen, oder vielmehr, welche, von dem größern Theil der Menschen ungekannt, ihr zur Geissel und zum Seegen im Verborgenen bestehen.
Daß ich unter Menschen nicht unter Geistern war, das sagte mir mein gesunder Verstand, obgleich würklich hier alles das Gepräg des übermenschlichen, des außerordentlichen trug. Ich starrte in eine zahllose Versammlung hin, die durch einen gewissen traurigen Ernst, in der Kleidung so wohl als im Betragen, die Wichtigkeit der Dinge bezeichnete, warum sie hier zusammen gekommen war. Ich sah in der Mitte des großen Kreises einen Mann auf einer Art von Throne, welcher durch die Würde, die in seinem ganzen All herrschte, und durch [358] die Urtheile der Weisheit, welche aus seinem Munde gingen, Anspruch auf den Namen eines Richters des ganzen Menschengeschlechts zu haben schien. Auch war es, als wenn bey den Dingen, welche hier in Vortrag kamen, die ganze Menschheit interessirt wär. – Meine Aufmerksamkeit wuchs von Minute zu Minute, die Vorgänge wurden immer wichtiger. Ich Furchtloser schauerte mehr als einmahl zusammen; mir, dem Jüngling mit den gestählten Nerven, wandelte mehr als einmahl gänzliche Machtlosigkeit an. Was ich sah, was ich hörte, das ist Gott bekannt, auch wird es wohl durch keine Zeit aus meinem Gedächtniß verlöscht werden, aber euch mehr davon zu sagen, als ihr bereits vernommen habt, ist unmöglich.
Ganz im stummen Staunen verloren, kaum athmend vor Wißbegier, wie das alles enden würde, stand ich da. Ich nahm Partie bey allem was verhandelt wurde, und als jetzt der Richter vom Throne in einer Sache einen Ausspruch that, der nicht ganz zu meinen Einsichten paßte, so ward meine Befremdung durch einige Worte laut! – Ist hier der Thron der Unfehlbarkeit? schrie ich, oder darf man noch von diesem, an den Richtstuhl des Ewigen appelliren?
[359] Jedermann in dem großen Cirkel war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf mich geachtet zu haben. Ich stand noch überdem auf ein kleines Gemäuer gelehnt, hinter den andern in halber Dunkelheit, so daß ich wohl hätte verborgen bleiben können, wenn ich der Vorsichtigkeit getreu geblieben wäre.
Meine sehr laut gesprochenen Worte, und die mit dem Ausdruck des höchsten Affekts in die Höhe gehobene Rechte, zogen die Augen all meiner Nachbaren auf mich. Ein leises Murmeln begann, das sich immer weiter ausbreitete, immer mehr verstärkte, und endlich wie ein brüllender Donner ertönte; was ich verstehen konnte, waren die Worte: Es habe sich ein Fremder zu ihren Geheimnissen eingeschlichen, und Tod müsse sein Lohn seyn! – Die That schien hier unmittelbar den Worten folgen zu müssen, denn ich hatte kaum gehört, wußte kaum was ich gehört hatte, so bekam ich einen Schlag in den Nacken, der mich sinnlos zu Boden streckte.
Ob der Streich, den ich empfing, mich würklich tödten oder nur meines Bewußtseyns berauben sollte, weiß ich nicht; ich glaube das letzte; ich war in der Gewalt dieser Unbekannten, was hätte sie hindern sollen, da sich noch Leben in mir regte, mich vollends hinzurichten.
[360] Als ich mich wieder erholte, war alles viel dunkler um mich her als zuvor, all die Leuchten, welche zuvor den weiten Platz mit schwachem phosphorischen Licht erhellten, waren ausgethan, und nur ein Mondstrahl beglänzte die Stelle, wo ich lag; sie war zu den Füßen des Throns, den ich zuvor in der Ferne wahrgenommen hatte. Der Richter befahl mir, mich so gut ich konnte zu erheben, und zu versuchen, ob ich durch Beantwortung der Fragen, die man mir vorlegen würde, mein verwürktes Leben retten könnte.
Die erste derselben war: Wie ich an diesen geweihten Orte käme, ob Vorwitz oder Zufall mich hieher gebracht habe, und warum ich auf die Warnung, welche bey Hegung eines jeden dieser heimlichen Gerichte, an die Personen, welche sich eingeschlichen haben könnten, gleich anfangs zu ergehen pflegte, nicht augenblicks davon gegangen sey?
Ich konnte betheuren, von dieser Warnung, die ich vermuthlich in meiner Weide verschlafen hatte, nichts gehört zu haben; auch die übrigen Theile der vorgemeldeten Frage konnte ich ziemlich zu Befriedigung des Richters beantworten, und man ging zu andern Untersuchungen fort, welche die Dinge, die ich hier gesehen und gehört hatte, nebst meiner Meinung davon betrafen, [361] und die ich also hier mit Stillschweigen übergehen muß.
Und was, fuhr der Richter fort, der mir durch meine Antworten immer gewogner zu werden schien, was brachte euch zu der Kühnheit in jene Worte auszubrechen, welche uns eure Anwesenheit an diesem verbotenen Orte entdeckten?
Gefühl der Billigkeit!
Glaubt ihr nicht, daß hier der Stuhl der Unfehlbarkeit ist?
Ich denke, ich stehe vor einem menschlichen Gericht, welches Gott zum Oberrichter erkennen muß, dessen Urtheil allein nicht trügen kann.
Habt ihr Ursach zu zweifeln, daß wir in dem Fall, der euch aus eurer Fassung brachte, gerecht richteten?
Ich glaube sie zu haben.
Seyd ihr in der Sache des Verurtheilten interessirt?
Nein, ich habe bis diese Stunde nicht gewußt, daß ein solcher Mensch in der Welt ist.
Wünschtet ihr unser Urtheil aufgeschoben oder geändert zu sehen?
Sobald ich es für unrecht halte, muß ich dies wünschen!
Noch eine Frage! Kennt ihr das Mittel, euer gegenwärtiges Versehen oder Unglück, wie ihr es nennen wollt, euch in unserm verbotenen [362] Kreise befunden zu haben, ungeschehen zu machen?
Nein.
Es heißt; Eintritt in unsern Bund!
Ich nehme es ohne Bedenken an, nicht aus Todesfurcht, welche ich nicht kenne, sondern weil ich diese Nacht viel von eurem Bunde kennen lernte, das mir gefällt.
Ihr habt diese Nacht viel von unserm Bunde kennen gelernt, und wißt also die verschiedenen Geschäfte, welche unsern Mitgliedern obliegen?
Ja, ich weis, daß ihr, außer Richtern und Beysitzern auch Ausrichter des Urtheils und Kundschafter unter euch habt.
Welche Stelle, meynt ihr, wird die eurige seyn, wenn es uns gefällt euch zu begnadigen und aufzunehmen?
Doch wohl die unterste, die mir sonst nicht sonderlich behagende Stelle eines Kundschafters.
Womit wünschet ihr euer Probestück zu machen?
Mit genauerer Erkundigung jener Sache, über welche vorhin, und wie ich meynte, falsch gesprochen wurde.
Jüngling, eure Erklärungen sind freymüthig und zeugen von einem edeln und hohen Geiste. Wer seyd ihr?
[363] Ich nannte mich und – – doch das Uebrige zu melden wär zu weitläuftig, genug ich ward aufgenommen, meine Lippen wurden versiegelt, wie man hier die Beeidigung zur Theilnahme an den Geheimnissen der Gerechtigkeit nennt, und ich sahe mich auf einmahl das Mitglied eines großen Bundes, von dessen Existenz ich zuvor nie gehört hatte. Ich, der vorher in der größten Einsamkeit und Absonderung lebte, befand mich schnell in genauer Verbindung, wie ich meynte, mit dem halben Menschengeschlecht. Ich, der vorher niemand zu gehorchen hatte als einem Vater, bekam hier Oberherrn die ich zum Theil nicht einmahl kannte, und die so unumschränkt über mich herrschten, daß sie sich erkühnen durften, mich auf gewisse Art von der kindlichen Pflicht loszuzählen; wie ihr denn wohl denken könnt, daß mein Vater von den Vorgängen dieser Nacht und allem, was davon abhing, nichts erfahren durfte. Ich hing an diesem theuren Vater mit so gränzenloser Liebe und Vertrauen, daß ich glaubte, diese einige Klausul hätte mich von dem großen Bunde abwendig machen können, wenn ich sie vorher gewußt hätte. Nun waren die fürchterlichen Eide geschworen, und ich konnte nicht mehr zurück.
Der Herzog von Sachsen, Herzog Bernhards Vater, der damahliche Stuhlherr der heimlichen [364] Gerichte, eben der Richter, dessen Weisheit mich in jener Nacht zu so viel Bewunderung, sein herrliches Ansehen zu so viel Ehrfurcht hinriß, nahm es selbst über sich, mich in der Verlegenheit zu beruhigen in welcher er mich sahe. Mein Sohn, sagte er mit der herablassendsten Güte, der Gehorsam, den du deinem Vater schuldig bist, wird nie mit dem, welchen du mir geschworen hast, streiten. Erfülle deine Pflichten treu, und du wirst einen gnädigen Herrn an mir haben.
Den hatte ich auch an ihm, aber einen desto ungnädigern an dem Herzog von ***, der dem Herzog von Sachsen, hier der nächste in der Hoheit, und allezeit bedürfenden Falls sein Stellvertreter ist. Der Herzog von ***, hatte vom Anfang meiner Erscheinung im grossen Kreise einen sonderbaren Haß auf mich geworfen, der sich auf meine kühne Misbilligung jenes gesprochenen, von ihm eingeleiteten Urtheils, gründen mochte, und durch meine glückliche Durchsetzung der Sache unversöhnlich ward. Ich habe Ursach ihn für eins der vornehmsten Werkzeuge zu halten, welche mein ganzes unglückliches Leben hindurch, zu meinem Verderben, thätig waren.
Ich hatte, wie ich vorhin weitläuftig erzehlte, meinen ersten Eintritt in die geheimnißvolle [365] Verbindung durch kühnen Widerspruch eines gesprochenen Urtheils gemacht. Ein solcher Widerspruch, er mochte von geweihten oder ungeweihten Lippen kommen, durfte, wenn der Angeklagte sich nicht selbst schuldig gab, in den damahligen Zeiten nicht zurück gewiesen werden, und hätte das Richtschwerd schon über seinem Kopfe geschwebt; genauere Untersuchung folgte demselben, Untersuchung, bey welcher der, welcher den Einspruch that, allemal die Hauptrolle spielen mußte. Nachdem sie denn ausfiel, hatten entweder der Beklagte und der Vertheidiger ihr Leben gerettet, oder – beyde mußten sterben.
So hatte ich mich also, ohne es zu wissen, in einen gefährlichen Handel verstrickt; er betraf eine Person, die ich nicht kannte. Der Herzog *** wollte sie getödet haben, und hatte alle Wahrscheinlichkeit der Schuld wider sie zusammen zu bringen gewußt, nurich hatte eine Lücke in den geführten Beweisen entdeckt; hatte dawider geschrieen; alles war so gegangen, wie ich eben gemeldet habe, und nun sollte ich meines Klienten Unschuld beweisen oder sterben. Ich forderte von meinem Vater Urlaub auf einige Wochen zu einer Jagd, in entfernten Gegenden; ich that die erste Reise in Geschäften des Bundes; ich war glücklich [366] in meinen Ausspähungen; was ich erweisen wollte, war erwiesen, der Beklagte war gerettet, der Herzog von Sachsen lobte mich, und der Herzog von ** – schwur mir ewigen Haß.
Ich erhielt mehrere Aufträge, und ich konnte sicher seyn, daß, wo es von dem Herzog von ** abhing, allemal das schwerste auf meinen Antheil fiel. Da es mir nicht an Treue, Vorsicht und Muth fehlte, so war ich immer glücklich, ihm zum Trotz, und brachte beynahe die Unmöglichkeit zu Stande. Einst als es darauf ankam, gewisse lang verlorene Urkunden ausfündig zu machen, die sich noch von Karl des Grossen Zeiten herschrieben und an welchen sehr viel gelegen war, gelang mir die Sache so schnell, so vollkommen nach dem Willen meiner Obern, daß ich vom Herzog von Sachsen die Erlaubniß zu einer freyen Bitte erhielt, an deren Gewährung ihm, wie er sich ausdrückte, nichts als die Unmöglichkeit hindern sollte. Sorge dafür, Adolf, rufte mir der edle Fürst noch nach, als ich Bedenkzeit forderte, daß deine Forderung nicht klein sey, denn mich dünkt, wir sind dir viel schuldig.
Ich entfernte mich, und wußte wohl was ich bitten wollte. Ich war fast zwanzig Jahr, und das Versprechen meines Vaters, mich wehrhaft machen zu lassen, war wegen häuslicher [367] Umstände noch immer unerfüllt geblieben. Ich nahm mir vor, den Herzog von Sachsen um das Ritterschwerdt, und um Dienste bey seinem Heer zu bitten; eine Forderung, die mich mächtig groß dünkte, und die doch bald von einer andern verdrängt werden sollte, an deren Höhe damals alle meine Wünsche noch nicht reichten.
Meine öftere, und lange Abwesenheit aus dem Hause meines Vaters war niemand befremdend gewesen; man war dergleichen schon von meinen ersten Jünglingsjahren her gewohnt. Nur Konrad von Remen, der Vater meines Freundes des jungen Evert von Remen, schüttelte zuweilen den Kopf, und schien Gedanken zu haben, die er sich nicht zu entdecken getraute.
Da meiner Geschäfte in meinem verborgenen Amte immer mehr wurden, so weiß ich nicht wie ich länger das beschworne Geheimniß hätte behaupten wollen. Daß es mit mir eine ausserordentliche Bewandniß hatte, würde man endlich gemerkt haben; die, welche das Recht dazu hatten, hätten mich befragt, und ich hätte antworten müssen; ich sann schon auf tausend Ausflüchte, welche meinem an Aufrichtigkeit gewöhnten Herzen schwer zu behaupten gewesen [368] seyn würden, aber das Schicksal überhob mich der traurigen Nothwendigkeit meinen Vater täuschen zu müssen, indem es mir jenen Streich versetzte, welchen ich den Anfang aller meiner Leiden nennen muß.
Eine tödliche Krankheit warf meinen besten Freund, meinen theuren Vater darnieder; es kam bald dahin, daß er ohne Hoffnung lag, und ich, meine Schwester und unsere Freunde, die von Remen, trostlos an seinem Lager weinten. Wenig Stunden vor seinem Tode, verlangte er mit mir allein zu seyn, und wandte sich mit folgender Rede an mich, deren ich mich noch fast wörtlich erinnern werde.
»Mein Sohn, sagte er, ich kann und darf die Welt nicht verlassen, ohne ein Familiengeheimniß in deinem Busen niederzulegen, das auch mir mein Vater sterbend anvertraute. Mir ist es von keinem Nutzen gewesen, dagegen hat es meine Seele mit einem unruhigen Streben, nach einem unerreichbaren Gute erfüllt, welches mein Leben verbitterte, und vielleicht meinen Tod früher herbeyrief, als er sonst gekommen seyn würde. Wüßte ich, daß dieses auch dein Loos seyn würde, ich würde den Eid verwünschen, der mich nöthigt zu reden, wo ich gern schweigen möchte. Wisse, du bist nicht der [369] namen- und anspruchlose Jüngling, für den du dich hältst; du stammst aus dem Hause der Grafen von ***. Die Güter und Titel dieses Hauses, in welche sich jetzt die Bischöffe von Bremen und Münster nebst andern getheilt haben, sind dein; man entriß sie deinen Vätern, und brachte uns fast bis zur Niedrigkeit des bürgerlichen Standes herab. Mein Vater, der erste, auf welchen dieses traurige Loos ganz fiel, fand Sicherheit und Ruhe in der Verbergung seines grossen Namens, doch wollte er nicht eher sterben, bis er mir unsere Ansprüche und die Mittel sie geltend zu machen, entdeckt hatte. Er beschwur mich, mich dieser Mittel als der einigen würksamen, die er selbst nur aus Furchtsamkeit versäumt hatte, zu bedienen, oder sie wenigstens seinen Enkeln zu empfehlen, welche vielleicht besser Glück haben möchten als ihre Väter.«
Fast athemlos vor Erstaunen kniete ich an dem Bette meines Vaters; mein Herz, das von je her nach Grösse dürstete, fühlte ein Entzücken über diese Entdeckung, welches die traurigen Umstände, die dieselbe begleiteten, nicht ganz tilgen konnten. Wie? rief ich, wie mein Vater? ihr seyd Graf von ***, und dieses muß ich in diesen betrübten Augenblicken zuerst erfahren?
[370]Unglücklicher Jüngling! erwiederte er, die Sucht nach Ehre muß dein ganzes Herz besessen haben; wie könntest du sonst jetzt auf die Entdeckung deiner Herkunft einen so hohen Werth legen! Jetzt, da die Nichtigkeit aller irdischen Dinge dir in meinem Bilde so lebhaft vor Augen liegt.
Ich erröthete über den Verweis, den ich so wohl verdient hatte, ich fühlte die Wahrheit in den Worten meines Vaters, und doch konnte ich mich nicht enthalten, begierig nach den Wegen zu fragen, auf welchen sich das verlorne wieder erlangen ließ.
»Die Wege, die ich gegangen hin, antwortete er, führten mich irre; ich suchte Gerechtigkeit an den Thronen der Fürsten, und fand sie nicht; es giebt noch einen Thron, vor welchem ich wie dein Großvater mir sagte, unausbleibliche Hülfe gefunden haben würde, aber er scheute sich, vor denselben zu treten, ich fühlte die nehmliche Abneigung und ich hoffe, du wirst mit deinen Vätern übereindenken, wenn du das Ganze übersehen kannst. Es giebt im deutschen Reiche eine heimliche Macht, welche dem Unrecht zu steuern, den Bedrückten zum Recht zu helfen weiß, wenn man ihre Hülfe gehörig sucht.«
[371] Und warum suchtet ihr sie nicht? rief ich mit Eil, indem mein ganzes Gesicht glühte, denn ich verstand vollkommen, welche Macht er meynte.
Sie sind furchtbar, jene Unbekannten, sagte mein Vater mit schwacher Stimme, ich kann dir nicht rathen, dich an sie zu wenden. Forsche, was das gemeine Gerücht von ihnen sagt, und glaube mir, daß es gefährlich ist, mit ihnen in Verbindung zu treten!
Gott! mein Vater! was habt ihr wider die heimlichen Richter? ist nicht der Herzog von Sachsen ihr Oberhaupt?
Der Herzog von Sachsen ist gut, aber was sagst du zu dem Herzog von **, seinem Stellvertreter? Dergleichen Männer gab es auch zu deines Großvaters Zeiten im heimlichen Gericht; sie müssen bey der fast gränzenlosen Macht zu schaden, der Unschuld, die an ihrem Throne fleht, immer fürchterlich seyn.
Ich wollte meinem Vater Einwürfe machen, welche mehr von meinen Geheimnissen verrathen haben würden, als ich wollte; aber es war hier keine Zeit zu weitläuftigen Erörterungen; das viele Sprechen hatte meinem Vater eine Ohnmacht zugezogen, aus welcher er sich nur erholte, mir gewisse Documente über unsere Ansprüche anzuweisen, und denn in meinen Armen zu sterben.
[372] Wer mißt meinen Schmerz, als ich denjenigen tod vor mir sah, welcher nun erst ein glückliches Leben hätte führen können? Warum erfuhr ich diese Dinge nicht eher! Mein Vater hatte sich lange traurige Jahre um eine Sache gequält, die ich ihm nun mit einem Worte hätte erlangen können. Ich wußte, daß ich sei nen Namen nun vor unserm Gericht nennen, seine Ansprüche nur beweisen durfte, so mußten alle Hindernisse, mit welchen er Zeitlebens gekämpft hatte, weichen. Denn ich, ein Einverleibter des großen Bundes, wußte die kürzesten und leichtesten Mittel, zum Zweck zu gelangen, ich vermochte vielleicht noch mehr, als irgend ein anderer, durch die Gewogenheit mit welcher mich der Herzog von Sachsen, und sein Sohn, der junge Bernhard, sein Nachfolgen in der höchsten Würde des heimlichen Gerichts beehrten, durch die treuen nicht unbeträchtlichen Dienste, welche ich bereits meinen Obern in einige Jahren geleistet, und durch die Vergunst zu einer freyen Bitte, welche ich zum Lohn für mein Wohlverhalten erlangt hatte.
Ich war außer mir! ich schlug mich vor die Stirn, und schrie tausendmal: warum wollte er, und warum durfte ich nicht reden? – O der unglücklichen Vorurtheile! – O zu spät, zu spät kommt alles Glück, da ich es nun nicht [373] mehr mit dem theilen kann, der mir auf der Welt der liebste war! O Vater! welch Entzücken, dich die letzten Jahre deines Lebens noch in dem Glanz und der Größe zubringen zu sehen, die dir zukam! das alles soll ich nun allein genießen? ach schämen, schämen werde ich mich des Ranges, der meiner wartet, da du in Dunkelheit und Armuth leben und sterben mußtest!
So wüthete ich fort, meine Freunde mußten aus meinem Bezeugen glauben, daß ich den Verstand verlohren hätte, und dieser Wahn bestättigte sich, da ich den Verstorbenen auf eine Art beerdigen ließ, die ganz seinem wahren, nicht seinem vermeynten Stande gemäß war; fast alles was ich besaß, wurde daran gewendet, seinem Leichnam eine Begräbnißstelle im benachbarten Kloster unter den Fürsten, die es gestiftet hatten, zu erkaufen.
Ich hatte in den nachgelassenen Schriften indessen noch einiges gefunden, welches mir Bedenklichkeiten erregte, ob mein Gesuch bey unsern Richtern so ganz gewiß glücken würde, als ich im ersten Feuer wähnte; der Haß des Herzogs von ** und seine große Macht schreckte mich, das Urtheil über ihn, und einige andere Mitglieder des geheimen Bundes, das ich in meines Vaters Schriften gelesen hatte, war richtig; [374] ich warf die Frage auf, die er aufgeworfen hatte. Warum werden solche Leute im Bunde der Heiligen geduldet, und fand das, was er von den Gefahren mit der Gesellschaft der Unbegreiflichen in Verbindung zu stehen, fast auf jedem Blatt äußerte, das er über diesen Gegenstand geschrieben hatte, so wichtig, daß mich ein heimlicher Schauer anwandelte; vielleicht Ahndung dessen, was mir in der Zukunft begegnen sollte.
Meine Reise zu dem sogenannten Thron der Unfehlbarkeit war indessen beschlossen; ich empfahl meine Schwester der Sorgfalt der Frau von Remen, nicht ganz gewiß, auf was für Art ich wiederkehren würde.
Wie ich meine Sache anbrachte, welche Verwunderung sie erregte, wie sie aufgenommen ward, welche Hindernisse mir in den Weg gelegt wurden, und auf was Art ich meinen Feinden zum Trotz dennoch siegte, dies sind Dinge, welche nicht hieher gehören, und die dem, der unsere Geheimnisse nicht kennt, größtentheils unverständlich seyn würden. Genug, der große Urtheilsspruch geschahe zu meinem Besten, und hatte die Folgen, die sich bey der großen Macht meiner Beschützer denken lassen. Es half den Besitzern meiner Güter nicht, daß sie Freunde und Verwandten in unserm Kreise [375] hatten, es half dem Erzbischof von Bremen nichts, daß er der Bruder des Herzogs von ** war, und ich kehrte als allgemein anerkannter Erbe der Grafen von ***, als rechtmäßiger, festbestättigter Eigner all ihrer Titel und Güter zu den Meinigen zurück. Man denke sich das Erstaunen, das diese Erscheinung bey einigen, und die Freude, die sie bey andern erregte!
Unter all meinen Freunden war keiner, der sich über meine erlangte Größe weniger freute, als Evert von Remen; meine Schwester Alverde ward ihm bereits in ihrer Kindheit zur Gemahlin versprochen. Diese Vermählung würde in ihrem ehemaligen Stande ein glänzendes Glück für sie gewesen seyn, und in ihrem gegenwärtigen mußte Evert nun zweifeln, ob er seine Augen zu ihr erheben dürfe. Ich liebte Evert von Remen, und suchte ihn bald hierüber zu beruhigen; er war ein edler Jüngling, nicht allein dem Charakter, sondern auch der Geburt nach, und ich war jetzt in einem Stande, der mir es möglich machte, ihn höher zu heben, und sein Glück ganz den Ansprüchen meiner Schwester gemäß zu machen.
Ein Unglück für ihn, – (ach sollte ich nicht sagen ein weit größeres für mich?) – war es, daß unsere Charaktere nicht ganz zusammen paßten; er war sanft, ich feurig, er [376] liebte, ungeachtet des unerschrockenen Muths und der tafern Faust, deren er sich rühmen konnte, die Ruhe; ich liebte kriegerische Thätigkeit, und hätte es gern gesehen, wenn der Urtheilsspruch der heimlichen Richter mir etwas mehr Arbeit für mein Schwerd übergelassen hätte. Evert hatte einen entschiedenen Abscheu vor allen Geheimnissen, und ich hatte nur gar zu viel, das ich vor ihm verbergen mußte. Er predigte mir täglich, daß unter Freunden, wie wir, keine Zurückhaltung statt haben dürfe. Er war klug genug, manches Verborgene bey mir zu ahnden. Er forschte, wo er nicht hätte forschen sollen, schlich mir nach, wo ich allein seyn wollte und mußte, verfocht Dinge gegen mich, die er nicht verstand, leugnete andere, die ich besser wußte, ohne ihn überführen zu dürfen, und so war die Fehde zwischen uns erklärt; tausendfache Zwistigkeiten entsponnen sich, und ob wir uns gleich immer wieder versöhnt in die Arme schlossen, ob wir uns gleich am Ende betheuerten, es sey Thorheit für solche Freunde, wie wir sich zu entzweyen, und uns zuschwuren, jede Ursach zu neuem Streit von beyden Seiten zu vermeiden, so war doch der Grund unserer Freundschaft schon insgeheim untergraben, und es brauchte nur Veranlassung von aussen, uns völlig zu trennen.
[377] Mein neuer Stand, und der Rang, den ich als Graf von *** im Reiche der Unsichtbaren behauptete, zog viel neue Verbindungen nach sich. Freunde und Feinde wurden theils, durch Geschäfte zu meinem genauern Umgang geführt, theils hielten sie es aus bösen und aus guten Absichten für dienlich, sich zu mir zu drängen; die, welche ich bereits als meine Feinde kannte, den Herzog von ** und seinen Anhang wußte ich zu meiden, in Ansehung der andern wurde ich freylich, wie meistens der Fall ist, durch Zufall und Vorurtheil geleitet. Ich wählte mir unter dem ganzen Haufen, der mich umgab, zwey Freunde, die in der Folge den größten Einfluß auf mein Schicksal hatten; der eine ließ sich von mir suchen, es war der edle Pfalzgraf Otto von Wittelsbach, ein junger Mann, der erst seit kurzer Zeit in unsern Bund getreten war; der andre drängte sich mühsam zu meiner Freundschaft, und wußte sie durch seine ganz eigene Gabe zum Gefallen ganz an sich zu reißen; sein Name war Peter von Kalatin, der Unglückliche, welcher in der Folge von meinem Schwerde fallen mußte, ein Mann, von dem ich heute noch nicht genau weiß, ob seine Farbe schwarz oder weiß war, denn sobald tausend Wahrscheinlichkeiten aufstiegen, mir ihn als einen Verräther zu zeigen, so erhebt sich im [378] innersten meiner Seele eine Stimme: Er war dein Freund, und du hast ihn ermordet! Alle Bemühungen meines Herzens, ihn zum Verbrecher zu machen, sind Tücke, die nur zu Verminderung deiner eigenen Schuld abzielen! – O Gewissen, Gewissen wird deine Geißel nimmer ruhen? muß dein Geschrey jedes Mittel vernichten, das ich zu meiner Beruhigung ersann?
Laßt mich fortfahren. Laßt mich umständlicher von diesem Peter von Kalatin reden. Außer seinem einnehmenden Aeußerlichen, außer seiner wunderbaren Kunst sich gefällig zu machen, war noch etwas, das mich zu seinem Freunde machte, ich glaubte Großmuth in seinem Betragen gegen mich zu entdecken. Peter Kalatin stand schon auf einer sehr hohen Stufe im Rath der heimlichen Richter, da ich erst zu den untersten Graden eingeweiht wurde, schon damals hatte er mir keine Ursach zur Klage gegeben, so oft ich auch in Geschäften mit ihm zusammentraf; er war herablassender und gütiger gegen mich gewesen, als irgend einer von den Obern, und jetzt, da mich das Glück und mein entdeckter Stand emporhob, da es mich ihn und tausend andere überspringen machte, da ich auf einer Höhe stund, die er nie zu erreichen hoffen konnte, jetzt entdeckte ich dennoch nicht eine Spur, von der Mißgunst, von der [379] scheuen Zurückhaltung an ihm, die ich wohl an Höhern als er, die ich selbst an dem Herzog von ** wahrgenommen hatte. Er blieb gegen mich immer der nehmliche nur daß das, was zuvor Freundlichkeit gegen einen Geringen war, sich jetzt in Freundschaft verwandelte; diese Erscheinung, deren Seltenheit mich die Erfahrung beurtheilen lehrte, nahm mich für ihn ein, ich ward zuerst sein Freund, blos weil ich ihn weniger bös als andere fand, bis er sich mein Herz durch wahre oder erkünstelte Tugendproben noch mehr zu eigen machte.
