Durch die Mapimi
Die Worte des alten Scout hatten nicht geringen Eindruck auf mich gemacht. Ich war der sichern Ueberzeugung gewesen, Gibson noch im Bereiche der Vereinigten Staaten habhaft zu werden. Nun mußte ich ihm nach Mexico und sogar in die allergefährlichste Gegend dieses Landes folgen.
Der Weg, welcher erst hatte eingeschlagen werden sollen, um Chihuahua zu erreichen, berührt den Norden des wüsten Gebietes der Mapimi und führt meist durch freies, offenes Land. Nun aber hatten wir uns südlich wenden müssen, wo Gefahren uns erwarteten, denen wir wohl kaum gewachsen waren. Zu diesen niederschlagenden Gedanken trat die körperliche Ermüdung, deren sich selbst die Comanchen nicht mehr erwehren konnten. Wir hatten von der Hazienda del Caballero aus einen wahren Parforceritt gemacht. Den Rothen war das getrocknete Fleisch ausgegangen, welches ihren Proviant gebildet hatte, und auch wir besassen nur noch wenig von dem Speisevorrathe, welchen uns der Haziendero hatte einpacken lassen. Das Terrain stieg nach und nach höher an. Wir erreichten Berge, welche wir am Mittage gesehen hatten, steinige Massen ohne alles pflanzliche Leben. Wir wandten uns zwischen ihnen hindurch, immer nach Süden. Zwischen den steilen Abhängen war die Hitze noch größer als draußen auf der freien Ebene. Die Pferde verlangsamten ihre Schritte immer mehr. Auch der Haupttrupp der Comanchen war hier sehr langsam geritten, wie man aus den Spuren ersah. Ueber uns schwebten mehrere Geier, welche uns seit Stunden gefolgt waren, als ob sie erwarteten, daß unsere Erschöpfung ihnen eine Beute bringen werde. Da färbte sich plötzlich, als wir um eine Felsenecke schwenkten, der Süden dunkler. Dort schien es bewaldete Berge zu geben, und sofort fielen die Pferde, als ob auch sie diese Bemerkung gemacht hätten, in lebhafteren Schritt. Das Gesicht Old Death's heiterte sich auf.
»Jetzt ahne ich, wohin wir kommen,« sagte er. »Ich rechne, daß wir uns in der Nähe des Flußgebietes des Rio Sabinas befinden, welcher aus der Mapimi herabkommt. Wenn die Comanchen sich entschlossen haben, seinem Laufe aufwärts zu folgen, so hat die Noth ein Ende. Wo Wasser ist, gibt es Wald und Gras und wohl auch Wild, selbst in dieser traurigen Gegend. Wollen den Pferden die Sporen zeigen. Je mehr wir sie jetzt anstrengen, desto eher können sie sich ausruhen.«
Die Fährte hatte sich wieder ostwärts gewendet. Wir gelangten in eine lange, schmale Schlucht, und als dieselbe sich öffnete, sahen wir ein grünes Thal vor uns liegen, welches durch einen Bach bewässert wurde. Nach diesem Bache stürmen und dort aus dem Sattel springen, war eins. Selbst wenn die Comanchen sich hätten beherrschen wollen, so hätten sie doch ihren Pferden den Willen lassen müssen. Aber als die letzteren getrunken hatten, saßen wir gleich wieder auf, um weiter zu reiten. Der Bach ergoß sich nach kurzer Zeit in einen größeren, welchem wir aufwärts folgten. Derselbe führte uns in einen Canon, dessen steilen Wände stellenweise mit Büschen bewachsen waren. Als wir diesen durchritten hatten, kamen wir an grünenden Berglehnen vorüber, deren Färbung unseren geblendeten Augen wohl that. Mittlerweile hatte es zu dunkeln begonnen, und wir mußten uns nach einem Lagerplatz umsehen. Der Anführer der Comanchen bestand darauf, noch ein Stück weiter zu reiten, bis wir auch Bäume finden würden, und wir mußten uns seinem Willen fügen. Die Pferde stolperten über Steine, welche im Wege lagen. Fast war es Nacht; da wurden wir plötzlich angerufen. Der Anführer gab seine Antwort in freudigem Tone, denn der Ruf war in der Sprache der Comanchen erfolgt. Wir blieben halten. Old Death ritt mit dem Anführer vor, kehrte aber bald zurück und meldete:
»Die Comanchen lagern vor uns. Ihrer Fährte nach war das Zusammentreffen jetzt noch nicht zu erwarten. Aber sie haben sich nicht weiter gewagt, ohne die Gegend zu erkunden. Darum haben sie sich hier gelagert und am Mittag Kundschafter ausgeschickt, welche bis jetzt noch nicht zurückgekehrt sind. Kommt vor! Ihr werdet sogleich die Lagerfeuer sehen.«
»Ich denke, daß auf einem solchen Kriegszuge keine Lagerfeuer angebrannt werden,« sagte ich.
»Das Terrain wird es ihnen erlauben. Da sie Kundschafter vor sich her gesandt haben, so sind sie sicher, daß sich kein Feind in der Nähe befindet, welcher die Feuer sehen kann.«
Wir ritten vorwärts. Die Schlucht war zu Ende, und wir sahen wohl gegen zehn Feuer brennen, nicht mit hohen, sondern gedämpften Flammen, wie es bei Indianern stets der Fall ist. Es schien ein runder, baumleerer Thalkessel zu sein, welchen wir vor uns hatten. Die Höhen stiegen, so viel ich bei der Dunkelheit erkennen konnte, rundum steil an, ein Umstand, welchen die Comanchen als günstig für ihre Sicherheit zu betrachten schienen.
Die Rothen, bei denen wir uns befunden hatten, ritten stracks auf das Lager zu, während uns bedeutet wurde, zu warten, bis man uns holen werde. Es dauerte eine ziemliche Weile, bis einer kam, um uns zum Häuptlinge zu führen, der seinen Platz am mittleren Feuer hatte, um welches die andern im Kreise brannten. Er saß in Gesellschaft von zwei Männern, welche wohl ausgezeichnete Krieger waren. Sein Haar war grau, aber lang und in einen Schopf gebunden, in welchem drei Adlerfedern befestigt waren. Er trug Moccassins, schwarze Tuchhose, Weste und Jacke von hellerem Stoffe und hatte ein Doppelgewehr neben sich liegen. Im Gürtel sah man eine alte Pistole. Messer und ein Stück Fleisch hielt er in den Händen, legte aber, als er uns sah, beides weg. Er war eben mit dem Essen beschäftigt gewesen. Der Geruch gebratenen Pferdefleisches lag in der Luft. Dicht neben der Stelle, an welcher er saß, murmelte ein Quell aus der Erde hervor. Wir waren noch nicht von den Pferden gestiegen, so hatte sich schon ein weiter Kreis eng an einander stehender Krieger um uns gebildet, unter denen ich mehrere weiße Gesichter bemerkte. Man bemächtigte sich sofort unserer Pferde, um sie fort zu schaffen. Da Old Death es geschehen ließ, ohne Einspruch zu erheben, konnte ich nichts Gefährliches darin sehen. Der Häuptling stand auf und die beiden andern mit ihm. Er trat Old Death entgegen, reichte ihm ganz nach der Art der Weißen die Hand und sagte in freundlich ernstem Tone:
»Mein Bruder Old Death überrascht die Krieger der Comanchen. Wie hätten sie ahnen können, ihn hier zu treffen. Er ist willkommen und wird mit uns gegen die Hunde der Apachen kämpfen.«
Er hatte, wohl damit auch wir ihn verstehen können, im Mischjargon gesprochen. Old Death antwortete in eben demselben:
»Der weise Manitou leitet seine rothen und bleichen Kinder auf wunderbaren Wegen. Glücklich ist der Mann, welcher auf jedem dieser Wege einem Freunde begegnet, auf dessen Wort er sich verlassen kann. Wird der ›weiße Biber‹ auch mit meinen Gefährten die Pfeife des Friedens rauchen?«
»Deine Feinde sind auch meine Feinde, und wen Du liebst, den liebe auch ich. Sie mögen sich an meine Seite setzen und aus dem Calummet des Häuptlings der Comanchen den Frieden trinken.«
[554][565] Old Death setzte sich nieder, und wir folgten seinem Beispiel.
Nur der Schwarze trat zur Seite, wo er sich ebenfalls im Grase niederließ. Die Rothen standen stumm und bewegungslos wie Statuen im Kreise. Die Gesichtszüge der einzelnen Weißen zu erkennen, war mir unmöglich. Der Schein des Feuers reichte dazu nicht aus. Oyo-koltsa band sein Calummet vom Halse, stopfte den Kopf desselben voll Tabak aus dem Beutel, welcher ihm am Gürtel hing, und brannte ihn an. Nun folgte fast ganz genau dieselbe Ceremonie, welche beim Zusammentreffen mit seinem Sohne stattgefunden hatte. Nun erst gewannen wir die Gewißheit, keine Feindseligkeiten seitens der Comanchen befürchten zu müssen.
Während wir vor dem Lager warten mußten, hatte der Anführer der Fünfzig dem Häuptling über uns Mittheilung gemacht, wie wir jetzt aus dem Munde des letzteren hörten. Er bat Old Death, ihm nun auch seinerseits zu erzählen, wie die Angelegenheit sich zugetragen habe. Der Alte that es in einer Weise, daß weder auf uns, noch auf Sennor Atanasio ein Mißtrauen fallen konnte.
Der »weiße Biber« blickte eine Zeit lang sinnend vor sich nieder und sagte dann:
»Ich muß meinem Bruder Glauben schenken. Selbst wenn ich zweifeln wollte, finde ich in seiner Erzählung nichts, woraus ich schließen könnte, daß er mich täuschen will. Aber auch dem andern Bleichgesicht muß ich trauen, denn er hat keinen Grund, die Krieger der Comanchen zu belügen, und eine Lüge würde ihm das Leben kosten. Er befindet sich bei uns und hätte sich längst von uns entfernt, wenn er uns die Unwahrheit gesagt hätte. Ich kann also nichts Anderes denken, als daß Einer von Euch sich getäuscht hat.«
Das war sehr scharfsinnig gedacht, nämlich von seinem Standpunkte aus. Old Death mußte vorsichtig sein. Wie leicht konnte der Häuptling auf den Gedanken kommen, noch einmal eine Abtheilung zurückzusenden, um den Haziendero des Nachts zu überraschen! Am allerbesten war es, eine glaubliche Erklärung des vermutheten Irrthums zu geben. Das dachte auch der Scout. Darum sagte er:
»Eine Täuschung liegt allerdings vor; aber nicht ich, sondern das Bleichgesicht wurde getäuscht. Wo wäre der Mann, welcher Old Death zu täuschen vermöchte! Das weiß mein rother Bruder auch.«
»So mag mein Bruder mir sagen, wie sich die Sache zugetragen hat!«
»Zunächst muß ich da sagen, daß der Häuptling der Comanchen selbst getäuscht worden ist.«
»Von wem?« fragte der »weiße Biber«, indem er plötzlich ein sehr ernstes Gesicht machte.
»Von den sämmtlichen Bleichgesichtern, welche Du bei Dir hast, vermuthe ich.«
»Auf eine Vermuthung darf ich nicht hören. Gib mir den Beweis! Wenn die mich täuschen, mit denen wir die Pfeife des Friedens geraucht haben, so müssen sie sterben!«
»Also nicht nur die Friedenshand hast Du ihnen gegeben, sondern sogar das Calummet mit ihnen geraucht? Wäre ich bei Dir gewesen, so hätte ich Dich gehindert, es zu thun. Ich werde Dir den verlangten Beweis geben. Sage mir, wessen Freund Du bist, etwa des Präsidenten Juarez?«
Der Gefragte machte eine wegwerfende Handbewegung und antwortete:
»Juarez ist eine abgefallene Rothhaut, welche in Häusern wohnt und das Leben der Bleichgesichter führt. Ich verachte ihn. Die Krieger der Comanchen haben ihre Tapferkeit dem [565] großen Napoleon geliehen, welcher ihnen dafür Waffen, Pferde und Decken schenkt und ihnen die Apachen in die Hände gibt. Auch die Bleichgesichter sind Napoleon's Freunde.«
»Das ist eben eine Lüge. Damit haben sie Dich getäuscht. Sie sind nach Mexico gekommen, um Juarez zu dienen. Hier sitzen meine Gefährten als Zeugen. Du weißt doch, wen der große, weiße Vater in Washington in seinen Schutz genommen hat?«
»Juarez.«
»Und daß drüben jenseits der Grenze Soldaten angeworben werden, welche man auf heimlichen Wegen an Juarez herüber sendet, weißt Du auch. Nun, zu La Grange wohnt ein Mexicaner, welcher Sennor Cortesio heißt. Wir selbst sind bei ihm gewesen, und diese beiden Männer waren seine Nachbarn und Freunde. Er selbst hat es ihnen und uns gesagt, daß er viele Männer für Juarez anwirbt, und am Tage, bevor wir zu ihm kamen, einige der bei Dir befindlichen Weißen zu Soldaten des Juarez gemacht hat. Die Andern aber sind Truppen, welche die Angeworbenen begleiten müssen. Du bist ein Feind des Juarez und hast doch mit seinen Soldaten die Pfeife des Friedens geraucht, weil sie Dich belogen haben.«
Das Auge des Häuptlings flammte zornig auf. Er wollte sprechen, doch Old Death fiel ihm in die Rede:
»Laß mich vor Dir sprechen! Also diese Bleichgesichter sind Soldaten des Juarez. Sie kamen auf die Hazienda des Sennor Atanasio, der ein Freund Napoleon's ist. Er hatte einen hohen, alten Anführer der Franzosen als Gast bei sich. Die Bleichgesichter hätten diesen Mann getödtet, wenn sie ihn erkannt hätten. Darum mußte er sich krank stellen und sich niederlegen. Man bestrich sein Gesicht mit dunkler Farbe, um ihm das Aussehen eines Indianers zu geben. Als nun die Bleichgesichter ihn sahen und fragten, wer er sei, wurde geantwortet, er sei der ›gute Mann‹, der Häuptling der Apachen.«
Der Häuptling zog die Augenbrauen hoch. Er glaubte dem Erzähler, war aber doch so vorsichtig, zu fragen:
»Warum sagte man grad diesen Namen?«
»Weil die Apachen es mit Juarez halten. Die Bleichgesichter mußten also in diesem Manne einen Freund erkennen. Und er war alt und hatte graues Haar, welches er nicht verbergen konnte. Man wußte, daß der ›gute Mann‹ auch graues Haar hat; darum gab man ihm den Namen dieses Apachen.«
»Uff! Jetzt verstehe ich Dich. Dieser Sennor muß ein sehr kluger Mann sein, daß er auf eine solche Ausrede gekommen ist. Aber wo war der Anführer des Napoleon, als meine Krieger kamen? Sie haben ihn nicht gesehen.«
»Er war bereits wieder fort. Du siehst also, es ist nur eine Ausrede gewesen, daß Winnetou den ›guten Mann‹ gebracht habe. Die Bleichgesichter haben das geglaubt. Dann sind sie auf Dich und Deine Krieger gestoßen. Sie haben gewußt, daß die Comanchen Freunde der Franzosen sind, und sich also auch für deren Freunde ausgegeben.«
»Ich glaube Dir, aber ich muß einen sichern Beweis haben, daß sie Anhänger des Juarez sind, sonst kann ich sie nicht bestrafen, denn sie haben aus unserm Calummet geraucht.«
»Ich wiederhole, daß ich Dir diesen Beweis geben werde. Vorher aber muß ich Dir sagen, daß sich unter diesen Bleichgesichtern zwei Männer befinden, welche ich gefangen nehmen will.«
»Warum?«
»Sie sind unsere Feinde, und wir haben unsere Pferde viele Tage lang auf ihrer Spur gehabt.«
Das war die beste Antwort. Hätte Old Death eine lange Erzählung über Gibson und William Ohlert gemacht, so hätte er das nicht erreicht, was er mit den kurzen Worten »Sie sind unsere Feinde« erreichen konnte. Das zeigte sich sofort, denn der Häuptling sagte:
»Wenn sie Deine Feinde sind, so sind sie auch die unserigen, sobald wir ihnen den Rauch des Friedens wieder genommen haben. Ich werde Dir die Beiden schenken.«
»Gut! So laß den Anführer der Bleichgesichter hierher kommen! Wenn ich mit ihm rede, so wirst Du bald erkennen, wie Recht ich habe, wenn ich behaupte, daß er Anhänger des Juarez ist.«
Der Häuptling winkte. Einer seiner Krieger kam herbei und erhielt den betreffenden Befehl. Er schritt auf einen Weißen zu, sagte ihm einige Worte, und dann kam dieser zu uns, eine hohe, starke Gestalt mit bärtigem Gesicht und von martialischem Aussehen.
»Was soll ich?« fragte er, indem er uns mit einem finstern, feindseligen Blicke maß. Ich war jedenfalls von Gibson erkannt worden, und dieser hatte ihm gesagt, daß von uns nichts Gutes zu erwarten war. Meine Neugierde, zu hören, wie Old Death seinen Kopf aus der Schlinge ziehen werde, war nicht gering. Der alte, pfiffige Scout sah dem Frager mit sehr freundlichem Blicke in das Gesicht und antwortete auf das höflichste:
»Ich habe Euch von Sennor Cortesio in La Grange zu grüßen, Sennor.«
»Kennt Ihr ihn denn?« fragte der Mann schnell, ohne zu ahnen, daß er soeben an eine sehr gefährliche Angel beiße.
»Natürlich kenne ich ihn,« meinte der Alte. »Wir sind Freunde seit langer Zeit. Leider kam ich zu spät, um Euch bei ihm zu treffen, doch gab er mir die Richtung an, in welcher wir Euch treffen könnten.«
»Wirklich? So müßt Ihr freilich ein sehr guter Freund von ihm sein. Welche Richtung nannte er?«
»Die Furth zwischen dem Las Moras und Rio Moral, und dann über Baya und Tabal nach Chihuahua. Ihr seid allerdings von dieser Route ein wenig abgewichen.«
»Weil wir unsere Freunde, die Comanchen, trafen.«
»Eure Freunde? Ich denke, die Krieger der Comanchen sind Eure Gegner!«
Der Mann kam ganz sichtlich in große Verlegenheit; er räusperte sich und hustete, um Old Death ein Zeichen zu geben, welcher aber nichts zu bemerken schien. Old Death fuhr fort:
»Ihr haltet es ja mit Juarez; die Comanchen aber kämpfen für die Franzosen.«
Jetzt hatte sich der Mexicaner gefaßt. Er erklärte:
»Sennor, da irrt Ihr Euch sehr. Auch wir stehen auf der Seite der Franzosen.«
»Und schafft Angeworbene aus den Vereinigten Staaten nach Mexico?«
»Ja, aber für Napoleon.«
»Ah so! Also Sennor Cortesio wirbt für Napoleon an?«
»Natürlich! Für wen denn anders?«
»Ich denke, für Juarez.«
»Das fällt ihm gar nicht ein!«
»Schön! Ich danke Euch für diese Aufklärung, Sennor! Ihr könnt jetzt wieder an Euern Platz zurückkehren.«
Ueber das Gesicht des Mannes zuckte es zornig. Sollte er sich von diesem unscheinbaren Menschen wie ein Untergebener fortweisen lassen?
»Sennor,« sagte er, »woher habt Ihr das Recht, mich so einfach in dieser Weise gehen zu heißen?«
»An diesem Feuer sitzen nur Häuptlinge und hervorragende Personen.«
»Ich bin Offizier!«
»Des Juarez?« fragte Old Death, schnell emporfahrend.
»Ja – nein, nein, Napoleons, wie ich bereits sagte.«
»Nun, soeben habt Ihr Euch glanzvoll versprochen. Ein Offizier, zumal in solchen Verhältnissen, sollte seine Zunge doch besser bewahren können. Ich bin mit Euch fertig, Ihr könnt gehen.«
[566] Der Offizier wollte noch etwas sagen. Da aber machte der Häuptling eine gebieterisch fortweisende Armbewegung, welcher er gehorchen mußte.
»Nun, was sagt mein Bruder jetzt?« fragte Old Death.
»Sein Gesicht klagt ihn an,« antwortete der »weiße Biber«, »aber auch das ist noch kein Beweis.«
»Du bist aber überzeugt, daß er Offizier und bei jenem Sennor Cortesio gewesen ist?«
»Ja.«
»Er muß also zu der Partei gehören, für welche Cortesio anwirbt?«
»So ist es. Beweise mir aber, daß dieser Mann für Juarez anwirbt, so bin ich befriedigt!«
»Nun, hier ist der Beweis.«
Er griff in die Tasche und zog den Paß hervor, welcher mit »Juarez« unterschrieben war. Er öffnete ihn und fuhr fort:
»Um uns selbst zu überzeugen, daß Cortesio für Juarez arbeitet und daß alle Bleichgesichter, welche zu ihm kommen, Freunde von Juarez sind, haben wir so gethan, als ob auch wir uns anwerben lassen wollten. Er hat uns angenommen und Jedem von uns einen Paß gegeben, welcher mit dem Namen Juarez unterzeichnet ist. Mein Gefährte kann Dir den seinigen ebenfalls zeigen.«
Der Häuptling nahm den Paß und betrachtete ihn genau. Ein grimmiges Lächeln glitt über sein Gesicht.
»Der ›weiße Biber‹ hat nicht die Kunst der Weißen gelernt, auf dem Papiere zu sprechen,« sagte er; »aber er kennt das Zeichen ganz genau, welches er hier sieht, es ist das Totem des Juarez. Und unter meinen Kriegern ist ein junger Mann, ein Halbblut, welcher als Knabe viel bei den Bleichgesichtern gewesen ist und die Kunst versteht, das Papier sprechen zu lassen. Ich werde ihn rufen.«
Er rief laut einen Namen aus. Ein junger, hell gefärbter Mann trat herbei und nahm auf einige Worte des Häuptlings den Paß in die Hand, kniete neben dem Feuer nieder und las, zugleich übersetzend, die Worte vor. Ich verstand ihn nicht; aber Old Death's Gesicht wurde heller und immer heller. Als der Halbwilde geendet hatte, gab er den Paß mit sichtlichem Stolz, eine solche Kunst ausgeübt zu haben, zurück und entfernte sich. Old Death steckte den Paß ein und fragte: »Soll auch mein Gefährte den seinigen zeigen?«
Der Häuptling schüttelte den Kopf.
