[220] Über die Nachteile, welche mit Hoheit und Größe verknüpft sind.

Weil sie uns nicht ins Maul fallen will, so wollen wir uns durch Nackenschläge rächen, und doch heißt es nicht ganz und gar eine Sache afterreden, wenn man Mängel und Fehler daran findet. Die finden sich an allen Dingen, sie mögen noch so schön und bewundernswürdig sein. Überhaupt genommen haben Hoheit und Größe diesen sichtlichen Vorzug, daß sie sich herablassen, wenn es ihnen gefällt, und so ziemlich die Wahl haben, hoch oder niedrig zu stehen. Denn man fällt nicht von jeder Höhe herab; es gibt deren, von welchen man herabsteigen kann, ohne zu fallen. Wohl deucht es mich, daß wir ihr einen zu großen Wert beilegen und auch die Entschlossenheit derjenigen überhoch schätzen, von welchen wir gesehen und gehört haben, daß sie die Hoheit verachtet oder sich derselben freiwillig begeben haben. Das Wesen der Hoheit bringt ersichtlicherweise so vielen Vorteil nicht, daß man derselben ohne Wunder nicht entsagen könnte. Ich finde es viel schwerer, das Unglück zu ertragen. Mit einem Mittelmaß von Glück hingegen zufrieden zu sein und Größe und Hoheit zu fliehen, daran sehe ich nichts Schwieriges. Das ist eine Tugend, deucht mich, zu der ich, ob ich gleich nur ein Gimpel bin, mich ohne große Anstrengung hinaufschwingen könnte. Was sollten es nicht diejenigen, welche noch den Ruhm in Anschlag bringen, der mit dieser Entbehrung verbunden ist, und vielleicht mehr Ehrgeiz besitzen als Verlangen und Empfindung nach Größe und Empfänglichkeit für ihren Genuß? Um so mehr, da der Ehrgeiz mit seinen Begierden gern auf Schleifwegen einhergeht.

Ich stärke Herz und Sinn zur Geduld und schwäche sie gegen ihre Begierden. Mir bleibt ebensoviel zu wünschen [221] übrig als einem andern, und ich lasse meinen Wünschen ebensoviel Freiheit und Unbesonnenheit. Bei alledem ist mir's noch niemals eingefallen, mir Reiche und Kronen zu wünschen noch die Höhe der Herrscherstellen. So vornehme Dinge mir zu wünschen, dazu hab' ich mich zu lieb. Wenn ich denke, zu wachsen, so geht es immer im niedrigen Wachstum, unter Messer und Schere, dergleichen sich für mich schickt, an Entschlossenheit, an Klugheit, an Gesundheit, an Schönheit und auch wohl an Reichtum. Aber das hohe Ansehen und die mächtige Größe erdrücken meine Einbildungskraft. Und als Cäsars Widerspiel würde ich lieber der Zweite oder Dritte in meiner Provinz als der Erste in der Hauptstadt sein; und gewiß und wahrhaftig wäre ich lieber der Dritte als der Erste an Amt und Würden in Paris. Ich mag nicht so arm und unbekannt sein, daß ich mich mit dem Schweizer an der Tür herumkabeln müßte noch mir durch das dicke Gedränge, welches Verehrung um mich sammelt, den Weg öffnen lassen. Die Mittelstraße, auf welche mein Schicksal mich versetzt, ist ganz nach meinem Geschmack. Auch bewies ich durch meine Aufführung, daß ich nicht sowohl suchte als vielmehr vermied, über die Stufen des Glücks hinwegzuschreiten, auf welche der liebe Gott mich durch meine Geburt versetzte. Alle natürliche Verfassung ist an sich gleich gerecht und leicht. So habe ich eine etwas träge Seele und messe das gute Glück nicht nach seiner Höhe, sondern nach der Leichtigkeit, mit welcher ich es erreichen kann.

