Vor Toulon
Es war am Maternustage des Jahres 1793. Wochenlang hatte man auf die gesegneten Fluren der Provence das Bibelwort anwenden können: »Der Himmel über dir soll sein wie brennendes Erz und die Erde unter dir wie glühendes Eisen.« Heute früh aber hatte sich der Horizont mit dichten, cumulirenden Wolken umlagert, deren Säume sekundenlang von zuckenden Blitzen illuminirt wurden, während die krachenden Schläge des Donners die Felsen der Küste erschütterten und an den gischtumspritzten Wogenkämmen ihre Echo's zu vertausendfachen schienen.
Der prasselnde Regen goß in solcher Dichtigkeit herab, daß ihm keine Kleidung länger als eine Minute zu widerstehen vermochte und wohl jedes lebende Wesen sich schon längst unter ein schützendes Obdach zurückgezogen hatte. Ein Einziger nur befand sich im freien Felde. Er schritt die Straße dahin, welche durch Wein- und Olivenpflanzungen nach dem Städtchen Beausset führt. Sein Gewand war leicht und sommerlich gearbeitet; vom Regen vollständig durchdrungen, legte es sich eng wie eine Haut an seine schlanke, kräftige Gestalt; aber das schien ihn nicht im Mindesten zu geniren. Sein jugendliches Gesicht lächelte vergnügt in den Gewitterguß hinein, und seine elastischen Schritte waren ganz diejenigen eines Spaziergängers, welcher nicht die geringste Veranlassung, sich zu beeilen, hat.
Da tauchte vor ihm, an der Seite der Straße, ein kleines Häuschen auf. Zu beiden Seiten der Thüre desselben waren je zwei in einander gesteckte Dreiecke angebracht, und darüber stand in halb verwaschenen Lettern zu lesen »Cabaret du roussillon.«
Er blieb trotz des strömenden Regens ganz gemüthlich vor dem Häuschen stehen, schob die Mütze in das Genick, stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete die Inschrift genau.
»Cabaret du roussillon! Ob dieser Roussillon wohl ächt sein wird? Das Haus sieht nicht darnach aus! Nasser werde ich nicht, wenn ich weiter gehe, und ich weiß dann ganz genau, daß ich es mit reinem Gotteswasser zu thun habe. Wasser ist die herrlichste Gabe des Himmels, aber im Weine soll man es nicht finden. Ich werde also weiter segeln und erst in Beausset vor Anker gehen.«
Schon wandte er sich, um seinen Weg fortzusetzen, als die Thür sich öffnete und eine Person erschien, in welcher man sofort den Wirth erkennen mußte.
»Eh, mon cher, wohin wollen Sie?« erklang eine schrille, fette Weinstimme unter der blauen Nase hervor. »Ist es vielleicht geradezu Ihre Absicht, in diesem Wolkenbruche ertrinken zu wollen?«
»Das weniger,« antwortete der Wandersmann. »Vor diesem Wetter fürchte ich mich nicht, wohl aber vor einem Wolkenbruche aus Ihren Fässern.«
»Dann kommen Sie getrost herein, denn wir haben ganz denselben Geschmack, und ich bin nicht der Mann, welcher einen guten Bürger mit einem schlechten Wein vergiftet.«
»So will ich Eurem Worte glauben und auf fünf Minuten beidrehen. Hollah, ein neuer Mann an Bord!«
Diese letzten Worte sprach er, bereits in die Stube tretend, wo er sich das Wasser möglichst aus den Kleidern schüttelte, ungefähr wie es ein nasser Pudel macht, und dann auf dem Stuhle Platz nahm, den ihm der Wirth herbeigezogen hatte.