Als Kalatin merkte, wie fest er in meinem Herzen saß, ließ er mich auch einen tiefern Blick in das seinige thun; er verheelte mir nicht, daß er meine Schwester liebte, und sich Hoffnung auf ihren Besitz machte; eine Entdeckung, die mir nicht allerdings behagte. Stolz war meine herrschende Leidenschaft; so werth mir auch Kalatin war, so dünkte mich doch sein Stand gegen den meinigen zu gering. Nur um eines Everts von Remen willen hätte ich meiner Schwester erlauben können, durch Heyrath eine Stufe herabzusteigen. Evert von Remen, mein alter Jugendfreund, hatte die Liebe meinen Schwester, hatte das Versprechen meines Vaters; Dinge, welche bey Kalatin hinwegfielen, und deren Mangel ihn eine abschlägliche Antwort [380] finden ließ, bey welcher mir doch des jungen von Remen frühere Ansprüche zum Vorwand dienen mußten.
Ich weiß nicht, ob Kalatin den Grund meiner Weigerung ganz durchschaute; er schien wenigstens damals Everten für die Haupthinderniß seines Glücks zu halten, und sparte keine Kunst, sie hinweg zu räumen. Sehr künstlich mußte er in seinen feindseligen Verfahren gegen seinen Nebenbuhler zu Werke gehen, da ich nicht gewahr wurde, daß er es war, welcher meinen alten Jugendfreund meinem Herzen nach und nach zu verleiden wußte, da ich erst lang hintennach Spuren seiner Machinationen zu unserer Entzweyung zu entdecken glaubte, und daher Zweifel in seine Redlichkeit schöpfte, welchen noch mehrere Umstände an die Seite traten.
Damals war ich noch ganz zu seinem Vortheil eingenommen; daß der Umgang Everts von Remen mir immer gleichgültiger, endlich gar lästig wurde, dieses schrieb ich weniger Kalatins witzigen Ausfällen auf ihn, als der Vergleichung zu, die ich zuweilen zwischen diesen meinen beyden Freunden in der Stille machte, und bey welcher Evert unglaublich im Schatten stand. Wie konnte sich dieser schlechte geradsinnige Deutsche mit dem glattzüngigen Hofmann, Kalatin, messen! wie fein und einschmeichelnd war jedes[381] Wort, jede Handlung des letzten, wie steif und störrig betrug sich der erste, besonders seit er es ahndete, daß mein Herz sich allmälig von ihm losriß! Wie zudringlich war Evert in seinem Nachforschen, wie entscheidend, oft beleidigend in seinen Urtheilen! Er hatte sich nach meinen Gedanken ganz geändert; er war sonst so sanft und nachgebend, wie war er auf einmal so eigenwillig geworden? Ich erstaunte über die Veränderung, an welcher eigentlich nur ich selbst schuld war, und bedachte nicht, daß Vernachlässigung diese Erscheinung bey den besten Seelen am ersten hervorbringen kann.
Meine Schwester führte über unsern alten Freund die nehmlichen Klagen; Kalatin affektirte seine Partie zu nehmen, aber er that dieses auf eine so feine Art, welche nur ihm selbst zum Besten, seinem seyn sollenden Klienten zum größten Nachtheil gereichte. Allgemach kamen verdeckte Anspielungen zum Vorschein, daß ich ja weder durch Eid noch Pflicht an den Herrn von Remen gebunden sey, und meiner Schwester leicht wo ein besseres Glück lachen könne, besonders wenn ich sie nach Hofe brächte, welches ohnedem jetzt, da sie mehr heranwüchse, unumgänglich geschehen müßte.
Ich weiß nicht, was Kalatin darunter suchen mußte, mich aus meinem Vaterlande zu [382] entfernen; er brachte die Nothwendigkeit einer solchen Reise unaufhörlich auf die Bahn, bald war es die Einführung meiner Schwester in die Welt, die seinem Vorgeben nach, dieselbe erforderte, bald wußte er andere Ursachen anzuführen. Ich gab ihm hierin wenig Gehör. Ihr wißt, Herr von Kalatin, sagte ich oft, daß ich nicht von mir selbst abhänge; von einer Reise aus meinen Landen, müßte der Herzog von Sachsen unausbleibliche Kundschaft haben, und ich zweifle, daß er sie billigen würde, da er weiß, daß meine Gegenwart hier nöthig ist, auch um meines eigenen Vortheils willen nöthig ist. Der Besitz einiger Jahre hat mich in meinen Rechten noch nicht so befestigt, daß nicht die ehemaligen eingedrungenen Eigner, daß nicht besonders der Erzbischof von Bremen mir Gefahr drohen sollte, wenn ich mich jetzt entfernte.
Kalatin wußte nichts auf meine Einwürfe zu sagen, und schwieg. Er ließ dem Anschein nach alles gehen, wie es ging, und lebte friedlich in meinem Hause, das ich ihn gebeten hatte als das seinige anzusehen. Ununterbrochener Umgang, der sonst oft den liebenswürdigsten Personen nachtheilig ist, gereichte ihm nur zu Erhöhung seines Werths in meinen Augen; seine mir mißfällige Leidenschaft für Alverden, schien er so ganz besiegt zu haben, daß er mit [383] mir oft von anderweitigen Verbindungen sprach, die er im Sinne habe, und in Summa, ich habe all diese Zeit über nichts verdächtiges an ihm entdeckt, als einen fleissigen Briefwechsel nach Rom und mit dem Herzog von **; Dinge, wegen welchen er sich sehr gut zu rechtfertigen wußte.
Als wir eines Tages von seinem Entschluß sprachen, sich eine Gemahlinn unter den Töchtern unsers Vaterlands zu wählen, und ich ihm scherzend verschiedene Damen vorschlug, fragte er mich mit einem scharfen Blick, ob ich nie geliebt habe?
Nie, Kalatin! mein Umgang mit den Frauen, war von je her gering, und deren, die ich meiner Wahl vollkommen würdig halten könnte, sah ich noch nie eine.
Und was für Vorzüge werden wohl bey einer künftigen Gräfinn von *** erfordert?
Außer denen, welche jeder Mann sich an einer Lebensgefärthin wünscht, noch Rang und hohe Geburt; ich wünsche bey meiner Wahl die Augen ehe über mich als zur Seite oder unter mich zu richten. Ich finde unter meinen Eltermüttern mehr Prinzessinnen als bloße Edelfräuleins; will ich den Glanz meines Hauses wieder herstellen, so muß ich wählen wie meine Ahnen wählten.
[384] Ihr habt recht, Herr Graf, aber wie wollt ihr solche Damen kennen lernen, die eurer Hand würdig sind, wenn ihr euer Land nie verlasset?
Ich bin noch nicht veraltet, Kalatin, erwiederte ich mit Lachen, was ich heute noch nicht sah, kann ich in zehn Jahren Zeit genug erblicken, indessen wird noch manche schöne Blume für mich lieblich heranblühen!
Und manche gebrochen werden oder welken, versetzte er, welche vielleicht der Himmel eben für euch bestimmte. Europa ist jetzt reich an schönen Fürstinnen, deren ihr auf diese Art nicht eine in voller Blüthe sehen würdet, wenn euer Diener Kalatin und ein freundlicher Maler eurer Bequemlichkeit nicht etwa zu Hülfe käm, und euch das vor Augen brächte, das euch aufzusuchen zu beschwerlich dünkt.
Wie Kalatin? ihr besitzt ein Bilderkabinet von allen jetzt lebenden fürstlichen Schönheiten?
Bey weiten nicht von allen, doch kann ich mich rühmen die treusten Kopien von fünf unsrer schönsten Prinzessinnen zu haben, die ich nur herüber bringen lassen darf, um sie euch zu zeigen.
Wer fühlt nicht Neugier, das größte Meisterstück der Schöpfung, ein schönes Weib zu sehen, sollte es auch nur im Bilde seyn! Ich [385] fand großes Behagen an dem Einfall meines Freundes, und dieses um so viel mehr, da sich doch der Gedanke in meinem Innersten zu regen begunnte, ob ich nicht unter den versprochenen Gemälden vielleicht diejenige finden könnte, die mich die Liebe kennen lehren sollte.
Der köstliche Transport ward mit Ungeduld erwartet, das Kistgen, welches die gewünschten Schätze enthielt, in ein einsames Gartenkabinet getragen, und so begierig eröfnet, als sich von einem jungen Manne, der sein fünf und zwanzigstes Jahr noch nicht geendigt hatte, und der jetzt den Gegenstand seiner Phantasien zu sehen hofte, und von seinem dienstfertigen Freunde erwarten ließ.
Macht euch gefaßt, sagte Kalatin, indem er die Hüllen der Kunstwerke des Malers nach und nach hinweg räumte, macht euch gefaßt, hier das schönste und erhabenste zu sehen, was unsere Zeiten an weiblichen Reitzen aufzuweisen haben; ich werde euren Augen die drey Töchter Kaiser Philipps, die man gemeiniglich nur die drey Heldinnen nennt, die Prinzessin Adila von Pohlen und die schöne Alix von Toulouse vorstellen, wählet nun, und bedenket, daß kein Fürst euch seine Tochter versagen wird.
Ich antwortete Kalatin nicht, denn ich war ganz im Anschauen dessen verloren, was [386] sich nun vor meinen Augen enthüllte. Ich sahe die blühende Adila, König Premislaus Tochter, ich sahe die majestätische Elise, die zauberische Kunigunde, welche mir wegen des verbuhlten Blickes, so schön sie auch war, unter allen am wenigsten gefiel, und die junge Beatrix, schön und im ersten Aufblühen, wie die Göttin der Jugend, und lachend wie die Göttinn der Freude; dieselbe sahe ich, aber wie soll ich den Sinn nennen, der mir das Bild der himmlischen Gräfinn von Toulouse vorstellte! Ich sahe ihre Reitze nicht, ich fühlte sie tief im Herzen. Alle Bewunderung, alles staunende Entzücken, das die andern Schönheiten in mir erregt hatten, verschwand bey den Gefühlen, die mir der Anblick dieser Ueberirdischen einflößte. – O Gott! wenn ich mir sie ins Gedächtniß zurück rufe, wie ich sie damahls im Bilde, wie viel herrlicher ich sie in der Folge, in Person sah, so ists als ob ein himmlisches Licht meinen Kerker durchstrahlte! – O Alix, Alix! auch um deinetwillen trage ich diese Ketten, wohin hat mich Liebe und Gram um dich geschleudert! Du bist bey Gott! lange konntest du nicht von deinem Vaterland, dem Himmel, getrennt bleiben! Die unschuldvolle Engelsmine, das unaussprechliche Lächeln einer vollendeten Seeligen, [387] der überirrdische Blick der himmlischen Augen, jeder Theil des ganzen Alls, das mich so bezauberte, hätte mir ja sagen sollen, daß ich in dir einen Gegenstand anbetete, der gar nicht für die Liebe eines Sterblichen bestimmt war. Ach daran dachte ich nicht, als ich deine Reitze zuerst erblickte! ich schaute und konnte deines Anblicks nicht satt werden, bis der Eindruck unaustilgbar ward, vor dessen Gefahren mich niemand warnte.
Ach wer hätte mich warnen sollen! vielleicht Kalatin! war ers nicht, der mich mit diesen Zauberbildern in irgend eine unglückliche Leidenschaft zu verstricken suchte? – Sonderbar war es mit alledem, erst lang nachher in der Zukunft habe ich mirs überdacht, und daraus neuen Verdacht wider Kalatins Redlichkeit geschöpft, sonderbar war es, daß er unter allen Prinzessinnen, deren es, wie er selbst sagte, damahls so viele von bewundernswürdiger Schönheit gab, keine einige Unversagte gewählt hatte, sie meinen Augen vorzustellen. Unter diesen fünfen hätte meine Wahl fallen mögen, auf welche sie gewollt hätte, so wär ich unglücklich gewesen. Adila liebte Herzog Bernharden von Sachsen, Elise war an Otto von Wittelsbach versprochen, Kunigunde an Graf Richarden von Segni schon vermählt, Beatrix dem Herzog von [388] Braunschweig bestimmt, und Alix, ach meine göttliche ewig unvergeßliche Alix, versprochene Königinn von Kastilien; Dinge, welche ihm, dem alleswissenden Hofmann, nicht unbekannt waren, wovon aber ich in meiner Einsamkeit freylich kein Wort gehört hatte. Briefe von dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, die ich fleissig von Hofe erhielt, hätten mich wohl über diese Dinge benachrichtigen können; aber sie waren größtentheils in der romanischen Sprache geschrieben, die ich nicht sonderlich verstand, und bey welcher ich mich allemahl Kalatins Hülfe bedienen mußte; der mir ja, wenn er einmahl ein Verräther seyn wollte, verdeutschen konnte, was er selbst wollte, und was in seine Plane taugte.
O Kalatins Schatten! verzeihe, wenn ich dir unrecht thue, ich sehe freylich nicht ein, was dir es gefrommt haben würde, mich gutwillig in unmögliche Liebe zu verstricken, gleichwohl aber ist die Lage der Sachen so, daß ich diesen Verdacht fassen muß, den ich freylich damals nicht kannte. Einmahl ist so viel gewiß, daß du mich auf einen Pfad stelltest, wo ich unter fünf Wegen wählen konnte, welchen ich wollte, mit der Gewißheit, auf jedem, nur auf verschiedene Art, unglücklich zu werden.
[389] Aber mußte ich mich denn fangen lassen? Konnte ich nicht bey allen Reizen, die mir aufgestellt wurden, kalt und unempfindlich bleiben? – Doch, um mein Herz zu stählen, hätte ich Verrath ahnden müssen; auch hatte Kalatin Sorge getragen, mich all die Zeit über, da ich in Erwartung seiner Zauberbilder lebte, auf eine Art zu unterhalten, die mein junges unerfahrnes Herz jedem Eindruck der heftigsten Leidenschaft öfnen mußte.
Ihr seyd also gefangen, sagte Kalatin, als er mich im Anschauen meines geliebten Bilds ganz verloren sah, ihr seyd gefangen, und die schöne Alix von Toulouse hat die Ehre des Siegs. Viel Glück, Herr Graf! Nur bitte ich euch, nun nicht zu säumen, sondern euch eilig nach dem Orte aufzumachen, wo eure Göttinn lebt, denn ihr begreift wohl, daß Damen, wie sie, nicht lange für den Liebhaber aufgehoben werden möchten, und daß ihr schnell zugreifen müßt, wenn ihr euch ihres Besitzes bemächtigen wollt.
Ich fühlte die Nothwendigkeit dessen, was mir Kalatin anrieth, nur gar zu gut, die Reise nach Frankreich ward von nun an der Gegenstand all meiner Gespräche mit ihm; aber wie sie ohne Versäumniß nöthiger Pflichten möglich gemacht werden sollte, das blieb immer unentschieden, [390] bis ein Befehl von den Obern unsers Bundes, meine Lande zu verlassen und mich unter verstelltem Namen nach Pamiers zu begeben, alles entschied. Gelegner hätte mir wohl kein Auftrag kommen können, ich ergriff ihn mit beyden Händen, und bemerkte nicht, was ich mir wohl nachher bedachte, daß an Form und Art ihn zu erhalten, manches zu finden war, das mir ihn hätte verdächtig machen können. Genug, ich wußte, daß die Vornehmsten von den Unsern sich um verborgener Ursachen willen insgeheim zu der großen Versammlung der Bischöffe begeben würden, die damahls zu Pamiers gehalten wurde, und ich fand es nicht unwahrscheinlich, weil ich es nicht unwahrscheinlich finden wollte, daß auch ich dazu berufen ward; überdieses dachte ich Herzog Bernharden von Sachsen daselbst zu finden, und über alles, was mich hätte befremden können, von ihm Aufklärung zu erhalten. Ach ich wußte nicht, daß dieser edle Fürst damahls krank lag, und den feindseeligen Herzog von ** als seinen Stellvertreter hatte nach Frankreich abgeben lassen müssen.
Meine Anstalten zur Reise wurden ernstlich. Liebe und Pflicht riefen mich, wie hätte ich säumen sollen! Ich dachte zuerst einen Besuch bey dem Grafen von Toulouse zu machen, seine schöne Schwester zu sehen und um sie zu [391] werben, (alles Dinge, welche mir Kalatin, der es doch besser wissen mußte, ausnehmend leicht machte,) und dann hofte ich noch übrige Zeit zu haben, mich bey der Versammlung zu Pamiers einzufinden, da von der Zeit, in welcher ich meine Herzensangelegenheiten zu endigen meynte, bis auf den von meinen Obern bestimmten Tag noch ein ganzer Monat zu rechnen war.
Meine Absicht war, meinem Freund von Remen, den ich immer noch schätzte, ob ich ihn gleich nicht mehr lieben konnte, die Hut meines Landes, und seiner edeln Mutter meine Schwester anzuvertrauen, die ohnedem fast beständig in ihrem Hause lebte. Plane, welche wohl für uns alle die sichersten gewesen seyn würden, aber sie standen Kalatin nicht an, er misbilligte sie, und wußte sie zu hintertreiben.
Ein Gewebe von Umständen zeigte sich, die mir die Treue meines Freundes, und selbst die Redlichkeit seiner Mutter verdächtig machen mußten, ich würde sagen, sie wären von Kalatin herbeygeführt worden, wenn er nur den geringsten Antheil daran zu haben geschienen hätte, und doch weis ich wiederum nicht, welche andere Hand, als die seinige, hier gewürkt haben könnte, da mir des unglücklichen Everts von Remen Unschuld in der Folge fast ganz erwiesen [392] und sein Nebenbuhler, Kalatin, immer verdächtiger ward.
Damahls war ich verblendet gegen die Schuld und die Unschuld des einen und des andern, ich sah nichts als die Unwiderleglichkeit des Schlusses, welchen Kalatin aus den Entdeckungen zog, die ich eben von der vermeinten Treulosigkeit derer von Remen gemacht zu haben glaubte.
Eure Schwester, Herr Graf, sagte er, ist an keinem Orte unsicherer, als im Hause derer von Remen, ihr dürft sie nicht in demselben zuzücklassen; auch diesen Abend muß sie in das Eurige abgefordert werden; ihr könnt sie euch nach Frankreich folgen lassen, ich selbst will ihr Begleiter seyn. Ihre Unterhandlung kann euch bey der Gräfinn von Toulouse sehr nöthig werden, sie lebt zu Lion in einem Kloster, wir wollen Alverden in eben dasselbe bringen, die schöne Alix lerne durch die Schwester den Bruder kennen, damit ihr Herz für euch eingenommen werde, ehe sie den Befehl erhält die eurige zu werden, und ihr Besitz nicht die Frucht des Gehorsams gegen ihre Anverwandten, nein, freywillige Ergebung, eigene Wahl sey.
So redete Kalatin, und Gott weis, ob er eines dieser Worte im Ernst und ohne Nebenabsichten sprach; mich hatten Liebe und Vorurtheil [393] verblendet, und ich glaubte ihm. – – Ich bedachte weder die Ungewißheit, auf welcher noch das Glück meiner Liebe beruhte, noch die Undankbarkeit gegen die von Remen, indem ich Alverden aus dem Hause zurückforderte, in welchem sie fast erzogen worden war, noch die schwankenden Beweise, welche mir gegen die Treue meiner alten Freunde beygebracht wurden, noch die Unschicklichkeit, meine Schwester einem Menschen anzuvertrauen, welcher sie ehemahls geliebt hatte. Jede Erwegung wurde von dem Vertrauen auf Kalatin und von den Anschlägen auf den Besitz der schönen Gräfinn von Toulouse verschlungen.
Ich that meiner Schwester einige vorläufige Anträge, welche zu Ausführung unserer Plane leiten sollten, ich ließ ihr das Bild der Gräfinn von Toulouse sehen, sagte ihr von der Nothwendigkeit, das Haus der Frau von Remen zu verlassen und mir zu folgen; aber ich fand mehr Einwendung bey dem jungen Mädchen, als ich vermuthet hatte. Ihr Herz war frey von Leidenschaft, ihr Verstand nicht von den Täuschungen der Liebe umnebelt, sie sahe also freylich heller, und urtheilte richtiger als ich. Sie mußte indessen nachgeben; sie erfuhr von unserm ganzen Plan und seinen Bewegungsgründen nur so viel ihr zu wissen nöthig war; man empfahl ihr Geheimhaltung, und ihre Bedenklichkeiten, welche [394] doch noch etwa überblieben, wurden durch die fast kindliche Ehrfurcht, welche sie gegen mich, ihren Bruder, hegte, und durch die Ueberzeugung gehoben: sie thue recht, wenn sie mir gehorche.
Noch jetzt weis ich nicht, wie ich – (angenommen, daß Kalatin ein Verräther war) – mich so von ihm konnte verblenden lassen. Alle meine Verfügungen, auch in Ansehung meiner Lande, wurden blos so getroffen, wie er es für gut hielt. Erst lang nachher habe ich erfahren, daß alles schon damals verloren gewesen wäre, wenn der redliche Evert von Remen sich an meine Einrichtungen gekehrt, und mir nicht wider Willen gedient hätte. – Der Erzbischoff von Bremen, welcher kaum meine Entfernung abwarten konnte, um einen Einfall in meine Lande zu thun, wurde blos durch Everts Klugheit und Tapferkeit zurück getrieben, indessen ich mich von seinem Feinde verleiten ließ, verrätherisch an ihm zu handeln, ihm die Treue zu brechen, und ihm seine Geliebte entführen zu lassen.
Meine Entfernung aus meinem Lande schien – so hat mich erst spätes Nachdenken gelehrt, – eine Sache zu seyn, auf welche man viel gebaut hatte; darf ich meinen Muthmassungen trauen, so trieb man sie durch Kalatin, [395] auf den immer all mein Verdacht zurück kehrt, blos darum so emsig, daß man mich meiner Besitzungen berauben, und sich, Gott weiß zu welchen Entzwecken, meiner Person bemächtigen möchte.
Von heimlichen Nachstellungen hatte ich Spur, ehe ich noch fünf Meilen von meinem Residenzschlosse war, ich entging allen Fallstricken, welche mir auf meiner Reise gelegt wurden, bald durch Behutsamkeit, bald durch mein gutes Schwerdt immer glücklich, bis mich endlich an den Gränzen von ***, übel verstandene Gutherzigkeit in die Stricke von Feinden fallen ließ, welche ich nicht kannte, und spät genug kennen lernte.
Es war einst gegen den Abend, als ich auf einem Scheidewege anlangte; ich war einsam, und der Gegend unkundig. Ein alter Mann saß am Wege und sprach mich um eine Gabe an. Guter Vater, sagte ich, indem ich ihm reichlich mittheilte, welcher Weg führt mich zu der besten Herberge? –
Der Rückweg, gestrenger Ritter, war die Antwort.
Wie das? fragte ich.
Ihr werdet wissen, wo ihr diese Nacht geruht habt, und ob euch daselbst wohl war; wo ihr ruhen werdet, und ob euch da wohl seyn wird, wißt ihr nicht!
[396] Ihr habt recht, Alter, und eben darum frage icheuch.
Ich weiß nur so viel, daß der enge Pfad dort unten, euch in den Wald führt, welchen Räuber unsicher machen, und daß jener, der euch zwar noch vor Mitternacht in die Stadt bringen würde, wenigstens für euch unsicher seyn möchte.
Warum für mich?
Ihr müßt Feinde haben, junger Ritter, ich sahe Gewappnete im Busche lauschen, die euren Namen nennten, und von euch, als einer freyen Beute, sprachen.
Meinen Namen? Wie kann euch dieser bekannt seyn?
Als ob euer Gesicht das Haus, aus welchen ihr entsprossen seyd, verleugnen könnte! Auch sahe ich, als ihr mir eure mehr als fürstliche Gabe reichtet, den Ring mit dem Wappen eurer Voreltern an eurer Rechten. Dreyßig Jahr habe ich unter eurem Grosvater theils in des Kaisers Kriegen, theils in seinen eigenen mit dem Bischoff von Bremen gedient, so wird mir doch sein Enkel kenntlich seyn? – Graf Raimund von *** war in euren Jahren ein Herr wie ihr! ich würde glauben, in die Zeit meiner Jugend zurück versetzt zu seyn, und ihn lebend vor mir zu sehen, wenn mich[397] nicht die Hinfälligkeit meines Körpers, diese zusammengeschrumpfte Haut und dies zerlumpte Kleid eines andern belehrten.
Wie? schrie ich, ihr dientet unter der Fahne meines Hauses, und alles was ihr in seinen Diensten erwarbt, war der Bettelstab?
Macht mir mein elendes Gewerbe nicht zum Vorwurf, ich treibe es nicht für mich, sondern für meine nach Brod wimmernden Enkel, die in mir ihren einigen Versorger sehn.
Gott! Gott! schrie ich, und das sollte ich wissen und nicht helfen? Nein, Alter, ich verlasse diese Gegend nicht, bis ich die Schuld meiner Voreltern bey euch abgetragen habe. Ich bin euch überdem mit eigner Schuld verhaftet; ihr waret mein Warner vor Gefahr, die mir nicht unwahrscheinlich dünkt, da ich auf meiner Reise Spuren genug von heimlichen Nachstellungen hatte.
Und was wollt ihr machen, Graf Adolph?
Mit euch gehen will ich, in der Hütte der Armuth übernachten, und sie beym Abschied in ein bequemes Haus verwandeln. Eure Kinder sollen die Meinigen seyn, ich will euch genug zu eurer und ihrer Verpflegung hinterlassen.
Ich bedaure Euch, sagte der Alte, indem er sich ziemlich munter an seinen Krücken in [398] die Höhe richtete, euer Nachtlager unter meinem Dach wird schlecht seyn, es schützt kaum mich und die Meinen vor Wind und Regen; doch kommt mit mir, besser mögt ihr euch immer bey mir als da befinden, wohin ihr ohne meinen Rath, gekommen seyn möchtet.
Ich trat den Weg an, den mir mein Begleiter zeigte. Um seinen schwachen Füssen zu Hülfe zu kommen, stieg ich von meinem Roß ab, und leitete es langsam hinter mir her, so daß er gleichen Schritt mit mir halten konnte, welches ihm in der That leichter ward, als ich gedacht hätte.
Mit Erzehlungen aus der alten Geschichte meines Hauses, unterhielt er mich so lang und so angenehm, daß ich kaum gewahr ward, daß die Sonne gänzlich unter den Horizont hinunter war, und wir in immer wachsender Dämmerung gingen. Er schien meine schwache Seite zu kennen und nützte sie, er ward so wenig müde von den Thaten meiner Voreltern zu erzehlen, als ich, von denselben zu hören.
Mitten in einer seiner interessantesten Geschichten, begegnete uns ein wohlgekleideter Mann, der meinen Begleiter zu kennen schien, und ihn in romanischer Sprache anredete, von welcher ich, wie ich schon gesagt habe, nur wenig verstand, besonders wenn sie so geschwind, wie hier, gesprochen wurde.
[399] Schon wurde ich ungeduldig, über die etwas lang daurende Unterhaltung, als sich der Alte zu mir wandte. Dieser Mann, sagte er, ist ein Bedienter unsers gnädigen Herrn des Besitzers dieser Gegend, er fragt mich, wohin ich euch führe, er ahndet aus eurem Ansehen einen Gast, der für meine Bewirthung zu hoch ist, und wagte es, euch im Namen seines Gebieters auf das Schloß einzuladen, wo ihr euch besser befinden werdet, als in der Hütte eines Bettlers.
Der Fremde verbeugte sich sehr ehrerbietig vor mir, und versicherte mich in gebrochenem Teutsch, daß ich seinem Herrn zwar ein unbekannter und unvermutheter, aber sehr angenehmer Gast seyn würde, indem er keinen Fremden von Stande unbewirthet vor seiner Burg überziehen lasse, und allen seinen Leuten ungemessenen Befehl ertheilt habe, wen sie in seinen Bezirken fänden, der des Ansehens wär, sich an seinem Tisch zu zeigen, mit geziemender Achtung an denselben zu erbitten.
Das Ansehen des Redners gefiel mir so wenig, als seine Sprache, ich kannte weder ihn noch seinen Herrn; Erfahrung hatte mich Behutsamkeit gelehrt, und eine abschlägige Antwort war auf meiner Zunge; ich zog die Herberge [400] unter dem armseeligen Dache meines ehrlichen Kriegers, dem Schlosse jenes Unbekannten vor. Ich wandte mich nach ihm um – und sah mit Erstaunen seine Krücken zu meinen Füssen liegen und ihn, mein Pferd am Zügel davon führend, mit der Schnelligkeit eines Vogels über ein Stoppelfeld eilen.
Gnädiger Herr! stammelte mein undeutscher Unbekannter, ihr erstaunt über das, was ihr hier seht? Vermuthlich wisset ihr nicht, daß ihr euch in sehr bösen Händen befandet; dieser Mann ist der Anführer einer berufenen Räuberbande, dessen Geschäft es ist, unglückliche Reisende unter mancherley Verkleidung ins Netz zu locken; er scheut hier nichts als die Macht meines Herrn, der seiner Bosheit schon mehr Opfer entrückte; und ihr habt eurem Heiligen zu danken, der mich euch gerade zu eurer Rettung entgegen schickte.