Aber, bin ich auch nicht hochherzig, so bin ich doch offenen Herzens, und es befiehlt mir, seine Schwachheit dreist bekanntzumachen. Wenn ich eine Vergleichung anstellen sollte zwischen dem Leben des L. Thorius Balbus, eines biedern, schönen, gelehrten, gesunden Mannes, dem alle Arbeiten von Genuß und Vergnügen reichlich zu Gebote standen, der ein ruhiges unabhängiges Leben führte, dessen Seele fest war gegen Tod, gegen Aberglauben, gegen Schmerzen und was sonst noch für Sorgen des Lebens sein mögen, der endlich in einer Schlacht, mit den[222] Waffen in der Hand, zur Verteidigung seines Vaterlandes starb, und dem Leben des Marcus Regulus, groß und herrlich und weltkundig wie sein treffliches Ende, das erste ohne Namen und Würde, das andere exemplarisch und in höchstem Grade berühmt: so würde ich gewiß wie Cicero darüber sprechen, wenn ich mich ebensogut auszudrücken verstünde. Sollte ich aber eine Anwendung davon auf mein eigenes Leben machen, so würde ich auch sagen, das erste sei ebensosehr meinen Wünschen und Fähigkeiten gemäß, weil ich meine Wünsche nach meinen Fähigkeiten einschränke, wie das zweite weit über dieselben hinaus; an dieses zweite reicht nur meine Bewunderung, jenes erste möchte meine Nachahmung gern erreichen.

Kehren wir wieder zu unserer zeitlichen Größe zurück, von welcher wir ausgingen. Ich bin des Befehlens und Gehorchens müde. Otanes, einer der Sieben, welche recht hatten, auf das Persische Reich Anspruch zu machen, ergriff eine Maßregel, die ich auch gern ergriffen hätte. Er überließ seinen Mitwerbern sein Recht, dazu durch Wahl oder durchs Los zu gelangen, mit dem Bedinge, daß er und die Seinigen in diesem Reich ohne alle Unterwürfigkeit und Herrlichkeit leben könnten, ausgenommen gegen die alten Gesetze, und jede Freiheit genießen sollten, welche diesen nicht widerspräche. Er mochte ebensowenig befehlen, als unter Befehlen stehen.

Das sauerste und schwerste Handwerk der Welt ist nach meiner Meinung die würdige Verwaltung des Königtums. Ich entschuldige an einem König viel mehr Fehler, als man gewöhnlich zu tun pflegt, wenn ich die ungeheure Last seiner Pflichten erwäge, vor der ich erschrecke. Es ist schwer, bei einer so ungemessenen Gewalt das rechte Maß zu halten. Gleichwohl ist es selbst für solche Personen, deren Herz und Geist nicht von der höchsten Vortrefflichkeit sind, ein sonderbarer Reiz zur Tugend, auf einen Platz gestellt zu sein, woselbst man keine edle Handlung ausübt, die nicht in Rechnung gebracht werde und auf welchem jede, auch die geringste Wohltat auf so viele Menschen Einfluß hat; wo Geschicklichkeit im Benehmen, wie [223] bei den Predigern, hauptsächlich an das Volk gerichtet ist, an einen Richter, der es nicht sehr genau nimmt, der leicht zu täuschen und leicht zu befriedigen ist. Es gibt wenige Dinge, die wir ganz richtig beurteilen können, weil es wenige gibt, an welchen wir nicht auf eine oder die andere Weise einen persönlichen Anteil nehmen. Das Herrschen und das Gehorchen, die Herrlichkeit und die Untertänigkeit sind zu gegenseitiger Eifersucht und Widerspenstigkeit verbunden; sie müssen sich beständig einander beengen. Ich glaube keiner von beiden, wenn sie mir die Rechte der andern erklären will. Laß die Vernunft darüber sprechen, welche unparteiisch und unbestechbar ist, wenn wir es nur dahinbringen können, ihre Stimme zu vernehmen. Es ist noch keinen Monat her, als ich zwei Werke von Schottländern durchblätterte, die sich über diesen Gegenstand zankten. Der Volksfreund setzt den König tiefer herab als einen Kärrner; der Königsfreund erhebt ihn an Gewalt und Machtvollkommenheit einige Klafter hoch über die Gottheit.

