Selbstgenügsamkeit des Zechers

Wenn ich trinke guten Wein,
Fällt es mir mit nichten ein,
Über dieser Erde Schranken
Aufzuschwingen die Gedanken,
Und zu schaun in blaue Fernen
Nach des ew'gen Ruhmes Sternen.
Wenn ich trinke guten Wein,
Will ich nicht im Himmel sein.
Wißt ihr von dem Phaeton,
Phöbus naseweisem Sohn,
Der auf seines Vaters Wagen
Wollte durch den Himmel jagen?
Jupiter mit seinem Blitze
Schmettert' ihn vom Kutschersitze
Häuptlings in den Po hinab,
Und das Wasser ward sein Grab.
Anders ging es nicht dem Kind,
Das aus Kreta's Labyrinth
Wollt' auf seinen eitlen Schwingen
Grad' empor zur Sonne dringen.
Bald zerschmolz das Wachsgefieder,
Und der Vogel stürzte nieder:
In des Meeres bittrer Fluth
Büßt' er seinen tollen Muth.
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Phaeton und Ikarus,
Du im Meer, und du im Fluß,
Hättet ihr hübsch Wein getrunken,
Nimmer wäret ihr gesunken
Von dem hohen Himmelsbogen
In die tiefen Wasserwogen:
Die da trinken guten Wein,
Wollen nicht im Himmel sein.
Wenn ich trinke guten Wein,
Fällt mir oft eur Schicksal ein,
Und ich blick' als frommer Zecher
Nieder in den engen Becher,
Nicht empor nach Ehrensternen,
Nicht hinaus in blaue Fernen:
Wenn ich trinke guten Wein,
Mein' ich, was ich will, zu sein.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Gedichte. Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten 2. Tafellieder für Liedertafeln. Selbstgenügsamkeit des Zechers. Selbstgenügsamkeit des Zechers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-59AD-6