[795] In dem kleinen Raume sah es außerordentlich kriegerisch aus. Er war ganz von Soldaten des Convents erfüllt, und außer dem zuletzt Eingetretenen und dem Wirthe gehörte nur ein einziger Gast dem Civile an; dies war ein Missionspriester vom Orden des heiligen Geistes, welcher im Jahre 1703 von Abbé Desplaces, Vincent le Barbier und J.H. Garnier in Paris gestiftet wurde. Dieser Priester saß still in seiner Ecke und schien sich mehr mit seinen Gedanken als mit seiner Umgebung zu beschäftigen. Er mußte ein ungewöhnlicher und mit einem ganz besonderen Muthe begabter Mann sein, sonst hätte er sich nicht unter diese wilde Soldateska gewagt. Es waren damals in Frankreich bereits alle geistlichen Orden aufgehoben, und man hatte von sämmtlichen Geistlichen die Ablegung des Bürgereides verlangt. Wer diesen Eid verweigerte, wurde als Rebell behandelt. Es war eine Zeit der wildesten Anarchie. Wenige Tage nach dem Beginne unserer Erzählung, nämlich am 6. Oktober 1793, schaffte man die bisherige Zeitrechnung ab; am 10. November führte die Pariser Commune den Dienst der Vernunft ein; am 7. Mai 1794 verfügte der Nationalconvent, daß es keinen Gott mehr gebe, und am 24. desselben Monats befahl dieser Convent, daß kein Bürger mehr an die Unsterblichkeit der Seele glauben dürfe. Unter diesen Umständen war es gewiß ein Beweis außerordentlichen Muthes, sich im Ordenskleide unter die halb betrunkenen Krieger der Revolution zu wagen, eine Kühnheit, welche sehr leicht verhängnißvoll werden konnte.
Ein bärtiger Sergent-major war der Erste, welcher den eingetretenen Fremden anredete:
»Holla, Bürger, woher des Weges?«
»Ein wenig von der Turance herunter.«
»Und wohin, he?«
»Nach Beausset hinein.«
»Was willst Du dort?«
»Einen Freund besuchen. Hast Du vielleicht etwas dagegen?«
»Hm! Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
»Aaah!«
Er stieß diesen Laut nur leise und langsam aus, aber es wäre wohl nicht möglich gewesen, einer ironischen Stimmung sprechender Luft zu machen. Er legte die Beine über einander, schlug die Arme über die Brust zusammen und blickte den Sergent-major mit ein paar Augen an, in denen Alles, nur keine Bewunderung zu lesen war. Dieser junge Mann konnte höchstens zwei- oder dreiundzwanzig Jahre zählen, aber diese hohe Stirn, diese breiten Schläfen, die dichten Brauen, der mächtige Blick, die scharfe Adlernase, der energisch gezeichnete Mund, der sehnige, von der Sonne gebräunte und vom Hemdkragen bloß gelassene Hals, die breiten Schultern, der geschmeidige Gliederbau, das Alles machte den Eindruck des Gereiften, des Achtunggebietenden, des Ungewöhnlichen.
»Was wunderst Du Dich da, Bürger?« frug der Unteroffizier. »Glaubst Du, daß zum Hauptquartiere in Beausset ein Jeder Zutritt habe, dem es beliebt?«
»Das glaube ich nun freilich nicht; aber glaubst Du vielleicht, Bürger Sergent-major, daß Du es bist, den man um die Erlaubniß zu fragen hat?«
»Schweig! Ein jeder Soldat hat die Pflicht, die Sicherheit des Heeres zu bewachen! Wie ist Dein Name, Bürger?«
»Surcouf,« antwortete der Gefragte mit einem etwas malitiösen Zug um seine Mundwinkel.