Die Beschwerlichkeit der Größe aber, welche ich wegen einiger Veranlassungen, die mir kürzlich darüber aufstiegen, hier zu bemerken mir vorgesetzt habe, besteht in folgendem. In dem Umgang mit Menschen ist vielleicht nichts lustiger anzuschauen als der Eifer um Ehre und Tapferkeit, womit wir in Leibes-oder Geistesübungen einer dem andern zuvoreifern. Daran nimmt die Fürstengröße niemals wahren Anteil. In der Tat ist es mir oft vorgekommen, als behandle man dabei aus übergroßem Respekt die Prinzen niedrig und verächtlich. Denn was mich in meiner Kindheit unendlich verdroß, daß meine Gegner nie Ernst aus der Sache machten, weil sie mich für unwürdig hielten, ihre Kräfte gegen mich anzuwenden, das widerfährt den Fürsten alle Tage, weil sich jedermann für unwürdig hält, sich mit ihnen zu messen. Wenn man es ihnen nur im geringsten anmerkt, daß sie in irgendeiner Sache gern den Vorzug haben möchten, so beeifert sich gleich jedermann, ihnen solchen zu lassen, und schlägt lieber seinen eigenen Ruhm in die Schanze, als daß er [224] ihnen den ihrigen nicht ganz lassen sollte. Man beut gegen sie gerade nur so viel Kraft auf, als nötig ist, sie mit Ehren gewinnen zu lassen. Welchen Anteil haben sie an einem Gefecht, wo jedermann für sie ficht? Mich deucht, ich sehe die Ritter der Vorwelt mit bezauberten Leibern und Waffen zum Ringen und Fechten in die Schranken treten. Crisson, der mit dem Alexander um die Wette lief, ließ ihn mit Fleiß überwinden. Alexander schalt ihn darüber; aber er hätte ihn dafür sollen geißeln lassen. In dieser Hinsicht sagte Carneades: Fürstenkinder lernen nichts gründlich als Pferde behandeln; denn in allen anderen Übungen gibt jeder ihnen nach und gewonnen. Ein Pferd aber, welches weder ein Schmeichler noch Hofschranz ist, wirft den Sohn eines Königs ebensogut ab als den Sohn eines Karrenschiebers. Homer hat sich genötigt gesehen, die Venus, eine so zarte, süße Heilige, im Kampf vor Troja verwundet werden zu lassen, um ihren Mut und ihre Dreistigkeit preisen zu können; Eigenschaften, die niemandem zukommen, der von aller Gefahr befreit ist. Man stellt die Götter vor, wie sie sich erzürnen, fürchten, fliehen, eifersüchtig sind, wehklagen, etwas heftig wünschen und hitzig werden, um sie mit den Tugenden zu beehren, welche unter uns aus diesen Unvollkommenheiten entspringen. Wer nicht teil an der Beschwerlichkeit und dem Wagnis nimmt, kann auch keinen Teil an der Ehre und dem Vergnügen nehmen, welche auf gewagte Handlungen erfolgen. Es ist ein Elend, so allvermögend zu sein, daß sich gleich jedes Ding nach seinem Willen fügt. Der Stand der Großen entfernt sie zu weit von aller Geselligkeit und Gesellschaft und stellt sie zu sehr allein. Diese so gar mühelose Leichtigkeit, alles unter seinen Willen zu beugen, ist eine Feindin aller Arten von Vergnügen. Das heißt fortgleiten, aber nicht gehen, schlafen, aber nicht leben. Man stelle sich einen Menschen vor, der mit Allmacht begabt wäre; er wäre dadurch höchst unglücklich. Er wird gedrungen werden, um Hindernisse und Widerstand wie um Almosen zu bitten. Sein Wesen und sein Vermögen besteht in Dürftigkeit. [225] Die guten Eigenschaften der Fürsten sind erstorben und verloren; denn man erkennt jene nicht als durch Vergleichung, und diese sind über alle Vergleichungen hinaus. Sie haben nur wenige Kunst vom Lobe, weil sie mit beständigem und gleichförmigem wahrem Beifall betäubt werden. Haben sie mit dem Dümmsten ihrer Untertanen zu schaffen, so haben sie nicht die geringste Gelegenheit, sich einen Vorteil über ihn zuzuschreiben; denn wenn er sagt: »Es ist ja mein Herr«, so meint er damit zur Genüge gesagt zu haben, daß er selbst die Hand dazu geboten, sich überwinden zu lassen. Diese Eigenschaft erstickt und vernichtet alle andern wahren und wesentlichen Eigenschaften; sie sind alle im Königtum vergraben, und man läßt ihnen, um sich eigenen Wert zu geben, nichts übrig als Handlungen, die sich unmittelbar auf sie selbst beziehen und ihnen zu den Verrichtungen ihres königlichen Amtes behilflich sind. Sie sind so sehr Könige, daß sie weiter nichts als Könige sind. Dieser fremde Schein, welcher sie umringt, verbirgt sie und entzieht sie unserm Gesicht. Unser Blick wird durch dieses grelle Licht gebrochen und verstreut. Der Senat sprach dem Tiberius den Preis der Beredsamkeit zu. Dieser schlug ihn aus, weil er dafür hielt, ein so wenig freies Urteil, wenn er es auch verdient hätte, könne ihm keine Ehre machen.