Starr vor Erstaunen sah ich den Unbekannten an; daß jener Alte ein Betrüger war, dies fiel mir in die Augen; aber ob ich mir bey dem, der ihn vertrieben zu haben schien, und doch vielleicht ingeheim mit ihm einverstanden war, etwas besseres zu versehen hatte, das konnte ich nicht errathen.
Er schien die Meynung meines durchdringenden Blicks nicht zu verstehen, er ging vor [401] mir gelassen dahin, als wenn es die Nothwendigkeit erforderte, daß ich ihm folgen müsse, redete von der Nähe des Schlosses, von der Gesellschaft, die ich daselbst finden würde, und von einer Menge anderer Dinge, mit der größten Unbefangenheit; ich verstand ihn nur halb, weil er sehr schlecht sprach, und eine Menge fremde mir ganz unverständliche Worte einmischte.
Ich wußte nicht, was ich thun sollte, mir kam vor dem Orte, wohin er mich führen konnte, ein Grauen an, und gleichwohl sah ich mich hier in einer ganz fremden Gegend, wo ich nicht wußte, ob mir nicht vielleicht noch größeres Unglück drohen möchte.
Mein Führer wandte sich, als er mein Zögern merkte, nach einer Weile ganz gelassen nach mir um, und sahe, daß ich mein Schwerd gezogen hatte, und es blos in den Händen trug. Ich glaube, ihr fürchtet euch vor mir, sagte er mit einem widrigen Lachen, seht ihr nicht, daß ich unbewehrt bin? Gebt euch doch zufrieden!
Er schlug den Mantel zurück, und zeigte mir, daß er weder Schwerd im Wehrgehäng noch Dolch im Gürtel hatte. Ich schämte mich des Verdachts der Furchtsamkeit, und schlenderte mit etwas festerm Schritt an seiner Seite her. Wir schwiegen beyde, wie Leute, welche nicht ganz wissen, was sie von einander zu halten haben. Ich fragte nach dem Namen seines Herrn, und [402] bekam keine Antwort; zwischen den Zähnen murmelte er etwas in seiner Sprache, davon ich nur die Worte, Gehen oder Bleiben verstehen konnte; dies schien mir der Trotz eines redlichen Mannes zu seyn, der sich durch falschen Verdacht beleidiget fühlt, ich steckte mein Schwerd ein, und überredete mich, daß ich ohne Ursach bange gewesen sey.
Dort ist das Schloß, sagte er nach einer langen Weile, als wir hinter einem Hügel hervor, auf eine weite Ebene kamen; ihr könnt euch nun entschließen, ob ihr dort oder hier unter freyem Himmel übernachten wollt.
Ich gehe mit euch, erwiederte ich, und verzeiht, wenn ich, durch viel traurige Erfahrungen gewitzigt, euch Unrecht that.
Wir traten jetzt in einen großen Vorhof ein, wo verschiedene Bedienten mit Fackeln um uns her kamen. Ist die Gesellschaft heute groß? fragte mein Begleiter. Wir haben, war die Antwort, heute keinen Fremden, als den ihr uns bringet; er wird dem Herrn und seinen Freunden willkommen seyn.
Meine Furcht war jetzt ganz verschwunden; ich sah wohl, daß ich mich in keiner Räuberhöhle, wohin ich geführt zu werden besorgt hatte, sondern würklich in dem Pallast eines großen Herrn befand, wo alles Pracht und Reichthum athmete. [403] Man öffnete einen großen erleuchteten Speisesaal, wo ich eine sehr zahlreiche Gesellschaft bey gefüllten Bechern sitzen sah, welche mir noch besser und unverdächtiger geschienen haben würde, wenn mir nicht ihre Kleidung auf den ersten Blick gezeigt hätte, daß sie größtentheils Geistliche wären; ein Stand, bey welchem ich, wie ich wußte, in keiner sonderlichen Gunst stand, und vor welchem auch ich immer noch mehr Furcht als Ehrerbietung gehegt hatte, weil ich wußte, daß ich mächtige Feinde in demselben hatte.
Der Herr des Hauses, ein freundlicher fetter Mann, mit der Miene der Intrigue in den scharfblickenden Augen, trat mir entgegen, er trug ein elegantes geistliches Negligee, ohne Abzeichen einer hohen kirchlichen Würde, als das goldne Prälatenkreuz, das mir ihn als einen Bischof vorstellte. Ich ward bewillkommt, freundlich zur Tafel geladen, an eine der Oberstellen gesetzt, und durch Freundlichkeit, Trunk und zutrauliches Wesen, damit man mir von allen Seiten entgegen kam, bald völlig über meine Lage beruhiget.
Dem frohen Mahle, welches weit nach Mitternacht noch nicht zu Ende war, und das durch Witz und frohe Laune eins der unterhaltendsten ward, dabey ich mich je befunden habe, folgte eine sanfte Nacht auf weichem Lager, und dieser ein so freundlicher Morgengruß von meinem [404] gastfreyen Wirthe, und eine so dringende Bitte, noch diesen Tag sein Gast zu seyn, daß ich blieb – wo ich bleiben mußte, denn nach doppelter und dreyfacher Verlängerung meines Besuchs, ward mir es endlich klar, daß ich nicht scheiden konnte, wenn ich auch gewollt hätte; und daß mit dem ersten Eintritt auf das Schloß, vor welchem mich nicht ohne Ursach gegraut hatte, meine Freyheit verloren gegangen war.
Das, was ich mit allem meinen Nachdenken nicht begreifen konnte: was man hier eigentlich von mir wollte, ward mir auch nach und nach deutlich; ich sah, daß man mich kannte, und daß alles darauf hinauskam, durch List, welche zuweilen nahe an Gewalt gränzte, Dinge von mir zu erforschen, deren Kenntniß man bey mir vermuthete, und die ich, auch ungebunden durch fürchterliche Eide, diesen Fragern nie entdeckt haben würde. Gezwungen muß ich hier mich kurz fassen, man kann die Art, auf welche gewisse Dinge angefochten wurden, nicht genau bestimmen, ohne sie selbst zu verletzen. Es sey euch genug, daß man mich auf meinen schwächsten Seiten angrif, um mich straucheln zu machen. Frauenliebe und Sucht nach Größe suchte man zu meinem Verderben in mir rege zu machen. Man verkannte mich in Ansehung des ersten; mein Herz war jener [405] zärtern Gefühle im höchsten Grade empfänglich, aber es schlug allein für die schöne Gräfin von Toulouse; die reizende Verführerinnen, die man brauchte, um mich eidbrüchig zu machen, mußten also ihres Endzwecks verfehlen.
Dieses entdeckte man bald, und Alix von Toulouse sollte also der Preis meiner Verführung seyn; man sagte mir hier zuerst, was mich halb wahnsinnig machte, daß Alix für mich ein unerreichbares Gut, daß sie bereits an den Prinzen von Kastilien verlobt sey, und man riß mich aus der Tiefe der Verzweiflung durch das Versprechen empor, daß ich sie dennoch erlangen, daß keine menschliche Macht sie mir entreißen sollte, wenn ich mich zu dem bequemte, was man von mir forderte.
Die Versuchung war groß, aber ists nur noch eine Frage, ob ich siegte? Da ich hier überwunden hatte, so brauche ich wohl nicht erst zu erwähnen, daß die Lockspeisen, welche man meiner Ehrfurcht vorhielt, mir verächtlich waren; man zeigte mir den höchsten Rang im deutschen Reiche, oder die höchste Staffel am römischen Hofe von der einen, und den Verlust meiner Lande, Gefängniß und schimpflichen Tod von der andern Seite; ich lachte, und blieb der, welcher ich war, der Mann mit den versiegelten Lippen, der ächte Diener der unerforschlichen Geheimnisse.
[406] Mein Zustand verschlimmerte sich von einem Tage zum andern, ich verschloß mein Auge vor der Gefahr, oder vielmehr, ich lächelte ihr zu, denn was konnte man mehr thun, als mir das Leben rauben, und war dieses mir wohl noch wünschenswerth, da Alix für mich verlohren war? – Getrost wär ich in den Tod gegangen, unschuldiger und weit glücklicher hätte sein Pfeil mich getroffen, als jetzt, da ich mit Blutschuld behaftet, als ein Verbrecher ihn nun schon Jahrelang herbeywünsche. Ach wär ich damals gestorben! wie schuldlos wär ich in die lange Nacht hinabgestiegen! Vielleicht wär sie nun schon verträumt, und ich wär zu einem bessern Leben an der Seite meiner Geliebten erwacht!
Ich sollte nicht sterben, die Hand der Liebe rettete mich, die Hand einer zurückgewiesenen, verschmähten Liebe. Eine von den schönen Zauberinnen, die mir meine Geheimnisse aus dem Herzen locken sollten, dachte edler als ihre Mitschwestern, sie hatte sich das gränzenlose Zutrauen meiner Kerkermeister zu verschaffen gewußt, sie schmeichelte ihnen mit einem Erfolg, den sie mir zum Besten erdichtete. Die Thüren meiner verriegelten Zimmer standen ihr offen, sie kam zu mir um Mitternacht, nicht bey mir zu verweilen, sondern mich hinauszuführen, wo Freyheit und Mittel zu sicherer Flucht meiner warteten.
[407] Fliehe mit mir edles Mädchen, schrie ich, entreiß dich der Schande dieses Schlosses; du verdienst von den Stricken des Lasters befreyt zu werden. Sehr wohl! lachte sie, gewiß um eine Aufwärterin der schönen Alix, oder gar Nonne zu werden? Mit diesen Worten entfloh sie, und verschmähte den besten Dank, den ich ihr für meine Freyheit hätte geben können.
Ich hatte das Schloß kaum etliche Meilen hinter mir, als ich merkte, daß man meine Flucht zu zeitig wahrgenommen hatte, und daß meine Verfolger in meine Fußtapfen traten; die Finsterniß der Nacht kam mir noch eine kurze Zeit zu statten, aber der Morgen brach an, und entdeckte mich meinen Feinden, in meiner Verborgenheit, die ich in der Angst meines Herzens schlecht genug hinter einem dünnen, belaubten Busche gewählt hatte; es schien, man war nun gesonnen, alle Gelindigkeit bey Seite zu setzen, und mich ganz als einen Verbrecher zu behandeln; man belegte mich mit Fesseln und schleppte mich davon, ohne auf meine Appellation an Recht und Menschlichkeit zu hören.
Der Weg, den man nahm, war mein Glück. Es war ein schmaler, wenig besuchter Felspfad, den man vermuthlich gewählt hate, um sich seines Raubes desto besser zu versichern, weil man nicht wußte, ob ich Anhänger oder Schützer in dieser Gegend hatte, welche zu fürchten wären. Leider wußte ich nichts von solchen Helfern, aber der Himmel sandte mir [408] einen Retter entgegen, auf welchen ich nicht gerechnet hatte, auf welchen ich nicht rechnen konnte, da er mir ganz unbekannt war.
Wir hatten ohngefähr die Hälfte unsers schmalen Pfads zurückgelegt, als uns ein bequemer Reisewagen, in Begleitung einiger Bewaffneten begegnete; ein alter ehrwürdiger Mann saß darin, und schien sehr andächtig mit Lesen beschäftigt zu seyn. Der Weg war so, daß wir nicht ausweichen konnten, auch schienen meine Hüter es nicht für nöthig zu halten, da die Person, welche uns begegnete, ihnen wenig Furcht einflößte.
Mir flößte das Ansehen des ehrwürdigen MannesHoffnung ein, und mein Entschluß war kurz gefaßt. Unser kleiner Trupp mußte halten, um den Reisenden vorüber zu lassen; ich war ihm so nahe, daß die Räder seines Wagens meine Kleider berührten, er hub die Augen auf, und warf einen Blick auf mich, in welchem ich Mitleid zu entdecken glaubte. O Rettung! schrie ich, ehrwürdiger Herr, Rettung für einen Unglücklichen, welcher unschuldig die Fesseln trägt!
Wer seyd ihr, mein Sohn, fragte der Greis, indem er seinen Wagen halten ließ, mich genauer zu betrachten.
Mein Herr, antwortete der Anführer meiner Feinde, indem er mich hinwegdrängte, und an meiner Stelle die Antwort that, ich hoffe, ihr werdet euch nicht an die Lügen eines Böswichts [409] kehren, welcher zur längst verdienten Strafe geführt wird.
Ihr waret es nicht, welchen ich fragte, antwortete der Alte mit einem gebietenden Blick; ich verlange Antwort von dem jungen Menschen, welcher mir nicht ganz das Ansehen eines Verbrechers zu haben scheint. Noch einmal, mein Sohn, wie ist euer Name?
Herr! schrie mein Feind, hütet euch vor Ungelegenheit! Dieser Gefangene gehört dem Bischoff von ***, welcher gerechte Ansprüche auf ihn hat.
Dem Bischoff von ***? antwortete der Reisende. Ey so gehört die Sache ja gar unter meine Gerichtsbarkeit. Ich bin der Erzbischoff von Maynz, und verlange auf der Stelle nähere Erklärung von ihm oder von Euch.
Der Name des Erzbischoffs von Maynz, dessen man nach seiner Rückkehr aus Palästina, schon seit einigen Wochen in diesen Gegenden gewärtig war, verbreitete tödliches Schrecken unter dem ganzen Haufen, doch wußte sich der Anführer schnell zu helfen.
Gnädiger Herr, sagte er, wenn ihr die wahre Ursach von der Gefangenschaft dieses Menschen entdecken wollt, so urtheilt ihr sehr weislich, daß ihr die sicherste Auskunft über seine Verbrechen von uns nicht von ihm erfragen könnt.
[410] Und was für Verbrechen kann man mir aufbürden? rief ich, indem ich mich losriß und näher trat. Rede Böswicht, rede vor den Ohren dieses Heiligen, den Gott mir zum Retter schickte.
Wie? schrie mein Gegner, kannst du es leugnen, Verworfener, daß du in vergangener Nacht ein Mädchen aus dem Hause unsers Herrn entführen wolltest?
Also eine Mädchengeschichte? sagte der Erzbischoff mit spöttischem Lachen. – Unsere Brüder in Europa haben, wie es scheint, sehr wichtige Sachen auszugleichen, indessen wir andern der Andacht am heiligen Grabe pflegen.
Ich bitte, erwiederte mein Ankläger, ich bitte nur dieses, daß der Mensch zum Geständniß genöthig werde, ob mein Vorgeben falsch sey?
Nun so redet, mein Sohn! fuhr der ehrwürdige Greis noch immer lächelnd fort, das Verhör auf ofner Landstrasse hat zwar ein wunderliches Ansehen, aber wem Macht zu Handhabung der Gerechtigkeit verliehen ist, der übe sie, wo er Gelegenheit findet. Eben las ich in unsern heiligen Büchern die Stelle, daß die Obrigkeit ihren Scepter nicht umsonst, sondern zu schneller Entscheidung trage.
Auf die erste Anhörung der Anklage vom Mädchenraub, hatte Verneinung auf meiner Zunge geschwebt, jetzt während der Rede meines gnädigen Richters, besann ich mich erst, daß sie nicht [411] ganz ungegründet war; und daß ich würklich meiner Befreyerin Anlaß zur Flucht gegeben hatte, welches man erlauscht, oder aus ihrem eigenen Munde erpreßt haben mochte. – Ich hielt es für das Beste, die ganze Geschichte zu erzehlen, und ich that es auf so eine Art, daß der Erzbischoff ganz für mich gewonnen ward.
Hier ist offenbare Wahrheit, rief er mit Kopfschütteln, ich kenne die hiesigen Bischöffe ein wenig aus dem Gerücht, und werde die Sache näher untersuchen. Denn in der Ursach, warum man diesen Ritter zuerst als einen Gefangenen hielt, finden sich noch viel Verborgenheiten, die ich ergründen muß. Schließt den jungen Mann los, ich werde ihn mit mir nach Maynz führen, und sagt eurem Herrn, er möge dorthin zu mir kommen, und das weitere aus meinem Munde hören.
So war ich denn also frey, frey durch den Rechtsspruch eines Heiligen. Meine Feinde gingen beschämt davon, ich erhielt Befehl mich zu den Bedienten des Erzbischoffs zu gesellen, aber in der Betäubung, in welche mich die schnelle Wandelung meines Glücks gesetzt hatte, verstand ich nicht, was man mir sagte, vergaß, daß man mich hier nicht als den kannte, der ich war, und schwang mich getrost in den Reisewagen des Erzbischoffs, die leere Stelle an seiner Seite ein zunehmen.
Er hinderte mich nicht, machte mir so gar Platz, und begnügte sich, mich eine geraume Weile [412] mit unverwandten Augen anzusehen, indessen ich, halb froh über meine Rettung, halb voll innern Grimms über meine Beleidiger, vor mich hin saß, und schier des Danks vergaß.
Es scheint, junger Mensch, sagte der Erzbischoff nach einer Weile, ihr kennt den Platz sehr gut, wohin ihr gehört. Noch einmahl; faßt ein Zutrauen zu mir, und entdeckt euch mir ganz. –
Mein Herz war voll; die Einladung, es auszuschütten, schien aus dem Munde eines liebenden Vaters zu kommen. Ich antwortete, und antwortete so vollständig, als ich es kaum vor Eid und Gewissen verantworten kann. Der Erzbischoff sahe, daß ich auf einmal erröthete, und inne hielt – er schonte mich, und drang nicht in mich fortzufahren.
Es ist gut, Herr Graf, sagte er, ich kenne nun euch, kenne eure Verfolger, und eure Unschuld; die Ursach, warum sie euch nachstellten, und alles, was sie nicht aus eurem Munde erpressen konnten, verlange ich so genau nicht zu wissen, ihr müßtet denn in der Folge Bedürfniß fühlen, euch mir in der Beichte ganz zu entdecken, und Trost und Rath bey demjenigen zu suchen, der euch vielleicht beydes geben kann.
Das, wozu mir dieser verehrungswürdige Mann, dieser Erzbischoff Konrad von Maynz, dessen Andenken ich ewig verehren werde, damals Anleitung gab, das geschahe bald darauf würklich.
[413] Ich folgte ihm in seine Residenz. Seine ungeheuchelte Frömmigkeit, und besonders das Interesse, das er an mir nahm, machte ihm mein ganzes Herz zu eigen. Ich, der ich bisher zu keinem Geistlichen ein Vertrauen hatte fassen können, und daher sehr lange Zeit des geistlichen Trosts entbehren mußte, schüttete vor diesem Heiligen mein ganzes Herz an geweihter Stelle aus, und nimmer wird mich es gereuen, daß ich es gethan habe.
Von ihm erhielt ich Warnungen und Weisungen in Ansehung meiner Lage, deren Befolgung mein Glück gewesen seyn würde. Ich sollte mich von der Verbindung mit den furchtbaren Unbekannten, sollte mich von der Liebe zur verlobten Alix losmachen. Konnte ich das? und weis ein Heiliger wie Konrad auch, wie schwer es ist, irrdische Fesseln, die Fesseln der Ehre und der Liebe abzuschütteln?
Von Maynz begab ich mich nach Toulouse, ohne auf dem Wege den geringsten Anstoß zu haben, entweder scheute man meinen Beschützer, den Erzbischoff, oder man hatte meine Spur gänzlich verloren, und die Anschläge auf mich bey Seite gesetzt.
Mein Herz glühte von Leidenschaft gegen die schöne Alix, so gewiß ich auch war, daß sie nicht für mich lebte, und alles schien sich zu vereinigen, den Eindruck, den ihr Bild auf mich gemacht [414] hatte, zu vertiefen. Hier kam ich durch eine Landschaft, wo man Anstalt machte, sie auf dem Wege, da sie in kurzen ihrem glücklichen Bräutigam entgegen geführt werden sollte, mit Jubel einzuholen. Hier hatte sie einst einige Jahre ihres schönen Lebens zugebracht, und sich alle Herzen gewonnen. Die Bewillkommungen, die man für sie ersann, waren nicht gekünsteltes Ceremoniel, waren der Zoll einer Liebe, welche nahe an die Anbetung gränzte. Man führte mich in die benachbarte Klosterkirche. In diesem Hause hatte sie unter den Nonnen ihre erste Bildung erhalten; bey einer fürchterlichen Feuersbrunst, welche einst des Nachts hier ausbrach, hatte ihre Wachsamkeit das Kloster erhalten. Eine kranke Layenschwester, die man in ihrer Celle vergessen hatte, riß die junge Heldin selbst aus den Flammen, und denn kehrte sie in die Kirche zurück, dem wunderthätigen Marienbilde, zu welchem die fromme Seele eine sonderbare Andacht hatte, die nehmlichen Dienste zu thun. Sie kam zu spät, die tode Heilige war schon ein Raub der Flammen geworden, und sie, die lebende hätte beynahe den Tod auf dem Wege heiliger Schwärmerey gefunden.
Von Rauch halb erstickt, hatte man sie auf den Stufen des Altars gefunden; und sich gleich entschlossen, ihr zur Dankbarkeit für ihre Aufopferung sie möge leben oder sterben, eine sonderliche Ehre zu erzeigen. – Kennt ihr die Prinzeßinn [415] Alix? setzte der Erzähler hinzu, indem er auf das neue Altarbild deutete; nun wohl, ihr mögt sie kennen oder nicht, so seht ihr hier die völlige Aehnlichkeit ihres schönen Gesichts und ihrer reizenden Gestalt. Die heilige Jungfrau darf nicht zürnen, so geschildert worden zu seyn, himmlischer gestaltet als hier, kann sie nicht auf Erden gewandelt haben.
Der Mann, welcher mit mir sprach, war ein Schwärmer, und was war ich in diesen Augenblicken? – O Verzeihung! Verzeihung! für alle Verirrungen, zu welchen mich die Liebe leitete. Ich sah die nach dem Leben geschilderte Alix mit der himmlischen Glorie vor mir an heiliger Stätte, ich hörte Thaten eines Engels von ihr erzählen, war es zu verwundern, daß ich mich von dem Arm meines Führers losriß, um mich auf den Stufen des Altars zu Gebeten nieder zu werfen, welche ich unserer lieben Frau anrechnete, und die doch im Grunde nichts waren, als Anbetungen ihrer schönen Stellvertreterin.
Ich erhub mich in einem Zustande, welchen ich wohl mit Recht den ersten Grad der Verstandsverwirrung nennen kann, die mich in der Folge zum Schauspiel der Welt machte. In einer Art von Trunkenheit durchreiste ich die nächsten Gegenden, wo der Name Alix, den ich überall nennen hörte, meinen Zustand noch verschlimmerte. In einem Hospital, das sie von dem Verkauf ihrer [416] Juwelen gebaut haben sollte, verlangte ich als ein Kranker aufgenommen zu werden, und da man mir dieses unter dem Vorwand meiner guten körperlichen Gesundheit versagte, so ließ ich daselbst mein ganzes Vermögen, und kam als ein Bettler nach Toulouse.
Die kastilische Braut – (Gott! wie bebte ich, ihr überall diesen Namen geben zu hören,) – hatte sich, nachdem sie das Kloster verlassen hatte nur kurze Zeit hier am Hofe ihres Bruders aufgehalten, und war denn ihrem Schicksal entgegen gereist, ich fand sie nicht mehr. Der Zustand, in dem ich war, machte es unmöglich, mich, (wie ich es sehnlich wünschte, um nur etwas zu sehen, das Beziehung auf sie hätte) bey dem Grafen vorstellen zu lassen. Ich wär ohne Zweifel ein Raub des gräulichsten Mangels geworden, hätte ich nicht noch vor meiner Reise aus Westphalen an meine Bedürfnisse hier zu Toulouse, und auf die Zufälle gedacht, welche einen Pilger auf einer so weiten Reise aller Mittel berauben können.
Einer meiner ältesten und treuen Diener, Rudger Ahlden genannt, war schon längst mit ansehnlichen Summen voraus, mich hier zu erwarten, er hatte so lang und mit so viel gegründeten Besorgnissen nach mir ausgesehen, forschte so unablässig bey allen interessanten Reisenden [417] nach meiner Gestalt und mei nem erborgten Namen, daß er mich nicht verfehlen konnte.
Ich hatte seiner Unterstützung auf alle Art nöthig, er brachte mich endlich so weit, daß ich bey Hofe mit Anstand erscheinen und in dem Bruder meiner Alix einen Mann kennen lernen konnte, der den süßen Namen völlig verdiente, den ihm die Natur in Rücksicht auf sie gegönnt hatte.
Wenig Tage machten uns zu Freunden, er war der liebenswürdigste Fürst, den ich je gesehen habe, und ich trug so viel von der Liebe zu der Schwester auf den Bruder über, strebte so unablässig, mich ihm gefällig zu machen, daß wir wohl für einander eingenommen werden mußten.
Der Graf von Toulouse war öffentlicher Beschützer und heimlicher Anhänger einer gewissen Seckte, welche damals in Ruf zu kommen begunnte; er sagte mir, sobald wir ein wenig vertraut geworden waren, unaufhörlich von ihren Lehrsätzen vor, welche ich ihm zu Liebe billigte und himmelan erhub; auch mochten sie wohl ihre Vorzüge haben, die ich aber in meinem damaligen Zustande genau zu beurtheilen ganz unfähig war; ich gab ihnen nur darum Beyfall, weil der Bruder meiner Geliebten sie für richtig hielt, und als ich vollends erfuhr, daß Alix mit ihm hierin überein denke, daß sie, die ehemalige Bilderretterin, jetzt ganz an der Lehre der waldensischen Bilderhasser hänge, so war ich so vollkommen überzeugt, daß [418] Waldus in allen seinen Behauptungen recht habe, daß ich für dieselben des Märtyrertodes würde gestorben seyn.
Der Graf von Toulouse liebte mich sehr, und ich glaube, hätte er mich vor den kastilischen Heyrathsverträgen kennen gelernt, ich hätte es ohne Furcht vor Abschlag wagen dürfen, um die Hand seiner Schwester zu bitten; jetzt nur auf die entfernteste Art etwas von meiner Leidenschaft gegen ihn zu gedenken, würde Thorheit gewesen seyn, und ich war noch hinlänglich bey mir selbst, mich hierin nicht zu verrathen; ich dachte indessen doch darauf, seine Freundschaft zum Besten meiner Liebe zu nützen. Die weisen Rathschläge des Erzbischofs von Maynz wurden ganz vergessen, ungeachtet er sie oft in wahren Hirtenbriefen an mich wiederholte; ich bedachte nicht, daß Alix für mich ein unerreichbares Gut war und blieb, und daß jede Nahrung, die ich meiner Leidenschaft gab, nichts that, als mich dem Abgrund des Verderbens noch näher zu bringen. Bisher kannte ich Alix nur aus Bildern und Beschreibungen, persönlich kennen wollte ich sie, um ja unwiederbringlich elend zu werden. Ich erhielt mit leichter Mühe Briefe und Aufträge von dem Grafen an seine Schwester nach Pamiers, wo sie sich einige Zeitlang aufhalten sollte, die er keinem schlimmern Boten als mir hätte anvertrauen können; es waren Dinge, [419] welche der äußersten Geheimhaltung bedurften, Bücher mit neuen verbotenen Meynungen angefüllt, welche vor den rechtgläubigen Kastilianern verborgen gehalten werden mußten, aber so sehr mir auch dieses eingeschärft wurde, so ging es doch schnelle in meinem Gedächtniß verloren, und nichts blieb zurück, als der Gedanke, daß ich Alix sehen, mit ihr sprechen, und vielleicht auch einige gütige Worte aus ihrem Munde hören sollte.
Mein alter Diener, der getreue Rudger, der bey meinem gegenwärtigen Zustande mehr die Rolle meines Rathgebers und Aufsehers spielte, hatte noch keinen meiner ausschweifenden Einfälle so sehr gebilligt als den, nach Pamiers zu gehen. Die Reise nach der damaligen Versammlung, die in dieser Stadt von Geistlichen und Weltlichen gehalten wurde, war eigentlich die Hauptveranlassung der Entfernung aus meinem Vaterlande gewesen, oder vielmehr, sie hätte es nach dem Rufe, den ich von meinen Obern durch Kalatin erhalten hatte, seyn sollen. Aber über andere Dinge war dieses ganz vergessen worden, ich ging gegenwärtig nach Pamiers, um der schönen Alix, nicht um meiner geheimen Geschäfte willen, und Rudger, gleichfalls ein Einverleibter des heimlichen Gerichts, mußte mich erst daran erinnern, er, einer der Untersten dieses Bundes, mich den Beysitzer und Richter. O in was für Händen waren damals die wichtigsten[420] Angelegenheiten! ich erröthe, wenn ich mir es lebhaft vorstelle.
Ich erhielt um selbige Zeit verschiedene Briefe von dem Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach, welche ich nicht sonderlich beachtete, so wie mir alles gleichgültig war, was keine Beziehung auf die Hauptangelegenheiten meines Herzens hatte! Ottos Schreiben enthielt unter andern auch Einladungen, an den kaiserlichen Hof zu kommen, um daselbst mit einem gewissen Bischof von Sutri bekannt gemacht zu werden; ich hatte Bekanntschaft genug mit Bischöfen gehabt, um nichts mehr davon zu begehren.