»Der Vorname?«
»Robert, Robert Surcouf.«
»Was bist Du?«
»Seemann.«
»Ah, drum tappst Du in aller Seelenruhe wie eine Ente da draußen im Wasser herum! Wer ist der Freund, den Du besuchen willst?«
»Der Bürger Grenadier Andoche Junot.«
»Andoche Junot, 1 der Advocat gewesen ist?«
»Ja, derselbe.«
»Das ist ein guter Kamerad. Woher kennst Du ihn?«
»Wir sahen uns zu Bussy le Grand, wo er geboren wurde.«
»Das stimmt! Du bist legitimirt, Bürger Surcouf. Junot steht bei meiner Compagnie; ich werde Dich zu ihm bringen. Vorher aber magst Du mit uns trinken.«
»Was habt Ihr für Sorten?«
»Nur eine: Roussillon; aber er ist stark und lieblich zugleich. Probire ihn!«
Der Wirth brachte ein großes Humpenglas des berühmten Getränkes, und alle Hände streckten sich aus, es auf Rechnung des Fremden anzutrinken. Dieser ließ sich dies lachend gefallen; er gab zu, daß man das Glas immer von Neuem füllen ließ und wieder austrank, und als der Wirth wegen der Bezahlung ein bedenkliches Gesicht zu machen begann, zog er eine Handvoll Assignaten aus der ledernen Brieftasche und warf davon mehr als nöthig auf den Tisch. Bei diesem Anblick erhob sich großer Jubel; der Wirth mußte von Neuem füllen, und nun wurde auch der geistliche Herr bedacht, dem man bisher noch keinen Schluck gegönnt hatte. Der Sergent-major trat zu ihm, hielt ihm den Humpen entgegen und forderte ihn auf:
»Steh auf, Bürger Confrère, nimm das Glas und trinke auf das Wohl des Convents, der den Papst zum Lande hinausgeworfen hat!«
Der Priester erhob sich wirklich und ergriff das Glas; aber anstatt den geforderten Toast zu bringen, sprach er mit sanfter, jedoch fester Stimme:
»Gott hat uns diese Gabe nicht zur Lästerung gegeben. Im Weine ist Wahrheit, und ich will nicht eine Lüge sagen. Ich trinke auf das Wohl des heiligen Vaters in Rom, den die Heerschaaren des Himmels beschützen werden!«
Er wollte das Glas zum Munde führen, aber ein Faustschlag des Sergent-major schmetterte es ihm aus der Hand, so daß es am Boden in Stücke zerschellte.
»Was fällt Dir ein, Bürger Confrère!« rief der Unteroffizier. »Weißt Du nicht, daß in unserm schönen Frankreich der alte saint-père abgesetzt worden ist? Wie lange wird es dauern, so wirft man auch Euch selbst hinaus mit Allem, was Ihr uns weis gemacht habt! Ich befehle Dir, Deinen Toast zu widerrufen!«
Da drängte sich ein Anderer, ein Tambour-major, hinzu:
»Halte-là, Alter! Warum zerschlägst Du ihm das Glas? Bürger Wirth, gib ein neues, volles her! Dieser da gehört ganz sicherlich zu denen, welche sich weigern, den Bürgereid zu leisten. Wir werden ihn auf die Probe stellen, und wehe ihm, wenn er sie nicht besteht!«
Der Wirth brachte das Verlangte; der Tambour-major drückte dem Priester das gefüllte Glas in die Hand und befahl ihm:
»Jetzt trinke mir zu, Bürger, und rufe laut: ›Es lebe die Republik; nieder mit dem Papste!‹«
Der Bedrängte zeigte nicht die mindeste Angst. Sein Angesicht war bleich, aber seine Augen blitzten, als er, das Glas erhebend, rief:
»Es lebe der heilige Vater; nieder mit den Feinden Frankreich's und den seinen!«
Da erhob sich unter der rohen Horde ein wüstes Geschrei; zwanzig Hände streckten sich aus, den muthigen Bekenner seines Glaubens zu ergreifen, um ihn zu mißhandeln, aber man kam nicht dazu: der Fremde hatte sich herbeigedrängt. Niemand konnte sagen, wie es kam, aber er stand plötzlich vor dem Priester, den er mit seinem Leibe deckte, und rief mit lächelnder Miene:
»Bürger, wollt Ihr mir einen Gefallen thun?«
»Welchen?«
»Seid so gut und ringt erst mir das Wasser aus der Jacke, ehe Ihr Euch an diesem Gottesmann vergreift!«
Sie begriffen wirklich seine Absicht nicht sogleich; sie wurden irre an dem Lachen seines Auges und an der Freundlichkeit seines Tones; aber in diesem Auge und in diesem Tone lag Etwas, was sie stutzen machte.
»Deine Jacke?« frug der Sergent-major. »Was haben wir mit dieser zu thun? Gehe auf die Seite, Bürger Surcouf; wir wollen diesem Heuchler eine Litanei einpauken, die er nicht vergessen soll!«
»So erlaubt wenigstens, daß ich erst einen Schluck mit ihm trinke!«
Er nahm dem Priester das Glas aus der Hand und fragte ihn:
[796] »Wie ist Dein Name, frommer Vater?«
»Ich werde Bruder Martin genannt,« antwortete der Gefragte.
