[5] Vierter Theil

Es ist unmöglich, meine Schwestern, Euch alle Geschichten mitzutheilen, mit welchen ich ein Jahr lang das Haus der hohen egyptischen Dame unterhielt; sie verfehlten ihres Endzwecks selten, das ist, sie ermangelten niemals, Heiterkeit zu verbreiten, und Langeweile zu vertreiben; dies waren die Würkungen, die ich von ihnen wünschte, Nebenzwecke hatte ich mir nie vorgesetzt, es müßte denn dieser gewesen seyn, welchen selten ein Mädchen, am wenigsten eine Almé, ganz verläugnen kann, der Wunsch zu gefallen, zu interessiren, die günstigen Meynungen, die ich von mir selbst hegte, auch auf andere überzutragen.

[5] Auch dieses mislang mir nicht. Was meine Erzählungen jenseit dieses Ziels ausrichteten, das wußte, das merkte ich nicht; in unbefangener schuldloser Einfalt ging ich meinen Weg, ohne die Augen auf die rechte, oder die linke Seite zu richten.

War dies eine Handlungsweise, die der klugen Almé Ehre machte? Ach, meine Nachfolgerinnen, nur zu wahr ist es, daß wir Wissenschaften, daß wir tausendfache Talente, ohne ein Körnchen wahre Lebensklugheit, besitzen können! Wir, besonders wir sogenannten Almées, schweifen unabläßig in fremden Regionen umher, ohne den Weg unter unsern Füßen zu kennen. Wir schildern die Thaten anderer mit den treffendsten Zügen; was wir selbst thun, oder thun sollten, das überlassen wir dem Zufalle, oder der truglosen Redlichkeit, die, wir sind es uns bewußt, in unserm Herzen wohnt. Doch, dies ist nicht genug, um [6] in einer Welt wie dieser fortzukommen: Eure Almé, ihr Lieben, hat es erfahren. Lang ging sie in dem Traume, den sie Euch geschildert hat, bis sie auf einmahl an einem Abgrunde stand, den sie, ach so leicht, hätte vermeiden können! bis der Wirbellauf fremder Schicksale sie mit dahin riß, und die Flecken fremder Vergehungen sie so dicht überdeckten, daß sie fast an ihrer eigenen Unschuld hätte zweifeln mögen.

Alles dieses betraf die arme Rusma. Ihr sollt die Geschichte davon hören. Diese Blätter werden in Zukunft weniger von den Fabeln enthalten, mit denen ich mich bey der großen Termuthis und ihren Töchtern empfahl, als von den eigenen Unglücksfällen der Erzählerin.

Noch zur Zeit schien alles mir zu lachen, und es gab der Dinge nur wenig, die mich befremden, oder beunruhigen konnten. Die [7] Zuneigung der Dame des Hauses schien ehe zu wachsen, als abzunehmen. Zaide, oder Hermunthis, wie ich sie nennen mußte wenn wir allein waren, liebte mich fast zu heftig für meine Ruhe, und ihre Busenfreundin die fremde Almé, fiel mir durch die Zudringlichkeit, mit welcher sie täglich meine Einsamkeit störte, noch beschwerlicher.

Daß die stolze Ameßes mich haßte, weil ich in einer meiner Fabeln, ihrer hohen Abkunft, unwissend, einen Flecken angehängt hatte, das war mir gleichgültig. Etwas empfindlicher fiel es mir, daß Zaidens Schwester, die stille sanfte Pamylia, sie, die so ganz zur Freundin für mich geschaffen zu seyn schien, mich flohe, mich mit einer Art von Verachtung ansahe. Auch hätte ein ganz eigener Ton, welchen Iphis und die junge Sclavin Nephtis seit einiger Zeit gegen mich angenommen hatten, mich beunruhigen können; sie schienen mich jetzt [8] mehr zu fürchten und weniger zu lieben, besonders die letzte. Iphis winkte mir oft bey den unbedeutendsten Schritten, die ich that, mit ernster Miene das Wort Behutsamkeit zu, und fragte ich nach der Ursach, so war Stillschweigen die Antwort.

O, ich errathe dich, Iphis! sagte ich zu mir selbst, ich weis, was du meynst, auch fühle ich meine Gefahr in einem Punkte und zittre; doch eben dieses Zittern wird mich nicht sinken lassen, es bürgt dir für meine Klugheit und Tugend.

Dieser Gegenstand, auf welchen ich die Warnungen der klugen Iphis deutete, dieser Gegenstand, der mich zittern machte, ach, soll ich ihn nennen? – Ja, zum ersten mahle entschlüpfe mir der theure Name Menes, den ich so oft in meinem Leben, als den Namen meines Geliebten, meines Gemahls, meines sichtbaren Schutzengels [9] nennen sollte, und den ich mir damahls kaum zu denken getraute.

Menes, Menes war es, den ich gesehen hatte, den ich seit einiger Zeit oft, nur zu oft, für meine Ruhe sahe, und der mit jedem Anblick, mit jeder neuen Probe heimlicher schlecht verhehlter Liebe, die er mir gab, das Feuer vermehrte, das in meinem schuldlosen Herzen zu glimmen anfing.

