Viertes Bändchen

Jungfernsprung und Roßtrab

An der nördlichen Seite des Harzwaldes, unweit der alten Kaiserstadt Goslar erheben sich zwei Berge, das Bogez und Senne unsers deutschen Vaterlandes; zwar nicht wie jene Felsen in Phylistäa wegen irgend einer kriegerischen Heldenthat berühmt, aber desto denkwürdiger durch ein Abentheuer der Minne; es gab jenen Hügeln die seltsamen Namen, die ihr an der Spitze dieser Blätter erblickt, und von deren Entstehung euch euer alter Märchenerzähler diesesmal unterhalten wird.

In der Mitte des fabelreichen Waldes, dessen Abentheuer noch kein Sagenforscher ganz erschöpft hat, lebte vor Alters ein Ritter, der ehemals reich war, dessen ganze Besitzungen sich aber vor der Hand nicht weiter erstreckten, als was man aus den Fenstern der Burg sehen konnte, welche seine Vorfahren in dem wilden Walde auf einer kleinen Anhöhe erbaut hatten.

Ritterzüge nach dem heiligen Lande, Turniere und Fehden waren es, die ihn nach und nach so herunter gebracht [2] hatten; jetzt, da er zu alt war, sich ferner mit dem einen oder dem andern abzugeben, jetzt, da die Sorge für eine unvermählte Tochter ihm am Herzen nagte, jetzt dachte er wohl daran, sich einzuschränken, aber es war zu spät! Aus dem, was die Kargheit des Vaters, und die Wirthlichkeit der blühenden Tochter ersparten, konnte kein Reichthum erwachsen; Alles was sie fruchteten, war, daß man sich kümmerlich das Leben fristete, und sich mit einer Unabhängigkeit schmeichelte, die man im Grunde nicht besaß.

Ritter Markard hatte unter seinem Schloßgesinde, das zehnmal geändert und nach und nach immer mehr verringert worden war, doch niemals einen alten Hausverwalter abschaffen können, der sich ein altes Inventarium von den löblichen Vorfahren seines gestrengen Herrn, einen alten treuen Diener nannte, welcher auch wohl ohne Lohn und Vortheil zu dienen bereit sei; aber im Grunde war er nichts als ein fressender Krebs, welcher insgeheim alles Vermögen Ritter Markards aufzehrte, und ihn unvermerkt vollends an den Abgrund zog, wohin er ihn gern haben wollte.

Durch kluge Berechnungen und tausendfache heimliche Wucherkünste war Alles, was der Ritter seit zwanzig Jahren verschwendet hatte, in Genebalds Sekel geflossen. Er war jetzt Besitzer all der Güter, die ehemals seinem Herrn gehörten, und Ritter Markard mochte von der Sache denken was er wollte, so konnte er seinen Diener doch keiner Veruntreuungen überweisen, und mußte [2] sich damit begnügen, daß Genebald erklärte, seinen wachsenden Reichthum bald einer reichen Erbschaft im Auslande, bald einem wuchernden Schiffe auf der Ostsee, bald einem gefundenen Schatze zu verdanken.

Der alte Ritter hatte allerdings Ursache, die Wahrheit solcher Erklärungen zu bezweifeln, und seine Tochter, Fräulein Hedwig, ein muntres Geschöpf, die mit einem scharfen klaren Verstande begabt war, hatte auch hierüber ihre ganz eignen Ansichten. Sie trug unabläßig auf Abschaffung des alten Blutsaugers an, wurde aber immer mit ihrem Begehr abgewiesen. »Lasse ich ihn von mir,« sagte Markard, »so sinkt vollends Alles, was weder du noch ich aufrecht zu erhalten verstehen, und wäre auch dieses nicht, wie soll ich ihn verabschieden ohne Zahlung seines rückständigen Lohns? Du weißt, daß er mir mehrere Jahre umsonst diente, und überall im Vorschusse steht!«

Hedwig ergab sich der Verzweiflung ob der Verwirrung der väterlichen Angelegenheiten; es war, als ahndete es ihr, daß sie hier endlich das Opfer sein würde.

Gram und wachsender Mangel warfen den Ritter endlich auf's Krankenlager. Da trat der alte Genebald zu ihm und sprach: »Herr, so Gott heut oder morgen über euch gebeut, was soll aus eurem unversorgten Fräulein werden? – Ich vermag euer Schloß, das einzige was euch übrig ist, nicht mehr zu halten. Ihr wißt, ihr seid meinem Vetter, dem bremischen Kauf mann, mit einer weit größern Summe verhaftet, als diese kleine [3] Herrschaft werth ist. Bis ihr die Augen schließt, möchte er vielleicht Geduld haben, auch wohl euren Gebeinen eine Stelle an der Seite eurer Ahnen gönnen; aber um Fräulein Hedwig ist's dann gethan, so sich nicht binnen der Zeit Gelegenheit zu einer vortheilhaften Heirath findet, wozu ich noch keinen Anschein sehe; denn Niemand wirbt um sie, als der Junker jenseit des Waldes, der zu arm ist, um ein einziges Geschöpf mehr zu ernähren, als sich und sein mageres Streitroß.«

»O Genebald!« rief Markard, »ist's nicht genug an den Schmerzen meiner Krankheit? mußt du mir noch einen vergifteten Dolch in's Herz stoßen? Laß mich ruhig sterben, und mein Kind der Sorge des Himmels anbefehlen, oder sage, wie ihr zu helfen ist. Du siehst mich auf dem Punkte, Alles einzugehen, wenn es nur nicht wider Gottesfurcht und Ritterpflicht streitet.«

Genebald lächelte in den Bart, und meinte, er wisse in der That ein Mittel, wenn er so kühn sein dürfte, es zu nennen. – »Ihr habt,« fuhr er fort, da er sah, daß der Ritter schwieg, »eine Tochter und ich einen Sohn; setzt die Träume von eurem Adel bei Seite, und macht aus Beiden ein Paar; der Mangel des Einen kann durch den Ueberfluß des Andern ersetzt werden! Das Glück hat mir alle Güter eurer Vorfahren zugewandt, die ich wahrhaftig nur aus Liebe zu euch erkaufte, weil es mich schmerzte, sie in fremden Händen zu sehen. Ich gebe sie meinem Sohne zum Heirathsgut, wenn ihr eurer Tochter den Namen eures Hauses zur Heimsteuer laßt Die Sache [4] wird durch Geschenke und Gaben ja beim Kaiser zu vermitteln sein. Ihr schlagt meinen Sohn zum Ritter, und dann ist er eurer Tochter würdig, und so gut ein Edelmann, als der Erste eurer Urväter.«

Es schmerzte den kranken Ritter tief in der Seele, so profan von dem Werthe des Adels sprechen zu hören. Er war unentschlossen und verlangte Bedenkzeit; als aber nach einigen Tagen Genebalds Vetter und Landsmann, der Kaufmann von Bremen erschien, für den Hausverwalter neuen Gewinn von der Ostsee, für seinen unglücklichen Herrn neue Forderungen brachte, die augenblicklich befriedigt werden mußten, weil der Wucherer Eile hatte, da mußte man sich entschließen. Hedwig ward dem jungen Genebald zugesagt, und der Hausvoigt verpflichtete sich dagegen, den ungestümen Mahner zu befriedigen, und die ganze Schuld zu übernehmen.

Hedwig zerfloß in Thränen. »Tröste dich,« sagte der Vater, »vielleicht ist dein Schicksal weniger unglücklich als du denkst. Wir kennen den Jüngling nicht, dem du versprochen bist. Du weißt, sein Vater ließ ihn bei Hofe in der Waffenschule erziehen, auch weißt du, die Natur bindet ihre Gaben nicht an einen Stand. Wer weiß, welch einen jungen Helden wir zu sehen bekommen, der den großen Namen völlig verdient, den du ihm zubringen sollst.«

»Ach,« seufzte das Fräulein, »ersetzt dieses Alles das adeliche Blut, das doch nimmermehr in seinen Adern rinnen wird? –« Da lobte sie ihr Vater sehr wegen des [5] edeln Stolzes, den sie zeigte, und sagte ihr von Trostgründen, was er nur dachte, das sich für ihren Kummer schickte; aber es fruchtete nichts, denn im Grunde trauerte Hedwig nicht sowohl um den Flecken in der Ahnentafel, als um den Junker jenseit des Waldes, der so arm war, daß er nichts als sich und sein magres Streitroß nähren konnte.

Hier half kein Weinen noch Trauern; die Braut mußte sich zum Empfange des Bräutigams anschicken. Dieser hätte übrigens die Reize eines kaiserlichen Pagen, und den Heldenmuth eines Ritters vom heiligen Grabe in sich vereinigen können, so würde er Hedwigs versagtem Herzen doch nicht gefallen haben, wie viel weniger, da sich nichts von dem Allen zeigte.

Der junge Genebald war ein ganz wohlgestalteter, schlank gewachsener Bursche. Leibesübungen hatten seinen Körper ausgebildet und stark gemacht, auch hatte er von den Stößen, die man in Turniren austheilt und empfängt, viele Erfahrung, ungeachtet er standeshalber in keinem mit gestochen hatte; aber sein Gesicht zeigte von Einfall, und unter seinem Brustharnisch schien kein Herz zu schlagen, das ihn zu Ritterthaten hätte beseelen können. Aber doch ein Herz, das Liebe fühlen konnte!

Die Reize seiner vornehmen Braut waren Genebalden nicht gleichgültig; sie erregten Gefühle in ihm, die vielleicht nicht schwächer waren als die, welche Hedwig in dem Herzen des Ritters jenseit des Waldes kannte; doch sie ihr zu entdecken, war er zu blöde und einfältig. Er freute sich auf den Tag der Vermählung, so wie das [6] Fräulein demselben entgegen zitterte; zuweilen ließ er seinen einfältigen Jubel über den Besitz eines Gutes, das ihn unglücklich machen mußte, so laut werden, als Hedwig ihren Widerwillen. Dies war Alles, was zwischen den beiden Verlobten bis zu dem entscheidenden Ja vorfiel; herrliche Vorbedeutungen für die zukünftige Ehe.

Die beiden Väter überlebten das Hochzeitfest nicht lange. Der alte Genebald, im Taumel der Freude, endlich seinen lang herangearbeiteten Endzweck erreicht zu haben, und seinen Sohn durch Liebe, Ehre und Reichthum, wie er meinte, beglückt zu sehen, übernahm sich beim Leeren der vollen Pokale, und starb noch in den Tagen der Hochzeitfeier an den Folgen seiner Unmäßigkeit. Ritter Markard war durch langen Gram, der wahrhaftig durch diese Heirath seiner Tochter nicht gehoben ward, so elend geworden, daß er nur noch wenig Monate lebte; doch hatte sein aufgedrungener Schwiegersohn noch das Glück, vor seinem Tode das Ritterschwert von ihm zu erhalten. Den Adel und die Erlaubniß, den Namen von Markards glorreichen Vorfahren zu führen, hatte man ihm schon vom Kaiser – vermuthlich war es der merkantilische Wenzel – erkauft, und es fehlte dem guten Jungen also nichts, als gerade das Wichtigste: ein Ritterherz und Rittersitten, nebst der Liebe seiner Gemahlin.

Die Letzte zu erlangen, schien das Unmöglichste von Allem zu sein. Hedwig war keine von den sanften frommen Seelen, die es für Pflicht halten, sich mit guter [7] Art in Alles zu ergeben, was nun einmal nicht zu ändern ist, und es für unrecht halten, Andere unglücklich zu machen, weil sie es selbst sind. Stolz und Eigenwille waren die Hauptzüge von dem Charakter der Dame Genebald. Eine glückliche Verbindung mit einem geliebten Gemahl würde hier vielleicht viel zum Besten gekehrt haben, aber das widrige Geschick, das sie hatte erfahren müssen, machte sie zur Furie; es ist ja bekannt, daß ein gutes Herz durch Leiden noch mehr veredelt wird, ein schlechtes noch tiefer sinkt!

Hedwig war zu gut erzogen, um ihren Widerwillen gegen den unglücklichen Genebald, gleich gemeinen Weibern, durch Toben, Fluchen und Schelten zu äußern; sie wußte, daß es feinere und empfindlichere Mittel gibt, einen gehaßten Gegenstand zu quälen. Sie war so freundlich und leutselig gegen Alle, die mit ihr umgingen, nur für ihren Gemahl zeigte sie kalte Gleichgültigkeit, oder quälte ihn durch beissende Spöttereien. Er war nicht einfältig genug, die Geissel ihres Witzes nicht tief zu fühlen, aber viel zu albern, um sie auf eine vernünftige Art von sich abzukehren. Er fühlte, daß alle Geringschätzung, die er erfahren mußte, ihren Grund nicht sowohl in seiner niedrigen Geburt, als in den schlechten Rittertalenten hatte, die er mit in seinen neuen Stand brachte. Der nachtheiligen Meinung zu begegnen, die man von ihm hatte, und die man ihm in tausend beissenden Spöttereien bei jeder Mahlzeit zum Nachtisch auftrug, begann er gewaltig großzusprechen. Er prahlte, daß kein Ritter so große Thaten zu leisten vermöchte, wie er bereits in [8] seinem Lehrlingsstande gethan hätte; doch wußte er bei Allem, was er von sich rühmte, die Wahrscheinlichkeit so wenig in Acht zu nehmen, daß man ihm in's Gesicht lachte. Er fühlte, daß er seine Verächterin durch nichts, als durch den Augenschein überzeugen konnte, und fing sein Werk auf eine andere Art an. Er schrieb Fehdebriefe an sich selbst, gab sich den Anschein, die Sache vor seiner Gemahlin verbergen zu wollen, und machte sich früh vor Tage auf, im nahgelegenen Walde einen fürchterlichen Kampf mit Gebüschen und Bäumen zu beginnen. Das Schild wurde an einen Ast gehangen, und von seiner eignen Hand mit tausend grimmigen Hieben zerfetzt, die starke Lanze im Rennen wider eine Eiche ritterlich gebrochen, und das Schwert durch gänzliches Niederhauen des kleinen Gesträuchs schartig gemacht. Dies Wesen trieb er jede Woche einmal, auch wohl zweimal, und kehrte nach gehaltenem Luftkampf allemal gewaltig erhitzt auf seine Burg zurück.

Frau Hedwig stellte sich entweder, als beginne sie bessere Meinung von ihrem Eheherrn zu hegen, oder sie wußte in der That nicht recht, was sie von ihm denken sollte. So viel war einmal gewiß, die Lanze war immer ritterlich gebrochen, der Schild durch Hiebe zerfetzt, die von keinem schlechten Gegner zeigten, auch triefte die Stirn des theuren Mannes allemal von glorreichen Heldenschweiß. Nur eines war es, das sie zweifelhaft machte, und sie äußerte sich darüber auf folgende Art.

»Mein theurer Gemahl,« sagte sie, »bei den Gefahren, [9] denen ihr euer edles Leben unablässig aussetzt, tröstet mich nur eines.«

»Und was ist das?« fragte er in dem übermüthigen Tone, den er, seit er die Rolle des Helden spielte, oft gegen sie annahm.

»Daß eure grimmigen Gegner all' ihre Wuth allein an eurem Schilde verschwenden Nie sah ich noch ein Tröpflein eures Bluts, nie eine Beule auf eurem Helm; ich glaube, ihr könnt euch fest machen, und selbst eurem Thiere die Unverletzlichkeit mittheilen. Mein tapferer Vater kam nicht so unblutig aus seinen Fehden zurück; auch will ich die Rosse nicht zählen, die ihm unter dem Leibe niedergestoßen worden sind. Die Ritter dieser Gegenden waren sonst nicht so höflich, als sie jetzt zu sein scheinen.«

»Grausame Wütherin!« schrie Genebald, »du möchtest mich also lieber getödtet oder verstümmelt sehen? Ob sich eine unsichtbare Macht für mich interessirt, das weiß ich nicht, aber so viel ist gewiß, daß wenn dieses nicht der Fall ist, du wohl Ursache hast, Gott und seine Heiligen zu bitten, daß sie dich nicht bald zur betrübten Witwe werden lassen, indem ich in den nächsten Tagen einen Kampf wider drei Ritter vorhabe, die mich auf einmal herausforderten, und die ich kühn genug war, auf einen Tag zu bescheiden.«

Hedwig antwortete auf diese Prahlereien nichts, aber sie merkte sich genau den Tag des dreifachen Kampfes, [10] weil sie sich etwas vorgenommen hatte was alle ihre Zweifel auf einmal aufklären mußte.

Herr Genebald schickte sich mit soviel Geräusch zu dem gefahrvollen Kampfe an, und sprach den Abend vorher so viel von den Lorbeeren, die er aus demselben zurück bringen wollte, daß die Dame den rechten Zeitpunkte nicht verfehlen konnte. Sie fertigte noch in der nämlichen Nacht einen Eilboten an den Ritter jenseit des Waldes ab, den der Leser schon dem Namen nach kennt, und mit dem sie immer ein geheimes Verständniß unterhalten hatte. Darauf legte sie sich zur Ruhe, und beschwor ihren Gemahl vor dem Einschlafen noch bei allen Heiligen, sich doch nicht allein in die bevorstehende große Gefahr zu wagen, sondern wenigstens einen treuen Knappen mit sich zu nehmen, der ihn bei gefährlicher Verwundung verbinden, oder, für den ärgsten Fall, ihr die Todespost gebührlich ansagen könnte; eine Bitte, die sie am andern Morgen beim Abschiede noch auf eine so rührende Art wiederholte, daß der einfältige Genebald nichts als den lautern Ernst in ihren Vorstellungen zu finden glaubte, aber sich wohl hütete, ihnen Gehör zu geben. Seine Thaten waren von der Art, daß sie keinen Zeugen zuließen; auch wegen der Gefahr glaubte er so ziemlich sicher zu sein, obgleich er, indem er über die Brücke sprengte, der Dame am Schloßthor noch zurief: für Blut würde sie diesmal nicht zu sorgen haben, denn aus so einem Kampfe, wie der heutige, würde er wenigstens mit dem Blute seiner Feinde besprützt zurückkehren. – »Es müßte nicht gut sein,« sagte er zu sich selbst, »wenn ich nicht im Walde [11] irgend ein kleines Wild auftreiben sollte, dessen Blut mir dienen könnte, Schwert und Waffen zu färben; zum Glück ist Ritterblut so sehr von anderm Blute nicht zu unterscheiden.«

Als Herr Genebald seiner Dame aus dem Gesichte war, kam der Bote von dem Ritter jenseit des Waldes zurück. Er brachte ihr einen Helm, ein Schwert, Schild und andere ritterliche Waffen, nebst einem guten lenksamen Pferde, was sie sich Alles erbeten hatte, um den Plan auszuführen, zu dem nun die rechte Zeit gekommen war. Sie wollte und mußte endlich Gewißheit haben, mit was für Riesen und Zauberern ihr Gemahl, der kühne Held, den gefährlichen Kampf im Walde bestehe. Keinen andern Augen als den ihrigen wollte sie trauen, keiner andern Hand als der ihrigen die Expedition auftragen, von welcher sie ahndete, daß sie hier zur Züchtigung der Thorheit nöthig sein würde; denn ganz wollte sie die Ehre des Mannes nicht Preis geben, den das Schicksal in seinem Zorne nun einmal zu dem ihrigen gemacht hatte.

