[203] Tui Fanua
Ein Abenteuer auf den Samoa-Inseln von Prinz Muhamêl Latréaumont

1. Unter Menschenfressern

I.

Unter Menschenfressern

Gibt es in irgend einer Sprache der Welt ein abscheulicheres Wort als das Wort Menschenfresser? Ich glaube es nicht.

Wie schauderte ich als Kind, wenn mir meine alte Gouvernante das Märchen von jenem Riesen mit zwei Mäulern erzählte, der mit dem einen Maule sagte: »Es riecht nach frischem Menschenfleisch!« und mit dem andern dann die Unglücklichen mit Haut und Haar, mit Rock, Hose und Stiefel verspeiste!

Mit welchem Gefühle las ich dann als Knabe jene Reisebeschreibungen, welche den Leser in Länder führen, deren Bewohner nichts lieber genießen als ein Stück saftigen Menschenbraten!

Und als dann das rücksichtslose Schicksal den Jüngling hinaustrieb in das wilde sturmbewegte Leben, lernte ich die Gluth der Sahara und den Schneesturm der wilden Gobi, die Kaffernhorden Südafrikas und die Indianerstämme des »wilden Westens«, die heiligen Pyramiden des Nils und die versunkenen Atobesstädte in den Klüften der Kordilleren kennen. Ich sah die Ueberreste von Völkern, welche von christlichen Kugeln, christlichem Branntwein und christlichen Krankheiten hingemordet wurden, ich sah die Korruption wüthen unter Nationen, welche noch vor kurzer Zeit stark und kräftig waren; ich sah Menschen tödten, Menschen unterdrücken, Menschen knechten, Menschen um ihre heiligsten Rechte betrügen; aber Menschen geradezu – fressen zu sehen, das war mir denn doch noch nicht vorgekommen, so daß ich schließlich beinahe nicht mehr an das Dasein von Kabalen glauben wollte.

Ein heiterer wolkenloser Himmel breitete sich über uns aus, aber das strahlende Licht der Sonne vermochte die finsteren Schatten nicht zu verscheuchen, welche auf den Zügen der wackern Seeleute lagen, die mit mir um das lodernde Feuer saßen, an welchem wir unser Mittagsmahl bereiteten.

Vor uns dehnte sich der niedere Strand, umgeben von drei scharfen gefährlichen Korallenringen, außerhalb deren die See ihre weiten glitzernden Wogen wälzte, während zwischen ihnen und dem Küstensaume das Wasser so still, so ruhig und unbewegt lag, als habe nie ein Sturm diese sonnendurchglühten Breiten durchtobt.

Hinter uns stieg das Land zur Höhe, hier und da von grünen Eucalyptussträuchern, dichten Melaleuceen 1 und Gruppen von Callitriskoniferen bestanden, unter und zwischen denen zahlreiche Akazien und andere Leguminosenarten eine dichte Bodenbekleidung bildeten.

Auf dem höchsten Punkte der Insel stand Will, der Schiffsseiler, denn an ihm war die Reihe, mit dem Fernrohre unausgesetzt den Horizont nach irgend einer Art von Segel abzusuchen, welches uns Befreiung aus unserer nichts weniger als angenehmen Lage bringen konnte.

Wir hatten vor ungefähr sechs Wochen mit unserem guten Dreimaster »Jonathan« Valparaiso verlassen, um nach Hongkong zu segeln, in kurzer Zeit die sehr frequentirte Linie nach Callao, Quayaquil, Panama und Akapulko durchschnitten und waren dann vor einem steifen Südostpassat in schneller glücklicher Fahrt immer scharf nach West gegangen, bis auf der ungefähren Höhe von Tubuai der Passat in einen Orkan umschlug, wie ich ihn von solcher Stärke und Unwiderstehlichkeit während meiner vielen Fahrten noch niemals erlebt hatte.

Wir waren gezwungen gewesen, außer dem Sturmsegel alle Leinwand einzuziehen, und dennoch hatte der »Jonathan« mehrere Tage lang einen Spielball der empörten Wogen gebildet, der durch keine menschliche Einsicht, Kraft und Geschicklichkeit zu regieren gewesen war. Das Steuer ging verloren, zwei Maste mußten gekapt werden, und jetzt lag das Schiff gestrandet draußen zwischen den verrätherischen Korallenklippen. Der Kutter war während des Sturmes über Bord gerissen worden; die Schaluppe hatte bei unserer Strandung ein unheilbares Leck bekommen, und das Langboot stak auf einem spitzen haarscharfen Riffe, welches sich wie ein malayischer Dolch in seinen Bug gebohrt hatte.

Draußen riß die Brandung Planke um Planke von dem Wrak, welches unrettbar verloren war, und wir hatten zwei Tage lang unter Anstrengung aller Kräfte arbeiten müssen, um von der Fracht und dem Proviante so viel zu bergen, als wir der gefräßigen See zu entreißen vermochten.

Nun war es mit der schweren Arbeit zu Ende, und wir saßen, wie bereits gesagt, zwischen großen Fässern, Kisten und Waarenballen um das Feuer und bemühten uns, Einer den Andern an Düsterheit der Mienen zu übertreffen.

Seitwärts stand Kapitän Hammer und bemühte sich, mit Hilfe der geretteten Instrumente die Länge und Breite, in welcher wir uns befanden, abzunehmen. Wir hatten seit heute früh wieder freien Himmel, und es konnte ihm also nun nicht schwer werden, seine Aufgabe genau zu lösen.

»Nun, seid Ihr fertig, Kapt'n?« frug der Steuermann.

Er nahm dabei ein mächtiges Stück Salzfleisch vom Feuer und durchstach es mit dem Messer, um die Bratschärfe zu prüfen, welche es erlangt hatte.

»Aye, aye, Maat, bin fertig,« lautete die Antwort.

»Nun, wo sind wir?«

»Wir sitzen elf Grad nördlich vom Steinbock und hundertfünfzig westlich von Ferro, und zwar wie es scheint auf einem kleinen Eilande, welches noch keinen Namen hat.«

[203] »Es ist nicht auf der Karte verzeichnet?«

»Nein.«

»Der Teufel hole dieses Eiland mit sammt den Karten!«

»Meinetwegen! Aber jetzt noch nicht, so lange wir uns hier befinden.«

»Wollte, ich säße daheim in Boston bei meiner Alten und hätte einen festen Schemel oder Stuhl unter mir statt dieser unglückseligen Insel, die uns unser wackeres Schiff gekostet hat!«

»Wäre mir auch lieber. Werde aber das Eiland aufzeichnen und ihm einen Namen geben.«

»Wißt Ihr ungefähr, welches die nächste Insel sein wird?«

»Hm, das ist schwer zu sagen, denn hier gibt es mehr Inseln als Pockennarben in Eurem Gesichte, und das ist ziemlich viel gesagt, wie Ihr wohl wissen werdet, Maate. Habt Ihr für jede Narbe gleich den richtigen Namen bei der Hand?«

Der Steuermann war eifrig bemüht, das Kompliment, welches dieser Vergleich für ihn enthielt, mit einem allerdings sehr sauren Lächeln zu erwidern; doch klärte sich sein Gesicht sehr schnell wieder auf.

»Habe noch nicht daran gedacht, meine ehrliche Physiognomie zu benamsen, Kapt'n,« antwortete er. »Aber wenn dieses unglückselige Stück Koralle hier noch keinen Namen hat, so sind wir wahrhaftig gezwungen, ihm einen zu geben. Ich schlage also vor, wir heißen das Eiland Maatepockennarbeninsel.«

Er schien seinen Witz für außerordentlich geistreich zu halten, denn seine Gesichtssäure war vollständig verschwunden, und neben dem riesigen Stücke Kautabaks, welches er im Munde hatte, drängte sich ein Lachen hervor, welches nicht herzlicher und kräftiger gedacht werden konnte.

