1.
Am Eingange des Dorfes lag ein kleines einstöckiges Häuschen, dessen roth angestrichenes Fachwerk munter aus dem frischen Weiß der Wände hervortrat. An einem Fenster des Wohnstübchens saß Meister Peter Fährmann, der »Bonapartenschuster« genannt, und betrachtete nachdenklich das gegenüber liegende Vordergebäude des stattlichen »Kaiserhofes«.
»Komm her, Vater; bitt', geh' auch herbei, Mutter; das Essen ist fertig!« weckte ihn eine freundliche Stimme aus seinem Sinnen.
Die Eltern folgten der Einladung, stellten sich an ihre gewohnten Plätze und nachdem der Hausvater der schmucken Tochter zugenickt, faltete diese die Hände und betete:
»Heute mag es bei Kaisers hoch hergeh'n!« bemerkte die Mutter, als das Klappern der Löffel und Messer etwas nachzulassen begann. »Wenn der Beutel so groß ist und voll, wie bei denen, so kann man sich bei der Brautschau schon sehen lassen. Aber, Bertha, Du willst heute wohl gar nichts essen?«
Das Mädchen senkte das Köpfchen tiefer über den fast noch unberührten Teller und schwieg. Der Vater überhob sie einer Antwort:
»Die richtige vornehme Frau bekommt der Wilhelm, das muß man sagen. Und fest scheint die Sache auch schon zu sein, denn sie ist ja schon gleich in der Kirche gewesen und hat mit ihrem Seidenstaate dagesessen wie die Prinzeß von ›Schautmichan‹.«
Man sah es dem offenen Gesichte des Sprechers an, daß nicht der Neid ihm diese Worte in den Mund gelegt hatte. Der tiefe Mißmuth, welcher ihn überkam, so oft von seinem Nachbar, dem Kaiserbauer, die Rede war, hatte einen ganz anderen Grund, einen Grund, der weit, weit in die Vergangenheit zurückgriff und auf Ereignissen beruhte, über denen der Schleier der Verborgenheit ausgebreitet lag. –
Indessen saß drüben in dem Kaiserhofe das Gesinde in der Knechtestube bereits beim Essen, in dem Staatszimmer war nun auch angerichtet und der Hausherr erhob seine schwere Gestalt aus dem Polster des schwellenden Sopha's, auf welchem er mit der zukünftigen Schwiegertochter gesessen hatte.
»Na, da kommt, setzt Euch her und laßt's Euch schmecken! Steinmüller, Du hast mich brav ausgefüttert, als ich bei Dir zum Anspruch war; nun sieh', ob der Kaiserhof auch 'was leisten kann! Aber wo bleibt denn der Wilhelm?«
Der Genannte, sein einziger Sohn und Erbe, erschien erst nach längerem Suchen und Rufen und machte Miene, sich neben der Mutter niederzulassen.
»Halt, Bursch',« gebot Kaiser; »heut ist Dein Platz ein anderer. Geh' her zum Fräulein Gretchen und thu' nicht, als könntest Du kein Mädel grade anschauen!«
Erst auf den besorgten Blick, welchen ihm die Bäuerin zuwarf, gehorchte dieser, aber obgleich seine Nachbarin sich alle mögliche Mühe gab, liebenswürdig zu scheinen, widmete er ihr nur die allernothwendigste Aufmerksamkeit, sah ernst und wortkarg vor sich nieder, und wie ein Teller da drüben im kleinen Häuschen, so wollte auch der seinige nicht leer werden. Trotz der zornigen Winke, welche der Vater ihm verstohlen gab, war er der Erste, welcher sich erhob und das Zimmer verließ.