Hedwig rüstete sich mit den Waffen, die sie nicht aus der Rüstkammer Ritter Genebalds hatte nehmen wollen, um ihm desto unkenntlicher zu sein; denn der Mann, der keine andere Beschäftigung hatte, als auf seiner Gewehrkammer – die herrlicher versehen war, als der Rüstsaal des Hochmeisters der deutschen Ritter, – den Staub von glänzenden Waffen zu wischen, die er nicht nutzte, hätte gewiß jede eiserne Schiene auf den ersten [12] Anblick erkannt, die aus derselben entlehnt gewesen wäre.

Mit fremdem Schild, Helm und Pferd konnte die irrende Ritterin Alles wagen. Gerüstet stand sie nun da, kaum ihrer eignen Zofe kenntlich, die noch nie bei einer ähnlichen Toilette gedient hatte, und die ihr jetzt weinend den Helm schloß. »Betrübe dich nicht, gute Dirne,« sagte die Heldin, »ich reite auf eine Fehde, wo ich für keine Gefahr zu sorgen habe, wo ich vielleicht Stösse austheilen, aber schwerlich dergleichen empfangen werde. Lebe wohl, vor Abend siehst du mich wieder!«

Vor dem Hinterpförtchen stand das gesattelte Roß. Die Dame saß rüstig auf, und sprengte über Wiese und Thal nach dem Walde, wo sie wußte, daß ihr Herr seine Abentheuer aufzusuchen pflegte.

Daß sie sich ziemlich weit in demselben vertiefen mußte, ehe sie das traf, weswegen sie diesen Ritt unternommen hatte, das verstand sich; es war nicht wahrscheinlich, daß Genebald seine Fehden, auf die Gefahr hin belauscht zu werden, in der Nähe der Heerstraße auskämpfte. Hedwig's Muthmaßungen bestätigten sich mit jedem Schritte, den ihr Roß tiefer in den wilden Wald hinein that.

Endlich vernahm sie in der Ferne ein gewaltiges Streitgetöse, und ihr Herz begann jetzt ein wenig zu beben; doch es war nicht wie das Getümmel von Obsiegenden und Unterliegenden, sondern nicht anders, als wenn ein Schwert wider einen wehrlosen Gegenstand wüthet, und Hiebe austheilt, welche nicht erwiedert werden. Die [13] Ritterin zog näher, das Klopfen des zarten weiblichen Herzens, das bei jedem Geräusch von Stahl und Eisen erbebt, ließ nach, je gewisser sie der Sache ward, und als sie endlich zwischen den Bäumen von Weitem den Kampfplatz erblickte, wo Ritter Genebald sein Schwert an dem ehrnen Schilde schartig schlug, und nebenbei einige Streiche unter das kleine Gebüsch austheilte, da verschwand die kleine instinktartige Angst, die sie beim ersten entfernten Geräusch gefühlt haben mochte, und ein Lachen wandelte ihr an, das sie kaum zu unterdrücken vermochte. Es war lustig anzusehen, wie der Held bei seiner Arbeit keuchte und schwitzte, und sich die Niederlage seiner leblosen Feinde so ernstlich angelegen sein ließ, als ein alter Tempelritter die Ausrottung der Sarazenen. Jetzt ruhte er ein wenig, und knüpfte die Riemen seines Helms auf, vermuthlich um ihn abzulegen und den Schweiß zu trocknen. Die Dame mußte besorgen, zu zeitig wahrgenommen und durch die Flucht des Feindes um den Sieg gebracht zu werden; sie spornte daher ihr Pferd an, und ehe Genebald zu Athem kommen konnte, hielt ein fremder Ritter, bis über die Zähne gewaffnet, ihm gegenüber an dem Baume, der die meisten seiner Streiche empfangen hatte, und wo sein gemißhandelter Schild noch von den letzten Hieben hin- und herschwankte.

»Vasall!« schrie Hedwig mit donnernder Stimme, »was ist es, das du hier beginnst?«

Genebald wußte wohl, daß er Niemands Vasall war, als seines gnädigen Herrn, des Kaisers, und daß er ebenfalls [14] hier in seinem eignen Gehölze thun konnte, was ihm recht dünkte. Doch die Frucht und das Entsetzen, so plötzlich hier einen Gegner zu sehen, wo bisher nur seine Phantasie ihm Feinde erschuf, machten, daß jede kühne Antwort auf seinen Lippen erstarb. Es fiel ihm nicht ein, seine Rechte auf eine würdige Weise zu behaupten, sondern er antwortete demüthig, er sei ein armer Holzhauer, der es nicht für Sünde gehalten habe, hier einiges überflüssiges Gebüsch niederzuhauen, um es mit sich zu nehmen.

»Ein Holzhauer?« schrie die Ritterin, »was bedeutet denn diese Rittertracht, und hier am Baume der zerhauene Schild? Ein Verwegner bist du, und ein Lügner oben drein! Setze dich ritterlich zur Wehre, daß ich die mir angethane Beleidigung rächen kann! – wo nicht, so fürchte die schimpflichste Behandlung!«

Genebald that zitternd, was ihm geheißen ward, denn er konnte seine knechtische Herkunft – so sagt der erste Erzähler dieses Abentheuers, – nicht verleugnen, und zeigte überall, daß er zum Gehorchen geboren war. Jetzt saß er zu Pferde, und hielt seinem unbekannten Gegner gegenüber; ein hochgewachsener, baumstarker Ritter gegen eine zarte weibliche Figur, die Niemand als einem Verzagten, wie er, Furcht, einflößen konnte. Hedwigs Stöße und Hiebe wollten wenig sagen, aber seine Gegenwehr war noch schlechter; Angst und Entsetzen blendete seine Augen, daß er nicht sah, wo er hinstach, und lähmte seine Fäuste.

[15] »Herr!« erkühnte er sich endlich zitternd zu rufen, »es ist keine Kunst, mit voller Wehr gegen einen zu kämpfen, der nur die Hälfte seiner Rüstung trägt; begebt euch eures Schildes, so wie der meinige für mich unbrauchbar ist.« Hedwig that mit verächtlichem Lachen was man von ihr verlangte, aber der armselige Genebald war dadurch wenig gebessert, denn ehe es sich seine Gegnerin versah, lag er im Staube. Sie hat bis an den Tag ihres Todes behauptet, sie habe ihn nicht niedergeworfen und sie glaube wirklich, er sei gutwillig gestürzt, um nur so bald als möglich als ein Ueberwundner um Gnade bitten zu können.

Hedwig sprang ihm nach, beraubte ihn mit leichter Mühe des Schwerts und des Helms, und sah ihm hohnlächelnd ins Antlitz. Zum Glück konnte er den Spott in ihrem Auge durch das geschlossene Visir nicht sehen, er hätte ihn sicher für blutgierige Mordlust genommen, und wäre ihr vorläufig, um der Qual desto eher zu entgehen, unter den Händen gestorben. Von ihm erkannt zu werden, wäre auch mit offenem Helm keine Gefahr für sie gewesen; der Ueberwundene war in solcher Bestürzung, daß er kaum das Blaue des Himmels von der Erde unterscheiden konnte.

»Was soll ich nun mit dir beginnen, du Feigling?« rief Hedwig mit grimmigem Tone, »soll ich dich mit dem Sattelriemen an mein Roß binden, und dich auf ewig zu meinem Sclaven machen? Oder soll ich dir die Rüstung ausziehen, welche zu tragen du nicht verdienst, [16] und dich so zu deiner Schande laufen lassen? Denn mit deinem Tode ist mir nicht gedient; ich habe nie mein Schwert mit dem Blute eines Feigen besudelt!«

»Herr!« sagte Genebald nach einigem Bedenken, »ehe ich zeitlebens Sklavenfesseln tragen, oder als ein Beschimpfter nach Hause zu meinem übermüthigen Weibe ziehen soll, eher will ich sterben; doch wollt ihr mit unter irgend einer Bedingung Leben und Freiheit schenken, so würde ich euch ewig danken, und euch Alles, was ihr von mir verlangt, zum Opfer bringen. – Ich bin reich, gebietet selbst, was ihr für meine Auslösung fordert!«

»Ich bedarf deines Geldes nicht,« schrie die verkappte Dame, »doch so dir keine Bedingung zu schwer dünkt, Leben, Freiheit, und den leidigen Schein von Ehre, den du bei deinem Weibe haben magst, damit zu erkaufen, so höre, was ich dir sagen will: Ich fand nicht weit von hier einen todten Hasen, suche ihn auf, und trage ihn mir bis zum Ausgange des Waldes; ich will ihn mir diesen Abend zum Andenken des Sieges über den tapfersten aller Ritter zu richten zu lassen. Auch magst du mit dem Blute des Wildes deine Waffen färben, und daheim dein Schloßgesinde bereden, es sei dein Blut, das du in rühmlicher Fehde vergossen habest, denn an einer Lüge wird dir's nimmer fehlen. Erfüllst du meine Bedingung, so begehre ich weiter keinen Antheil an dir zu haben. Doch eins nimm zu Herzen: Ich heiße Berengar; so oft du diesen Namen hörst, so gedenke der heutigen Auftritte, beuge dich vor Jedem, der dir dies Zauberwort [17] nennt, damit ich nicht, wenn du widerspenstig bist, schnell an deiner Seite stehe und laut von Dingen rede, die sonst verschwiegen bleiben können.«

Genebald that und gelobte Alles, was man von ihm forderte. Das Wild zu finden war ihm ein Leichtes; er selbst hatte es getödtet und ungefähr das nämliche damit vorgehabt, was ihm die schlaue Kennerin seiner Thorheit spottend anrieth, und nun, da er ihr das Geforderte zitternd überreichte, mit eigner Hand zu thun beliebte. Sie tauchte den Finger in das Blut des langöhrigen Thieres, und färbte damit seine Rüstung. »Nimm hin,« sagte sie mit komischer Feierlichkeit, »das Andenken der heutigen Thaten! Siehe, so tauchte Kaiser Heinrich seinen Zeigefinger in das Blut eines Löwen, um den glorreichen Ueberwinder desselben nach Würden zu begnadigen, siehe, so weiht dich in dieser Stunde Berengar zum Großmeister eines Ordens, den du dir heute erworben hast und selbst benennen magst!«

Als Genebald Alles vollzogen hatte, was die Uebermüthige von ihm begehrte, entließ sie ihn. Er küßte demüthig ihren Steigbügel, und empfing noch zum Abschiede den Befehl, den Wald nicht eher als nach Sonnenuntergang zu verlassen. Eine Klausel, die ihre guten Ursachen hatte. Die tolle Siegerin hatte sich noch einen kleinen Ritterzug vorgenommen, welcher vor Heimkunft ihres beschimpften Gemahls geendigt sein mußte.

Stolz auf die Lorbeeren ihres Sieges und begierig, die lächerlichen Scenen im Walde mit irgend einem vertrauten [18] Gefährten zu belachen, sprengte sie von dem Kampfplatze zu dem mehr erwähnten Ritter jenseit des Waldes, ihren alten Buhlen. Sie hatte ihn bisher nur verstohlen an dritten Orten gesehen, aber die Verachtung gegen ihren Mann, die heute auf's höchste gestiegen war, machte, daß sie mit Hintenansetzung ihres eignen Leumunds alle Schonung vergaß, und nicht allein mit ihrem guten Freunde auf seinem Schlosse einige Stunden verlachte, sondern ihn auch nachher mit sich auf das ihrige nahm, wo er, so war es beschlossen, hinführo täglich aus- und eingehen sollte. Was Herr Genebald vertragen konnte, wußte man jetzt, und besorgte von ihm keinen Widerspruch.

Unterdessen hatte sich der beschimpfte Genebald an den Eingang des Waldes auf einen abgehaunen Stamm gesetzt, um daselbst die Zeit abzuwarten, wo es ihm heimzukehren vergönnt war. Sein Roß, das die Ohren so trübselig hängen ließ, als wenn es sich der entehrenden Abentheuer seines Herrn schämte, war ihm zur Seite an einen Baum angebunden, sein zerfetzter Schild hing ihm am Arme; er war traurig, wußte weder, woher er den Muth zu den gewohnten Prahlereien nehmen sollte, mit denen er sein Haus zu begrüßen pflegte, noch ob ihm das Signal zur Heimkehr, das der aufgehende Mond gab, lieb oder leid sein sollte.

Genebald war in manchen Dingen sehr gewissenhaft; er wollte lieber eine Viertelstunde über die angelobte Zeit im Walde bleiben, als ihn zu früh verlassen. In dieser Zeit des Wartens ging ein Bauer quer durchs Holz, [19] der, indem er vor dem ruhenden Ritter vorüberkam, den Hut zog, und ihm einen freundlichen guten Abend bot. Er kannte Genebalden nicht, das merkte man; von denen, welche ihn kannten, pflegte ihn Niemand zu grüßen, denn er war stolz und trotzig, wie die aus dem Staube emporgekommenen Günstlinge des Glücks oft zu sein pflegen, würdigte den Geringen kaum des Anblicks, viel weniger des Gegengrusses.

Jetzt war er so gedemüthigt, daß er den freundlichen guten Abend des Bauers nicht allein erwiederte, sondern sich auch mit ihm in ein Gespräch einließ. »Sagt mir doch, guter Freund,« begann er, »wem gehört der Wald, der sich hier endigt?« – »Ritter Genebald, des Bremers, gestrenger Herr!« war die Antwort.

»Ich bin heute hier einem Uebermüthigen begegnet, der mir es wehren wollte, unter diesen Bäumen zu ruhen; aber Genebald lautete sein Name nicht. –«

»Wird's auch schwerlich gewesen sein. Ritter Genebald ist ein gestrenger Herr gegen die Unbewehrten, aber ihr seid gerüstet, und einem Gerüsteten pflegt er nichts zu wehren.«

Genebald erröthete, das Gerücht von seiner Feigheit in Jedermanns Munde zu finden. – Der Bauer schien Lust zu haben, das Gespräch fortzusetzen. »Sagt mir doch,« sprach er, »wo war's denn, da euch der Fremde die Ruhe unter den Bäumen wehrt?«

»Mitten im Walde, nicht weit von der hohen Eiche am Ufer des Flusses. –«

[20] »Geht mir mit euerm Fremden! es mag der Rechte gewesen sein! Dort herum ist's nimmer richtig! wer weiß was ihr gesehen habt!«

Das fehlte noch, um die erschrockene Seele des armen Genebald bis zum Tode zu erschüttern. Die Zähne schlugen ihm im Munde zusammen, die Haare sträubten ten sich empor, die Kniee zitterten, ob der Hindeutung auf eine Gespenstergeschichte. Als nun der Bauer unter Anwünschung einer guten Nacht weiter ging, schwang sich Genebald eilig auf sein Pferd, um dem fürchterlichen Orte zu entkommen, wo er nun nicht eine Minute länger bleiben mochte.

Die Wirkung, welche der Gedanke auf ihn machte, jener gefürchtete Berengar, dessen Namen er nicht nennen mochte, könne wohl ein Geist gewesen sein, war höchst seltsam und widersprechend. Vermehrte sich auf der einen Seite seine Furcht vor dem schrecklichen Unbekannten, so fühlte sich auf der andern Seite seine Eigenliebe dadurch geschmeichelt. Von einem Gespenste überwunden und gehöhnt zu werden, meinte er, dessen dürfte sich der größte Held der Christenheit nicht schämen. Nekkereien dieser Art könnten die Ehre eines Sterblichen nicht beflecken. Gegen Geister fechte man immer mit ungleichen Waffen; wer mit dem Leben hier davon komme, habe sich groß zu rühmen! – Mit solchen Worten tröstete sich Herr Genebald, und als er jetzt in eine belebtere Gegend kam, verschwanden Furcht und Beschämung völlig. So übermüthig, als ehemals, setzte er über die Schloßbrücke, [21] und stieg an der großen Pforte ab, wo schon Frau Hedwig, in häuslichem Gewand, als ob sie die Burg mit keinem Schritte verlassen hätte, und mit so heuchlerisch freundlicher Miene seiner wartete, als wäre sie ihm vollkommen mit der Huld, Treue und Achtung zugethan, die nur der beste Mann von dem besten Weibe erwarten kann.

»O, mein Herr!« rief sie mit einem Tone, in welchem wohl ein Klügerer als Genebald den Spott hätte verkennen können, »kommt ihr endlich zurück? Ach, schon glaubte ich euch von den grausamen Rittern erschlagen, die ihr heute zu bekämpfen auszogt! – Wie? Blut an den Waffen meines Helden? – Ach dies ist aus seinen Adern geflossen! Blut eines solchen Ritters ist nicht leicht mit dem Blute eines andern Geschöpfes zu verwechseln, es müßte denn – Wie? ihr erröthet? was hat das zu bedeuten?«

»Nichts,« rief Genebald, indem er vor ihr her die Stiege hinauf eilte, »macht des Geschwätzes einmal ein Ende. Daß ich müde und hungrig bin, könnt ihr denken; sorgt, daß ich entwaffnet werde, und lasset die Tafel bereiten!«

Als er in das Zimmer kam, siehe, da saß hinter einem Tische ein fremder Ritter, der ihn nicht begrüßte, noch das Haupt vor ihm entblößte. Kannen und gefüllte Pokale standen vor ihm, er schien gezecht und nicht allein gezecht zu haben; es ließ sich muthmaßen, daß die Hausfrau nur von seiner Seite aufgestanden war, um ihren theuern Herrn zu bewillkommen.

[22] Auf Genebalds Stirn zog sich ein Gewitter zusammen. »Was ist das?« sagte er zu Frau Hedwig. »Ich verlange keine ungebetenen Gäste in meinem Hause; laßt den unhöflichen Gesellen aufstehen, und mir Platz machen!«

»Nehmt euch seine Anwesenheit nicht zu Herzen,« erwiederte die Dame; »es ist ein lustiger Gesell, der einem die Stunden gut zu vertreiben weiß. Als ihr kamt, erzählte er mir eben eine Geschichte von einem gewissen Berengar, welcher –«

Wie ein Donnerschlag traf dieser gefürchtete Name den verzagten Ritter, und der sonderbare Blick, mit welchem Hedwig dabei ihren Herrn in's Auge sah, vollendete seinen Schrecken. Der ganze Auftritt im Walde kam ihm wieder vor die Seele. Die Weisung, den Namen Berengar nie ohne Demuth zu hören, und die damit verbundene Drohung thaten ihre Wirkung, und der Gedanke, dieser Berengar sei ein übernatürliches Wesen, ein Wahn, den er von der zufälligen Erzählung des Bauers eingesogen hatte, vollendete sein Entsetzen!

»Wie?« rief Hedwig, »ihr erbleicht? Ihr müßt euch heute mächtig angegriffen haben! Ihr thätet besser, euch entwaffnen zu lassen, und zur Ruhe zu gehen; von Berengar ein andermal!«

»Mitverschworne der Hölle!« murmelte Genebald zwischen den Zähnen, indem er das Zimmer verließ. »Ist's ein Geist der Finsterniß, der dir diese Waffen in die Hand gab, mich zu Boden zu schlagen?«

[23] Genebald ließ sich entwaffnen, aber zur Ruhe ging er nicht; er hatte noch Muth genug, sich zur Tafel zu setzen, wäre es auch nur darum gewesen, den Gast in genaurem Augenschein zu nehmen. Zuweilen, wenn ihn der Wahn, in dem er hinsichtlich der übermenschlichen Natur seines Siegers befangen war, verließ, kam es ihm in den Sinn, der Fremde möchte wohl gar jener Berengar sein; anders wußte er sich in seiner Einfalt nicht zu erklären, wie man hier dazu käme, ihn mit Waffen zu bekämpfen, die ihn nur zu schmerzlich verwundeten.