»Eh bien, Bruder Martin, so erlaube, daß ich mit Dir trinke auf Dein Wohl, auf das Wohl aller muthigen Männer, welche sich nicht fürchten, die Wahrheit zu bekennen, auf das Wohl meiner schönen Bretagne, wo ich geboren bin, auf das Wohl meines Vaterlandes, auf den Sieg unsers Glaubens und auf das Wohl aller ehrwürdigen Diener der heiligen Kirche, welche Gott der Herr beschützen möge!«
Er setzte das Glas an die Lippen und trank es bis zur Nagelprobe aus. Einige Sekunden lang herrschte tiefe Stille in der Stube, die Stille der Ueberraschung, dann aber brach der Sturm los. Alle Stimmen schrien, und alle Fäuste ballten sich; man drängte sich zornig heran, aber der lange Tambour-major breitete die Arme aus und hielt die Andern zurück.
»Halt, Bürger Kameraden!« rief er. »Der Soldat muß bei jedem Angriffe nach bestimmten Regeln verfahren. Dieser Mensch, der sich Bürger Surcouf nennen läßt, scheint mir kein Seemann, sondern ein verkappter Emissair des Papstes zu sein. Wir wollen ihn einmal auf die Bank legen und mit dem Stock befragen. Bürger Sergent-major, faß an!«
Die beiden starken Menschen streckten die Hände aus, um Surcouf zu erfassen, flogen aber – so schnell der Eine in diese und der Andere in jene Ecke, daß Niemand eigentlich begreifen konnte, wie es geschehen war. Ein Schrei der Wuth erscholl ringsum, und nun ließ sich Keiner mehr halten, sich auf die beiden Angegriffenen zu werfen. Da aber ertönte ein lautes Krachen; Surcouf hatte ein Bein vom Tische gebrochen und schlug damit einen so regelrechten Achter, daß sofort Zwei, am Kopfe scharf getroffen, zu Boden stürzten, die Anderen aber sich schleunigst zurückzogen.
»Glaubt Ihr nun, daß ich Seemann bin?« lachte er. »Ein Schiffer weiß so ein petit levier 2 schon zu gebrauchen! Ist das der Dank, daß Ihr meinen Wein getrunken habt, Ihr Memmen, die Ihr Euch an zwei Männer wagt, weil Ihr über Dreißig zählt? Kommt her und legt den Robert Surcouf auf die Bank, wenn Ihr könnt!«
»Drauf auf sie!« brüllte der Sergent-major.
Surcouf ließ das Tischbein wieder wirbeln; aber die Hinteren drängten die Vorderen, und es hätte gewiß ein Unglück gegeben, wenn nicht eben jetzt eine helle, scharfe, gebieterische Stimme von der Thüre her gerufen hätte:
»Cessez, à l'instant! Was geht hier vor?«
Draußen vor den Fenstern sah man einen kleinen Reitertrupp halten, und unter der Thür stand derjenige, welcher gesprochen hatte. Er war von kleiner, schmächtiger Gestalt; sein hageres, scharf geschnittenes Gesicht zeigte eine bronzene Färbung; die breite Stirn bedeckte ein Dressenhut, und die Gestalt war in einen weiten Regenrock gehüllt. Beim Anblick dieses Mannes zogen sich die Angreifer erschrocken zurück, indem sie mit der tiefsten Ehrerbietung salutirten. Er mochte vierundzwanzig Jahre zählen; sein bartloses Gesicht blieb vollständig regungslos, aber sein mächtiges Auge blitzte im Kreise umher und blieb dann auf demjenigen haften, welcher unter den Anwesenden die höchste Charge bekleidete:
»Bürger Tambour-major, berichte!«
Der Genannte, dem bereits der Angstschweiß auf die Stirne zu treten begann, erzählte in kurzer, soldatischer Weise:
»Hier ist ein Pfaffe, mon Colonel, und ein päpstlicher Emissair, welche uns beleidigten.«
»Und darauf antwortet Ihr mit Schlägen! Welcher ist der Emissair?«
»Der mit dem Tischbeine.«
»Woher weißt Du, daß er ein Emissair ist?«
»Ich vermuthe es.«
»Très bien, Bürger Tambour-major. Du bist fertig; nun mag auch Er sprechen!«
Surcouf trat einen Schritt vor und blickte dem Offizier furchtlos in die Augen.