»Hör', Kaiser,« gab der Müller seinem Unmuthe Ausdruck, »der Junge will mir nicht gefallen. Er ist doch ein Bursch', der [190] sich sehen lassen kann; also warum thut er denn so zimperlich mit meiner Gret'? Die Steinmühle wird nicht viel geringer sein als der Kaiserhof, und meine Tochter darf nur die Hände hinaus thun, so hängt gleich an jedem Finger Einer. Das sollte der Wilhelm doch wissen!«
»Brauchst Dich nicht so in Eifer hinein zu reden, Steinmüller. Er ist sonst immer bei der Spritz' und hat ganz Alles auf der rechten Stelle, aber mit der Gret' scheint er eben noch ein wenig zaghaft zu sein. Trink' nur immer weiter, ich bin gleich wieder da!«
Er stand auf und ging hinaus, um den Sohn zu suchen. Dieser stand hinter der Gartenhecke und beobachtete über die Straße hinweg Bertha, welche jetzt drüben mit dem Strickstrumpfe am geöffneten Fenster saß. Ihr Gesicht schaute wie ein liebliches Gemälde aus dem Rahmen hervor; es hatte, nur in weicheren Linien, denselben fremdartigen Schnitt, welcher die südliche Abstammung ihres Vaters verrieth. – –
Als 1813 die Franzosen unter Vandamme bei Kulm und Nollendorf von den Verbündeten geschlagen waren, hatten viele der Fliehenden ihren Weg über das Gebirge genommen und bei den freundlichen Dörflern wohlwollende Aufnahme und Pflege gefunden. Eines Abends war der Vater des jetzigen Kaiserbauers von einem französischen Sergeanten herausgeklopft und zu einem Wagen geführt worden, in welchem eine kranke Frau mit einem kleinen Knaben gelegen hatte. Auf das Zureden seiner Frau war er bereit gewesen, die Obdachlose aufzunehmen; dann hatte sich der Soldat entfernt und vorher in einem kaum verständlichen Deutsch zu verstehen gegeben, daß er gehen wolle, um seinen Herrn, einen hohen Offizier, zu suchen. Er war jedoch niemals zurückgekehrt. Die Kranke hatte nur noch wenige Tage gelebt und ihr Söhnchen war nach einiger Zeit von Gemeinde wegen an einen armen kinderlosen Flickschuster als den Mindestfordernden versteigert worden. Dieser hatte sich des Verwaisten in väterlicher Liebe angenommen, ihn in seinem Handwerke unterrichtet und ihm dann auch nach seinem Tode das alte Häuschen hinterlassen, an dessen Stelle der herangewachsene Findling, den der Volksmund in Beziehung auf seine Abstammung und die politischen Ereignisse, unter denen er in das Dorf gekommen war, nur den »Bonapartenschuster« nannte, später das jetzige erbaute.
Während er sich im Laufe der Zeit ein zwar kleines, aber freundliches und musterhaft bewirthetes Besitzthum zusammengerundet hatte, war es mit Kaisers schneller vorwärts gegangen. Die früher nur mäßige Wohlhabenheit der Familie war in solcher Kürze zu einem offen zur Schau getragenen Reichthum geworden, daß sich die Nachbarn diese Veränderung nicht mit gewöhnlichen Gründen zu erklären vermochten. Hier mußte ein ganz besonderer Umstand obgewaltet haben, und da man keinen anderen kannte, so sprach man erst heimlich und sodann offener davon, daß die Habe jener verstorbenen Französin wohl bedeutender gewesen sei, als Kaiser angegeben hatte. Auf diese Vermuthung hindeutend, nannten die Dorfbewohner, wenn der alte Kaiser es nicht hörte, seine Besitzung auch wohl den »Franzosenhof«.
Wilhelm, der junge Kaiserbauer, kannte dieses Gerücht, es war zu alt und zu tief eingewurzelt, als daß es ihm hätte entgehen können, aber niemals hatte er mit solchem Ernste daran gedacht als jetzt, wo er aus Rücksicht auf das leidige Vermögen zu einem Schritte gezwungen werden sollte, von dem er fühlte, daß er ihm nie Heil und Segen bringen werde. Hatten die Leute die Wahrheit errathen, so war ja der Reichthum des Vaters ein unrechtmäßig erworbener, und wer war der rechtliche Besitzer? Niemand anders als der »Bonapartenschuster«, der Vater der hübschen Bertha, die neben ihm aufgewachsen und seine Schulkameradin gewesen war. Er mußte jetzt immer und immer wieder hinüberblicken zu ihr, und je länger er sie betrachtete, desto fester wurde sein Entschluß, die geplante Verbindung von sich abzuweisen, es koste was es wolle.
»Warum stehst Du hier und bleibst nicht drin in der Stube, wo Du hingehörst?« frug die Stimme des Vaters neben ihm.