Man überließ ihm indeß die oberste Stelle bei der Tafel, wo nur Frau Hedwig und ihr Ritter ihm Gesellschaft leisteten. Auch hütete man sich wohl, die ihm gebührende Achtung ganz aus dem Auge zu setzen; sogar der Fremde wurde etwas höflicher, aber der versteckten Anspielungen auf die Abentheuer im Walde waren unzählige; sie erreichten den höchsten Gipfel der Handgreiflichkeit, als ein gebratener Hase aufgetragen wurde. Die Hausfrau verging fast vor Lachen, indem sie ihn zerlegte. Zuletzt nannte man den Namen Berengar, Genebald warf Messer und Gabel von sich, und verließ voller Verzweiflung das Zimmer; das laute Gelächter der Uebermüthigen folgte ihm, und wir begleiten ihn mit unserm Mitleid, in melchem sich wenigstens einige unserer Leser mit uns vereinigen werden. Der schlechteste Mann behält gegen eine schlechte Frau immer noch einiges Recht; es ist in der Natur des Mannes begründet, von dem weiblichen[24] Geschlechte etwas mehr zu fordern, als von dem männlichen, und wenn jenes Ehre und Pflicht vergißt, so erregt dieß bei uns immer den höchsten Grad von Verachtung und Unwillen.

Hedwig selbst fühlte, daß sie zu weit gegangen war; der fremde Ritter, der vermuthlich hier hatte übernachten sollen, wurde entlassen, und sie begab sich auf das Zimmer ihres Gemahls, ihn mit heuchlerischen Worten zu besänftigen, und von der Entdeckung der Wahrheit, die sie über Alles scheute, abzulenken.

Hedwig fand indeß Genebalden nicht; er hatte die Burg verlassen, und war hinausgeeilt, um entweder im Freien sein Elend und seine Schmach zu beweinen, oder seinem Leben ein Ende zu machen. War das Letzte wirklich seine Absicht gewesen, so mußte es ihm entweder an Muth oder Gelegenheit zur Ausführung gefehlt haben, denn der Morgen fand ihn noch lebend, aber so traurig, als jemals ein gekränkter Ehemann, oder ein gedemüthigter Ritter gewesen sein mag. So ein verächtliches Geschöpf auch dieser Genebald war, so fehlte es ihm doch nicht ganz an Ehrgefühl, und sein guter Genius, der es nicht dulden mochte, daß der Gedemüthigte dem Uebermuthe ganz zur Beute hingegeben werde, benutzte das, was er Gutes an ihm fand, um ihn wieder ein wenig emporzurichten. – – – –

Genebald hatte sich im Uebermaaß seines Kummers wieder in den Wald verirrt, wo er gestern die fatalsten Abentheuer seines ganzen Ritterthums erlebt hatte. Er [25] fürchtete die daselbst hausenden Geister nicht mehr. Daß Berengar kein überirdisches Wesen war, glaubte er jetzt auch gewiß zu sein, obgleich er eben so gewiß war, daß er und der Fremde auch nicht eine Person sein konnten. Der Ritter jenseit des Waldes war ein langer hagrer Gesell, dessen Gestalt nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit dem zarten Kempen hatte, der ihn voriges Tages in den Staub streckte.

Wer es war, der ihm die Schmach angethan, und sein treuloses Weib zu Verdopplung derselben antrieb, dies kümmerte ihn indeß jetzt nicht so sehr, als die Schmach selbst. Wie nun die Verzagten gewöhnlich zu Thränen ihre Zuflucht nehmen, so ist es wohl kein Wunder, daß Genebald einen ganzen Strom derselben vergoß, und damit schier das Wasser des Flusses mehrte, an welchem er seinen Sitz genommen hatte.

Es war eine der einsamsten Gegenden des Waldes, wo Ritter Genebald seinen Kummer verweinte, und er hatte unsers Erachtens wohl gethan, eine solche zum Schauplatz seines Jammers zu wählen. Männer weinen zu sehen, war in jenen Tagen etwas seltnes, was bei der boshaften Welt oft ein spottendes Lachen er regte. Ließ sich vollends ein Ritter, der das Schwert an der Seite trug, zu Thränen herab, so war dies für ihn fast ein so verpönter Handel, als wenn er sein Schwert über dem Knie zerbrochen, oder seine Ahnentafel verbrannt, und sich dadurch stifts- und turnierunfähig gemacht hätte.

Genebald, der von der Stifts- und Turnierfähigkeit[26] wenig zu hoffen hatte, war in seinem traurigen Zustande indessen doch nicht ganz unbemerkt geblieben. Es ging zwar keine Heerstraße an dem Orte vorbei, wo er saß, aber doch ein schmaler Fußpfad, der von dem benachbarten Kloster nach einer kleinen Kapelle mitten im Walde führte, wo täglich eine Messe gelesen werden mußte. Es zog deshalb auch heute mit Sonnenaufgang ein Klosterherr diese Straße, sah am Flusse den weinenden Ritter, wunderte sich über ihn, kam nach einige Stunden wieder zurück, sah ihn wieder, und wunderte sich noch mehr.

Der Mönch war ein kleiner feiner Mann, mit einem kleinen gelben Barte, ein Abzeichen, das nach der Meinung der damaligen Physiognomen allemal auf ein gutes Gemüth und zarte Theilnahme an den Schmerzen Anderer deutete. Dieses Merkmal mochte nun, gleich den andern Regeln der Gesichtskenner, so oft trügen als es wollte, so traf es wenigstens bei dem Pater Chrysostomus zu; er sah Genebalden sitzen und weinen, und so ein widerlicher Anblick auch für ihn die Thränen eines starken rüstigen Mannes waren, so verfehlten sie doch nicht, sein Mitleid für den Klagenden hervorzurufen. Seiner dringenden Geschäfte wegen hatte er beim ersten Vorübergehen sein Mitleid nicht äußern können, aber jetzt schritt er quer über den Weg, that einen herzhaften Sprung über einen schmalen Graben, der noch zwischen ihm und dem Ritter lag, und stand auf einmal vor ihm mit freundlicher Geberde, und Augen, die schon im Voraus die Frage thaten, die nun auch der Mund laut werden ließ.

[27] »Ritter,« sprach er, »denn dafür muß ich euch nach eurer Kleidung halten, ob euch gleich diese Thranen schier als ein Fräulein bezeichnen, was weint ihr, und womit ist euch zu helfen?«

»Ach, mir hilft nichts als der Tod, und meine Thränen fließen jetzt größtentheils darum, daß ich nicht Muth genug habe, das Ende meiner Leiden in diesen Fluthen zu suchen!«

»Ei, ei, das ist eine ruchlose Rede, die euch der Arge eingiebt! Entschlaget euch der bösen Gedanken, und so irgend etwas ist, das euch auf Herz oder Gewissen drückt, so offenbaret es mir unter dem Siegel der Beichte; vielleicht, daß ich Rath zu schaffen vermöchte.«

Genebald war durch die erlittenen Drangsale, durch den erhaltenen Schimpf so gedemüthigt worden, daß er auf die Frage des Mönchs keine der trotzigen Gegenreden fand, die er sonst immer in Bereitschaft hatte. Er sah den Mönch an, schwieg eine Weile, trocknete dann seine Thränen, und schloß sein Herz vor ihm auf. In einer langen, und zu seiner Ehre sei es gesagt, vollkommen treuen Erzählung erfuhr der Klosterbruder Alles, was ihm Tages zuvor begegnet war, und ihn nun an den Rand der Verzweiflung brachte.

»Wehe mir!« schloß er seine betrübte Erzählung, »wehe mir, daß ich auf dem Wege, wo ich nach Ehre strebte, zur tiefsten Schande herabgesunken bin! Mein Vater, ehrdurstig wie ich, hoffte, mich durch die Verbindung mit dem Weibe empor zu heben, das ich nur allzuleicht [28] lieb gewann, und das nun für mich zur Furie geworden ist! Es war mir unleidlich, mich von ihr verachtet zu sehen; ich suchte sie durch erdichtete Ritterthaten zu täuschen, und es erging mir, wie ich euch gesagt habe. Welcher böse Geist mit meinem Weibe im Einverständniß steht, das wissen die lieben Heiligen; so viel ist klar, ihr ist Alles bekannt, und ich bin durch die entdeckten Lügen, durch die schimpflichen Beweise meiner Zaghaftigkeit vollends so tief, ach noch tiefer gesunken, als ich je glaubte sinken zu können. Ihre Geringschätzung, ihr Uebermuth haben die höchste Stufe erreicht; sie wird nichts sparen, mich auch öffentlich zu beschimpfen. Sie wagt es, mir ihren alten Geliebten, den ich wohl kenne, vor die Augen zu bringen, und in Gemeinschaft mit ihm meiner zu spotten. Ich will zürnen, ich will meine Rechte vertheidigen, aber der Name Berengar ist in ihrer Gewalt, mit ihm kann sie mich zu Boden schlagen, gleich einem Lindwurm, den die Haselstaude berührt. Sie nennt des gefürchtete Wort und augenblicklich schweben mir die Scenen im Walde vor Augen; ich fühle es, meine Feindin kennt mich so gut, als ich mich selbst kenne, und ich bin nicht im Stande, mich ihr im Geringsten zu widersetzen. – Davon habe ich gestern den Anfang erfahren, die Folgen errathe ich, und ehe ich mich entschließe, sie zu erleben, eher will ich in diesem Strome mein Leben enden. Stürzt mich hinein, heiliger Mann, da es mir an Entschlossenheit fehlt, es selbst zu thun; es wird euch im Himmel [29] als das verdienstliche Werk angerechnet werden, das ihr je gethan haben mögt.«

»Herr,« sagte Chrysostomus, »eure Leiden sind wahrlich groß; ich bin ein Mönch, aber ich wüßte fürwahr nicht, ob in eurer Lage nicht sündliche Triebe zur Rache in mir entbrennen würden.«

»Rache! woher soll ich den Muth nehmen, mich zu rächen?«

»Rächen sollt ihr euch auch nicht, aber heimkehren und zeigen, daß ihr Herr im Hause seid. Es mag euch noch so sehr an Muth und – nehmt es mir nicht übel – auch an Einsicht fehlen, so hat euer Weib doch deshalb kein Recht, die Treue gegen euch zu brechen, oder sich in heimliche Verschwörungen wider euch einzulassen, wovon die gestrigen Abentheuer die sichtlichsten Spuren tragen. – Geht heim, zeigt euch als Herr und Gebieter in eurem Hause, werft den eingedrungenen Hausgenossen zum Tempel hinaus, laßt sie den Namen Berengar nennen, bis sie es müde sind; mehr beschimpft könnt ihr nicht werden, als ihr es schon seid, aber euch wieder erheben könnt ihr, wenn ihr Muth habt.«

»Ehrwürdiger Herr,« sagte Genebald, »so ihr kein anderes Rettungmittel für mich wißt als dieses, so bleibt mir nichts übrig als der Tod. Muth ist es ja eben, der mir ganz fehlt, und wenn ihr mir denselben anpreißt, so besagt dies soviel, als gebötet ihr einem Krüppel zu tanzen, oder schicktet einen Stummen aus, für euch die Messe zu lesen.«

[30] »Hört, Herr Ritter,« fuhr der Mönch nach einem kleinen Stillschweigen fort, »ich will euch eine Geschichte erzählen; so ihr euch Rath oder Trost aus derselben zu nehmen wißt, soll es mir lieb sein. Es ist meine eigne Geschichte, und für die Wahrheit derselben kann ich euch Gewähr leisten.

Ich bin der Sohn armer und geringer Eltern. Die Natur hatte mich stiefmütterlich bedacht, denn auch meine geistigen Fähigkeiten und Anlagen waren so gering, daß sie kaum zu den niedrigsten und gewöhnlichsten Beschäftigungen ausreichten. Dennoch hätte ich ein guter und glücklicher Mensch in meiner Sphäre werden können, aber der Stolz, oder die Frömmigkeit meiner Mutter wollte mich unglücklicher Weise über dieselbe erheben. Sie hatte dem heiligen Kirchenvater Chrysostomus, dessen Namen ich führe, gelobt, sie wollte mich der Kirche weihen, das heißt, mich in's Kloster schicken, um daselbst die Stelle eines Holz- und Wasserträgers zu versehen. Der Pförtner, der ihr Bekannter war, hatte ihr Hoffnung gemacht, mir diesen hohen Posten zuzuwenden, von welchem ich, wie sie meinte, mich leicht zu dem Range eines Abtes oder Bischoffs empor schwingen könnte.

Du bist nicht der erste, sagte sie, als sie mich von sich ließ, den das Glück auf diesem Wege aus dem Staube erhob. Der heilige Chrysostomus, dein Patron, kennt die Mittel, wie das geschehen soll, besser als ich; auf ihn verlaß dich, und gehe deinen Weg in Einfalt dahin, das Glück, das dich treffen soll, wird dir wohl begegnen.

[31] Ich war durchaus nicht fähig, diese mütterliche Lehre gehörig zu beachten, denn meine Einfalt war so groß, daß ich kaum das sah, was mir in den Weg kam, und daß, wenn mir in meinem damaligen Zustande das Glück begegnet wäre, wovon meine Mutter weissagte, ich schwerlich dran gedacht haben würde, es beim Schopf zu ergreifen und heimzuführen. In der Folge entwickelte sich mein Verstand doch in so weit, daß ich wußte, daß ich einfältig war, und einige Jahre später begann ich sogar zu wünschen, ich möchte es weniger sein. Man sagt, wer seinen Fehler erkennt und ihn hinwegwünscht, der ist nur einen Schritt von der Besserung entfernt. Ob dieser Sittenspruch auch von dem gilt, was die Natur verwahrloßte, weiß ich nicht; mein Fall gehört freilich unter die übernatürlichen.

Bald fühlte ich in mir einen Trieb, mir einige Kenntnisse zu erwerben, und meinen Verstand auszubilden. Ich sah, wie man im Kloster einige Knaben meines Alters unterrichtete, und bekam Lust, zu lernen, was sie lernten. Der Pförtner unterzog sich der sauren Arbeit, mir die Buchstaben kennen zu lehren. Er und ich quälten uns ein ganzes langes Jahr, und legten am Ende desselben Griffel und Pergamentrolle hin, weil wir endlich einsahen, daß alle unsere Bemühungen vergeblich waren. Ich hatte eine ziemlich gute Stimme, man wollte mir die Psalmen singen lehren, aber weder Text noch Melodie prägten sich meinem Kopfe ein, und ich verstand am Ende nur so viel, um, wenn ich sang, das ganze [32] Chor irre zu machen. Man hatte Mitleid mit meinem Blödsinn, und versuchte es mit einigen andern Klosterkünsten, die nur ein wenig Gedächtniß, oder einige Geschicklichkeit der Hand erforderten; umsonst, ich taugte schlechterdings zu nichts, als dem Koch die Wassereimer zuzutragen und die Holzaxt zu handhaben. Das bisherige Mitleid verwandelte sich in Verachtung, die so weit ging, daß man mir nicht einmal die Beobachtung der Klosterregeln zumuthete. Ich war mitten im Kloster ein freier Mensch, weil es Niemand der Mühe werth achtete, mich einzuschränken.

Wie mich dies bekümmerte! Vielleicht war es ein schlagender Beweis meiner Blödsinnigkeit, daß ich so innig über den vollen Genuß eines Gutes trauern konnte, das jeder vernünftige Mensch für das höchste Glück des Lebens hält.

Ich konnte Freiheit und Muse nicht ertragen, was zur Folge hatte, daß man mir meine Geschäfte erschwerte. Eines Tages, als ich hier im Walde gearbeitet hatte, das niedrige Buschwerk in dem Distrikte, welcher damals dem Kloster gehörte, zu fällen und es in das Kloster zu tragen, überfiel mich bei dem letzten Transport, den ich den heiligen Mauern zuschleppte, ein so überschwengliches Gefühl meines Elends, daß ich darunter zu erliegen vermeinte. Ich hatte, im eigentlichsten Sinne des Wortes, des Tages Last und Hitze ertragen. Ich war matt bis zum Tode, kam heim und hoffte auf Ruhe, da bekam ich noch oben drein vom Bruder Schaffner wegen [33] einiger, wie gewöhnlich bei meinem Tagewerk begangener Albernheiten, eine Tracht Geisselhiebe, und nachdem diese verschmerzt waren, so fand es sich, daß ich meine Axt im Walde gelassen hatte, und ich mußte noch einmal hinaus, sie zu holen, oder vielmehr sie zu suchen; denn ich war ein Träumer, der bei nichts, was er that, die Gedanken beisammen hatte.

Mein Gefühl, mit dem ich von dem Schelten meines strengen Herrn verfolgte, das Kloster verließ, und hinaus in die Nacht ging, die sich schon von allen Seiten herniedersenkte, die tiefe Schmerzempfindung bei dem Nichtfinden eines Dinges, das wenig werth war, und dessen Verlust mir doch am andern Tage neue Thränen bereiten mußten, euch dieses Gefühl zu schildern, würde mir unmöglich sein, wenn ich mich nicht auf eure eigenen Empfindungen berufen könnte. Schimpf, Schande, Angst und Selbstvorwürfe beklemmten mein Herz wie das eurige, obgleich die Ursache unserer Leiden ziemlich verschieden war.

Wenn ich meinen damaligen Zustand recht bedenke, so war ich euch auch darin gleich, daß mich das, was ich gelitten hatte und noch zu leiden besorgte, so tief ich es auch empfand, doch weit weniger kränkte, als die Ursache dieses Leidens. Es war bei uns Beiden ein Fehler der Seele, bei euch Mangel an Muth, bei mir dummer, kindischer Blödsinn.

Die Dunkelheit nahm zu; Furcht gesellte sich zu meinen übrigen Schmerzgefühlen. Ich war meines Lebens [34] so satt, daß ich es geendet haben würde, hätte ich gegewußt, wie man das machte; mit einem Worte, wir standen ganz auf einem Punkte, gerade, wie ich glaube, auf demjenigen, wo uns das Schicksal empor heben muß, weil es uns nicht mehr niedrücken kann.

Ich warf mich unter eine alte Eiche – täglich gehe ich jetzt an ihr vorüber, und nie ohne die lebhafteste Erinnerung dessen, was sie mir auf Lebenszeit merkwürdig machte. – Ich weinte, raufte mein Haar aus. Die traurigsten Bilder gingen vor meiner Seele vorüber. Mein ganzer Zustand stellte sich mir dar, doch war ich zu einfältig, die Vorstellungen zu ordnen und ich bin also auch jetzt außer Stande, euch einen Begriff von dem wilden Chaos zu machen, das damals in meiner Seele wogte; nur dies weiß ich noch, daß überall meine Blödsinnigkeit den Reihen anführte und schloß. Wie eine drückende Last fühlte ich sie, und war mir keines lebhaftern Wunsches bewußt, als sie abzuschütteln.

Der Gram betäubte endlich meine Sinne, und ich entschlief. Da war mir's im Traume, als tönte über mir eine heisere Stimme: Willkommen hier zur glücklichen Stunde, im Schatten meines Baumes! Wohl hast du die Zeit getroffen, wo ich Gnadenbezeugungen austheile; was verlangst du von mir? – –

Ich fuhr aus dem Schlafe auf, mein Herz klopfte hörbar in meinem Busen, ich war heftig erschrocken, und fühlte mich seltsam ergriffen.