»Weiß mein rother Bruder nun, daß diese Bleichgesichter ihn belogen haben und seine Feinde sind?«
»Er weiß es nun ganz gewiß. Er wird seine hervorragendsten Krieger sofort versammeln, um mit ihnen zu berathen, was geschehen soll.«
»Soll ich an dieser Berathung Theil nehmen?«
»Nein. Mein Bruder ist klug im Rathe und muthig bei der That; aber wir brauchen ihn nicht, denn er hat bewiesen, was er beweisen wollte. Was nun zu geschehen hat, ist nur Sache der Comanchen, welche belogen worden sind.«
»Noch Eins. Es gehört zwar nicht zu der bisherigen Angelegenheit, ist aber von großer Wichtigkeit für uns. Warum ist mein rother Bruder so weit südwärts gezogen? Warum wagt er sich hinauf auf die Höhen der Wüste?«
»Die Comanchen wollten erst weiter nördlich reiten; aber sie haben erfahren, daß Winnetou mit großen Schaaren nach dem Rio Conchos ist, und daß in Folge dessen die Dörfer der Apachen hier unbewacht stehen. Wir haben uns daher schnell nach Süden gewendet und werden hier eine so große Beute machen, wie noch keine heimgeschafft wurde.«
»Winnetou nach dem Rio Conchos? Hm! Ist diese Nachricht zuverläßig? Von wem hast Du sie? Wohl von den zwei Indianern, welche nordwärts von hier auf Euch trafen?«
»Ja. Ihr habt ihre Fährte gesehen?«
»Wir sahen sie. Was für Indianer waren es?«
»Sie sind vom Stamme der Topia, Vater und Sohn.«
»Befinden sie sich noch bei Dir, und darf ich mit ihnen sprechen?«
»Mein Bruder darf Alles thun, was ihm gefällt.«
»Auch mit den beiden Bleichgesichtern sprechen, welche Du mir ausliefern wirst?«
»Wer soll Dich daran hindern?«
»So habe ich nur noch eine Bitte: Erlaube mir, um das Lager zu gehen! Wir sind in Feindesland, und ich möchte mich überzeugen, daß Alles zu unserer Sicherheit Erforderliche geschehen ist.«
»Thue es, obgleich es nicht nöthig ist. Der ›weiße Biber‹ hat das Lager und die Wachen geordnet. Auch sind unsere Kundschafter vor uns. Also ist Alles in Ordnung.«
Seine Freundschaft für Old Death mußte sehr groß sein, da er sich nicht beleidigt fühlte durch das Verlangen des Scout, selbst nach den getroffenen Sicherheitsmaßregeln zu sehen. Die beiden vornehmen Comanchen, welche vollständig wortlos bei ihm gesessen hatten, erhoben sich jetzt und schritten in gemessener Haltung davon, um die Theilnehmer der Berathung zusammen zu holen. Die andern Comanchen nahmen nun wieder an ihren Feuern Platz. Die beiden Lange's und Sam bekamen einen Platz an einem derselben angewiesen und drei tüchtige Stücke gebratenen Pferdefleisches vorgelegt. Old Death aber nahm mich beim Arme und zog mich fort nach dem Feuer, an welchem die Weißen allein saßen. Als man uns dort kommen sah, stand der Offizier auf, kam uns zwei Schritte entgegen und fragte in englischer Sprache in feindseligem Tone:
»Was hatte denn eigentlich das Examen zu bedeuten, Master, welches Euch beliebte, mit mir anzustellen?«
Der Alte grinste ihn freundlich an und antwortete:
»Das werden Euch nachher die Comanchen sagen; darum kann ich mir die Antwort ersparen. Uebrigens befinden sich unter Euch Pferdediebe. Sprecht ja nicht in einem so hochtrabenden Tone mit Old Death! Es stehen sämmtliche Comanchen zu mir und gegen Euch, so daß es nur eines kleinen Winkes von mir bedarf, und es ist um Euch geschehen.«
Er wendete sich mit stolzer Geberde von ihnen ab, blieb aber stehen, um mir Gelegenheit zum sprechen zu lassen. Gibson und William Ohlert saßen ebenfalls in der Runde. Der letztere sah außerordentlich leidend und verkommen aus. Seine Kleidung war zerrissen und sein Haar verwildert. Die Wangen waren eingefallen, und die Augen lagen tief in ihren Höhlen. Er schien weder zu sehen noch zu hören, was um ihn vorging, hatte einen Bleistift in der Hand und ein Blatt Papier auf dem Knie liegend und stierte in einemfort auf dasselbe nieder. Mit ihm hatte ich zunächst nichts zu thun. Er war willenlos. Darum wendete ich mich an seinen Verführer:
»Treffen wir uns endlich, Master Gibson? Hoffentlich bleiben wir von jetzt an für längere Zeit beisammen.«
Er lachte mir geradezu in das Gesicht und antwortete:
»Mit wem redet Ihr denn da, Sir?«
»Mit Euch natürlich!«
»Nun, so natürlich ist das doch wohl nicht. Ich ersehe nur aus Euerem Blicke, daß ich gemeint bin. Ihr nanntet mich Gibson, glaube ich?«
»Allerdings.«
»Nun, so heiße ich nicht.«
»Seid Ihr nicht in New-Orleans vor mir davongelaufen?«
»Master, bei Euch rappelt es wohl unter dem Hute! Ich bin weder ein Irrenarzt, noch heiße ich Gibson.«
»Ja, wer so viele Namen hat, kann sehr leicht einen von ihnen verleugnen. Nanntet Ihr Euch nicht in New-Orleans Clinton? Und in La Grange hießt Ihr wieder Sennor Gavilano?«
[567] »Das ist allerdings mein richtiger und eigentlicher Name. Was wollt Ihr überhaupt von mir? Ich habe nichts mit Euch zu schaffen. Laßt mich in Ruhe! Ich kenne Euch nicht«
»Glaube es. Ein Polizist kommt zuweilen in die Lage, nicht erkannt zu werden. Mit dem Leugnen entkommt Ihr mir nicht. Ihr habt Eure Rolle ausgespielt. Ich bin Euch nicht von New-York aus bis hierher gefolgt, um mich von Euch auslachen zu lassen. Ihr werdet mir von jetzt an dahin folgen, wohin ich Euch führe.«
»O! Und wenn ich es nicht thue?«
»So werde ich Euch hübsch auf ein Pferd binden, und ich denke, daß das Thier mir dann gehorchen wird.«
Da fuhr er auf, zog den Revolver und schrie:
»Mann, sagt mir noch ein solches Wort, so soll Euch der Teufel auf – – –«
Er kam nicht weiter. Old Death war hinter ihn getreten und schlug ihm den Gewehrkolben auf den Arm, daß er den Revolver fallen ließ.
»Führt nicht das große Wort, Gibson!« sagte der Alte. »Es befinden sich hier Leute, welche sehr im Stande sind, Euch den großen Mund zu stopfen!«
Gibson hielt sich den Arm, wendete sich um und schrie:
»Herr, soll ich Euch das Messer zwischen die Rippen geben? Meint Ihr, weil Ihr Old Death heißt, soll ich mich vor Euch fürchten?«
»Nein, mein Junge, fürchten sollst Du Dich nicht; aber gehorchen wirst Du. Wenn Du noch ein Wort sagst, welches mir in die Nase fährt, so niese ich Dich mit einer guten Büchsenkugel an. Hoffentlich wissen es uns die Gentlemen Dank, wenn wir sie von so einem Halunken befreien, wie Ihr seid.«
Sein Ton und seine Haltung waren nicht ohne Einfluß auf Gibson. Dieser meinte bedeutend kleinlauter:
»Aber, ich weiß ja gar nicht, was Ihr wollt. Ihr verkennt mich. Ihr verwechselt mich mit einem Andern!«
»Das ist sehr unwahrscheinlich. Du hast ein so ausgesprochenes Spitzbubengesicht, daß es nie mit einem andern verwechselt werden kann. Und übrigens sitzt der Hauptzeuge gegen Dich hier neben Dir.«
Er deutete bei diesen Worten auf William Ohlert.
»Der? Ein Zeuge gegen mich?« fragte Gibson. »Das ist wieder ein Beweis, daß Ihr mich verkennt. Fragt ihn doch einmal!«
Ich legte William die Hand auf die Schulter und nannte seinen Namen. Er erhob langsam den Kopf, stierte mich verständnißlos an und sagte nichts.
»Master Ohlert, Sir William, hört Ihr mich nicht?« wiederholte ich. »Euer Vater sendet mich zu Euch.«
Sein leerer Blick blieb an meinem Gesichte haften, aber er sprach kein Wort. Da fuhr Gibson ihn in drohendem Tone an:
»Deinen Namen wollen wir hören. Nenne ihn sofort.«
[568][583] Der Gefragte wendete den Kopf nach dem Sprecher und antwortete halblaut und in ängstlichem Tone wie ein eingeschüchtertes Kind:
»Ich heiße Guillelmo.«
»Was bist Du?«
»Dichter.«
Ich fragte weiter:
»Heißt Du Ohlert? Bist Du aus New-York? Hast Du einen Vater?« Aber alle Fragen verneinte er, ohne sich im mindesten zu besinnen. Man hörte, daß er abgerichtet war. Es war gewiß, daß, seit Ohlert sich in den Händen dieses raffinirten [583] Mannes befand, sich sein Geist mehr und mehr umnachtet hatte.
»Da habt Ihr Euern Zeugen!« lachte der Bösewicht. »Er hat Euch bewiesen, daß Ihr Euch auf einem falschen Wege befindet. Also habt die Gewogenheit, uns von jetzt an ungeschoren zu lassen!«
»Will ihn doch um etwas Besonderes fragen,« sagte ich. »Vielleicht ist sein Gedächtniß doch noch stärker als die Lügen, die Ihr ihm eingepaukt habt.«
Mir war ein Gedanke gekommen. Ich zog die Brieftasche hervor, durch deren Verschluß das Wasser beim heutigen Bade nicht gedrungen war. Ich hatte das Zeitungsblatt mit Ohlert's Gedicht in derselben, nahm es heraus und las langsam und mit lauter Stimme den ersten Vers. Ich glaubte, der Klang seines eigenen Gedichtes werde ihn aus seiner geistigen Unempfindlichkeit reißen. Aber er blickte fort und fort auf sein Knie nieder. Ich las den zweiten Vers, ebenso vergeblich. Dann den dritten:
»Kennst du die Nacht, die auf den Geist dir sinkt,
Daß er vergebens um Erlösung schreit,
Die schlangengleich sich um's Gedächtniß schlingt
Und tausend Teufel in's Gehirn dir speit?«
Die letzten beiden Zeilen hatte ich lauter als bisher gelesen. Er erhob den Kopf; er stand auf und streckte die Hände aus. Ich fuhr fort:
»O sei vor ihr ja stets in wachen Sorgen – – –
Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen!«
Da schrie er auf, zu mir hinspringend und nach dem Blatte greifend. Ich ließ es ihm. Er bückte sich zu dem Feuer nieder und las selbst, laut, von Anfang bis zu Ende. Dann richtete er sich auf und rief in triumphirendem Tone, so daß es weit durch das nächtlich stille Thal schallte:
»Gedicht von Ohlert, von William Ohlert, von mir, von mir selbst! Denn ich bin dieser William Ohlert, ich selbst. Nicht Du heißt Ohlert, nicht Du, sondern ich!«
Die letzten Worte waren an Gibson gerichtet. Ein fürchterlicher Verdacht stieg in mir auf. Gibson befand sich im Besitze von William's Legitimationen – sollte er, trotzdem er älter als dieser war, sich für ihn ausgeben wollen? Sollte er – – –? Aber ich fand keine Zeit, diesen Gedanken auszudenken, denn der Häuptling kam, ganz die Rathsversammlung und seine Würde vergessend, herbeigesprungen, stieß William auf den Boden nieder und gebot:
»Schweig, Hund! Sollen die Apachen hören, daß wir uns hier befinden? Du rufst ja den Kampf und den Tod herbei!«
William Ohlert stieß einen unverständlichen Klageruf aus und sah mit einem stieren Blick zu dem Indianer empor. Das Aufflackern seines Geistes war plötzlich wieder erloschen. Ich nahm ihm das Blatt aus der Hand und steckte es wieder zu mir. Vielleicht gelang es mir mit Hilfe desselben später wieder, ihn zum Bewußtsein seiner selbst zu bringen.
»Zürne ihm nicht!« bat Old Death den Häuptling. »Sein Geist ist umnachtet. Er wird fortan ruhig sein. Und nun sage mir, ob diese beiden Männer die Topia's sind, von denen du zu mir sprachest!«
Er deutete auf zwei indianisch gekleidete Gestalten, welche mit an dem Feuer der Weißen saßen.
»Ja, sie sind es,« antwortete der Gefragte. »Sie verstehen die Sprache der Comanchen nicht gut. Du mußt mit ihnen in der Sprache der Grenze reden. Aber sorgt dafür, daß dieser Weiße, dessen Seele nicht mehr vorhanden ist, sich still verhalte, sonst muß ich ihm den Mund verbinden lassen!«
Er kehrte wieder zu dem Feuer der Berathung zurück. Old Death entfernte sich noch nicht, ließ vielmehr seinen Blick scharf und forschend über die beiden Indianer gleiten und fragte den Aeltesten von ihnen:
»Meine rothen Brüder sind von dem Hochlande von Topia herabgekommen? Sind die Krieger, welche da oben wohnen, die Freunde der Comanchen?«
»Ja,« antwortete der Mann. »Wir leihen unsere Tomahawks den Kriegern der Comanchen.«
»Wie kommt es aber, daß Eure Fährte vom Norden herbei führte, wo nicht Eure Brüder wohnen, sondern diejenigen, welche die Feinde der Comanchen sind, die Llanero- und Taraconapachen?«
Diese Frage schien den Indianer in Verlegenheit zu setzen, was man deutlich sehen konnte, weil weder er, noch sein Sohn eine Malerei im Gesicht trug. Er antwortete nach einer Weile:
»Mein weißer Bruder thut da eine Frage, welche er sich sehr leicht selbst beantworten kann. Wir haben das Kriegsbeil gegen die Apachen ausgegraben und sind nach Norden geritten, um den Aufenthaltsort derselben auszukundschaften.«
»Was habt Ihr da gefunden?«
»Wir haben Winnetou gesehen, den größten Häuptling der Mapimi-Apachen. Er ist mit allen seinen Kriegern aufgebrochen, um den Krieg über den Rio Conchos zu tragen. Da kehrten wir zurück, dies den Unseren zu melden, damit dieselben sich beeilen möchten, über die Dörfer der Apachen herzufallen. Wir trafen dabei auf die Krieger der Comanchen und haben sie hierher geführt, damit auch sie das Verderben über unsere Feinde bringen möchten.«
»Die Comanchen werden Euch dankbar dafür sein. Aber seit wann haben die Krieger der Topia's vergessen, ehrliche Leute zu sein?«
Es war klar, daß der Alte irgend einen Verdacht gegen die Beiden hegte; denn er sprach zwar sehr freundlich mit ihnen, aber seine Stimme hatte eine eigenthümliche Färbung, einen Klang, welchen ich stets an derselben beobachtet hatte, wenn er die heimliche Absicht hegte, Jemand zu überlisten. Den vermeintlichen Topia's waren seine Fragen sehr unbequem. Der jüngere blitzte ihn mit feindseligen Augen an. Der ältere gab sich alle Mühe, freundlich zu antworten, doch hörte man, daß seine Worte nur widerstrebend über seine Lippen kamen.
»Warum fragt mein weißer Bruder nach unserer Ehrlichkeit?« sagte er jetzt. »Welchen Grund hat er, an ihr zu zweifeln?«
»Ich habe nicht die Absicht, Euch zu kränken. Aber wie kommt es, daß Ihr nicht bei den Kriegern der Comanchen sitzet, sondern Euch hier bei den Bleichgesichtern niedergelassen habt?«
»Old Death fragt mehr, als er sollte. Wir sitzen hier, weil es uns so gefällt.«
»Aber Ihr erweckt dadurch die Meinung, daß die Comanchen die Topia's verachten. Es sieht ganz so aus, als ob sie Vortheil von Euch ziehen wollen, Euch aber nicht erlauben, bei ihnen zu sitzen.«
Das war eine Beleidigung. Der Rothe brauste auf:
»Sprich nicht solche Worte, sonst hast Du mit uns zu kämpfen. Wir haben bei den Comanchen gesessen und sind nun zu den Bleichgesichtern gekommen, um von ihnen zu lernen. Oder ist es vielleicht verboten, zu erfahren, wie es in den Gegenden und Städten der Weißen zugeht?«
»Nein; das ist nicht verboten. Aber ich an Eurer Stelle würde vorsichtiger verfahren. Dein Auge hat den Schnee vieler Winter erblickt; darum solltest Du wissen, was ich meine.«
»Wenn ich es nicht weiß, so sage es mir!« erklang es höhnisch. Da trat Old Death nahe zu ihm hin, bückte sich ein wenig zu ihm nieder und fragte in fast strengem Tone:
»Haben die Krieger der Comanchen mit Euch die Pfeife des Friedens geraucht, und habt Ihr auch den Rauch des Calummets durch Eure Nasen geblasen?«
»Ja.«
»So seid Ihr streng verpflichtet, nur das zu thun, was zu ihrem Vortheile dient.«
[584] [586]»Meinst Du etwa, daß wir dies nicht thun wollen?«
Die Beiden sahen einander scharf in die Augen. Es war, als ob ihre Blicke sich umkrallen wollten, um mit einander zu ringen. Dann antwortete Old Death:
»Ich sehe es Dir an, daß Du mich verstanden und meine Gedanken errathen hast. Wollte ich dieselben aussprechen, so wäret Ihr beide verloren.«
»Uff!« rief der Rothe, indem er emporsprang und zu seinem Messer griff. Auch sein Sohn richtete sich drohend auf und zog den Tomahawk aus dem Gürtel. Old Death aber beantwortete diese feindlichen Bewegungen nur mit einem ernsten Kopfnicken und sagte:
»Ich bin überzeugt, daß Ihr Euch nicht lange bei den Comanchen befinden werdet. Wenn Ihr zu denen zurückkehrt, welche Euch ausgesandt haben, so sagt ihnen, daß wir ihre Freunde sind. Old Death liebt alle rothen Männer und fragt nicht, zu welchem Stamme sie gehören.«
Da zischte ihm der andere die Frage entgegen:
»Meinst Du vielleicht, daß wir nicht zu dem Stamme der Topia's gehören?«
»Mein rother Bruder mag bedenken, wie unvorsichtig es von ihm ist, diese Frage auszusprechen. Ich habe meine Gedanken verschwiegen, weil ich nicht Dein Feind sein will. Warum verräthst Du sie selbst? Stehst Du nicht inmitten eines fünfhundertfachen Todes?«
Die Hand des Rothen zuckte mit dem Messer, als ob er zustoßen wolle. »Sage mir also, wofür Du uns hältst!« forderte er den Alten auf.
Dieser ergriff den Arm, dessen Hand das Messer hielt, zog den Indianer ein Stück bei Seite, bis hin zu mir und sagte leise, doch so, daß ich es hörte, ein paar Worte in der Sprache der Indianer zu ihm. Natürlich kannte ich die Bedeutung derselben nicht. Später erklärte mir Old Death, daß sie deutsch lauten: »Ihr seid Apachen.« Old Death's Worte waren von großer Wirkung, der Indianer trat einen Schritt zurück, riß seinen Arm aus der Hand des Alten, zückte das Messer zum Stoße und sagte:
»Hund, Du lügst!«
Old Death machte keine Bewegung, den Stoß von sich abzuwehren. Er raunte dem Aufgeregten leise zu:
»Du willst den Freund Winnetou's tödten?«
War es der Inhalt dieser Worte oder war es der scharfe stolze Blick des Alten, welcher die beabsichtigte Wirkung hervorbrachte, kurz und gut, der Indianer ließ den Arm sinken. Er näherte seinen Mund dem Ohre Old Death's und sagte drohend:
»Schweig'!«
Dann wendete er sich ab und setzte sich wieder nieder. Sein Gesicht war so ruhig und von undurchdringlichem Ausdrucke, als ob gar nichts geschehen sei. Er sah sich durchschaut, aber es war ihm nicht die geringste Spur von Mißtrauen oder Furcht anzusehen. Kannte er Old Death so genau, um ihm keinen Verrath zuzutrauen? Oder wußte er sich aus irgend einem anderen Grunde sicher? Auch sein Sohn setzte sich ganz ruhig neben ihm nieder und steckte den Tomahawk wieder in den Gürtel. Die beiden Apachen hatten es gewagt, sich als Führer an die Spitze ihrer Todfeinde zu stellen, eine Kühnheit, welche bewundernswerth war. Wenn ihre Absicht gelang, so waren die Comanchen dem sichern Verderben geweiht. Wir wollten nun die Gruppen verlassen, aber eine unter den Comanchen entstehende Bewegung veranlaßte uns, stehen zu bleiben. Wir sahen, daß die Berathung zu Ende war. Die Theilnehmer hatten sich erhoben, und den Rothen war von ihrem Häuptlinge ein Befehl geworden, in Folge dessen auch sie ihre Feuer verließen und einen dichten Kreis um dasjenige bildeten, an welchem wir uns befanden. Die Weißen wurden von ihnen eingeschlossen. Der »weiße Biber« trat in würdevoller Haltung in den Kreis und erhob den Arm, zum Zeichen, daß er sprechen wolle. Tiefes Schweigen herrschte rundum. Die Weißen ahnten noch nicht, was jetzt kommen werde. Sie waren aufgestanden. Nur die beiden vermeintlichen Topia's blieben sitzen und blickten ruhig vor sich nieder, als ob der Vorgang sie gar nichts angehe. Auch William Ohlert saß noch auf seinem Platze und starrte auf den Bleistift, den er wieder in den Fingern hielt.
Jetzt begann der Häuptling in langsamer, schwer betonter Rede:
»Die Bleichgesichter sind zu den Kriegern der Comanchen gekommen und haben ihnen gesagt, daß sie ihre Freunde seien. Darum wurden sie von ihnen aufgenommen und haben mit ihnen die Pfeife des Friedens geraucht. Jetzt aber haben die Comanchen erfahren, daß sie von den Bleichgesichtern belogen wurden. Der ›weiße Biber‹ hat Alles, was für sie und was gegen sie spricht, genau abgewogen und mit seinen erfahrensten Männern berathen, was geschehen soll. Er ist mit ihnen darüber einig geworden, daß die Bleichgesichter uns belogen haben und unsere Freundschaft und unsern Schutz nicht länger verdienen. Darum soll von diesem Augenblicke an der Bund mit ihnen aufgehoben sein, und die Feindschaft soll an die Stelle der Freundschaft treten.«
Er hielt für einen Augenblick inne. Der Offizier ergriff schnell die Gelegenheit, indem er fragte:
»Wer hat uns verleumdet? Jedenfalls sind es die vier Männer gewesen, welche mit ihrem Schwarzen gekommen sind, eine Gefahr über uns heraufzubeschwören, welche wir nicht verdient haben. Es ist von uns bewiesen worden, und wir wiederholen es, daß wir Freunde der Comanchen sind. Die Fremden aber mögen den Beweis bringen, daß sie es ehrlich mit unsern rothen Brüdern meinen! Wer sind sie, und wer kennt sie? Haben sie Böses über uns gesprochen, so verlangen wir, es zu erfahren, um uns vertheidigen zu können. Wir lassen uns nicht richten, ohne angehört worden zu sein! Ich bin Offizier, also ein Häuptling unter den Meinen. Ich kann und muß verlangen, an jeder Berathung, welche über uns stattfinden soll, Theil nehmen zu dürfen!«
»Wer hat Dir die Erlaubniß gegeben, zu sprechen?« fragte der Häuptling in strengem, stolzem Tone. »Wenn der ›weiße Biber‹ redet, so hat Jeder zu warten, bis er ausgesprochen hat! Du verlangst, gehört zu werden. Du bist gehört worden, als Old Death vorhin mit Dir sprach. Es ist erwiesen, daß Ihr Krieger von Juarez seid. Wir aber sind Freunde von Napoleon; folglich seid Ihr unsere Feinde. Du fragst, wer diese vier Bleichgesichter seien, und ich sage Dir: sie sind tapfere, ehrliche Krieger. Wir kannten Old Death viele Winter vorher, bevor wir Eure Gesichter erblickten. Du forderst, an unserer Berathung Theil nehmen zu dürfen. Ich sage Dir, daß selbst Old Death nicht die Erlaubniß dazu erhalten hat. Die Krieger der Comanchen sind Männer. Sie bedürfen nicht der Klugheit der Bleichgesichter, um zu wissen, was klug oder unklug, was richtig oder falsch ist. Ich bin jetzt zu Euch getreten, um Euch zu sagen, was wir beschlossen haben. Ihr habt das ruhig anzuhören und kein Wort dazu zu sagen, denn – –«
»Wir haben das Calummet mit Euch geraucht,« unterbrach ihn der Offizier. »Wenn Ihr uns feindselig behandelt, so –«
»Schweig', Hund!« donnerte ihn der Häuptling an. »Du hattest jetzt eine Beleidigung auf den Lippen. Bedenke, daß Ihr von über fünfhundert Kriegern umgeben seid, welche bereit sind, dieselbe augenblicklich zu rächen! Ihr habt das Calummet nur in Folge einer Täuschung, einer Lüge bekommen. Aber die Krieger der Comanchen kennen den Willen des großen Geistes. Sie achten die Gesetze, welche bei ihnen herrschen, und wissen, daß Ihr Euch noch jetzt unter dem Schutze des Calummets befindet und daß sie Euch als Freunde behandeln müssen, bis Ihr aus demselben getreten seid. Roth ist der heilige Pfeifenthon, aus welchem das Calummet geschnitten wird. Roth ist die [586] Farbe des Lichtes, des Tages und der Flamme, mit welcher das Calummet in Brand gesteckt wird. Ist sie erloschen, so gilt der Friede, bis das Licht von Neuem erscheint. Wenn das Licht des Tages beginnt, ist die Ruhe vorüber und unser Bund zu Ende. Bis dahin seid Ihr unsere Gäste. Dann aber wird Feindschaft sein zwischen uns und Euch. Ihr sollt hier sitzen und schlafen, und Niemand wird Euch berühren. Aber sobald der Tag zu grauen beginnt, sollt Ihr davonreiten in der Richtung, aus welcher Ihr mit uns gekommen seid. Ihr sollt einen Vorsprung haben von einer Zeit, welche Ihr fünf Minuten nennt; dann werden wir Euch verfolgen. Ihr sollt bis dahin Alles behalten und mitnehmen dürfen, was Euch gehört; dann aber werden wir Euch tödten und es uns holen. Die Beiden aber unter Euch, welche Old Death für sich haben will, sollen zwar auch bis dahin unsere Gäste sein, weil sie auch das Calummet mit uns rauchten; aber sie werden nicht mit Euch reiten dürfen, sondern hier bleiben als Gefangene Old Death's, welcher mit ihnen machen kann, was ihm beliebt. Das ist der Beschluß, den Ihr hören sollt. Der ›weiße Biber‹, der Häuptling der Comanchen, hat gesprochen!«
Er wendete sich ab.