Auch von Evert von Remen bekam ich ein Schreiben durch Wittelsbachs Vermittelung; es wurde noch unachtsamer auf die Seite geworfen als jene, wurde nicht einmal eröffnet; der nachtheilige Wahn, den Kalatin mir ehedem von dem Freunde meiner Jugend beybrachte, war noch nicht getilgt, und ich war damals zu sehr mit andern Dingen beschäftiget, um seine Rechtfertigung sonderlich zu wünschen, oder sie in diesem vernachlässigten Schreiben zu ahnden.
Alle meine Gedanken, all meine Wünsche erstreckten sich nach Pamiers, und es war in einem halben Rausche, daß ich daselbst anlangte. Ohne die mindeste Vorsicht, ohne alle Vorbereitung, die mir so nöthig gewesen wär, ward meine Audienz bey der kastilischen Braut eingeleitet, und ich [421] hätte an meiner Schwester eine so gute Führerin meiner Angelegenheiten haben können! Diese gute, liebevolle Seele war meinen Planen, um deren willen ich sie ehedem aus ihrem Vaterlande riß, so treu geblieben, daß sie nicht geruht hatte, bis die Geliebte meines Herzens von ihr gefunden war, und bis sie eine Stelle in ihrem Frauenzimmer erhalten hatte. Zwar meiner Liebe bey ihr zu dienen, da Alix schon so fest gebunden war, dazu hätte es Alverden gewiß so sehr an Willen als an Möglichkeit gefehlt, aber sie hätte mir doch rathen, hätte mich doch vor dem völligen Verderben warnen können, das meiner im Anschauen der Schönheit wartete, die mich schon in der Ferne verblendet hatte. –
Ich sahe sie, ich sahe Alix, sahe sie mit der Gewißheit, sie sey die Braut eines andern, sey für mich völlig verloren; und das wenige, was ich noch von Besonnenheit übrig hatte, war ganz hin. Ich erinnere mich keiner besondern Umstände von dieser merkwürdigen Audienz, die mein Unglück vollendete, erinnere mich nur des Ganzen. Ich sahe die göttliche Alix, und wär lieber anbetend zu ihren Füssen gesunken, sah Alverden, meine Schwester, die sich gern mit Entzücken in meine Arme gestürzt hätte, und mein Blick verbot ihr, mich Bruder zu nennen. Ich [422] weiß nicht, warum ich diese Entdeckung vermied, da der Name des Bruders der vornehmsten Hofdame der Prinzessin mir vielleicht ihren Anblick öfter hätte verschaffen können; aber all mein Betragen war damals widersprechend und unzusammenhängend, ich vermag nicht, Rechenschaft von demselben zu geben.
Meine Aufträge von dem Grafen von Toulouse waren mit der äußersten Unordnung und Unvorsichtigkeit ausgerichtet worden; ach ich zittre, wenn ich bedenke, daß die Fehler, welche ich damals beging, vielleicht das Signal zu dem Untergang meiner Geliebten gegeben haben können! Dies ist ein Punkt, über welchen ich nicht ohne Nachtheil für mein Gehirn nachdenken kann; er sey auf ewig bey Seite gesetzt!
Ich suchte des andern Tages zum zweytenmal vorgelassen zu werden, und – ward abgewiesen, der dritte und vierte Versuch verunglückten ebenfalls, ich nannte den Namen des Grafen von Toulouse, man sagte mir, die Prinzessin gehöre nun ganz dem kastilischen Hofe, und ihr Bruder habe nicht mehr das Recht, so oft, und durch wen er wolle, Botschaften an sie gelangen zu lassen.
Ich sah mich genöthigt, den Anblick der himmlischen Alix in Kirchen und auf Spaziergängen zu suchen; auch da ward ich durch die finstern Gesichter der Hofdamen und durch die [423] Leibwache zurück gescheucht. Selbst Alverde, meine Schwester, schien sich wider mein Glück verschworen zu haben, sie sagte mir einst auf öffentlichem Spaziergange einige empfindliche Worte, und drückte mir heimlich einen Brief in die Hand, welcher noch ernstlichere Weisungen enthielt. Ein heimlicher Briefwechsel, vermittelst eines holen Baums, in dem unsere beyderseitigen Schreiben niedergelegt werden sollten, ward zwischen mir und meiner Schwester verabredet; er gab mir sonderliches Vergnügen, weil er mir Gelegenheit verschafte, meinen Empfindungen Luft zu machen, auch ich ahndete nicht, daß auch hierin Gefahr für mich, und die, welche ich liebte verborgen lag.
Während ich mich mit diesen Kleinigkeiten beschäftigte, vergaß ich ganz, mich um Dinge zu bekümmern, welche mir besser geziemt hätten. Erst von Rudger erfuhr ich, daß wir die Ankunft Herzog Bernhards von Sachsen hier vergeblich erwarteten, welcher krank sey, und dessen Stelle der Herzog von ***, mein alter Feind, unter verdecktem Namen antreten würde. Von dieser Zeitung, die ich wohl mit recht für böse hielt, bekam ich in kurzer Zeit noch sprechendere Beweise. Der Herzog von *** schrieb an mich in bedraulichen Ton, und gab mir Verweise über das, worüber ich hier wohl nimmermehr zur Rede gesetzt zu werden gedacht hätte, [424] über meine Anwesenheit zu Pamiers, zu welcher ich mich doch, so wie zu Veränderung meines Namens, durch Befehl meiner Obern, berechtiget geglaubt hatte. Ich erstaunte, meine volle Ueberlegung kehrte zurück, Rudger half mir zu recht, wo sich mein geschwächter Verstand nicht helfen konnte, und aller Verdacht fiel auf Kalatin, welcher mich durch eine falsche Ladung getäuscht haben mußte. Ich antwortete dem Herzog trotzig, denn ich war gerade nicht auf der Laune, viel von irgend jemand zu vertragen; aber ach, sein Brief ließ scharfe Stacheln in meiner Seele zurück. Er berührte am Ende desselben eine Sache, von welcher ich bisher nur noch dunkle Nachrichten gehört hatte, und die er mir auf einer Seite vorstellte, welche ihren Eindruck noch empfindlicher machte. Ich sollte in diesen Augenblicken erfahren, daß die höchste leidenschaftlichste Liebe, mich doch nicht für die Regungen der Freundschaft und Dankbarkeit ganz gleichgültig gemacht hatte.
Ich hatte Nachricht vom kaiserlichen Hofe; mein Freund, mein Lehrer, mein geistlicher Vater, der trefliche Erzbischoff von Maynz, von welchem ich noch kürzlich warnende Briefe erhalten hatte, sey jähes Todes gestorben. Der Brief des Herzogs von ***, bestättigte diese Nachricht mit dem schrecklichen Zusatz, er sey vergiftet, von Kaiser Philipp vergiftet worden. [425] Einer von Wittelsbachs, nur hab gelesenen und betrachteten Briefen fiel mir diesen Tag wieder in die Hand, und ach! er enthielt das nehmliche.
Niemand mißt mein Entsetzen und meine Wuth. Jede Empfindung, welche jetzt in meiner Seele aufging, war Raserey; Rudger vermochte sie nicht zu bändigen, und da er unaufhörlich nach Beweisen von Dingen fragte, die ich nach der Leichtgläubigkeit, welche dem Wahnsinnigen eigen ist, für schon erwiesen annahm, und ich also wenig Nahrung für meine Phanthasien bey ihm fand, so eilte ich zu einem Bekannten, der sich während meines Aufenthalts zu Pamiers mir fast aufgedrungen hatte, und der durch tausendfache schlaue List, schon mehr als zu viel mein Vertrauter geworden war.
Er nannte sich Sutrino; und Rudger, welcher ihn haßte, und ihn ungern an meiner Seite sah, quälte sich täglich, mich zu überreden, er sey eine Kreatur eines gewissen Bischoffs von Sutri, dessen Wittelsbach oft in seinen Briefen gedachte, und der uns aus verschiedenen Umständen, als ein gefährlicher Mann bekannt war, ungeachtet Wittelsbach ganz das Gegentheil von ihm hielt.
Sutrino war allen Warnungen Rudgers zum Trotz, diesen Abend bis tief in die Nacht, mein Gesellschafter; er erfuhr den neuen Kummer [426] meines Herzens, die Vergiftung meines Freundes des Erzbischoffs von Maynz, erfuhr den angegebenen Thäter, und alles was mir die Rache gegen ihn in den Sinn gab. Beschuldigungen gegen Kaiser Philippen, schienen das Kapitel zu seyn, in welchem Sutrino unerschöpflich war; er erzehlte mir tausend schreckliche und unerweisliche Dinge von dem Oberhaupt des deutschen Reichs, mich in meinem Verdacht zu bestärken, und endigte mit dem Schrecklichsten, was er mir sagen konnte, um mich vollends ganz rasend zu machen.
Kaiser Philipp, sagte er, denkt auf nichts, als auf die Vergrösserung seines Hauses, und die Unterdrückung anderer. Was für Schmach die heilige Kirche schon von ihm erfahren hat, das gehört nicht hieher; den größten Schaden that er ihr gewiß, durch die Ermordung des frommen Erzbischoffs, welche ganz auf seine Rechnung fällt. Ach wo schläft die Rache, daß sie ihn nicht hinwegreißt, damit er seine Hände nicht auch nach den Engeln des Himmels ausstrecke, sie von ihren Thronen zu reissen, um seine angebeteten Kinder darauf zu setzen? – Wißt, Philipp neidet jedermann, der über die Seinen empor kömmt, er neidet auch der unschuldigen Gräfinn von Toulouse die kastilische Krone, und wünscht eine seiner Töchter damit zu zieren; und gebet acht, nicht lange, so werden [427] wir die göttliche Alix verstossen, oder im Grabe sehen, damit die Prinzeßin Elise ihre Stelle einnehmen könne.
Verstossen? schrie ich, Alix, verstossen oder im Grabe? – Ja, das erste wär wohl gut, aber das andere? – O Entsetzen! – – Redet, redet Sutrino! endeckt mir, welchen Grund euer Vorgeben hat. Verstossen immerhin, nur nicht getödet!
Das letzte wohl noch wahrscheinlicher als das erste! Philipp pflegt nichts halb zu thun.
Aber er in Teutschland, Alix in Frankreich?
O die Hände der Könige reichen weit, und die Streiche, welche sie in der Ferne führen, sind die sichersten und unverdächtigsten. Glaubt mir, Alf von Dülmen, wir können mit jedem Morgen auf die Nachricht vom Tode der kastilischen Braut rechnen.
Und will niemand, niemand die Unglückliche retten? Sprecht, Sutrino, was könnte man thun? was könnte ich thun? ich will mein Leben daran setzen.
Kühne Entführung freylich! aber wer wird diese wagen?
Wagen? ich wage alles! – O Entzücken! Alix wird frey, diese Nacht frey durch mich! ich führe sie in die Arme ihres Bruders, und mein Lohn – nun mein Lohn, der läßt sich errathen! [428] O Sutrino, Sutrino! ihr seyd der Schöpfer meines Glücks!
Sutrinos Einwendungen gegen meine ungeheuren Einfälle waren sehr schwach, meine Entschlüsse waren gefaßt und blieben unveränderlich. Ein doppelter Versuch, die Prinzessinn davon zu bringen, ward gemacht, und er verunglückte beydemahl, ach, wie ich glauben durch Alverdens grausame Vorsicht, welche es sich zum Gesetz gemacht zu haben schien, ihrem unglücklichen Bruder in allem entgegen zu handeln. Doch darf ich auch mit ihr zürnen, daß sie dieses that? Ach ich bin ja nicht mehr der damahlige Alf von Dülmen! Meine Leidenschaften sind jetzt abgekühlt und meine Urtheile berichtigt. Alverde handelte recht, daß sie meinen rasenden Einfällen entgegen arbeitete, mochten auch die Folgen für mich und die unglückliche Alix seyn, welche sie wollten.
Daß ich nach der letzten fehlgeschlagenen Unternehmung fest genommen und in die Verwahrung des Bischoffs von Kastilien gebracht wurde, war wohl so wenig Alverdens Absicht, als daß sie selbst um die Gesellschaft der himmlischen Alix kam. An dem Tage, da man mich ins Gefängniß brachte, erhielt sie ihre Entlassung, weil man unsern heimlichen Briefwechsel entdeckt hatte; und Alix blieb also den Angriffen ihrer Feinde, welche sie auch seyn mochten, ganz ohne Freund und Schützer blosgestellt. Es ist entsetzlich, unbegreiflich, [429] daß auch die Engel des Himmels Feinde haben, aber daß es der unglücklichen Gräfinn von Toulouse nicht an dergleichen fehlte, hat der Erfolg ausgewiesen.
So war ich also zum zweytenmahl der Gefangene eines Bischoffs, und das Verbrechen, welches mich in dieselbe gebracht hatte, Anschläge zu Entführung einer königlichen Braut, entschuldigte jedes strenge Verfahren, welches man sich gegen mich erlaubte. Ewiges Stillschweigen über die damahligen Scenen! man hat Sorge getragen meine Zange durch Eide zu binden, welche so unauflöslich sind, als die Beeidigungen des heimlichen Gerichts.
Die Absichten, welche man mit mir ausführen wollte, waren die nehmlichen. Man hatte den Herzog von ** durch die schlauen Künste eines Grafen von Segni über gewisse verborgene Dinge zum Sprechen gebracht, man hatte den arglosen Otto von Wittelsbach um einige unserer Geheimnisse betrogen, man hatte auch vielleicht Peter von Kalatin auf die Seite zu ziehen gewußt, und nun wollte man den Rest des Ganzen durch Qualen von mir erzwingen. Verbrechen, zu denen man mich vielleicht selbst erst durch teuflische Kunst verleitete, hatten mich des Todes schuldig gemacht; man schmeichelte mir mit Lebensfristung, wenn ich meinen Starrsinn, wie man es nannte, ablegen wollte. Mein Verstand hatte durch unglückliche [430] Liebe gelitten, zu welcher mich gleichfalls ein Verräther leitete, und man hofte mir in meinen unbewachten Stunden Dinge abzulauschen, die ich bey voller Besonnenheit nicht preis gegeben haben würde; sie hielten mein Gedächtniß für einen Schatz, den man ruhig plündern kann, weil der Hüter eingeschläfert ist; ja sie hatten Recht, mein Verstand schlummerte nur, und erwachte schnell, so bald es die Noth erforderte. Alf von Dülmen, stärker oder störriger als die andern, blieb stumm und reizte dadurch seinen Quäler nur noch mehr; sie wollten das Reich der heimlichen Gerechtigkeit, der Stellvertreterin des ewigen Richters, umkehren, und auf seinen Trümmern ein neues bauen, in welchem nicht die Gerechtigkeit, sondern sie regieren wollten. Wie wir Verbrechen und Unthat bestrafen und in Fesseln halten, daß sie nicht wüten können, wie sie wollen, so wünschten sie den freyen Geist des Menschen zu fesseln, und Abweichungen von ihrem Glauben zu todeswürdigen Verbrechen zu machen; sie wollten uns die Mittel der Allwissenheit und Unfehlbarkeit; wollten uns tausend andere Dinge ablernen, die ich hier nicht nennen darf, aber ihr Endzweck schlug ihnen wenigstens bey mir fehl. Es glücke ihnen oder es glücke ihnen nicht, wie ich denn nicht weis, was sie jetzt auf der Oberwelt beginnen, so ist Alf von Dülmen unschuldig an dem Unglück, welches sie stiften.
[431] Die Grausamkeit, mit welcher ich behandelt ward, rettete meinen Verstand, der durch wütende Leidenschaften fast entkräftet war; ich erwachte wie aus einem schrecklichen Traume, ich fühlte die Nothwendigkeit mich zu ermannen, und ich ermannte mich um ihnen allen gewachsen zu seyn.
Dies zog die Fülle ihres Zorns über mich, mein Tod war beschlossen, ich sollte fallen ohne zu wissen wer mich fällte. Von dem Thurm, in welchem ich gefangen lag, führt ein schmaler Gang in einen andern, welchen man den Thurm der Freyheit nennt, weil seine Gefangenen gelinder gehalten und eher begnadigt werden, als die Bürger des unseeligen Kerkers, in welchem ich bis dahin geschmachtet hatte. Man kündigte mir an, daß mir auf Vorbitte der Prinzessinn Alix die Thür zu demselben geöfnet werden sollte, und daß ich alles, was mir heute wiederfahren würde, als eine Folge ihrer Verwendung für mich ansehen möchte. Alles kam bey mir nun darauf an, einen Weg zu gehen – welchen nie einer der ihn einmahl betrat, zum zweytenmahl gegangen ist.
Natürlich wußte ich nichts von der schrecklichen Falle, die man mir legte; ich sahe nichts vor mir als Erreichung des Wunsches, den wohl ein jeder Gefangener fühlen wird. Der Gedanke, Alix habe für mich gebeten, die Hofnung auf Freyheit sey ein Geschenk von ihr, berauschte mich, [432] und ich würde blindlings dem Verderben in den Rachen gestürzt seyn, wenn mich nicht ein Zufall gerettet hätte, wie wir denn immer geneigt sind, das Zufall zu nennen, was die Vorsicht zu unserm Besten veranstaltet.
Ich hatte einen Hund von außerordentlicher Größe, welchen der Herzog von Braunschweig einst mit aus England gebracht, und dem Herzog von Sachsen geschenkt hatte, aus dessen Hand ich ihn erhielt. Dieses treue Thier, dessen Begleitung mir auf meiner einsamen gefahrvollen Reise so nöthig gewesen wär, da es jeden, der mich antasten wollte, mit Löwengrimm anzufallen pflegte, fand ich erst zu Pamiers, wohin Rudger es auf meinen Befehl mit sich genommen hatte. Am Tage meiner Gefangennehmung hatte man es, um mich desto sicherer zu fassen, von mir zu entfernen gewußt. Ich hatte es all die Zeit über, da ich im Kerker schmachtete, nicht gesehen; aber diesen Morgen brachte es derjenige, welcher mir die Verbesserung meines Zustandes ankündigte, mit ins Gefängniß. Ich ahndete so wenig, daß hinter dieser anscheinenden Gefälligkeit ein heimlicher Tück verborgen war, als meine Feinde ahnden mochten, daß sie mir das Mittel meiner Rettung gebracht hatten.
Die Schwachheit, welche ich beging, indem ich Freude über den Anblick meines treuen Hundes [433] äußerte, lockte dem Kerkermeister ein hämisches Lächeln ab. Ihr könnt ihn bey euch behalten, sagte er, und ihn mit hinüber in eure neue Wohnung nehmen, zu welcher euch die Thür bald geöfnet werden wird, bis ihr die völlige Freyheit erlangt.
Er hatte sich in der That kaum entfernt, so flog eine Seitenthür meines Behältnisses auf, und zeigte mir eine Aussicht über einen langen und schmalen Gang in ein helles und geräumiges Gemach, welches hohe weit geöfnete unvergitterte Fenster in eine freye Gegend hatte. Welch ein Anblick für denjenigen, welcher so lang der Luft und Sonne entbehren mußte! Ich faltete die Hände gen Himmel, um ihm für das zu danken, was ich für das Unterpfand völliger Befreyung hielt. Mittlerweile sprang mein Hund, der zu meinen Füßen lag, und dem die bängliche Luft in meinem dumpfen Kerker schon ein angstvolles Winseln abgenöthigt hatte, schnell empor und schnaubte der freyen Luft entgegen; er trat in die offene Thür, und begann nun in vollem Laufen hinüber nach dem Orte zu setzen, welcher ihm so lockend als mir selbst dünken mochte; aber kaum hatte er die ersten Sprünge auf der Gallerie gethan, als sich die Thür, aus welcher ich jetzt ebenfalls hinaustreten wollte, krachend zwischen ihm und mir verschloß, und über und unter mir ein betäubendes Knarren, wie von zwanzig in Gang kommenden [434] Triebrädern erhub, unter welchem ich nur schwach die kreischende Stimme meines Hundes unterscheiden konnte. Ich weis nicht, was ich in diesem Augenblick dachte, mir ists, als hätte ich eine dunkle Vorstellung von der Wahrheit gehabt. Ich hatte in meiner Kindheit schon die Geschichte von dem unglücklichen Marggraf Egbert von Sachsen oft erzählen gehört, welcher im Jahr 1090 durch die meuchelmördrische Bosheit eines 13 Weibes in die Schwerdmühle zu Eisenbüttel fiel. Dergleichen von der Hölle erfundenen Maschinen, wo durch einen Fußtritt, oder anderweitige Berührung einer verborgenen Feder bewaffnete Arme oder andere Werkzeuge des Todes aus dem Boden und der Mauer hervorkommen, und den, welcher durchhingeht im Augenblicke zerfleischen, sind nichts neues, und es wär kein Wunder gewesen, wenn mir etwas dieser Art in den Sinn gekommen wär; doch weis ich nicht genau, was ich damahls dachte oder ahndete, nur dies erinnere ich mich, daß ich den Namen meines Hundes rief und mich bemühte, die Thür zu öfnen, welche sich nach ihm geschlossen hatte. Maschinenmäßige Bewegung! denn was hätte ich thun wollen?
Das abscheuliche Schnarren des Räderwerks um mich her ließ endlich nach; die Stimme des armen Geschöpfs, das für mich zum Opfer geworden [435] war, hörte ich schon lang nicht mehr; jetzt konnte ich die Thür aufreissen, und was ich erblickte rechtfertigte alle Muthmaßungen, die ich hätte haben können. In der Mitte der Gallerie, welche jetzt sehr dunkel war, da sich die gegenüberliegende lockende Aussicht geschlossen hatte, erblickte ich den Leichnam des armen Geschöpfs noch zuckend, und wie es schien aus tausend Wunden blutend. Man wird mir glauben, daß ich keine Lust hatte die Sache näher zu betrachten, da ich nicht wußte, wie lange die Würkung der teuflischen Maschiene daure. Ich warf die Thür zu, verdeckte mein Gesicht mit beyden Händen, und überließ mich einem Schmerz oder einem Grauen, welches mancher vielleicht unmännlich nennen würde; doch in meine damahlige Lage kann sich nicht so leicht einer hineindenken, und mich zu beurtheilen würde wohl also den meisten schwer fallen. Nach mehreren Stunden erholte ich mich erst völlig aus einer schrecklichen Betäubung; ich saß auf der Erde dicht an der entgegengesetzten Thür, welche den gewöhnlichen Eingang zu meinem Kerker ausmachte. Trieb der Natur zur Flucht mußte mich dahin gezogen haben, ich weis nicht wie ich dahin gekommen war.
Ich öfnete die bisher geschlossenen Augen, athmete aus tiefer Brust herauf und begann meine Rettung lebhaft zu fühlen; aber Gott! welch eine Rettung! War ich nicht noch immer in den [436] Händen meiner Henker, die ja, wenn ich ihrem Schwerd auf eine Art entkommen war, noch tausend andere Mittel hatten mich aufzureiben! – Mein nächster Gedanke flog, wie man denken kann, zu Alix. Wie? rief ich, dieser höllische Streich sollte von dir kommen, du Heilige? alles was mir heute wiederfahren würde, sollte ich dir zuschreiben? Thoren, die mein Herz mit solchem Wahn vergiften wollten! Was hätte ich wider dich gesündigt? daß ich dich liebe? das weißt du ja wohl nicht einmahl? – Alverde hat mich ja mehrmahl in ihren Briefen versichert, daß du mit ihrem Willen dies nie erfahren solltest! – Aber du hast für mich gebeten? – Ja, ja, das glaube ich; deine himmlische Seele findet jedes leidende Geschöpf ihrer Verwendung würdig! Vielleicht hast du nicht blos bey Menschen, auch bey Gott für mich gefleht, und deiner Vorbitte habe ich meine Rettung zu danken; sie ist würklich der Grund dessen, was mir heute begegnete. So phantasirte ich fort, und vertiefte mich immer von neuem in Gedanken, welche Alix zum Gegenstand hatten. Mir war es erwiesen, daß die Heilige für mich gebetet haben müsse, und daß ich blos durch ihre Verwendung für mich am himmlischen Throne noch lebe. Mein Herz war voll Dank gegen sie; ich musterte jedes Wort, welches bey meinen zahlreichen Verhören aus meinem Munde [437] gegangen war, ob auch in der halben Abwesenheit des Verstandes, die sich oft bey mir fand, mir etwas entschlüpft sey, das ihr hätte nachtheilig werden können. Man hatte mich sehr oft auch über Alix, über meine Liebe zu ihr, und über ihre Anhänglichkeit an die waldensischen Lehren gefragt, aber ich schmeichle mir, daß ich nie etwas geantwortet habe, welches ihr neue Verfolgungen hätte zuziehen können.
Ich war viel zu sehr in meinen Betrachtungen versunken, als daß ich mich sobald hätte erheben sollen. Ein Geräusch von außen war es endlich, was mich störte. Ich vernahm die klirrenden Schlüssel des Kerkermeisters auf der äußern Gallerie, und hörte ihn bald darauf nebst noch einigen Personen näher kommen.
Ich schaudere, gnädiger Herr, sagte der Diener der Bosheit, euch diese Thür zu öffnen, ihr werdet einen Anblick haben, den ihr euch wohl kaum so schrecklich denken könnt. Ich selbst hatte ihn noch nicht, aber mein Knecht, welcher dem Gefangenen den ihr befreyen wollt, vor einer Stunde sein Frühstück brachte, kam bebend zurück, meldete mir den fürchterlichen Vorgang, und ich ging sogleich, ihn höhern Orts anzusagen. Das Ungeheuer war ihm mit blutigen Rachen entgegen gesprungen, er hatte die ganze Schreckensscene nur mit einem Blick übersehen, und sich dann mit Mühe retten können.
[438] Aber, sagte eine Stimme wie die Stimme des Herzogs von ***, welche Raserey, den Hund zu ihm zu lassen, dessen wütige Art man kennt, und welcher vermuthlich schlecht gefüttert worden seyn muß; denn nichts als wütender Hunger konnte ihn reizen, seinen Herrn anzufallen.
Es sind hier freylich viel Versehen vorgegangen, antwortete der Kerkermeister, die aber mir nicht zu Schulden kommen dürfen. Ich habe es gewiß allezeit gut mit dem Gefangenen gemeint, und fühlte eine wahre Freude, da ich ihm diesen Morgen schon, auf die Vorbitte der Prinzessin Alix, ein leidlicheres Gefängniß anzeigen konnte; da nun noch die eurige dazu kam, wer hätte an seinem Glück zweifeln sollen? Aber der Himmel ist wunderbar in seinen Schickungen, seine Rache muß diesen Menschen außerordentlich verfolgt haben, und mir wird es immer denkwürdig bleiben, daß er auf dem Wege nach dem schönen Orte, den wir den Thurm der Freyheit nennen, sein Leben auf eine so schreckliche Art einbüßen mußte, ehe er das erreichen konnte, was seine Augen sahen.
Der Herzog sagte hier etwas, das Ausdruck des Kummers seyn sollte, das aber, wie mir es schien, denselben nicht sonderlich bezeichnete. Der Kerkermeister fing indessen an, an den Schlössern zu drehen, sagte nochmahls, daß [439] man mich, von meinem Hunde zerfleischt, auf der Mitte einer Gallerie finden würde, weil sich noch niemand hieher gewagt habe mich in andere Lage zu bringen, auch ermahnte er die Anwesenden, ihre Degen zu ziehen, und den wütenden Hund, so wie er ihnen nach Oefnung der Thür entgegen springen würde, gleich niederzustossen.
Der Elende! wie ganz anders sollte er es finden, als er erwartet hatte! Die Thür ging auf, und ich fiel ihnen lebend in die Augen. Ich leugne nicht, daß mein erster Gedanke war, dem nächsten, den ich erreichen könnte, den bloßen Degen aus der Hand zu reissen, und ihn dem meuchelmörderischen Kerkermeister ins Herz zu stossen; doch er war nichts als das elende Werkzeug höllischer Bosheit, und der Abscheu vor seinem unreinen Blut riß mich noch von einer niedrigen That zurück. Ich hatte mich erhoben, und stand mit in einander geschlagenen Armen mitten in meinem Gefängniß, als sie mit lächerlicher Scheu vor einer Gefahr, welche hier nicht existirte, hereintraten. Ihr Starren, ihr Staunen, ihre verwirrten Reden, als sie mich jetzt gewahr wurden, zu beschreiben, wär ich nicht im Stande. Meine Augen waren vornehmlich auf den Herzog gerichtet, weil ich zweifelhaft war, ob er an den entsetzlichen Dingen, die man wider mich geschmiedet hatte, Theil gehabt habe. Ich muß gestehen, daß ich zwar [440] eben keine sonderliche Freude mich lebend zu sehen, aber doch auch nichts in seinen Augen entdeckte, das mir das geringste Einverständniß bey jener teuflischen Bosheit hätte andeuten können; er schien die Legende von dem treuen Hunde, der seinen Herrn zerfleischt haben sollte, würklich geglaubt zu haben.
Ich ließ mich nicht auf umständliche Beantwortung seiner verwunderungsvollen Fragen ein, führte ihn zu der Thür nach jener mörderischen Gallerie, riß sie auf, sagte ihm mit wenig Worten, was mir begegnet war, warf einen verächtlichen Blick auf den Kerkermeister, der in einem Winkel, wie vom Donner gerührt, da stand, ließ mir von einem seiner Knechte die leichte Kette losschliessen, die man mir diesen Morgen, da man mich von den übrigen entlastet, noch gelassen hatte, ging dann langsam zur geöfneten Thür heraus, und überließ es den Andern, mir zu folgen.