[35]

Mein Verstand war zu schwach, über das, was ich gehört hatte, zu grübeln; ich schlug es aus dem Sinne, und bemühte mich von Neuem einzuschlagen. Endlich gelang es, und so wie der Schlummer sich wieder auf meine Augen senkte, ertönte auch die nämliche Stimme mit den nämlichen Worten in mein Ohr. – Ich erwachte wieder, schlief wieder ein, und dieß wiederholte sich die ganze Nacht hindurch bis zu Tagesanbruch, wo ich mir den Schlaf ernstlich aus den Augen rieb, weil mir es ungelegen war, einen so oft beunruhigten Schlummer noch einmal zu beginnen.

Auf dem Kloster tönte das silberne Glöcklein. Es geschah dies zu Ehren des Tages St. Petri und Pauli, dessen Vorabend wir heute feiern. Ach, seufzte ich bei mir selbst, welch einem Tage sehe ich entgegen! Für Alle ist er ein Festtag, aber für mich? – Ach, wenn ich die Stimme, die ich im Traume vernahm, wachend hören könnte, ich wüßte wohl, was ich antworten, wüßte wohl, was ich bitten wollte!

Und was würdest du bitten? – rief es zu mir herab.

Anfangs ein wenig über diese Frage erschrocken, wußte ich mich doch schnell zu fassen, und bald von einem freudigen Gefühle ergriffen, antwortete ich: Um Klugheit, um Verstand und um die Gabe der Wohlredenheit bitte ich!

Steige auf den niedrigen Aesten zu mir empor, ertönte es wieder, versuche mich dreimal zu küssen, und sei dann der Erfüllung deines Wunsches gewärtig!

[36] Wahrscheinlich muß das Verlangen nach Klugheit schon der erste Schritt zur Erlangung des gewünschten Gutes sein. Ich fühlte in diesem Augenblicke nichts von dem blödsinnigen Erstaunen, das der Einfalt bei jedem gewöhnlichen Vorfall eigen ist. – Ich sah mich um, wohin ich mit meiner Umarmung kommandirt wäre. Ich erblickte ohngefäht sieben Fuß über der Erde, in den Stamm des Baumes eine kleine Nische hineingearbeitet, mit einer Gruppe von Figuren, die die Spuren des höchsten Alterthums tragen; auch weiß ich, so oft ich es auch seitdem beschaut habe, noch bis auf den heutigen Tag nicht, was das Schnitzwerk vorstellt, ob die armen Seelen im Fegefeuer, oder eine Madonna von Engeln umringt, oder die heiligen eilftausend Jungfrauen.

Ich stieg auf den niedrigen Zweigen des Baums hinauf, so gut ich konnte, und küßte, weil ich eigentlich nicht wußte, wer der Ich war, der mit mir redete, die Figuren alle der Reihe herum. Die Begierde nach vollkommener Erreichung meines Wunsches machte mich so eifrig in Erfüllung des mir Anbefohlenen, ich wiederholte meine Küsse so oft, daß ich endlich das Gleichgewicht verlor, und auf die Erde niederstürzte.

Hier lag ich in einer Betäubung, oder in einem Schlummer so lange, bis ich von mehrern Händen an gerührt, von mehrern Stimmen geweckt wurde. Es waren die Mönche meines Klosters. So gering sie mich auch schätzten, so war ihnen doch der Unfall, der mich in dieser Nacht betroffen haben konnte, nicht gleichgültig. [37] Man hatte nach mir gefragt. Der Schaffner hatte wegen seiner Härte gegen mich einen Verweis bekommen, denn ich war ein gutwilliges, Alles ertragendes Lastthier, das man nicht gern missen wollte. Man suchte mich, man fand mich; aber, o Himmel, in welcher Gestalt! Die Wirkung von dem nächtlichen Abentheuer ließ sich eher von außen wahrnehmen, als ich sie von innen merkte. Daß es ein wenig anders in meinem Gehirn stehe, als bisher, hätte ich wohl allenfalls aus meinen besser geordneten Träumen schließen können, doch spürte ich erst wenig von dem vollen Besitze der Weisheit, die ich mir erfleht hatte. Hingegen mit meinem Aeußeren war es etwas ganz anderes; die unbekannten Mächte, die sich für mich verwendeten, hatten es für gut erachtet, meinem Gesicht ein Siegel ihrer Huld aufzudrücken, und dadurch den Mönchen gleich zu Anfang Respeckt einzuflößen.

Ob die Talente, mit den ich begnadigt worden war, – ein Schatz, dessen ich mir damals noch selbst nicht bewußt war, – sich in allen meinen Gesichtszügen ausdrückten, weiß ich nicht; das Verwunderungsgeschrei der Mönche, das mich erweckte, bezog sich vornehmlich auf einen kleinen goldnen ringförmigen Kreis, der meine Lippen umzog, und mir ein so auffallendes Ansehen gab, daß wohl andre Leute als meine Klosterherren dadurch würden in Verwunderung gesetzt worden sein.

Sie suchten mich vollends, doch auf eine etwas ehrerbietigere Art als bisher, zu ermuntern; sie nannten mich Bruder, entschuldigten meine gestrige Verweisung [38] aus den heiligen Mauern, versicherten, daß von der verlornen Axt gar nicht mehr die Rede sei, und erschöpften sich in Fragen über das, was mir diese Nacht begegnet, und was die Ursache der Zierde sein möge, die meinen Mund umzog, und von der mir selbst noch nichts bewußt war. – Ich wußte mich so gut zu fassen, so anständig zu betragen, daß ich jetzt selbst die Veränderung, die in mir vorgegangen war, zu fühlen begann. Ich antwortete den Herren nur das, was ihnen zu wissen noth war, und auch hierin zeigte sich meine neuerlangte Klugheit. Eine jede neue Antwort vermehrte die Achtung, die man jetzt für mich hegte, man wußte nicht, wie man mit mir daran war, man schwieg endlich gar, und führte mich mit stiller Feierlichkeit in das Kloster zurück.

Von diesem Tage an rechne ich eigentlich mein wahres Leben. Nichts gleicht dem Entzücken, das volle Licht der Wahrheit und Wissenschaft zu genießen, wenn man vorher die Nacht der Unwissenheit so gekannt hat wie ich. Ich lernte schnell, oder vielmehr, ich erinnerte mich dessen wieder, was man sich bisher vergebens bestrebt hatte, mir beizubringen; denn Alles dies fand sich in meiner Seele wie ein heimlicher Schatz verborgen, und der Kenntnisse noch viel mehr, die sich wie aus mir selbst entwickelten.

Euch mehr hiervon zu sagen, würde Ruhmredigkeit sein; ich eile deswegen zum Schluß meiner Geschichte. Ich war für mehrere Jahre der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung, des allgemeinen Zulaufs. Das Kloster [39] kam durch mich in Ruf. Ich war der Abgott meiner Ordensbrüder, und – der Gegenstand ihres heimlichen Neides. Alle diese Wirkungen meiner Gaben waren mir lästig, sie störten meine Ruhe, und nahmen mir die Muse zum Studiren. Ich haßte das Zeichen, das mich zu einem Gegenstande der Bewunderung machte, und hätte es herzlich gern abgelegt.

Um diese Zeit erfuhr ich in Betreff meines Abentheuers bei der alten Eiche, daß sich hier aller fünf Jahre, am Tage St. Petri und Pauli, etwas Aehnliches zutrage. Welchen Heiligen das Gnadenbild in der Nische des Baumes vorstelle, konnte ich nie erfahren, aber so viel ist gewiß, daß derjenige, welchen Zufall oder Absicht zur rechten Zeit und Stunde an den geweihten Ort führt, die Gewährung einer möglichen Bitte gewärtigen kann.

Ich benutzte die erlangte Kunde augenblicklich, denn es sollten am nächsten Tage gerade fünf Jahre werden, daß ich an der wunderbaren Eiche zu einem neuen Leben geboren ward. Ich ging in der Morgendämmerung des Tages Petri und Pauli nach dem mir theuren Orte, und flehte mit gebeugten Knieen: Heilige des Himmels, sprach ich, oder welch' andre unsichtbare Macht hier ihre Gaben ausspendet, laß mir, was du schenktest, und vermehre es, so du willst, noch zehnfach, denn der Durst nach Wissen ist unendlich; aber nimm das Zeichen zurück, das mich dem allgemeinen Angaffen aussetzt. Der goldne Ring um meine Lippen verwandle sich in die gewöhnliche Zierde des [40] Mannes, den Bart, den ich Alters wegen zu tragen nun wohl berechtigt bin!

Als ich so gesagt hatte, schwieg ich und erhob mich. Zwar war mir keine Antwort geworden, aber die Erfüllung meiner Bitte blieb nicht außen. Der goldne Glanz verschwand allmählig von meinem Munde, und weiches Haar sproßte hervor, daher auch meine Klosterbrüder, die mich bisher nur den Guldimund genannt hatten, diesen Namen in den Namen des Mönchs mit dem kleinen gelben Barte umwandelten. Dieser Veränderung verdanke ich die Wiedererlangung meiner Ruhe, und die wahre Vermehrung meines Wissens. Der Guldimund war dahin, und die Worte, die aus ungezierten Lippen gingen, dünkten der Welt nicht mehr Worte übernatürlicher Weisheit zu sein. Man suchte mich nicht mehr auf, man bewunderte mich nicht mehr, aber man beneidete mich auch nicht. Süße Ruhe des Weisen, was ist dir zu vergleichen! Nur die geschäftige Ruhe des Himmels, der wir Alle entgegen eilen! –

Diese heilige Ruhe war mir so lieb, daß ich zweimal den Antrag, Abt meines Klosters zu werden, zurück wieß, und erst jetzt mich habe bereden lassen, diese Würde anzunehmen. Lebt wohl, Ritter, überlegt Alles, was ich euch gesagt habe, und habt ihr ein Körnlein von Weisheit oder Trost für euern Zustand darin gefunden, so nützt es eilig, ehe die rechte Zeit dazu vergeht. Es sind heute gerade zwanzig Jahre, daß ich in diesem Walde [41] zuletzt das Amt eines Tagelöhners versah, und morgen ist das Fest St. Petri und Pauli. –«

Der Mönch schied, und Genebald verfiel in ein tiefes Nachdenken. – Wie man im Sprichwort zu sagen pflegt: die Weisheit hatte er wohl nicht erfunden, aber so einfältig, wie Bruder Chrysostomus vor dem Kusse, war er doch nicht; er hätte es sein müssen, wenn er in der eben gehörten Erzählung nicht Winke hätte verspüren sollen, die ihm wichtig waren.

»Sein damaliger Zustand genau der meinige?« sagte er zu sich selbst, »ja, das ist wahr! O Himmel! Gelegenheit zu ähnlichem Glück! – Aber die alte Eiche? – Sie ist mir nicht unbekannt. – Der Tag St. Petri und Pauli? – Aber fünf Jahre? – Morgen sind es gerade zwanzig! – Aber warum sprach er nicht deutlicher? – Zufall oder eigne Ueberlegung sollen uns dem Glücke entgegen führen! – O nun verstehe ich Alles! Genebald! Genebald! was wirst du bitten? – Rittermuth und Trieb zu Ritterthaten! Besitzt du diese, so kannst du deine Spötter verachten, und dich durch dich selbst wieder empor schwingen! – – –«

Ritter Genebald ging, die Eiche zu finden, die ihm der Mönch mit dem kleinen gelben Barte bezeichnet hatte; es war eben dieselbe, die er zum Zeugen seiner Ritterthaten zu machen pflegte, an deren Aesten sein Schild so oft unter seinen Streichen geschwankt hatte, und deren Kinder, die kleinen Gesträuche, die unter ihrem Schatten aufwuchsen, sein grausames Schwert so oft hatten fühlen [42] müssen. – Ach, sie war auch Zeugin der gestrigen Scenen gewesen, die ihn an den Rand der Verzweiflung gebracht hatten! Lebhaft trat diese Scene ihm vor die Seele, als er jetzt die für ihn so traurige Gegend wieder sah, und noch im Grase einige Spuren des gestrigen Abentheuers fand. Ein neuer Thränenstrom stürzte aus seinen Augen, die er kläglich nach dem Bilde in der Nische empor hob, welches er zehnmal gesehen hatte, ohne es einer besondern Aufmerksamkeit zu würdigen.

»Heilige des Himmels,« rief er, »die du in diesen Schatten wohnst, du hast die Schmach gesehen, die mir in deinem Gebiete widerfuhr, und den übermüthigen Berengar kennst du vermuthlich besser als ich; räche mich und strafe ihn! Doch die Stunde, deine Gnade zu erbitten, ist noch nicht erschienen, bessere Ueberlegung wird mir sagen, was ich zu fordern habe, du zu gewähren hast.«

Ritter Genebald verharrte den übrigen Theil dieses Tages, und die ganze Nacht unter dem Gnadenbilde, um die rechte Stunde, wo etwas bei der unbekannten Macht, die hier residirte, zu erbitten war, nicht zu verfehlen; wie er aber seine Worte anbrachte, und auf was für Art ihm das Gewährte zugestanden ward, ob mit der Zeremonie des Kusses, oder auf andre Weise, darüber haben wir durch keine Tradition Licht bekommen können.

Als der Morgen anbrach, und die Klosterglocke das Fest St. Petri und Pauli einläutete, da verließ Ritter Genebald den Schatten der heiligen Eiche, um die Pläne [43] auszuführen, die ihn jetzt beschäftigten. Er war ein ganz andrer Mann geworden, wie weiland König Saul, da er unter den Propheten einherging und weissagte. Zwar weissagte Genebald nicht, denn er hatte um diese Gabe wohl nicht gebeten, aber ritterlicher Heldenmuth war seine Bitte gewesen, und diesen fühlte er in allen seinen Adern glühen.

Mit ziemlicher Gelassenheit und Ruhe nahm er den Weg nach seinem Schlosse, denn was den Verzagten in Feuer und Flammen setzt, das ist dem Tapfern von keiner Wichtigkeit. Die vorgestern erlittene Beschimpfung fühlte er zwar noch tief genug, um nach Rache zu dürsten, aber doch mehr als eine Beleidigung, die einem Andern zugefügt worden war. Er fühlte wohl, daß er jetzt ein ganz anderes Wesen war, als der Genebald, den Berengar in den Staub streckte, aber auch das empfand er, daß sein Weib und der Ritter jenseit des Waldes strenge Ahndung verdienten, wäre es auch nur, um fernern Beleidigungen vorzubeugen.

War es Hohn, war es Ueberzeugung, zu weit gegangen zu sein, oder Vorgefühl irgend einer bedenklichen Ursache von dem langen Außenbleiben ihres Mannes, das die Dame Hedwig veranlaßte, ihm entgegen zu gehen; wir wissen es nicht. Aus ihrem Fenster hatte sie ihn von Weitem über die Ebene kommen sehen, und war hinabgeeilt, ihn an der Pforte zu empfangen – Genebalds Gesicht, das bei ihr sonst nie ein anderes Gefühl, als Widerwillen, oder Trieb zum Lachen erregt hatte, schreckte [44] sie jetzt. Es war weder zornig noch heiter, aber es zeigte von einer gewissen Entschlossenheit. Ein Blick voll unaussprechlicher Gleichgültigkeit fiel auf sie aus diesen Augen, die sonst nie etwas sagen wollten, und auf einer Stirn, die sonst nur der Sitz eines dummen machtlosen Trotzes war, thronte jetzt ein gewisser Ernst, der Ehrfurcht heischte.

»Wo seid ihr gewesen, mein Theurer?« fragte Hedwig mit zitternder Stimme.

»Ich habe mich ein wenig mit Berengar unterhalten,« war die Antwort.

»O gedenket des Namens nicht mehr, den ich nie wieder nennen werde!« rief die Dame. »Verzeihet vergangene Beleidigungen, die ihr euch wahrlich selbst zugezogen habt; wäret ihr immer gewesen, wie ich euch jetzt sehe, wer hätte sich an euch wagen wollen?«

Genebald antwortete nicht, sondern trat in die Halle, wohin ihm seine Gattin zitternd folgte. Der Hausmeister wurde vorgefordert: »Machet Anstalt,« sagte Genebald mit ruhigem Tone, »zu einer Reise für drei Personen, die in einer Stunde vor sich gehen soll. Eure gnädige Frau hat eine Wallfahrt nach St. Maria zur Linden vor; zwei Zofen werden sie begleiten. Sorgt, daß nichts vergessen werde, was zur Sicherheit und Bequemlichkeit der Dame gehört!«

»Ich soll eine Wallfahrt vorhaben, mein Theurer?« rief Hedwig.

[45] »Ja, gnädige Frau, ihr habt für gewisse Dinge zu büßen; Buße läßt sich nicht besser als im Kloster abthun.«

»Gott, was habe ich verbrochen?«

»Ich bin euer Beichtiger nicht, fraget euer Gewissen!«

Mit diesen Worten verließ Genebald das Zimmer und ging in seinen Rüstsaal. Er wählte einen Harnisch von blanken Stahl nebst Zubehör, ließ sich wappnen, und kehrte in voller Rüstung in die Halle zurück, wo er seine Gemahlin in Thränen fand. – Das: was hab' ich gethan? wurde zehnmal wiederholt, Bitten und Vorstellungen nicht gespart, sogar einige Versuche gemacht, wieder in den alten Ton einzufallen, der Genebalden ehemals zittern machte; Alles vergebens! – Einige nachdrückliche Worte belehrten die Dame, daß ihr kein Unrecht geschähe, einige andere belehrten sie über die Aufführung, die sie inskünftige zu beobachten habe, um ein erträgliches Leben zu genießen, und damit war die Sache abgemacht.

Die bestürzte Hedwig reiste ab, Genebald traf Verfügungen im Schlosse, als wolle er es auf etliche Jahre verlassen, und schwang sich darauf auf sein Roß, um zum Ritter jenseit des Waldes zu eilen und von ihm Genugthuung zu fordern.

Der hagre Ritter jenseit des Waldes war keiner von den größten Helden seiner Zeit; sein Muth bestand eigentlich nur darin, die Frauen gutwilliger Männer zu bestricken, [46] zu trotzen, wo er keinen Gegentrotz besorgen durfte, und überhaupt Unfug gegen die Schwachen zu verüben. Genebald war, was sein Aeußeres anbelangt, durch die von dem Gnadenbilde erlangte Gabe nicht im Geringsten verändert worden; kein goldnes Kennzeichen redete, wie ehemals bei dem Pater Guldimund, von den Vollkommenheiten, die er sich erbeten hatte, und ich weiß deshalb nicht, wie es kam, daß schon sein bloßer Anblick Furcht und Schrecken in die Seele des Mannes goß, der ihn vor Kurzem noch verhöhnt hatte. Es war, als merke er es gleich, daß dieser Körper von einem andern Geiste belebt wurde. Genebalds körperliche Gaben waren überdieß nicht zu verachten; er war ein rüstiger Mann, dessen Arm, wenn Muth ihn regierte, fürchterlich werden konnte. Dieß, was dem hagern Ritter zuvor noch nie eingeleuchtet hatte, fiel ihm jetzt bei Genebalds ersten Worten augenblicklich in die Augen.