»Was?« rief Gibson. »Ich soll ein Gefangener dieses alten Mannes sein? Ich werde – –«
»Seid still!« unterbrach ihn der Offizier. »Es ist an den Anordnungen des Häuptlings nichts mehr zu ändern. Ich kenne die Rothen. Uebrigens bin ich überzeugt, daß der gegen uns gezielte Schlag auf die Verleumder zurückfallen wird. Noch ist es nicht Morgen. Bis dahin kann sehr viel geschehen. Vielleicht ist die Rache näher, als man denkt.«
Sie setzten sich wieder nieder, wie sie vorhin gesessen hatten. Die Comanchen aber nahmen ihre Sitze nicht wieder ein, sondern verlöschten ihre Feuer und lagerten sich in einem vierfachen Kreis um die Weißen, so daß diese von allen Seiten eingeschlossen waren. Old Death nahm mich mit aus diesem Kreise hinaus. Er wollte recognosciren gehen.
»Meint Ihr, daß wir Gibson nun sicher haben, Sir?« fragte ich ihn.
»Wenn nicht etwas Unerwartetes geschieht, so kann er uns nicht entgehen,« antwortete er.
»Am allerbesten wäre es wohl, wir bemächtigten uns der Beiden sofort?«
»Das ist unmöglich. Die verteufelte Friedenspfeife macht uns zu schaffen. Vor dem Anbruche der Morgenröthe werden die Comanchen nicht dulden, daß wir Hand an Gibson legen. Dann aber können wir ihn kochen oder braten, mit oder ohne Gabel verzehren, ganz wie es uns beliebt.«
»Ihr spracht von etwas Unerwartetem. Befürchtet Ihr so etwas?«
»Leider! Ich calculire, daß sich die Comanchen von den beiden Apachen in eine gefährliche Falle haben locken lassen.«
»So haltet Ihr sie in der That für Apachen?«
»Ihr sollt mich aufhängen dürfen, wenn sie keine sind. Zunächst kam es mir verdächtig vor, als ich hörte, daß zwei Topia's vom Rio Conchas her gekommen seien. Das darf man wohl einem rothen Comanchen, nicht aber so einem alten Scout weiß machen, wie ich bin. Als ich sie dann sah, wußte ich sofort, daß mein Verdacht mich nicht irre geführt habe. Die Topia's gehören zu den halbcivilisirten Indianern. Sie haben einen weichen, verschwommenen Gesichtsausdruck. Nun seht Euch dagegen diese scharfen, spitzen, kühn geschnittenen Züge der zwei Rothen an! Und gar dann, als ich sie sprechen hörte! Sie verriethen sich sofort durch die Aussprache. Und dann, als ich dem Einen in's Gesicht sagte, daß er ein Apache sei, hat mir da nicht sein ganzes Verhalten Recht gegeben?«
»Könnt Ihr Euch nicht täuschen?«
»Nein. Er nannte Winnetou den ›größten Häuptling der Apachen‹. Wird ein Feind der Apachen sich eines Ausdruckes bedienen, welcher eine solche Ehre und Auszeichnung enthält? Ich wette mein Leben, daß ich mich nicht irre.«
»Ihr habt allerdings gewichtige Gründe. Aber wenn Ihr wirklich Recht haben solltet, so sind diese Leute geradezu zu bewundern. Zwei Apachen, welche sich in eine Schaar von über fünfhundert Comanchen wagen, das ist mehr als ein Heldenstück!«
»O, Winnetou kennt seine Leute!«
»Ihr meint, daß er sie gesandt hat?«
»Jedenfalls. Wir wissen von Sennor Atanasio, wann und wo Winnetou den Rio grande überschwommen hat. Er kann unmöglich schon am Rio Conchos sein, zumal mit seinen sämmtlichen Kriegern. Nein, wie ich ihn kenne, so ist er direkt nach der Bolson de Mapimi geritten, um seine Apachen zu sammeln. Er hat sofort verschiedene Späher ausgesandt, um die Comanchen aufzusuchen und in die Mapimi zu locken. Während diese ihn am Rio Conchos vermuthen und die Dörfer der Apachen für von aller Vertheidigung entblößt halten, erwartet er sie hier und wird über sie herfallen, um sie mit einem einzigen Schlage zu vernichten.«
»Alle Wetter! Dann sitzen wir mitten drin; denn die beiden Apachen betrachten uns als ihre Feinde!«
»Nein. Sie wissen, daß ich sie durchschaut habe. Ich brauchte dem ›weißen Biber‹ nur ein einziges Wort zu sagen, so müßten sie eines gräßlichen Todes sterben. Daß ich das nicht thue, ist ihnen der sicherste Beweis, daß ich ihnen nicht nur nicht feindlich, sondern sehr freundlich gesinnt bin.«
»So begreife ich nur Eins noch nicht, Sir. Ist es nicht Eure Pflicht, die Comanchen zu warnen?«
»Hm! Ihr berührt da einen verteufelt heiklen Punkt. Die Comanchen sind Verräther und halten es mit Napoleon. Sie haben die unschuldigen Apachen mitten im Frieden überfallen und elendiglich hingemordet. Das muß nach göttlichem und menschlichem Rechte bestraft werden. Aber wir haben die Friedenspfeife mit ihnen geraucht und dürfen nicht an ihnen zu Veräthern werden.«
»Da habt Ihr freilich sehr Recht. Aber meine ganze Sympathie gehört diesem Winnetou.«
»Die meinige auch. Ich wünsche ihm und den Apachen alles Gute. Wir dürfen seine zwei Leute nicht verrathen; aber dann sind die Comanchen verloren, auf deren Seite wir auch stehen müssen. Was ist da zu thun? Wir befinden uns in einer schlimmen Lage.«
»Könnten wir nicht Winnetou's Ueberfall vereiteln, ohne seine beiden Leute zu opfern?«
»Ich wüßte nicht, wie das anzufangen wäre. Ja, wenn wir Gibson und Ohlert hätten, so könnten wir unsers Weges ziehen und die beiden Feinde sich selbst überlassen.«
»Nun, das wird ja morgen früh der Fall sein.«
»Oder auch nicht. Es ist wohl möglich, daß wir morgen Abend grad um diese Stunde in den ewigen Jagdgründen sowohl mit Apachen wie mit Comanchen einige Dutzend Biber fangen oder gar einen alten Büffelstier tödten und verzehren.«
»Ist die Gefahr so nahe?«
»Ich denke es, und dazu habe ich zwei Gründe. Erstens liegen die nächsten Dörfer der Apachen nicht allzu weit von hier, und Winnetou darf doch die Comanchen nicht zu nahe an diese kommen lassen. Und zweitens führte dieser mexikanische Offizier Reden, welche mich irgend einen Streich für heute vermuthen lassen.«
[587][598] »Sehr wahrscheinlich. Wir können uns auf das Calummet der Comanchen und auch auf mein Totem verlassen, zumal Winnetou Euch kennt und auch mich bereits gesehen hat. Aber wer zwischen zwei Mühlsteine kommt, selbst wenn er von dem einzelnen Steine nichts zu befürchten hat, der wird eben zermahlen.«
»So gehen wir entweder nicht dazwischen, oder wir sorgen dafür, daß sie nicht anfangen, zu mahlen. Wir recognosciren jetzt. Vielleicht ist es trotz der Dunkelheit möglich, irgend etwas zu sehen, was meinen Gedanken eine kleine Erleuchtung gibt. Kommt leise und langsam hinter mir her! Wenn ich nicht irre, so bin ich schon einmal in diesem Thale gewesen; darum calculire ich, daß ich mich schnell zurecht finden werde.«
Es zeigte sich so, wie ich vermuthet hatte. Wir befanden uns in einem kleinen, fast kreisrunden Thalkessel, dessen Breite man sehr leicht in fünf Minuten durchlaufen konnte. Er hatte einen Eingang, durch welchen wir gekommen waren, und einen Ausgang, welcher ebenso schmal wie der vorige war. Da hinaus waren die Kundschafter geschickt worden. In der Mitte des Thales befand sich das Comanchenlager. Die Wände des kleinen Kessels bestanden aus Fels, welcher steil anstieg und die Gewähr zu geben schien, daß Niemand da weder hinauf noch herab könne. Wir waren rundum gegangen und an den Posten vorübergekommen, welche sowohl am Ein- als auch am Ausgange standen. Jetzt näherten wir uns dem Lager wieder.
»Fatal!« brummte der Alte. »Wir stecken ganz richtig in der Falle, und es will mir kein Gedanke kommen, wie man sich da losmachen könne. Müßten es machen wie der Fuchs, der sich das Bein wegbeißt, mit dem er in das Eisen getappt ist.«
»Könnten wir den ›weißen Biber‹ nicht so weit bringen, daß er das Lager sofort verläßt, um ein anderes aufzusuchen?«
»Das wäre das Einzige, was wir versuchen könnten. Aber ich glaube nicht, daß er darauf eingeht, ohne daß wir ihm sagen, daß er zwei Apachen bei sich hat. Und das wollen wir absolut vermeiden.«
»Vielleicht seht Ihr zu schwarz, Sir. Vielleicht sind wir hier ganz sicher. Die beiden Punkte, durch welche man herein kann, sind ja mehr als zur Genüge mit Wachen besetzt.«
»Ja, zehn Mann hüben und zehn Mann drüben, das sieht ganz gut aus. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß wir es mit einem Winnetou zu thun haben. Wie der sonst so kluge und vorsichtige ›weiße Biber‹ auf den dummen Gedanken gekommen ist, sich grad in so einem eingeschlossenen Thale festzusetzen, das ist ein Räthsel. Die beiden Apachenkundschafter müssen ihm ein ganz gewaltiges X für das richtige U an's Kamisol geschrieben haben. Ich werde mit ihm sprechen. Sollte [598] er bei seiner Meinung bleiben und es passirt etwas, so halten wir uns möglichst neutral. Wir sind Freunde der Comanchen, müssen uns aber auch hüten, einen Apachen zu tödten. Na, da haben wir das Lager, und dort steht der Häuptling. Kommt mit hin zu ihm!«
Man erkannte gegen das Feuer hin den »weißen Biber« an seinen Adlerfedern. Als wir zu ihm traten, fragte er:
»Hat mein weißer Bruder sich überzeugt, daß wir uns in Sicherheit befinden?«
»Nein,« antwortete der Alte.
»Was hat er an diesem Ort auszusetzen?«
»Daß er einer Falle gleicht, in der wir Alle stecken.«
»Mein Bruder irrt sich sehr. Dieses Thal ist keine Falle, sondern es gleicht ganz genau einem solchen Orte, den die Bleichgesichter Fort nennen. Es kann kein Feind herein.«
»Ja, zu den Eingängen vielleicht nicht, denn dieselben sind so eng, daß sie durch zehn Krieger der Apachen leicht vertheidigt werden können. Aber können sie von den Höhen nicht herabsteigen?«
»Nein. Sie sind zu steil.«
»Hat mein rother Bruder sich hiervon überzeugt?«
»Sehr genau. Die Söhne der Comanchen sind am hellen Tage hierher gekommen. Sie haben Alles untersucht. Sie haben die Probe gemacht, an dem Fels empor zu klettern; es ist ihnen aber nicht gelungen.«
»Vielleicht ist es leichter, von oben herab als von unten hinauf zu kommen. Ich weiß, daß Winnetou klettern kann wie das wilde Dickhornschaf der Berge.«
»Winnetou ist nicht hier. Die beiden Topia's haben es mir gesagt.«
»Vielleicht haben sie sich geirrt; haben sie es vielleicht von Jemand erfahren, der es selbst nicht genau wußte.«
»Sie haben es gesagt. Sie sind Feinde Winnetou's, und ich glaube ihnen.«
»Aber, wenn es wahr ist, daß Winnetou auf Fort Inge war, so kann er nicht schon hier gewesen sein, seine Krieger gesammelt haben und sich bereits jenseits des Rio Conchos befinden. Mein Bruder möge die kurze Zeit mit dem langen Wege vergleichen.«
Der Häuptling senkte nachdenkend das Haupt. Er schien zu einem Resultate gekommen zu sein, welches mit der Meinung des Scout übereinstimmte, denn er sagte:
»Ja, die Zeit war kurz, und der Weg ist lang. Wir wollen die Topia's noch einmal fragen.«
Er ging nach dem Lagerfeuer, und wir folgten ihm. Die Weißen blickten uns finster entgegen. Seitwärts von ihnen saßen Lange, sein Sohn und der Neger Sam. William Ohlert schrieb auf sein Blatt, taub und blind für alles Andere. Die vermeintlichen Topia's blickten erst auf, als der Häuptling das Wort an sie richtete:
»Wissen meine Brüder ganz genau, daß – – –«
Er hielt inne. Von der Höhe des Felsens erklang das ängstliche Kreischen eines kleinen Vogels und gleich darauf der gierige Schrei einer Eule. Der Häuptling lauschte, Old Death auch. Als ob er damit spielen wolle, ergriff Gibson einen neben ihm liegenden Ast und stieß mit demselben in das Feuer, daß es einmal kurz und scharf aufflackerte. Er wollte es zum zweiten Male thun, wobei die Augen sämmtlicher Weißen befriedigt auf ihn gerichtet waren; da aber that Old Death einen Sprung auf ihn, riß ihm den Ast aus der Hand und rief drohend:
»Das laßt bleiben, Sir! Wir müssen es uns verbitten!«
»Warum?« fragte Gibson zornig. »Darf man nicht einmal das Feuer schüren?«
»Nein. Wenn da oben die Eule schreit, so antwortet man nicht hier unten mit diesem vorher verabredeten Zeichen.«
»Ein Zeichen? Seid Ihr denn toll?«
»Ja, ich bin so toll, daß ich einem Jeden, der es wagt, noch einmal in dieser Weise in das Feuer zu stoßen, sofort eine Kugel durch den Kopf jagen werde!«
»Verdammt! Ihr geberdet Euch ganz so, als ob Ihr hier der Herr wäret!«
»Der bin ich auch, und Ihr seid mein Gefangener, mit dem ich verteufelt kurzen Prozeß machen werde, wenn mir Eure Physiognomie nicht mehr gefällt. Bildet Euch ja nicht ein, daß Old Death sich von Euch täuschen läßt!«
»Das, das muß man sich bieten lassen? Müssen wir das wirklich, Sennores?«
Diese Frage war an die Andern gerichtet. Old Death hatte seine beiden Revolver in den Händen, ich ebenso. Im Nu standen die beiden Lange's und Sam neben uns, auch mit den Revolvern. Wir hätten auf Jeden geschossen, der so unvorsichtig gewesen wäre, nach seiner Waffe zu greifen. Und zum Ueberflusse rief der Häuptling seinen Leuten zu:
»Legt Alle die Pfeile an!«
Im Nu hatten die Comanchen sich erhoben, und Dutzende von Pfeilen waren auf die Weißen gerichtet, welche inmitten der auf sie gerichteten Spitzen saßen.
»Da seht Ihr es!« lachte Old Death. »Noch schützt Euch das Calummet. Man hat Euch sogar die Waffen gelassen. Aber sobald Ihr nur die Hand nach einem Messer streckt, ist es aus mit dem Schutze, in welchem Ihr noch steht.«
Da ertönte das Gekreisch und der Eulenruf abermals, hoch, grad wie vom Himmel herab. Die Hand Gibsons zuckte, als ob er nach dem Feuer greifen wolle; aber er wagte doch nicht, es zu thun. Nun wiederholte der Häuptling seine vorher unterbrochene Frage an die Topia's:
»Wissen meine Brüder ganz genau, daß Winnetou sich jenseits des Conchos befindet?«
»Ja, sie wissen es,« antwortete der Aeltere.
»Sie mögen sich besinnen, bevor sie mir Antwort geben!«
»Sie irren sich nicht. Sie waren in den Büschen versteckt, als er vorüber zog, und haben ihn gesehen.« Und nun fragte der Häuptling noch weiter und der Topia antwortete prompt. Schließlich sagte der »weiße Biber«:
»Deine Erklärung hat den Häuptling der Comanchen befriedigt. Meine weißen Brüder mögen wieder mit mir gehen!«
Diese Aufforderung war an Old Death und mich gerichtet; aber der erstere winkte den beiden Lange's, mit zu kommen. Sie thaten es und brachten auch Sam mit.
»Warum ruft mein Bruder auch seine andern Gefährten herbei?« fragte der Häuptling.
»Weil ich denke, daß ich sie bald brauchen werde. Wir wollen in der Gefahr beisammen stehen.«
»Es gibt keine Gefahr.«
»Du irrst. Hat Dich der Ruf der Eule nicht auch aufmerksam gemacht? Ein Mensch stieß ihn aus.«
»Der ›weiße Biber‹ kennt die Stimmen aller Vögel und aller Thiere. Er weiß sie zu unterscheiden von den nachgemachten Tönen aus der Kehle des Menschen. Das war eine wirkliche Eule.«
»Und Old Death weiß, daß Winnetou die Stimmen vieler Thiere so getreu und genau nachahmt, daß man sie von der wirklichen nicht zu unterscheiden vermag. Ich bitte Dich, vorsichtig zu sein! Warum schlug dieses Bleichgesicht in das Feuer? Es war ein verabredetes Zeichen, welches zu geben er beauftragt war.«
»So müßte er es mit den Apachen verabredet haben, und er kann doch mit ihnen nicht zusammengetroffen sein!«
»So hat es ein Anderer mit ihnen verabredet, und dieses Bleichgesicht hat den Auftrag erhalten, das Zeichen zu geben, damit der eigentliche Verräther sich durch dasselbe nicht vor Euch bloßstelle.«
[599] »Meinst Du, daß wir Verräther unter uns haben? Ich glaube es nicht. Und selbst wenn dies der Fall wäre, so brauchten wir die Apachen nicht zu fürchten, denn sie können nicht an den ausgestellten Posten vorüber und auch nicht zu den Felsen herab.«
»Vielleicht doch. Mit Hilfe der Lassos können sie sich von Punkt zu Punkt herablassen, denn es ist – – – horch!«
Der Eulenruf erscholl abermals, und zwar nicht von der Höhe aus, sondern von weiter unten.
»Es ist der Vogel wieder,« meinte der Comanche ohne alle Beunruhigung. »Deine Sorge ist sehr überflüßig.«
»Nein. Alle Teufel! Die Apachen sind da, mitten im Thale. Hörst Du?«
Von dem Ausgange des Thales her erscholl ein lauter, schriller, erschütternder Schrei, ein Todesschrei. Und gleich darauf erzitterte die stille Luft des Thales von dem vielstimmigen Kriegsgeheul der Apachen. Wer dasselbe auch nur ein einziges Mal vernommen hat, der kann es nie, nie wieder vergessen. Kaum war dieses Geschrei erschollen, so sprangen alle Weißen am Feuer auf.
»Dort stehen die Hunde,« rief der Offizier, indem er auf uns deutete. »D'rauf auf sie!«
»Ja, d'rauf!« kreischte Gibson. »Schlagt sie todt!«
Wir standen im Dunkeln, so daß sie ein sehr unsicheres Zielen hatten. Darum zogen sie es vor, nicht zu schießen, sondern sich mit hochgeschwungenen Gewehren auf uns zu werfen. Jedenfalls war dies vorher verabredet, denn ihre Bewegungen waren so schnell und sicher, daß sie nicht die Folge einer augenblicklichen Eingebung sein konnten. Wir standen höchstens dreißig Schritte von ihnen entfernt. Aber dieser zu durcheilende Raum gab Old Death Zeit zu der Bemerkung:
»Nun, habe ich nicht Recht? Schnell in die Höhe mit den Gewehren! Wollen sie gehörig empfangen.«
Sechs Gewehre richteten sich auf die gegen uns Anstürmenden, denn auch der Häuptling hielt das seinige in der Hand. Unsere Schüsse krachten – zweimal aus den Doppelbüchsen. Ich hatte keine Zeit, zu zählen, wie viele getroffen niederstürzten. Auch die Comanchen waren aufgesprungen und hatten ihre Pfeile den Kerls von der Seite zu- und in den Rücken geschickt. Ich sah nur noch, daß Gibson trotz seines auffordernden Rufes nicht mit auf uns eingedrungen war. Er stand noch am Feuer, hatte Ohlert's Arm ergriffen und bemühte sich, ihn vom Boden empor zu zerren. Mein Auge konnte diese beiden nur für einen Augenblick erfassen. Weitere Beobachtungen waren unmöglich, denn das Geheul war schnell näher gekommen, und jetzt drangen die Apachen auf die Comanchen ein.
Da der Schein des Feuers nicht weit genug reichte, so konnten die Ersteren nicht sehen, wie viele Feinde sie vor sich hatten. Die Letzteren standen noch immer im Kreise, doch wurde dieser augenblicklich durchbrochen und durch den Anprall auf der einen Seite aufgerollt. Schüsse krachten, Lanzen sausten, Pfeile schwirrten, Messer blinkten. Dazu das Geheul der beiden gegnerischen Schaaren und der Anblick des Chaos dunkler, mit einander ringender Gestalten, welche das Aussehen wüthender Teufel hatten! Allen Apachen voran war einer mit gewaltigem Stoße durch die Linie der Comanchen gedrungen. Er hatte in der Linken den Revolver und in der Rechten den hoch erhobenen Tomahawk. Während jede Kugel aus dem ersteren mit Sicherheit einen Comanchen niederstreckte, sauste das Schlachtbeil wie ein Blitz von Kopf zu Kopf. Er trug keine Auszeichnung auf dem Kopfe, auch war sein Gesicht nicht bemalt. Wir sahen dasselbe mit größter Deutlichkeit. Aber auch wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, so hätte die Art und Weise, in welcher er kämpfte, und der Umstand, daß er einen Revolver hatte, uns errathen lassen, wer er sei. Der »weiße Biber« erkannte ihn ebenso schnell wie wir.
»Winnetou!« rief er. »Endlich habe ich ihn! Ich nehme ihn auf mich.«
Er sprang von uns fort und in das Kampfgewühl hinein. Die Gruppen schlossen sich so dicht hinter ihm, daß wir ihm nicht mit den Augen folgen konnten.