Graf Adolf, sagte der Herzog, der mich auf der Treppe ereilte, ich hoffe, ihr habt mich nicht im Verdacht eines Antheils an diesen entsetzlichen Dingen! Hätte ich diesen, erwiederte ich, indem ich ein Schwerdt, das ich im Gehen zu mir genommen hatte, über die Hälfte aus der Scheide zog, hätte ich diesen, so solltet ihr jetzt nicht lebendig an meiner Seite gehen.
[441] Der Herzog biß sich auf die Lippen ohne meiner Rede zu beantworten. Wir stiegen zusammen in den an der Treppe wartenden Wagen, und ich erfuhr hier weitläuftig aus dem Munde meines Gefärthen, daß Briefe von unsern Obern ihm Befehl gebracht hätten, meine Befreyung auf das schnellste und dringendste zu suchen. – (Das wußte ich zuvor, daß ich ihm hiebey unmittelbar nichts zu danken hatte.)
Bey meinen Verfolgern hatte er, wie er mich im Fortfahren berichtete, meine Freyheit sehr leicht erhalten. Der Kerkermeister war gerufen worden, man hatte gesagt, er warte bereits im Vorzimmer und habe entsetzliche Dinge zu melden. – Hier die so greuliche als unwahrscheinliche Legende, daß mich mein Hund erwürgt habe, welche ja die geringste Untersuchung, welche ja die Beschaffenheit meiner Wunden hätte widerlegen müssen, wenn ich würklich gefallen wär; doch einer solchen Untersuchung war man vielleicht bey dem schwachen leicht zu blendenden Herzog, dem noch überdem wenig an mir gelegen war, gar nicht gewärtig.
Die Stadt war voll von meinem entsetzlichen Tode, und man sahe mich mit Erstaunen lebendig. Ueber der Tafel sagte der Herzog, der seine hämische Bosheit nicht zu bergen wußte, mit höhnischer Miene, ich sey sehr glücklich, daß das schöne Geschlecht so viele Notiz von [442] mir nehme; in dem Cölestiner Kloster, welches zu dieser Stadt gehöre, habe eine fremde Dame öffentliche Danksagungen für meine Befreyung angestellt, und die Prinzessinn Alix sollte, als sie meine Rettung erfahren habe, überlaut zu ihren Damen gesagt haben, Gottlob! Gottlob! daß er geborgen ist!
Der Feindselige! er wußte nicht, wie sehr er mich durch diese Dinge, welche mich beschämen sollten, entzückte! Ich antwortete nichts, sondern sehnte mich, mit Rudger hierüber zu sprechen; die Freude, mich nach so großer Gefahr wieder zu sehen, hatte ihn halb wahnsinnig gemacht, und ich erfuhr erst spät, daß ich ihm hier eigentlich alles zu danken habe. Sein erstes Geschäft nach meiner Gefangennehmung war gewesen, unserm großen Oberhaupt dem Herzog von Sachsen auf die gewöhnliche Art mein Unglück wissen zu lassen; aber als er bey näherer Erkundigung erfahren hatte, in was für Händen ich sey, und wie dringend meine Gefahr werden könne, so war er geflogen meine Schwester von meiner Lage zu benachrichtigen und mit ihr schleunigere Hülfe zu verabreden. Alverde war an dem nehmlichen Tage aus dem Dienst der Prinzessinn entlassen worden; er fand sie nicht, und die Angst trieb ihn, bey Alix für mich zu flehen; daher ihre großmüthigen Verwendungen für mich, welche ich freylich lieber [443] eigenem Antrieb, nicht fremder Vorbitte, freylich lieber der Liebe, als dem bloßen Mitleiden zu danken gehabt haben möchte.
Alverdens Aufenthalt hatte er endlich auch ausgekundschaftet; denn bey Hofe wußte man ihn nicht, sondern glaubte, sie habe dem erhaltenen Befehl zu folge, Pamiers gänzlich verlassen. Sie war die Dame im Cölestinerkloster, welcher ich das Te deum für meine Rettung zu danken hatte; eine Schwachheit des guten Mädchens, ihre Freude um mich so öffentlich zu äußern, welche ihr hätte gefährlich werden können, und welche wohl blos der höchste Grad inniger Schwesterliebe entschuldigen konnte. Und diese gute Seele sollte in der Folge so verleitet werden, daß sie die Schöpferinn meines Verderbens werden mußte? und ich, der ich ihr Herz kannte, war so verblendet, sie würklich für meine Feindinn zu halten? – Doch ich kann dem Gang meiner Geschichte nicht vorgreifen, ohne undeutlich zu werden; ich fahre fort.
Da es mir nicht vergönnt war, zu den Füßen der himmlischen Alix meine Danksagungen auszuschütten, so hatte die treue Schwester den nächsten Anspruch auf mich; ich flog zu ihr in das Cölestinerkloster, und fand sie krank vor Freude. Durch Briefe von Alix hatte sie meinen Tod und meine Rettung kurz hinter einander vernommen, ein Wechsel von den gewaltsamsten [444] Gefühlen, welcher die zärtlichste Seele, die je mit einem eben so feingebildeten Körper verbunden war, wohl zu Boden drücken mußte. Schon einmal war ich ihr durch einen Brief von der Prinzeßin tod gesagt worden; aber die Sache hatte keinen Glauben bey ihr gefunden, weil sie durch ihre Kundschafter besser belehrt war. Auch sie hatte sich zu meiner Rettung an die Mitglieder des grossen Bundes gewandt. Briefe von ihr an den Pfalzgrafen Otto waren längst abgegangen, und wahrscheinlich hatte sich der Herzog von Sachsen, auch durch ihn belehrt und aufgemahnt, so ernstlich für mich verwendet.
Himmel, wie viel edle Personen sorgten um mich! Konnte ich, konnte ich sinken, da diese für mich wachten? – Wie glücklich war ich damals! wie stolz fühlte ich mich, in der Achtung der besten Menschen! Alix, Alverde, Bernhard und Otto liebten mich! – – und jetzt? – O schon das Bewustseyn, in der ganzen Welt, von keiner Seele geliebt zu seyn, leben und sterben zu können, ohne daß eine Thräne um mich fliessen würde, schon dieses könnte mich in den Abgrund der Verzweiflung hinabreissen; ich war damals so reich, und jetzt habe ich nicht einmal einen treuen Rudger, mit dessen Liebe ich mich trösten könnte; doch ich [445] bin ungerecht! Ademar! ich habe ja dich, an den ich diese Blätter richte!
Ich weiß nicht, ob ich mir damals nicht zu viel schmeichelte, wenn ich glaubte, Alix fühle etwas mehr als Mitleid für mich, wenigstens habe ich nachher nie eine Spur gehabt, daß sie mich noch kenne oder für mich fühle. Alverde mußte dieses am besten wissen, aber sie sah meinen verzweifelten Zustand, und schmeichelte mir mit allem was ich wünschen konnte, um mich nur zu beruhigen und zu entfernen. – Sie zeigte mir tausenderley Hoffnungen in meiner Liebe, und wies mich doch auch an den kaiserlichen Hof, wo ich mein Glück vielleicht noch besser als durch Alix machen könnte; die Angst entschuldige ihr widersprechendes Betragen, die Angst mich noch in der Stadt zu sehen, wo meine Feinde lebten. Sie drang darauf, daß ich Pamiers verlassen sollte, aber sie würde vielleicht durch nichts gesiegt haben, als durch die Vorstellung, daß Alix um meiner Gegenwart willen leiden müsse, und daß sie, wegen meiner bekannten Leidenschaft für sie, strenger in meiner Anwesenheit gehalten würde, als nach meiner Entfernung nöthig sey.
Ich ließ mich überreden, und begehrte nur noch einige Tage Frist, ich mußte diesen Aufschub begehren, da der Tag nahe war, um dessen willen sich alle Mitglieder unsers heimlichen [446] Bundes eigentlich hier versammelt hatten, der Tag eines grossen Gerichts, bey welchem, wie mir der Herzog von ***, der leidige Stellvertreter unsers obersten Stuhlherrn sagte, sehr wichtige Dinge verhandelt werden sollten. Es war sehr viel Widersprechendes in dem Betragen dieses Mannes, er bestand darauf, daß ich bey der grossen Gerichtssitzung nicht fehlen dürfe, und doch machte er mir meine Anwesenheit zum Verbrechen, und gab Winke, daß ich wegen derselben würde strenge Rechenschaft ablegen müssen.
Was er zu verstehen gab, das geschah. In dem Gerichte, da ich gewohnt war, eine ganz andere Stelle einzunehmen, wurde ich als Beklagter aufgefordert! eigenmächtiges Verfahren ohne Wissen meiner Obern, und Mangel an Verschwiegenheit waren die Hauptbeschuldigungen die man wider mich aufbrachte. Man setzte mir hart zu. Weniger erfahren in allen Mitteln unsers Rechts, hätte ich der Bosheit meiner heimtückischen Verfolger unterliegen müssen, aber ich siegte. Wider die erste der schändlichen Anklagen, schützte mich der Beweis, daß ich auf Kalatins Ladung mein Land verlassen habe, und alle Schuld fiel auf ihn. Was den Punkt wegen der Verschwiegenheit anbelangte, so hätten mich die Leiden rechtfertigen können, die ich für die Geheimnisse des Ordens erduldet [447] hatte, aber man ließ es gar nicht zu diesem mir so rühmlichen Beweis kommen. Der Herzog, welcher mir einst seine Vertraulichkeiten gegen den Grafen von Segni gebeichtet hatte, furchte, ich möchte hier seine Beichte wiederholen, und lenkte ein.
Ich nahm meinen Platz als ein Schuldlos befundener, nun wieder unter den Richtern, und sah mit Erstaunen, daß auch Kalatin sich entschuldigen konnte; ich ließ alle diese Dinge an ihrem Ort gestellt seyn, und behielt mir vor, einst vor dem Stuhle des Herzogs von Sachsen hierüber zu sprechen, weil hier mir alles verdächtig war.
Die Prüfungen jener schrecklichen Nacht, waren für mich noch nicht geendet; ach die gefährlichsten, sie, die meine Hasser nicht sinnreicher zu meinem Verderben hätten erfinden können, folgten noch. Mir sind diese Dinge noch immer ein unauflösliches Geheimniß, auch hier muß ich glauben, daß der Herzog würklich getäuscht war; gutwillig hätte er, dem die unverletzliche Majestät unserer geheimnißvollen Rechte, und die schwere Strafe, welche auf den mindesten Vergehen, wider dieselben haftete, bekannt war, gutwillig hätte er nicht fehlen, gutwillig hätte er nicht Erdichtung der fürchterlichsten [448] Anklagen, und muthwillige Verleumdung eines gekrönten Unschuldigen begünstigen können.
Aber, unschuldig? Philipp unschuldig? Gott gebe, daß er es nicht war! Sollte würklich das, was mich damals selbst so ganz verblendete, erdichtet gewesen seyn, wo wollte ich Entschuldigung, wo Mittel finden, meine verbrecherischen Hände von vergossenem Blute rein zu waschen!
Die Hälfte der unsern Geheimnissen geweihte Zeit war vorüber. Der Mond ging unter, und alles verkündigte die Annäherung des Morgens. Da erhub sich das Panier des Blutbanns noch einmal und der Herold verkündigte noch einmal Aufmerksamkeit und Stille. Kläger standen auf, und Zeugen zeugten wider Philipp von Schwaben, den unwürdigen Besitzer des Kaiserstuhls; sie nannten ihn Erzbischof Konrads Mörder, und riefen das Wehe über ihn herab. Diese schreckliche Beschuldigung Kaiser Philipps war mir nicht neu, der Herzog von ** hatte schon darüber mit mir geredet und an mich geschrieben, aber sie faßte mich jetzt mit allen Schrecken der Neuheit, ich hielt sie damals für ganz unerweislich, jetzt sahe ich sie mit den täuschendsten Gründen erwiesen.
Armer, armer Alf von Dülmen! wie war dir, als dir die Post, dein Freund, dein Vater, [449] Erzbischof Konrad von Maynz sey nicht mehr, gleichsam von neuem verkündigt ward, als du seine Vergiftung beweisen, und die Stimme seines racheschreyenden Bluts ertönen hörtest? War Wuth und Rachsucht wider den vermeyntlich überwiesenen Mörder dir zu verdenken? War dirs zu verdenken, daß du mit Ungeduld lauertest, wem die Gerechtigkeit das Schwerd wider ihn in die Hand geben würde?
Der Stab ward über Philipp gebrochen; seine Schuld war zu groß, er sollte ungewarnt sterben; man warf das Loos über die Bluträcher; kein gemeines Schwerd durfte den gekrönten Verbrecher fällen, Richter standen auf aus dem Gericht, die Diener der Rache zu werden, und das Loos ward geworfen; es fiel auf mich; und der abwesende Otto von Wittelsbach ward mir zum Gefärthen gegeben.
Mich überfiel ein Zittern, als gelte es hier das Blut der Unschuld; Rache und Grimm gegen Konrads sogenannten Mörder waren wie weggehaucht aus meinem Herzen, mir wars als stünde der Schatten des verblichenen Heiligen an meiner Seite, und hindere mich, das Schwerd zu ziehen, das ich dem Herkommen gemäß zum Zeichen der Einwilligung blößen mußte.
Was zögert Graf Adolf? fragte der Herzog von **, versagt er der Gerechtigkeit seinen [450] Arm, oder zweifelt er an dem, was so eben erwiesen ward?
Keins von beyden, sagte ich mit dumpfer Stimme, aber ich protestire wider einen der sogenannten Ausrichter des Urtheils.
Doch nicht wider euch?
Das darf ich nicht, wo würde ich Vorwand finden? aber was hat Otto von Wittelsbach gethan, der Mörder seines Vaters werden zu sollen?
Wer weis, ob Philipp je Ottos Vater wird, doch dem sey also, hebt nicht die Gerechtigkeit jede Bande auf?
Ich protestire nochmals wider die Schuld, die man auf Ottos Gewissen laden will!
So nehmt ihr sie allein auf das eurige! Philipp falle nur; durch wen unter den ernannten Rächern er falle, das ist für die urtheilssprechende Macht gleichgültig; aber wehe denen, welchen sie das Schwerd vertraute, wenn Erzbischof Konrads racheschreyendes Blut nicht bald befriedigt wird! der dritte Mondswechsel darf Philipp nicht mehr unter den Lebendigen finden.
Es war hier, als wenn noch einige unter den Edelsten unsers Bundes auftreten, und etwas gegen das Urtheil einwenden wollten, aber die Nacht gränzte dicht an den Morgen, dessen [451] Strahlen die Geheimnisse des Blutgerichts 14 nicht entweihen dürfen; es war unmöglich, noch einen Einspruch zu thun; die Versammlung zerfloß wie Wolken zerfließen, und das Urtheil blieb gesprochen.
Keine Sprache schildert meinen Zustand in der Zeit, welche auf das Gericht folgte, das mir jenen greulichen Auftrag gegeben hatte. Schuld und Unschuld desjenigen, welchen ich richten sollte, wogte unaufhörlich in meiner Phantasie auf und nieder, jetzt glühte ich von Rache gegen Erzbischof Konrads Mörder, jetzt bebte ich vor Angst, mein Schwerd möchte bestimmt seyn, einen Unschuldigen zu fällen, nur eins blieb fest und gewiß in meiner Seele, der Entschluß, Otto von Wittelsbach sollte des Antheils an diesen grauenvollen Dingen überhoben bleiben; ich liebte ihn zu sehr, um hier nicht seine Hände rein erhalten zu wünschen; lieber wollte ich allein thun, was ich thun mußte, als ihn durch Theilnehmung unglücklich machen; und that ich hierin etwas sonderliches? Wir opfern uns für das Glück, für die Ehre, für das Wohlseyn unsers Freundes [452] auf, sollten wir nicht das nehmliche für sein Gewissen thun? Niemand hatte ich, mit dem ich über diese Dinge sprechen konnte; diejenigen unter den Mitgliedern unsers Bundes, welche ich genau genug kannte, um ihnen mein Herz zu öffnen, waren des andern Tages nach dieser schrecklichen Nacht schon nicht mehr zu Pamiers, der Herzog von ** hatte mein volles Mißtrauen, und Rudger, der so wohl als ich in jener Nacht gegenwärtig war, durfte Pflicht wegen seine Meynung über Dinge, welche in den höhern Regionen unsers Reichs vorgingen, weder sagen, noch von mir dazu aufgefordert werden. Profane aber zu Vertrauten zu machen, wär Thorheit und Eidbruch gewesen.
Sutrino, der Freund, dessen ich schon mehr gedacht habe, war keiner der Unsern, und also auch gegen ihn mußte ich schweigen; aber sonderbar war es, daß er, so oft wir zusammen kamen, mich mit Dingen unterhielt, welche ganz zu meinem herrschenden Gedanken paßten, und mich überall, wo ich noch wankte, fest zu machen abzielten. Erzbischof Konrads Tod und Philipps Schuld waren unablässig der Gegenstand seines Gesprächs, und kam ich von ihm, so konnte ich gewiß nie in dem, was mir zu thun oblag, zweifelhaft seyn.
[453] Mich trieb meine Pflicht zur schnellen Abreise aus Pamiers, Alverde that das nehmliche, wenn gleich aus andern Gründen. Sie redete mir unaufhörlich vom kaiserlichen Hofe und den Prinzessinnen vor, und drang in mich, zu eilen; ach sie wußte nicht, daß sie dem Hause ihrer Freundinnen in meiner Person das Unglück zusandte. – Auch Pfalzgraf Otto schrieb, und drang in meine schnelle Ueberkunft, damit ich ja von allen Seiten bestürmt würde.
Die Trennung von dem Orte, wo Alix lebte, war mir schwer; ich strebte darnach sie nur noch ein einigesmal zu sehen; man verbarg sie vor meinen Augen; auf der andern Seite forderte der Herzog von **, ich sollte mich vor dem Abschied aus Pamiers noch denen zeigen, welche meine Kerkermeister gewesen wären, dem Bischof von Kastilien und seinen Räthen, die mir gern den grausamsten Tod gegönnt hätten; die Höflichkeit, sagte er, erforderte solches, man müsse auch seinen Feinden zuweilen freundliche Mienen machen, und überdieses sey es ja so erwiesen noch nicht, daß jene meuchelmörderischen Absichten, deren ich sie anklagte, auf ihre Rechnung, nicht vielmehr auf die Rechnung ihrer Diener gehörten. – Verdammte Politik, die eines Mannes, wie der Herzog von **, würdig war!
[454] Ich beantwortete seine Anmuthungen mit verächtlichem Stillschweigen, und schied ohne Verzug aus Pamiers! – Gefangenschaft und Elend hatten mein Blut genugsam abgekühlt, um mich die Nothwendigkeit dieses Scheidens lebhaft fühlen zu lassen, mein Verstand war jetzt nur selten abwesend, war die meiste Zeit über hell genug, um die Armseligkeit der Hoffnungen einzusehen, mit welchen die gutherzige Alverde mir zu schmeicheln suchte, mein Kopf war frey, aber mein Herz litt unbeschreiblich, wenn ich bedachte, in was für Absichten ich eigentlich den kaiserlichen Hof suchte, an welchen mich meine Freunde zu Verbesserung meines Glücks lockten. Sie machten tausend Plane im Stillen für mich, von welchen nicht einer glücken konnte, da sie nur wenig von meiner wahren Lage wußten.
Otto und Alverde, mich allmälig von Alix loszureißen, suchten Bande zwischen mir und der Prinzessin Beatrix zu knüpfen, welche zwischen der Tochter und dem bestimmten Mörder ihres Vaters ja gar nicht statt haben konnten.
Als ich diese Dame sah, die schönste, welche ich je nach Alix erblickte, das lebende Bild der Unschuld und des Frohsinns, als ich die holdselige Elise sahe, welche durch die sanfteste Herablassung mich ganz zu fesseln wußte, als ich die [455] edle Irene, die Mutter der unvergleichlichen, ganz nach ihr gebildeten Schwestern, und den Kaiser sah, in all der Majestät und Milde, welche wahrhaftig keinen Mörder und Giftmischer bezeichneten, da sank mein Herz, und ich betrachtete mich mit Abscheu, daß ich Unglück in diese Familie bringen sollte. Ich kämpfte innerlich die schrecklichsten Kämpfe, unstät wie der erste Mörder irrte ich umher, und floh meine besten Freunde, floh selbst den Pfalzgrafen Otto, der meinen geheimen Kummer sah, und mir überall, wo er mich festhalten konnte, zusetzte, mein Herz vor ihm auszuschütten, oder mich mit Trost aufzurichten suchte, welcher kaum halb auf meinen Zustand paßte.
Ich sollte glauben, in dem Zustande, in welchem ich mich damals befand, müsse auch mein Aeußerliches den widrigsten Eindruck gemacht haben; ich glaubte ihn in manchen Augen zu lesen. Die Kaiserin schien ein innerliches vielleicht ahndendes Beben vor mir zu fühlen, Elise zwang sich nur, um Wittelsbachs willen mich liebenswürdig zu finden, Beatrix liebte mich zwar, aber sie fragte sich, wie es schien, immer insgeheim, woher doch das Etwas komme, welches mit ihrer Zuneigung eine Art von Furcht und Mißfallen verbinde. –
[456] Mir war dies schreckliche Etwas wohl bekannt, das mich mir selbst zum Abscheu machte, und das ich jetzt mehr als jemals abzuschütteln suchte. Ich konnte, ich konnte den zu Pamiers erhaltenen Auftrag nicht ausführen, konnte nicht der Verderber dieses Fürstenhauses und der Mörder dieses Kaisers werden, an welchem ich so viel Vortreflichkeiten entdeckte. Um mich von meiner grausamen Pflicht loszumachen, strebte ich nach Gründen, Philipp schuldlos und das Gericht, wo er verdammt wurde, verdächtig zu finden; endlich kam es zwischen mir und Rudger über diese Dinge zur Sprache. Seine Zweifel waren die meinigen, und er schlug mir vor, er wolle eine Reise nach dem Herzog von Sachsen thun, um von ihm Aufklärung jener Dunkelheiten zu holen, ein Einfall, der mir wie vom Himmel zu kommen schien.
Dem Herzog von Sachsen Botschaft zu thun, schien mir auch noch aus einem Grunde nöthig: Kalatin, zu welchem ich nach den letzten Vorgängen nun einmal kein Herz mehr haben konnte, war, wie ich wußte, zu ihm abgereist, er konnte vielleicht Böses wider mich im Sinne haben, welches Rudgers Gegenwart hindern konnte. Kalatin war mir bey meiner Ankunft am kaiserlichen Hofe nur wie ein Gespenst erschienen, um mich noch einmal um Alverdens Hand[457] anzusprechen. Ich schlug sie ihm ab, und er wandte mir den Rücken; bald darauf verschwand er gar, ich erfuhr, er sey nach Sachsen gereist, und dieses denke ich, war genug, mir Besorgnisse seiner Absichten wegen einzuflößen. Rudger sollte ihnen entgegen arbeiten, sollte mir schnelle Aufklärung meiner Zweifel bringen; wahrhaftig wichtige und nothwendige Geschäfte, wenn nicht das noch nothwendiger gewesen wär, bey mir zu bleiben, und meinen schwankenden Schritten zum Leiter zu dienen.
Ach der ehrliche Alte, unter dessen Augen ich aufgewachsen war, und der durch geprüfte Treue das Recht erlangt hatte, ehe mein Freund als mein Diener zu heißen; da er mich verlassen hatte, gesellten sich Verführer zu mir, die mich zu Thaten vorbereiteten, welche in halber Raserey begangen, mit endloser Reue gebüßt, und umsonst durch die Vorstellung entschuldigt wurden, ich sey verpflichtet gewesen, sie zu begehen, Kaiser Philipp sey ungeachtet seiner schönen Außenseite dennoch ein Mörder, und ihn habe in meinem Schwerd nichts als die Hand gerechter Rache getroffen.
In der Hoffnung, mich durch einen Ausspruch des Herzogs von Sachsen von meinem grauenvollen Auftrag entledigt zu sehen, fing ich [458] nun schon an, mich mit noch weitern Aussichten zu belustigen. Der Gedanke, Alix werde nicht Königin von Kastilien werden, kam mir nicht aus dem Sinn, Alverde hatte mir versprochen, zu Pamiers für sie zu wachen, und mich bey dem geringsten Anschein, daß man die Heyrathstraktaten aufheben, und sie ihrem Bruder zurück schicken wollte, herbeyzurufen. Ich wollte denn ihr Begleiter nach Toulouse werden, wollte ihrem Bruder meinen Arm gegen seine Feinde leihen, wollte siegen, und sie sollte der Lohn meiner Tapferkeit werden.
Mitten in diesen Projekten, die mir Frohsinn und Selbstzufriedenheit wieder zu geben begunnten, erhielt ich Briefe von Sutrino aus Pamiers. Rechtfertigung wegen der Beschuldigung, die ich ihm auf Rudgers Angabe gemacht hatte, er sey eine Kreatur des Bischofs von Sutri, war ihr Inhalt. Um seine Unschuld hierin scheinbar zu machen, warnte er mich selbst vor diesem Bischoffe, den ich haßte, und der sich vergebens bemühte, sich in meine Vertraulichkeit einzuschleichen. Er rieth mir zugleich, auch Otten von Wittelsbach zu warnen, und streute eine Menge Winke ein, daß man gesonnen sey, ihm seine Elise zu rauben; und daß es der Kaiser so ehrlich mit ihm als mit irgend einem Menschen meyne; mehrere Auskunft über diese [459] Dinge zu erlangen, verwies er mich an den Ueberbringer seines Briefs, welcher von der nehmlichen Schlangenart wie er, sich künstlich in mein Herz zu schlingen, und es mit all seinem Gifte zu erfüllen wußte; er erregte in mir die schrecklichsten Ahndungen von den Absichten des Kaisers auf den kastilischen Thron, von Erhebung seiner Tochter und Verdrängung einer andern, und verließ mich nicht ehr, bis er sein Werk ganz gethan zu haben meynte.
Ich nahm mir vor, endlich einmahl ausführlich mit Wittelsbach zu reden, dessen Umgang, aus Furcht ihm meine schrecklichen Geheimnisse zu verrathen, ich bisher immer geflohen hatte. Ein Brief warnte ihn vorläufig vor Sutri und vor dem Kaiser; bessere Erläuterung sollte nachkommen, aber sie erfolgte nicht. Dringende Geschäfte riefen den Pfalzgrafen eilig nach Pohlen, und ich erhielt von ihm nur schriftlichen Dank, und die Einladung, während seiner Abwesenheit in seinem Pallaste zu wohnen, um daselbst in der Nähe für Elisen wachen zu können, die er jetzt verlassen müsse.
Welch ein Auftrag für den, welcher vom Schicksal bestimmt war, das Herz dieser edeln Prinzessin auf das tiefste zu verwunden! – Ich nahm ihn an, weil ich nicht anders konnte, [460] und betrat Wittelsbachs Pallast, um in demselben den fürchterlichsten Auftritten meines Lebens entgegen zu sehen.
Ich stand am Tage meines Einzugs auf dem Balkon des Hauses, welcher das Frontispitz des Gebäudes ausmachte, und die Aussicht auf den Pallast der Prinzessinnen hatte. Ich sah einen Reisewagen von einem einigen Bedienten begleitet ankommen, er öfnete sich, und eine Dame stieg heraus; ich fuhr voll Erstaunen zurück; dies war die vollkommene Gestalt meiner Schwester. Meine Leute wurden beordert; Erkundigung einzuziehen, und sie brachten Bestättigung zu rück: Die Dame nenne sich Alverde von Merode und komme aus Pamiers mit wichtigen Nachrichten an den kaiserlichen Hof.
An den Hof? sagte ich zu mir selbst, warum nicht zu ihrem Bruder? was sie zu melden hat, sind doch wohl nichts anders als Nachrichten von Alix. – Gott, wenn die Erreichung meiner Wünsche so nahe wär! wenn sie käme, mich aufzufordern, der verflossenen Gräfinn von Toulouse meinen Arm zu reichen, und sie in ihr Vaterland zurückzuführen! – Aber warum mußte Alverde selbst kommen? Wie konnte sie ihre Freundinn in einer Lage, welche auf alle Art bedenklich seyn muß, allein lassen? – Ach sollte [461] hierin vielleicht noch mehr, als ich zu hoffen wage, verborgen liegen? – O gewiß, gewiß! – Die Umstände sind dringender geworden, man hat vielleicht böse Anschläge auf Alix gehabt, mich zu Hülfe zu rufen, war zu weitläuftig, die beyden Freundinnen haben sich selbst helfen müssen, sie sind geflohen, Alix hat Alverden voraus geschickt, ihr Zuflucht an Philipps Hofe zu erbitten, und wird ihr diese gewährt, so ist dies ein neues Band, mich an den zu fesseln, den ich verderben soll. Nein, Philipp! ich schwöre dir, giebst du meiner Geliebten Schutz vor ihren Feinden, so soll mich nichts bewegen, dein Leben anzutasten, und wärst du all der Unthaten schuldig, deren man dich zeihet, und gäb mir Herzog Bernhard selbst das Schwerd in die Hand, die Befehle der Gerechtigkeit an dir zu vollziehen.