Genebald forderte ihn mit kurzen kaltblütigen Worten zur Rechenschaft wegen des vorgestrigen Schimpfes. Der hagre Ritter zitterte, und schlug dem Beleidigten vor, statt die Sache durch die Waffen zu entscheiden, sich gütlich zu vergleichen, indem er nachweisen wollte, daß Genebald sich eigentlich nicht für beleidigt zu erachten habe. Genebald drang indeß auf Entscheidung durch das Schwert. Man kämpfte, und der hagre Ritter wurde so schnell entwaffnet, als Berengar neulich seinen Gegner entwaffnete. Genebald verachtete seinen Ueberwundenen so herzlich, als er ehemals in ähnlicher Lage verachtet worden war. Er [47] forderte eine Erklärung von ihm über das Abentheuer im Walde; der Verzagte zögerte nicht, seine Geliebte zu verrathen, und zu gestehen, daß Genebalds übermüthiger Ueberwinder kein anderer gewesen sei, als sein eignes Weib. Genebald, zu stolz seinen Besiegten zu tödten, legte ihm als Strafe nur das Versprechen auf, ein ganzes Jahr lang auf den Gebrauch seines Schwertes zu verzichten, was der Besiegte nicht allein feierlich gelobte, sondern in der Bestürzung dieß Versprechen sogar auf sein ganzes Leben ausdehnte.

Genebald stieß sein Schwert in die Scheide, und verließ die Burg seines verächtlichen Gegners. »Bis jetzt,« sagte er zu sich selbst, »weiß ich noch nicht, ob mich die Gnadenverheißungen der Heiligen im Walde getäuscht haben oder nicht. Was habe ich gethan, das ich nicht als der alte Genebald eben sowohl hätte thun können? Gehört denn so gewaltig viel Muth dazu, ein treuloses Weib in's Kloster zu schicken, und einen Verzagten zu besiegen?«

Der Ritter sollte bald inne werden, daß mehr in ihm wohnte, als er sich zur Zeit noch selbst zutraute, wo er bloß den Willen zu allerlei tapfern Thaten in sich spürte, ohne noch die Fähigkeit dazu erprobt zu haben. Das Bekenntniß des hagern Ritters jenseit des Waldes, daß sein treuloses Weib und der übermüthige Berengar eine Person wären, hatten ihm die Dame Hedwig vollends ganz verleidet, und er beschloß deshalb, nicht eher wieder auf seine Burg zurückzukehren, als bis er [48] sich im Auslande völlige Vergessenheit des Vergangenen geholt habe.

Er zog zum Kaiser. »Gnädigster Herr,« sagte er, »euer Vorfahr hat mir einst den Adel und Ritter Markards, dessen Tochter ich freite, edeln Namen für Geld und gute Worte zugestanden; ich komme, euch die Gabe wieder zu geben, weil solch erkauftes Gut mir nicht länger behagt. Aber hier ist mein Schwert; könnt ihr's in euern Kriegen brauchen, so bin ich bereit, euch den Sieg, und mir den Adel damit zu erkämpfen, damit ich mich hinführo meines Verdienstes, und nicht kaiserlicher erkaufter Gnade zu erfreuen habe.« – Der Kaiser war eben im Begriff, wider den Ziska zu ziehen; der rüstige Genebald, der sich anheischig machte, in bestimmter Zeit ein Fähnlein Knechte zu stellen, war ihm willkommen. Doch gab es Ohrenbläser, die dem Kaiser viel Nachtheiliges von dem Eidam Ritter Markards zuzuflüstern wußten, das zwar wohl von dem ehemaligen Genebald, keinesweges aber von dem gegenwärtigen wahr sein mochte. Zum Glück hatte der brave Mann bald Gelegenheit sich zu zeigen. Auf einem Turniere, das in wenig Tagen bevorstand, gewann er die beiden ersten Danke, und brach nebenbei noch einige scharfe Speere mit den Ungewogenen, die ihn der ehemaligen Feigheit zeihen wollten, und die nun durch seinen Arm ganz anders belehrt wurden.

Jetzt lernte Genebald erst den Umfang seiner erlangten Talente schätzen. Der Beifall der Welt, noch weit [49] mehr aber die eigne Selbstschätzung, die vom Verdienste unzertrennlich ist, mehrten seinen Muth und machten ihn zu noch größern Thaten fähig. – Im nächsten Feldzug erntete er reiche Lorbeeren, der Kaiser verdankte ihm einen seiner wichtigsten Siege fast ganz allein. Als er im nächsten Jahre abermals wider den Erbfeind auszog, war Ritter Genebald wiederum an seiner Seite; er rettete kaiserlicher Majestät das Leben, hielt sich brav bei Einnahme einer Festung, und kehrte mit Ruhm und Beute beladen zurück.

Das Waffenspiel begann dem Helden so zu gefallen, daß er davon nicht lassen konnte. Die Jahre, die er sich zur Abwesenheit aus seinem Vaterlande festgesetzt hatte, waren längst verflossen, und er dachte noch an keine Heimkehr, hätte auch wohl Zeitlebens nicht daran gedacht, wenn ihm nicht die abnehmenden Kräfte gesagt hätten, daß er binnen den achtzehn Jahren, die er abwesend war, gealtert habe. Als er auf Abentheuer auszog, stand er zwar in der Blüthe seines Lebens und hatte kaum das dreißigste Jahr zurückgelegt, aber unter den Waffen wird man früher grau als hinter dem Ofen, und das Blut, von Feindesschwert aus den Adern gezapft, ersetzt sich nicht so leicht wieder; daher Genebalds gelegentliche Gefühle von Schwäche, daher seine Sehnsucht nach Ruhe, die ihn antrieb, das Getümmel der Waffen, das Geräusch des Hofes zu verlassen, und den Abend des Lebens auf seiner Burg friedlich und in der Stille zu genießen. Der Adel war längst erkämpft des Kaisers Gunst und der [50] Beifall der Welt war sein Eigenthum, an guter Beute hatte es auch nicht gefehlt. Auf Genebalden ruhte der Geist seines Vaters; er wußte zu sparen, das Ersparte zu mehren, und konnte hoffen, viel reicher in seine Burg einzuziehen, als er dieselbe verlassen hatte. Hätte er sie wohl unter günstigeren Verhältnissen wiedersehen können?

Endlich ließ sich der Kaiser bereden, ihn zu entlassen; er selbst dachte einige Zeit zu Goslar zu hausen, weil im ganzen Lande Friede war, und er konnte es daher seinem Ritter nicht verdenken, daß auch er auf stillen Genuß des Lebens in seinem Eigenthum dachte. Er erhob ihn in den Grafenstand und ließ ihn ziehen.

Herr Genebald würde vielleicht nicht mit so viel Vergnügen an die Heimkehr gedacht haben, wenn er gewußt hätte, daß er seine Gemahlin wiederfinden würde, und sich ehrenhalber hätte entschließen müssen, mit ihr zu leben. Genebald hatte entweder sein ehemaliges Gebet bei der heiligen Eiche nicht recht eingerichtet, oder die daselbst regierende Macht hatte ihn zur Strafe wegen des in ihrem Schatten verübten Unfuges absichtlich betrogen. Rittermuth und Tapferkeit hatte sie ihm zwar überflüssig gegeben, aber kein edles Ritterherz; er konnte wohl Beleidigungen rächen, aber keine vergeben, und es würde ihm daher unleidlich gewesen sein, auch nach so vielen Jahren seine Beleidigerin wieder zu sehen und sie um sich dulden zu müssen.

Ihm dieser Verlegenheit zu überheben, hatte der Tod gesorgt; Frau Hedwig hatte seit einem Jahre das[51] Zeitliche gesegnet, und eine Tochter, die sie bald nach Genebalds Auswanderung geboren hatte, war in eben dem Kloster, wo sie das Licht der Welt erblickte, bisher erzogen worden. Genebalds Haß erstreckte sich nicht von der Mutter auf das Kind, er erkannte die schöne Emma für seine Tochter, und nachdem er sich auf seiner Burg eingerichtet hatte, war es eines seiner ersten Geschäfte, nach St. Maria zur Linden zu ziehen, und das Fräulein von da zu sich zu holen, damit sie an seiner Seite dem Brautkranze vollends entgegenreife, und ihn zu allen Glückseligkeiten, die er genoß, noch die Freude mache, durch sie mit irgend einem hohen und reichen Hause verschwägert zu werden.

Emma sah der Ankunft ihres Vaters mit Zittern entgegen. Die Schilderung, die ihr ihre Mutter immer von ihm gemacht hatte, war nicht so beschaffen gewesen, daß sie Liebe erregen konnte. Seine Härte, die gänzliche Unbekanntschaft mit ihm, Alles kam zusammen, Vorurtheile gegen ihn zu nähren, die nie ganz zu tilgen waren, und die in der Folge vielleicht einigen ihrer Handlungen zur Entschuldigung dienen können. Indessen lag es in ihrem Interesse, ihm zu gefallen, die Aebtissin, welche die Welt kannte, unterrichtete sie ein wenig, was sie zu thun habe, und die Maasregeln glückten so gut, daß der alte Herr gleich auf den ersten Anblick ganz von seiner Tochter eingenommen war. Ihre Schönheit begünstigte die geld-und ehrgeizigen Hoffnungen, die er auf sie baute, und ihr sanftes gefälliges Wesen bezauberte ihn. [52] Sanftmuth und Gefälligkeit hatte sie in der Klosterzucht, unter den Augen der eigensinnigen mürrischen Hedwig, wohl lernen müssen, und indem sie unter die Aufsicht ihres Vaters trat, erhielt sie neue Gelegenheit, diese Tugenden zu üben.

Genebald liebte seine Tochter, er ließ es ihr an nichts fehlen, was seinen Stolz und ihre Eitelkeit befriedigen konnte, aber es lag nur allzusehr am Tage, daß sie diese Gunstbezeugungen mit ihrer Freiheit erkaufen sollte. Es war ihm nicht darum zu thun, sich des Herzens eines Mädchens zu versichern, das sich ganz an ihn gefesselt haben würde, hätte er es zu gewinnen gewußt, oder ihre Gesellschaft und kindliche Pflege zu genießen; nein, sie so bald als möglich von sich zu entfernen, indem er durch ihre Schönheit seinem Hause irgend eine hohe oder reiche Verbindung erkaufte, dies war sein Bestreben, und er versäumte keine Zeit, die ersten Schritte zur Ausführung dieses Planes zu thun.

Der erste Hoftag zu Goslar sah ihn und die schöne Emma mit aller Pracht, die ihm sein Rang und sein Reichthum erlaubten, erscheinen. Er sparte nichts, die Reize seiner Tochter zu heben, und die Vortheile, die mit ihrem Besitz verbunden waren, laut werden zu lassen. Der Anschlag glückte. Emma's Schönheit bestrickte zwanzig Herzen, und der Reichthum ihres Vaters noch mehrere. Kaum war man in die Stille des einsamen Waldschlosses zurückgekehrt, so stellten sich Freier in großer Anzahl ein, die um die Hand des Fräuleins warben, und – sämmtlich [53] mit Körben zurückgeschickt wurden, weil keiner für die merkantilischen Spekulationen Genebalds, der auch im Grafenstande den Sohn des Haushofmeisters noch nicht verleugnen konnte, wichtig genug erfunden ward.

Emma's Herz begann ruhiger zu schlagen; es hatte für keinen der Herren gesprochen, die nach ihrer Hand strebten, aber gleichgültig war es darum nicht. Auf dem letzten Turniere hatte ein Ritter den Preis gewonnen, der Alles übertraf, was sie sich je von den Vollkommenheiten eines Jünglings geträumt hatte. Der Zufall fügte es, daß er bei Spiel und Tanz oft in ihre Nähe kam, was die im Stillen Liebende für ein gutes Vorzeichen hielt. Aber ach! unter den Brautwerbern war er nicht, und Emma schloß daraus, daß sie leider Recht gehabt habe, als sie glaubte, in seinen Blicken nichts als Kaltsinn zu lesen. Ein tiefer Kummer erfüllte jetzt das Herz des zärtlichen Mädchens, mancher Tag wurde vertrauert, manche Nacht verweint, und Manches ausgedacht, um den Geliebten zur Erwiederung einer Liebe zu veranlassen, von der sie sich so heftig ergriffen fühlte. –

Bei der nächsten Reise nach der kaiserlichen Hofburg, die Genebald, um neue Netze auszustellen, nicht lange verschob, hatte Emma Gelegenheit, den blanken Ritter, – (so nannte man ihn durchgängig wegen seiner Waffen) – wieder zu sehen. Heldenthaten zeichneten ihn wieder vor allen andern Rittern aus; er war indeß nicht allein tapfrer, sondern erschien auch schöner als jemals. Jedermann bewunderte ihn, und alle Damen sagten; Es ist [54] Schade um den blanken Ritter, daß er arm ist, kein Fräulein würde ihm sonst ihr Herz, kein Vater seine Tochter versagen.

Das wußte Emma noch nicht, daß Ritter Wilhelm arm war, aber sie dachte edel genug, um über diese Entdeckung eher Freude als Schmerz zu fühlen. Sie hatte jetzt die frohe Gewißheit, daß sie ihm nicht länger gleichgültig war, und ihr gutes Herz floß von Entzücken über, wenn sie sich vorstellte, ihn nicht allein durch ihre Person, nein, auch durch eine stattliche Mitgift, die sie von der Liebe ihres Vaters zuversichtlich hoffte, glücklich machen zu können.

Bald kam ein Einverständniß zwischen den jungen Leuten zu Stande, man sah sich möglichst oft, man gewann sich mit jedem Tage lieber, man gestand es sich, machte seine Pläne, und fand in allen Dingen gute Vorbedeutungen, daß sie ausführbar sein würden. Als ein besonders glücklicher Umstand wurde die nahe Nachbarschaft betrachtet; es fand sich nämlich, daß des Ritters kleines Schloß in dem nämlichen Walde lag, wo sich die stolze, im vorigen Jahre neu erbaute Burg Graf Genebalds befand.

Man baute auf diesen Umstand die Hoffnung, sich fleißig zu sehen, und gedachte dann in manchem traulichen Gespräch Mittel und Wege auszusinnen, wie man sich das höchste Glück des Lebens verschaffen könnte.

Nichts war leichter als dieses. Das Hoflager zu Goslar war zu Ende, der blanke Ritter kehrte auf sein[55] Schloß, der alte Genebald mit seiner Tochter auf seine Burg zurück, der Wald, der zwischen beiden lag, gab Gelegenheit zu fleißigen Spaziergängen, man traf sich dann ganz von ungefähr, und hatte sich kaum zum drittenmal auf diese Art gesehen, als man einig war, daß die Brautwerbung nun nicht länger verschoben werden, sondern Ritter Wilhelm sich des nächsten Tages bei dem alten Grafen einfinden sollte, um die Hand der schönen Emma von ihm zu fordern.

Der blanke Ritter, der die Welt etwas besser kannte, als das junge Fräulein, hatte einige Zweifel wegen des guten Erfolges, doch hochherzige Liebe, die alle Hindernisse verachtet, und Emma's gute Vertröstungen gaben ihm Muth.

»Herr Graf,« sagte er, als er des anders Tages verabredeter maßen bei Genebald einsprach, »ich habe eine ehrliche Liebe zu eurer Tochter gefaßt, mein Glück steht in eurer Hand, versagt es mir nicht. Die Verbindung mit mir wird euch nicht reuen, ihr kennt meine Geburt und meinen Namen; beides giebt mir vielleicht einigen Anspruch auf eure Achtung. Auch in Ansehung der Glücksgüter bin ich nicht ohne Hoffnung für die Zukunft, und was die Gegenwart anbelangt, so würde mein Schwert hinlänglich sein, eine Geliebte zu nähren, die noch weniger besäße als ich, wie vielmehr die Tochter eines reichen Grafen.«

»Herr Ritter,« antwortete Genebald, »ich begreife es wohl, daß man meine Emma lieben kann; sie ist[56] jung, schön und tugendhaft, auch besitzt sie einige noch untrüglichere Hoffnungen als andere Leute; denn als meine einzige Erbin hat sie ein Vermögen zu hoffen, das nicht klein ist. Unter solchen Verhältnissen kann sie sich wohl auf einen Fürsten Rechnung machen, und auf einen solchen wollen wir einstweilen auch warten. Wenigstens habe ich nicht darum meine Tochter so manchem großen Manne abgeschlagen, um sie dem blanken Ritter zu geben, der ihr kein anderes Leibgedinge verschreiben kann, als sein Schwert, das ihm wohl noch wenig Beute eingetragen haben mag, sonst würde er gewiß schon längst auf eine bessere Wohnung gedacht haben, die Tochter eines Grafen zu beherbergen, als er gegenwärtig hat.«

Der blanke Ritter achtete die übermüthige Antwort keiner Erwiederung werth. Er verließ Genebalds Burg in grimmigem Zorne, und murmelte zwischen den Zähnen: »so konnte nur der Sohn des Haushofmeisters Genebald einen edeln Ritter mit zwei und dreißig Ahnen zurückweisen.« – Graf Genebalds Herkunft, und seine ganze Geschichte war nämlich noch bekannt genug in dieser Gegend, und der Ruhm seiner Tapferkeit, mit welcher er die Flecken jener zudeckte, hätte ihm nur dann zur vollkommenen Hülle dienen können, wenn er mit derselben andere adelige Tugenden verbunden hätte. Aber Geldstolz, Geiz, Kargheit, Uebermuth, und thörichtes Streben nach unerreichbarer Größe sprachen noch zu deutlich von seiner niedern Geburt, als daß man sie ganz hätte vergessen können.

[57] Ritter Wilhelm überließ sich der Verzweiflung, die schon damals gern mit Gedanken von Blut und kaltem Eisen umging, doch mit dem Unterschiede, daß sie mit diesen Mordgedanken selten auf das Herz zielte, wovon sie Besitz genommen hatte, sondern ihnen gern andere Gegenstände darbot. Die Ungläubigen im Morgen- und im Abendlande waren das Ziel, woran schon mancher vom Glück Verlassener seinen Unmuth hatte austoben lassen, und manches Feuer unglücklicher Liebe war schon im Heidenblute gelöscht worden.

Dieses Remedium war es auch, das der blanke Ritter sich zum Heilpflaster für seine Schmach wählte. Er schrieb an seine Geliebte: »Lebe wohl, Emma, dein Vater verstößt mich! Unter Feindesschwert suche ich dich zu vergessen! Vermag ich's nicht, so siehst du mich in vier Jahren wieder, vielleicht, daß dann glücklichere Gestirne uns leuchten! Frei finde ich dich dann noch gewiß, denn dein Vater will deine Hand keinem Andern, als einem Fürsten gewähren.«

Herr Wilhelm hatte recht geweissagt. Emma verweinte vier einsame Jahre, am meisten bekümmert durch den Entschluß ihres Geliebten, einen Versuch zu machen, sie zu vergessen. Sie zitterte bei jeder neuen Werbung, die um ihre Hand geschah, aber sie blieb frei, denn kein Fürst wollte sich melden. Nicht als ob Emma nicht schön genug gewesen wäre, selbst eine Krone zu tragen, aber es fanden sich in ihrer Ahnentafel einige Makel, die uns wohl bekannt sind, und die damals kein regierender [58] Herr übersehen durfte, wenn er auch gern gewollt hätte.