»Was thun wir?« fragte ich Old Death. »Die Comanchen erwarten natürlich von uns, daß wir uns am Kampfe gegen ihre Feinde betheiligen.«
Der Scout antwortete nicht sogleich. Er überflog den Kampfplatz mit prüfendem Blicke, und erst dann sagte er:
»Sie brauchen uns nicht. Die Apachen sind in der Minderzahl; sie werden aufgerieben werden, wenn sie sich nicht schnell davon machen. Gehen wir zu den Pferden, damit kein Stampedo entsteht.«
Unter Stampedo versteht man ein Scheuwerden oder auch absichtliches Scheumachen der Pferde, so daß diese fliehen. Wir waren gezwungen, einen weiten Bogen zu machen. Die Andern gingen viel schneller als ich. Ich konnte den Blick nicht von dem Kampfgewühl wegbringen. Ich hörte einen lauten Ruf. Einige Indianer lösten sich von der kämpfenden Menge, um zu fliehen. Es waren Apachen. Nicht aus Angst vor ihnen, sondern um ihnen nicht hinderlich zu sein, bog ich noch viel weiter aus, damit sie mich nicht sehen und dadurch etwa zu einem Umwege verleitet werden sollten. Sie rannten nach dem Ausgange des Thales zu und entkamen im Dunkel der Nacht. Andere folgten ihnen. Die Apachen hatten eingesehen, daß sie der Uebermacht nicht gewachsen seien. Sie brachen durch die Reihen der Comanchen, um zu fliehen. Ich hatte den Rand des Thales erreicht und schritt an demselben hin. So mußte ich unbemerkt zu den Pferden kommen. Da ertönte vom Kampfplatz her ein fürchterliches Geheul.
»Ihm nach, ihm nach!« hörte ich die Stimme des »weißen Bibers«. »Er darf uns nicht entkommen!«
Ich blieb stehen und blickte hinüber. Das Feuer war fast zertreten, dennoch sah ich, daß der Platz leer wurde, indem Alle nach dem Ausgange des Thales eilten. Jeder schrie aus Leibeskräften, so daß ein wahrhaft höllischer Lärm entstand. Da hörte ich eilige Schritte. Eine dunkle Gestalt tauchte grad vor mir auf, sprang augenblicklich auf mich ein und warf mich zu Boden. Der Mann kniete auf mir und legte mir die Hände um den Hals, so daß ich keinen Laut ausstoßen konnte. Ich bemerkte, daß es ein Indianer sei, wohl ein Apache, der hatte fliehen wollen und dabei auf mich gestoßen war. Er wollte mich erwürgen, ohne irgend ein Geräusch zu verursachen. Der Mann besaß eine ungeheure Körperstärke. Seine Finger lagen wie eiserne Klammern um meinem Halse. Nur List konnte mich retten. Ich machte einige convulsivische Bewegungen und streckte mich lang aus, wodurch in ihm der Glaube erweckt wurde, daß mir der Athem ausgegangen sei. Jetzt löste er seine rechte Hand von meinem Halse, jedenfalls um nach dem Messer zu greifen, es mir in das Herz zu stoßen und mir dann den Scalp zu nehmen. Mit der Linken hielt er mich noch fest, aber ich konnte doch einen Athemzug thun. Diesen Augenblick mußte ich benutzen. Ich bäumte mich empor und warf ihn ab. Er flog zur Seite auf den Boden und ich schnelle mich auf ihn, um nun meinerseits ihn beim Halse zu nehmen. Da erhielt ich einen Stoß gegen das Kinn, so daß mir der Kopf in den Nacken flog – ein Knirschen und Prasseln in meiner linken Kinnlade – ich achtete nicht darauf. Er hatte mir das Messer von unten herauf in dieselbe gestoßen; die Klinge war, wie sich später herausstellte, in die Mundhöhle gedrungen, ohne glücklicher Weise die Zunge zu verletzen. Ich hatte ihn bei der Kehle und drückte ihm dieselbe so zusammen, daß seine Hand sich vom Griffe des Messers löste. Es blieb mir in der Wunde stecken. Er faßte meine Hände, um sie los zu bringen, er versuchte, mich abzuwerfen, vergebens. Für mich [600] [602]handelte es sich um Tod oder Leben, und ich nahm alle Kraft zusammen, mich zu retten.
Keiner von uns beiden hatte bis jetzt ein Wort oder auch nur einen Laut hören lassen, jeder war nur darauf bedacht, den Feind nicht aufkommen zu lassen. Er machte es mir ungeheuer schwer und entwickelte eine Gewandtheit, welche fast noch größer war, als seine Körperkraft. Mit aalglatten Bewegungen suchte er mir zu entschlüpfen. Aber es gelang ihm nicht. Endlich wurden seine Bewegungen langsamer und schwächer, und seine Hände lösten sich von den meinigen. Er lag still.
Das konnte eine List sein wie vorhin von meiner Seite. Ich nahm also meine Hände nur vorsichtig von seinem Halse. Er war indessen wirklich bewußtlos. Jetzt hätte ich ihn tödten oder binden und den Comanchen übergeben können; aber ich war gewillt, weder das eine noch das andere zu thun – er sollte entkommen. Zunächst zog ich mir das Messer aus der Wunde, welche sogleich stark zu bluten begann. Dann betastete ich ihn, da es zu dunkel war, ihn betrachten zu können. Welche Ueberaschung; ich hatte – – Winnetou besiegt! Um ihn zu verhindern, beim Erwachen irgend eine Handlung vorzunehmen, welche ihm zum Nachtheile gereichen konnte, so band ich ihm die Hände und Füße zusammen, zog ihn zum nächsten Baume, richtete ihn in sitzende Stellung auf und befestigte ihn da mit dem Lasso an dem Stamme.
Der Kampf war noch nicht zu Ende. Die Apachen hatten bemerkt, daß Winnetou noch nicht entkommen sei. Um ihm Zeit zu geben, hatten sie sich in dem engen Ausgange festgesetzt, wohin die Comanchen ihnen nicht folgen konnten. Die letzteren schickten zwar ihre Pfeile in das dichte Gewühl, jedenfalls aber ohne Erfolg, da die Apachen wohl so klug waren, Deckung zu suchen. Ich eilte zu den Pferden, wo ich Old Death fand, dem ich meine Heldenthat berichtete.
»Winnetou?« fuhr er erstaunt auf. »Das muß ein Irrthum sein, denn Ihr hättet ein teufelmäßiges Glück gehabt. Und verwundet seid Ihr? So kommt schnell zum Feuer!«
[602][614] Das verlassene Feuer brannte nur noch ganz spärlich, doch reichte es für den Alten aus, meine Wunde zu untersuchen.
»Etwas weiter nach innen, und er hätte Euch die Zunge zerstochen,« sagte er. »So aber ist die Geschichte gar nicht gefährlich. Der Stich wird Euch für einige Zeit am Sprechen und Kauen hindern; das ist aber auch Alles. Führt mich jetzt zu dem Apachen.«
Als wir bei demselben ankamen, saß er noch so am Baume, wie ich ihn verlassen hatte; aber das Bewußt sein war ihm zurückgekehrt, denn er empfing uns mit den Worten:
»Die weißen Verräther mögen mich losbinden. Ich werde ihnen nicht entfliehen. Sie mögen mich den Hunden der [614] Comanchen übergeben, damit dieselben mich zerfleischen. Mein Todesgesang wird ein Triumph über sie sein.«
»Ja, ich werde Winnetou losbinden,« sagte ich.
Ich wollte noch etwas hinzufügen, aber er fiel schnell ein:
»Das Bleichgesicht kennt Winnetou trotz der Dunkelheit? Warum hat er mich nicht getödtet?«
»Wie sollte ich den berühmten Häuptling der Apachen, deren Freund ich bin, tödten!«
»Unser Freund willst Du sein? Und doch hast Du oder Deine weißen Genossen uns ein falsches Zeichen gegeben!«
»Wie meinst Du das?«
»Ihr habt das Feuer nur ein einziges Mal aufleuchten lassen, als ich die Stimme der Eule erschallen ließ, und doch solltet Ihr es für jedes Hundert der Comanchen einmal thun. Unsere Feinde waren weit über fünf hundert; ich aber mußte glauben, daß nur hundert Feinde vorhanden seien.«
»Ah, das also war es! Davon wußten wir nichts.«
»Ihr habt es gewußt!«
»Nein. Du verkennst uns,« entgegnete ich und er zählte kurz, wie wir zu den Comanchen gekommen; ich schloß mit den Worten: »Hier hast Du Dein Messer. Du bist frei.«
Ich hatte ihn während meiner Worte losgebunden und gab ihm nun sein Messer zurück. Er sprang auf.
»Ist's wahr?« fragte er. »Du willst Winnetou frei geben, obgleich sein Messer Dich getroffen hat?«
»Ja. Du kannst gehen, wohin Du willst. Wir werden Dich aus dem Thale führen, ohne daß die Comanchen Dich sehen können.«
»Winnetou bedarf keines Führers, denn er kennt diesen Ort genau. Er hört den Kampfruf seiner Krieger und muß sich ihnen zeigen. Er wird den beiden Bleichgesichtern dankbar sein, so lange er lebt. Sie mögen sich von den Comanchen trennen, denn diese Verräther sind dem Tode geweiht. Uff!«
Als er das nächste Wort sagte, sahen wir ihn schon nicht mehr. Er eilte fort.
»Alle Wetter! So schnell sollte das nicht gehen!« meinte der Alte. »Ich hatte noch Einiges mit ihm zu reden. Wer weiß, ob es ihm gelingt, zu entkommen. Ihr hättet ihn nicht so schnell losbinden sollen, so daß er gezwungen war, uns Rede und Antwort zu stehen. Bedenkt doch, daß wir so viel von ihm zu erfahren hatten! Kommt! Wollen wieder zu den Pferden gehen. Habe ein wenig Verbandzeug in der Satteltasche, und will sehen, ob ich Euch das Loch da unten im Kinn verstopfen kann.«
Als wir an der betreffenden Stelle anlangten, waren die beiden Lange's und Sam, welche sich vorhin dort befunden hatten, nicht mehr da. Sie hatten sich wohl zu den Comanchen begeben, um nach dem Verlaufe des Scharmützels zu sehen. Erst nach geraumer Zeit hatte der Alte in der Dunkelheit sein Pferd unter den andern herausgefunden. Dann stellte es sich heraus, daß es ihm eben dieser Dunkelheit wegen unmöglich war, mich richtig zu verbinden. Wir wollten also nach dem Feuerplatze gehen, um den Brand neu anzufachen, damit der Scout besser sehen könne. Noch hatten wir denselben nicht ganz erreicht, da hielt mich der Alte am Arme zurück, deutete vorwärts, wo ein brennender Ast noch ein leidliches Flämmchen gab, und sagte:
»Seht Ihr dort die geschäftigen Gestalten! Alle Teufel! Ich glaube gar, das sind Apachen!«
Ich strengte die Augen an und bemerkte allerdings eine Anzahl dunkler Gestalten, welche sich dort sehr eifrig hin und her bewegten.
»Sollten das wirklich Apachen sein?« fragte ich. »Das wäre doch ein ungeheures Wagniß.«
»Zuzutrauen ist es ihnen, da sie sich unter dem Befehl Winnetou's befinden. Sie werden ihre Todten fortschaffen wollen, damit dieselben nicht von den Comanchen scalpirt werden können, denn ein Scalpirter hat in den ewigen Jagdgründen seinen Sieger in alle Ewigkeit als Sklave zu bedienen. Das ist der Glaube der Indianer, und darum wagen sie stets Alles, dem Feinde ihre Gefallenen zu entreißen. Aber wie sind diese Apachen in das Thal zurückgekommen, welches sie vorhin fliehend verließen? Mir wird himmelangst um die Comanchen. Sie werden ihren Verrath theuer bezahlen müssen. Jetzt können wir nicht mehr zum Feuer. Wir müssen wieder zurück.«
Wir zogen uns eine Strecke zurück und ließen uns in das Gras nieder. Der Scout versicherte mir, mit seinen geübten Augen von hier aus die Apachen noch erkennen zu können. Mir freilich war dies nicht möglich. Hinten am Ausgange wurde noch immer gekämpft, wie das Geschrei, welches von den Indianern bei jedem Pfeilschuß ausgestoßen wird, uns verrieth. Zehn Minuten mochten wir so gelegen haben, als Old Death mich aufforderte, mit zum Feuer zu kommen. Wir stolperten über die zahlreich dort umher liegenden Leichen zu dem Feuer, in welchem der Ast noch leicht flackerte. Old Death suchte die umherliegenden Holzreste zusammen und blies das Feuer wieder an. Jetzt sahen wir, daß alle die Todten scalpirt waren, ein schrecklicher Anblick für mich, der ich so etwas zum ersten Male sah. Meine Wunde war schnell verbunden; dann begaben wir uns zu den Kämpfenden. Die Comanchen standen zerstreut, weil sie sonst den Pfeilen der Gegner ein gutes Ziel geboten hätten. Wir suchten den Häuptling auf.
»Wo bleiben meine weißen Brüder?« fragte er. »Ich habe nicht gesehen, daß sie mit uns kämpften.«
»Der Häuptling der Comanchen hat keine Zeit gehabt, uns zu beobachten. Auch wir haben tapfer gekämpft. Mein Gefährte ist sogar verwundet worden. Ich habe ihn verbunden.«
»So mag mir mein Bruder meine Worte verzeihen. Die Apachen sind uns entkommen, aber morgen mit dem Frühesten werde ich sie verfolgen und vernichten.«
»Meinst Du, daß Dir das wirklich gelingen werde?«
»Ganz gewiß! Denkt mein Bruder etwa anders als ich? So irrt er sich.«
»Hast Du nicht, als ich Dich vorhin warnte, auch gesagt, daß ich mich irre? Ich habe dieses Thal eine Falle genannt. Vielleicht wird es Dir unmöglich, sie zu verlassen.«
»Laß nur den Tag erscheinen, dann sehen wir die Feinde, die wenigen, welche übrig geblieben sind, und werden sie schnell erlegen. Jetzt sind sie durch die Dunkelheit geschützt.«
»So ist es doch unnöthig, auf sie zu schießen! Wenn Ihr Eure Pfeile verschossen habt, so gibt Euch dieses Thal zwar Holz genug, neue zu fertigen; aber habt Ihr auch Eisenspitzen dazu? Vergeudet Eure Vertheidigungsmittel nicht! Und wie steht es mit den zehn Kriegern der Comanchen, welche den Eingang des Thales bewachten? Befinden sie sich noch dort?«
»Nein; sie sind hier. Der Kampf hat sie herbeigelockt.«
»So sende sie unverzüglich wieder hin, damit Dir wenigstens der Rückzug offen bleibt!«
»Die Sorge meines Bruders ist ganz überflüssig. Die Apachen sind durch den Ausgang geflohen. Zum Eingange aber kann keiner gelangen.«
»Und doch rathe ich Dir, es zu thun. Die zehn Mann können Dir hier nichts nützen; dort sind sie nöthiger als hier.«
Der Häuptling folgte dieser Aufforderung, freilich mehr aus Achtung für Old Death als aus Ueberzeugung, daß diese Maßregel eine nothwendige sei. Bald stellte es sich heraus, wie recht der Alte gehabt habe; denn als die Zehn den betreffenden Befehl erhalten hatten und fort waren, ertönten vom Eingange des Thales her zwei Büchsenschüsse, welchen ein wildes Geheul antwortete. Einige Minuten später kehrten zwei von den zehn zurück, um zu melden, daß sie mit zwei Kugeln und [615] [618]vielen Pfeilen empfangen worden seien; sie beide seien die einzigen Uebriggebliebenen.
»Nun, habe ich mich abermals geirrt?« fragte der Scout. »Die Falle ist hinten und vorn geschlossen, und wir stecken drin.«
Der »weiße Biber« fand keine Erklärung. Er fragte im betroffenen Tone:
»Uff! Was soll ich thun?«
»Verschwende nicht die Kräfte und die Waffen Deiner Leute! Stelle je zwanzig oder dreißig Mann gegen den Aus- und Eingang des Thales, um diese beiden Punkte bewachen zu lassen. Die übrigen Leute mögen sich zurückziehen, um zu ruhen, damit sie früh gute Kräfte haben. Das ist das Einzige und wohl auch das Beste, was man Dir rathen kann.«
Dieses Mal befolgte der Häuptling den Rath sofort. Dreißig Comanchen blieben hier halten. Dreißig andere wendeten sich gegen den Eingang, und die Uebrigen kehrten nach dem Lagerplatze zurück, wo sie beim Anblick ihrer scalpirten Brüder ein entsetzliches Wuthgeheul ausstießen. Als wir dort anlangten und die Leichen zählten, fanden wir über dreißig todte Comanchen und acht Weiße, aber eines Apachen Leiche war nicht zu sehen. Der »weiße Biber« konnte sich das nicht erklären, er hielt es für Zauber, während wir unterrichtet waren. Old Death sagte zu mir:
»Wo mögen die Bleichgesichter nur geblieben sein?«
Erst jetzt dachte ich an diese. Nur die Todten lagen da; die Uebrigen waren verschwunden. Auch Gibson und William Ohlert waren fort.
»Das ist schlimm!« rief ich aus. »Die Kerle haben sich zu den Apachen in Sicherheit gebracht.«
»Ja, und dort sind sie natürlich gut aufgenommen worden, da sie es mit den beiden Kundschaftern, den vermeintlichen Topia's gehalten haben.«
»So ist uns Gibson abermals verloren!«
»Nein. Wir haben das Totem des ›guten Mannes‹; die Apachen kennen mich; Winnetou hat Euch sein Leben und seine Freiheit zu verdanken; also versteht es sich ganz von selbst, daß wir von ihm als Freunde aufgenommen werden. Dann werde ich es schon so weit bringen, daß Gibson und Ohlert uns ausgeliefert werden. Wir verlieren einen Tag, das ist Alles.«
»Aber wenn nun die Beiden sich auf und davon machen?«
»Das glaube ich nicht. Sie müßten quer durch die Mapimi, und das können sie nicht wagen ... Aber, was ist denn das?«
Ein Haufe der Comanchen stand beisammen. Aus der Mitte desselben erklang ein markerschütterndes Stöhnen und Wimmern. Wir gingen hinzu und sahen einen Weißen, welcher nicht todt, sondern wieder zu sich gekommen war. Er hatte einen Lanzenstich durch den Unterleib erhalten, von hinten her, also von einem Comanchen, als die Weißen auf uns eindrangen, war von den Apachen dann für todt gehalten und scalpirt worden.
Old Death kniete zu ihm nieder und untersuchte seine Wunde.
»Mann,« sagte er, »Ihr habt vielleicht noch zehn Minuten zu leben. Macht Euer Herz leicht, und geht mit keiner Lüge in die Ewigkeit. Ihr habt es mit den Apachen gehalten?«
»Ja,« antwortete der Gefragte wimmernd.
»Ihr wußtet, daß wir in dieser Nacht überfallen werden sollten?«
»Ja. Die beiden Topia's hatten die Comanchen zu diesem Zwecke hierher geführt.«
»Und Gibson sollte das Zeichen mit dem Feuer geben?«
»Ja, Sir. Eigentlich mußte er so oft in das Feuer schlagen, als es hundert Comanchen waren. Dann hätte Winnetou sie nicht heute, sondern erst morgen an einem andern Orte angegriffen, weil er heute nur hundert Mann bei sich hatte. Morgen aber stoßen die Uebrigen zu ihm.«
»Dachte es mir. Daß ich Gibson verhindert habe, noch viermal in das Feuer zu stöbern, hat die Apachen veranlaßt, uns jetzt schon zu überfallen. Nun aber haben sie die Ausgänge besetzt. Wir können nicht fort, und morgen wird sich dieses Thal zu einem offenen Grabe gestalten, in welchem wir langsam abgeschlachtet werden.«
»Wir werden uns wehren!« knirschte der Häuptling, welcher dabei stand, grimmig. »Dieser Verräther hier aber soll als räudiger Hund in die Jagdgründe gehen, um dort von den Wölfen gejagt zu werden, daß ihm der Geifer in Ewigkeit von der Zunge trieft.«
Er zog sein Messer und stieß es dem Verwundeten in's Herz.
»Thorheit!« rief Old Death zornig. »Du brauchtest an ihm nicht zum Mörder zu werden. Seine Strafe wäre noch schlimmer gewesen, wenn er noch kurze Zeit als Scalpirter hätte leben müssen.«
»Ich habe ihn getödtet, und nun ist seine Seele die Sklavin der meinigen. Wir aber wollen jetzt Kriegsrath halten. Die Krieger der Comanchen haben nicht Lust, zu warten, bis die Hunde der Apachen in Menge herbei gekommen sind. Wir können noch heut' in der Nacht durch den Ausgang dringen.«
Er setzte sich mit seinen Unteranführern an dem Feuer nieder. Old Death mußte auch Theil nehmen. Ich saß mit Lange, dessen Sohn und dem Neger so weit vom Feuer entfernt, daß ich nichts hören konnte, zumal die Verhandlung in unterdrücktem Tone geführt wurde. Doch ersah ich aus den Zügen und den lebhaften Handbewegungen des Scout, daß dieser nicht der Meinung der Indianer war. Er schien die seinige lebhaft zu vertheidigen, doch ohne Erfolg. Endlich sprang er zornig auf, und ich hörte ihn sagen:
»Nun, so rennt in Euer Verderben! Ich habe Euch bereits wiederholt gewarnt, ohne gehört zu werden. Ich habe stets recht gehabt und werde es auch dieses Mal haben. Macht, was Ihr wollt. Ich aber und meine Gefährten, wir bleiben hier zurück.«
»Bist Du zu feig, um mit uns zu kämpfen?« fragte einer der Unteranführer.
Old Death machte eine heftige Bewegung gegen ihn und wollte ihm eine strenge Antwort geben, besann sich aber und sagte ruhig:
»Mein Bruder muß erst seinen Muth beweisen, bevor er mich nach dem meinigen fragen darf. Ich heiße Old Death, und das ist genug gesagt.«
Er kam zu uns und setzte sich da nieder, während die Rothen noch eine Weile fort beriethen. Endlich waren sie zu einem Entschlusse gekommen und standen von ihren Sitzen auf. Da ertönte von jenseits der das Lagerfeuer rund umgebenden Comanchen eine laute Stimme:
»Der ›weiße Biber‹ mag hierher sehen. Meine Büchse ist sehr hungrig auf ihn.«
Aller Augen wendeten sich nach der Stelle, von welcher aus die Worte ertönten. Dort stand Winnetou, hoch aufgerichtet mit angeschlagenem Gewehre. Die beiden Läufe desselben blitzten nach einander auf. Der »weiße Biber« stürzte getroffen nieder und neben ihm einer der Unterhäuptlinge.
»So werden sterben alle Lügner und Verräther!« er klang es noch. Dann war der Apache verschwunden. Das war so schnell geschehen, daß die Comanchen gar nicht auf den Gedanken gekommen waren oder vielmehr gar nicht Zeit gefunden hatten, aufzuspringen. Nun aber fuhren sie Alle empor und stürzten sich nach der Gegend, in welcher er verschwunden war. Nur wir vier blieben zurück. Old Death trat zu den beiden Häuptlingen. Sie waren todt.
»Welch ein Wagniß!« rief Lange. »Dieser Winnetou ist ein wahrer Teufel!«
»Pah!« lachte Old Death. »Das Richtige kommt noch. Paßt einmal auf!«
Kaum hatte er die Worte gesagt, so hörten wir ein durchdringendes Geheul.
[618] »Da habt Ihr es!« meinte er. »Er hat nicht nur die beiden Häuptlinge für ihre Verrätherei bestraft, sondern auch die Comanchen fortgelockt in den Bereich der Seinigen. Die Pfeile der Apachen werden ihre Opfer fordern. Horcht!«
Der scharfe, dünne Knall eines Revolvers war zu hören, drei-, fünf-, achtmal hinter einander.
»Das ist Winnetou,« meinte Old Death. »Er bedient sich seiner Revolver. Ich glaube, der Kerl steckt mitten unter den Comanchen, ohne daß sie ihm etwas anhaben können!«
Dem alten Westmanne waren solche Ereignisse etwas ziemlich Gewöhnliches. Sein Gesicht war so ruhig, als ob er im Theater den Verlauf eines Stückes verfolge, dessen Aufbau und Schluß ihm schon bekannt war. Ich aber fühlte ein gelindes Entsetzen über die Art und Weise, Menschenleben zu vernichten. Die Comanchen kehrten zurück, da es ihnen nicht gelungen war, Winnetou zu treffen; anstatt dessen aber brachten sie mehrere der Ihrigen getragen, welche todt oder verwundet waren. Civilisirte Leute hätten sich dabei sowohl aus Theilnahme, als auch aus Klugheit ruhig verhalten. Die Rothen aber heulten und brüllten, als ob sie gepfählt werden sollten, und tanzten mit um die Köpfe geschwungenen Kriegsbeilen um die Leichen.