So wie man ihnen alle Vorzüge der Ehre einräumt, so bestärkt und bestätigt man sie auch in allen Fehlern und Lastern, die sie an sich haben, nicht bloß durch Beifall, sondern auch durch Nachahmung. Alexanders ganzes Gefolge trug den Hals schief wie er. Die Schmeichler des Dionysius traten sich in seiner Gegenwart auf die Füße, stießen sich an die Köpfe und warfen alles um, was ihnen vor die Füße kam, um dadurch anzudeuten, sie hätten alle ein ebenso kurzes Gesicht als er. Auch Bruchbänder haben zuweilen zu fürstlichen Gnaden und Gunsten empfohlen. Und weil der Herr seine Gemahlin haßte, so erlebte Plutarch, daß die Hofschranzen den ihrigen, die sie liebten, den Scheidebrief gaben. Was noch mehr ist, der Ehebruch hat seine Zeit gehabt, wo er, wie [226] alle übrigen Liederlichkeiten, in Ehren und Ansehen stand. Desgleichen Falschheit, Gotteslästerung, Grausamkeit, Ketzerei, Aberglauben und Unglauben, Weichlichkeit und noch schlimmere Laster, wenn es schlimmere Laster gibt. Noch gefährlicher war dieses Beispiel als das der Schmeichler des Mithridates, die, weil ihr Herr auf die Ehre Anspruch machte, ein guter Arzt zu sein, sich von ihm schneiden und brennen ließen; denn jene ließen ihre Seelen schneiden und brennen, welche doch ein edlerer und zarterer Teil ist. Aber um zu enden wie ich anfing: Als der Kaiser Adrian mit dem Philosophen Favorinus über die Erklärung eines Worts stritt, gab ihm Favorinus ziemlich bald recht. Seine Freunde beschwerten sich darüber: »Was wollt ihr denn«, antwortete der, »sollte er nicht gelehrter sein als ich? Er hat dreißig Legionen zu seinem Befehl.« Augustus schrieb Verse gegen den Asinius Pollio. »Ich«, sagte Pollio, »lasse das wohl bleiben. Es wäre nicht klüglich, gegen den zu schreiben, der meine Acht unterschreiben kann.« Die Leute hatten beide recht. Als Dionysius dem Philoxenus in der Dichtkunst und dem Plato in der Wohlredenheit nicht gleichkommen konnte, schickte er jenen in die Steinbrüche und ließ diesen als Sklaven auf der Insel Ägina verkaufen.

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TextGrid Repository (2012). Montaigne, Michel de. Essays. Essays (Auswahl). Über die Nachteile, welche mit Hoheit und Größe verknüpft sind. Über die Nachteile, welche mit Hoheit und Größe verknüpft sind. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-39C8-6