Die Schiffsdisziplin ist eine außerordentlich strenge und exakte und selbst der »unbefahrenste« Seejunge weiß, daß Alle einstimmen müssen, wenn der Kapitän oder der Maate so gnädig ist zu lachen, nur muß der Eine sich leiser und der Andere lauter betheiligen, je nach dem Range, den er in der Schiffsliste einnimmt. Daher öffneten jetzt alle Mannen vom Hochbootsmann an bis zum Kajütenhelp herab die Lippen, um ihre Lachmuskeln pflichtschuldigst in Bewegung zu setzen. Sogar der Kapitän verzog den Mund, zum Zeichen, daß er sich entschlossen habe ein beistimmendes Lächeln zu versuchen und meinte dann:

»Ich glaube, daß wir uns so ziemlich in der Mitte der Samoa- und der Tongagruppe befinden und gleich weit nach Tutuila und Vavao haben. Was meint Ihr dazu, Sir?«

Diese Frage wurde an mich gerichtet.

Ich war auf dem Schiffe der einzige Passagier gewesen, und der sonst sehr schweigsame Kapitän hatte sich sehr viel mit mir unterhalten. Es war mir dabei vorgekommen, als ob ich mich seiner Zuneigung rühmen dürfe, und er hatte wirklich die Gewohnheit angenommen, mich mehr zu Rathe zu ziehen, als es sonst von einem Seemanne einem Laien gegenüber zu geschehen pflegt. Daher kam es, daß die Mannschaft einen gewissen Respekt vor mir hegte, der mir in manchen Fällen sehr zu statten kam und sehr oft eine kleine Bevorzugung oder Erleichterung zur Folge hatte.

»Meine Berechnung stimmt ganz mit der Eurigen, Sir,« antwortete ich ihm. »Zwar bin ich in dieser Breite noch nie gewesen, aber ich habe mich genau über sie unterrichtet, so daß ich mit Bestimmtheit sagen darf, daß Ihr Euch nicht irrt.«

»Ich war auch noch nicht hier,« gestand der Kapitän. »Wollt Ihr mir wohl sagen, wie die Samoa- und die Tongainseln gebaut sind?«

»Die Samoainseln sollen nach allen Berichten, die man von ihnen liest, noch reizender und lieblicher sein als die tahiti'sche Inselwelt. Sie liegen zwischen dem dreizehnten und fünfzehnten Grad südlicher Breite und dem hunderteinundfünfzigsten bis fünfundfünfzigsten Grad westlicher Länge von Ferro. Sie bestehen aus vier größeren Inseln, welche Savai, Opolou, Tutuila und Manua heißen, und mehreren Eilanden, unter denen Manono und Apolima die bemerkenswerthesten sind, und sind alle vulkanischen Ursprunges, entgegengesetzt mehreren anderen Gruppen, welche, wie diese hier, auf der wir uns befinden, von Korallen erbaut wurden.«

»Und die Tongainseln?«

»Liegen achtzehn bis zweiundzwanzig Grade südlicher Breite und hundertvierundfünfzig bis siebenundfünfzig Grade westlich von Ferro. Die drei größeren heißen Vavao, Tonga-Tabu und Eua, die andern erscheinen fast nur als Punkte auf der Karte des großen Ozeans; auch kommen sie an romantischer Naturschönheit dem Samoaarchipel nicht gleich.«

»Gute Häfen gibt es auf Beiden.«

»Auf Samoa sind sie besser als auf Tonga.«

»Wie weit rechnet Ihr von hier bis nach Samoa, Sir Latréaumont?«

»Wenn wir erst genau West nehmen und dann grad nach Nord umlegen, sind es sechzig Meilen, schneiden wir aber von hier grad nach Nord, so haben wir etwas weniger.«

»Warum sollten wir erst nach West gehen?«

»Die Strömung zu benützen, Kapt'n. Dieser Weg wäre der kürzere, trotzdem er der weitere ist.«

Kapitän Hammer sah mich bei dieser Auseinandersetzung etwas von der Seite an. Der gute Roberts war nämlich auf den ihm gewohnten Kursen ein ganz braver Schiffsführer, schien aber in andern Lagen etwas unsicher zu sein.

»Hm, wäre schon ganz gut, wenn man, statt hier festzusitzen, ein Schiff unter den Füßen hätte!«

»Well! Ich gab Euch ja den Rath, so viel Holz wie möglich zu bergen, um ein Fahrzeug daraus zu bauen. Wir haben ja den Zimmermann und konnten Alle mit Hand anlegen. Auch aus der Schaluppe, wenn wir sie nicht fahren ließen, und dem Kutter hätte sich etwas machen lassen. Ihr aber habt das Gut gerettet, und nun sitzen wir fest.«

»Schön, Sir, das ist Eure Meinung,« antwortete er ein wenig unmuthig. »Ihr wißt aber, daß in solchen Dingen nur die Ansicht des Kapitäns zu gelten hat. Das Gut ist mir anvertraut, und ich muß es zu retten suchen.«

»Richtig, Kapt'n! Aber das Leben Eurer Mannen ist Euch ebenso anvertraut, und wenn es eine Rettung gilt, so sind die Menschen wohl höher anzuschlagen als die Fracht. Wir sind, wenn sich kein Schiff zeigt, hier so viel wie verloren, da wir auf dieser kleinen Insel für so viele Leute unmöglich den vollständigen Lebensunterhalt auf die Dauer finden können. Sucht Euch hinreichende Fruchtbäume! Fische gibt es vielleicht wenig, und die paar Seevögel, welche ich da sehe, werden wohl auch nicht lange reichen.«

»Hm, Ihr wollt mir Vorwürfe machen, Sir?«

»Nein, ich denke gar nicht daran. Es gilt nur, uns die Lage zu vergegenwärtigen, in welcher wir uns befinden, damit wir erfahren, welche Mittel uns zur Verfügung stehen, die Verhältnisse erträglicher zu machen oder uns ihnen gar zu entreißen.«

Da ertönte die Stimme des Steuermanns:

»Zum Essen, Jungens; das Fleisch ist gut!«

Alles rückte näher, um sich an den dicken Erbsen mit Salzfleisch zu vergnügen.

Ich hatte keinen Appetit zu dieser derben Seemannskost und nahm meine Büchse, um am Strande umherzuschlendern und vielleicht einige Seevögel zu erlegen. Das Fleisch derselben ist zwar gewöhnlich entweder hart oder thranig, aber in dem letzteren Falle gab es wenigstens eine Abwechslung für unsere arme Küche.

Ich kehrte wirklich bereits nach einer Viertelstunde mit ziemlicher Beute zurück und wurde mit einem fröhlichen Halloh empfangen. Die Vögel hatten die Feindschaft der Menschen noch nicht kennen gelernt und waren in Folge dessen meinen Schroten zahlreich zum Opfer gefallen. Sie wurden schleunigst gerupft, ausgenommen und gebraten und bildeten einen Nachtisch, welcher den Kapitän wieder in gute Laune versetzte.

»Ihr seid ein famoser Kerl, Sir,« meinte er. »Ich könnte solch ein Schießinstrument hinhalten, wohin ich nur wollte, ich würde ein gewaltiges Loch in die Luft schießen, aber sicherlich nichts treffen, davon bin ich überzeugt. Ein Ruder zu führen, ja, das bringt man fertig trotz einem, aber einen Braten zu schießen, hm, das ist denn doch etwas anderes. Sagt einmal, Sir, ob es hier an Back- oder an Steuerbord wohl Menschen geben wird?«

»Das läßt sich nicht so leicht beantworten. Es mag zwar in der Nachbarschaft noch einsame Inseln geben, ob sie aber bewohnt sind, kann ich nicht behaupten, doch denke ich es.«

»Von welcher Sorte werden sie sein?«

»Malayen.«

»Hm, das soll eine gefährliche Sorte von Kreaturen sein!«

»Sie sind meist noch Wilde, und es gibt Bücher, in denen zu lesen ist, daß Viele von ihnen noch Kannibalen sind.«

»Kannibalen? Was versteht man darunter?«

»Menschenfresser.«

»Donnerwetter, sehr angenehm, mein lieber Sir Latréaumont! Wir freilich haben wohl von solchen Leuten nichts zu befürchten?«

»Nein, wenn sie nicht zu zahlreich über uns kommen.«

»Hm, klingt gar nicht sehr tröstlich! Aber – – ich glaube, wir könnten mit ihnen gar nicht einmal verhandeln, wenigstens kenne ich Keinen unter uns, der ihre Sprache versteht.«

Der Steuermann schob sich ein kolossales Stück Salzfleisch zwischen die Zähne und meinte dann kaltblütig:

»Ich bin es, der diese Sprache versteht, Kapt'n.«

[204] »Ihr? Wie? Wo wollt Ihr denn das gelernt haben?«

»O, das ist sehr leicht! Mit Menschenfressern spricht man ja nur mit diesem da. Versteht Ihr mich?«

Er hob das Messer in die Höhe, zog die fürchterlichste Miene, die ihm möglich war, und machte zwei Bewegungen mit dem Arme, als wolle er Jemanden erstechen oder ihm die Gurgel abschneiden.