Ich wartete diesen Tag, ich wartete den ganzen Abend vergebens auf Nachricht von meiner Schwester, ich bewachte die Strasse, wo ich glaubte, daß Alix, meinen Phantasien zufolge, herkommen müsse; niemand erschien, ich sah Alverden drüben im Pallaste der Prinzessinnen weinend am Fenster stehen, ich sah auch Beatrix und Elise weinen! Himmel, was mochte das zu bedeuten haben! Mein Blut ward zu Eis, und ich hatte kaum so viel Kraft, Befehl zu geben, [462] man möge der neuangekommenen Dame Nachricht geben, ihr Bruder wohne im benachbarten Hause und wünsche sie zu sprechen; die Antwort kam zurück: die fremde Dame befinde sich sehr übel, und könne weder Bruder noch Freund sehen und sprechen. Himmel, welch eine Antwort! entweder falsch ausgerichtet oder falsch verstanden, oder in einer Verwirrung gegeben, welche sich bey Alverdens damahliger Gemüthsfassung wohl entschuldigen ließ.
Ich war außer mir, Ahndung von, ich weis nicht, welchem Unglück durchströmte mein Innres. Ich schleppte mich mit Mühe an das Fenster, weil ich Geräusch auf der Gasse hörte, und die lächerliche Hoffnung auf Alix Zukunft noch immer meine Phantasie beschäftigte. Ich sah einen prächtigen Zug die Strasse herauf nach dem kaiserlichen Pallaste kommen. Ich erkannte in den beyden Hauptfiguren des beweglichen Gemäldes, den Bischoff von Kastilien und den Grafen von Kastelmoro.
Was ist das? rief ich, indem mir kalter Angstschweiß über die Stirne lief. – Es sind die kastilischen Gesandten, erwiederte einer meiner Leute, der hinter mir stand, man hat sie diesen ganzen Tag erwartet, aber sie haben sich auf einem benachbarten Lustschloß verweilt, um [463] sich zur Audienz zu schicken, zu welcher sie, weil man sich angenehme Werbung von ihnen versieht, augenblicklich geführt werden.
Eine Frage schwebte auf meinen Lippen, welche mir hier wohl schwerlich hätte beantwortet werden können; sie wurde gehemmt und alle weitere Betrachtungen über das, was ich sah und hörte, wurden gestört, denn man trat ein, mir die Ankunft eines reitenden Boten zu melden, welcher mich selbst zu sprechen verlange. Der Zusatz, er komme mit der Gesandschaft aus Pamiers von Sutrino, verschafte ihm augenblicklichen Zutritt. Ich riß ihm den Brief aus der Hand, ich öfnete, ich las, und wenn der, für welchen ich schreibe, ihn ebenfalls gelesen haben wird, so wird der große Zwischenraum, den ich zwischen diesem schrecklichen Schreiben und der Fortsetzung meiner Geschichte machen muß, von ihm sehr leicht ausgefüllt werden können.
[464]Kalatin an Graf Adolf von ***
»Ihr seyd mein Feind, Graf Adolf; die Hartnäckigkeit, mit welcher ihr mir noch zuletzt die Hand Eurer Schwester abschlugt, beweißt es mir. Wie ich gegen Euch gesinnt bin, das gehört nicht hieher, nur einen Freundesdienst muß ich Euch beweisen, wozu mich doch wahrlich weniger die Neigung für Euch, als Sorge um die Ehre unsers heiligen Bruders anreizt. Höret und merket wohl auf: Setzet ein Mistrauen in die gerichtlichen Handlungen von Pamiers, hütet euch blutige Auftritte zu vollführen, die ihr da erhalten haben mögt, und wartet auf Herzog Bernhards Entscheidung, welche bald erfolgen muß!
Kalatin.«
O warum mußte ich diesen Brief, als ich ihn erhielt, unachtsam und voll Groll auf den Schreiber, bey Seit werfen, und ich bekam ihn den Tag vorher, ehe ich meine Hand mit Philipps Blut befleckte, damals wäre es noch Zeit gewesen, der That vorzubeugen; doch würde ich mich auch haben weisen lassen? fiel Philipp darum durch meine Hand, weil mir der Herzog von ** zu Pamiers das Schwerdt [482] wider ihn gegeben hatte, oder nicht vielmehr, weil ich ihn für Alix Mörder hielt? war es die Rache der Gerechtigkeit oder eigene Rache, was ich hier verübte?
Meine Gedanken verwirrten sich über diese Betrachtungen, ich wußte nicht mehr, was ich denken oder thun sollte, wußte nicht, ob Philipp schuldig oder unschuldig gefallen war, nur dieses wußte ich, daß ich ein Elender war, der kein dringenders Geschäft hatte, als den Tod zu suchen. Der Gedanke, nach meinem Lande zu reisen, verschwand ganz, ich wußte aus einem gefundenen Briefe von Evert von Remen, daß ich ihn, den einigen, der mir diese Gegenden hätte lieb machen können, dort nicht mehr finden würde. Gram um mich und Alverden hatte ihn nach Palästina getrieben, wo er vielleicht längst seinen Tod gefunden haben konnte.
Ich faßte den Entschluß, Rudgers Hut heimlich zu entwischen, und meinem Schicksal auf einem Wege, den ich selbst noch nicht wußte, entgegen zu gehen. Meine Flucht gelang, und auf dem wilden regellosen Wege, den mich die Verzweiflung führte, fand ich bald Veranlassung zu dem, was mir zu thun oblag. Ueberall kam mir das Gerücht entgegen: Pfalzgraf Otto habe Kayser Philippen [483] ermordet und werde nun als ein Durchächteter überall verfolgt; hier erfuhr ich zuerst den ganzen Umfang, die vollen schrecklichen Folgen meiner That. Ich hatte nicht auf meine Rechnung, hatte auf die Rechnung eines andern gesündigt, der nun für mein Verbrechen büßen sollte. Hier scheiterte mein oftmahls schon dicht an die Ausführung gränzender Entschluß, mein Leben durch eigene Hand zu enden. Nein, schrie ich, ich darf nicht ehe sterben, bis Otto gerettet und gerechtfertigt ist! schon zu viel Schuld haftet auf meiner Seele, ich darf sie nicht durch das Blut eines Freundes vermehren, der um meinetwillen leidet! Hin will ich, vor jenes große Gericht, und überlaut rufen: Otto von Wittelsbach ist unschuldig und ich bin der Mörder, hier bin ich, strafetmich, daß er gerettet werde!
Der Stuhl der heimlichen Gerechtigkeit ist für den Wissenden bald zu finden, denn er ist überall; auch war mir die Zeit günstig, daß ich nicht lang auf das warten durfte, wonach meine Seele schmachtete: Rechtfertigung für meinen Freund, und Urtheil des Todes für mich.
Der Tag erschien, dessen Nacht mich in die geweihte Versammlung führen sollte; langsam und traurig trat ich in den großen Kreis, wo ich so oft auf meiner erhabenen Stelle, wie ein König gethront hatte. Rings um wich die Menge vor [484] mir. Das ist Graf Adolf! flüsterte man sich zu, den wir so lange nicht sahen; Platz für ihn! er wird unserm Oberhaupte willkommen seyn.
Herzog Bernhard war selbst gegenwärtig, wir konnten, weil die Handlung begann, wenig Worte wechseln, und ich nahm, weil einige der Richter fehlten, die über mir saßen, meinen Platz ihm zunächst. Ein schöner Rang für den Verbrecher, den die Gerechtigkeit, so bald er sich ihr kenntlich machte, in die unterste Tiefe hinabstürzen mußte!!
Halb ausser mir hörte ich nichts von alle dem, was diese Nacht vorgebracht wurde, und spielte ganz die Rolle eines Abwesenden; noch wußte ich nicht, wie ich das Geständniß meines Verbrechens, das ich mir vorgenommen hatte, einleiten sollte. Der größte Verbrecher, der gerechteste Selbsthasser bleibt ein Mensch, und bebt vor dem Urtheil, wenn er sich dem selben nahe glaubt, zurück. Ich kannte die Rechte unserer Gerechtigkeit zu gut, um bey dem Gedanken, mich in ihre Hände zu liefern, nicht ein heimliches Grauen zu fühlen. Doch das Schicksal wollte meiner Schwäche und Unentschlossenheit zu Hülfe kommen.
Am Ende der Sitzung warf sich eine Jungfrau vor den Stufen des Throns nieder, und stammelte [485] das 15 Geschrey um Rache, wie man es sie gelehrt hatte.
Und welche blutige That, fragte der Oberrichter, ists, über die ihr Rache fordert?
Kayser Philipps Ermordung!
Seyd ihr eine seiner Töchter?
Nein, aber ich rede in ihrem Namen und auf ihren Befehl!
Ueber wen klagt ihr?
Ueber keinen! aber ich fordre das Auge des Richters auf, den Thäter zu finden!
Er ist gefunden! Es ist Pfalzgraf Otto von Wittelsbach!
Nein, er ists nicht! schrie ich mit schrecklicher Stimme, indem ich aufsprang, und die Hand zum Zeichen des Widerspruchs in die Höhe hob.
Nein, er ists nicht! schrie die Jungfrau, sehet und höret hier meine Beweise.
Pfalzgraf Otto ward entschuldigt, so bündig entschuldigt, als es bey der Gerechtigkeit seiner Sache unausbleiblich war, und man hieß die Klägerin sich erheben und gegen alle vier Winde Rache gegen den unbekannten Mörder rufen! sie schlug den Schleyer zurück, und that mit zitternder Stimme, wie man ihr gebot.
[486] Ihr Gesicht, ihre Sprache machte sie mir auf einmal kenntlich, und mein ganzes Wesen durchlebte ein unwillkührlicher Schauer. Alverde! rief ich, indem ich von meinem Stuhl herabstieg, Alverde, meine Schwester! Du schreyst Rache über deinen Bruder? Ich, ich bin Kayser Philipps Mörder! Hier bin ich, tödtet mich! Pfalzgraf Otto ist unschuldig!
Alverde wurde ohnmächtig und ward hinweggeschaft, man nahm meine Worte auf; das Gericht ergieng über mich; ich ward verurtheilt.
Da erhub sich ein Mann aus der untern Klasse, mich zu vertheidigen, es war Rudger, der mich, den Verlornen, mit Erstaunen hier wiederfand. Seine Worte konnten kein Gewicht haben, denn die mächtige Wahrheit und mein eignes Zeugniß waren wider mich. Man hieß ihn schweigen, und in heimlichen Banden, als ein Gefangner, bleiben, bis der Kaysermörder seinen Lohn empfangen hätte; darauf brach man den Stab über mich, und stieß mich hinaus, ruhlos in der Welt umherzustreichen, bis mich der Bluträcher finde und mich tödte.
Ich eilte davon, damit man Raum hätte, das Loos über diejenigen zu werfen, welchen man das Rachschwerdt wider mich vertrauen wollte. Ach ich dachte nicht, daß es auf denjenigen fallen würde, den ich seit einiger Zeit für einen nur verkannten [487] Freund zu halten begunnte, auf Kalatin, der durch seine Warnung vor der greulichen That, die mich jetzt ins Verderben stürzte, wieder viel in meiner Achtung gewonnen hatte.
Meinen Zustand zu beschreiben, ist unmöglich! niemand als ein selbst Durchächteter weiß, was es heißt, von der ganzen menschlichen Gesellschaft, als ein verdorbenes Glied, abgeschnitten zu seyn, und den heimlichen Rächer immer im Nacken zu haben. Selbst den Lebensmüden, wie ich es war, ist diese Verfassung schrecklich, ist ihm ärger als der Tod.
Eins beruhigte mich; vor meinem Tode, den ich in jeder Stunde erwarten konnte, noch eine Handlung der Gerechtigkeit gethan, und meinem Freunde, Pfalzgraf Otten, dem man des Ansehens wegen, meine That aufgebürdet hatte, Ruhe, Unschuld und Ehre, wieder gegeben zu haben. Ich erwartete nun von der Wiedereinsetzung in alle seine Rechte, von seiner Vermählung mit der Prinzessinn Elise, von der Zurückberufung seiner verbannten Freunde zu hören, aber – ich wartete vergebens! Der Gerechtigkeit waren zwey Opfer lieber wie eins, was die heimliche nicht forderte, das heischte die öffentliche. Ottos Unschuld war durch meine Schuld nicht erwiesen, ich war durch mein Bekenntniß nur zu seinen Mitverbrecher gemacht worden. Ich hörte, die Prinzeßinn Beatrix habe [488] selbst wider ihn beym neuen Kayser geklagt, seine Braut, die Prinzeßinn Elise sey dem Kastilier gegeben worden, und Otto irre in der Welt umher, unstät und heimlos, wie ich, bis sein Henker ihn finde, und sein unschuldiges Blut vergösse, wie mein verbrecherisches nächstens fliessen sollte.
Konnte mich etwas in einen noch tiefern Abgrund der Verzweiflung stürzen, so war es dieses; doch nein, es drückte mich nicht zu Boden, es ward das Mittel, mich auf gewisse Art vor dem letzten Scheiden noch einmal empor zu richten. Ich wollte und durfte nicht mit Ottos unschuldigem Blut belastet in die Grube sinken, ich wollte und mußte ihn retten, mochte es seyn auf wessen Kosten es wolle.
Durch Kenntniß der innersten Geheimnisse unsers Bundes im schlauen Herrschen geübt, entdeckte ich den verlassenen Aufenthalt, wo Otto lebte, ehr als seine bestimmten Henker. Wie hätte das Auge der Freundschaft nicht schärfer sehen sollen, als das Auge der Rache! – Ich fand meinen unglücklichen, unschuldigen Freund, in einem wilden Walde, am Ufer der Donau; eine Höle war seine Herberge, Wurzeln seine Nahrung, und Verzweiflung die Gefährtin seiner Einsamkeit. Verzweiflung, nein, die Unschuld kann nicht verzweifeln, ein leichter Anschein von gebessertem Schicksal, ein kleiner Hofnungsstrahl richtet sie auf. Mich, [489] den Verbrecher, konnte nichts beruhigen, und wär selbst Alix, um deren willen ich zum Verbrecher wurde, aus dem Grabe aufgestiegen, mich zu trösten, sie hätte es nicht vermocht. Den unschuldigen Otto tröstete ein Nichts, tröstete der Zuspruch eines solchen Elenden, wie ich war.
Wie? schrie er, als ich ihn auffand und mich mit der Erklärung in seine Arme warf, ich wolle der Gefärthe seines Elends seyn, wie? Otto hat noch einen Freund? einen Freund, der ihn unaufgefordert in seiner Verbannung ausspäht, der, da alles ihn zum Verbrecher macht, allein an seine Unschuld glaubt? – O meine Verfolger, nun kann ich Euch Trotz bieten! Freunde, Anverwandte und Geliebte! nun kann ich eure Treulosigkeit vergessen, denn ich habe Alf von Dülmen, der mit mir leben und sterben will!
O wie wenig verdiente meine That das Entzücken, mit welchem sie aufgenommen ward, wie gern hätte ich mich zu den Füßen meines unglücklichen Freunds geworfen, und mich ihm als den Schöpfer seines Elends, als den Verbrecher, der ich war, bekannt! aber konnte, durfte ich dieses, ohne meinen ganzen Plan, seine Rettung zu zernichten? Einen schuldlosen Freund nahm der redliche Otto gern zu seinem Leidensgefärthen an; aber einen Kaisermörder würde er keinen Augenblick um sich geduldet haben. Hätte er nicht fürchten müssen, [490] der Blitz des Himmels müste ihn um meinetwillen in seiner Verborgenheit treffen, wenn ihn das Rachschwerdt verfehlen sollte? – Dieses fürchtete ich nicht, darum gesellte ich mich zu ihm; ich hofte, der Himmel würde das letzte Gebet eines Elenden erhören, und ihm Kraft geben, den Freund zu retten, den seine Verbrechen an den Rand des Verderbens gebracht hatten. Mein Schwerdt sollte Otto schützen, mein Auge für ihn wachen, meine Hand für ihn arbeiten, und mein Mund ihm Tröstungen ins Herz strömen, die meinem eigenen fremd waren. Ich machte muthig den Anfang, und es glückte. Doch mein Gemüth war nicht allemal gleich fähig zu meinen Geschäften. Abwesenheit des Verstandes waren bey mir zur Gewohnheit geworden; ich suchte sie vor Otto zu verbergen, oder meine Zerrüttung auf die Rechnung der verstorbenen Alix zu ziehen. Mein geradsinniger Freund glaubte alles, und versuchte mich oft zu trösten, wie ich ihn tröstete; ach seine Worte waren voll Kraft und Nachdruck, aber sie trafen die Stelle nicht, wo ich am meisten Trostes bedurfte, er kannte sie nicht, die heimliche Wunde, die mir den Tod bringen mußte.
Meinen Freund vor jeder Gefahr zu decken, duldete ich nicht, daß er sich außer den Stunden der Nacht aus seiner Verborgenheit wagte. Ich nahm es auf mich, umher zu gehen und uns [491] die Bedürfnisse des Lebens zu suchen. Mein Leben war mir feil, war mir nur um seinetwillen einiger Betrachtung würdig, ich wagte es oft ziemlich kühn, und hatte auf meinen Wanderungen Gelegenheit genug, zu erfahren, wie es in der Welt ergienge.
Das Gerücht sagte, Wittelsbachs Leben sey der Mahlschatz, mit welchem sich der neue Kaiser das Herz der Prinzessinn Beatrix erkaufen wolle; ich entdeckte ihm hievon so viel, als er wissen mußte, um seine gefahrvolle Lage und die Nothwendigkeit der Vorsicht zu kennen. Es kam zu ernstlichen Berathschlagungen zwischen uns, wie man sich am besten vor den wachsenden Verfolgungen sicher stellen könne, und wir wurden einig, daß gänzliche Flucht aus dem treulosen Vaterlande das Beste sey. Otto sollte Mittel suchen nach Palästina unter den Schutz der Fahne des Kreuzes zu kommen; ich versprach ihn zu begleiten, nicht um mein eignes Leben, sondern das seinige zu retten, und dann zu sterben. Entsündigung am heiligen Grabe, und der rühmliche Tod, durch das Schwerdt der Sarazenen war das, was ichmir dabey wünschte. Bey dem vollen unaustilgbaren Gefühl meines Verbrechens, empfand ich doch die Verpflichtung immer schwächer, mich dem Schwerdt des nächsten Mörders preis zu geben; Tod für das Wohl der Christenheit war meines Bedünkens besser und verdienstlicher, [492] obgleich freilich für mich Elenden zu schön.
Noch hatte ich es nicht gewagt, Otto um Erzehlung seines Ergehens binnen der Zeit zu bitten, da er von des Kaisers Hofe schied, um nach Pohlen zu gehen; jetzt an einem vertraulichen Abende kam dieselbe ungesucht zum Vorschein.
»Wohl wenig, so begann mein unglücklicher Freund, wohl wenig dachte ich am Tage jenes Scheidens von Freund und Geliebten, daß ich die letzte nie, den andern so wiedersehen würde. Ach Adolf, die nothwendigen Zurüstungen zu unserer orientalischen Reise, machen auch ein Scheiden nöthig, wie wird es beym Wiedersehen stehen?
Ich letzte mich mit meiner Verlobten, die nun durch die kastilische Heyrath auf ewig für mich verloren ist. Mir ahndete ewige Trennung, ich that alles, mir ihre Beständigkeit zu sichern und vergaß doch das einige, was Mißverständnisse hätte verhüten und unsere Bande troz dem Schicksal unauflöslich machen können; ich sagte ihr nichts von dem eigentlichen Endzweck meiner pohlnischen Reise, nicht aus Mißtrauen, das weiß mein Herz; ich habe ihr wohl andere Dinge vertraut, welche ich ihr vielleicht hätte verschweigen sollen; nein, theils weil ich glaubte, Herzog Bernhards Angelegenheiten, die mich nach Pohlen trieben, würden sie nicht sehr interessiren, theils weil schon so viel von [493] denselben in dem Munde des gemeinen Gerüchts war, daß ich gar nicht glauben konnte, daß ich ihr etwas neues entdeckte, wenn ich mit ihr von der Liebe meines Freundes zu der schönen Adila von Pohlen und seiner nunmehrigen Werbung um sie, spräche. Die Liebe des Herzogs von Sachsen zu der pohlnischen Prinzessin war alt, war mit tausend seltsamen Schicksalen durchflochten gewesen, die meines Erachtens weltkundig waren. Adilas Jugend und andere Hindernisse hatten den glücklichen Zeitpunkt ewiger Verbindung mit ihrem Erwählten lang verzögert; nun war er endlich erschienen, und Herzog Bernhard ersuchte mich schriftlich, die Heyrathswerbung für ihn zu unternehmen, welches ich ihm längst versprochen hatte. Auf Seiten des Herzogs von Pohlen, des Oheims der schönen Adila, gab es noch einige Bedenklichkeiten, die aber nicht besser, als durch meine Vermittlung, und durch das Vorwort des Kaysers, der sich immer für das Haus der Prinzessin interessirt hatte, gehoben werden konnten.
Ich hatte gern in die Forderung meines Freunds gewilligt, hatte bey dem Kayser gesucht, was ich bey ihm suchen mußte, hatte Schreiben von ihm an den Herzog von Pohlen erhalten, die er mir selbst vorlas, und die alles das enthielten, was ich und Herzog Bernhard zu Erreichung unsers Endzwecks nur wünschen konnten: dieses waren alles [494] Dinge, davon, wie ich meynte, Elisen das hauptsächlichste bekannt seyn mußte, und davon es nicht der Mühe lohnte, mit ihr zu reden, am wenigsten, bey so einem Abschied, wie der unsrige, da jede Minute uns kostbar war, jede Minute so ganz mit unserer Liebe ausgefüllt ward, daß wir keinen Raum behielten, an fremde zu denken. Gleichwohl ward dieses zufällige Stillschweigen über eine dem Ansehen nach ganz gleichgültige Sache, der Grund meines ganzen unübersehbaren Unglücks. O! wer kannte die feinen Fäden, welche das zarte Gewebe unsers Schicksals ausmachen, hinlänglich, um nicht hier unvorsetzlich zu zerreissen, dort zu verwirren, was die schrecklichsten Folgen zur Vernichtung des Ganzen nach sich ziehen kann! Nichts kann uns bey den Gefahren, welche oft hinter dem kleinsten Umstand lauschen, beruhigen, als die Ueberzeugung, daß jene Macht, welche es zuläßt, daß wir oft ohne unser Wissen, wider unser eignes Glück fehlen, selbst aus der Verwirrung, Ordnung, selbst aus unsrem anscheinenden Unglück, unsere Wohlfarth hervorbringen wird; – wie und wo dieser mein fester Glaube anmir gerechtfertigt werden wird, weiß ich nicht. Vielleicht in einer andern Welt, denn für die gegenwärtige möchte wohl nicht viel mehr für mich zu hoffen seyn.
Ich trat meine pohlnische Reise an, ziemlich befriedigt durch Elisens Versprechen, daß ich von [495] der kastilischen Heyrath, welche ein laufendes ihr ganz unwahrscheinliches Gerücht, damals zum Hauptgegenstand meiner Sorgen machte, nichts zu fürchten habe, daß sie mir treu bleiben wolle, so wahr ich ihr treu bliebe.
Konnte ihre Treue wohl einen festern Grund haben, als die Meinige? konnte ich wohl durch irgend etwas mehr beruhigt werden, als durch die Ueberzeugung, ich bewahre ihr Herz, indem ich das meinige bewahre? Mit gutem Muthe richtete ich mein Gewerbe am Hofe des Herzogs von Pohlen aus, und merkte nichts, bis sich einst das Gesicht des Herzogs bey Verlesung der kayserlichen Schreiben auf eine seltsame Art veränderte, und sein Blick mit einer Art von Mitleiden an mir hängen blieb.
Herr Pfalzgraf, sagte er, nach einer langen Pause, meine Nichte ist dem Herzog von Sachsen unversagt, ob ich Euch gleich gestehen muß, daß ich Euch noch ungleich lieber zum Anverwandten gehabt hätte, als ihn; ich weiß, daß Freundespflicht und frühere Verlobung die Erfüllung dieses Wunsches auf Eurer Seite unmöglich machen, aber was das letzte, was Eure Verlobung mit der Prinzeßinn Elise anbelangt, so wünsche ich nur herzlich, daß Eure Treue diejenige, welche man Euch zu halten gesonnen ist, nicht weit übertreffe.
[496] Ich weiß, was ich an meiner Verlobten habe! antwortete ich mit einigem Unwillen.
Wißt ihr das nehmliche von Eurem gehoften Schwiegervater?
Ihr spielt vielleicht auf die kastilische Heyrath an, mit welcher sich jetzt das müßige Gerücht trägt, und mit welcher ich selbst von einigen meiner Freunde geschreckt worden bin.
Ich spiele auf nichts an, ich weiß von all diesen Gerüchten nichts, ich urtheile nur nach dem, was ich vor Augen sehe. Leset diesen Brief, den mir der Kayser durch Eure Hand schickt, und der doch wohl ein Empfehlungsschreiben seyn soll, und sagt mir dann, was ihr von dem Schreiber desselben haltet, ob ihr nicht glaubt, von so einem Mann alles zu fürchten zu haben.
Ich nahm den Brief, ich las, las ganz andre Dinge als die, welche ich aus Philipps Munde gehört hatte, las unter einer Menge von geschraubten Worten mit Entsetzen folgendes: »Politisch betrachtet, sey nach den vorhergehenden Berichtigungen an der Werbung, welche durch Pfalzgraf Otten geschähe, nichts auszusetzen, und ein Herzog von Sachsen sey einer pohlnischen Prinzessinn wohl würdig; aber Herzog Bernhard und sein Freund und Freywerber der Wittelsbacher, seyen im Grunde gefährliche Leute, unruhige Köpfe und Unglücksfackeln für jedes Land, in welches [497] sie kämen; man liebe den Herzog von Pohlen und seine schöne Nichte zu sehr; um zu einer solchen Verbindung, als ein Freund rathen zu können, und man glaube, das beste für ihn würde seyn, Zeit zu gewinnen, und den Herzog von Sachsen in seinen Bewerbungen um die Prinzeßinn Adila dergestalt hinzuhalten, wie man es am kayserlichen Hofe mit dem Wittelsbacher mache, den man für zu mächtig hielt, um ihm geradezu eine Tochter abzuschlagen, dem man vielmehr alles verspräche, und die Erfüllung der Zeit überließe.
Und das schrieb Philipp? schrie ich, indem ich den Brief knirschend vor Wuth auf den Boden warf, und ihn mit Füßen trat. Hin an den Hof des Verräthers, um ihn zur Rede zu stellen, um augenblickliche, um blutige Erklärung dieser Schlangenworte, um schnelle Erfüllung seines Worts von ihm zu fordern. Zwar Philipps Tochter ist nichts in meinen Augen, und ich würde meine Verlobte von selbst verächtlich von mir stoßen, wäre sie nichts als das! Aber Elise! Elise,dich verlieren? dich, deinem heimtückischen Vater so ganz unähnlich, daß ich dich kaum für sein Kind halten kann? Nein, dies ist unmöglich; ich fliege, dich zu meinem Eigenthum zu machen, und mich dann zu rächen, an dem, welcher dich mir rauben will.
Der Herzog von Pohlen bestärkte mich in meinem Entschluß, that allen möglichen Vorschub [498] zur Beschleunigung meiner Reise, und gab mir die vortheilhaftesten Versprechungen für den Herzog von Sachsen mit auf den Weg.
Noch ehe ich die Residenz erreichte, kam mir das Gerücht von den kastilischen Gesandten, und ihrer Werbung um die Prinzeßinn Elise entgegen, die allgemeine Meynung war, sie würden nicht abgewiesen werden; die Heyrath sey vortheilhafter, als die Verbindung mit dem Wittelsbacher, der ja darum auch nicht zu kurz kommen würde, da der Kayser noch zwey Töchter habe!
Hölle und Teufel! wer waren diese beyden Töchter? die schon an einen andern Verlobte, schon für einen andern glühende Beatrix, deren Charakter so schlecht zu dem meinigen paßte? die kleine Agnes, ein Kind, über dessen Heranwachsen ich zum Greise werden müßte? und diese elenden Hofnungen sollte ich um die Gewißheit, den Engel Elise zu besitzen, eintauschen? Nein, mein Entschluß war gefaßt, und das allgemeine Zutrauen, das man bezeigte, der gutherzige Wittelsbacher würde es sich schon gefallen lassen, abermahl zurückgesetzt zu werden, dies brachte vollends alles zur Reife, was in meinem Herzen tobte, welches aber doch bey Gott nicht den entferntesten Zug von den Mordanschlägen hatte, deren Ausführung man mir jetzt beymißt.
[499] Ich schrieb an Elisen, so viel ich mich erinnere, einen bedrohlichen Brief; – ich weiß beym Himmel nicht genau, was ich eigentlich geschrieben habe, mein Blut kochte, mein Verstand verwirrte sich, denn in dem nehmlichen Augenblicke, da ich schrieb, erhielt ich Post vom Kayser: Er habe gehört, ich sey von meiner Reise nach Pohlen glücklich wieder angelangt, und er bäte mich, meine Ueberkunft nach der Residenz zu beschleunigen, und mich auf einen bestimmten Tag und Stunde zuverläßig bey ihm einzufinden, weil er sehr wichtige Dinge mit mir abzuthun habe.