»Mein Name ist Surcouf, Bürger Colonel; darf ich um den Deinigen bitten?«
»Ich heiße Bonaparte,« erklang es kalt und stolz.
»Also ich heiße Surcouf, Robert Surcouf, bin Seemann und wollte nach Beausset, um meinen Freund Andoche Junot, den Advokat und Bürger Grenadier, zu besuchen. Ich trat hier ein, ließ diese Bürger Soldaten Wein auf meine Rechnung trinken, bis sie von diesem würdigen Priester verlangten, daß er auf das Verderben seines höchsten Oberhauptes, des heiligen Vaters, trinken solle. Er that es nicht, und darum wollten sie ihn schlagen. Er ist ein Mann des Friedens und kann sich nicht wehren; darum brach ich dieses Tischbein ab und habe ihn vertheidigt. Nun halten sie mich für einen Emissair. Ein braver Seemann aber wird einen Jeden vertheidigen, welcher von einer Uebermacht unschuldig angegriffen wird. Es sind noch viele Tischbeine hier!«
Ueber das Gesicht des Obersten zuckte ein leises, ganz leises Lächeln, welches aber sofort wieder verschwand. Er wandte sich zu den Soldaten:
»Bürger Tambour-major, Du marschirst sofort mit den Andern in den Arrest!«
Das Wort war kaum gesprochen, so salutirten sämmtliche »Bürger Soldaten« und marschirten zur Thür hinaus. Dann drehte sich der Oberst wieder zu den beiden Andern herum. Sein Wort galt zunächst dem Priester:
»Wer bist Du?«
»Ich bin Bruder Martin vom Orden der Missionäre des heiligen Geistes,« lautete in bescheidenem Tone die Antwort.
»Es sind alle Orden aufgehoben. Hast Du den Bürgereid geleistet?«
»Nein. Mein Eid gehört nur der heiligen Kirche.«
»Das wird sich finden!« Und sich zu dem Seemann wendend, fuhr er fort: »Surcouf? Ich muß diesen Namen bereits gehört haben! Ah, hast Du den Namen ›the Runner‹ gehört?«
»Ja. Das war das englische Avisoschiff, welches ich durch die Klippen bringen sollte, aber mit Fleiß und Absicht auf die Bank laufen ließ.«
Der Oberst maß den jungen Mann mit einem kurz aufleuchtenden Blick.
»Ah, das wärst also Du? Wirklich? Weißt Du, Bürger Surcouf, daß Dein Leben an einem Haare hing!«
»Ich weiß es; aber sollte ich den Feind in den Hafen bringen? Ich sprang, sobald der Runner auflief, über Bord und kam glücklich an's Land, obgleich die Kugeln mir um den Kopf pfiffen. Die Engländer schießen schlecht, sehr schlecht, Bürger Colonel!«
»Wir werden in diesen Tagen sehen, ob Du Recht hast. Warum nimmst Du Dich eines Priesters an, der den Bürgereid nicht leisten will?«
»Weil dies meine Pflicht ist. Ich bin ein guter Katholik; ich habe mit ihm auf das Wohl des heiligen Vaters getrunken.«
»Ah, quelle inconsidération! Mußtest Du das thun? Brauchtest Du mir dies zu sagen, Bürger Surcouf? Ich sah, daß Du einige Soldaten beschädigt hast?«
»Ja, mit dem Tischbeine hier.«
»Gut. Der Fall soll untersucht und bestraft werden. Auch Ihr Beide seid arretirt. Man wird Euch nach Beausset bringen; doch sollst Du Deinen Freund Junot zu sehen bekommen. Adieu!«
Der kleine Offizier wandte sich scharf auf dem Absatze um und verließ die Stube. Eine Minute später ritt er mit seinen Begleitern davon; er befand sich jedenfalls auf einer Recognoscirung. Zu gleicher Zeit aber traten drei Militairs ein, welche den Beiden sagten, daß sie ihnen nach Beausset zu folgen hätten.