Iphis hatte dies gewünscht, hatte es herangearbeitet; fast lies es sich nicht denken, daß sie mich durch jene Worte in dieser Rücksicht warnen wollte.

Menes hatte soviel von mir gehört, daß er mich endlich einmahl zu sehen wünschte; fast unmöglich wäre dieses bey unserer Landessitte und den strengen Regeln des innern Pallastes gewesen, hätte nicht Iphis, um die Wünsche ihres gewesenen Pfleglings zu begünstigen, unsere Verwandschaft geltend zu machen gewußt. Wir hatten beyde einerley [10] Milch getrunken, Iphis war unserer beyder erste Ernährerin gewesen, dies führt in den Ländern des Nils geschwisterliche Rechte mit sich. Menes und Rusma waren Bruder und Schwester, sie durften, durften sich sehen, durften zuweilen sogar einige Worte wechseln; die Gesetze des Wohlstands untersagten es nicht, Termuthis sahe nicht sauer dazu, Zaide lächelte und Pamylia schwieg.

Unsere Gespräche betrafen meistens die Lieder, die ich sang, die Geschichten, die ich erzählte. Menes war sinnreich genug, hier immer etwas zu finden, das er mir vor tausend Zeugen sagen konnte, und das ich, ohne vorhergegangene Verabredung allein verstand; o des süßen heimlichen Einverständnisses schuldloser Liebe! wer dieses nicht kennt, wer es nicht zu nutzen weis, der bilde sich nur nicht ein, würklich zu lieben.

[11] Meine Antworten auf die Reden des Prinzen waren kurz und voller Zurückhaltung, gern hätte ich ihm mehr gesagt. Ein Weg blieb mir offen, ihn, ohne Beleidigung der Klugheit und sittsamer Zurückhaltung, einen tiefen Blick in mein Herz thun zu lassen: meine Geschichten. Doch, konnte ich diese nach meinem Willen wählen? – Ach, mich fesselte der Befehl meines Vaters! ich durfte nicht von der heiligen Ordnung der geweihten Blätter abweichen, und oft traf sichs, daß ich ein unglaubliches Priestermärchen recitiren, oder die Schlachten des Königs Osymandias singen mußte, wenn mir die Geschichte der Hirtin Omphis und des großen Phta, oder eine andere schöne auf unsern Zustand passende Historie lieblich vorschwebte.

Der Himmel weis es, was es mir für Ueberwindung kostete, dem Verlangen des weisen Sopher treu zu bleiben, das mich [12] unauflöslich an die Blätterfolge seines Buches band; doch ich besiegte jede Versuchung, und schuldlos bin ich an dem, was ich Euch sogleich mittheilen will.

Nicht ohne Kummer bemerkte ich seit einiger Zeit eine Verrückung der Blätter meines Buches. Ich wußte oft ganz genau, was für eine Geschichte folgen mußte, und ich war genöthigt, eine andere, welche die nächste war, zu erzählen. Ich würde geglaubt haben, verwegene Hände künstelten an meinem Heiligthume, hätte ich es nicht unter sieben Schlössern verwahrt gehalten, und wär mir es nicht überdem bekannt gewesen, daß hier niemand die heilige Bilderschrift verstehe, in welcher es abgefaßt war.

Die hierin unter diesen Leuten herrschende Unwissenheit, machte mich oft zu lachen, und ich gerieth mehrmahls mit der Prinzessin Zaide und ihrer Almé in einen Streit, [13] welcher fast ernstlich zu werden drohte, und der eben dieses Buch zum Gegenstand hatte.

Zaide war die Einzige, welcher ich es je erlaubt hatte, mein Heiligthum anzurühren; sie hatte sich zu dieser Gunst fast zugedrungen, und was noch schlimmer war, auch ihre Freundin zur Theilnehmerin derselben zu machen gewußt.

Sie und die fremde Almé, die ich, im Vorbeygehen gesagt, nie mit Zaidens partheyischen Augen ansehen konnte, und deren Anblick mir allemahl eher Furcht und Widerwillen, als Freude und Zuneigung, einflößte, überraschten mich eines Abends, als ich eben im Begriff war, mich zu einer Privataudienz bey der großen Termuthis, dergleichen ich oft hatte, vorzubereiten.

Mein Buch, das ich eben vor mir hatte, war der Gegenstand einer zweystündigen Unterredung zwischen uns dreyen; einer Unterredung, [14] von welcher ich nur den Schluß hersetzen will, damit Ihr sie, wenn Ihr es in der Folge der Geschichte für nöthig finden solltet, wieder zu Eurer Belehrung hervorsuchen könnt. Mir war sie damahls so unverständlich, als sie Euch bis dahin seyn wird.

Was wollt ihr endlich von mir, ihr beyden Quälerinnen? schrie ich, indem ich mich von Zaiden und ihrer Freundin, davon die erste mich in ihren Armen hielt, die andere meine Knie fest umfaßte, loszumachen strebte. Was wollt ihr? Sehet, die Mitternacht naht heran, und noch weis ich nicht, zu welchem Endzweck euch die Abenddämmerung zu mir brachte.