»Ich würde das Feuer auslöschen lassen und mich an Stelle dieser Kerle sehr ruhig verhalten,« sagte Old Death. »Sie heulen ihren eigenen Todesgesang.«
»Was ist denn eigentlich im Kriegsrathe beschlossen worden?« fragte Lange.
»Sich nach Westen durchzuschlagen und zwar sofort.«
»Welche Dummheit! Da gehen sie ja den Apachen, welche hier eintreffen sollen, grad entgegen.«
»Das wohl nicht, Master, denn es wird ihnen nicht gelingen, durch zu kommen. Allerdings, wenn es ihnen gelänge, so hätten sie Winnetou hinter sich und die von ihm erwarteten Hilfstruppen vor sich; sie befänden sich also in der Mitte und würden aufgerieben. Aber sie glauben die Apachen in der Minderzahl und sind gewiß, dieselben vernichten zu können. Uebrigens wissen sie, daß der Sohn des ›weißen Bibers‹ mit seiner Schaar, welche wir getroffen haben, nachkommen wird; das verdoppelt ihre Zuversicht. Nun werden sie erst recht vor Begierde brennen, den Tod der beiden Häuptlinge zu rächen. Aber die Comanchen sollten den Anbruch des Tages erwarten und dann nach der andern Seite durchbrechen, rückwärts, woher wir gekommen sind. Am Tage sieht man den Feind und die Hindernisse, welche derselbe einem bereitet. Aber meine Ansicht drang nicht durch. Uns freilich kann es äußerst gleichgiltig sein, was sie thun. Wir machen nicht mit.«
»Das werden uns die Comanchen übel nehmen.«
»Habe nichts dagegen. Old Death hat gar keine Lust, sich nutzlos den Kopf einzurennen. Horcht! Was war das?«
Die Comanchen heulten noch immer, so daß sich nicht bestimmen ließ, welcher Art das Geräusch gewesen war, welches wir soeben gehört hatten.
»Diese Thoren!« zürnte Old Death. »Winnetou ist ganz der Mann, den unzeitigen Lärm, den sie da vollführen, sich zu nutze zu machen. Vielleicht legt er Bäume nieder, um den Ausgang zu verschließen, denn es klang ganz wie das Krachen und Prasseln eines fallenden Baumes. Ich möchte darauf schwören, daß keiner von den Comanchen entkommen wird, eine schreckliche aber gerechte Strafe dafür, daß sie mitten im Frieden ahnungslose Indianerortschaften überfallen und sogar die Abgesandten ermordet haben. Wenn es Winnetou gelingt, die Ausgänge zu verschließen, so kann er seine Leute zurückziehen, hier im Thale zusammennehmen und die Unvorsichtigen von hinten angreifen. Ich traue ihm das zu.«
Endlich war die vorläufige Todtenklage zu Ende, und die Comanchen verhielten sich still, traten zusammen und erhielten die Weisungen des Unteranführers, welcher nunmehr den Befehl übernahm. Dann hoben sie die Todten auf, welche bei der Verfolgung Winnetou's gefallen waren, und trugen sie fort. Diejenigen Leichen aber, welche scalpirt worden waren, ließen sie liegen, denn deren Seelen waren nicht mehr für die ewigen Jagdgründe zu retten.
»Sie scheinen jetzt aufbrechen zu wollen,« sagte Old Death. »Wir müssen zu unsern Pferden, damit sie sich nicht etwa an denselben vergreifen. Master Lange, geht mit Eurem Sohne und Sam hin, um sie zu holen. Wir beide bleiben hier, denn ich vermuthe, daß der Häuptling uns noch eine kleine Rede halten wird.«
Er hatte Recht. Als die drei fort waren, kam der jetzige Anführer langsamen Schrittes auf uns zu und sagte:
»Die Bleichgesichter sitzen ruhig an der Erde, während die Comanchen sich zu ihren Pferden begeben. Warum stehen sie nicht auch auf?«
»Weil wir noch nicht erfahren haben, was von den Comanchen beschlossen worden ist.«
»Wir werden das Thal verlassen.«
»Aber es wird Euch nicht gelingen, hinaus zu kommen.«
»Old Death ist wie eine Krähe, deren Stimme stets häßlich klingt. Die Comanchen werden Alles niederreiten, was sich ihnen in den Weg stellt.«
»Sie werden nichts und Niemand niederreiten, als nur sich selbst. Wir aber bleiben hier.«
»Ist Old Death nicht unser Freund? Hat er nicht die Pfeife des Friedens mit uns geraucht? Ist er nicht verpflichtet, mit uns zu kämpfen? Die Bleichgesichter sind tapfere und kühne Krieger. Sie werden uns begleiten und sich an unsere Spitze stellen.«
Da stand Old Death auf, trat ganz nahe an den Comanchen heran, lachte ihm in das Gesicht und antwortete:
»Mein Bruder hat einen schlauen Gedanken. Die Bleichgesichter sollen voranreiten, um den Rothen den Weg zu öffnen und dabei unterzugehen. Wir sind Freunde der Comanchen, aber wir haben nicht ihren Häuptlingen zu gehorchen. Wir sind zufällig auf sie getroffen, aber wir haben uns nicht verpflichtet, an ihrem Kriegszuge Theil zu nehmen. Wir sind muthig und tapfer; mit diesen Worten hat mein Bruder die Wahrheit gesagt. Wir halfen unsern Freunden bei jedem Kampfe, welcher mit Sinn und Ueberlegung geführt wird; aber wir nehmen nicht Theil an Plänen, von denen wir schon vorher wissen, daß sie mißlingen werden.«
»So werden die Weißen nicht mitreiten? Ich hatte sie für tapfere Leute gehalten!«
»Wir sind es. Aber wir sind auch vorsichtig. Wir sind die Gäste der Comanchen. Wann ist bei ihnen die Sitte aufgekommen, ihre Gäste, die sie doch beschützen sollten, grad an die Spitze zu stellen, wo der Tod unvermeidlich ist? Mein Bruder ist schlau, aber wir sind nicht dumm. Auch mein Bruder ist ein sehr tapferer Krieger, und darum bin ich überzeugt, daß er seinen Leuten voranreiten wird, denn das ist die Stelle, wohin er gehört.«
Der Rothe wurde verlegen. Seine Absicht, uns zu opfern, um sich zu retten, war sehr unverfroren. Als er sah, daß er bei uns nicht durchkam, wurde er nicht nur verlegen, sondern auch zornig. Sein bisher ruhiger Ton wurde strenger, als er sich erkundigte:
»Was werden die Bleichgesichter thun, wenn die Comanchen fort sind? Werden sie sich etwa den Apachen anschließen?«
»Wie wäre das möglich, da mein Bruder die Apachen doch vernichten will! Es sind also gar keine vorhanden, denen wir uns anschließen könnten.«
[619][634] »Aber es werden welche nachkommen. Wir dürfen nicht dulden, daß die Bleichgesichter hier zurückbleiben. Sie müssen mit uns fort.«
»Ich habe bereits gesagt, daß wir bleiben.«
»Wenn die Weißen nicht mit uns gehen, müssen wir sie als unsere Feinde betrachten.«
»Und wenn die Rothen uns als solche ansehen, werden wir sie auch als Feinde behandeln.«
»Wir werden ihnen ihre Pferde nicht geben.«
»Und wir haben sie uns bereits genommen. Da werden sie uns eben gebracht.«
In der That kamen unsere Freunde gerade mit unsern Pferden heran. Der Häuptling zog die Brauen finster zusammen und sagte:
»So haben die Weißen also bereits ihre Vorkehrungen getroffen. Ich sehe, daß sie uns feindlich gesinnt sind und werde sie von meinen Kriegern gefangen nehmen lassen.«
Der Scout ließ ein kurzes, unheimlich klingendes Lachen hören und antwortete:
»Der Häuptling der Comanchen täuscht sich sehr in uns. Ich habe dem ›weißen Biber‹ bereits gesagt, daß wir hier bleiben werden. Wenn wir diesen Entschluß nun ausführen, so enthält er nur das, was ich gesagt habe, aber nicht die mindeste Feindseligkeit gegen die Comanchen. Es ist also gar kein Grund vorhanden, uns gefangen zu nehmen.«
»Wir werden es aber dennoch thun, wenn die Weißen mir nicht sofort versprechen, mit uns zu reiten und sich an unsere Spitze zu stellen.«
Der Blick Old Death's schweifte forschend umher. Ueber sein Gesicht glitt jenes Grinsen, welches bei ihm stets anzeigte, daß er im Begriffe stehe, Jemandem eine Schlappe beizubringen. Wir drei standen am Feuer. Wenige Schritte von uns hielten die andern mit den Pferden. Kein einziger Comanche befand sich mehr in der Nähe. Sie waren alle zu ihren Pferden gegangen. Old Death sagte in deutscher Sprache, so daß der Comanche seine Worte nicht verstehen konnte:
»Wenn ich ihn niederschlage, dann schnell auf die Pferde und mir nach, dem Eingange des Thales zu, denn die Comanchen befinden sich auf der andern Seite.«
»Mein Bruder mag nicht diese Sprache reden. Ich will wissen, was er seinen Gefährten zu sagen hat.«
»Das soll der Häuptling sofort erfahren. Ihr habt heute wiederholt meinen Rath mißachtet und seid durch den darauf folgenden Schaden selbst jetzt noch nicht klug geworden. Ihr geht dem sichern Tode entgegen und wollt uns zwingen, Euch und uns selbst hinein zu führen. Ihr kennt, wie es scheint, Old Death noch immer nicht. Meinst Du, ich ließe mich zwingen, etwas zu thun, was ich zu unterlassen beschlossen habe? Ich sage Dir, daß ich mich weder vor Dir, noch all Deinen Comanchen fürchte. Du willst uns gefangen nehmen? Merkst Du denn nicht, daß Du Dich in meiner Hand befindest. Sieh diese Waffe! Nur die kleinste Bewegung, so schieße ich Dich nieder!«
Er hielt ihm den Revolver entgegen. Der Indianer wollte nach seinem Messer greifen; aber sofort saß ihm Old Death's Waffe auf der Brust.
»Die Hand weg!« donnerte ihn der Alte an. Jener ließ die Hand sinken.
»So! Ich mache keinen Spaß mit Dir. Du zeigst Dich als Feind von uns, und so gebe ich Dir die Kugel, wenn Du mir nicht augenblicklich gehorchst!«
Die bemalten Züge des Rothen kamen in Bewegung. Er blickte sich forschend um, aber Old Death bemerkte:
»Suche nicht Hilfe von Deinen Leuten! Selbst wenn sie sich hier befänden, würde ich Dich niederschießen. Deine Gedanken sind so schwach, wie diejenigen eines alten Weibes, deren Gehirn vertrocknet ist. Du bist von Feinden eingeschlossen, denen Ihr unterliegen müßt, und doch schaffst Du Dir in uns weitere Feinde, welche noch mehr zu fürchten sind, als die Apachen. Wie wir bewaffnet hier stehen, schießen wir hundert von Euch nieder, bevor ein Pfeil von Euch uns erreichen kann. Willst Du Deine Leute mit aller Gewalt in den Tod führen, so thue es. Für uns aber gelten Deine Befehle nicht.«
Der Indianer stand eine kurze Weile schweigend. Dann sagte er: »Mein Bruder muß bedenken, daß meine Worte nicht so gemeint waren!«
»Ich nehme Deine Worte, wie sie klingen. Was Du mit denselben meinst, das geht mich nichts an.«
»Nimm Deine Waffe weg, und wir wollen Freunde bleiben!«
»Ja, das können wir. Aber bevor ich die Waffe von Deiner Brust nehme, muß ich Sicherheit haben, daß es mit Deiner Freundschaft ehrlich gemeint ist.«
»Ich habe es gesagt, und mein Wort gilt.«
»Und soeben noch sprachst Du davon, daß Du Deine Worte anders meinst, als sie klingen. Man kann sich also auf Deine Rede und Dein Versprechen nicht verlassen.«
»Wenn Du mir nicht glaubst, so kann ich Dir keine weitere Sicherheit geben.«
»O doch. Ich verlange von Dir, daß Du mir Deine Friedenspfeife gibst und – –«
»Uff!« rief der Indianer, ihn erschrocken unterbrechend. »Das Calummet gibt man nicht weg.«
»Ich bin damit aber noch gar nicht zufrieden. Ich verlange nicht nur Dein Calummet, sondern auch Deine Medizin.«
»Uff, uff, uff! Das ist unmöglich!«
»Du sollst mir beides nicht für immer geben, nicht schenken. In dem Augenblicke, in welchem wir uns friedlich trennen, erhältst Du es wieder.«
»Kein Krieger gibt seinen Medizinbeutel aus der Hand!«
»Und doch verlange ich ihn. Ich kenne Eure Sitte. Habe ich Dein Calummet und Deine Medizin, so bin ich Du selbst und jede Feindseligkeit gegen uns würde Dich um die Freuden der ewigen Jagdgründe bringen.«
»Und ich gebe sie nicht her!«
»Nun, so sind wir also fertig. Ich werde Dir jetzt die Kugel geben und Dir dann auch Deinen Scalp nehmen, so daß Du nach Deinem Tode mein Hund und Sklave wirst. Ich werde meine linke Hand dreimal erheben. Beim dritten Male schieße ich, wenn Du mir nicht gehorchst.«
Er erhob die Hand zum ersten, zum zweiten Male, während er mit der Rechten den Revolver noch immer auf das Herz des Rothen gerichtet hielt. Schon war die dritte Handbewegung, halb vollendet, da sagte der Indianer:
»Warte! Wirst Du mir beides wiedergeben?«
»Ja.«
»So sollst Du es haben. Ich werde – –«
Er erhob die Hände, wie um nach dem Medizinbeutel und der Pfeife, welche beide er um den Hals hängen hatte, zu greifen.
»Halt!« fiel Old Death ihm in die Rede. »Nieder mit den Händen, sonst schieße ich! Ich traue Dir erst dann, wenn ich diese beiden Gegenstände wirklich besitze. Mein Gefährte mag sie Dir von dem Halse nehmen, um sie mir an den meinigen zu hängen.«
Der Comanche ließ die Hände wieder sinken. Ich nahm ihm die Sachen ab und hing sie Old Death um, worauf dieser den ausgestreckten Arm mit dem Revolver zurückzog.
»So!« sagte er. »Jetzt sind wir wieder Freunde, und mein Bruder mag nun thun, was ihm beliebt. Wir werden hier zurückbleiben, um abzuwarten, wie der Kampf ausfällt!«
[634] Der Häuptling hatte wohl noch nie eine solche Wuth wie jetzt gefühlt. Seine Hand fuhr nach dem Messer, aber er wagte doch nicht, dasselbe heraus zu ziehen. Doch that er wenigstens das eine, in zischendem Tone hervorzustoßen:
»Die Bleichgesichter sind jetzt sicher, daß ihnen nichts geschieht, aber sobald sie mir das Calummet und die Medizin zurückgegeben haben, wird Feindschaft zwischen ihnen und uns sein, bis sie am Marterpfahle gestorben sind!«
Er wendete sich um und eilte von dannen.
»Wir sind jetzt so sicher, wie in Abrahams Schooß,« sagte der Scout, »trotzdem aber wollen wir keine Vorsichtsmaßregel unterlassen. Wir bleiben nicht hier beim Feuer, sondern ziehen uns nach dem Hintergrunde des Thales zurück und warten da ganz ruhig ab, was nun geschehen wird. Kommt, Mesch' schurs, nehmt die Pferde mit!«
Jeder nahm sein Pferd am Zügel. So begaben wir uns in die bezeichnete Gegend, wo wir die Pferde anpflockten und uns am Fuße der Thalwand unter den Bäumen niederließen. Das Feuer leuchtete vom verlassenen Lagerplatze her. Rundum herrschte tiefe Stille.
»Warten wir die Sache ab,« sagte der Scout. »Ich vermuthe, daß der Tanz sehr bald beginnen werde. Die Comanchen werden unter einem satanischen Geheul losbrechen, aber mancher von ihnen wird seine Stimme zum letzten Male erhoben haben. Da – da habt Ihr es ja schon!«
Das Geheul, von welchem er gesprochen hatte, erhob sich jetzt, als ob eine Heerde wilder Thiere losgelassen worden sei.
»Horcht! Hört Ihr einen Apachen antworten?« fragte der Alte. »Gewiß nicht. Die sind klug und machen ihre Arbeit in aller Stille ab.«
Die Felswände gaben das Kriegsgeschrei in vervielfachter Stärke zurück, ebenso wiederholte das Echo die beiden Schüsse, welche jetzt fielen.
»Das ist wieder Winnetou's Silberbüchse,« sagte der Scout, »ein sicheres Zeichen, daß die Comanchen angehalten werden.«
»Wenn abgeschossene Pfeile und geworfene Lanzen einen Schall oder Knall verursachten, so wäre das Thal ganz gewiß jetzt von einem wilden Getöse erfüllt gewesen. So hörten wir nur die Stimmen der Comanchen und die fortgesetzten Schüsse Winnetou's. Das dauerte wohl gegen zwei Minuten. Dann aber erklang ein mark- und beindurchdringendes ›Iwiwiwiwiwiwi‹ zu uns herüber.«
»Das Apachen sein!« jubelte Sam. »Haben gesiegt und Comanchen zurückgeschlagen.«
Jedenfalls hatte er Recht; denn als dieses Siegesgeheul verklungen war, trat tiefe Stille ein, und zu gleicher Zeit sahen wir am Feuer die Gestalten von mehreren Reitern erscheinen, zu denen sich mehrere und immer mehrere gesellten. Es waren Comanchen. Der Durchbruch war nicht gelungen. Für einige Zeit herrschte beim Feuer eine außerordentliche Verwirrung. Wir sahen, wie Menschen herbeigetragen wurden, welche todt oder verwundet waren, und das bereits erwähnte Klagegeheul hob jetzt von Neuem an. Old Death rückte in größtem Aerger auf seinem Platze hin und her und schimpfte in allen Tonarten über die Unvernunft der Comanchen. Nur eins erwähnte er beifällig, nämlich, daß sie eine Schaar von Posten in die Richtung der beiden Ausgänge fortschickten, denn das war eine ganz nöthige Vorsichtsmaßregel. Als nach langer Zeit die Todtenklagen verstummt waren, schienen die Comanchen sich zu einer Berathung niedergesetzt zu haben. Von da an verging wohl eine halbe Stunde; dann sahen wir mehrere der Krieger sich von dem Lager entfernen, in der Richtung nach der hinteren Seite des Thales zerstreuen, wo wir uns befanden.
»Jetzt werden wir gesucht,« sagte Old Death. »Sie haben wohl eingesehen, welche Dummheiten sie begangen haben, und werden nicht zu stolz sein, auf unsern Rath zu hören.«
Einer der ausgesandten Boten kam in unsere Nähe. Old Death hustete leise. Der Mann hörte es und kam herbei.
»Sind die Bleichgesichter hier?« fragte er. »Sie sollen an das Feuer kommen.«
»Wer sendet Dich?«
»Der Häuptling.«
»Was sollen wir dort?«
»Eine Berathung soll abgehalten werden, an welcher die Bleichgesichter dieses Mal Theil nehmen dürfen.«
»Dürfen? Wie gütig von Euch! Sind wir es endlich einmal werth, von den klugen Kriegern der Comanchen angehört zu werden? Wir liegen hier, um zu ruhen. Wir wollen schlafen. Sage das dem Häuptlinge! Eure Feindschaft mit den Apachen ist uns von jetzt an sehr gleichgiltig.«
Jetzt legte sich der Rothe auf's Bitten. Das blieb nicht ohne Erfolg auf den gutherzigen Alten, denn er sagte:
»Nun wohl, wenn Ihr ohne unsern Rath keinen Weg der Rettung findet, so sollt Ihr ihn haben. Aber es beliebt uns nicht, uns von Eurem Häuptlinge kommandiren zu lassen. Sage ihm, daß er her zu uns kommen solle, wenn er mit uns sprechen will.«
»Das thut er nicht, denn er ist ein Häuptling.«
»Höre, Mann, ich bin ein viel größerer und berühmterer Häuptling als er. Ich kenne nicht einmal seinen Namen. Sage ihm das!«
»Auch kann er nicht gehen, selbst wenn er es wollte, weil er am Arm verwundet ist.«
»Seit wann gehen die Söhne der Comanchen nicht mehr auf den Beinen, sondern auf den Armen? Wenn er nicht zu uns kommen will, so mag er bleiben, wo er ist. Wir brauchen ihn und Euch Alle nicht!«
Das war in einem so entschiedenen Tone gesprochen, daß der Rothe nun doch meinte:
»Ich werde ihm die Worte Old Death's mittheilen. Vielleicht kommt er doch.«
»So sage ihm aber, daß er allein kommen soll. Zu einer langen Berathung unter Vielen habe ich keine Lust. Nun gehe!«
Der Mann entfernte sich. Wir sahen ihn nach dem Feuer gehen und dort in den Kreis der Krieger treten. Eine geraume Zeit verging, ehe etwas geschah. Endlich sahen wir, daß eine Gestalt sich in der Mitte der Sitzenden erhob, das Lagerfeuer verließ und auf uns zukam. Er trug Adlerfedern auf dem Kopfe.
»Schaut, er hat dem todten ›weißen Biber‹ den Häuptlingsschmuck abgenommen und sich selbst angelegt. Jetzt wird er mit größter Grandezza herbeisteigen.«
Als der Häuptling näher kam, sahen wir, daß er allerdings den linken Arm in einem Riemen trug. Der Ort, an welchem wir uns befanden, mußte ihm ganz genau beschrieben worden sein, denn er kam grad auf denselben zu und blieb vor uns stehen. Er hatte wohl erwartet, angeredet zu werden, denn er sagte nichts. Old Death aber blieb ruhig liegen und schwieg. Wir Andern verhielten uns natürlich ganz ebenso.
»Mein weißer Bruder ließ mich bitten, zu ihm zu kommen?« fragte der Rothe nun doch.