»Was hab' ich in der Stube zu suchen?«
»So! Du weißt wohl plötzlich gar nicht mehr, weshalb ich die Gäste eigentlich geladen hab'?«
»Das weiß ich schon; aber warum grad auch ich mit dabei sein soll, das will mir nicht einleuchten. Die Margreth braucht mir zu viel Platz; ich bleib' hier im Garten.«
»Das klingt ja ganz wunderschön! Der Kaiserbauer ist gar nicht mehr Herr im Hause; sein Bub' macht, was er will, und führt den Trotz spazieren.«
»Nein, Vater, das hab' ich niemals nicht versucht und möcht's auch nimmer thun. Nun aber hat Dich der Pfiffikus, der Steinmüller, bethört mit schönen Reden, weil ihm das Wasser an der Kehle steht und er sich nicht mehr anders zu helfen weiß. Er hat schlecht gewirthschaftet, und Du gehst in das Garn, weil er den Vornehmen spielt und das Fräulein Gretchen Dich hübsch am Barte zupft. Du kommst nicht aus dem Hause und hörst nichts von dem, was sich die Leut' von ihm erzählen, er macht Dir ein X für ein U; ich laß mich aber nicht als Flicklappen auf dem Steinmüller seine Mehlsäcke setzen, die er noch nicht bezahlt hat, obgleich sie schon längst zerrissen sind!«
»Mach' mir nur keine Faxen vor! Wie's mit dem Müller steht, darüber braucht mich gar Niemand zu belehren; ich hab' mir die Aecker besehen, die Wiesen und Gärten, das Hausgrundstück und auch die Bücher, die er führt; er ist ein reicher Mann, fast reicher noch als ich, und Du nimmst die Margreth. Am Nachmittag geht's zum Tanz und heut über die Woche ist die Verlobung. Mach's anders, wenn Du kannst. Jetzt aber geh' hinein und schick' ihn zu mir in die Oberstub'!«
Er war gewohnt, daß jedes seiner Worte Geltung finde, darum überzeugte er sich auch gar nicht erst, ob dem letzteren Befehle Gehorsam geleistet werde, sondern kehrte stracks in das Haus zurück. Dort begab er sich in das bezeichnete Zimmer und trat zu einer alten, mit zierlichem Schnitzwerke versehenen Wanduhr, welche er öffnete. Sie war jedenfalls ein Erb- und Familienstück und hatte wohl schon oft zu geheimen Zwecken gedient, wie ihr Inneres bewies, welches das eigentliche Uhrwerk und neben demselben ein geheimes Fach enthielt, welches Kaiser öffnete, um einige Kästchen und sorgfältig umwundene Packete hervor zu langen. Kaum hatte er die Vorrichtung wieder geschlossen und die Uhr in ihre vorige Stellung zurückgebracht, so trat der Steinmüller ein.
»Schieb' den Riegel vor, Müller, und komm dann her, damit Du Dir die Steine und das Geschmeide anschaust!«
Er öffnete die Etuis und löste die Umhüllungen. Mit gierigen Augen und unter bewundernden Ausrufungen betrachtete der Müller den kostbaren und in allen Farben funkelnden Inhalt.
»Du bist ja nicht gescheidt, daß Du einen solchen Reichthum bei Dir unnütz im Kasten liegen läßt! Gib her, das muß ich greifen!«
Während er jeden einzelnen Schmuckgegenstand wie taxirend in den Händen wog, verzerrte die Habgier seine Züge, und ein anderer Mann als der Kaiserbauer hätte aus seinem unbeherrschten Lächeln sehr leicht auf Gedanken schließen können, die keiner lauteren Quelle entsprangen.
»Der Vater hat nicht gewußt, wie er die Sachen los werden sollte, und ich auch nicht. Jetzt ist aber Dein Schwager Juwelenhändler und ich hab' Vertrauen zu Dir gefaßt und Dir die Geschichte erzählt. Wenn mein Bub' Deine Tochter nimmt, so kannst Du mich nicht verrathen, und Dein Schade soll's nimmer sein, wenn Dir die Sache gelingt. Wird er die Steine kaufen?«
»Ich denk'! Er sagt, ich soll sie ihm nur bringen, damit er sie sehen und taxiren kann. Aber bald, noch diese Woche, weil's ihm grad' mit der Zahlung paßt.«
»Nein, das geht nicht. Erst muß die Heirath fertig sein, eh' ich es wage. Ich hab' Dir die Gegenstände nur gezeigt, um Dich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gesprochen hab'.«
»Warum nicht früher? Du wirst doch nicht glauben, daß ich Dich um das Deinige betrüge und dann mein Wort zurücknehme von wegen unsern Kindern!«
»Nein, das glaub' ich schon nicht, denn so 'was bringst Du nicht zu Stande bei mir. Ich geb' die Steine gar nimmer aus der Hand, bis ich das Geld einstecken kann, und Du sollst blos die Unterhandlung führen. Ich setze zu viel auf diese Karte, als daß ich mir nicht Alles ganz genau und reiflich überlegen sollte.«
»Ach, so ist das gemeint?« frug der Müller, dem es kaum gelang, seine Enttäuschung nothdürftig zu verbergen. »So heb' sie auf, aber schau auch zu, daß der Wilhelm Dir die Rechnung nicht verdirbt!«
»Dafür laß Du mich nur sorgen! Ich bin der Kaiserbauer, und wenn der was will, so ziehen zehn Pferde ihn nicht vom Platz hinweg!«