»Das werden wir thun,« meinte Surcouf, indem er sein Tischbein bei Seite legte. »Beausset war ohnedies mein Ziel.«
»Aber das meinige nicht,« antwortete Bruder Martin. »Ich wollte hinauf nach Sisteron.«
»Dorthin kannst Du auch morgen gehen, mein frommer Bruder. Bis dahin magst Du in Beausset mein Gast sein; vorher aber wollen wir hier mit diesen drei tapferen Bürgern noch ein Glas trinken. Ich finde diesen Roussillon sehr gut und muß ja auch mein Tischbein bezahlen.«
Der wackere Seemann schien sich in feine Gefangenschaft sehr leicht zu finden. Es war ihm nicht die mindeste Abnahme seiner guten Laune anzumerken, und als dann später aufgebrochen [797] wurde, ertrug er den strömenden Regen mit derselben Geduld, mit der er ihn vorher ertragen hatte.
Beausset ist noch heut ein kleiner Ort von nicht viel über 3000 Einwohnern. Es gibt dort eine Wollenweberei, und in der Umgegend wird ein gutes Olivenöl und ein leidlicher Rothwein gebaut. Als die beiden Gefangenen dort anlangten, wurden sie nach dem Hause geführt, in welchem der Oberstkommandirende, General Cartaux, sein Quartier aufgeschlagen hatte, und dort in eine enge, dunkle Kammer eingesperrt, deren einziges Fenster durch den Laden dicht verschlossen war.
»So, hier liegen wir vor Anker,« meinte Surcouf. »Leider gibt es weder Hängematte noch Daunenbett. Wir müssen uns mit dem Bewußtsein fügen, daß man uns bald aus dieser Koje erlösen wird.«
»Ich wenigstens habe das nicht zu hoffen,« seufzte Bruder Martin.
»Nicht? Warum?«
»Weißt Du nicht, Bürger Surcouf, daß es jetzt in Frankreich kein größeres Verbrechen gibt, als dem Willen des Convents zu trotzen? Ich habe meinen priesterlichen Eid abgelegt und kann keinen anderen schwören. Ich sehe böse Tage für mich kommen, aber ich bleibe meinem Schwure treu.«
Da ergriff Surcouf die Hände des Gefährten, und seine Stimme klang ganz anders als bisher, indem er nun in bewegtem Tone sagte:
»Das vergelte Dir Gott, Bruder Martin! Viele, Viele sind abgefallen; aber noch Mehrere sind freiwillig in die Verbannung gegangen oder bleiben muthig im Lande, um mit der Hyder des Unglaubens und der Vergewaltigung zu kämpfen. Ich bin nicht der sorglose Mann, der ich scheine. Ich sehe eine Zeit kommen, in welcher man auch das Allerheiligste verleugnen wird, nachdem man vorher das Heilige beschimpfte, eine Zeit, in welcher es starker Geister und gewaltiger Arme bedarf, um das Vaterland von der Herrschaft des Schreckens zu befreien und unserm Volke die ihm von Gott angewiesene Stellung unter den Nationen zu erhalten. Es wird große Kämpfe geben; es werden Ströme Blutes fließen; es wird ein gigantisches Ringen des Einen gegen Alle sein. Das Weizenkorn, welches unter dem Unkraute der Revolution verborgen liegt, wird aufgehen, doch werden dunkle Wolken es beschatten, und Stürme es knicken wollen. Da gilt es, wach und munter zu sein; da gilt es, sich schon bei Zeiten im Kampfe zu üben und zu stählen, damit ein Jeder an seinem Platze sei, wenn die Kräfte gemessen werden. Ich bin ein Sohn des Vaterlandes und auch ich habe die Pflicht, treu und stark zu ihm zu halten in aller Noth und Gefahr. Darum habe ich mich ihm zum Dienste angeboten, aber man hat mich abgewiesen, weil ich offen bekenne, daß ich nicht zu denen gehöre, welche den Stuhl Petri stürzen und Christum abermals an das Kreuz schlagen möchten. Wegen einer offenen Rede habe ich aus Paris flüchten müssen; ich ging an andere Orte und wurde wieder abgewiesen; nun komme ich nach Toulon, um den letzten Versuch zu machen. Ich werde mit den Generalen Cartaux und Doppet sprechen; ich werde auch mit diesem Colonel Bonaparte reden; er hat das Gesicht eines Mannes, welcher wachsen wird; vielleicht erreiche ich hier am letzten Orte, was mir anderwärts versagt worden ist.«
Der Priester hielt seinen Blick erstaunt auf den Sprecher gerichtet. Dieser junge Mann war auf einmal ein ganz Anderer geworden; der fröhliche, sorglose, unbekümmerte Jüngling stand plötzlich da als ein Mann, dessen Auge prophetisch in die Ferne blickte, dessen Rede begeistert von den Lippen floß, und dessen Aufgabe auf ein großes Ziel gerichtet war.