»Old Death hat nicht nöthig, zu einer Bitte nieder zu steigen. Du wolltest mit mir sprechen. Also bist Du es, welcher zu bitten hat, wenn überhaupt von einer Bitte die Rede sein kann. Jetzt aber werde ich Dich sehr höflich ersuchen, mir Deinen Namen zu sagen. Ich kenne ihn noch nicht.«
»Er ist bekannt über die ganze Prairie. Ich werde der ›flinke Hirsch‹ genannt.«
»Ich bin auf allen Prairien gewesen, habe aber trotzdem diesen Namen nicht gehört. Du mußt sehr heimlich damit umgegangen sein. Nun aber, da ich ihn gehört habe, erlaube ich Dir, Dich zu uns zu setzen.«
[635][647] Der Häuptling trat einen Schritt zurück. Erlauben wollte er sich nichts lassen; aber er fühlte sehr wohl, daß die Umstände ihn zwangen, nachzugeben. Darum ließ er sich langsam und gravitätisch Old Death gegenüber nieder, und nun erst richteten wir uns in sitzende Stellung auf. Erwartete der Comanche, daß der Scout das Gespräch beginnen werde, so hatte er sich geirrt. Letzterer behielt seine angenommene Gleichgiltigkeit bei, und der Rothe mußte anfangen:
»Die Krieger der Comanchen wollen eine große Berathung abhalten, und die Bleichgesichter sollen an derselben Theil nehmen, damit wir ihren Rath hören.«
»Das ist überflüßig. Ihr habt meinen Rath schon oft gehört und doch nie befolgt. Ich aber bin gewohnt, daß meine Worte Beachtung finden, und so werde ich von jetzt an meine Gedanken für mich behalten.«
»Will mein Bruder wohl bedenken, daß wir seiner Erfahrung bedürfen!«
»Ah, endlich! Haben die Apachen Euch belehrt, daß Old Death doch klüger war, als alle fünfhundert Comanchen? Wie ist Euer Angriff ausgefallen?«
»Wir konnten nicht durch den Ausgang, denn er war mit Steinen, Sträuchern und Bäumen versperrt.«
»Dachte es mir! Die Apachen haben die Bäume mit ihren Tomahawks gefällt, und Ihr hörtet es nicht, weil Ihr Eure Todten zu laut beklagtet. Warum habt Ihr das Feuer nicht verlöscht? Seht Ihr denn nicht ein, daß Ihr Euch dadurch in großen Schaden bringt?«
»Die Krieger der Comanchen mußten thun, was berathen worden war. Jetzt wird man etwas Klügeres beschließen. Du wirst doch mit uns sprechen?«
»Aber ich bin überzeugt, daß Ihr meinen Rath abermals nicht befolgen werdet.«
»Wir befolgen ihn.«
»Wenn Du mir das versprichst, so bin ich bereit, ihn Euch zu geben.«
»So komme mit mir zum Feuer!«
»Ich danke! Dorthin komme ich nicht. Es ist eine große Unvorsichtigkeit, ein Feuer zu unterhalten, denn da können die Apachen sehen, was bei Euch geschieht. Auch habe ich keine Lust, mich mit Deinen Rothen herum zu streiten. Ich werde sagen, was ich denke, und Du kannst thun, was Dir beliebt.«
»So sage es!«
»Die Apachen befinden sich nicht nur an den beiden Ausgängen des Thales, sondern sie sind im Thale selbst. Sie haben sich da vorn fest gesetzt und die Ausgänge verbarrikadirt. So können sie sich nach links und rechts wenden, ganz wie es ihnen nöthig erscheint. Sie zu vertreiben, ist unmöglich.«
»Wir sind ihnen ja weit überlegen.«
»Wie viele Krieger habt Ihr bereits eingebüßt?«
»Der große Geist hat viele von uns zu sich gefordert. Es sind schon über zehn mal zehn. Und auch Pferde sind zu Grunde gegangen.«
»So dürft Ihr in dieser Nacht nichts mehr unternehmen, weil es Euch grad so ergehen würde, wie das letzte Mal. Und am Tage werden die Apachen sich so aufstellen, daß sie Euch mit ihren Waffen, Ihr aber nicht sie mit den eurigen erreichen könnt. Dann werden auch die Schaaren eintreffen, nach denen Winnetou gesandt hat, und es sind nachher mehr Apachen als Comanchen vorhanden. Ihr seid dem Tode geweiht.«
»Ist das wirklich die Meinung meines Bruders? Wir werden seinen Rath befolgen, wenn er uns zu retten vermag.«
»Da Du von Rettung sprichst, so hast Du hoffentlich eingesehen, daß ich Recht hatte, als ich dieses Thal eine Falle nannte. Wenn ich über die Sache nachdenke, so finde ich zwei Wege, auf denen die Rettung versucht werden könnte, aber auch nur versucht, denn ob sie wirklich gelingen wird, das kann ich nicht wissen. Der erste ist, daß Ihr versucht, ob es möglich ist, an dem Felsen empor zu klettern. Aber Ihr müßtet dafür den Anbruch des Tages abwarten; die Apachen würden Euch somit sehen und sich jenseits des Thales auf Euch werfen. Dort sind sie Euch überlegen, weil Ihr Eure Pferde nicht mitnehmen könnt. Es gibt also nur noch ein Mittel, Euch zu retten. Tretet in Unterhandlung mit den Apachen!«
»Das thun wir nicht!« brauste der Häuptling auf. »Die Apachen würden unsern Tod verlangen.«
»Das verdenke ich ihnen auch nicht, weil Ihr ihnen Grund dazu gegeben habt. Ihr habt mitten im Frieden ihre Dörfer überfallen, ihre Habe geraubt, ihre Weiber und Töchter fortgeführt und ihre Krieger getödtet oder zu Tode gemartert. Ihr habt dann ihren Abgesandten das Wort gebrochen und sie ermordet. So schändliche Thaten schreien um Rache, und es ist darum gar kein Wunder, daß Ihr keine Gnade von den Apachen zu erwarten habt. Du siehst das selbst ein und gibst damit zu, daß Ihr ganz unverantwortlich an ihnen gesündigt habt.«
Das war höchst aufrichtig gesprochen, so aufrichtig, daß der Häuptling für eine ganze Weile verstummte.
»Uff!« stieß er dann hervor. »Das sagst Du mir, mir, dem Häuptling der Comanchen!«
»Ich würde es Dir sagen, auch wenn Du der große Geist selber wärest. Es war eine Schändlichkeit von Euch, in dieser Weise an den Apachen zu handeln, welche Euch nichts zugefügt hatten. Was thaten Euch ihre Gesandten, daß Ihr sie tödtetet? Was thaten sie Euch wieder, daß Ihr den jetzigen Kriegszug unternehmt, um Tod, Verderben und Schande über sie zu bringen? Antworte mir!«
Der Indianer stieß erst nach längerer Zeit grimmig hervor:
»Sie sind unsere Feinde.«
»Nein. Sie lebten in Frieden mit Euch, und kein Abgesandter von Euch hat ihnen die Botschaft gebracht, daß Ihr das Kriegsbeil gegen sie ausgegraben habt. Ihr seid Euch Eurer Schuld sehr wohl bewußt. Darum hegest Du die Ueberzeugung, daß Ihr keine Gnade zu erwarten habt. Und doch wäre es möglich, einen leidlichen Frieden mit ihnen zu schließen. Es ist ein Glück für Euch, daß Winnetou ihr Anführer ist, denn er trachtet nicht nach Blut. Er ist der einzige Häuptling der Apachen, welcher sich vielleicht zur Milde gegen Euch entschließen könnte. Sendet einen Mann an ihn, um eine Unterhandlung herbeizuführen. Ich selbst will mich sogar bereit finden lassen, zu gehen, um ihn nachgiebig für Euch zu stimmen.«
»Die Comanchen werden lieber sterben, als die Apachen um Gnade bitten.«
»Nun, das ist Eure Sache. Ich habe Dir nun meinen Rath ertheilt. Ob Du ihn befolgest oder nicht, das ist mir außerordentlich gleichgiltig.«
»Weiß mein Bruder keine andere Hilfe? Er redet zu Gunsten der Apachen; also ist er ein Freund derselben.«
»Ich bin allen rothen Männern wohlgesinnt, so lange sie mich nicht feindselig behandeln. Die Apachen haben mir nicht das geringste Leid gethan. Warum soll ich ihr Feind sein? Aber Ihr habt uns feindselig behandeln wollen. Du wolltest uns gefangen nehmen. Nun wäge ab, wer größeres Anrecht auf unsere Freundschaft hat, Ihr oder sie!«
»Du trägst mein Calummet und meinen Medizinbeutel, also ist das, was Du sagst, grad so, als ob es meine Worte seien. Darum darf ich Dir nicht die Antwort geben, welche ich Dir geben möchte. Dein Rath taugt nichts. Du hast damit [647] die Absicht, uns in die Hände der Apachen zu bringen. Wir werden nun selbst wissen, was wir zu thun haben.«
»Nun, wenn Ihr das wißt, warum willst Du dann meinen Rath haben? Wir sind fertig und haben nichts mehr zu besprechen.«
»Ja, wir sind fertig,« stimmte der Comanche bei. »Aber bedenke wohl, daß Du trotz des Schutzes, unter welchem Du jetzt noch stehest, unser Feind bist. Du darfst mein Calummet und meine Medizin nicht behalten. Du wirst sie hergeben müssen, ehe wir diesen Ort verlassen, und dann wird Alles über Dich kommen, was Du veranlasset hast.«
»Well! Ich bin einverstanden. Was über mich kommen soll, erwarte ich mit großer Ruhe. Du hast Old Death gedroht, sogar mit dem Tode am Marter-Pfahle. Ich wiederhole, daß wir mit einander fertig sind, und Du kannst gehen.«
»Uff!« stieß der Häuptling wild hervor. Dann wendete er sich ab und kehrte gemessenen Schrittes nach dem Feuer zurück. Wir konnten seine Gestalt nicht mit unsern Blicken verfolgen, denn unsere Aufmerksamkeit wurde auf einer andern Seite in Anspruch genommen, auf einer Seite, von woher wir es gar nicht gedacht hatten. Kaum hatte sich nämlich der Comanche von uns entfernt, so raschelte es hinter uns, und eine dunkle Gestalt erhob sich, welche da zwischen uns und der Felswand gelegen hatte. Im Nu war Old Death auf den Beinen und wir mit ihm.
»Meine Brüder mögen still sein,« sagte die Gestalt. »Ich bin ein Freund der Bleichgesichter.«
»Wer bist Du?« fragte Old Death.
»Erkennst Du den nicht, dem Ihr vorhin das Leben schenktet, obgleich er sich in Eurer Gewalt befand?«
»Winnetou?« fragte der Alte erstaunt. »Alle Teufel! Nur Winnetou konnte es fertig bringen, sich hinter Old Death zu schleichen, ohne von ihm bemerkt zu werden. Das ist ein Meisterstück, welches ich mir nicht fertig zu bringen getraue.«
»Winnetou hat gelernt, wie die Schlange zu kriechen, welche selbst vom leisesten Ohre nicht gehört wird.«
»Aber Du begibst Dich ja in eine ganz außerordentliche Gefahr! Du hast Dich durch die Posten und dann noch bis hierher schleichen müssen und mußt auch wieder zurück.«
»Nein, das habe ich nicht. Die Bleichgesichter sind meine Freunde, und ich kann ihnen mein Vertrauen schenken. Dieses Thal liegt im Gebiete der Apachen, und Winnetou hat es zu einer Falle eingerichtet für Feinde, welche etwa bei uns eindringen wollen. Diese Felswände sind nicht so unwegbar wie es scheint. Die Apachen haben einen schmalen Pfad angelegt, welcher in der Höhe mehrerer Männer rund um das Thal läuft. Durch einen Lasso kommt man leicht hinauf und wieder herab. Die Comanchen sind durch meine Kundschafterin diese Falle gelockt worden und sollen darin untergehen.«
»Ist ihr Tod denn wirklich beschlossen?«
»Ja. Winnetou hat Dein Gespräch mit dem Häuptling gehört und aus demselben ersehen, daß Du Dich zur Seite der Apachen neigest. Du hast gesagt, was die Comanchen an uns verbrochen haben, und gibst es zu, daß wir diesen vielfältigen Mord zu rächen haben.«
»Aber müssen deßwegen Ströme Blutes fließen?«
»Du hast selbst gehört, daß die Comanchen weder ihre Sünde bekennen, noch das thun wollen, was Du ihnen riethest und was die Klugheit ihnen gebietet. So mag nun ihr Blut über sie selbst kommen. Die Apachen werden ein Beispiel geben, wie sie den Verrath zu bestrafen wissen. Das müssen sie thun, um vor Wiederholungen sicher zu sein.«
»Es ist grauenhaft! Doch fühle ich keinen Beruf, meinen Rath abermals vor Ohren hören zu lassen, welche desselben gar nicht zu bedürfen vermeinen.«
»Du würdest abermals nicht gehört. Ich vernahm aus Deinen Worten, daß Du die Heiligthümer des Häuptlings besitzest. Wie bist Du zu ihnen gekommen?«
Old Death erzählte es. Als er geendet hatte, sagte Winnetou:
»Da Du ihm versprochen, sie ihm wiederzugeben, so mußt Du Dein Wort halten. Du wirst sie ihm gleich jetzt geben und zu uns kommen. Ihr werdet als Freunde bei uns aufgenommen werden. Winnetou wurde während seines Lebens [648] [650]zum ersten Male besiegt; sein Leben und sein Scalp gehörten diesem jungen Manne, der ihm weder das eine, noch den anderen genommen hat. Ihr könnt von dem Häuptlinge der Apachen Alles verlangen, was er vermag. Er wird es Euch geben.«
»Gleich jetzt sollen wir zu Euch kommen?«
»Ja. Winnetou hat sich aufgemacht, um Euch das zu sagen und Euch zu seinen Apachen zu holen. In drei Stunden werden über sechshundert Krieger der Apachen hier ankommen. Viele von ihnen haben Gewehre. Ihre Kugeln streichen über das Thal weg, und Euer Leben ist nicht mehr sicher.«
»Aber wie sollen wir es anfangen, zu Euch zu kommen?«
»Das fragt Old Death?«
»Hm, ja! Wir setzen uns auf die Pferde und reiten zum Lagerfeuer. Dort gebe ich dem Häuptlinge seine Heiligthümer zurück, und dann sprengen wir fort, den Apachen entgegen. Die im Wege stehenden Posten reiten wir nieder. Wie aber kommen wir über die Barrikaden hinweg?«
»Sehr leicht. Wartet nur, wenn ich hier fort bin, noch zehn Minuten, bevor Ihr aufbrecht. Dann werde ich rechts, am Ausgange des Thales stehen und Euch empfangen.«
Er huschte davon. Wir standen da und sahen uns trotz der Dunkelheit erstaunt in die Gesichter.
»Na, was sagt Ihr nun?« fragte Old Death.
»Ein außerordentlicher Mann!« antwortete Lange.
»Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Wäre dieser Mann ein Weißer, ein Soldat, er könnte es bis zum Feldherrn bringen. Und wehe den Weißen, wenn es ihm in den Sinn käme, die Rothen um sich zu versammeln, um ihre angestammten Rechte zu verfechten. Er aber liebt den Frieden und weiß, daß die Rothen trotz allen Sträubens dem Untergange gewidmet sind, und verschließt die fürchterliche Last dieser Ueberzeugung still in seiner Brust. Na, setzen wir uns also auf zehn Minuten wieder nieder.«
Es blieb so ruhig im Thale, wie es in der letzten halben Stunde gewesen war. Die Comanchen beriethen noch. Nach zehn Minuten stand Old Death wieder auf und stieg in den Sattel.
»Macht genau das nach, was ich thue!« sagte er.
Langsamen Schrittes ritten wir bis zum Lagerplatze. Der Kreis der Comanchen öffnete sich, und wir ritten in denselben hinein. Wären die Gesichter nicht bemalt gewesen, so hätten wir gewiß das größte Erstaunen in denselben bemerken können.
»Was wollt Ihr hier?« fragte der Häuptling, indem er aufsprang. »Weßhalb kommt Ihr zu Pferde?«
»Wir kommen als Reiter, um den tapfern und klugen Kriegern der Comanchen eine Ehre zu erweisen. Nun, was werdet Ihr also thun?«
»Die Berathung ist noch nicht zu Ende. Aber steigt ab! Ihr seid unsere Feinde, und wir dürfen nicht zugeben, daß Ihr zu Pferde seid. Oder kommst Du vielleicht, mir meine Heiligthümer zurück zu bringen?«
»Wäre das nicht sehr unklug von mir gehandelt? Du hast ja gesagt, daß von dem Augenblicke an, an welchem Du Dein Eigenthum zurück hast, Feindschaft zwischen Euch und uns sein solle, bis wir am Marterpfahle sterben.«
»So wird es sein. Ich habe es gesagt, und ich halte Wort. Der Zorn der Comanchen wird Euch vernichten!«
»Wir fürchten uns so wenig vor diesem Zorne, daß ich die Feindschaft gleich jetzt beginnen lasse. Da hast Du Deine Sachen! Und nun seht, was Ihr uns thun könnt!«
Er riß die beiden Gegenstände vom Halse und schleuderte sie weit von sich. Zugleich spornte er sein Pferd an, daß es in einem weiten Bogen über das Feuer wegsetzte und drüben eine Bresche in die Reihen der Comanchen riß. Sam, der Neger, war der erste hinter ihm. Er ritt den Häuptling nieder. Wir anderen drei folgten augenblicklich. Zehn oder fünfzehn Comanchen wurden umgeritten, dazu einer der draußen dem voranstürmenden Old Death im Wege stehenden Posten; dann flogen wir über die ebene Grasfläche hin, verfolgt von einem unbeschreiblichen Wuthgeheul unserer bisherigen so unzuverläßigen Freunde.
»Uff!« rief uns eine Stimme entgegen. »Anhalten. Da steht Winnetou!«
Wir parirten die Pferde. Vor uns stand eine Anzahl Apachen, welche unsere Thiere an den Zügeln nahmen, als wir abgestiegen waren. Winnetou geleitete uns nach der Enge, welche aus dem Thale führte. Dort war bereits Platz gemacht worden, so daß wir und auch die Pferde einzeln passiren konnten.
Als wir die Barrikade hinter uns hatten, wurde der Ausgang breiter, und bald sahen wir einen hellen Schein. Die Enge öffnete sich, und nun erblickten wir ein schwach brennendes Feuer, an welchem zwei Rothe bei einem improvisirten Bratspieße hockten. Sie entfernten sich ehrerbietig, als wir uns näherten. Auch die andern Apachen zogen sich zurück, als sie unsere Pferde angepflockt hatten. In einiger Entfernung weidete eine ganze Schaar von Pferden, bei denen Wächter standen. Das hatte fast einen militärischen Anstrich. Die Bewegungen der Apachen waren so exact und sicher, fast wie einexerzirt gewesen.
»Meine Brüder mögen sich an das Feuer setzen,« sagte Winnetou. »Ich habe ihnen ein Stück Lende des Büffels braten lassen. Sie können davon essen, bis ich wiederkehre.«
»Bleibst Du lange fort?« fragte Old Death.
»Nein. Ich muß in das Thal zurück. Die Comanchen könnten sich von dem Zorne über Euch haben fortreißen lassen, sich meinen Kriegern zu nähern. Da werde ich ihnen einige Kugeln geben.«
Er entfernte sich. In Matagorda hatte er das schönste Englisch gesprochen. An diesem Platze bediente er sich des hier gebräuchlichen Indianermischmasch. Er schien bei seiner Anwesenheit im Lande der Seinigen die Spuren der Kultur abzustreifen.
Old Death ließ sich behaglich am Feuer nieder, zog das Messer und untersuchte den Braten. Er war ausgezeichnet. Der Alte und ich hatten überhaupt noch nicht gegessen, und auch von den drei Andern war das Pferdefleisch der Comanchen nur gekostet worden. Das große Stück Lende schrumpfte sehr schnell zusammen. Da kehrte Winnetou zurück; er ließ sich von mir das Totem zeigen und vervollkommnete es durch einige Schnitte. Er schwor mir, weil ich ihn nicht getödtet, ewige Freundschaft.
Dann fragte er: »Aber warum haben sich meine Brüder so feindselig gegen die Weißen verhalten, welche sich bei den Comanchen befanden?«
»Gegen sie im Allgemeinen hatten wir keine Feindschaft. Nur einen von ihnen suchten wir, welcher ein großer Bösewicht ist und den ich schon seit langer Zeit verfolge, ohne ihn ergreifen zu können.«
»Welcher war es? Wurde er mit getödtet, oder ist er entkommen?«
»Er entkam, denn wir fanden ihn nicht bei den Todten.«
»Die Weißen kamen zu mir. Sie alle haben mir ihre Namen genannt.«
»Er hat mehrere Namen, denn er ist ein Verbrecher, der sich hinter verschiedene Namen verstecken muß. Er nennt sich Gibson, Clinton und auch Gavilano.«
»Gavilano? Ja, er war dabei.«
»Wo befinden sich die Weißen, denen es gelang, zu entkommen?« fragte ich.
»Sie sind fort.«
»Fort?« rief der Alte erschrocken. »Auch dieser Gavilano mit?«
»Ja.«
[650][663] »Und ein junger Mann, welcher ein sehr trauriges Gesicht machte?«
»Sein Geist war krank. Auch er ist fort.«
»Tausend Teufel! So ist er uns abermals entkommen! Wir müssen ihnen sofort nach!«
In seinem Eifer sprang der Alte auf. Winnetou aber sagte:
»Mein Bruder mag sich wieder niedersetzen. Die Bedachtsamkeit ist oft schneller als die größte Eile.«
»Das ist richtig,« stimmte der Scout bei. »Aber wie kommt Winnetou dazu, diese Leute so schnell zu entlassen, noch während der Nacht?«
»Sie hatten Eile. Sie hatten mit den Comanchen einen großen Unweg zu machen. Sie wollten nach Chihuahua zu den Kriegern von Juarez. Winnetou liebt Juarez; darum unterstützte er sie, schnell fort zu kommen.«
»Aber Gavilano hat mit Juarez ganz und gar nichts zu thun!«
»Das erfuhr ich auch. Aber Gavilano sagte, er habe seinen armen Freund nach Chihuahua in das Haus zu bringen, in welchem kranke Seelen wieder gesund gemacht werden. Der junge Weiße sei bei den Comanchen viel kränker geworden, und wenn man sich nicht beeile, so werde er gar nicht mehr zu heilen sein. Ich gab Allen frische Pferde und Proviant. Auch gab ich ihnen zwei Führer mit, welche den Weg über die Mapimi nach Chihuahua genau kennen.«
»Das ist ein Schlag für uns. Frische Pferde, Proviant und geschickte Führer! Hat Winnetou vielleicht mit ihnen die Pfeife des Friedens geraucht?«
»Nein, Winnetou ist nicht so leichtsinnig, wie die Häuptlinge der Comanchen. Er prüft erst sehr streng, bevor er sein Calummet an die Lippen eines Andern gibt.«
»So ist noch immer Glück beim Unglück. Ich hoffe, daß Du auch uns unterstützest, damit es uns vielleicht gelinge, die Schelme einzuholen.«
»Das kann ich Dir erst dann versprechen, wenn ich weiß, wessen Ihr diesen Gavilano anklagt.«
»Du sollst es sofort erfahren.«
Er erzählte ihm, was zu erzählen war. Als er geendet hatte, sagte Winnetou:
»Mein Herz hat keine Freude darüber, daß ihr mich so schnell verlassen wollt. Aber Ihr müßt es thun, und so darf ich Euch nicht zurückhalten.«
»Ja, wir brechen sofort auf.«
»Warte! Old Death hat viele Jahre erlebt, aber er ist noch leicht von Blut wie ein Jüngling. Was Ihr braucht, das kann ich Euch nicht jetzt geben, sondern erst dann, wenn die erwarteten Krieger angekommen sind.«
»Das dauert nach dem, was Du uns vorhin sagtest, noch zwei Stunden! Das ist allzu lang.«
»Nein. Ihr sollt diesen Verzug wieder einholen. Ich gebe Euch mehrere meiner Leute mit, welche Euch auf einem andern Weg begleiten werden, wo Ihr die Weißen einholt, bis nach Chihuahua, noch weiter, so lange Ihr ihrer Hilfe bedürft.«
»Dafür sind wir Dir sehr dankbar. Ich bin zwar auch eine Strecke nach der Mapimi hinauf gekommen, aber so weit hinein und hinüber denn doch nicht.«
»Eure Pferde taugen nicht für diesen Ritt, weil sie die Ebene gewöhnt sind. Ich werde Euch an ihrer Stelle andere geben, welche in der Mapimi geboren und geritten worden sind. Wenn nicht etwas ganz Unvorhergesehenes geschieht, so habt Ihr am Mittag des zweiten Tages die Weißen eingeholt.«
Da kam ein Apache aus dem Thale gelaufen und meldete:
»Die Hunde der Comanchen haben das Feuer verlöscht und sind vom Lagerplatze fort. Sie haben einen Angriff vor.«
»Sie werden wieder abgewiesen werden, wie vorher,« antwortete Winnetou. »Wenn meine weißen Brüder mitkommen, werde ich sie dahin stellen, von wo aus sie Alles hören können.«
Wir standen natürlich sofort auf. Er führte uns in die Enge zurück, fast bis an die Barrikade. Dort gab er ein am Felsen niederhängendes Lasso in Old Death's Hand und sagte:
»Turnt Euch an dem Riemen empor, zweimal so hoch, wie ein Mann ist. Dort werdet Ihr Sträucher finden und hinter ihnen den Weg, von welchem ich Euch gesagt habe. Ich kann nicht mit hinauf, sondern muß zu meinen Kriegern.«
Er nahm etwas da am Felsen Lehnendes mit sich. Es war seine Büchse.