Um diese Zeit erreichte Emma ihr drei und zwanzigstes Jahr, in den damaligen Zeiten ein verrufenes Alter für eine Jungfrau; mochte sie auch so schön sein wie Genebalds Tochter, so mußte sie doch dann ihre Erwartungen etwas herabstimmen. Selbst der alte Herr fühlte dies, und gelobte sich, er wolle die Fürstenidee in aller Stille aufgeben und jetzt mit seines Gleichen, mit einem Grafen, als Eidam zufrieden sein.

Der blanke Ritter kam von seinen Kreuzzügen mit Ruhm, Ehre, und einiger Beute beladen zurück. Seine Wuth und Verzweiflung hatte er wider die Ungläubigen austoben lassen, aber weder Sarazenen- noch Preußenblut 1 hatte die Glut der Liebe auszulöschen vermocht. Zeit und Abwesenheit, die heut zu Tage auch die heftigste Liebe dämpfen, hatten bei ihm nur dazu beigetragen, seine Neigung zu der schönen Emma noch zu steigern. – Graf Genebald war nicht der letzte, der des blanken Ritters Wiederkunft erfuhr, und weil er nur zu sehr an seine Beständigkeit und Treue glaubte, auch wohl an Emma's nie versiegenden Thränen sah, wie es in ihrem Herzen stand, so fürchtete er Gefahr, verschloß das Fräulein auf ihrem Kämmerlein, besetzte alle Thüren des [59] Schlosses mit treuen Wächtern, und befahl, daß man die Zugbrücken weder bei Tag noch Nacht niederlassen sollte, damit keine heimliche Zusammenkunft, keine gewaltsame Entführung vorfallen, und der Schatz, den er bewahrte, dem gehofften Grafen unverletzt aufbehalten werden möchte.

Emma, die bei ihrer Eingezogenheit wohl nicht so leicht etwas von der Rückkunft ihres Geliebten würde erfahren haben, ahndete aus diesen Vorkehrungen die Wahrheit, und ließ, da der Ausgang zu den Thoren verwehrt war, sich desto fleißiger am vergitterten Fenster sehen, in der Hoffnung, dafern Herr Wilhelm wirklich zurückgekehrt sei, und seine, dem Zufall Preis gegebene Treue, durch ein Wunder unverletzt wieder mit herüber gebracht hätte, er wohl trachten würde, sie zu sehen, sollte es auch nur durch das eiserne Netzwerk sein, das ihr die freie Aussicht verwehrte.

Was sie gehofft hatte, geschah; der blanke Ritter ritt des Tages, ein, zwei, wohl auch dreimal vorüber, gab Zeichen seiner Gesinnungen von sich, und trieb das Ding so bunt, daß Genebalds Laurer es endlich inne wurden, und es ihrem Herrn hinterbrachten.

Augenblicklich wurde die hochgräfliche Hofhaltung von der neuen Burg in das alte Schloß verlegt, das Genebald ehemals mit Frau Hedwig bewohnt hatte. Es lag noch tiefer hinein in den Wald, war weiter von Wilhelms Rittersitz entfernt, besser befestigt, und die verschlungenen Pfade, die dahin führten, waren fast unzugänglich [60] gemacht. Das höchste Vertrauen setzte der alte Herr auf eine dreifache Dornhecke, auf den sumpfigen schilfreichen Schloßgraben, der von derselben umgeben wurde, und auf eine ziemlich hohe Mauer, die noch zu übersteigen war, wenn ein kühner Wagehals auch die beiden andern Hindernisse überwunden hatte. Zudem hatte das Schloß alle Fenster einwärts nach einem geräumigen Hofe, und von außen war nichts zu sehen, als einige enge Luken, aus welchen kein Fräulein schauen, und mit den vorüberziehenden Rittern liebäugeln konnte.

In den ätherischen Regionen soll es besondere Schutzgeister geben, die einzig darauf sinnen, Einverständnisse zwischen getrennten Liebenden anzuspinnen und zu unterhalten. Ein solches gutmüthiges Wesen mußte zwischen Herrn Wilhelm und seiner Emma geschäftig sein, sonst wüßten wir nicht, wie es ihm möglich gewesen wäre, den Ort ihres Aufenthalts zu finden, und ihr Botschaft zu thun, wie man sich nicht allein sehen, sondern auch sprechen könne.

Das schlaue Fräulein, das auf dieser Burg, wegen den mächtigen Außenwerken derselben, weniger streng gehalten wurde, als früher auf dem neuen, leichter und modischer gebauten Schlosse, dieses schlaue Fräulein Emma, sagen wir, schlich, wenn sie unbemerkt war, so lange an der äußern Mauer herum, stieg so lange in alle Souterrains hinab, und durchspähte die verborgensten Winkel der alten Veste, bis sie endlich gewiß ward, daß ihr Herr Vater sich irrte, wenn er den Zugang über die [61] Zugbrücke für den einzigen Weg hielt, in das Schloß, und aus demselben zu gelangen. In einem Winkel der Grundmauer war eine gewisse kleine Pforte, die vor Alters wohl schon zu mancherlei verbotenen Dingen gedient haben mochte, und die jetzt von der Liebe zu Erneuerung der alten Bestimmung geweiht wurde. Sie hatte den einzigen Fehler, daß sie ein wenig verfallen war, und an keinen andern Ort, als auf den sumpfigen Graben führte; auch hatte Emma keinen Schlüssel zu der halb versunkenen, halb verquollenen Pforte. Doch dies hatte nichts zu sagen, denn in der Pforte befand sich eine fast sechs Zoll weite Oeffnung, durch welche sich ein paar Liebende sprechen, einander die Hände reichen, auch wohl in mondhellen Nächten einen Schimmer von den beiderseitigen Augen sehen konnten; eine herrliche Bequemlichkeit, bei welcher nichts weiter zu bedenken war, als wie der Liebhaber über die Dornhecke und den Graben kommen, und wo er, wenn er an Ort und Stelle war, festen Fuß fassen sollte, um sich mit seiner Dame zu unterhalten.

Wir wiederholen es nochmals, daß es uns unbekannt ist, durch welches Mittel das Fräulein dem blanken Ritter von der gemachten Entdeckung Botschaft that; nur so viel wissen wir, daß er sie mit Freuden empfing, des Ortes Gelegenheit bald darauf selbst in Augenschein nahm, und auf die erlangte Kunde so kluge Vorkehrungen baute, daß man sich mehrere Nächte hinter einander ohne sonderliche Gefahr sprechen, und Maaßregeln zu noch bequemern[62] Zusammenkünften nehmen konnte; denn sich nur sprechen, nicht sehen, sich nur die Hand reichen, nicht küssen, dieses, meinte der erste Erzähler dieses Märchens, sei eine Sache, die ein paar Liebende, wie der blanke Ritter und seine Emma nicht lange aushalten konnten.

Derjenige, der Mittel gefunden hatte, die Zusammenkünfte auf dem sumpfigen Graben an der verquollenen Pforte leicht und anmuthig zu machen, wußte Rath zu noch mehreren. Er machte sich anheischig, die alte Thür ohne Schlüssel zu öffnen, so daß man gemächlich aus und eingehen könnte. Das Fräulein willigte ein, doch nur unter drei Bedingungen; erstens, daß Herr Wilhelm nicht daran denken sollte, herein zu kommen, denn sie hielt es wider die Pflicht einer ehrlichen Dame, den Mann, der von ihrem Vater als ein Feind angesehen wurde, in seine Burg zu bringen; zweitens, daß, wenn sie zu ihm hinaus ginge, er nie an Entführung oder irgend etwas ehrenkränkendes denken, sondern sie drittens allemal eine Stunde vor Tagesanbruch wieder in die väterliche Wohnung geleiten sollte.

Diese Bedingungen wurden angenommen und beschworen, Hebel und andere Werkzeuge darauf angesetzt, und das kleine Schlüpfpförtchen so geschickt geöffnet, als wenn Herr Wilhelm auf seinen Reisen sich einzig solcher Kunststücke befleißigt hätte, während doch dieses sicher das erste Mal war, daß er dergleichen übte.

Der Mond schien hell durch die geöffnete Pforte in die Souterrains, das Fräulein ging aus denselben hervor, [63] schön wie das Gestirn, das sie lieblich anglänzte, und dem Ritter alle Reize, die er ehemals an ihr kannte, weit vollkommener, als er sie erblickt haben wollte, sichtbar machte.

Er faßte sie in seine Arme, und beförderte sie auf eben die Art über den Graben, und die Hecke hinüber, wie er herüber gekommen war, denn man war der tödlichen Gerüche des Sumpfes überdrüßig, und wollte sich in der mondhellen Nacht durch Spaziergänge im Walde ein wenig ergötzen, bis der Morgenstern dem Fräulein zur Rückkehr in ihr Gefängniß winkte. Das Roß, das den Ritter allemal zu diesem Abentheuer herübertrug, ward von der Dornenhecke losgebunden, und am Zügel mitgeführt, weil man, wie Wilhelm meinte, nicht wissen könnte, wo man seiner nöthig hätte; es war ein artiges, zahmes Geschöpf von heller Silberfarbe, dessen wir nicht ohne Ursache so umständlich gedenken.

Das Kunststück glückte, und ward fleißig praktizirt. Das Fräulein befand sich bei den nächtlichen Spaziergängen noch glücklicher als der Ritter, der, mit der Gegenwart nicht so zufrieden wie sie, immer noch nach mehrerem Glück zeigte, und die Zeit nicht erwarten konnte, wo er sie ganz die Seinige würde nennen können.

»Ich bin nicht ohne Hoffnung,« sagte er einst, »daß dies geschehe, bald geschehe. Mein Oheim ist der Graf von Regenstein, ein unvermählter, kinderloser Herr, dessen einziger Erbe ich bin. Er hat mir seit meiner Wiederkunft mehrmals gesagt, ich sollte mich verheirathen, [64] und mir dabei versprochen, er wollte mein Freiwerber sein. Sprich, meine Emma, was habe ich weiter zu thun, als dich ihm zu nennen, und um sein Fürwort bei deinem Vater zu bitten? Dieser hat sich ja, wie du mir sagst, seit einiger Zeit verlauten lassen, mit den Fürsten sei nichts anzufangen, und er wollte dich wohl einem Grafen gönnen; es kann ihm doch gleichgültig sein, ob er dich Einem giebt, der schon diesen Titel führt, oder Einem, der ihn nächstens erhalten wird. Ich bin der Erbe meines Oheims, werde einst werden, was er jetzt ist; spricht er nun für mich, und hält diese Dinge deinem Vater nachdrücklich vor, so denke ich, haben wir gewonnen.«

»Ach, rechne nicht so sehr darauf!« seufzte Emma, »die reichen und großen Herren hassen ihre Erben, und von deinem Oheim besonders verspreche ich mir nicht viel Gutes. Ich wüßte wohl bessern Rath!«

»Und welchen?«

»Könnten wir nur einmal Zeit gewinnen, uns tiefer in den Wald zu wagen, so daß wir mit Tagesanbruch an der heiligen Eiche wären; in wenigen Tagen ist das Peterpaulsfest, eine solche Wallfahrt würde uns mächtig frommen!«

Der blanke Ritter verstand von dem, was Emma sagte, noch weniger als meine Leser, wenn sie unglücklicher Weise nicht Gedächtniß genug haben sollten, sich des Anfangs dieses Mährchens zu erinnern. Er that einige befremdende Fragen, und das Fräulein beantwortete [65] sie mit Erzählung der Geschichte des Mönchs mit dem kleinen gelben Barte, der sie ohne Bedenken die Jugendgeschichte ihres eignen Vaters hinzufügte. Sie hatte sie von einer alten Dienerin des Hauses gehört, und hegte nicht Ehrfurcht genug gegen den Helden derselben, um sie zu verschweigen.

Wilhelm hörte das, was ihm das Fräulein erzählte, als ein Mährlein an. »Glaube doch diese Dinge nicht, meine Emma,« sagte er am Ende mit Lachen. »Der Himmel erhört unsre Gebete an jedem Orte, wir brauchen sie nicht am Peterpaulstage ihm vor der hohen Eiche darzubringen. Das schlimmste ist, daß er nur die hört, die ihm gefallen, und wie wissen wir, ob das Glück unserer Liebe, um das du doch wohl in deinem Heiligthum bitten würdest, sein Wille ist?«

»Ich hoffe, es wird sein Wille sein!« sagte Emma, »was aber die Abentheuer an der Eiche betrifft, so bitte ich dich, schilt mir sie keine Mährlein, ich kann dich aus der Erfahrung vom Gegentheil belehren. Deine Liebe zu mir, diese feste, treue Liebe, die du abschütteln wolltest, und wider deinen eignen Willen aus dem Auslande zurückgebracht hast, ist der beste Beweis, den ich dir entgegen setzen kann. Unter der heiligen Nische habe ich vor fünf Jahren am Peterpaulsmorgen um dein Herz gefleht und es erhalten. –«

Die naive Art, mit welcher Emma hier ihre innersten Geheimnisse ausbeichtete, rührte den Ritter unaussprechlich; er umarmte sie, und versicherte mit vieler Galanterie, [66] daß sie seine Liebe Niemand zu danken habe, als ihren eignen Vollkommenheiten.

»Sie fielen dir Anfangs nicht in die Augen,« erwiederte sie, indem sie sich aus seinen Armen wand; »höre die Geschichte meiner ersten Liebe, und sage mir dann, ob ich recht habe:

Als ich mit meinem Vater zuerst nach Hofe jen Goslar zog, war ich voller Entwürfe zu großen Eroberungen; man hatte mir gesagt, daß ich schön sei, und ich glaubte dieses so von ganzem Herzen, daß ich mir zutraute, jede andere Dame verdunkeln zu können. Ich kam in die glänzende Kaiserstadt, ich sah die Jungfrauen der Kaiserin, und – meine Eitelkeit war gänzlich zu Boden geschlagen; sie waren Alle, wo nicht schöner, doch weit anmuthiger als ich. Ich wußte nichts von dem freien einnehmenden Welttone, der hier die gemeinsten Züge interessant machte, mir hing noch das steife zurückstoßende Wesen des Landfräuleins an, und – ich ward überall übersehen. Nur diejenigen nahmen Notiz von mir, denen der Reichthum meines Vaters einleuchtete, und die mit mir einen guten Kauf zu thun dachten.

Ach, sie hätten mich alle übersehen mögen, wäre ich nur von dem Einen bemerkt worden, der mir gefiel; dies warst du, mein Wilhelm, aber deine Augen gleiteten so nachlässig bei mir vorüber, du hattest mir bei tausend Gelegenheiten, die dir das Glück gab, so gar nichts zu sagen, daß ich wohl sah, ich sei so unbedeutend in deinen Augen, als in den Augen jedes Andern.

[67] Traurig kehrte ich auf unsere einsame Burg zurück, aus deren ängstlichen Mauern ich gern erlößt, besonders durch dich gern erlößt gewesen wäre.

So wenig ich mir selbst unter den Schönen des kaiserlichen Hofs gefallen hatte, so hatte ich, oder der Reichthum meines Vaters, doch Eroberungen genug gemacht. Man kam, um mich anzuhalten, aber unter den Brautwerbern war kein blanker Ritter. – Da ergab ich mich dem tiefsten Grame, alle Freuden der Welt waren, so dünkte es mich, für mich auf ewig dahin denn was ich jetzt gewiß weiß, das ahndete mir schon damals, daß ich nie einen Andern würde lieben können als dich.

Unter den Dienstleuten des Schlosses befand sich eine Frauensperson, die mir mein Vater, weil sie alt und grämlich war, zur Aufseherin gab. Mir zum Glück war die Miene des Unmuths und des Eigensinns, die sie auf der Stirne trug, nur Blendwerk. Sie liebte und bemitleidete mich. Sie gab mir soviel Beweise ihrer Theilnahme für mich, daß ich Vertrauen zu ihr faßte und ihr das Geheimniß meiner Liebe entdeckte. Sie erzählte mir die Geschichten, die du eben von mir gehört hast, und zog für mich daraus folgenden tröstlichen Rath.

Wir leben, sagte sie, gerade jetzt in dem heiligen Gnadenjahre; übermorgen ist Peterpaulstag, wo es fünf Jahre wird, daß ich an der Wundereiche um die Gnade bat: wenn der Herr in's Schloß zurückkehre, nicht aus demselben verstoßen, sondern auf einen ehrlichen Posten [68] angestellt zu werden. Diese Bitte ist, wie ihr seht, erfüllt; thut nun was ich euch sage, um auch eurer Seits die Wunder der heiligen Eiche zu erfahren. Wir wollen auf den bevorstehenden Festtag eine Betfahrt nach dem nächsten Kloster vorgeben, die Eiche ist so gelegen, daß wir bei derselben vorbei müssen; daß wir zur rechten Stunde daselbst eintreffen, dafür laßt mich sorgen.

Wir trugen die Pilgerreise meinem Vater vor, erhielten die Erlaubniß dazu, und verließen mitten in der Nacht das Schloß. Der erste Morgenstrahl des Aposteltags fand mich schon knieend vor der heiligen Nische. Ich bat um deine Liebe, bat um allen Zauber der Anmuth, ohne welche der höchste Reiz unkräftig ist, damit ich dich auf ewig fesseln möchte. Meine Aufseherin nannte meine Bitte kühn, und fand sie zu eitel und weltlich eingekleidet, um gewisse Erhörung hoffen zu können. Aber es scheint, die Heiligen, die dort residiren, sind so streng nicht als die andern, denn schon beim nächsten Besuch am kaiserlichen Hofe erlebte ich die Erfüllung meines Wunsches. Du sahst mich, und zum erstenmal sprach Liebe aus deinen Augen, dein Herz war erobert, erobert durch die Zauberreize, die nur eine übernatürliche Macht mir beilegen konnte. –«

»Erobert,« fiel Wilhelm zärtlich ein, »durch den natürlichen Reiz, der dir gleich auf den ersten Anblick meine Bewunderung gewann; es ist wahr, du hattest das erstemal, da ich dich sah, etwas von der stolzen zurückschreckenden Miene der Tochter eines reichen Grafen, hattest ein [69] gewisses Etwas, das ich das zweitemal an dir vermißte, ich bekam durch diese Veränderung Muth, mich dir zu nahen und dir zu sagen: ich liebe; aber sollte dies Wirkung einer höhern Macht gewesen sein? Nein, es war der Zauber deiner eignen Schönheit, die freilich bei jedem erneuerten Anblick gewaltiger hinreißt, als bei dem vorhergehenden!«

Es war sehr galant und zärtlich, was der blanke Ritter sagte. Emma fühlte es, aber sie beharrte nach Mädchenart dennoch auf ihrer Meinung. Man stritt lange über diesen Punkt, und am Ende schloß Wilhelm mit der Erklärung: Emma möge am Peterpaulsfeste thun, was sie wolle, er für seine Person habe zu der Verwendung seines Oheims bei dem alten Grafen mehr Vertrauen, als zu den Heiligen der Eiche. »Auch werde ich,« setzte er hinzu, »am Apostelfeste nicht einmal hier sein, weil ich um diese Zeit einem Turnier beiwohnen muß. Alles was ich daher thun könnte, wäre, daß ich mein silbergraues Roß schickte, sich an meiner Statt eine Gnade an der Wundereiche zu holen.«

»Spötter!« rief Emma, indem sie seinen Mund mit ihrer Hand bedeckte, »daß dich ja die Heiligen nicht hören.«

»Auch,« fuhr er lachend fort, »würde ich nicht verlegen sein, was ich dem guten Thiere für eine Gabe erbitten sollte. Dem armen Geschöpfe werden die verschlungenen Wege nach der Genebaldsburg so schwer zu finden, wir verirren uns so oft, daß es ein Jammer ist. Ihr [70] lieben Heiligen, die ihr dort in eurer Nische thront, sorgt doch dafür, daß der Reiter, den mein Leibroß trägt, allemal geradenwegs dahin gelange, wo Liebe und Glück seiner warten!«

Emma sah sich bei diesen Worten schüchtern um, und siehe, sie kamen wirklich eben vor der Wundereiche vorüber, die Wilhelm früher gewahr geworden war, als sie, und darum seine Worte so pathetisch an sie gerichtet hatte. Ein kleiner Schauer überfiel das Fräulein, sie drang auf die Heimkehr, auch verkündigte der Morgenstern schon den nahen Tag, so daß man, weil man sich diese Nacht ein wenig tief in den Wald verirrt hatte, kaum zur rechten Zeit das Hinterpförtchen erreichen konnte, das Graf Genebalden seine wandernde Tochter wieder gab.