Diese Bothschaft vollendete meinen Grimm, und überzeugte mich von allem, woran ich noch hätte zweifeln können. Als man mich ehemals von Kunigunden trennte, ward ich gerade auf ähnliche Art vorbeschieden, ich wußte also ganz genau, was man mir zu sagen habe: den Antrag des kastilischen Prinzen, mit der möglichen Bitte an mich verbunden, ich möchte doch so gefällig seyn, meine Braut abermahls abzutreten, es wäre ja besser und glorreicher für sie, eine Königinn, als eine Gräfinn von Wittelsbach zu werden.
Ich lachte höhnisch, ließ Philippen sagen, ich würde eher, würde auf eine Art kommen, als er dachte und setzte mich, meinen Brief an Elisen zu vollführen; er gerieth ganz so, wie meine damahlige Laune es mit sich brachte, ermahnte [500] sie auf, mit mir davon zu gehen, und drohte ihr mit Gewalt, wenn sie sich weigerte.
Hätte ich mich dann erst ihrer Hand bemächtigt, so war mein Entschluß gefaßt, mit Hülfe des eben sowohl, als ich, beleidigten Herzogs von Sachsen, und meiner zahlreichen Waffenfreunde, dem heimtückischen Kayser ein Heer auf den Hals zu führen, das ihn wohl zur Erkenntniß seiner Falschheit gebracht, und seinen Stuhl ziemlich erschüttert haben sollte. Dies war mein ritterlicher Entschluß; Meuchelmord ist mir nie in den Sinn gekommen.
Ehe dieses ausgeführt wurde, mußte Elise erst die Meinige seyn; ich wußte vorher, daß sie nach einmahl verübten Feindseeligkeiten wieder ihren Vater, glauben würde, Gewissenswegen mit mir brechen zu müssen, und meine Pflicht war, die fromme Seele auf alle Art zu schonen; war ich erst ihr Gemahl, so konnte sie von nichts Rechenschaft geben, was ich that, sie blieb mir dann, ungeachtet des Zwists mit ihrem Vater, als Gattin treu, so wie ich von ihr überzeugt war, sie würde mir als Liebhaberinn treu bleiben, so lang ich nichts that, ihre Treue zu verwirken.
O wie sehr hatte ich mich geirrt! ein Brief von ihr, die Antwort auf den meinigen, sagte mir ab auf ewig, sie beschuldigte mich der Treulosigkeit, versagte mir das, was ich von ihr forderte, und [501] spottete meiner Drohungen. Jetzt entbrannte meine Wuth auch wider sie; ich würde zu den verzweifeltsten Handlungen geschritten seyn, wenn mich nicht ein Gedanke an die Kayserinn Irene zur Besonnenheit gebracht hätte; sie war immer meine Freundinn gewesen, sie hatte ich immer treu erfunden, wenn alle andre mir Tücke bewiesen, sollte ich diese durch irgend einen übereilten Schritt beleidigen? –
Ich schrieb ihr alle meine Klagen, und erhielt den Bescheid zurück, sie sey zu schwach, mir schriftlich zu antworten, ich solle selbst kommen und die Aufklärung meiner Zweifel aus ihrem Munde hören. Aber ich sollte eilen, weil Eile noth wäre!
Ich flog auf das benachbarte Lustschloß, wo sie ihre Niederkunft in äußerster Schwäche erwartete, um aus deren Munde, die mich nie betrog, die Wahrheit zu vernehmen, um bey dem Krankenbette derjenigen zu weinen, die mir immer mehr als Mutter war.
Als sie mich erblickte, streckte sie die Hände nach mir aus, voll Freude mich zu sehen. Seyd ihr gekommen, mein Sohn? sagte sie, ach Eure Zukunft entzückt mich doppelt, ich wünschte sie nicht allein um Euret, wünschte sie auch um meinetwillen. Verzeihet den Phantasien einer Kranken! mein immer schwaches Geschlecht wird doppelt schwach in den Augenblicken, in welchen ich mich [502] befinde. Dinge, welche uns sonst nie schreckten, selbst Träume werden uns in denselben furchtbar. Denket was mir begegnete. Als ich gestern euren klagenden Brief erhielt, hatte mich eben ein leichter Schlummer überfallen, mir kam es vor, so deutlich, als ob ich wachte, es träte Einer an mein Bette und spräch: Irene, Wittelsbach hält sich vom Kayser tödlich beleidigt, verhüte die Folgen! Drauf war mirs, als wäre gerade der heutige Tag, und die Stunde, in welcher ich Euch jetzt vor mir sehe; ich befand mich im kayserlichen Kabinet, da trat einer herein, den ich den Waffen nach für Euch selbst halten mußte, und durchbohrte den Kayser; urtheilet, was nach einem solchen Traum, euer verzweiflungsvoller Brief, der einen Theil meines Gesichts zur Wahrheit machte, für eine Würkung haben mußte, und verzeihet, daß ich so eifrig darauf drang, euch bey mir zu sehen, damit nicht eine unglückliche Uebereilung mein Trauerbild ganz in Würklichkeit verwandle.
Wie? rief ich, kann Irene mich irgend einer schändlichen That, die mich noch oben drein auf ewig von Elisen trennen würde, fähig halten?
Noch einmahl, mein Sohn, verzeiht einer schwachen kranken Frau, setzet euch, und sagt mir alle eure Beschwerden, damit ihr dann auch meinen Trost vernehmen könnet.
[503] Hier begann ich mein ganzes Herz in den Busen der treuen Mutter auszuschütten, und wahrhaftig, der Trost, den sie mir gab, that Wunder auf meine bekümmerte Seele. Diese Frau vermochte alles über mich. Ich, der ich Philipps verrätherischen Brief an den Herzog von Pohlen mit eignen Augen gelesen, die Gerüchte von der kastilischen Heyrath, mit eigenen Ohren gehört hatte, und die Bestätigung aller dieser für mich so schrecklichen Dinge, in der Bothschaft des Kaysers an mich, und in Elisens Weigerung, mir zu folgen, vor mir zu haben vermeinte, ich horchte voll Zutrauen auf die Widersprüche, die Irene in diesen Vorgängen fand, und auf die ganz andere Deutung, welche sie ihnen beylegte. – Sie merkte meine Rührung und endete folgender Gestalt: »Gewährt mir nur dieses eine, mein Sohn, zürnet nicht mit Elisen, und brechet nicht mit dem Kayser, bis ihr beyde gesprochen habt. Eurer Verlobten war wahrscheinlich Herzog Bernhards Liebe zu der pohlnischen Prinzeßinn so unbekannt, als sie mir bis diese Stunde gewesen ist, ihr verschwiegt ihr dieselbe aus Versehen oder Zufall, ihr schriebt ihr in eurem Briefe ziemlich voreilig und unbestimmt von Eurer Werbung um Adila; sie deutete diese Worte, wie eifersüchtige Liebe sie deuten mußte, und daher ihre kränkende Erklärung gegen Euch. Was den Kayser anbelangt, so wißt ihr ja längst, [504] daß man ihm Eure Freundschaft nicht gönnte. Jener Brief ist sicher wieder ein Tück heimlicher Unheilstifter, und ihr müßt seine mündliche Erklärung darüber hören, vielleicht hat er schon – denn ihr pflegt immer nicht sehr geheim mit Euren Empfindungen zu seyn – etwas von Eurem Unwillen vernommen, und er ließ vielleicht Euch eben zu sich fordern, um sich mit Euch zu verständigen. Wegen der kastilischen Heyrath laßt Euch übrigens nur nicht bange seyn; der Kayser ist zu nichts weniger geneigt, als sie einzugehen; Elise bleibt die Eure, und sollte ich hierinn irren, sehet, so gebe ich Euch Erlaubniß, Elisen in meinem Namen zur Flucht anzumahnen, und sie so weit hinwegzuführen, als ihr selbst wollt. Die Schwüre, welche Euch beyde binden, sind unwiderruflich, nichts kann sie lösen, als unverzeihliches Vergehen des Einen oder des Andern; droht eine andere Hand Eure Bande zu zerschneiden, und wäre es die Hand eines Vaters, so entbindet Euch Furcht vor dem, welcher jeden Meineyd rächt, von sonst unauflöslichen Pflichten. Elise flieht mit Euch, sie wird Eure Gemahlinn, und hat wenigstens meinen Seegen, wenn ihr auch der Seegen Philipps fehlen sollte; doch dies sind Dinge, welche, meines Erachtens, nie würklich werden können; um Eurer Beruhigung mußte ich Euch sagen, was ihr auf jedem Fall zu thun habt; Jetzt [505] verlaßt mich, mein Sohn, das viele Sprechen greift mich an; Euer nächster Weg geht zum Kayser, wohin ihr beschieden seyd, dann auf einige Augenblicke zu Elisen, und nun in voller Eil nach Sachsen, zu Herzog Bernharden, von welchem ihr, wie ihr mir gleich anfangs sagtet, dringende Briefe habt.«
Die Kayserinn hatte recht; auf dem Wege zu ihr empfing ich einen Brief vom Herzog zu Sachsen, der meine schleunige Ueberkunft forderte; in der Bewegung, in welcher er mich fand, war er nur halb gelesen und halb verstanden worden, auch jetzt, da ich die Kayserinn auf ihren Befehl eilig verließ, und ihn, ehe ich zu Pferde stieg, noch einmahl las, konnte ich nur wenig Verstand daraus ziehen, indem er sich auf Vorgänge zu Pamiers bezog, die mir ganz unbekannt waren; das einzige sahe ich deutlich, daß er schon lang geschrieben war, schon längst in meinen Händen hätte seyn sollen, und, vermuthlich durch Unvorsichtigkeit des Boten oder Unfall, liegen geblieben seyn mußte, ihr, Graf Adolf, der, wie Herzog Bernhard schrieb, zur nehmlichen Zeit einen ähnlichen erhieltet, könntet mir vielleicht hierüber Auskunft eben; doch hiervon ein andermahl. Jetzt zur Fortsetzung meiner Geschichte.
Aber wie soll ich dieselben beginnen, da sich hier die Schrecknisse meines Schicksals so sehr häufen,[506] daß mir bey der Wiederholung jener Vorgänge die Gedanken fast so gänzlich vergehen, als wie damahls, da ich diese Dinge wirklich belebte.
Noch dünkt mich es ein Traum zu seyn, so wie mich es damahls dünkte, daß ich, mit neuen Hoffnungen aus dem Munde einer Heiligen belebt dem Unglück entgegen eilte, daß nun erst, da ich glaubte, Elisens Besitz sey mir durch die Rathschläge ihrer Mutter, auf ewig gesichert, sie für mich verlohren gehen mußte, daß nun erst, da mein Herz fast gänzlich mit Philipp ausgesöhnt, und mit besserm Zutrauen auf seine Treue erfüllt war, man mich zu seinem Feinde, ach zu seinem Mörder machen wollte.
Wie und in welcher Ordnung all dieses geschah, weiß ich fast selbst nicht mehr, die Streiche des Unglücks stürmten Schlag auf Schlag zu mir ein, wie kann ich genau sagen, welcher mich zuerst, welcher zuletzt traf.
Ehe ich noch die Residenz erreichte, kam mir das Gerücht entgegen, der Kayser sey ermordet, Himmel, sey von mir ermordet! von mir, der ich mit reinen Händen und ausgesöhntem Herzen kam, mir den Nahmen seines Sohns, aus seinem Munde bestättigen zu lassen. Kaum hatte ich das Schreckliche und Unbegreifliche, das in dieser Zeitung vereinigt war, ganz überschaut, so waren auch schon die Schwerdter derer mir in dem Nacken, [507] die, wie sie mir zubrüllten, gesandt waren, Wittelsbach, den Kaysermörder, zu fahen, welcher ihrer Rache nicht entfliehen solle.
Ich ein Kaysermörder? schrie ich, indem ich meinen Helm vom Haupte riß, und ihnen mein entblößtes Angesicht zeigte, sind dies die Züge eines Verbrechers? – und mein Weg, ist er der Weg eines Flüchtigen? mich dünkt doch, ein solcher würde nicht eben gerade Euch entgegen geflohen seyn!
Alles teuflische Verstellung! schrien sie. Wir kennen den Wittelsbacher wohl ohne sein Gesicht zu sehen, wir kennen ihn wohl, auch wenn er Waffen und Kleider verändert hat! Er ist der Mörder unsers Kaysers, und er mag uns auf dem Wege von oder zu der Stelle begegnen, wo er das heilige Blut vergoß, so soll er uns nicht entgehen.
Ich habe es schon mehrmahl in meinem Leben erfahren, daß Wuth und Verzweiflung unsere Kräfte bis zum Unglaublichen erhöht; ich erfuhr es auch hier: Ich war ganz allein, ich hatte meine Begleiter schon des vorigen Tages in eine Gegend nahe bey der Residenz beschieden, wo ich ihrer benöthigt zu seyn glaubte, und mußte mich also allein gegen eine Anzahl vertheidigen, die ich nicht nenne, weil das Unwahrscheinliche, das in der Angabe liegen würde, mich erröthen macht; es mochten [508] ihrer indessen viel oder wenig seyn, die Otten von Wittelsbach als einen Kaysermörder gefangen nehmen wollten, genug die Unschuld siegte, und ich entkam, zwar am linken Arm und an der rechten Schulter schwerlich verwundet, aber doch noch fähig, mich den nachkommenden Verfolgern zu entziehen, die den ganzen Tag bis tief in die Nacht vor dem Orte, wo ich mich verbarg, truppweis vorüber zogen, Fluch und Verderben, über Wittelsbach den Kaysermörder ausriefen! und ihm die schimpflichste Behandlung drohten, wenn er in ihre Hände fallen sollte.
Zehenmahl war ich im Begriffe mich meinen Fängern zu ergeben, ich war unschuldig, und Flucht und Verbergung schien mir ein gehässiges Licht über meine Ehre zu verbreiten; der Tod war es nicht was ich scheute, aber mich den Mißhandlungen unwürdiger Troßbuben auszusetzen, davor bebte mein Herz; ich wollte eine bessere Gelegenheit abwarten, meine Freyheit in die Hände der Gerechtigkeit zu übergeben, denn zu fragen, was sie auf mich zu sprechen habe, und sie durch den Beweis meiner Unschuld zu beschämen.
Es war etwas in mir, das mir sagte, dies sey heute bey Tage nicht der Weg sich zu rechtfertigen; die Worte eines freyen Mannes seyen von mehrer Nachdruck, als die eines Gefangenen, und Flucht würde hier, wo jedermann von einer ganz unerweißlichen[509] Sache völlig überzeugt war, für mich das beste seyn. Allein das Wort Flucht, war und blieb mir verhaßt, ich wollte wenigstens mein Unglück und den wahren Grund desselben noch erst genauer wissen, ehe ich demselben auswiche.
Es war Nacht, meine Verfolger mußten sich in eine andere Gegend gelenkt haben, der Weg war sicher, und nachdem ich mir meine Wunden elend genug verbunden, und mich mit einem Trunk aus einer nahen Quelle gelabt hatte, wagte ich mich hervor, und eilte gerade auf die Residenz zu, deren Thore ich, ungeachtet der späten Nachtzeit noch alle offen, und die Strassen mit Menschen gefüllt antraf. Es war eine allgemeine Verwirrung, alles schrie über Philipp und seinen Mörder. Das vielzüngige Geschrey das sonst bey jeder Kleinigkeit so widersprechend ist, kam hier völlig darinn überein, den Namen Wittelsbach und Kaysermörder zusammen zu setzen; ich war kühn genug, indem ich mich dicht in meinen Mantel hüllte, nach Umständen zu fragen, und man berichtete mir solche, welche mein Blut erstarren, und mich fast zweifeln machten, ob ich auch schuldig oder unschuldig sey. – Gott weiß, ob Mensch oder Teufel sich meiner Gestalt bediente, jene That zu vollführen, die mir ewig ein Räthsel bleiben wird, und die auch dadurch mit Wahrscheinlichkeit auf mich fiel, weil man mich würklich, vom Kayser beleidigt glaubte, [510] und weil ich im Unwillen, manches verdächtige wider ihn redete und schrieb.
In meiner Verhüllung schlich ich mich in die Hallen des kayserlichen Pallasts, wo man die Leiche des Ermordeten ausgestellt hatte, um die Rache des Volks zu reitzen, die doch ohnedem so stark flammte, daß man ihr kaum Einhalt thun konnte. Ich sah auf einem Sessel, neben dem entseelten Körper, einen Handschuh und eine Feldbinde liegen, die der Mörder im Fliehen, verlohren haben sollte, und erkannte beydes, bey genauerer Besichtigung für das Meinige.
Ein unnennbares Grauen befiel mich, ob den täuschenden Anzeichen meiner Schuld; mir wars, als müßte ich vor Gott, und mir selbst hier ein feierliches Zeugniß ablegen, daß ich kein Theil habe an der blutigen That. Ohne mich an die drückende Menge zu kehren, die sich an den Schranken häufte, welche man zur Sicherheit der Leiche und ihrer Hüter gezogen hatte, schwang ich mich hinüber, und trat zu der Todtentruhe, bey welcher nur einige Mönche mit ihren Weihwedeln und andern heiligen Geräthschaften beschäftigt waren. Armer Philipp! sagte ich, nachdem ich den so schnell hingeraften Kayser, eine Weile betrachtet hatte, mit halblauter Stimme zu mir selbst. Armer Philipp! wie bist du gefallen! – Dein Freund soll dein Mörder seyn? – Siehe, ich lege meine Hand auf deine [511] Stirn. Oeffene deinen Mund, laß dein Blut von neuem fliessen, wenn es diese Hände waren, die dich verletzten! – Fluch, Fluch über den, der dich tödtete, und einen Unschuldigen mit seiner Schande brandmarkte!
Die Mönche, die mich nicht kannten, aber meine That bemerkten, und wohl etliches von meinen Worten verstanden haben mochten, sahen mich staunend an, das Volk, durch welches ich mich jetzt, indem ich mich langsam entfernte, wieder hindurch drängte, wich mir von allen Seiten aus. – Er ist, hörte ich einige flüstern, der Herzog von Braunschweig, der sein Gewissen reinigen, und seine Unschuld vor uns, durch diese Handlung retten wollte. O dies bedurfte er nicht, wir wissen es zu gut, daß der Wittelsbacher die höllische That verübte.
Ich erfuhr in der Folge, daß würklich einige unruhige Köpfe, Herzog Otten von Braunschweig, Philipps Gegner bey seinen Leben, als Theilhaber dieser That hatten vorstellen wollen; aber diese Sage machte so wenig Eindruck daß er, wie bekannt, den Kaysernahmen, den er jetzt führt, ohne Widerrede erhalten hat; auch ich selbst kann mich nicht überwinden, hier einen Verdacht auf ihn zu werfen.
Da ich hier mein Leben so tollkühn, auf die Gefahr, erkannt und von dem Pöbel zerrissen [512] zu werden, gewagt hatte, so kostete es mich noch weniger Ueberwindung auch an andern Orten zu lauschen, und überall Bestättigung eines Verbrechens zu hören, das ich nicht begangen hatte. Zuletzt ging ich nach meinem eigenen Pallaste welcher stark bewacht ward, weil der Pöbel verschiedene mahl Miene gemacht hatte, ihn zu schleifen. Mir war ein verborgener Seitenweg bekannt, der durch einen verfallenen Keller in den Garten, und durch diesen auf ein Lusthaus führte, welches an die Seite des benachbarten Pallasts gelehnt, den die Prinzessinn Elise bewohnte, mir oft Gelegenheit gegeben hatte, sie in der Einsamkeit zu belauschen, da ihr Kabinet dicht an die Mauer gränzte, durch welche mir ein ausgehobener gut verdeckter Stein die freye Einsicht verstattete.
In verschiedenen Beschäftigungen, hatte ich hier diesen Engel oft beobachtet; schlafend, betend, weinend, mit ihren Jungfrauen scherzend, oder mit ihnen von mir sprechend, hatte ich sie hier gesehen und gehört; aber so noch nie, als wie in diesem schrecklichen Augenblicke, sie sprach von mir, aber in welchem Tone! Sie weinte, aber über mich, sie betete, aber wie ich glaube, um Rache, über den unschuldigen Wittelsbach; Alverde war ihre Gefärthinn; ich weis nicht genau, was sie eigentlich sagten, nur dies weis ich, daß hier meine Verzweiflung [513] den höchsten Gipfel erreichte, und den Entschluß fest machte, Elisen gewaltsam zu entführen, wenn sie mir nicht gutwillig folgen wolle, wär es auch nur, um sie von meiner Unschuld zu überzeugen, und dann vor ihren Augen zu sterben.
Ich riß mich los von dem grauenvollen Schauspiele, eine Heilige, über mich zum Himmel hinauf weinen zu sehen, ich verließ das Haus und die Stadt, und eilte zu meinen Leuten, denen ich ihr Ablager in einem gewissen Dorfe angewiesen hatte.
Ich bin Wittelsbach, sagte ich, indem ich unter sie trat, haltet auch ihr mich für Kayser Philipps Mörder? – Sie erhuben ein großes Freudengeschrey über meinen Anblick, und einige schwuren, daß sie nie etwas Böses von mir glauben könnten, andere, daß sie, ob ich auch der wär, für den mich das Gerücht ausgäb, dennoch bey mir leben und sterben wollten!
Die Treue dieser Leute, welche jetzt meine einigen Freunde waren, rührte mich, ich redete mit ihnen offenherzig, von meiner Lage; und forderte als den ersten Beweis dessen, was sie geschworen hatten, daß sich einer von ihnen aufmachen sollte, Elisen ein Schreiben von mir zu bringen, indessen die andern sich rüsteten, die ihr in demselben verkündete That stracks zu vollführen. Ich selbst wollte bey der Entführung seyn, aber meine Leute, welche [514] meine Verwundung entdeckt hatten, wehrten mir, drangen darauf, daß ich mich der Hand des Wundarztes untergeben müßte, und gaben mir den Handschlag, daß sie alles ohne mich so gut vollführen wollten, als ob ich selbst gegenwärtig wär.
Es war die höchste Zeit, daß zu meinen Wunden Rath geschaft wurde, welche durch Vernachläßigung, und durch die ruhelosen heimlichen Wanderungen der vergangenen Nacht sich schon sehr entzündet hatten. Ich ward ohnmächtig unter dem Verbinden, und fiel darauf in ein hitziges Fieber, daß mir auf geraume Zeit, alle Besonnenheit raubte.
Als ich weit genug in meiner Genesung gegangen war, um auf das, was mich umgab, wieder einen Blick zu werfen, erstaunte ich, mich an einem ganz fremden Orte zu sehen; es war ein kleines dunkles Zimmer, von einer traurigen Lampe sparsam erleuchtet; ein altes Weib saß an meinem Bette, welches über die wenigen Worte, die ich ihr sagte, einiges Wohlgefallen spüren ließ, und ohne sie zu beantworten, aufstand, um, wie sie sagte, ihrem Herrn Nachricht, von meiner Besserung zu geben.
Und wo ist dieser Herr? stammelte ich.
Meister Paul von Eisenberg, der Wundarzt [515] antwortete sie, in dessen Hause ihr Euch schon seit drey Wochen befindet.
Meister Paul erschien, und ich kannte würklich an ihm das gutherzige Gesicht des Mannes, der bey den Schmerzen, die mir neulich seine Behandlung meiner Wunden machte, so viel Mitleid zu fühlen schien. Freude glänzte jetzt auf seinem Gesicht, mich so weit gebracht zu haben, aber auf all meine Fragen, erhielt ich keine befriedigende Antwort von ihm, sondern nur die Weisung, ruhig zu seyn, und für meine Genesung zu sorgen, da sich alles schon geben würde.
Ach Gott! was für Entdeckungen standen mir, bey meiner Wiederherstellung bevor, die endlich doch erfolgte. Ich hatte genug schlimmes geahndet, aber doch nicht so viel, als ich nun vernahm, und als mir der gutherzige Paul, der meine Lage noch nicht ganz kannte, doch nicht ganz wußte, was meine Seele am meisten erschüttern mußte, mitunter unvorsichtig genug hinplauderte.
Sagt mir um Gotteswillen, sprach ich eines Tages zu ihm, wo ich mich eigentlich befinde?
In guter Sicherheit; in meinem Hause!
Kennt ihr mich?
Ihr seyd der Wittelsbacher, den man in sehr bösem Verdacht hat, den aber ich für unschuldig halte.
[516] Ist der wahre Kaysermörder entdeckt?
Nein, aber man verfolgt ihn in Eurer Person mit Acht und Bann.
Wo ist die Prinzessinn Elise?
Vor acht Tagen ging sie mit den Gesandten nach Kastilien ab!
Meine Leute?
Die besten – bey einer Expedition, deren Endzweck ich nicht genau weis, erschlagen, die andern – von Euch gewichen, da euch jedermann als einen Durchächteten verließ.
Ach, es war nur gar zu wahr. Elise war mir geraubt, war aus den Händen meiner Leute, durch den Grafen von Kastelmoro gerissen worden; die tapfersten hatten ihr Leben beym Gefecht zugesetzt, die andern waren dem Glück gefolgt und geflohen, ich wär ganz verloren gewesen, hätte nicht der redliche Paul sich meiner erbarmt, und mich verborgen, geschützt, und geheilt, da die ganze Welt nach meinem Blute dürstete.
Ich hatte nichts ihn zu lohnen, da ich sein Haus verließ, als einen köstlichen Ring, den er mit Unmuth von mir annahm, weil er meynte, ich würde ihn wohl in meiner Lage selbst brauchen können; ich stellte ihn hierüber zufrieden, und konnte mit Mühe mich seiner erwehren, daß er mir nicht folgte, mein Unglück mit mir zu theilen, so lieb hatte er mich gewonnen; ich siegte [517] nur durch die Versicherung, über seine gutherzige Zudringlichkeit, daß die Sicherheit meiner Flucht, auf der Einsamkeit beruhe.
Ich ging bey Nacht, aus Meister Pauls Hause, und hatte nun die weite Welt vor mir, um einen Zufluchtsort zu wählen; dies machte mir keine sonderliche Sorge, ich kannte das ganze Elend meiner Lage noch nicht; denn die Worte Acht und Bann hatte ich nicht in dem ganzen Umfange genommen, wie sie hier genommen werden mußten. Mein erster Gedanke war, zu meiner Freundinn, der Kayserinn Irene, zu eilen, von deren Treue ich mir Trost und Entschuldigung versprach, wenn alle Welt mich verließ und verdammte. Ach ich wußte noch nicht, daß sie den Tod ihres Gemahls nicht überlebet, daß kurz nach der Schreckenspost, eine frühzeitige Niederkunft ihr Leben geendet hatte.
Meine Brüder, der Bischof von Bamberg und Heinrich von Andechs, sollten meine nächste Zuflucht werden, aber ach, sie hatte Acht und Bann getroffen, wie mich; heimlos und vom Schwerdte verfolgt irrten auch sie umher, wie sollten sie mir, dem Heimlosen und Verfolgten Schutz geben.
Da dachte ich an Herzog Bernharden; allein wie ward mir, da ich merkte, daß auch zu ihm der Weg mir verschlossen war; die Kläger hatten auch vor seinem großen furchtbaren Gericht [518] geklagt, der Richter hatte den Freund richten müssen, nicht genug, daß die Hand der öffentlichen Gerechtigkeit wider mich gerüstet war, auch der heimliche Bann verfolgte mich, ich war während meiner Krankheit zu dreyenmahlen vor das Tribunal geladen worden, wo auch ich einst als ein Richter thronte; ich hatte nichts von der Ladung gewußt; ich war nicht erschienen, hatte nicht erscheinen können, nun war ich verfehmt, wer sollte mich retten? In jedem meiner Schlößer, das ich heimlich und zitternd besuchte, fand ich, daß die Schöpfen da gewesen waren mich zu laden. Sie hatten Späne aus meinen Pfosten, und Steine aus meiner Thürschwelle mit sich genommen, und dadurch das Signal gegeben, was dem Kaysermörder, dem Durchächteten, Verfehmten gebühre.
Die Wuth des Pöbels war wider mich entbrannt; ich sollte das Verderben des Kaysers seyn, aus dem man nun erst, da er nicht mehr war, einen Abgott machte. Meine Burgen waren theils geschleift, theils rauchende Aschenhaufen, theils verödet. Wie ein gescheuchter Vogel irrte ich von einem zum andern, ohne eine Ruhestätte zu finden; doch brachte ich in der Stille der Nacht, wie ein Dieb, hie und da von dem Meinigen, wo es die Habsucht nicht hatte ausspüren können, einen kleinen Schatz zusammen, den ich, als ich durch Regenspurg zog, in einem alten Gemäuer barg, weil [519] ich hier mehr, als an irgend einem Orte merkte, daß meine Henker mir im Nacken waren, und daß ich ihnen in die Hände fallen mußte, wenn ich durch irgend was meine Flucht erschwerte.
Endlich fand ich Sicherheit in diesem wilden Walde, eine klägliche Sicherheit, bey welcher ich mir nicht das Leben hätte wünschen wollen, wenn mir es nicht die Freundschaft von neuem theuer gemacht hätte; ich fand dich, mein Alf von Dülmen, oder vielmehr, du fandst mich, du suchtest mich auf, da alles mich verließ, vor Mangel wär ich längst verschmachtet, aus Verzweiflung wär ich längst umgekommen, wärst du nicht mein Engel gewesen.