»Hm!« brummte der Scout. »An so einem dünnen Lasso zwölf Fuß empor zu kriechen! Ich bin doch kein Affe, der gelernt hat, zwischen Lianen herum zu klettern. Wollen es versuchen.«
Es gelang ihm doch. Ich folgte ihm, und auch die Anderen kamen nach, freilich nur mit Schwierigkeit. Der Felsen trug da einen Baum, um dessen Stamm das Lasso geschlungen war. Daneben standen Sträucher, welche den Steig verdeckten. Da es so dunkel war, daß wir uns anstatt der Augen des Gefühles oder vielmehr des Tastsinnes bedienen mußten, tappten wir uns mit Hilfe der Hände eine kleine Strecke fort, bis Old Death stehen blieb. An den Felsen gelehnt, warteten wir nun, was kommen werde. Mir schien es, als ob die Stille des Todes auf dem Thale liege. So sehr ich mein Ohr anstrengte, ich konnte nichts hören, als ein leises Schnüffeln, welches aus der Nase Old Death's kam. Daß der Alte weit mehr bemerkte als ich, der ich eben weder etwas sah, noch etwas hörte oder roch, das bewies er, indem er mir zuflüsterte:
»Dumme Kerle, die Comanchen! Meint Ihr nicht, Sir?«
Ich wußte nicht, weßhalb er sie so nannte.
»Na, ist das eine Frage! Riecht Ihr nichts?«
»Nein.«
»Da drüben rechts riecht es nach Pferden, nach Pferden, welche sich bewegen. Das ist nämlich etwas ganz Anderes, als Pferde, welche unbeweglich stehen. Ueber stillstehenden Pferden liegt der Geruch dick und unbeweglich; man kann die Nase, so zu sagen, hineinstoßen. Sobald aber die Pferde sich bewegen, kommt auch er in Bewegung, wird feiner und flüssiger und leicht davongetragen. So unglaublich es klingen mag, der Westmann merkt aus der Dichtheit oder Dünne dieses Geruches, ob er stehende oder laufende Pferde vor sich hat. Natürlich ruhige Luft vorausgesetzt. Jetzt kommen nun von da rechts solche leichte Pferdelüftchen herüber, und meinen alten Ohren war es auch, als ob sie das Stolpern eines Pferdehufes vernommen hätten, leicht und dumpf wie auf Grasboden. Ich calculire, daß die Comanchen jetzt sich leise nach dem Eingange hinziehen, um da durchzubrechen.«
Da hörten wir eine helle Stimme rufen:
»Ntsa-ho!«
Dieses Wort bedeutet »Jetzt«. Im Augenblicke darauf krachten zwei Schüsse – Winnetou's Silberbüchse. Revolverschüsse folgten. Ein unbeschreibliches Geheul erscholl zu uns herauf. Wilde Indianerrufe schrillten über das Thal; Tomahawks klirrten. Der Kampf war ausgebrochen.
Er währte nicht lange. Durch das Schnauben und Wiehern der Pferde und das Wuthgeschrei der Comanchen, brach sich das siegreiche »Iwiwiwiwiwi« der Apachen Bahn. Wir hörten, daß die ersteren sich in wilder Flucht zurückzogen. Ihre Schritte und das Stampfen ihrer Pferde entfernten sich nach der Mitte des Thales hin.
»Habe ich es nicht gesagt!« meinte Old Death. »Eigentlich hätte man mit losschlagen sollen. Die Apachen halten sich [663] wundervoll. Sie schießen ihre Pfeile und stechen mit ihren Lanzen aus sicheren Verstecken hervor. Die Comanchen sind dicht gedrängt, sodaß jeder Pfeil, jeder Speer, jede Kugel Winnetou's treffen muß. Und nun, da die Feinde sich zurückziehen, sind die Apachen klug genug, ihnen nicht zu folgen. Sie bleiben in ihrer Deckung, denn sie wissen, daß die Comanchen ihnen nicht entgehen können. Warum also sich in das Thal wagen!«
Auch in der Beziehung befolgten die Comanchen jetzt Old Death's Rath, daß sie sich nach dem Mißerfolge ruhig verhielten. Ihr Geheul war verstummt, und da das Feuer nicht mehr brannte, ließen sie ihre Gegner über ihre Bewegungen im Unklaren. Wir warteten noch eine Weile. Es wollte sich nichts Neues begaben. Da hörten wir unter uns Winnetou's gedämpfte Stimme:
»Meine weißen Brüder können wieder herabkommen. Der Kampf ist vorüber und wird auch nicht wieder losbrechen.«
Wir kehrten zu dem Lasso zurück und ließen uns an demselben hinab. Unten stand der Häuptling, mit dem wir uns wieder hinaus zu dem Feuer begaben.
»Die Comanchen versuchten es jetzt auf der andern Seite,« sagte er. »Es ist ihnen ebensowenig geglückt. Sie werden von Neuem bewacht und können nichts unternehmen, ohne daß Winnetou es erfährt. Die Apachen sind ihnen gefolgt und liegen in einer langen Linie, welche von einer Seite des Thales bis zur andern reicht, im Grase, um Alles scharf zu beobachten.«
Während er das sagte, hielt er den Kopf nach der rechten Seite geneigt, als ob er auf etwas horche. Dann sprang er auf, so daß das Feuer seine Gestalt hell beleuchtete.
»Warum thust Du das?« fragte ich ihn.
Er deutete hinaus in die finstere Nacht und antwortete:
»Winnetou hat gehört, daß dort ein Pferd auf steinigtem Weg strauchelte. Es kommt ein Reiter, einer meiner Krieger. Er wird absteigen wollen, um zu untersuchen, wer hier am Feuer sitzt. Darum bin ich aufgestanden, damit er bereits von Weitem erkennen möge, daß Winnetou sich hier befindet.«
Sein feines Gehör, welches mich geradezu in Erstaunen versetzte, hatte ihn nicht getäuscht. Es kam ein Reiter im Trabe herbei, hielt bei uns sein Pferd an und stieg ab. Der Häuptling empfing ihn mit einem nicht sehr freundlichen Blick. Er tadelte ihn wegen des von dem Pferde gemachten Geräusches.
Der Gescholtene stand in aufrechter und doch ehrerbietiger Haltung da, ein freier Indianer, der aber gern die größere Begabung seines Anführers anerkennt.
»Sie kommen,« antwortete er.
»Wie viele Pferde?«
»Alle. Es fehlt kein einziger Krieger. Wenn Winnetou ruft, bleibt kein Apache bei den Frauen zurück.«
»Wie weit sind sie noch von hier?«
»Sie kommen mit dem Grauen des Tages an.«
»Gut. Führe Dein Pferd zu den andern, und setze Dich zu den Wachen, um auszuruhen!«
Der Mann gehorchte augenblicklich. Winnetou hielt auf Disciplin und Subordination. Seine Krieger durften, so schien es mir, nur dann zu ihm sprechen, wenn sie von ihm gefragt wurden. Er setzte sich wieder zu uns nieder, und wir mußten ihm von unserm Aufenthalte auf der Hazienda del Caballero und dann auch von dem Ereignisse in La Grange erzählen. Darüber verging die Zeit, und vom Schlafen war natürlich keine Rede. Der Häuptling hörte unsere Erzählung an und warf nur zuweilen eine kurze Bemerkung oder Frage ein. So wich allmälig die Nacht und die Morgendämmerung begann. Da streckte Winnetou die Hand nach Westen aus und sagte:
»Meine weißen Brüder mögen sehen, wie pünktlich die Krieger der Apachen sind. Dort kommen sie.«
Ich sah nach der angegebenen Richtung, bemerkte aber nichts. Der Nebel lag wie ein grauer, wellenloser See im Westen und schob seine undurchsichtigen Massen buchten- und busenartig zwischen die Berge hinein. Ein Geierpaar, außer welchem ich keine Spur eines lebenden Wesens entdecken konnte, schwebte in der Luft. Old Death sah es mir an, daß ich vergeblich nach den angekündigten Apachen ausschaute. Er sagte:
»Seid Ihr abermals ein Greenhorn, Sir? Ich vermuthe, daß Ihr die Rothen nicht seht.«
»Das ist richtig, Master; aber ich frage Euch, ob Ihr sie vielleicht erblickt.«
»Nein, denn sie stecken im dicksten Nebel; aber erstens zeigt uns der Flug der Geier, daß da drüben irgend etwas Lebendiges vorhanden ist, was sich in der Richtung auf uns zu bewegt. Und zweitens theilen die Reiter ihre Bewegung dem Nebel mit. Wenn Ihr Euch das Nebelmeer genau betrachtet, so werdet Ihr auf der Oberfläche desselben einen schmalen Streifen bemerken, welcher ungefähr eine englische Meile von hier aus beginnt und sich bis hinein zwischen die beiden vor uns liegenden Berge zieht. Das ist die lange Reitlinie der Apachen, von denen nach ihrer bekannten Weise immer einer hinter dem andern reitet. Ihr erseht hieraus, in welche Gefahr ein Ungeübter hier sehr leicht gerathen kann. Ihr zum Beispiele würdet von den Apachen vollständig überrascht werden, denn der Nebel ist so dicht, daß Ihr sie erst sehen würdet, wenn es zur Flucht zu spät ist. Der Nebelstreif und die Geier sagen mir, daß die Apachen in spätestens fünf Minuten hier sein werden.«
Er hatte Recht. Der Streif verlängerte sich zusehends in der Richtung auf uns, bis er da verschwand, wo die Reiter sich in gleicher Terrainhöhe mit uns befanden. Dann bemerkte ich nach kurzer Zeit jenen Pferdegeruch, von welchem Old Death während der Nacht mit mir gesprochen hatte, und endlich sahen wir einen Reiter aus dem Nebel hervorkommen, hinter ihm die lange, lange Einzelreihe seiner Kameraden.[664] [666] Als er uns erblickte, hielt er für einen Augenblick an. Dann erkannte er Winnetou und kam in kurzem Trabe auf uns zu. Er war ein Häuptling, denn er trug zwei Adlerfedern im Haarschopfe. Keiner dieser Reiter hatte ein wirkliches Zaumzeug; sie alle führten ihre Pferde am Halfter, und doch war die Lenkung, als sie jetzt im eleganten Galoppe heran kamen, um in fünffacher Reihe Aufstellung zu nehmen, eine so sichere, wie man sie selbst bei einer europäischen Kavallerie nur selten trifft. Die Meisten von ihnen waren mit Gewehren bewaffnet, und nur Wenige trugen Bogen, Lanze und Köcher. Der Anführer sprach eine kurze Weile mit Winnetou, doch konnte ich kein Wort verstehen. Dann gab der letztere einen Wink, und im Nu saßen die Krieger ab. Diejenigen, welche keine Gewehre besaßen, bemächtigten sich der Pferde, um dieselben zu beaufsichtigen. Die Andern schritten in die Enge hinein. Das Lasso, an welchem wir zum Pfade emporgeklettert waren, hing noch dort, und ich sah, daß sich Einer nach dem Andern an demselben hinaufschwang. Das ging Alles so still, geräuschlos und exact vor sich, als ob es lange vorher eingehend besprochen worden sei. Winnetou stand ruhig da, um die Bewegungen der Seinigen mit aufmerksamem Blicke zu verfolgen. Als der letzte von ihnen ver schwunden war, wendete er sich zu uns.
»Meine weißen Brüder werden nun erkennen, daß die Söhne der Comanchen verloren sind, wenn ich es so befehle.«
»Wir sind davon überzeugt,« antwortete Old Death. »Aber will Winnetou wirklich das Blut so vieler Menschen vergießen?«
»Haben sie es anders verdient? Was thun die weißen Männer, wenn einer von ihnen gemordet worden ist? Suchen sie nicht nach dem Mörder? Und wenn er gefunden worden ist, so treten ihre Häuptlinge zusammen und halten einen Rath, um das Urtheil zu sprechen und ihn tödten zu lassen. Könnt Ihr die Apachen tadeln, wenn sie nichts als nur dasselbe thun?«
»Ihr thut ja nicht dasselbe!«
»Kann mein Bruder das beweisen?«
»Ja. Wir bestrafen den Mörder, indem wir ihn tödten. Du willst aber auch diejenigen erschießen lassen, welche gar nicht dabei waren, als Eure Dörfer überfallen wurden.«
»Sie tragen ganz dieselbe Schuld, denn sie sind damit einverstanden gewesen. Auch waren sie dabei, als die gefangenen Apachen am Marterpfahle sterben mußten. Sie sind nun die Männer unserer Frauen und Töchter und die Besitzer unsers Eigenthums, unserer Pferde, welche uns geraubt wurden.«
»Aber Mörder kannst Du sie nicht nennen!«
»Ich weiß nicht, was Old Death will. Bei seinen Brüdern gibt es außer dem Morde noch andere Thaten, welche mit dem Tode bestraft werden. Die Westmänner schießen jeden Pferdedieb nieder. Wird einem Weißen sein Weib oder seine Tochter geraubt, so tödtet er Alle, welche zu dieser That in Beziehung stehen. Da drin im Thale befinden sich die Besitzer unserer geraubten Frauen, Mädchen und Pferde. Sollen wir ihnen dafür etwa das geben, was die Weißen ein Kreuz oder einen Orden nennen?«
»Nein; aber Ihr könnt ihnen verzeihen und Euer Eigenthum zurücknehmen.«
»Pferde nimmt man zurück, aber Frauen nicht. Und verzeihen? Mein Bruder spricht wie ein Christ, welcher stets nur das von uns fordert, dessen gerades Gegentheil er thut. Verzeihen die Christen uns? Haben sie uns überhaupt etwas zu verzeihen? Sie sind zu uns gekommen und haben uns die Erde genommen. Wenn bei Euch einer einen Grenzstein weitersetzt oder ein Thier des Waldes tödtet, so steckt man ihn in das finstere Gebäude, welches Ihr Zuchthaus nennt. Was aber thut Ihr selbst? Wo sind unsere Prärien und Savannen? Wo sind die Heerden der Pferde, Büffel und anderer Thiere, welche uns gehörten? Ihr seid in großen Schaaren zu uns gekommen, und jeder Knabe brachte ein Gewehr mit, um uns das Fleisch zu rauben, dessen wir zum Leben bedurften. Ein Land nach dem andern entriß man uns ohne alles Recht. Und wenn der rothe Mann sein Eigenthum vertheidigte, so wurde er ein Mörder genannt, und man erschoß ihn und die Seinigen. Du willst, ich soll meinen Feinden verzeihen, denen wir nichts zu Leid gethan haben. Warum verzeiht denn Ihr es uns nicht, Ihr, die Ihr uns Alles zu Leide thut, ohne daß wir Euch Veranlassung dazu gegeben haben? Wenn wir uns wehren, so thun wir unsere Pflicht; dafür aber bestraft Ihr uns mit dem Untergange. Was würdet Ihr sagen, wenn wir zu Euch kämen, um Euch unsere Art und Weise aufzuzwingen? Wollten wir es erzwingen, so wie Ihr es bei uns erzwungen habt, so würdet Ihr uns bis auf den letzten Mann tödten oder uns gar in Eure Irrenhäuser stecken. Warum aber sollen wir nicht ebenso handeln dürfen? Aber dann heißt es in aller Welt, der rothe Mann sei ein Wilder, mit dem man weder Gnade noch Barmherzigkeit haben dürfe; er werde nie Bildung annehmen und müsse deßhalb verschwinden. Habt Ihr durch Euer Verhalten bewiesen, daß Ihr Bildung besitzet? Ihr zwingt uns, Eure Religion anzunehmen. Zeigt sie uns doch! Die rothen Männer verehren den großen Geist in einer und derselben Weise. Jeder von Euch aber will in anderer Weise selig werden. Ich kenne einen Glauben der Christen, welcher gut war. Diesen lehrten die frommen Patres, welche in unser Land kamen, ohne uns tödten und verdrängen zu wollen. Sie bauten Missionen bei uns und unterrichteten unsere Eltern und Kinder. Sie wandelten in Freundlichkeit umher und lehrten uns Alles, was gut und nützlich für uns war. Das ist nun viel anders geworden. Diese frommen Männer haben mit uns weichen müssen, und wir mußten sie sterben sehen, ohne Ersatz für sie zu erhalten. Dafür kommen jetzt Andersgläubige von hundert Sorten. Sie schmettern uns die Ohren voller Worte, die wir nicht verstehen. Sie nennen sich gegenseitig Lügner und behaupten doch, daß wir ohne sie nicht in die ewigen Jagdgründe gelangen können. Und wenn wir, von ihrem Gezänk ermüdet, uns von ihnen wenden, so schreien sie Ach und Wehe über uns und sagen, sie wollen den Staub von ihren Füßen schütteln und ihre Hände in Unschuld waschen. Dann währt es nicht lange, so rufen sie die Bleichgesichter herbei, welche sich bei uns eindrängten und unsern Pferden die Weide nahmen. Sagen wir dann, daß dies nicht geschehen dürfe, so kommt ein Befehl, daß wir abermals weiter zu ziehen hätten. Das ist meine Antwort, welche ich Dir zu geben habe. Sie wird Dir nicht gefallen; aber Du an meiner Stelle würdest noch ganz anders sprechen. Howgh!«
Mit diesem letzteren indianischen Bekräftigungsworte wendete er sich von uns ab und trat um einige Schritte zur Seite, wo er, in die Ferne blickend, stehen blieb. Er war innerlich erregt und wollte das überwinden.
Während er sprach, war sein Blick mehr auf mich als auf Old Death gerichtet gewesen. Es war ganz so, als ob er vorzugsweise zu mir reden wolle. Später erfuhr ich von ihm selbst, daß es seine Absicht gewesen sei, mich über das richtige Verhältniß zwischen Weißen und Rothen aufzuklären. Bald kehrte Winnetou zu uns zurück und sagte zu Old Death:
»Ich habe meinem Bruder eine lange Rede gehalten. Er wird mir Recht geben, denn er ist ein Mann, welcher gerecht und billig denkt. Dennoch will ich ihm gestehen, daß mein Herz nicht nach Blut trachtet. Meine Seele ist milder als meine Worte es waren. Ich glaubte, die Comanchen würden mir einen Unterhändler senden. Da sie es nicht thun, brauchte ich kein Erbarmen mit ihnen zu haben, aber dennoch will ich ihnen einen Mann senden, welcher mit ihnen reden soll.«
»Das freut mich ungemein,« rief Old Death. »Ich hätte diesen Ort in sehr trüber Stimmung verlassen, wenn alle diese Leute ohne einen Versuch, sie zu retten, getödtet worden wären. Ich trage ja auch einen Theil der Schuld, daß sie in Deine Hände gerathen sind.«
[666][679] »Von diesem Vorwurfe kann ich Dich befreien, denn ich hätte sie auch ohne Deine Beihilfe besiegt,« entgegnete Winnetou.
»Aber weißt Du auch, daß noch hunderte von ihnen nachkommen?«
»Winnetou weiß es. Er hat ja mit dem ›guten Manne‹ zwischen ihnen hindurchzuschleichen gehabt. Es sind nur hundert. Ich werde sie in eben demselben Thale einschließen und vernichten wie die andern, wenn sie sich nicht freiwillig ergeben.«
»So siehe zu, daß sie nicht zu zeitig kommen. Du mußt mit denen, welche sich hier befinden, fertig sein, ehe die Uebrigen hier eintreffen.«
»Winnetou fürchtet sich auf keinen Fall. Doch wird er sich beeilen.«
»Hast Du einen Mann, welcher die Verhandlung mit den Comanchen führen kann?«
»Ich habe ihrer viele; aber am liebsten, wäre es mir, wenn mein Bruder das thun wollte.«
»Das übernehme ich sehr gern. Ich gehe eine kurze Strecke vor und rufe ihren Häuptling zu mir. Welche Bedingungen stellst Du ihnen?«
»Sie sollen uns für jeden Getödteten fünf, für jeden Gemarterten aber zehn Pferde geben.«
»Das ist sehr billig, aber seit es keine großen Heerden wilder Pferde mehr gibt, ist ein Pferd nicht leicht zu erlangen.«
»Was sie uns sonst an Eigenthum geraubt, verlangen wir zurück. Ferner haben sie uns so viele junge Mädchen auszuliefern, wie sie uns Frauen und Töchter geraubt. Frauen der Comanchen mögen wir nicht. Dazu verlangen wir auch die Kinder zurück, welche sie fortgeführt. Hältst Du das für hart?«
»Nein.«
»Endlich verlangen wir, daß ein Ort bestimmt werde, an welchem die Häuptlinge der Apachen und Comanchen sich versammeln, um einen Frieden zu berathen, welcher wenigstens dreißig Sommer und Winter währen soll.«
»Wenn sie darauf eingehen, werde ich sie beglückwünschen.«
»Dieser Ort soll das Thal sein, in welchem sich jetzt ihre Krieger hier befinden. Hierher soll auch Alles gebracht werden, was sie uns auszuliefern haben. Bis Alles geschehen ist, was ich von ihnen fordere, bleiben die Comanchen, welche sich heute ergeben müssen, unsere Gefangenen. Zwei Monde gebe ich ihnen Zeit, uns die geforderte Lieferung zu machen. Haben sie dieselben bis dahin nicht geleistet, so sterben die Gefangenen.«
»Ich finde, daß Deine Forderung nicht zu hoch ist, und werde sie ihnen sofort übermitteln.«
Er warf sein Gewehr über und schnitt sich einen Zweig ab, welcher als Parlamentärzeichen dienen sollte. Dann verschwand er mit dem Häuptlinge in der Enge. Es war für ihn keineswegs ohne Gefahr, sich den Comanchen zu nähern; aber der Alte kannte eben keine Angst. Ich hätte mich ihm sehr gern angeschlossen, um zu hören, was die Comanchen sagen würden, er war aber zu eilig gewesen. Als ich auch zum Ausgange des Thales ging, sah ich nur noch Winnetou. Old Death war bereits hinter der Barrikade verschwunden. Der Häuptling gab mit dem Arme einen etwas complizirten Wink hinauf zu dem Pfade, auf welchem die Apachen verborgen lagen, und dann sah ich einen Arm um den andern sich in gleicher Weise da oben bewegen, um den Wink weiter zu geben.
Die Indianer besitzen eine sehr deutliche Zeichensprache, vermittelst der sie sich sehr oft ohne alle Worte lebhaft unterhalten. Sogar aus der Ferne sprachen sie mit einander, am Tag durch Rauch und des Nachts durch Feuerpfeile. Die Rauchsprache besteht darin, daß auf einem erhöhten Punkte ein Feuer angebrannt [679] wird, welches man durch feuchtes Holz, welches viel Rauch gibt, nährt. Durch über dasselbe gehaltene Felle wird der Rauch zurückgehalten. Entfernt man sie nun plötzlich, so steigt er schnell empor. Rasch werden die Felle wieder über das Feuer gebreitet, um nach wenigen Augenblicken abermals fortgezogen zu werden. In dieser Weise wird erreicht, daß einzelne, abgesonderte Rauchwolken in die Höhe steigen, deren Zahl, Größe, Zwischenräume u.s.w. eine bestimmte Bedeutung haben. Des Nachts brennt man ebenso ein kleines Feuerchen an. Pfeile werden mit dürrem Gras umwickelt, angezündet und in die Höhe geschossen. Aus der Zahl derselben, der Richtung, welche sie nehmen und der Höhe, in welche sie steigen, ist ihre Bedeutung zu entnehmen. Später lernte ich diese Zeichen, welche bei den einzelnen Stämmen verschieden sind und deren Bedeutung aus leicht erklärlichen Gründen oft gewechselt wird, sehr genau kennen. Jetzt aber kannte ich sie noch nicht. Old Death sagte mir dann, das Zeichen mit dem Arme habe bedeutet, daß auf Jeden, der ihn bedrohe, sofort geschossen werden solle. Als Winnetou sich überzeugt hatte, daß der Scout sich mit dem Anführer der Comanchen in Unterredung befand, kehrte er zu uns zurück und führte uns zu den letzt angekommenen Pferden. Es waren auch ledige dabei gewesen, theils von einer bessern Sorte, welche man schonen und nur dann in Gebrauch nehmen wollte, wenn es darauf ankam, eine ungewöhnliche Leistung zu entwickeln, theils aber auch Thiere von gewöhnlicher Güte, welche als Reservepferde mitgeführt werden mußten.