»Das ist allerdings eine Sprache, Maate,« antwortete der Kapitän, »aber sie bringt uns doch keinen Nutzen, wenn wir in Masse überfallen werden sollten, nicht wahr, Sir?«

»Allerdings,« antwortete ich, »obgleich wir uns wohl auch ein wenig wehren würden.«

»Ihr versteht doch nicht etwa malayisch, Sir Latréaumont?«

Ich mußte lächeln. Sir Latréaumont war stets der Mann, von dem der gute Kapitän Hammer glaubte, daß er Alles verstehen müsse.

»Die Wahrheit ist, Kapt'n, daß ich während eines früheren Aufenthaltes in Sumatra und Malacca mir das eigentliche Malayisch, welches durch den ganzen australischen Archipel Verkehrssprache ist, ein wenig angeeignet habe. Das Kawi, die malayische Priester-und Schriftsprache, verstehe ich nicht; dafür aber glaube ich, daß ich mich den Bewohnern der Tonga-und Samoainseln auch in ihrem Dialekte verständlich machen kann.«

»Ja, zum Teufel, was seid Ihr denn eigentlich für ein Landsmann, wenn Ihr solche fremde Sprachen redet?«

»Ich bin ein guter Deutscher trotz meines französisch klingenden Namens.«

»Ein Deutscher? Aber Ihr habt ja einen amerikanischen Paß.«

»Warum nicht, wenn man sich genug und lange Zeit in den Staaten herumgetrieben hat?«

»Well, aber wenn Ihr diese verteufelten Dialekte hier versteht, so seid Ihr weder ein Franzose, noch ein Deutscher, noch ein Amerikaner, sondern ein richtiger Polynesier und Menschenfresser!«

»Die Sache ist sehr einfach die, daß man sich leichter in eine fremde Sprache findet, wenn man während seiner Schülerzeit einen guten philologischen Grund gelegt hat. Bei der Bekehrung der westmalayischen Völkerstämme zum Muhamedanismus hat ihre Sprache sehr viel von dem Arabischen aufgenommen und wird noch jetzt mit wesentlich arabischen Buchstaben geschrieben. Da ich nun das Arabische verstehe, so ist sehr leicht einzusehen, daß mir eine Orientirung im Malayischen nicht sehr viel Mühe gemacht hat.«

»Dann müßt Ihr uns als Dolmetscher dienen, wenn wir je mit Polynesern zusammenkommen sollten.«

»Versteht sich und zwar sehr gern!«

Da plötzlich erscholl es von der Anhöhe herab:

»Ahoi – iiiih!«

»Will, der wachehaltende Schiffsseiler, mußte etwas Auffälliges bemerkt haben und gab uns dies mit dem gewöhnlichen Seemannsrufe zu verstehen.«

»Ahoi – iiiih!« antwortete der Kapitän. »Was ists, Seiler?«

»Ein Segel in Sicht.«

»Wo aus?«

»Ost nahe bei Süd.«

»Was für eins?«

»Kein Schiff, sondern ein Fahrzeug.«

Der Seemann unterscheidet zwischen Schiff und Fahrzeug. Die erstere Bezeichnung gilt blos für Dreimaster, die zweite dann vom Zweimaster bis zum kleinsten Boote oder Kahne herab.

Will hob das Rohr wieder an das Auge und blickte nochmals aufmerksam hindurch. Dann berichtete er, sich wieder zu uns drehend:

»Es ist nur ein kleines Fahrzeug, ein Boot oder so etwas, verdammt breit gebaut und mit einem Segel, wie ich es in dieser Form noch gar nicht gesehen habe.«

»Wohl eine malayische Praue,« meinte ich.

»Die sind doch schlank und schmal gebaut,« warf der Kapitän ein.

»Sie haben auch Doppelboote, die von Weitem gerad wie ein einziges, sehr breit gebautes aussehen. Laßt uns hinaufgehen, um uns zu überzeugen, Kapt'n!«

»Wir Beide eilten zur Höhe empor, während die Andern zurückbleiben mußten. Als wir oben anlangten, nahm ich Will das Rohr aus der Hand und blickte hindurch.«

»Es ist ein Doppelboot, Kapt'n, ganz so, wie ich mir es gedacht habe. Seht einmal durch das Glas!«

Er blickte aufmerksam voraus und meinte dann:

»Ja, zwei zusammengebundene Boote, das kleinere auf der Windseite. Wie viele Leute wird es fassen?«

»Vielleicht zwanzig bis dreißig. Wollen einmal sehen, ob sich das bereits erkennen läßt!«

Ich nahm das Rohr wieder zur Hand, um die Bemannung des Fahrzeuges zu zählen.

»Es sind – – – ah, Kapt'n, es ist nicht allein, eins – drei – fünf, sechs, sieben – zehn, zwölf, dreizehn Segel hinter ihm.«

»Zeigt her!« gebot der Kapitän. – »Wahrhaftig, dreizehn Segel noch ganz draußen am Horizonte! Sie sind nicht größer als ein Dollar zu sehen.«

»Ich winkte nach unten und ließ mir mein eigenes Fernrohr kommen, durch welches ich besser zu sehen vermochte.«

»Es sind einfache Prauen, Kapt'n, gerade von der Art, wie man sie auf den Gesellschaftsinseln hat. Seht Ihr den Ausleger an der Seite derselben? Er soll das Kentern 2 verhüten, welches sonst leicht möglich wäre, da diese langen scharfen Fahrzeuge einen runden Boden haben und blos für einen einzigen Mann breit genug sind.«

Die kleinen weißen Punkte am Horizonte wurden größer und kamen näher, bis wir deutlich sahen, daß ein jedes wirklich nur mit einem Manne besetzt war.

»Sie scheinen zu der großen Praue zu gehören,« bemerkte der Kapitän.

»Natürlich! Nur ist diese mehr voraus, da sie zahlreiche Ruder hat und also schneller vorwärts kommt. Aber, wollen wir hier stehen bleiben und uns von ihnen bemerken lassen?«

»Wie Ihr meint, Sir! Wir werden uns aber sehen lassen müssen, denn wir brauchen Boote, und sie kommen uns eben recht.«

»Richtig! Doch wissen wir ja noch gar nicht, in welcher Absicht sie kommen. Tretet also hier hinter das Riff.«

»Werden sie uns von der Doppelpraue aus nicht bereits bemerkt haben?«

»Nein. Wir stehen zwar hoch gegen den Horizont in ihren Augen, aber bevor wir nicht ihren Bord genau erkennen, ist es unmöglich, daß sie uns sehen. Uebrigens sind es sehr geschickte Ruderer; sie kommen wahrhaftig so schnell heran, als würden sie mit Dampfkraft getrieben.«

»Sie gehen vorn sehr tief im Wasser und haben kaum drei Zoll Holz über den Wogen.«

»Das läßt sich bei dieser Art von Fahrzeug leicht erklären. Der Mast hat die halbe Länge des Fahrzeuges, während die Raa noch einmal so lang ist als er. Sie trägt ein Mattensegel, dreieckig geschnitten und so schwer, daß es das Fahrzeug in die Fluthen drückt.«

Die Korallenriffe, welche die Insel umgaben, hatten im Südost eine Oeffnung, welche breit genug war, eine Doppelpraue hindurchzulassen. Die erste Praue näherte sich und fuhr in diese Oeffnung ein. Sie war mit ungefähr dreißig Malayen bemannt, welche ausstiegen und die Praue an das Land befestigten. Die Auslegerboote kamen nach. Auch ihre Insassen stiegen aus und zogen ihre Fahrzeuge an das Ufer. Es waren nun über vierzig mit Keulen und scharfen Kais bewaffnete Männer beisammen.