Zaide. Rusma, dich zu bitten, zu beschwören – –

Rusma. Um was?

Die Fremde. Ganz unsere Freundin zu seyn!

[15] Rusma. Bin ich es nicht? Sehet, in diesem Cirkel hat sich unser Gespräch nun all diese Zeit über gedreht, ohne weiter zu kommen! Noch einmahl: Kann ich erfahren, was ihr verlangt, und denn das Ende sehen?

Die Fremde. Das wüßtest du nicht?

Rusma. Nein! nein! nein! zum tausendsten mahle, Nein!

Zaide. Du wirst unwillig! – O du bist sonst so sanft, so milde, erspare uns doch Worte, deren wir bey der weisen Almé Rusma überhoben seyn können!

Die Fremde. Du darfst ja nur dein Buch aufschlagen, um alles zu wissen, was dir ohnedem nicht unbekannt seyn könnte, und was sich, ohne Zauberey, leider hier schon so manchem verräth.

Zaide. Sie schweigt! Sie wird uns hören!

Rusma. Ich schweige aus Ueberdruß!

[16] Zaide. Nein, dein Schweigen ist Geständniß: unser Geheimniß sey kein Geheimniß für dich.

Rusma. Nun so nehmt meinetwegen an, es sey so; was dann hernach?

Die Fremde. Dann eine Bitte: durch deine Wissenschaften, durch die Kräfte deines Buches – – –

Zaide. Nein! die Bitte nicht! erst die Frage! – –

Die Fremde. Die Frage? Jetzt noch eine Frage?

Rusma. Beym Himmel, das ist unausstehlich! – Vereiniget euch! und zwar du, Hermunthis, rede zuerst!

Zaide (feyerlich). Almé Rusma, ich beschwöre dich bey deinen übernatürlichen Kenntnissen, von welchen die ganze Leitung unsers Schicksals Zeuge ist, bey dem Andenken des weisen Sophers, bey deinem wundervollen Buche: sage mir, ists recht, daß ich diese Hand – (sie hielt die Hand der [17] fremden Almé) – in die meinige lege, und hiermit betheure, sie nie zu lassen?

Rusma. Sie ist deine Freundin; hat sie dich beleidigt, daß du ihr die Treue aufkündigen willst?

Die Fremde. Hermunthis! Hab' ich das?

Zaide. Nein!

Rusma. Nun, so laß ihr, was du ihr gabst; ich begehre nicht Störerin eines Bundes zu seyn, den ich zwar vielleicht nicht gestiftet haben würde.

Die Fremde (mir zu Füßen). Himmlische, himmlische Seele! dies erwartete ich von dir!

Zaide (mich umarmend). Siehst du, Rusma, nun gestehst du, daß du unser bist? warum dieses lange Sträuben, das uns so viel, so kostbare Minuten kostete?

Die Fremde. Und nun die Bitte: Laß uns nicht allein auf dem Wege, der dir bekannt ist! Denk an die Geschichte des treuen Pythicus, um deren Wiederholung wir dich gern bitten möchten, denk an Mycerin und [18] Suchis, denk an die Pyramiden von Dsyse! Nütze die Kräfte, die dir das Schicksal verlieh, uns –

Ich konnte mich hier nicht entbrechen, der fremden Almé ins Wort zu fallen, und sie zu bitten, mir ihre wunderlichen Dinge ein andermahl vorzutragen, und sich mit der Prinzessin jetzt eilig zu entfernen. Ich war bestellt, diese Nacht, die große Termuthis, wie oft geschah, in den Schlaf zu schwazzen. Schon sah ich die Sclaven, die mich abholen sollten, mit ihren Fackeln über den Marmorhof kommen. Es war wider die Regeln des innern Pallasts, in der Mitternachtsstunde noch Besuch zu haben, und Zaide und ich würden einem strengen Verweis nicht entgangen seyn, wenn man mich nicht einsam getroffen hätte.

Meine lästigen Besucherinnen waren auf meine Warnung, wie weggehaucht aus meinem Zimmer. Nur Zaide kehrte auf einen Augenblick, wie im Fluge, zurück, und [19] rief mir zu, den Namen Hermunthis nicht zu vergessen. Ich begriff nicht, was sie hiermit meynte, und ging den Fackelträgern entgegen, höchst unzufrieden, mit den verschwendeten Stunden, die ich, hätte man sie mir nicht geraubet, angewendet haben würde, die Geschichte von der Flucht der Prinzessin Nitokris, welche, wie ich gewiß wußte, auf die Letzterzählte folgen mußte, in meinem Buche zu suchen. Dies war zu spät, ich sahe mich genöthiget, der Dame diejenige vorzutragen, die mir das Schicksal in die Hand gespielt hatte, und die ihr sogleich lesen werdet.

[20]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Märchen. Alme oder Egyptische Märchen. Vierter Theil. [Überleitung]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5E91-3