»Ich habe meinen Brüdern versprochen, ihnen bessere Pferde zu geben,« sagte er. »Ich werde sie ihnen jetzt aussuchen. Mein junger, weißer Bruder, welcher mir das Leben schenkte, soll eines meiner eigenen Rosse erhalten. Die Leute, welche ihn begleiten, werden ihn unterrichten, wie ein indianisch geschultes Pferd zu reiten ist.«
Er suchte fünf Pferde aus. Ich war ganz entzückt über das prächtige Thier, welches er mir brachte. Er sprang aus freier Hand auf und ritt es mir vor, es nur durch Schenkeldruck und Pfiffe lenkend. Ich hatte so etwas noch nicht gesehen. Auch die beiden Lange's und Sam waren ganz entzückt. Der letztere zeigte alle Zähne und rief:
»Oh, oh, welch ein Pferd Sam bekommen! Sein schwarz wie Sam und sein auch prachtvoll ganz wie Sam. Passen sehr gut zusammen, Pferd und Sam. Oh, oh!«
Einige der wachthaltenden Apachen mußten unsere Sättel den geschenkten Pferden aufschnallen, und dann forderte mich Winnetou auf, das meinige zu besteigen. Kaum hatte ich es gethan, so schlug es hinten empor, dann vorn – einen Bockssprung zur Seite, und ich lag unten – eine wahre Affenschande! Aber der Häuptling lächelte mild und meinte:
»Kein Weißer, selbst wenn er der beste Reiter wäre, könnte sich auf diesem Pferde halten, wenn er nicht die Schulung desselben versteht. Ich werde meinem lieben Bruder jetzt die nöthigsten Rathschläge geben.«
Also er hatte gewußt, daß ich abgeworfen werden würde, und mich doch in den Sattel genöthigt! Ich hätte den Hals brechen können! Ein ächter Indianerstreich. Freilich jagen bei den Rothen die zweijährigen Buben und Mädchen bereits wie die Teufel durch die Prärie, und zwar auf halbwilden Pferden. Da anzunehmen war, daß die Verhandlung zwischen Old Death und dem Anführer der Comanchen nicht bloß fünf Minuten dauern werde, so hatte Winnetou genug Zeit, uns eine Reitstunde zu geben, durch welche wir wenigstens so viel profitirten, daß wir uns in den Bügeln halten und die Pferde nothdürftig lenken lernten.
Wohl dreiviertel Stunden waren vergangen, als der Alte zurückkehrte. Sein Angesicht war sehr ernst. Ich hatte die feste Ueberzeugung gehabt, daß die Comanchen auf die Forderungen Winnetou's eingehen würden, doch ließ das Gesicht des Scout das Gegentheil erwarten.
[680] »Mein Bruder hat mir das zu sagen, was ich vermuthete,« sagte Winnetou. »Die Comanchen wollen nicht, was ich will.«
»So ist es leider.«
»Der große Geist hat sie mit Taubheit geschlagen, um sie für das zu strafen, was sie thaten; er will nicht, daß sie Gnade finden sollen. Aber welche Gründe geben sie an?«
»Sie glauben, noch siegen zu können.«
»Hast Du ihnen gesagt, daß noch über fünfhundert Apachen gekommen sind? Und wo diese sich jetzt befinden?«
»Auch das. Sie glaubten es nicht. Sie lachten mich vielmehr aus.«
»So sind sie dem Tode geweiht, denn ihre andern Krieger werden zu spät kommen.«
»Es treibt mir die Haare zu Berge, wenn ich denke, daß so viele Menschen in zwei oder drei Sekunden vom Erdboden vertilgt werden sollen!«
»Mein Bruder hat Recht. Winnetou kennt weder Furcht noch Angst, aber der Rücken wird ihm kalt, wenn er daran denkt, daß er das Zeichen der Vernichtung geben soll. Ich brauche nur die flache Hand zu erheben, so krachen alle Schüsse. Ich werde noch ein Letztes versuchen. Vielleicht gibt der große Geist ihnen einen hellen Augenblick. Ich werde mich ihnen selbst zeigen und mit ihnen reden. Meine Brüder mögen mich bis an die Barrière begleiten. Wenn auch meine Worte nicht gehört werden, so darf mir der große, gute Geist nicht zürnen, daß ich seinen Befehl ausrichte.«
Wir gingen mit ihm bis zu der angegebenen Stelle. Dort schwang er sich an dem Lasso empor und ging in aufrechter Haltung oben auf dem Pfade hin, so daß die Comanchen ihn sehen konnten. Er war noch nicht weit gekommen, so sahen wir Pfeile schwirren, die ihn aber nicht trafen, da sie zu kurz flogen. Ein Schuß krachte, aus der Büchse des »weißen Bibers«, mit welcher der Häuptling der Comanchen auf Winnetou gezielt hatte. Dieser schritt so ruhig weiter, als ob er die Kugel, welche neben ihm an den Felsen geprallt war, gar nicht fürchte oder den Schuß überhaupt nicht gehört habe. Dann blieb er stehen und erhob seine Stimme. Was er sprach, verstand ich nicht, denn er bediente sich der Indianersprache. Er redete wohl fünf Minuten lang und zwar in lautem, eindringlichen Tone. Mitten in der Rede erhob er die Hand, und sofort sahen wir, daß alle Apachen, soweit unsere Augen reichten und also wohl weiter hin um das ganze Thal, vom Boden aufstanden, um sich den Comanchen zu zeigen. So mußten die letzteren sehen, daß sie rundum von einer überlegenen Menge von Feinden eingeschlossen seien. Das war aufrichtig von Winnetou gehandelt, der letzte Versuch von ihm, sie zur Ergebung zu bewegen. Dann sprach er weiter. Als er schwieg, erklärte mir Old Death:
»Er hat jetzt gesagt, daß er ihre Antwort hören wolle – – ah, Teufel!«
Grad als der Alte dieses Wort ausrief, fuhr Winnetou zu Boden nieder, so daß seine Gestalt verschwand, und zugleich krachte ein zweiter Schuß.
»Der Anführer der Comanchen hat abermals auf ihn geschossen. Das ist seine Antwort,« sagte Old Death. »Winnetou hat gesehen, daß er das Gewehr wieder lud, und sich in dem Augenblicke, als es auf ihn gerichtet wurde, niedergeworfen. Nun wird – – seht, seht!«
So schnell, wie Winnetou sich niedergeworfen hatte, so schnell fuhr er jetzt wieder empor. Er legte seine Silberbüchse an und drückte ab. Ein lautes Geheul der Comanchen beantwortete seinen Schuß.
»Er hat ihren Anführer niedergeschossen,« erklärte Old Death.
Jetzt erhob Winnetou abermals die Hand, indem er den Handteller flach, horizontal ausstreckte. Wir sahen alle Apachen, welche wir mit dem Blicke erreichen konnten, ihre Gewehre anlegen. Weit über vierhundert Schüsse krachten – – –
[681] »Kommt, Mesch' schurs!« meinte der Alte. »Das wollen wir nicht mit ansehen. Das ist zu indianisch für meine alten Augen, obgleich ich sagen muß, daß die Comanchen es verdient haben. Winnetou hat alles Mögliche gethan, es zu verhüten.«
Wir kehrten zu den Pferden zurück, wo der Alte das für ihn bestimmte besichtigte. Noch eine Salve hörten wir; dann ertönte das Siegesgeschrei der Apachen. Nach wenigen Minuten kehrte Winnetou zu uns zurück. Sein Angesicht war außerordentlich ernst, als er sagte:
»Es wird sich ein großes Klagen erheben in den Zelten der Comanchen, denn keiner ihrer Krieger kehrt zurück. Der große Geist hat es gewollt, daß unsere Todten gerächt werden sollen.«
Er setzte sich da nieder, wo während der Nacht das Feuer gebrannt hatte, und blickte eine lange Zeit stumm vor sich nieder. Uns lag sehr viel daran, baldigst aufzubrechen, aber wir durften keine Ungeduld zeigen, denn wir wußten, daß er bestens für uns sorgen werde. So verging eine Viertelstunde, eine halbe und sogar eine ganze Stunde. Nach dieser Zeit wurden die Pferde der Comanchen gebracht, und Winnetou erhob sich, um uns in das Thal zu führen. Dort war keine Spur mehr von den beiden Barrikaden vorhanden, auch keine Leiche sahen wir liegen. Sie waren mit Hilfe der Lasso's zum Pfade hinaufgezogen worden.
Endlich wurde für unsern Aufbruch gesorgt. Man gab uns Fleisch mit; man füllte unsere Schläuche mit frischem Wasser. Dann wurden zehn Männer bestimmt, welche uns begleiten sollten.
»Zehn?« fragte Old Death. »Einer genügt, um uns den Weg zu zeigen.«
»Nicht als Wegweiser gebe ich sie Euch mit, sondern zu Eurem Schutze,« erklärte Winnetou.
»Schutz? Den brauchen wir nicht. Wir sind Manns genug, uns selbst zu schützen.«
»Mein Bruder irrt. Ich weiß, daß er ein muthiger und tapferer Mann ist, aber es schwärmen jetzt die Zakateko's, Tschimarra und Concho's über die Mapimi. Diese sind Niemandes Freund und Jedermanns Feind.«
»Lumpen sind sie, die ich nicht zu fürchten habe! Die Apachen und Comanchen sind tapfer. Diese halbcivilisirten Schufte aber sitzen mit der Feigheit im Sattel.«
»Mein Bruder muß bedenken, daß der feigste Mann den Tapfersten aus dem Hinterhalte zu tödten vermag. Das junge Bleichgesicht, dem ich mein Leben zu verdanken habe, soll nicht von der Hand eines solchen Menschen sterben.«
»Nun, wenn das ist, so bin ich einverstanden. Also gib uns meinetwegen zehn Krieger mit.«
»Du wirst mit ihnen zufrieden sein. Sie gehören zu den besten, welche ich besitze und ihr Anführer ist mir sogar lieb und werth. Ich habe ihm gesagt, daß er nicht lebend vor mich treten möge, wenn Euch ein Leid geschehe, und Ihr könnt Euch ihm ruhig anvertrauen.«
»Nun, hoffentlich können wir ihn ebenso gut in unsern Schutz nehmen, wie er uns in den seinigen.«
Old Death war eben nicht der Mann, der sich gern sagen ließ, daß man ihn unter den Schutz eines Andern stelle. Mir aber war es sehr lieb, daß uns solch ein tüchtiger junger Krieger begleitete. Ich hoffte, von ihm zu profitiren, wenn auch nur in Beziehung auf das Reiten. Nun kam es zum Abschiede. Der Indianer liebt es keineswegs, seine Gefühle in der Weise zu äußern wie ein Weißer. Winnetou aber machte heute eine Ausnahme. Er umarmte mich, küßte mich auf die Wange, hing mir sein Calummet um den Hals und sagte:
»Mein Herz gehört Dir und also auch mein Arm. Du hast bereits das Totem des ›guten Mannes‹, aber die Friedenspfeife Winnetou's wird Dich noch besser schützen. Der Apache, dem Du sie zeigst, wird bereit sein, Dir sein Leben zu schenken. Reite hin, und der große Geist beschütze Dich! Ich werde täglich zu ihm sagen, daß ich Dich wiederzusehen wünsche. Führt er mich dann einmal mit Dir zusammen, so wollen wir Brüder sein, einer gleich dem andern.«
Er sah noch einmal nach dem Verbande, welchen er mir während der Nacht angelegt hatte, drückte mir die Hand, drehte sich um und schritt, ohne sich nochmals umzusehen, von dannen, in das Thal hinein. Wir stiegen auf und ritten fort, voran die zehn Apachen.
Ich war von diesem Abschiede tief ergriffen. Winnetou hatte einen ganz unbeschreiblichen Eindruck auf mich gemacht, einen Eindruck, welcher selbst dann für das ganze Leben vorgehalten hätte, wenn ich diesem Manne nie wieder begegnet wäre. So ritt ich, in tiefes Sinnen versunken, weiter auf nichts und Niemand achtend als nur allein auf das Bild, welches Winnetou in mir zurücklassen hatte. Endlich mußte ich aber doch mehr als bisher auf mein Pferd Acht geben, welches begann, mir zu schaffen zu machen. Der »alte Jüngling«, so hieß der Anführer von Winnetou's Leuten, bemerkte das und gesellte sich zu mir, um sich meiner freundlich anzunehmen.
Er stand ungefähr in meinem Alter und sah nicht sehr verwegen aus. Jedenfalls war ich ihm von Winnetou ganz besonders anempfohlen worden, denn er strömte geradezu über in Freundlichkeiten und Aufmerksamkeiten für mich. Er hatte die Mapimi nach allen Richtungen durchkreuzt, behauptete, sie ganz genau zu kennen und schilderte mir das Leben in derselben. Nun erfuhr ich von dieser Wüste weit mehr, als ich vorher von ihr gehört hatte.
Sie liegt im Gebiete der beiden mexikanischen Provinzen Chihuahua und Cohahuila, und ist eine sehr ausgedehnte Niederung des dortigen Plateaus, welches weit über elfhundert Meter über dem Meere liegt. Sie wird, außer im Norden, von allen Seiten von steilen Kalkfelsenzügen eingefaßt, welche durch zahlreiche Cannons von der eigentlichen Mapimi getrennt sind. Letztere besteht aus welligen, waldlosen Flächen, welche mit einem spärlichen, kurzen Graswuchse bedeckt sind, weite Sandunterbrechungen zeigen und nur selten ein Strauchwerk sehen lassen. Zuweilen steigt aus dieser wüsten Ebene ein einzelner Berg empor. Oefters ist der Boden durch tiefe, senkrecht abfallende Risse zerklüftet, was zu bedeutenden Umwegen nöthigt. Aber wasserlos ist die Mapimi doch nicht so sehr, wie ich es mir gedacht hatte. Es gibt da See'n, welche in der heißen Jahreszeit zwar den größten Theil ihres Wassers einbüßen, aber doch so viel Luftfeuchtigkeit verbreiten, daß sich ein genügendes Pflanzenleben um ihre Ufer sammelt.
Nach einem dieser See'n, der Laguna de Santa Maria, war unser Ritt gerichtet. So viel ich aus den Reden des »alten Jünglings« schließen konnte, war dieser See ungefähr zehn deutsche Meilen von dem Thale entfernt, an welchem unser Ritt begonnen hatte, ein ganz tüchtiger Tagesmarsch nach einer schlaflos verbrachten Nacht. Wir ritten fast nur durch Schluchten, aus einer in die andere, in denen es keine Aussicht gab.
Wir sahen die Sonne den ganzen Tag fast nicht, und wenn es geschah, doch nur für einige kurze Augenblicke. Dabei ging es bald rechts, bald links, zuweilen sogar scheinbar rückwärts, daß ich ohne den Compaß ganz irre in der Hauptrichtung geworden wäre, welcher wir eigentlich folgten.
Es war gegen Abend, als wir an der Lagune anlangten. Der Boden war sandig. Bäume gab es an der Stelle, an welcher wir uns lagerten, auch nicht, nur Sträucher, deren Namen ich nicht kannte. Eine trübe Wasserfläche mit sehr spärlichem Buschwerk umgeben; dann eine Ebene, über welcher im Westen sich einige niedrige Kuppeln erhoben, hinter denen die Sonne bereits niedergegangen war. Hier oben aber hatten die Strahlen der letzteren mit aller Macht auftreffen können.
[682][696] In den tiefen, engen, düsteren Cannons war es mir fast zu kühl geworden. Da oben aber strahlte der Boden nun eine Wärme aus, bei welcher man hätte Kuchen backen können. Dafür war die Nacht, als der Boden seine Wärme an die Luft abgegeben hatte, um so kälter, und gegen Morgen strich ein Wind über uns hin, welcher uns dichter in unsere wollenen Decken trieb.
Frühzeitig ging es weiter, zuerst grade nach Westen. Bald aber nöthigten uns die zahlreichen Cannons zu öfteren Umwegen. Zu so einem senkrechten Felsenriß hinab zu gelangen, wäre unmöglich, wenn nicht die Natur selbst ein Einsehen gehabt und einen halsbrecherischen, treppenartigen Abstieg gebildet hätte. Und ist man unten, so kann man nicht wieder heraus. Man muß durch zehn und weit mehr Haupt-und Seitenschluchten reiten, bevor man eine Stelle findet, an welcher man endlich zur Erdoberfläche gelangen kann, aber auch wieder nur mit Gefahr. Der Reiter hängt auf seinem Pferde an dem Felsen, über sich einen schmalen Strich des glühenden Himmels und unter sich die grausige Tiefe. Und in dieser Tiefe gibt es keinen Tropfen Wasser, nur Steingeröll und nichts als nacktes, trockenes, scharfes Steingeröll. Droben schweben die Geier, welche den Reisenden von früh bis zum Abende begleiten und sich, wenn er sich zur Ruhe legt, in geringer Entfernung von ihm niederlassen, um ihn vom Morgen an wieder zu begleiten und ihm mit ihren schrillen, heiseren Schreien zu sagen, daß sie nur darauf warten, bis er vor Ermattung zusammenbreche oder in Folge eines Fehltrittes seines Pferdes in die Tiefe des Cannons stürze. Höchstens sieht man einmal um irgend eine Felsenecke einen skelettmagern Schakal wie einen Schatten verschwinden, welcher dann hinter dem Reiter wieder auftaucht, um ihm heißhungrig nachzutrotteln, auf dieselbe Mahlzeit wartend wie die Geier.
Ich erfuhr von dem »alten Jünglinge«, daß wir vier volle Tage zu reiten haben würden, um nach Chihuahua zu kommen. Doch hoffte er, noch im Laufe des heutigen Tages Gibson und dessen Begleiter zu erreichen. Das war es, was mich mit guter Laune den bösen Ritt ertragen ließ.
Am Mittage hatten wir wiederum ein schlimmes Gewirr von Cannons hinter uns und ritten im Galoppe über eine grasige Ebene. Auf derselben stießen wir auf eine Spur von über zehn Reitern, welche in spitzem Winkel mit der unserigen von rechts her kam. Der »alte Jüngling« behauptete, daß es die gesuchte sei. Er zeigte uns sogar die Spuren der beschlagenen Pferde der Weißen und diejenigen der barfüßigen der beiden Apachen, welche den ersteren von Winnetou als Führer mitgegeben worden waren. Auch Old Death war der Ansicht, es sei gar nicht zu bezweifeln, daß wir uns auf der richtigen Fährte befänden. Leider stellte sich heraus, daß Gibson einen Vorsprung von wenigstens sechs Stunden vor uns habe. Seine Truppe mußte die ganze Nacht hindurch geritten sein, jedenfalls in der Voraussetzung, daß wir sie verfolgen würden.
Gegen Abend blieb Old Death, welcher mit dem klugen Sam voranritt, halten und ließ uns, die wir etwas zurückgeblieben waren, herankommen. Da, wo er hielt, stieß von Süden her eine neue Fährte zu der bisherigen, ebenfalls von Reitern, und zwar zwischen dreißig und vierzig. Sie waren einzeln hinter einander geritten, was die Bestimmung ihrer Anzahl sehr erschwerte. Dieses im Gänsemarsche reiten, und der Umstand, daß ihre Pferde nicht beschlagen waren, ließen vermuthen, daß sie Indianer seien. Sie waren nach links in unsere Richtung eingebogen, und aus dem fast ganz gleichen Alter der beiden Fährten war zu vermuthen, daß sie später mit den Weißen zusammengetroffen seien. Old Death brummte mißmuthig etwas vor sich hin. Er meinte:
»Was für Rothe mögen es gewesen sein? Apachen sicherlich nicht. Wir haben keineswegs Freundliches von ihnen zu erwarten.«
»Mein weißer Bruder hat Recht,« stimmte der »alte Jüngling« bei. »Apachen sind jetzt nicht hier und außer ihnen gibt es in diesem Theile der Mapimi nur noch die drei feindlichen Horden, von denen Winnetou sprach. Wir haben uns also in Acht zu nehmen.«
Wir ritten weiter und erreichten bald die Stelle, an welcher die Rothen mit den Weißen zusammengetroffen waren. Beide Trupps hatten hier gehalten und mit einander verhandelt. Jedenfalls war das Ergebniß für die Weißen ein günstiges gewesen, denn sie hatten sich in den Schutz der Rothen begeben. Ihre bisherigen Führer, die beiden Apachen, welche wir erst als Topia's kennen gelernt hatten, waren von ihnen verabschiedet worden. Die Spuren dieser beiden Reiter trennten sich hier von den übrigen.
Nach einer Weile erreichten wir einen Höhenzug, welcher mit Gras und Gestrüpp bewachsen war. Von demselben kam, hier eine Seltenheit, ein dünnes Bächlein herabgeflossen. Da hatten die von uns Verfolgten gehalten, um ihre Pferde zu tränken. Die Ufer des Baches waren vollständig strauchlos, so daß man den Lauf desselben sehr weit verfolgen konnte. Er floß nach Nordwest. Old Death stand da, beschattete mit der Hand seine Augen und blickte in der soeben angegebenen Richtung. Nach dem Grunde befragt, antwortete er:
»Ich sehe weit vor uns zwei Punkte. Ich calculire, daß es Wölfe sind. Aber was haben die Bestien dort zu sitzen? Ich calculire, wenn es wirklich welche wären, so würden sie vor uns davon gelaufen sein, denn kein Thier ist so feig wie diese Prairiewölfe.«
»Meine Brüder mögen schweigen. Ich hörte etwas,« sagte der »alte Jüngling«.
Wir vermieden alles Geräusch, und wirklich, da klang von dort her, wo sich die beiden Punkte befanden, ein schwacher Ruf zu uns herüber.
»Das ist ein Mensch,« rief Old Death. »Wir wollen hin.«
Er stieg auf und wir mit ihm. Als wir uns der Stelle näherten, erhoben sich die beiden Thiere und trollten davon. Sie hatten am Ufer des Baches gesessen, und mitten im Bache erblickten wir einen unbedeckten menschlichen Kopf, welcher aus dem Wasser sah. Das Gesicht wimmelte von Mücken, welche in den Augen, den Ohren, in der Nase und zwischen den Lippen saßen.
»Um Gotteswillen, rettet mich, Sennores!« stöhnte es aus dem Munde. »Ich kann es nicht länger aushalten.«
[696] [698]Wir warfen uns natürlich sofort von den Pferden.
»Was ist's mit Euch?« fragte Old Death in spanischer Sprache, da der Mann sich derselben bedient hatte. »Wie seid Ihr denn in das Wasser gerathen? Warum kommt Ihr nicht heraus? Es ist ja kaum zwei Fuß tief!«
»Man hat mich hier eingegraben.«
»Warum? Alle Teufel! Einen Menschen eingraben! Wer hat es gethan?«
»Indianer und Weiße.«
Wir hatten gar nicht darauf geachtet, daß von dem Tränkplatze mehrere Fußspuren bis hierher führten.
»Dieser Mann muß schleunigst heraus. Kommt, Mesch' schurs! Wir graben ihn aus, und da wir keine Werkzeuge haben, so nehmen wir unsere Hände.«
»Der Spaten liegt hinter mir im Wasser. Sie haben ihn mit Sand zugedeckt,« sagte der Mann.
»Ein Spaten? Wie kommt denn Ihr zu so einem Werkzeuge?«
»Ich bin Gambusino. 9 Wir haben stets Hacke und Spaten bei uns.«
Der Spaten wurde gefunden, und nun traten wir in das Wasser und gingen an die Arbeit. Das Bett des Baches bestand aus leichtem, tiefem Sande, welcher sich unschwer ausgraben ließ. Wir sahen jetzt erst, daß hinter dem Manne eine Lanze eingestoßen worden war, an welche man ihm den Hals in der Weise festgebunden hatte, daß er den Kopf nicht nach vorn beugen konnte. So befand sich sein Mund nur drei Zoll über dem Wasser, ohne daß es ihm möglich gewesen wäre, einen einzigen Schluck zu trinken. Außerdem hatte man ihm das Gesicht mit frischem, blutigen Fleische eingerieben, um Insekten anzulocken, die ihn peinigen sollten. Er hatte sich nicht aus seiner Situation befreien können, weil ihm die Hände auf den Rücken und die Füße zusammengebunden worden waren. Das Loch, welches man für ihn gegraben hatte, war über zwei Ellen tief. Als wir ihn endlich aus demselben hoben und von den Fesseln befreiten, sank er in Ohnmacht. Kein Wunder, denn man hatte ihn von allen Kleidungsstücken entblößt und seinen Rücken blutrünstig geschlagen.