Ob wir uns ihnen zeigen sollten oder nicht, das mußten wir erst aus den Verhältnissen erkennen.

Da sie auf dieser Seite landeten, hatten sie das an der Nordseite der Insel liegende Wrak nicht sehen können. Wir mußten uns für alle Fälle mit Waffen versehen und kehrten also, den Schiffsseiler als Posten zurücklassend, zu unserem Lagerplatze zurück.

Während zwei Mann bei den Sachen zu bleiben hatten, stiegen wir mit den Andern dann wieder zur Klippe empor. Unten am Strande brannte jetzt ein Feuer, welches eine mächtige Rauchsäule zum Himmel sendete.

»Ist etwas geschehen?« frug der Kapitän den Posten.

»Ja. Sie haben zwei Gefangene, welche an Händen und Füßen gebunden waren, aus der großen Praue geholt und nach dem Feuer getragen.«

»Was glaubt Ihr wohl, daß sie mit ihnen machen werden, Sir?«

»Jedenfalls tödten,« antwortete ich. »Der Polynesier kennt keinen Pardon gegen den Feind, der ihm in die Hände fällt.«

»Und dann?«

»Hm, wer kann das wissen! Aber hört, ich werde einmal rekognosziren.«

»Das heißt, Ihr wollt Euch in ihre Nähe wagen?«

»Ja.«

»Das ist gefährlich!«

»Nicht so sehr, als wie Ihr denkt. Ich habe in meinen Kämpfen zwischen den wilden Indianern der Savanne das Anschleichen gut genug gelernt, um es auch hier ausführen zu können. Hier rechts zieht sich ein Gebüsch von wilden Baumwollensträuchern [205] so nahe an ihren Landeplatz heran, daß ich mich unbemerkt bis auf zwanzig Schritte nähern kann. Ich habe eine Büchse, ein Messer und meinen Revolver. Gefahr gibt es also nicht.«

»Aber sie sind über vierzig und wir nur zwanzig!«

»Fürchtet Ihr Euch?«

»Pah! Ich möchte nur nicht gern haben, daß sie Euch massakriren.«

»Das laßt immerhin nur meine Sorge sein! Sobald ich schießen sollte, eilt Ihr so schnell wie möglich hinzu. Das Uebrige wird sich dann schon finden.«

Ich trat auf unserer Seite in das Baumwollengestrüpp ein und pürschte mich am Boden fortkriechend um die Felsen herum, nach dem Feuer zu. In der möglichsten Nähe angekommen, sah ich, daß sie eine tiefe, ungefähr sieben Fuß lange Grube gemacht hatten, welche mit Steinen ausgelegt war, und von dem Feuer vollständig ausgefüllt wurde. Ich ahnte, was diese Grube für einen Zweck habe und schauderte.

Die Männer saßen schweigsam um sie herum, und einer untersuchte von Zeit zu Zeit die Steine, ob sie heiß genug seien. Endlich gab er ein Zeichen. Zwei erhoben sich, entfernten mit grünen dichten Zweigen das Feuer aus der Grube und faßten dann einen der Gefangenen bei dem Kopfe und den Beinen an, um ihn in die Grube zu werfen, sie mit Steinen zu belegen, das Feuer auf diese zu bringen und ihn dann lebendig zu braten.

Jetzt war es Zeit für mich. Ich erhob mich vom Boden.

»Lo (halt)!«

Bei diesem Rufe standen Alle sofort auf den Beinen und griffen zu ihren Keulen. Derjenige, welcher die Hitze der Steine probirt hatte und wohl der Anführer sein mochte, trat einen Schritt vor und frug:

»Wer bist Du?«

»Ein Germa (Deutscher).«

»Was thust Du hier?«

»Meine Praue ist hier gescheitert.«

»So bist Du unser. Greift ihn!«

Sie näherten sich mir; ich aber erhob meine Büchse.

»Zurück, sonst seid Ihr verloren! Wer seid Ihr?«

»Sei still, Fremder! Ich bin Katua, der große Häuptling von Manua.«

»Was wollt Ihr hier?«

»Wir haben unsere Feinde gerichtet und werden sie verzehren.«

»Das verbiete ich Euch!«

»Du?« Er schüttelte verächtlich den Kopf und deutete dann mit der Hand nach mir. »Das Fleisch der Weißen ist nicht gut, aber er soll gebraten werden wie diese hier. Ergreift ihn!«

Jetzt sprangen sie wirklich auf mich zu, und es galt kein Zaudern mehr. Zwei Schüsse aus meiner Büchse trafen die beiden Vordersten, dann stieß ich dem Dritten das Messer in die Kehle, den Revolver für einen andern Zweck aufbewahrend. In demselben Augenblick nämlich, an welchem mein erster Schuß krachte, stießen unsere Leute einen lauten Kampfesruf aus, traten hinter der Klippe vor, schossen in den dichten Haufen der Wilden hinein und kamen dann herabgesprungen.

»In die Praue!« gebot der Häuptling.

Es waren mehr als zehn der Seinigen gefallen, und unsere Waffen waren ihm überlegen. Dieses und daß die Flucht das Beste für sie sei, erkannte er sofort und eilte also in weiten Sprüngen nach der Doppelpraue. Dafür nun hatte ich mir den Revolver aufgespart. Ich hatte seinen Gedanken errathen und war ihm vorangeeilt. Noch ehe er die Praue erreicht hatte, stand ich bereits an Bord derselben und begrüßte ihn mit einer Kugel. Auch die fünf andern Kugeln der Drehpistole fanden ihr Ziel, und nun mußte ich die Eindringenden, welche unter diesen Umständen keinen Gebrauch von ihren Keulen machen konnten, mit dem Kolben meiner Büchse abwehren.

Allein konnte mir dies unmöglich gelingen, aber die Matrosen hatten scharf unter den Wilden aufgeräumt und kamen nun herbeigesprungen, um sich der Praue zu bemächtigen. Nach kurzem Kampfe waren wir im Besitze derselben, und die übrig gebliebenen Wilden hatten ihre einfachen Prauen vom Lande gezogen und ruderten schleunigst davon.

Wir hinderten sie nicht, denn wir hatten unsern Zweck erreicht; die Gefangenen waren gerettet, und die große Praue befand sich mit Allem, was sie enthielt in unserer Gewalt. Wir konnten mit ihr leicht eine bewohnte Insel erreichen.

Der Kapitän trat mit erhitztem Gesichte auf mich zu.

»Drei habe ich spedirt! Was sagt Ihr dazu, Sir Latréaumont.«

»Daß Ihr ein außerordentlich tapferer Mann seid, Kapt'n. Aber kommt! Man muß zu den Gefangenen gehen.«

Ich schnitt Ihnen die scharfen Bastriemen von den Händen und den Füßen. Sie konnten vor Schmerzen nicht stehen, sondern mußten sitzen bleiben.

»Wer seid Ihr?« frug ich.

»Ich bin Potamo, der Häuptling von Manua,« antwortete der Eine.

»Und mich nennt man Tui-Fanua. Wir sind Brüder,« berichtete der Zweite.

Ich betrachtete ihn aufmerksam. Tui ist ein großer Herr, und Fanua ist der Gott des Krieges. Tui-Fanua war also ein Name, der auf hervorragende kriegerische Eigenschaften schließen ließ. Die Gestalt des Jünglings war allerdings eine reckenhafte, und als er sich jetzt trotz seiner schmerzhaften Glieder erhob, funkelte etwas in seinen Augen, was einen Feind erzittern machen konnte.

»Herr Du hast uns errettet aus der Hand unserer Feinde, unser Leben ist Dein. Was wirst Du mit uns thun?«

Ich lächelte ihm zu.