O Adolf, Adolf! wie verdiente ich das um dich! Unsere Freundschaft, es ist wahr, war fest und herzlich, aber manche drängten sich, zur Zeit des Glücks, näher zu meinem Herzen, als du; sie haben mich verlassen, nur du stehst noch fest, wie ein Fels. Gott lohne dir die Treue, die du einem Durchächteten erzeigst; ich kann dir sie nicht lohnen, kann auf nichts denken, als dir noch neue Lasten aufzulegen, die du für mich übernehmen sollst. Noch drey Bitten an dich habe ich auf meinem Herzen; du darfst, du kannst sie mir nicht abschlagen, du, der mir schon so viel aufgeopfert hat.
[520] Unsre Reise nach dem heiligen Lande ist nun beschlossen; auch den Hofnungsstrahl, der mir auf dieser Gegend leuchtet, danke ich deinen Rathschlägen; aber wie sollen wir die Kosten der Reise bestreiten, da du so arm bist, als ich, du sowohl deiner Lande beraubt lebst, als ich? Ziehe hin, dies ist meine erste Bitte, ziehe hin nach Regenspurg, und hebe an dem Orte, den ich dir bezeichnen werde, den Schatz, den ich vergrub; nimm dann zweytens diesen Brief, an Kayser Philipps Töchter; sie sind grausam genug gewesen, wider mich, den Unschuldigen, zu klagen, wider mich ohnedem Verfolgten, das Schwerdt der Rache noch mehr aufzureitzen; dieses Schreiben soll ihnen ein wenig das Gewissen schärfen, soll ihnen das Elend schildern, das ich bisher erduldete, und das sie noch zu vermehren suchen. Gehen sie in sich, schenken sie dem unglücklichen Otto eine reuende Thräne, so bin ich befriedigt, aber auf dem höchsten Gipfel der Glückseligkeit werde ich erhoben seyn, wenn Alf von Dülmen mir auch meine dritte Bitte gewährt. O Adolf! Adolf! ich beschwöre dich bey unserer Freundschaft, bey den Geheimnissen des furchtbaren Gerichts, welches mich verfolgt, bey meiner und deiner Unschuld, in der wir beyde leiden, beschwöre ich dich, spähe den wahren Mörder Kayser Philipps aus, spähe ihn aus, den Teufel, der auf meine Rechnung die schwarze That beging, [521] und mich dadurch in den Abgrund des Elends stürzte, schleppe ihn vor meine verblendeten Richter, daß er gestraft und ich gerechtfertiget werde! – O könnte dies doch vor unserer Reise nach Palästina ausgerichtet werden, die Anerkennung meiner Unschuld sollte dieselbe nicht hindern; mein treuloses Vaterland habe ich in jedem Fall, auf bestimmte Zeit, verschworen; aber welch ein Triumph würde es für mich seyn, nicht als ein Flüchtling, nein, als ein freywilliger Diener des Kreuzes, die heiligen Orte zu begrüßen! O Adolf! ist dir Leben und Ruhe deines Otto noch theuer, so gelobe mir alle meine Bitten, gelobe mir besonders die letzte zu erfüllen.«
So endete der unglückliche Pfalzgraf seine Geschichte; sie hatte meine Seele bereits in allen ihren Tiefen erschüttert, aber der Schluß überwog alles Schreckliche, das ich gehört hatte; es fehlte wenig, daß ich bey der fürchterlichen Forderung, die er an mich richtete, sinnlos zu seinen Füßen stürzte. Ach, dieser Mörder, dieser Teufel, über welchen er Fluch und Rache herabrief, wider den er meine eigene Faust bewafnen wollte, war ich selbst! Das grauenvolle Bekenntniß schwebte auf meiner Zunge, aber ich vermochte es nicht auszusprechen. Ich riß mich von ihm los, um im Freyen meiner Verzweiflung Luft zu ma chen; mein Leben hieng an einem Haar, mehr als einmal [522] stand ich im Begrif, es auf eine gewaltsame Art zu enden, nur Sorge um ihn, den ich ins Verderben gestürzt hatte, nur Sorge um den, der, ohne es zu wissen, nach meinem Blute dürstete, bewog mich, die That zu verschieben; was hätte aus Otto werden sollen, hätte ich jetzt schon meine Schande und mein Verbrechen in die ewige Nacht begraben, und ihn allein in der Gewalt seiner heimlichen und öffentlichen Verfolger gelassen?
Am Abend kehrte ich in unsere Höle zurück, Otto, rief ich, indem ich seine Rechte mit meiner Rechten ergrif, und die Linke ans Schwerdt legte, deine Forderungen sollen erfüllt werden; auch die letzte, die schwerste unter allen, soll mich nicht schrecken; Kayser Philipps Mörder soll sterben, sterben durch diese Hand, doch nicht eher, bis du in voller Sicherheit bist. Verliert sich einst der unglückliche Alf von Dülmen, du weißt nicht wie, von deiner Seite, so denke an die Rache, die du ihm auftrugst, und beruhige dich!
Wittelsbach sahe mich mit starren Augen an, er konnte nicht begreifen, warum ich ihm die Gewährung seiner Bitte, die, wie er meynte, weder viel Bedenkzeit, noch solche Umstände erforderte, auf so außerordentliche Art kund that. Er fing an zu grübeln, und da er schon in wenig Stunden auf die Vermuthung kam, ich müsse denjenigen kennen, an dem er gerächt zu seyn wünschte, müsse [523] ihm irgend mit besonderer Liebe zugethan seyn, so fing ich an, mich vor seinem weitern Forschen zu fürchten; er brauchte ja nur noch wenig Schritte zu thun, so war das grauenvolle Geheimniß meinem Herzen entrissen, und ich stand als der gehaßte, mit seinem Fluch belegte Verbrecher, vor seinen Augen; dieses zu vermeiden, trat ich noch in der nehmlichen Nacht meine Regenspurgische Reise an, in der Hofnung, daß wenn diese geendet wäre, uns die Anstalten zu unserer Wallfahrt nach Palästina genugsam beschäftigen würden, um keine Zeit zu Untersuchungen über gefährliche Dinge übrig zu lassen.
Sie sollten ihm ewig verborgen bleiben, dies war mein Wunsch, auch meinen Tod, den ich ihm gelobt hatte, sollte er nie erfahren, ich wollte Sorge tragen, mein unglückliches Leben weit genug von ihm zu enden, damit seine Tage, vom Kummer ungetrübt, mein Andenken ihm heilig bliebe, und er den ganzen Umfang meines kläglichen Verhängnisses nicht eher entdeckte, als in einer Welt, wo andre Urtheile, andre Empfindungen über Menschenhandlungen und Menschenschicksale statt haben werden, als in der gegenwärtigen möglich ist.
Nicht, als glaubte ich, die Ewigkeit könne die That, die ich beging, und die, zu welcher ich mich damals entschloß, entschuldigen; nein, nur dieses hofte ich, daß kein Gram, kein Mitleid dort die Freuden [524] der Seeligen so trüben könne, als Ottos irdisches Leben getrübt worden wäre, hätte er die Lage des elenden Alf von Dülmen diesseit des Grabes erfahren.
Ich zwang mich, meinen Gefühlen beym Abschied nicht freyen Lauf zu lassen, und mich durch das Uebermaaß derselben vielleicht abermahl verdächtig zu machen. Ich verwies den zagenden Otto auf die Hofnung des Wiedersehens, von welchem ich selbst überzeugt war, und verabredete mit ihm einen Briefwechsel, in einer holen Weide am Ufer der Donau. Die Vertraute unserer geheimen Korrespondenz war halben Wegs, zwischen unserer Höle und Regenspurg gelegen, so daß es uns beyden gleich bequem und gefahrlos war, zu den Stunden, wie sie uns die Gelegenheit darbot, und die wir einander nicht voraus bestimmen konnten, einander Nachricht von unserm Zustande zu geben, oder dieselben zu finden.
Ich erreichte Regenspurg ohne Anstoß, da mich die Kenntniß der Heimlichkeiten des verborgenen Gerichts geschickt machte, den Pfaden, welche die Rächer zu nehmen pflegen, die auch hinter mir her waren, immer glücklich auszuweichen. Ich fand den vergrabenen Schatz des Pfalzgrafen ohne Mühe, und brachte ihn, auf die verabredete Art, in Sicherheit, seinen Brief an die Prinzessinnen bestellte ich mit eigner Hand. Beatrix, von [525] welcher man sagte, der nunmehrige Kayser habe sich ihre Liebe durch das Todesurtheil über den Wittelsbacher erkauft, befand sich damals eben zu Regenspurg, und ihre Heimholung zu ihrem Bräutigam war vor der Thür. Ich sahe sie nicht, aber ich sahe Alverden, sahe die Schwester, welcher die Rache das Schwerdt, wider ihren eigenen Bruder, in die Hand gegeben hatte. Ich weiß, sie war unwissend zu meinem Verderben thätig, aber doch wars, als wenn mein Herz sich wider sie heimlich empörte; ich glaubte ihr, besonders in meiner Geschichte mit Alix, viel vorwerfen zu können, damit sie gern oder ungern, billig oder unbillig mein Schicksal verwirrte. Doch ich bin ungerecht! Ewig, ewig schweige jede Klage, als die, über meine eigene Vergehungen!
Alverde sahe mich, aber sie kannte mich nicht! ob sie mich vielleicht nicht kennen wollte? flüsterte mein empörtes Herz mir zu; doch nein, Alverde liebte mich immer, sie war nie boshaft, und das Elend macht ja jeden Menschen, auch seinen besten Freunden, unkenntlich! Wie konnte Alverde in einem bleichen abgezehrten Gerippe, unter einer Verkleidung von Lumpen, die ich zu meiner Sicherheit angelegt hatte, ihren Bruder ahnden, den blühenden Jüngling, den Prinzeßinnen bewunderten, den stolzen Fürsten, den seine Feinde glücklich genug fanden, um ihn zu neiden, und seinen Untergang zu suchen.
[526] Noch verschiedene Umstände hielten mich in Regenspurg auf; was ich zu unserer orientalischen Reise zu besorgen hatte, das mußte mit der äussersten Behutsamkeit besorgt werden, und dieses erforderte Zeit. Die prachtvolle Heimholung der kayserlichen Braut ging vor sich, ich sah die von jedermann hochgepriesene, von jedermann beneidete Prinzeßinn, wie sie in ihrem Pomp daher zog, aber tiefer Gram saß auf ihrer Stirne, die strahlenden Augen und der holde Mund konnten ihn nicht hinweg lächeln. Alverde, ihre Gespielin, barg ein bleiches abgezehrtes Gesicht, unter einem köstlichen Schleyer, man sagte mir, sie sey kürzlich von einer tödtlichen Krankheit aufgestanden; da wallte mein Herz vor Mitleid gegen beyde, und ich dachte, ob sie auch so schuldig seyn möchten, als ich und Otto sie wähnten; Dinge, über welche ich nie volle Aufklärung erhalten habe, denn auch der Augenblick war nahe, der mit mir und meinem Freunde schnell und auf ewig enden sollte.
Wie werde ich die Vorgänge schildern, die nur noch wie Traumbilder vor mir über schweben? Vorgänge, das Werk weniger Minuten, bestimmt das einst nicht unrühmliche Leben zweyer unglücklichen Freunde, in Dunkelheit zu enden, Vorgänge, von einem Zufall herangeführt, welcher leicht durch andre Zufälle, vielleicht durch einen zeitiger oder später gethanen Schritt, oder ein [527] ähnliches Nichts hätte verhindert werden können! doch hinweg mit dem traurigen Wort, Zufall! wehe dem, welcher an diesen blinden Götzen der Thoren glaubt, nichts vermag ihn zu trösten!
Mein Briefwechsel mit dem Pfalzgrafen, vermittelst der holen Weide, hatte ununterbrochen fortgedauert, er wußte durch denselben, alles was mir begegnet war, wußte auch die Zeit meiner Wiederkunft. Von der Gefahr seines und meines Zustandes immer deutlicher überzeugt, je mehr ich von den Verfolgern, die in unsere Fußstapfen traten, hier und da erlauscht hatte, schloß ich keinen meiner Briefe, ohne ernstliche Anmahnung zur Behutsamkeit; seine Wanderungen aus der Höle hatte ich gänzlich auf die Stunden der Mitternacht eingeschränkt, weil diese Zeit, von je her, im heimlichen Gericht, mehr zur Ablegung der Rechenschaft von bereits geübter, mehr zu Planen noch zu übender Rache, als zu der That selbst, bestimmt zu seyn pflegte. Diese, meines Erachtens, gefahrloseste Stunde, sollte auch die Stunde des Wiedersehens, zwischen mir und Otto, seyn; bey der holen Weide wollten wir uns treffen, und dann unverzüglich den Weg antreten, der uns dem Arm der rächenden Gerechtigkeit am sichersten entreissen konnte; o Himmel, eben dies sollte die Stelle, dies die Stunde seyn, wo das Schicksal [528] auf einmal über uns beyde unwiderruflich entschied.
Ich kam in der Hülle der Nacht, wie ich meinem Freunde geschrieben hatte. Schon sah ich im Mondschein von weitem die Stelle, wo ich ihn treffen wollte; aber der trügerische Strahl entdeckte mir ganz etwas anders, als ich zu sehen erwartete. Ich erblickte nicht eine männliche, sondern zwo weibliche Gestalten. Ich glaubte getäuscht zu seyn, und eilte näher zu kommen; da sahe ich noch deutlicher zwey Händeringende Frauen, über einen auf dem Boden ausgestreckten Leichnam gebeugt, da vernahm ich die Stimme ihrer Klagen, mir nicht unbekannter, mein Herz zerreissender Töne. Eine von ihnen sah mich kommen, sprang auf und flog mir entgegen.
Hülfe! schrie sie, Hülfe für einen tödlich Verwundeten!
Wo ist er? erwiederte ich, was ich vermag, das will ich ihm leisten!
Ach nein! ach nein! schrie sie, ihr seyd ein Ritter, was werdet ihr vermögen? nur Wundärzte! Wundärzte! sonst ist er verloren; meine Hofstaat ist nicht weit, dort unten im Thal, unter den Zelten! Ihr seyd zu Pferde! eilet! eilet!
In diesem Augenblick zeigte mir der helle Mondschein, daß ich mit Beatrix sprach. Ich [529] erschrack, ich weis selbst nicht warum, doch wollte ich, ohne zu antworten, mein Pferd herumwerfen und ihr Verlangen erfüllen, als die Andere, die ich im Augenblick für meine Schwester erkannte, herbeystürzte und schrie: zu spät! zu spät! der unglückliche Wittelsbach ist nicht mehr!
Wittelsbach? wiederholte ich, indem ich vom Pferde sprang und zu dem Verwundeten eilte. Die Frauen folgten mir, und warfen sich, so wie ich, an Ottos Seite nieder, der auf den Ton von meiner Stimme, die Augen noch einmal aufschlug, und schwächlich meine Hand drückte! Ich sterbe, Adolf! lallte er. Und durch wen? schrie ich, durch Kalatin, stammelte er, und schloß die Augen.
Wird nun Kayser Philipps Tochter bald befriedigt seyn? rief ich, indem ich mich von dem Sterbenden zu der weinenden Beatrix wandre. Kalatin, der Führer Eures Brautzugs, vollbrachte doch wohl diesen Mord, auf Eurem Befehl.
Schone, schone ihrer, Adolf! schrie Alverde, die mich erkannte, und ihre Arme um meinen Hals schlang.
Hinweg Schlange! hinweg Brudermörderinn! rief ich, indem ich sie von mit schleuderte, mich wieder auf mein Roß schwang und davon sprengte, um Wittelsbachs Mörder aufzusuchen.
Ich ereilte ihn nicht weit von der Mordstelle, im Thal, er kannte mich so schnell, als ich ihn, [530] er sagte Worte zu mir, die ich so wenig verstand, als er die meinigen. Wir zogen, ich drängte ihn. Er floh, ich war hinter ihm an. Mein Schwerdt verletzte ihn nicht, ich wollte ihn auf dem Leichnam meines Freundes schlachten.
Jetzt waren wir wieder im Angesicht der Frauen; Beatrix stürzte sich zwischen uns. Ganz von Wuth verblendet, hätte ich mich nicht gescheut, selbst sie zu verwunden, wenn nicht Kalatin seinen Schild vorgeworfen hätte; er blutete schon aus einer tödtlichen Wunde, die ich ihm in die Seite versetzt hatte. Ich faßte den Zügel seines Pferdes, den er sinken ließ; dorthin! schrie ich; dein Leben auf dem Unschuldigen auszubluten, den du schlachtetest.
Ich fällte ihn gezwungen, stammelte er; er fiel im Namen der Rächer, die mir das Schwerdt wider ihn gaben!
Stoff zu neuer Verzweiflung lag für mich in diesen Worten. Ich ließ ab von dem sterbenden Kalatin, um mich von neuem auf Ottos Leichnam zu werfen, ob noch ein Leben in ihm wäre; er war bereits erkaltet. Voll Entsetzen fuhr ich auf. Gestorben? murmelte ich, indem ich über ihm hing, für mich gestorben? und der, an den ich die Rache zu nehmen schwur, Philipps Mörder, nun auch Kalatins Mörder und der Deinige, lebt noch?
[531] Beatrix, welche dicht neben mir war, mußte etwas von den schwarzen Gedanken, über denen ich brütete, errathen. Sie umschlang mich fest und beschwur mich, meiner zu schonen; ich aber entriß mich ihren Armen, erreichte mit einem Sprunge das hohe Ufer, und stürzte mich hinab, in die Fluthen der Donau, wo ich das Ende meines Elends zu finden hofte.
Ich fand es nicht, nur eine neue Epoche, ach eine lange endlose Epoche! Meine Leiden sollten beginnen
Wahnsinn, die Frucht von einem Gedräng an die Verzweiflung gränzender Gefühle, hatte mich in den Abgrund gestürzt, in welchem ich zu vergehen hofte. Noch erinnere ich mich, daß die Empfindung von der Kälte des Stroms, der mich davon führte, mich wie lindernde Kühlung nach der Hitze deuchtete, daß der Gedanke von der Annäherung des Todes, sich lieblich mit der Vorstellung von endloser Rube nach langer Ermattung verband; nun aber auch weder Gedanke noch Empfindung mehr, sondern ein gänzliches Stillstehn aller Kräfte, ein gänzliches Nichtseyn, dessen ewige Dauer für einen Elenden, wie mich, Wohlthat gewesen seyn würde.
[532] Ach, ich sollte wieder aus demselben erweckt, zu neuen Qualen erweckt werden; eine Hand hatte mich gerettet, welcher ich nicht dankte, da ich zu verblendet war, um den Werth zu erkennen, welchen auch das elendeste Leben hat; auch möchte, wenn Absicht den Gehalt der That bestimmt, meine Lebensrettung wohl wenig Dank verdienen.
Den Leuten des Bischofs von Sutri dankte ich meine Erhaltung. Ich war nur darum mit äusserster Lebensgefahr meiner Retter, den Fluthen des wütenden Stroms entrissen worden, wurde nur darum mit der übertriebensten Sorgfalt gepflegt, damit durch meinen Tod nicht Geheimnisse verloren giengen, welche man bey mir vermuthete, und die man der sorgfältigsten Erhaltung werth hielt.
Ich habe schon im Anfang meiner Geschichte gesagt, daß mein Mund und meine Feder, durch fürchterliche Eyde gebunden, sich nie deutlich über gewisse Vorgänge meines Lebens erklären werden; es sind hauptsächlich diejenigen, auf welche ich nun stoße.
Sobald ich vermochte das zu überlegen, was um mich her vorgieng, so mußte mir schon mein Schicksal ahnden. Ich sahe mich fast in den nehmlichen Händen, in welchen ich mich schon einmal befunden hatte, da ich Gefangener des Bischofs von *** war, aus dessen Händen mich der Erzbischof von Maynz errettete.
[533] Von den Muthmaßungen kam es endlich zur Gewißheit; die nehmlichen Anmuthungen, die nehmlichen Fragen wurden an mich gethan, welche vordem an mich ergiengen; die nehmlichen Mittel wurden gebraucht, Dinge aus mir heraus zu schmeicheln und zu foltern, die man zum Theil schon recht gut wußte, und von mir nur noch besser erfahren wollte.
Es war in allen so ganz das nehmliche Spiel, daß mein ohnedem genug zerrütteter Verstand oft ganz irre wurde, jene und diese Epoche für ein Ganzes, und das dazwischen liegende für Traum hielt, ach ein langer schrecklicher Traum! Wollte Gott, ich hätte ihn nie geträumt; schuldloser als jetzt könnte ich dann der so lang, so sehnlich erwarteten Nacht der Ruhe entgegen sehen! – –
Meine Feinde wurden endlich müde, mich zu fragen, nicht mich zu quälen. –
Ademar, ich habe dir die Zahl der Jahre genannt, in welchen ich unter ihrer Folter lag. Zwanzigmal dem Tode nahe, mußte ich dennoch leben, leben zu meiner, vielleicht auch zu ihrer Qual; indessen ihnen immer einer nach dem andern abtrat, vom Menschenwürger schnell oder langsam dahin gerafft, bis ich endlich lauter neue Gesichter um mich sahe; einen Kreis von Menschen, die meine Richter seyn wollten, die zu gesetzten Zeiten mich vernahmen und entließen, mir drohten und [534] schmeichelten, ohne genau zu wissen, warum, blos weil sie es von ihren Vorgängern so gesehen, blos weil sie von ihnen gehört hatten, ich sey eine wichtige Person, von welcher sich große Dinge erforschen ließen.
Was dieses für große Dinge seyn sollten, mochte wohl endlich keiner mehr ganz genau wissen, und es kam dahin, daß ich ernstlich und unter harter Bedrohung gefragt wurde: warum ich auf diesem Schloß gefangen säß; die seltsamste unbeantwortlichste Frage unter allen, die ich noch von meinen Peinigern gehört hatte; es war die nehmliche, die ich in dem ersten Viertheil meiner elenden Gefangenschaft tausendmahl an meine damaligen Richter that, ohne Befriedigung zu finden. Die einige passende Antwort, die mir mein Gewissen gab, und die ich von denen, welche ich jenesmal fragte, mit Recht erwarten konnte, erhielt ich nicht; es war offenbar, daß ich hier nicht so lange Jahre die Fesseln getragen hatte, weil Kayserblut an meinen Händen haftete, sondern aus andern Ursachen, die mir unbekannt waren, und die ich also, da man jetzo mich fragte, nicht angeben konnte.
Man hielt jetzt, da man diese Frage an mich richtete, meine vorgeschützte Unwissenheit für hartnäckigen Starrsinn, gab Befehl für mich, zu neuen Foltern, und wandte mir den Rücken, um vielleicht [535] bey irgend einem frohen Gelag den Verdruß über meine Verstockung zu vertrinken.
Beym nächsten Verhör erzählte ich, zu meiner Rechtfertigung, so viel von meiner Geschichte, als davon erzählbar war, und verschlimmerte damit meine Lage noch mehr. Gott weiß, aus welchem Umstand in derselben man mich für einen Anhänger der waldensischen Lehren hielt, Leute, welche damals unter der grausamsten Verfolgung schmachteten.
Unter diesem Namen duldete ich noch einige Jahre fort; keine Befriedigung, die ich meinen Henkern gab, konnte mir helfen; denn die Sorge von geheimnißvollen verborgenen Bewandnissen, die es mit mir habe, erwachte von neuem, und machte meine Ketten unauflöslich. Ich ward unschuldiger Weise in alle räthselhafte Begebenheiten der Oberwelt verflochten gehalten, über alle unerklärliche Dinge verlangte man vonmir Aufschluß, und stieß mich, wenn ich ihn nicht geben konnte, noch einige Stufen tiefer ins Elend hinab.
Niemand wußte endlich mehr, was er aus mir machen sollte, und dieses vermehrte die Wichtigkeit meiner Person; es ward nach zwanzig Jahren, die ich nun schon in diesem Kerker geschmachtet hatte, Sitte, den Hüter dieses Schlosses, den man seit meinem Hierseyn zehnmal verändert hatte, meinetwegen allemal beym Antritt seines Amtes [536] besonders zu verpflichten. Man wollte mich schlechterdings nicht missen, ungeachtet man nicht wußte, was man mit mir anfangen sollte; wollte mir keine Linderung meines Elends gestatten, obgleich niemand mein Verbrechen kannte; war entschlossen, mich ehr zu tödten, als mir die Freyheit zu gönnen, die doch niemand schaden konnte.
O Freyheit! Freyheit! unschätzbarstes aller Güter, was hätte ich auch jetzt mit dir anfangen sollen, nach dem ich dich nun so lange Jahre vermißt hatte? Als ein Bettler, als ein kranker, muthloser, von Gram und Gewissensbissen abgezehrter Greis, hätte ich eine Welt betreten, die mir nun ganz fremd worden war, wo niemand mich mehr kannte. O Freyheit! selbst dich zu wünschen, hatte ich längstens aufgehört.
Ich brachte die letzte Epoche meiner Einkerkerung, bis mein Schutzengel Ademar mir erschien, in einer fast thierischen Unempfindlichkeit zu. Alle meine Gefühle, alle meine Seelenkräfte waren abgestumpft; wahnsinnig war ich nicht; zu irgend einer Ueberspannung gebrach es meinem Verstande an Kraft; nein, ich befand mich in einer Art von schwerem Schlummer, aus welchem mich nichts als ein gewaltsamer Schlag erretten konnte.
Du weißt den Vorgang, Ademar, der dieses bewürkte. Ich lebte nun dreyßig Jahre in dieser Höle. Du hattest dein Amt eilf Monate, als Hüter [537] dieses Schlosses, über mich verwaltet, ohne deinen Gefangenen nur einmal zu sehen. Man hatte dir meinetwegen, weil es Herkommens war, so fürchterliche Eyde aufgelegt, dir von mir so grauenvolle Vorstellungen gemacht, daß dir diese Vernachläßigung nicht zuzurechnen ist; ungeachtet derselben ermangelte ich doch nicht, in meiner Tiefe zu fühlen, so gut ich damals etwas zu fühlen vermochte, daß über mir ein milderes Wesen regiere, als vordem. Deine Knechte, denen die Sorge für mich aufgetragen war, waren unter deiner Herrschaft glücklicher, und also auch milder gegen mich Elenden; ich bemerkte einigen Grad von Reinlichkeit und Ordnung in dem, was mich umgab, und wär ich nicht ganz für jedes Gefühl erstorben gewesen, so würde sich bald auch die Hofnung, auf noch bessern Zustand, bey mir eingefunden haben. Der kleinste Lichtstrahl, der in einen dumpfen Kerker dringt, pflegt dieser holden Trösterin sonst einen Zugang zu eröfnen, und sie macht dem, zu welchem sie sich gesellt, immer schnell das kleinste Gute zum Unterpfand eines noch größern. Ich war zu tief gesunken, um diese süße Ahndung zu fühlen, und die merkliche Besserung meines Schicksals, die mir in der Folge durch dich zu Theil ward, fand mich ganz unbereitet; aber eben diese Ueberraschung war es, was mich aus dem Zustand meines Nichtseyns weckte.
[538] Ademar, du weißt es, wie du mich fandest als dir der Blitz in meinen Kerker den Weg zeigte, du weißt auch, was ich nachher unter deiner Pflege ward. Du erhieltst Nachricht, das Ungewitter, welches im überirdischen Theil des Schlosses zweymahl gezündet hatte, habe auch in den unterirdischen Gewölben Schaden gethan, einen Theil derselben eingestürzt, die Fesseln von den Händen des alten Unbekannten geschmolzen; und ihn wahrscheinlich getödtet. – Hier bewegte sich dein Herz gegen den Elenden den du noch nie gesehen hattest, du stiegst selbst zu mir herab, um mich ins Leben zurück zu bringen, wenn dieses möglich wär. Mein Anblick erschütterte dich, du fandest, wie du mich bereden willst, noch Spuren dessen an mir, was ich ehemahls war; deine Sorge um mich ward eifriger, ich erholte mich unter deinen helfenden Händen; durch deine Bemühungen um mich, ward ich dir lieb, du konntest, du mochtest mich nicht wieder in meine Tiefe hinabstossen, du thatest zu meiner Erleichterung das, was du ohne Verletzung deines Eides thun durftest; und ich – bin zufrieden; höheres Glück würde ich ja vielleicht nicht ertragen können!
Dank dir, Ademar, für jede Erleichterung, die du mir schaftest, für jeden Trost, den du mir gabst. Von der Kraft zum Danken, die du wieder in mir zu wecken wußtest, bis auf den sanften [539] Schimmer des Lichts, bey welchem ich dieses schreibe, nachdem ich dreyßig Jahre lang, in fast ununterbrochener Nacht, schier erblindet war, das Größte und das Kleinste das mich erfreuet, alles alles danke ich dir und der Vorsicht, die dich zu ihrem Werkzeuge brauchte. Ach könnte ich dir doch auch die Vergessenheit vergangener Leiden danken! aber leider findet sich hier das Gegentheil. Um deinetwillen regte ich die Qualen der Vorzeit fürchterlich in meiner Seele auf, dir zu Liebe schrieb ich sie nieder, und vergegenwärtigte mir von neuem das lang Ueberstandene! O Ademar! Ademar! was ich hier für dich that, das überstieg fast meine Kräfte, laß mich die Feder niederlegen, um zu ruhen!