Die Wanderungen waren so oft wiederholt worden, daß sie endlich bemerkt werden mußten. Verdacht hatten Genebalds Laurer schon lange; in dieser Nacht waren sie ihrer Sache gewiß geworden, daher fand die schöne Emma, als sie das nächstemal sich wieder zum Rendezvous einfinden wollte, die Pforte fester verrammelt als sie je war, und sogar die Oeffnung, durch welche die Liebenden sich sprechen und einander die Hände reichen konnten, mit einem dicken Brete vernagelt.

Unter heißen Thränen kehrte sie auf ihr Zimmer zurück, und kaum konnten ihr die Tröstungen ihrer gefälligen Duenna die Gefahren aus dem Sinne reden, in welchen sich der blanke Ritter diese Nacht wirklich befunden [71] hatte. Der arme Wilhelm! Alle Wege, wo er herkommen konnte, waren von Bewaffneten besetzt, die ihm die Rückkehr auf ewig verwehren sollten. Es schien, als müßte er in ihre Hände fallen, und es war als ein großes Wunder anzusehen, daß er dennoch der ihn bedrohenden Gefahr entging.

Seine Geschwindigkeit, Ringfertigkeit und Entschlossenheit hatten ihn gerettet, aber die Nachstellungen belehrten ihn auch zugleich, daß die geheimen Zusammenkünfte mit der Geliebten für immer ein Ende hätten, und daß er jetzt wirksamere Schritte thun müsse, wenn sein Verhältniß zu der schönen Emma den gewünschten Ausgang haben sollte.

Er schwang sich nach einigen trübselig verträumten Stunden von Neuem auf sein Pferd, und ritt drei Meilen weiter in's Land, zum Grafen, seinem Oheim, dem er sein Anliegen weitläufig vortrug und auf das beweglichste um seine Vermittlung bat.

»Lieber Neffe,« erwiederte der alte Herr, »deine Wahl ist gut und löblich; ich kenne deine Geliebte, sie ist äußerst liebenswürdig. Sei ruhig, ich nehme es auf mich, den Vater zu ihrer Verheirathung zu bewegen, und mache mich augenblicklich auf, um sie zu werben. Morgen ist das Apostelfest; reite getrosten Muths zu deinem Turnier, bei deiner Wiederkehr sollst du erfahren, was ich ausgerichtet habe.«

»Aber, mein Oheim, wenn nun eure Bemühungen keinen glücklichen Erfolg hätten, wenn –«

[72] »Wie kannst du so etwas befürchten! Ist übrigens das Mädchen erst in deiner Gewalt, so rathe ich dir, sie dir unverzüglich antrauen zu lassen.«

Wer ist unter meinen Lesern, der unter diesen Worten Trug und Doppelsinn ahndet? Wilhelm ahndete nichts, und zog wohlgemuth zum Ritterspiel; aber der alte Oheim war ein Schalk, der den Jüngling zu hintergehen dachte, den er haßte, weil er sein wahrscheinlicher Erbe war.

Nachdem der blanke Ritter davon gezogen war, schwang sich der Oheim schnell auf ein Pferd, und ritt zu Graf Genebalden, den er wohl kannte, und bei welchem er, als einem alten Waffengenossen in den türkischen Feldzügen, oft einzusprechen pflegte.

Er wurde wohl empfangen, man setzte sich nach deutscher Sitte zum Trinken nieder, die beiden Alten thaten einander fleißig Bescheid, und unterhielten sich von ihren alten Kriegs- und Liebesabentheuern. Wangen und Nasen färbten sich mit hoher Purpurröthe, die Augen wurden immer kleiner, und der Mund begann zu stammeln.

»Alter Freund,« sagte der Oheim des blanken Ritters zu Genebalden, als die Diener das Zimmer verlassen hatten, und er mit ihm allein war, »ich bin ein Junggesell, und werde des einsamen Lebens nachgerade überdrüßig; das Alter schleicht heran, man bedarf der Pflege. So ein hübsches junges Ding um mich zu haben, das mir die Grillen verscheuchte, und mich mit ihren Liebkosungen wieder jung machte, das wäre meine Sache. Du [73] hast eine Tochter zu verheirathen, gieb mir sie; ich bin so reich wie du, und hinterlasse ihr einmal Alles. Ich bin Graf, und steckt dir die Fürstenidee noch im Kopfe, so wäre ja durch Ankauf noch einiger Ländereien dieser Titel wohl auch zu erlangen. Willst du, so schlag ein; es ist besser, du giebst deine Tochter mir, als einem Andern.«

Genebald lächelte freundlich. Der Vorschlag war gut, die Kräfte des Weins machten ihn noch annehmlicher, in wenig Minuten war der Handel geschlossen, und Emma wurde gerufen, ihr Schicksal zu vernehmen.

Wer schildert das Entsetzen des unglücklichen Mädchens? Sie antwortete mit keiner Sylbe auf das, was man ihr sagte, sie brach in einen Strom von Thränen aus, und eilte auf ihr Zimmer zurück, wo sie sich ganz der Verzweiflung überließ. Sie rief die Rache des Himmels herab über die Treulosigkeit des alten Oheims, und nannte tausendmal den Namen ihres Geliebten, als wollte sie ihn zur Hülfe in ihrem Elend rufen. Der Unglückliche! Voll Hoffnung auf sein nahes Glück, setzte er die Reise zum Ritterspiel fort, durch glorreiche Thaten wollte er sich dort der Hand der reizenden Emma noch würdiger machen, die ihm die Bosheit seines nächsten Verwandten eben auf ewig zu entreißen beschäftigt war.

Als es Nacht wurde, lief das unglückliche Mädchen wieder nach der Pforte; sie war jedoch noch fest verschlossen, und es mußte also auch die Wallfahrt zur heiligen [74] Eiche, auf welche sie noch einige Hoffnung setzte, unterbleiben.

Die beiden Alten mochten befürchten, daß bei ihrem Handel irgend ein Hinderniß eintreten könnte und beschlossen daher, die Vollziehung desselben nicht lange aufzuschieben. Der übermorgende Tag sollte der unglücklichste unter Emma's Lebenstagen, sollte ihr Hochzeittag mit dem alten Oheim sein. Nach einigem Streite hatte Genebald dem bejahrten Bräutigam zugestanden, daß die Vermählung auf dessen Schlosse gefeiert werden sollte. Um bei guter Zeit daselbst einzutreffen, wollte man übermorgen mit dem Frühesten aufbrechen; der dazwischen liegende Aposteltag wurde benutzt, die gemeinschaftlichen Freunde des Schwähers und des Eidams zum Hochzeitmahl einzuladen, lauter alte Herrn von ihren Jahren, die der Himmel zu diesem Tage recht aufgespart zu haben schien. – Sie kamen bei guter Zeit, Einer nach dem Andern an, von sanften Maulthieren oder schläfrigen Rossen getragen, und man kann eben nicht sagen, daß sie die schönste Gruppe von Hochzeitgästen vorstellten. Man hätte, wenn man sie sah, eher glauben sollen, sie kämen, vor der Abreise nach der andern Welt, von einander Abschied zu nehmen, als das Beilager eines ihrer Mitbrüder zu feiern.

Man legte den Schmuck der unglücklichen Braut zurecht, wobei diese eine traurigere Rolle spielte, als Mädchen sonst bei den Angelegenheiten des Putzes zu spielen pflegen. Sie hatte genug zu thun, Schmerz und Thränen [75] zu unterdrücken. Alle Dienstleute im Schlosse waren mit Zubereitungen für den morgenden festlichen Tag beschäftigt; als man aber für Alles gesorgt zu haben glaubte, so fand sich's doch, daß man viele und mit unter sehr wesentliche Dinge vergessen hatte.

Namentlich zeigte es sich, daß nicht Pferde genug vorhanden waren, das ganze Brautgefolge zu tragen. Zwar hatten die Gäste – die alten Herren – ihre eignen Pferde, mit denen sie gekommen waren, ihre Diener wurden aus Genebalds Ställen beritten gemacht, aber doch gebrach es noch hier und da an Rossen für Genebalds Hausgesinde, denn es war beschlossen, daß, um den Zug desto ansehnlicher zu machen, alles mitreiten sollte, was nur ein Pferd besteigen konnte.

Als man dem Brautvater die Sache vortrug, wurde er unwillig darüber, daß man ihn mit solchen Kleinigkeiten behelligte, indem er jetzt eben den Vortrunk mit den Hochzeitgästen beginnen wollte. Er befahl, man sollte in die Nachbarschaft zu seinen Freunden schicken, sollte von Pferden aufborgen, was man noch bedürfe, und ihn übrigens zufrieden lassen.

Der Stallmeister war besonders in Verlegenheit, woher er ein passendes Pferd für die Braut nehmen sollte, indem diese des Reitens nicht sehr kundig war und eines so sanften und lenksamen Thieres bedurfte, wie er keines auftreiben zu können glaubte. Hierüber hatte er besonders den Grafen befragen wollen, aber ihm war Stillschweigen auferlegt, und er durfte nichts weiter sagen.

[76] »Ich kenne,« sagte er zu sich selbst, als er alle seine Leute abgefertigt hatte, »ich kenne kein schöneres und geduldigeres Thier, als des blanken Ritters silbergraues Roß; darauf sollte Fräulein Emma trefflich paradiren. Es wäre zu beklagen, wenn die gute Dame an ihrem trübseligen Hochzeittage noch ein Unglück haben sollte; wir müssen einem solchen auf alle Art vorbeugen! Es ist wahr, Ritter Wilhelms Bekanntschaft mit unserm Herrn ist nicht sonderlich, aber ich will's wagen, ob er sich das schöne Thier abborgen läßt; er wäre ja der erste Ritter, der einer Dame an ihrem Ehrentage eine Gefälligkeit versagte.«

Der Leser wird leicht merken, daß dieser Mann nichts von der geheimen Geschichte des Hauses wußte, in welchem er diente, und besonders keiner von Genebalds heimlichen Laurern und Wilhelms Verfolgern war. Der blanke Ritter kannte ihn als einen redlichen Mann, und als ein solcher war er auf seiner Burg willkommen.

Dieser gute Ritter war eben vom Turnier zurückgekehrt. Er hatte den ersten Dank gewonnen, und schmeichelte sich mit der Hoffnung, ihn vielleicht morgen schon seiner Braut zu Füßen legen zu können. Er war bei seinem Oheim abgestiegen, um sich zu erkundigen, ob dieser schon etwas für ihn gethan hätte. Er fand ihn nicht zu Hause, man sagte ihm, er sei zum Graf Genebald geritten, und Wilhelm schöpfte aus diesem Umstande neue Hoffnungen. Voll Vertrauen auf die Vermittlung seines Verwandten, voll Ruhe und hohen Muths kam er auf [77] seinem eignen Schlosse an. Er war so vergnügt, daß er einen Harfner kommen ließ, ihn durch Minnelieder in der entzückenden Laune zu erhalten, in der er sich befand.

In dieser Gesellschaft war es, wo ihn Genebalds Stallmeister traf. Sein Gesuch desto kräftiger zu machen, bat er im Namen seines Herrn um das silberfarbne Roß. »Von ganzem Herzen gern!« erwiederte der über das schwiegerväterliche Zutrauen erfreute Wilhelm. »Es freut mich, daß ich dem Herrn Grafen mit meinem Leibrosse dienen kann, aber wenig hätte gefehlt, so wäre ich um das schöne Thier gekommen. Ihr wißt, es ist kein Turnierpferd, und ich konnte es also nicht zu dem Ritterspiele reiten, von welchem ich komme. Bei meiner Zuhausekunft erfahre ich, daß es gestern gegen Abend sich aus dem Stalle losgerissen hat, und in den Wald gelaufen ist. Vor wenig Stunden haben sie es erst wieder heimgebracht; sie haben es in der Gegend der hohen Eiche wieder gefunden. Aber darf ich fragen, wer es reiten wird?«

»Fräulein Emma, gnädiger Herr! Wir reiten morgen mit dem Frühsten nach der Burg des alten Grafen von Regenstein, wo die Vermählungsfeierlichkeiten vor sich gehen sollen.«

»Vermählung? – Mit wem?«

»Mit dem alten Herrn Grafen, Ihrem – Oheim! Wunder, daß dieß Ihnen unbekannt ist!«

Der blanke Ritter stand wie versteinert bei diesen Worten, er ließ sie sich zum zweitenmale wiederholen, [78] und konnte sie noch nicht glauben. Einem redlichen Herzen kostet es Mühe, eine schwarze That für wahr zu halten, so ging es dem unglücklichen Wilhelm, der sich, als er endlich die schreckliche Wahrheit begreifen mußte, durch die Vorstellung doppelt unglücklich fühlte, daß hier Rache unmöglich sei. Sein Oheim! der Vater seiner Geliebten! was sollte er wider diese beginnen?

Wuth und Bestürzung wechselten bei ihm ab, die Bitte um das silbergraue Pferd ward dabei ganz vergessen, der Stallmeister, welcher Eile hatte, wiederholte sie, und Wilhelm fuhr wie aus tiefem Schlafe empor.

»Sie nehme es hin!« schrie er. »Wenn sie es besteigt, wird sie wenigstens noch einmal an denjenigen denken, den der Rücken dieses guten Thieres so oft durch Nacht, Grauen und tausend drohende Gefahren zu ihr hintrug. – Ach, die Unglückliche! ich beschuldige sie nicht, ich weiß, daß man sie zu der Treulosigkeit zwingt, die sie an mir zu begehen im Begriff steht!«

Der Stallmeister führte das Roß davon, ohne die Worte zu begreifen, mit welchem man es seinen Händen anvertraute. Nachdem er das Schloß verlassen hatte, arteten die Gefühle des blanken Ritters fast in Raserei aus. Einige Stunden wurden so vertobt, bis endlich seine Wuth einem stillen Kummer wich. Er ließ alle seine Diener vor sich kommen, er vertheilte unter sie das baare Geld, das er vorräthig hatte, und entließ sie aus seinem Dienste. Sie warfen sich ihm zu Füßen, und fragten ihn um die Ursache seines Unwillens. »Ich zürne [79] nicht mit euch,« antwortete er gütig, »aber ich bedarf eurer Dienste nicht mehr, weil ich im Begriff stehe, mich zu einer großen Reise anzuschicken.« Drauf verließ er sie und verschloß sich mit Sterbensgedanken auf sein Zimmer.

Auf Genebalds Schlosse lag bereits Alles im tiefsten Schlafe. Die Hochzeitsgäste, der Schwiegervater und der Bräutigam hatten weidlich gezecht; auch bei der Dienerschaft war es nicht viel mäßiger zugegangen, gleichwohl wollte man am andern Morgen mit Tagesanbruch wach sein. Man legte sich zeitig zur Ruhe, und der Thurmwächter erhielt Befehl, in sein Horn zu stoßen, sobald die ersten Strahlen der Morgenröthe den Anbruch des Tages verkündigen würden.

Nur Emma konnte nicht schlafen. Der Augenblick nahte heran, der sie auf ewig unglücklich machen sollte, und sie wußte kein Mittel, ihrem traurigen Schicksale zu entgehen. Oft hatte das beklagenswerthe Mädchen den Tag über Gelegenheit zur Flucht gesucht. Weder Furcht noch Bedenklichkeit würde sie zurückgehalten haben, wenn die Sache nur möglich gewesen wäre, aber es gab zu viel Augen, die sie bewachten, und obgleich die ganze Dienerschaft, von ihrer Duenna an bis auf den geringsten Pagen, sie innig bedauerte, so war doch Niemand, der es auf eigne Gefahr wagen wollte, ihr zu helfen. So blieb denn dem guten Fräulein kein andrer Trost übrig, als den sie in ihren Thränen fand.

Als gegen Mitternacht der Mond herauf kam, fand er sie weinend, und so würde sie auch der Morgen gefunden [80] haben, wenn das Schicksal nicht binnen der Zeit ein Zwischenspiel veranstaltet hätte.

Das aufgehende Gestirn der Nacht warf einen so hellen Strahl von sich wie die Morgenröthe. Das silberfarbne Roß des blanken Ritters, dem man im Stalle ein gutes Futter gegeben hatte, begann um diese Zeit, vielleicht seiner gestrigen Wanderung in den Wald eingedenk, ein helles Gewieher. Der Thurmwächter, der so gut wie die Andern gezecht hatte, so gut wie die Andern eingeschlafen war, erwachte mit Schrecken; er sah das Licht des Mondes, hielt es für den anbrechenden Tag, und beeilte sich in sein Horn zu stoßen, dessen Töne alle Bewohner des Schlosses munter machten. Man gähnte, man dehnte, man wunderte sich, man meinte, es sei wohl noch sehr früh, demungeachtet machte man Anstalten zur Reise. Die schlaftrunkenen Diener, die gleich ihren Herren den Rausch nur halb ausgeschlafen hatten, sattelten die Pferde in dem mondhellen Hofe, und der Stallmeister trug Sorge, daß das silbergraue Pferd Ritter Wilhelms für die Braut zugerüstet wurde.

Als Letztere herabgeführt wurde, es zu besteigen, brach sie in Thränen aus. Ach, sie kannte das gute Geschöpf wohl, das ihren Geliebten so oft durch Nacht und Grauen und tausend drohende Gefahren zu ihr getragen hatte, sie hatte es zu oft bei den nächtlichen Spaziergängen am Zügel geleitet, hatte ihm zu oft morgens beim Scheiden die glatte Mähne gestrichen, und ihm frisches bethautes Gras dargereicht, mit dem Ermahnen, den lieben [81] Ritter sicher nach seinem Schlosse zu bringen, als daß sie nicht auch von ihm gekannt sein sollte. Es leckte ihr zärtlich die weiße Hand, bog ein Knie und ließ sie aufsteigen; nie hatte man ein höflicheres Roß gesehen, als den silberfarbnen Zelter Ritter Wilhelms.

Emma's Schmerz ward durch den Anblick dieses Thieres nur vermehrt, sie konnte nicht begreifen, wie es hierher kam, doch vertraute sie sich bei dem fatalen Ritte lieber ihm, als einem andern an.