»Mein Sohn,« sagte Bruder Martin, »ich höre aus Deinem Munde Worte eines Mannes, dessen Weg zur Höhe führen muß. Was auch die Zukunft Dir beschieden haben mag, sei stets der ewigen Wahrheit eingedenk, daß der Mensch nichts Gutes thut als nur in Gott, und daß er einen Richter hat für jeden Gedanken, jedes Wort und jede That, die er vollbringt. Dein Fuß wird nicht gewöhnliche Pfade wandeln; laß Dich bei jedem Schritte von dem Lichte leiten, welches kein Convent und keine Revolution verlöschen kann.«
Nach diesen Worten herrschte längeres Schweigen. Die beiden Gefangenen hätten sich Vieles zu sagen gehabt, aber der Augenblick war zu weihevoll, als daß ein profanes Wort ihn hätte stören dürfen.
Nach längerer Zeit wurde die Thüre geöffnet. Man rief Surcouf, um ihn zum commandirenden General zu führen. Es dauerte lange, ehe er zurückkehrte, und dann wurde Pater Martin abgeführt. Dieser kam sehr bald zurück. Er hatte sich erklären sollen, ob er bereit sei, den Bürgereid zu leisten, und als er sich entschieden weigerte, war ihm eröffnet worden, daß man ihn als Verräther behandeln müsse und ihm also seine Freiheit nicht zurückgeben könne. Surcouf frug ihn, was er dagegen zu thun entschlossen sei.
»Was soll ich thun?« frug er. »Ich bin ein Mann des Wortes, aber nicht ein Mann des Schwertes. Es wird mir gehen wie so vielen Andern; man wird mich nach Paris bringen und dort werde ich verschwinden.«
»Ah, Du würdest nicht in Paris, sondern bereits schon unterwegs verschwinden; aber dies soll nicht geschehen, so wahr ich Robert Surcouf heiße!«
»Wie wolltest Du mir helfen? Du bist ja selbst Gefangener!«
»Aber ich werde es nicht immer sein. Der General wollte sich nur vergewissern, ob ich ein Emissair sei oder nicht. Sobald er einsah, daß ich ein ehrlicher Seemann bin, handelt es sich nur noch um die kleinen Hiebe, welche diese guten Bürger Soldaten von mir erhalten haben, und darüber soll Colonel Bonaparte urtheilen, wurde mir gesagt. Ich werde also baldigst auf freiem Fuße sein.«
»Welcher Mensch kann mit Sicherheit auch nur von dem nächsten Tage sprechen! Ich wollte nach Sisteron, um von da vielleicht über Gap oder Embrun und Briançon aus Frankreich zu kommen; nun aber bin ich gar gefangen!«
»Ueber Gap und Embrun? Oh malheur! Einen solchen Fluchtweg kann nur eine Seele einschlagen, die mehr im Himmel als auf Erden wandelt! In diesen beiden Festungen muß ein Jeder hängen bleiben, der nach dieser Richtung hin entkommen will, und übrigens wimmelt die ganze Strecke von Toulon bis an die italienische Grenze von Conventstruppen, welche schwer zu täuschen sind. Dazu begreife ich nicht, wie man in einem Weinhause einkehren kann, wenn man den Häschern entgehen will!«
»Der Wirth dieses Hauses ist mein Verwandter; er hielt mich lange Zeit versteckt, und eben wollte ich Abschied nehmen, als das Wetter die Soldaten herbeitrieb.«
»Das hätte nichts zu sagen gehabt; aber dieses geistliche Gewand ist zum Verräther geworden. Ueberhaupt gibt es von hier aus auf dem Landwege kein Entkommen; nur auf der See ist die gesuchte Freiheit zu finden.«
»Aber wie gelangt man ohne Freunde, ohne Mittel und ohne Kenntniß der Gelegenheiten auf ein sicheres Schiff?«
»Durch mich, durch Robert Surcouf. Verstanden?«
Er konnte nicht weiter sprechen, denn die Thür wurde abermals geöffnet, und es trat ein Grenadier herein, in welchem Surcouf seinen Freund Junot erkannte. Dieser war jetzt noch gewöhnlicher Soldat, aber man weiß, daß er nur drei Tage später Sergent wurde. Bei der Beschießung von Toulon vom 15. bis 17. Dezember 1793 dictirte ihm Napoleon einen Befehl; da schlug eine Kanonenkugel neben ihnen in den Boden und bespritzte das Blatt mit Erde. »Prächtig,« rief Junot, »so brauchen wir keinen Streusand!« Durch dieses Wort wurde Bonaparte auf ihn aufmerksam und ließ ihn von da nicht wieder aus den Augen, so daß Junot schon 1804 Divisionsgeneral und Commandant von Paris wurde.