»Du bist frei, Du und Dein Bruder. Wie kamt Ihr in die Hand Eurer Feinde?«

»Herr, Tui-Fanua ist viel gefahren nach Süd und Nord, nach Ost und West; er hat Fanofute, Eua, Manuai und Assua gesehen, aber es gibt kein schöneres und kein besseres Land als das Land Samoa. Das beste aber, was Samoa besitzt, ist Aimata, die Rose von Manua. Tui-Fanua liebte sie, und sie liebte ihn und ward sein Weib. Auch Katua begehrte sie für seinen Sohn Omba, aber er bekam sie nicht. Da kamen die weißen Mitonare 3 nach Samoa. Sie brachten eine neue Religion, neue Menschen und neue Gesetze mit. Sie leugnen und beschimpfen unsern guten Gott Tangaloa; sie lachen über Mafuié, den Gott des Erdbebens und über Mesua, Faana und Tini-tini, die Götter des Blitzes, des Regens und des Sturmes. Ich und mein Bruder Potamo hier blieben dem Glauben unserer Väter treu, Katua aber und sein Sohn nahmen zum Scheine die neue Lehre an, denn sie hofften Macht und Hilfe von den weiße Männern, während sie doch im Geheimen noch immer Menschenfleisch aßen. Da plötzlich war Aimata, die Rose von Manua, die Perle und Sonne meines Lebens verschwunden. Ich und mein Bruder machten uns auf, um nach ihr zu forschen. Wir fanden sie in Katuas Dorfe. Er hatte sie geraubt, und der Mitonare sagte, daß sie eine Christin und das Weib Ombas werden solle. Ich sagte ihm, daß sie bereits mein Weib sei, er aber meinte, das gelte nichts vor ihm und seinem Gotte. Und als ich Aimata mit Gewalt wegnehmen wollte, wurden die Meinigen ermordet und wir Beide gefangen genommen. Morgen soll die Hochzeit Aimata's mit Omba sein, und heut wurden wir im Stillen hierher geschafft, um als Festmahl verzehrt zu werden. Du hast uns gerettet.«

»Katua ist todt, meine Kugel hat ihn getroffen. War Omba auch hier?«

[206]

[214] »Nein, er soll Aimata bewachen.«

»Gibt es auf Manua einen Hafen, in welchem die großen Schiffe der Weißen verkehren?«

»Nein, aber Tituila hat den großen Hafen Pago-pago, wo die Schiffe der Angli, Franki, Yanki und Hollandi liegen.«

»Kannst Du uns nach Pago-pago führen?«

»Auf dieser Praue? Ja, Herr!«

»Gut, so soll auch Tui-Fanua seine Aimata wiederfinden. Das verspreche ich Dir. Nicht wahr, Kapt'n?«

»Versteht sich, Sir,« antwortete der Kapitän, »nachdem ich ihm meine Unterhaltung mit dem Malayen verdolmetscht hatte. Wir haben den Mann gerettet, er rettet uns wieder, und da versteht es sich ja ganz von selbst, daß wir als Freunde an ihm handeln!« –

2. Die Rache des Malayen

II.

Die Rache des Malayen

Die Schönheit und Fruchtbarkeit der Samoainseln erregte die Bewunderung aller Seefahrer, welche diese reizende Inselgruppe betraten. Nirgends hatten sie eine solche Pracht und Ueppigkeit der Vegetation gesehen, nicht einmal in Neuseeland oder Neu-Guinea, die doch durch ihre herrlichen Waldungen so ausgezeichnet sind. Leicht zu durchwandern ist hier der Forst, denn unter dem dichten Schatten der hohen Baumkronen wächst das Schlingwerk und niedrige Gesträuch, welches sonst die Urwälder so unwegsam macht, nur spärlich.

Eine Menge schöner Tauben, langschwänziger Papageyen, Pikafloren und anderer buntgefiederter Vogelarten bringt Leben und Bewegung in die ruhige Majestät des Haines und mildert den feierlichen Ernst desselben. Rauschende Wasserfälle stürzen häufig über die Basaltblöcke herab, um den Reiz dieser zugleich erhabenen und lieblichen Natur zu erhöhen. Die Besucher der Inseln rühmen ihr ewig frisches Grün, welches die Ufer umsäumt, und die Frische und Klarheit der Wasser, welche in silbernen Streifen von den Bergen strömen. Ich war neugierig, diese Inseln kennen zu lernen, welche in der neuesten Zeit die Blicke Deutschlands in so auffälliger Weise auf sich gezogen haben.

Wir hatten auf unserer einsamen Insel die gefallenen Malayen zusammengetragen und einen Steinhaufen über sie errichtet. Während dieser Beschäftigung und andern Arbeiten war die Nacht herangebrochen, und wir gingen zur Ruhe, um am frühesten Morgen mit der Doppelpraue nach Tutuila in See zu gehen, unterwegs aber an Manua anzulegen, um Tui-Fanua wo möglich mit seinem Weibe zusammenzuführen.

Wir hatten einen sehr günstigen Wind für uns und brauchten in Folge dessen die Ruder gar nicht zu führen. Bereits am Vormittage kam uns Manua in Sicht. Diese Insel hat die Form eines regelmäßigen Domes und steigt an den meisten Stellen senkrecht aus dem Wasser bis zur Höhe von vierhundert Fuß empor, worauf bis zu dem zweitausendfünfhundert Fuß hohen Gipfel die Erhebung des Landes sanfter und allmähliger erscheint. Das Eiland ist sechzehn Seemeilen im Umfange und mit einer sehr üppigen Vegetation geschmückt. In der Nähe befinden sich die kleinen Eilande Ofou und Olisinga. Letzteres ist eigentlich nur ein schmaler Felsenrand, etwa eine halbe Meile lang, mit fast senkrecht aufsteigenden Wänden.

Ich stand mit dem Kapitän am Steuer, welches Tui-Fanua führte, sein Bruder saß neben ihm.

»Wo landen wir?« frug ich den Häuptling.

Er deutete auf eine kleine enge Bucht, in welcher bereits mehrere Prauen vor Anker lagen. Eine Anzahl Männer und Frauen standen am Ufer und betrachteten neugierig unser Schiff. Es mochte ihnen sonderbar und vielleicht auch gefährlich vorkommen, daß in[214] einem malayisch gebauten Fahrzeuge sich eine europäisch gekleidete Bemannung befand.

Da stieß Tui-Fanua einen lauten Ruf aus und nahm das Tapatuch, welches er wie einen Turban um den Kopf gewickelt hatte. Als er es schwenkte, erhoben alle am Strande mit freudiger Geberde die Arme, aber keiner beantwortete den Ruf.

»Was ist das?« frug ich ihn. »Warum antworten sie nicht? Ist hier Dein Dorf?«

»Ich bin Häuptling von drei Dörfern und mein Bruder von zweien,« antwortete er. »Hier wohne ich.«

»Aber warum verhalten sich Deine Leute so ruhig?«

Sein Auge blitzte rings umher, als wolle er jeden Felsen und jeden Baum und Strauch des Ufers mit seinem Blicke durchdringen.

»Entweder ist ein Unglück geschehen, oder es droht uns eine Gefahr, Herr. Laß Deine Leute zu den Rudern greifen, damit wir durch die Brandung kommen!«

Ich übersetzte dem Kapitän diesen Wunsch.

»Hallo, Jungens, zu den Riemen; wir haben die Brandung nahe!« kommandirte dieser.

Die Ruder schlugen in die schäumende Fluth, Tui-Fanua warf sich mit riesiger Kraft gegen das Steuer, wir wurden hoch emporgehoben; es brauste, zischte und donnerte einen Augenblick unter, um und über uns, dann hatten wir die freie Wasserfläche der Bucht erreicht.

Die am Strande Versammelten kamen herbeigeeilt. Allen voran ein alter Mann, der sich weinend vor den beiden Häuptlingen niederwarf, als diese aus dem Fahrzeuge gesprungen waren.

»Ambo, Du weinst! Was ist geschehen?« frug Potamo.

»Erzähle erst, wo Du gewesen bist, Herr! Sie hatten Dich gefangen und in die See geführt?«

»Ja, nach der Koralleninsel, wo sie uns verzehren wollten.«

»O, Herr!« klang es rundum erschrocken.

»Aber da kamen diese Männer und befreiten uns,« fuhr er fort. »Dankt ihnen, denn sie haben Katua und zweimal zehn und neun der Seinigen getödtet!«

Da erhob sich rund um uns ein Frohlocken, welches allerdings durch ein Zeichen des Alten schnell gedämpft wurde.

