290. Der vergrabene Schatz.

Nicht weit von Ütersen liegt das Dorf Heist. Hier lebte vor Jahren ein alter Mann, der viel zur See gereist war und sich viele Reichtümer [194] erworben hatte. Denn so mußte man im Dorfe glauben, obwohl er nur zur Miete wohnte, weil er den Armen immer reichlich gab und immer Geld vollauf hatte. Doch nach seinem Tode fand man zur Verwunderung der Leute nichts in seiner Wohnung. Aber seit der Zeit zeigte sich auf der Loge, der Meente des Dorfes, ein großes helles Licht in dunkeln Nächten, viel größer als ein gewöhnliches Irrlicht und auch flackerte es nicht umher wie diese, sondern stand unbeweglich auf einer Stelle. Ein paar junge Bauern beschlossen endlich, es einmal näher zu untersuchen. An einem Abend, als das Licht sich wieder zeigte, gingen sie hinaus auf die Loge, und als sie in seine Nähe kamen, stießen beide nach Verabredung einen tüchtigen Fluch aus, weil sie wußten, daß ein gewöhnliches Irrlicht davor wegliefe; aber dies Licht blieb stehen. Sie fluchten zum zweiten Male und zum dritten Male; da fuhr das Licht zischend empor und floh nicht, sondern kam gerade auf sie los. Voll Schreck ergriffen sie die Flucht und erreichten eben noch das Wirtshaus, als es ihnen ganz nahe auf den Fersen war; und da sie eben die Tür zugeschottet hatten, fiel ein so furchtbarer Schlag dagegen, daß sie vor Schreck niederfielen. Am andern Morgen fand man ein großes Hufeisen darauf eingebrannt, und so oft der Tischler das Brett auch herausnahm, immer war es am andern Morgen wieder zu sehen. Nach längerer Zeit wollte der eine Bauer auf der Loge einen Feldstein mit Pulver sprengen. Als man nun eine Grube aufwarf, um den Stein dahinein zu legen, traf man auf etwas hartes und fand bald einen eisernen Kasten, der, als man ihn mit vieler Mühe öffnete, eine große Menge der allerblanksten Geldstücke enthielt. Nun erkannte man, daß sie zufällig die Stelle getroffen hätten, wo sich immer das Licht zeigte, und auf dem Deckel des Kastens war ein eben solches Hufeisen zu sehen wie an der Wirtstür. Der Bauer war so klug, das Geld nicht allein für sich zu behalten, sondern teilte es mit dem ganzen Dorfe, weil es auf der Gemeindewiese gefunden war. Seit der Zeit ist das Licht verschwunden und auch das Hufeisen an der Wirtstür blieb weg, als man ein neues Stück einsetzte. Die Loge ist jetzt seit Jahren auch aufgeteilt.


Mündlich. – Wolf, Niederl. Sagen Nr. 439 f.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Müllenhoff, Karl. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Lieder. Zweites Buch. 290. Der vergrabene Schatz. 290. Der vergrabene Schatz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5016-B