Man reiste ab. Den Zug eröffnete die Dienerschaft, alsdann kamen die Hochzeitleute mit dem Brautvater und dem Bräutigam, und zu allerletzt die Braut unter der Aufsicht eines alten Ritters, den man ihr zugesellt hatte. Es war die Sitte der damaligen Zeiten, daß die Braut allemal den Brautzug beschloß, gleich als ob jungfräuliche Blödigkeit, die den Weg zum Traualtar scheut, sie zu diesem Zögern veranlasse. Diese sinnbildliche Deutung traf bei der armen Emma nur gar zu richtig ein; nie ist wohl eine Braut unwilliger und säumender einen solchen Weg gezogen, als sie.

Der Ritter, der sie begleitete, war ein alter verständiger Herr, der ihren Zustand erkannte, und ihr viel tröstliches und belehrendes gesagt haben würde, wenn er – ganz nüchtern gewesen wäre. Aber leider ging es ihm wie den Andern; keiner war munter genug, um Mondlicht von Morgendämmerung zu unterscheiden, woraus man schon ihre Benebelung beurtheilen kann.

[82] Das Schloß des bejahrten Bräutigams, wohin man zu ziehen gedachte, lag drei Meilen von der Genebaldsburg. Der Weg führte beständig durch den Wald, der Mond leuchtete jetzt nur spärlich, man rieb sich die Augen, und wunderte sich ein wenig über die Beschwerlichkeit des Weges, der bald so schmal wurde, daß nur zwei Pferde neben einander gehen konnten. Dies dehnte den Brautzug gewaltig in die Länge, und trennte die Vordersten von dem letzten Paare um mehrere hundert Schritte. Als der Mond einmal hinter eine Wolke trat, kamen einige von den muntersten aus der Gesellschaft hinter die große Wahrheit, daß man sich wohl zu früh auf den Weg gemacht habe, und erst dem Tage entgegen reite. Die Sache wurde ein wenig belacht, und überhaupt die erste Meile noch mit ziemlicher Heiterkeit und ganz geöffneten Augen zurückgelegt; aber als es weiter hin kam, da konnte keiner der Herren, die kaum halb ausgeschlafen hatten, dem Schlummer mehr widerstehen. Hier und da schlossen sich ein paar Augenlieder, Einer hing links, der Andere rechts auf seinem Thiere, ein Dritter war gar mit dem Kopf auf den Hals desselben gesunken. Ein Glück war es, daß die guten Geschöpfe, welche die abentheuerliche Hochzeitgesellschaft trugen, sämmtlich geduldiger Art waren, sonst möchte mancher Reiter Schaden genommen haben. So aber blieb der Zug in der schönsten Ordnung und nur hier und da blieb zuweilen ein Roß zurück, um, während sein Reiter schlief, das [83] weiche Gras unter seinen Züßen zu kosten, oder die Gesträuche zu benagen.

Das Schauspiel war lächerlich genug mit anzuschauen, aber die einzige, welche hätte lachen können, lachte nicht. Die arme Emma! sie war zu tief in Gram versunken, um den geringsten Anfall von Lustigkeit zu spüren. – Sie befand sich in einer so gänzlichen Betäubung, daß sie das Thier, das sie trug, gehen ließ, wie es wollte. Alles, was sie that, war, daß sie es zuweilen ein wenig anhielt; so sucht ein Verbrecher, den man zum Tode führt, den Trauerzug zu verzögern, damit er sein Leben noch einige Minuten friste.

Als die Vordersten des Zuges ohngefähr eine Meile zurückgelegt haben mochten, war die Braut mit ihrem Führer noch so weit zurück, daß sie die hintersten ihrer Vorgänger nur noch ganz von weitem im Mondlicht dahin ziehen sahen. Sie befanden sich jetzt an einem Scheidewege, und Emma's Roß trat zur Seite aus auf einen ganz andern Pfad, als den, welchen die übrigen genommen hatten. Emma beachtete es nicht und ihr Führer noch weniger; er begann jetzt so gut zu schlummern, als die andern Ritter. Zuweilen öffneten sich seine Augen wohl auf eine Minute, er sah das silberfarbne Roß dicht vor sich hertraben, war zufrieden, und schloß die Augen von neuem. Daß man sich verirren könnte, fürchtete er nicht denn auf einem solchen Wege, meinte er im Entschlummern, sei dergleichen unmöglich!

Indessen befanden doch weder er, noch die schöne[84] Emma sich mehr auf dem Wege, den sie ziehen sollten, und den die Andern bereits gezogen waren. Das Roß des blanken Ritters wurde entweder durch Instinkt geleitet, den Weg zu gehen, den es mit seinem Herrn so oft gezogen war, oder eine unsichtbare Macht faßte es bei dem Zügel, es dahin zu leiten, wo Glück und Liebe der schönen Reiterin harrten.

O hätte die tiefsinnige Braut etwas davon geahndet, wie schnell würde sie das treue Thier angetrieben haben, seinen Weg zu beschleunigen! aber es dauerte lange, ehe sie nur eine Muthmaßung hatte, daß sie sich nicht auf dem Wege nach dem Schlosse ihres alten Bräutigams befände. Das Pferd schritt jetzt durch ein kleines Wasser, das man passiren mußte, wenn man nach der Burg des blanken Ritters wollte. Emma wurde durch das Geräusch aus ihren Träumereien aufgeschreckt, sie sah sich ängstlich um, und rief den Namen ihres Begleiters. Er war dicht hinter ihr, aber sein Pferd scheute sich, durch das Wasser zu setzen, und Emma wurde allein hinübergetragen. Angst und Schrecken bemächtigten sich ihrer, sie rief nochmals ihren Begleiter; umsonst! sein Pferd hatte bereits einen andern Weg genommen, der schlummernde Zecher ließ sich ruhig davon tragen, und sie sah sich allein.

Nur mit großer Mühe konnte Emma ihr Pferd, das sie mit Gewalt davon tragen wollte, einen Augenblick anhalten; endlich mußte sie ihm ganz seinen Willen lassen, und es flog jetzt mit ihr über Sumpf und Hecken [85] so schnell dahin, daß Schleier und Locken um ihre Schultern wehten, und der Wind durch ihre Kleider pfiff. Erst jetzt stieg ein Gedanke an Flucht und Rettung in ihrer Seele auf. Eine rege Freude durchzitterte ihr Herz, sie gab dem treuen Rosse die Sporen, um wo möglich seinen Lauf noch mehr zu beflügeln, denn sie fand bald, daß die höchste Eile nöthig war. Ihr alter Begleiter, der, als sein Pferd mit ihm gegen einen Baum rannte, doch endlich munter geworden war, hatte sie vermißt, hatte Mittel gefunden, gleich ihr über das Wasser zu kommen, und war dicht hinter ihr. Sein lautes Rufen mußte die andern Hochzeitleute aufmerksam machen. Emma glaubte schon, das ganze Gefolge hinter sich zu sehen, und mit Gewalt zu dem Altar geschleppt zu werden, dem ein günstiges Geschick sie schon fast entrückt hatte.

Sie würde glücklich, und ohne weitere Gefahren zu bestehen entkommen sein, wenn sie nur dem Pferde, das von einem guten Geiste am Zügel geleitet wurde, freien Lauf gelassen hätte; aber sie sollte klüger sein als ihr Schutzengel. Sie trieb das Roß dahin, wohin es nicht wollte, und so sah sie sich auf einmal in der schrecklichsten Verlegenheit, in welcher sich je ein fliehendes Mädchen befunden haben mag. Der gebahnte Pfad war verlassen, unbekannte Gebirge thürmten sich vor ihr auf; mit verhängtem Zügel war der Gipfel des einen erreicht, aber jenseits desselben zeigte sich keine Zuflucht als ein andrer Hügel, der von dem Standorte des Fräuleins durch einen klafterweiten Abgrund getrennt war. Das Roß keuchte [86] unter der beängstigten Emma, ihr Herz bebte wegen der Gefahr, die hinter und vor ihr drohte. Des alten Ritters Stimme, der Huf seines Rosses tönte ganz nahe, und ward durch das Echo im Gebirge hundertfach vervielfältigt. Die fliehende Jungfrau glaubte alle ihre Verfolger hinter sich zu hören, da faßte sie den großartigen Entschluß, den noch jetzt die Mährchenerzähler mit hohem Lobe feiern, und der zwei Felsen Deutschlands mit Namen bezeichnete, die ihnen den Vorzug vor allen Bergen und Hügeln geben, welche sich in der Nähe und Ferne höher zum Himmel empor thürmen als sie.

Ein kühner Sprung über den gähnenden Abgrund nach dem gegenüberliegenden Felsen war die ganze Kleinigkeit, auf welche es hier ankam. Wahrhaftig auch nichts als eine Kleinigkeit, gegen die Gefahr, einem ungeliebten Manne angetraut, und den Armen des Geliebten auf ewig entrissen zu werden! Emma zögerte nur einige Augenblicke, und die That war geschehen, welche noch die späte Nachwelt anstaunen wird, wie sie der alte Ritter, der Einzige, der sie mit leiblichen Augen sah, anstaunte. Als das Roß den Anlauf zu dem gefährlichen Sprunge nahm, als die Jungfrau auf seinem Rücken hinüber flog, da war er bereits nahe genug, das Wunder mit anzusehen, und da er es unmöglich fand, der tollkühnen Reiterin zu folgen, so ritt er in den Wald zurück, um dem Vater der Braut die unglaubliche Geschichte zu berichten.

Während er erzählte und Niemand glaubte, während [87] man ihm endlich folgte, die Stelle in Augenschein zu nehmen, wo die That geschah, setzte das silbergraue Roß seinen Weg, Berg auf, Berg ab, mit seiner Reiterin rüstig fort. Der kleine Absprung von dem gewohnten Pfade hatte es nicht irre gemacht; es fand sich bald zurecht, und stand, ehe die schöne Emma es sich versah, vor der Burgpforte des blanken Ritters.

Als der Thurmwächter im Schimmer des untergehenden Mondes und der anbrechenden Morgendämmerung eine Dame heranreiten sah, stieß er in sein Horn, um zu melden, daß Jemand Einlaß begehre. Darauf stieg er selbst hinab, um an der Pforte zu fragen, was die Reiterin verlange. »Oeffne geschwind!« antwortete die schöne Emma, »du siehst ein Fräulein vor dir, das von Räubern verfolgt wird, und auf diesem guten Schlosse Hülfe erwartet!«

Solche Abentheuer waren in den damaligen Zeiten nichts seltnes, doch traute der Thurmwächter den Worten nicht ganz, und blickte erst durch eine Oeffnung im Thore, um die Dame näher zu betrachten. Himmel, welch ein Anblick! Die schönste junge Person von der Welt, in einem reichen Scharlachmantel gekleidet, mit einem grünen Kranz und einem goldnen Schleier auf den braunen Locken! Er hielt sie für irgend eine wohlthätige Heilige, die vom Himmel herabgekommen sei, seinen Herrn aus seinen Sterbensgedanken zu reißen. Denn, daß Ritter Wilhelm entschlossen sei, diese Nacht die Welt zu verlassen, das war nun im ganzen Schlosse kund, und [88] Niemand befand sich in demselben, der diesen grausamen Entschluß, dessen Grund Keiner wußte, nicht mit heißen Thränen beklagte.

Vor lauter Freude, daß dieser Entschluß nun nicht zur Ausführung kommen würde, ließ der Thurmwächter die Dame, von welcher er so viel hoffte, vor der Pforte stehen, und eilte hinauf in Wilhelms Vorzimmer, wo seine Leibdiener an der Thür lauschten, ob ihr geliebter Herr noch ein Lebenszeichen von sich gäbe.

Man hörte von Zeit zu Zeit noch seine Seufzer ertönen, und drang jetzt auf des Boten Vorstellung ohne Umstände in das Zimmer, um Nachricht von der Dame an der Pforte zu geben, und Verhaltungsbefehle einzuholen.

»Weil es eine Dame ist,« sagte Herr Wilhelm, indem er sich mühsam erhob, »will ich sie aufnehmen; mein letzter Hauch soll diesem Geschlechte gewidmet sein, das ich Emma's wegen verehre.«

Mit diesen Worten eilte er hinab, die Ankommende selbst zu empfangen. Sein Vorsatz war, sobald er ihretwegen die nöthigen Verfügungen getroffen, sich hinaus in die Schwerter der Verfolger zu stürzen, von welchen die Dame gesprochen, um auf diese Art einen ehrlichern Tod zu finden, als den Tod durch das eigne Schwert, zu welchem er sich als guter Christ diese ganze Nacht über glücklicherweise noch nicht hatte entschließen können.

Ich rathe einem Jeden, der solche Dinge vorhat, wie Ritter Wilhelm, sich nicht zu übereilen; die Stunde[89] des Glücks gränzt gewöhnlich ganz nahe an den Augenblick der Verzweiflung.

Als nun die Liebenden sich erblickten, als sie einander in die Arme sanken, da konnten sie vor Rührung lange Zeit nicht zu Worten kommen und nur Freudenthränen sprachen für das Uebermaß der Wonne, die ihre Herzen erfüllte.

»Wie ist's möglich,« rief Wilhelm endlich, »daß ich dich in der Stunde bei mir sehe, wo ich dich in den Armen eines Andern glauben mußte?«

»Meines Erachtens,« antwortete sie, »danken wir unser ganzes Glück diesem treuen Thiere. Dieses gute Geschöpf,« fuhr sie fort, indem sie dem silberfarbnen Rosse, das neben ihr stand, die glatte Mähne streichelte, »dieser Schutzgeist in Pferdegestalt, hat mich diese Nacht durch Gefahren hindurch getragen, vor welchen du schaudern wirst, wenn ich sie dir erzähle. Gewiß sind die Heiligen des Waldes mit im Spiel, und haben deinem Pferde zur Beschämung deines Unglaubens die Gabe ertheilt, die du eines Abends spottend für es erflehtest; wenigstens hat es seine Reiterin sicher genug an den Ort getragen, wo Glück und Liebe ihrer harren!«

Dem Ritter fiel ein, daß das Thier, von welchem die Rede war, gerade am Peterpaulsmorgen eine Wanderung in den Wald gemacht hatte, und unter der Wundereiche wiedergefunden worden war. Unmöglich dünkte es [90] ihm nicht, daß eine höhere Macht es dorthin geführt habe, die gebetene Gabe in Empfang zu nehmen. – Doch dieß waren Betrachtungen, mit welchen sich ein Mann in Wilhelms Lage nicht lange abgeben konnte; er äußerte sich daher nicht weiter darüber, sondern schritt zu wichtigern Dingen.

Das Wichtigste für ihn war, den gegenwärtigen Augenblick wahr zu nehmen, und sich der Geliebten, die ihm das Glück in die Hände geliefert hatte, auf ewig zu versichern. Da er das Fräulein zu dem willig fand, was er im Sinne hatte, so waren die nöthigen Vorkehrungen bald gemacht. Der Hauspfaff ward gerufen, mit ein paar Worten davon unterrichtet, was hier zu thun sei und da er sich dem Wunsche des Rittes fügte, so stand bald das glücklichste Brautpaar vor dem Altar. Das Band ward so fest geknüpft, als es die Kirche knüpfen kann, man machte Anstalt zu einem Hochzeitmahl, so gut es in der Eile herzustellen war, und der Neuvermählte fertigte einen Boten nach dem Schlosse seines Oheims ab, mit dem Vermelden: Der blanke Ritter sei der Verabredung eingedenk gewesen; die Braut befinde sich in seiner Gewalt, und er habe sie sich unverzüglich antrauen lassen.

Während dieß auf dem Schlosse Ritter Wilhelms vorging, standen die Hochzeitleute noch an der Stelle, wo die kühnste That geschehen war, die je eine deutsche [91] Jungfrau unternommen, und wurden einig, daß die beiden Hügel zum Angedenken derselben: Jungfernsprung und Roßtrab genannt werden sollten; aber Genebald und der Oheim zankten mit dem alten Ritter, dem Hüter des Fräuleins, nannten ihn einen Lügner und behaupteten, es sei unmöglich, daß ein Roß einen solchen Sprung gethan haben, und nicht mit dem Reiter umgekommen sein sollte. Der alte Ritter wußte wohl, was er gesehen hatte, aber beweisen konnte er es nicht; er schwieg und ließ es hingehen, daß die beiden Alten einander gegenseitig Vorwürfe über die Flucht des Fräuleins machten, und die Hochzeitgäste in lautes Murren ausbrachen, daß sie statt dos gehofften Festes sich nur mit dem Vortrunk begnügen sollten. »Folgte man meinem Rath,« sagte er halb laut, daß es nur einige Verständige hörten, »so bräche man auf und eilte nach der Burg des blanken Ritters, ehe ein Unglück geschähe. Das Brautroß war kein anderes, als der berühmte silberfarbene Zelter Ritter Wilhelms. Wer weiß, was diese Dinge für einen Zusammenhang haben! Mir ahndete gleich Anfangs nichts Gutes, und ich denke immer, dieses Thier hat die schöne Emma dahin getragen, wohin wir nicht wollten.«

Die Worte des alten Herrn wurden nicht beachtet, aber sie bestätigten sich, als Ritter Wilhelms Bote eintraf, und seine Berichte abstattete. Der alte Oheim war wüthend darüber, sich mit seinen eignen Worten gehöhnt zu sehen. Graf Genebald verbarg seinen Zorn, und die [92] Hochzeitgäste fragten murrend, wo sie nun das Mahl einnehmen sollten?

»Getrost, meine Herren,« sagte der Abgesandte des blanken Ritters, »ich habe Auftrag von meinem Gebieter, euch zum Hochzeitfeste einzuladen, das er auf seiner Burg bereitet hat. Er wird nicht ermangeln, euch bei dieser Gelegenheit seine nähern Ansprüche an das Fräulein, und die Grausamkeit aus einander zu setzen, mit welcher ihm sein Brautwerber hintergangen hat.«

Die alten Herren – die Hochzeitgäste – zogen sämmtlich dem Boten nach, wohin er sie führte. Es war in den damaligen Zeiten ein Schimpf, zu einem Gastmahle geladen zu sein, und unverrichteter Sache heimkehren zu müssen. Sie waren daher sehr erzürnt auf Genebald und den Oheim, daß sie ihnen diesen Streich gespielt hatten, und wurden es noch mehr, als sie auf Wilhelms Burg kamen, und von ihm den weit schlimmern Streich erfuhren, der ihm gespielt worden war. Sie waren sämmtlich Männer von Stande und Ansehen, die sich ungern als Theilnehmer einer Treulosigkeit wollten ausschreien lassen. Als sie daher drei Tage auf dem Schlosse des blanken Ritters geschmaußt hatten, zogen sie gen Goslar zum Kaiser, dem sie die ganze Geschichte vortrugen, und für das junge Ehepaar seine Gunst und seinen Schutz erbaten. Ihrer Bitte wurde dadurch entsprochen, daß der Kaiser die Vermählung Ritter Wilhelms mit der schönen Emma bestätigte und als rechtsgültig erkannte, ungeachtet sie ohne die väterliche Einwilligung [93] geschlossen ward. Da nun weder Genebald noch der Oheim dem mächtigen Fürsprecher der jungen Leute, dem Kaiser, ihren gewohnten Eigensinn entgegen setzen konnten, so hielten sie es für das Beste, sich mit dem Ehepaare auszusöhnen, und als der blanke Ritter den Grafentitel trug, so fand ihn Emma's Vater auch nicht mehr zu gering, sein Eidam zu heißen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Naubert, Benedikte. Märchen. Volksmährchen der Deutschen. 4. Bändchen. Jungfernsprung und Roßtrab. Jungfernsprung und Roßtrab. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5E8B-4