»Herr,« berichtete dieser, »der gute Gott Tangaloa ist von uns gewichen. Als wir hörten, daß Du gefangen seist, wollten wir Dich befreien. Ich versammelte alle Krieger der fünf Dörfer und zog mit ihnen gegen Katua. Da aber hörten wir hinter uns ein Geschrei und sahen das Feuer an vielen Orten zum Himmel lodern. Der Feind war uns zuvorgekommen, hatte alle Frauen und Kinder getödtet und unsere Dörfer und Hütten verbrannt. Und als wir umkehrten, fielen wir ihm in den Bergen in die Hände. Wir allein sind übrig geblieben. Zähle uns!«

Die beiden Brüder regten sich nicht; sie blickten zur Erde, um ihren Schreck zu verbergen. Da endlich wandte sich Tui-Fanua zu mir. In seinen Augen glühte ein Feuer, welches Verderben sprühte.

»Das sind Christen, Herr! Mafuié verschlinge sie!«

Ich legte ihm die Hand begütigend auf den Arm.

»Bin ich so bös wie sie?«

»Nein, Herr. In Dir leuchtet die Sonne der Liebe, Du bist tapfer, weise und gut.«

»Ich bin ein Christ. Sind sie also welche?«

»Nein.«

»Ein Christ ist tapfer, weise und gut, wie Du sagst, sie aber sind hinterlistig, heimtückisch und grausam. Sie essen Menschenfleisch und werden sich daran ihr Verderben fressen.«

Da hob er die Hände empor zum Himmel und sprach:

»Der Gott alles Guten soll seine Hand von mir neh men und mich vernichten, wenn ich eher ruhe, als bis ich sie gezüchtigt habe. Gehe, Herr, und fahre allein nach Pago-pago. Ich kann nicht mit Dir gehen, denn ich muß meine Todten rächen.«

»Ich gehe nicht, sondern ich bleibe und helfe Dir!«

Er sah mich erstaunt an.

»Herr, ich bin ein Heide, und Du willst mir gegen diese Christen helfen?«

»Ja.«

Da schlug er mir auf die Schulter, daß es dröhnte und rief:

»So bist Du ein richtiger Christ, und ich will Deinen Gott verehren wie den meinen, wenn er uns Hilfe bringt!«

Ich theilte dem Kapitän meinen Entschluß mit, und alle Mannen stimmten sofort bei, dem Häuptling ihre Hände und Kräfte zur Verfügung zu stellen.

»Wir Alle werden bei Dir bleiben, bis Du gesiegt hast,« erklärte ich ihm. »Wie viele Männer zählt der Feind?«

»Fünfhundert,« antwortete der alte Ambo.

»Sie sind in ihren Dörfern?«

»Nein. Sie sind jetzt versammelt auf Olosinga, um unsere Fürstin Aimata zu taufen und sie dann Omba zum Weibe zu geben.«

»Ist der Mitonare dabei?«

»Ja.«

»Wo seid Ihr bisher gewesen?«

»In den Bergen. Sie werden uns tödten, wenn sie zurückkehren. Herr, laß uns in ihre Dörfer gehen und Alles tödten, was wir dort finden!«

»Nein,« antwortete Tui-Fanua. »Sie sind Christen, ich aber bin ein Heide und werde barmherziger sein als sie. Ich werde Aimata wieder holen, Omba tödten und dann über alle die Seinen herrschen. Ihr habt Eure Weiber und Kinder verloren. Wir dürfen die Mädchen des Feindes nicht tödten, denn sie sollen Eure Frauen werden. Bleibt zurück und erwartet mich hier, ich werde ganz allein nach Olosinga gehen!«

Dieser junge Mann war wirklich ein Held. Ganz allein wollte er gehen, mitten unter seine grimmigsten Feinde hinein, die ihn vorher hatten verzehren wollen! Ich streckte ihm meine Hand entgegen.

»Ich gehe mit Dir!«

»Du? Herr, Du bist mein Freund und Bruder; ich liebe Dich!«

Ich theilte dem Kapitän unsern Entschluß mit.

»Seit Ihr verrückt, Sir?« frug er. »Ihr Zwei ganz allein unter fünfhundert Wilde!«

»Christen!« verbesserte ich lächelnd.

»Ja Christen, welche Menschen fressen: Mag auch ein schöner Missionar sein, der das leidet! Sie werden Euch auch braten und verzehren.«

»Vielleicht auch nicht. Bedenkt, was ich für Waffen habe!«

»Was werdet Ihr mit zwei Büchsenkugeln ausrichten können?«

»O, die Büchse nehme ich gar nicht mit!«

»Was denn?«

»Zwei Revolver, das gibt zwölf Schüsse, und mein Henrystutzen, der die sehr praktische Einrichtung hat, daß man aus ihm fünfundzwanzig Kugeln hinter einander abfeuern kann, das sind also siebenunddreißig Schüsse in Summa, ohne was ich mit dem Messer zu thun vermag, Tui-Fanua gar nicht mitgerechnet. Dies wäre überhaupt nicht das erste Mal, daß ich mich so mitten unter die Feinde hinein gewagt habe.«

»Und wenn auch! Ich muß wenigstens von Weitem dabei sein!«

»Nun gut. So fahren wir mit der Doppelpraue bis vor Olosinga, und während ich mit dem Häuptlinge die Insel betrete, wartet Ihr auf uns; Ihr könnt uns ja zu Hilfe kommen, wenn Ihr mich schießen hört.«

»Angenommen, Sir!«

Ich theilte diesen Plan Tui-Fanua mit, und er ging darauf ein.

»Ich gehe mit!« meinte sein Bruder Potamo.

»Nein, mein Bruder! Diese Männer hier sind die letzten unseres Volkes. Sie dürfen nicht ohne Häuptling sein. Wenn ich falle, so mußt Du leben, um mich zu rächen.«

Potamo ließ sich nur mit Widerstreben dazu bestimmen, mußte sich aber endlich doch noch fügen.

Wir befanden uns auf der Ostseite von Manua. Die beiden Eilande Ofou und Olosinga liegen auf der Westseite dieser Insel. Unser Weg führte uns also nach Sonnenuntergang. Wir bestiegen die Doppelpraue wieder, kamen glücklich durch die Brandung und segelten so hart wie möglich an der Küste hin. In anderthalb Stunden hatten wir die Südwestspitze erreicht.

»Befiehl Deinen Leuten, daß sie die Ruder nehmen,« bat Tui-Fanua. »Wir müssen so schnell wie möglich hinüber nach Olosinga, daß sie keine Zeit finden, uns feindlich zu empfangen.«

Dies geschah. Die Praue flog, von den kräftigen Armen der Matrosen getrieben, wie ein Pfeil über den Meeresarm, der die beiden Inseln trennte. Tui-Fanua führte selbst das Steuer und hielt das Fahrzeug auf eine Einbiegung der Insel zu, welche ganz voller einfacher Prauen lag. Mitten auf diese Einbiegung mündete eine Kluft, welche so schmal war, daß nur zwei Männer neben einander zu passiren vermochten. Das war damals der einzige Weg hinauf auf den steil anstrebenden Felsen.

Wir landeten. Trotzdem wir nur drei Minuten gebraucht hatten, um über den Meeresarm zu gelangen, war man da oben doch aufmerksam auf uns geworden. Wir sahen, daß mehrere mit Keulen und Lanzen bewaffnete Wilde herniederstiegen, um uns den Weg zu verlegen.

»Schnell hinaus,« gebot der junge Häuptling.

Im Nu standen wir am Fuße der Schlucht, wir Beide, er und ich, während die Praue vom Lande abstieß, um in einiger Entfernung halten zu bleiben.

Hier stand ein Malaye Wache.

[215] »Tui-Fanua!« rief er, halb erstaunt und halb erschrocken.

»Ja, Tui-Fanua,« antwortete dieser. »Stirb!«

Der Kais blitzte in seiner Faust; der Mann sank todt nieder.

Jetzt ging es schnell aufwärts.

»Halt!« rief es uns entgegen.

Ein zweiter Malaye schwang den Spieß über uns. Hier konnte der Häuptling nichts thun. Ich zog den Revolver, ein kleiner, scharfer Laut erklang, und der durch das Herz Getroffene stürzte neben uns vorbei kopfüber in die See.

Ebenso erging es einem Dritten, dann hatten wir die gefährliche Schlucht überwunden. Während der letzten Schritte war ich bemüht gewesen, die beiden verschossenen Patronen wieder zu ersetzen.

Wir standen jetzt am Rande eines Kokospalmen-und Brodfruchtbaumwaldes und sahen uns von einer Schaar Polynesier umgeben, welche den Häuptling sofort erkannte.

»Tui-Fanua, der stärkste der Krieger. Er sterbe!«

Sie schwangen drohend ihre Waffen, ich aber trat vor den Häuptling hin und rief so gebieterisch wie möglich:

»Ist der Mitonare hier?«

»Er ist hier.«

»Führt uns zu ihm!«

Sie schienen von meinem Tone betroffen zu sein, nahmen uns in ihre drohende Mitte und geleiteten uns noch weiter empor nach einem freien, rings von Palmen umgebenen Platze.

Dort war von Steinen ein Altar errichtet, an welchem der Missionar stand, eine ausgehöhlte Kokosnuß in der Hand. Vor ihm kniete in diesem Augenblicke eine weibliche Gestalt, welche von zwei starken Männern mit Gewalt in dieser Stellung festgehalten wurde.

»Aimata!«

Diesen frohlockenden Ruf stieß Tui-Fanua aus; dann stand er mit zwei Sprüngen hinter ihr. Sein Kais blitzte einmal und noch einmal, die beiden Männer, welche das Weib gehalten hatten, sanken todt zur Erde nieder.

Das war so schnell geschehen, daß Keiner ein Glied rühren konnte, um es zu verhindern. Nur Einer schnellte herbei und erhob die Keule zum gewaltigen Schlage. Tui-Fanua sah ihn nicht, aber ich erhob den Stutzen. Der Schuß krachte, und der Mensch ließ die Keule fallen und stürzte neben sie nieder. Jetzt erst wandte der Häuptling den Kopf.

»Omba!« rief er. »Herr, ich danke Dir, daß Du ihn getroffen hast!«

Also der Sohn des Häuptlings, der Räuber Aimata's war es gewesen! Aber ich hatte keine Zeit zur weiteren Besinnung, denn rund um uns ertönte ein Geheul der Wuth, welches mich Alles befürchten ließ. Der Altar lag mit seinem Rücken an einem hohen Felsen, und da er aus ziemlich großen Steinen bestand, konnte er als eine Art Festung von uns benutzt werden. Ich sprang hinauf, riß Aimata zu mir empor, und Tui-Fanua folgte schnell. Wir waren wenigstens für den Augenblick geborgen.

Alles stürmte jetzt auf uns ein, da aber erhob der Missionar die Hand. Sie Alle blieben sofort gehorsam halten. Der Missionar wandte sich zu uns:

»Wer seid Ihr, daß Ihr es wagt, diese heilige Stätte mit Blut zu – – –«

Er hielt mitten in seiner Strafrede inne. Ich hatte ihn vorher nicht genau betrachtet. Wir erkannten uns Beide in demselben Augenblicke. Dieser Mensch war Matrose desselben Schiffes gewesen, auf welchem ich von Hongkong nach Java ging, und wegen eines beträchtlichen Diebstahles erst gepeitscht und dann auf Malacca ausgesetzt worden.

»Sir Latréaumont!«

»Ben Silvers!«

»Was thut Ihr hier?«

»Was thust Du da? Wer hat Dich zum Missionar gemacht?«

»Ich bin es auf Tahiti geworden.«

»Wer hat Dich ordinirt?«

»Der Herr – der Herr – –«

»Nur heraus damit: der Herr Ben Silvers selbst, natürlich! Nun wundert es mich nicht, daß die Christen hier gern Menschenfleisch fressen!«

»Oho, dafür kann ich nichts! Ich bitte mir überhaupt eine andere Sprache aus!«

»Welche denn, mein Bursche?«

»Eine solche, wie sie ein Diener am Weinberge des Herrn verlangen kann.«

»Lästere nicht, Mensch! Du spielst diese Rolle hier nur um Dich zu bereichern. Aber Du sollst sie ausgespielt haben; darauf kannst Du Dich – – –«

»Fahre zur Hölle!« brüllte er.

Er zog den Kais, da aber saß ihm auch schon der Dolch des Häuptlings im Herzen. Der erste Missionar der Samoainseln hatte seine Rolle ausgespielt.

Nun aber ertönte das Geheul der Malayen desto wüthender um uns. Sie drangen unaufhaltsam auf uns ein. Ich bückte mich nieder hinter die Steine, legte den Stutzen auf den Rand des Altares, ein, zwei, drei, fünf, sechs, acht Schüsse, von denen jeder seinen Mann traf. Sie stutzten. Ich erhob mich und zielte nun frei. Noch vier Schüsse gab ich ab, dann wichen sie zurück. Sie hatten wohl bereits Schießwaffen gesehen, daß man aber, ohne zu laden, eine solche Menge von Schüssen abgeben könne, machte sie irre.

Aber auch ich war verwundet; eine Wurfkeule hatte mich an der linken Schulter und ein Stein gerade an der Stirn getroffen. Ich sah ein, daß wir Zwei zu tollkühn gewesen waren, und gab bereits die Hoffnung auf, lebendig wieder zu meinem alten Kapitän Hammer zu gelangen, als ich auf einmal seine laute befehlende Stimme hörte.

»Halt! Dort sind sie. Besetzt die Schlucht, Jungens, daß der Rückzug frei bleibt!«

Er war, als er die Schüsse fallen hörte, sofort gelandet und hatte mit seinen Leuten die Schlucht erstiegen, welche unvorsichtiger Weise von den Malayen nicht hinter uns wieder besetzt worden war.

»Wollt Ihr wieder herüber, Sir Latréaumont?«

»Ja.«

»So kommt! Ich werde diese rothen Masters mit meinen Jungens einstweilen im Schach halten. Gewehr auf, Männer, Hand an den Hahn! So, und wer sich von diesen Hallunken nur rührt, wird erschossen. So ein Kerl ist leichter zu treffen als ein Vogel, den man gern braten möchte. Jetzt schnell herüber.«

Ich erklärte dem Häuptling den Plan des Kapitäns.

»Geh, Aimata,« bat er.

Die schöne schlanke Gestalt erhob sich und sprang wie eine fliehende Gazelle über den Platz. Dann erst, als sie geborgen war, erhob sich Tui-Fanua aus seiner gebückten Stellung.

»Komm!«

»Nein, geh Du voran!«

»Du willst mich schützen, weil Du glaubst ich fürchte mich?«

»Nein. Ich will den Rückzug decken, weil ich bessere Waffen habe als Du.«

»Ich brauche Deine Waffen nicht!« antwortete er stolz.

Er trat langsam aus dem Altare hervor und blieb dann vor demselben halten. Er erhob die Hand zum Zeichen, daß er sprechen wolle, dann begann er:

»Ihr Männer von Manua! Katua und sein Sohn Omba hier sind todt. Das Land hat keinen Häuptling mehr als mich und Potamo, meinen Bruder. Ich werde Euer Häuptling sein. Wollt Ihr mir gehorchen?«

Es erfolgte keine andere Antwort, als ein unwilliges Gemurmel.

»Seht hier Eure Todten liegen. Sie sind gefallen von einer einzigen Hand, von der Hand eines Christen, der besser und tapferer ist als Ihr. Ich werde Euch zu so guten und tapferen Christen machen. Ich werde andere Mitonare kommen lassen, die Euch verbieten Menschenfleisch zu essen und Euch dafür Alles lehren, was recht und was gut ist. Wollt Ihr mir gehorchen?«

Es ertönte keine Antwort, aber ein Stein flog an seinem Kopfe vorbei. Ich hatte die Hand gesehen, welche ihn erhob. Als der Stein schwirrte, saß meine Kugel bereits in dieser Hand; ein Schrei des Schmerzes erschallte, sie war zerschmettert.

»Seht Ihr nun, wie mächtig ich bin mit einem einzigen wahren Christen neben mir? Wie mächtig würden wir sein, wenn wir alle solche Christen wären! Wollt Ihr mir gehorchen?«

»Raba!« 4 rief eine Stimme.

»Gut. Ich werde aber dennoch Euer Häuptling sein. Komm, Herr!«

Ich behielt den Stutzen im Anschlage und verwendete kein Auge von den Leuten, während wir über die Lichtung schritten. Als wir den Saum des Waldes erreichten, sah ich zwischen den schlanken Palmenschäften hindurch eine kleine Prauenflottille sich der Insel nähern. Es war Potamo mit seinen Leuten. Die Unruhe hatte ihn herbeigetrieben. Ich machte den Häuptling darauf aufmerksam. Er blickte hinaus auf die See, und ein Zug der Freude glitt über sein Gesicht.

»Herr, könntest Du den Feind aufhalten, mir zu folgen?«

[216] »Ja.«

»Wie lange?«

»Sage es!«

»Bis ich die Prauen dort unten losgebunden habe.«

»Ja.«

»So thue es! Du wirst sehen wenn ich fertig bin.«

Dieser Plan war allerdings vortrefflich, denn er gab die Malayen ganz in seine Hand, weil sie die Insel ohne ihre Boote nicht verlassen konnten.

Ich trat zum Kapitän.

»Laßt Eure Leute nur so im Anschlage liegen, Kapt'n.«

»Warum?«

»Wir verlassen den Platz erst dann, wenn wir die Fahrzeuge dieser Hallunken gekapert haben.«

»Vortrefflich! Habt Ihr Euch das ausgedacht?«

»Nein, der Häuptling selbst.«

»Kein übler Kopf! Könnte später Schiffsjunge bei mir werden; wollte dann schon etwas aus ihm machen!«

Zur Rechten hatten wir Felsen, die uns vollständig deckten, hinter uns den Rücken frei und vor uns und zur Linken den freien Platz, den wir mit unsern Gewehren bestreichen konnten. Wir waren also trotz unserer bedeutenden Minderzahl im Vortheile. Das sahen die Malayen jedenfalls ein, weshalb sie auch nicht die geringste Miene machten uns anzugreifen.

Freilich konnte diese Sicherheit nur bis zum Abend dauern; dann wären wir verloren gewesen. Daher freute ich mich, als ich bereits nach zehn Minuten eine ganze lange Reihe von Prauen sah, welche zusammengebunden waren und von dem Meeresstrome hinüber [217] nach Manua getrieben wurden. In den zwei vordersten und der letzten saßen je ein Mann, welcher mit dem Ruder die gehörige Richtung einzuhalten suchte.

»Jetzt langsam zurück hinter die Bäume, Kapt'n, und die Schlucht hinab! Ich bleibe hier halten, bis Ihr in Sicherheit seid.«

»Well, Sir, das ist mir recht. Es wird mir langweilig hier oben.«

Er zog sich mit den Seinen leise zurück, während ich meine Stellung behauptete, bis ich dachte, daß sie Alle in Sicherheit seien. Dann trat ich hinter den nächsten Baum – einige schnelle Schritte hin zur Kluft, in großen gewagten Sprüngen hinab und dann hinein in die Doppelpraue, welche auf mich gewartet hatte und ganz nahe am Ufer lag. Kaum aber stieß sie vom Lande, so regnete es von oben einen wahren Steinhagel herab, und ein wahrhaft betäubendes Geschrei ließ uns erkennen, daß die Malayen eingesehen hatten, daß sie von jetzt an unsere Gefangenen seien.

Tui-Fanua hielt seine befreite Aimata in den Armen und dankte uns viel mehr für ihre als für seine Rettung.

»Noch bist Du nicht vollständig gerettet,« meinte ich.

»Warum?«

»Ihr Malayen schwimmt besser als die Fische. Wenn sie nun den Entschluß fassen nach Manua zu schwimmen.«

Er lächelte.

»Kennst Du den Hai?«

»Ich kenne ihn. Ich habe bereits mit ihm gekämpft.«

»So wirst Du auch wissen, daß sie nicht entkommen können.«

»Der Hai wird einige von ihnen verschlingen; die Andern aber erreichen das Land.«

Er lächelte wieder, dieses Mal aber sehr überlegen.

»Tui-Fanua weiß dafür zu sorgen, daß der Hai nicht blos einige verschlingt. Sage Deinen Leuten, daß sie hier auf der Mitte des Meeresarmes halten sollen!«

Ich that dies, und nun wurde das Segel, da es keinen Anker gab, in der Weise gestellt, daß die Praue nicht bedeutende Abtrift bekam. Jetzt sahen wir, daß die Malayen drüben auf Olosinga die Schlucht wieder besetzten und uns unter grimmigen Geberden mit ihren Keulen drohten.

»Schönes Abenteuer das!« meinte der Steuermann. »Sollten das ganze Volk braten und fressen. Fehlen nur am Ende die Pfefferkörner und Lorbeerblätter dazu!«

Wir lavirten bis zur Dämmerung. Da kamen zwei Doppelprauen herbei und hielten in unserer Nähe.

»Frage Deine Leute, Herr, ob sie in dieser Nacht mit wachen wollen!« bat mich der Häuptling.

Ich that es, und der Kapitän stimmte sofort bei.

»Natürlich wachen wir mit. Wer dem Ochsen einmal in den Kopf beißt, muß ihn auch bis mit dem Schwanze verschlingen.«

Von der einen Praue wurde uns ein ganzer Vorrath von getrockneten Fischen und Palmenfaserschnüren herübergeworfen.

»Was soll das?« frug ich den Häuptling.

»Du fährst immer auf und ab und hängst einen Fisch nach dem andern an die Schnur und wirfst ihn aus dem Schiffe. Er wird an der Schnur nachgezogen, und Du wirst nachher sehen, was folgt.«

Auch Fackeln wurden uns herüber gegeben. Diese zündeten wir an, als die Dunkelheit hereinbrach. Ich band einen der Fische an das Bast und warf ihn über Bord. Es dauerte nicht lange, so erschien ein Hai und riß ihn von der Schnur. Ich fuhr fort, und es war noch keine halbe Stunde vergangen, so folgten uns fünf Haie, die wir beim Scheine der Fackeln sehr deutlich erkennen konnten.

»Schönes Viehzeug das,« meinte der Kapitän. »Möchte ihnen lieber Eins auf das Fell brennen! Aber sie sind wahrhaftig gut für die da drüben; denn ich glaube nicht, daß sich nun einer von ihnen in das Wasser wagen wird.«

Auch die zwei anderen Prauen lavirten die ganze Nacht mit brennenden Fackeln zwischen Manua, Ofou und Olosinga und hatten jedenfalls ganz dasselbe gefräßige Gefolge hinter sich schwimmen.

Am nächsten Tage genügte eine einzelne Praue zum Wachehalten, und in der darauffolgenden Nacht wurde genau das Manöver der vorigen wiederholt. Ermüden konnte uns dies nicht, da wir einander ablösten und also unsere Kräfte schonen konnten.

Endlich am dritten Tage wurde ein Zeichen gegeben, und wir fuhren näher zum Lande. Hier erfuhren wir, daß die Malayen sich entschlossen hätten, die Herrschaft Tui-Fanua's über sich anzuerkennen. Sie wurden einzeln von der Insel Olosinga geholt und mußten ihm Treue geloben. Katua's Verrath war durch die Vorsehung so gelenkt worden, daß er für Tui-Fanua zum Glücke endete.

Wir wurden von diesem nach Pago-pago gebracht, wo wir ein amerikanisches Schiff fanden, welches wenig Ladung hatte und bereit war, mit uns nach der Koralleninsel zu gehen und dort die Güter des versunkenen »Jonathan« aufzunehmen.

Tui-Fanua hielt sein Wort. Er nahm einige christliche Lehrer aus Tahiti auf, denen dann die ersten englischen Missionare folgten. Jetzt zählt Manua wenigstens zweitausend Einwohner, welche alle Christen sind. – – –

[218]

[Fußnoten]

1 Theebäumen.

2 Umstürzen.

3 Missionäre.

4 Nimmermehr.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). May, Karl. Einzelne Erzählungen. Tui Fanua. Tui Fanua. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3107-3