Dieser Grenadier, welcher jetzt wohl nicht ahnte, daß er einst eine Herzogskrone tragen werde, hatte große Freude, seinen Freund Surcouf wiederzusehen. Er erfuhr, daß dieser sich um eine Anstellung in der Marine bewerbe und daß er nun auch von General Cartaux abfällig beschieden worden sei. Junot konnte für den Freund nichts thun, als ihm seine gegenwärtige Haft erleichtern; er sorgte für Speise, Trank und Licht und mußte die Beiden dann ihrem Schicksale überlassen.
Erst am Nachmittage des nächsten Tages kam eine Ordonnanz, welche den Seemann zu Bonaparte bringen sollte. Dieser befand sich nicht in Beausset, sondern außerhalb des Ortes in einer Schanze, von welcher aus die Befestigungen von Toulon beschossen wurden.
[798] Diese Stadt hatte sich der unter Admiral Hood stehenden Flotte der vereinigten Engländer und Spanier übergeben, und der Convent machte die riesigsten Anstrengungen, diesen hochwichtigen Platz zurückzuerobern. Leider erwiesen sich die Generale Cartaux und Doppet als unfähig; der Eine war ein Maler und der Andere ein Arzt gewesen; sie waren im Atelier und Lazareth an ihrem Platze, nicht aber vor den gewaltigen Außenwerken eines so großartigen Waffenplatzes, und darum hatte man den jungen Napoleon Bonaparte gesandt, um den beiden Generalen beizustehen.
Der kleine Corse hielt soeben neben den beiden Obergeneralen, als Surcouf zu ihm geführt wurde. Er beachtete den Gefangenen gar nicht und schien nur in das Gespräch vertieft, welches er mit seinen zwei Vorgesetzten führte.
»Und ich kann dennoch nicht von meiner Ueberzeugung abgehen,« sagte er. »Wenn wir so fortfahren, werden wir nach einem Lustrum immer noch unverrichteter Sache vor Toulon liegen. Was sind unsere Geschütze gegen die Feuerschlünde der Festung und der Flotte! Wir müssen so schnell wie möglich weiteres Belagerungsgeschütz aus Marseille und den andern Waffenplätzen kommen lassen. Wir dürfen nicht nur die Befestigungen der Stadt beschießen, sondern wir müssen vor allen Dingen die feindlichen Schiffe mit glühenden Kugeln bewerfen. Haben wir die Flotte vernichtet und vertrieben, so kann sich die Stadt unmöglich lange mehr halten. Geben Sie mir Vollmacht, so verspreche ich, daß Toulon sich in vierzehn Tagen in unseren Händen befindet.«
»Nur nicht sanguinisch!« erwiederte Cartaux in hochfahrendem Tone. »Selbst wenn die Flotte weichen muß, wo haben wir die Mittel, Befestigungen wie Fort Malbosquet, Balagnier und Eguilette zu bezwingen?«
»Man schaffe nur zunächst Geschütz und Munition herbei, verstärke die Belagerungsarmee bis auf vierzigtausend Mann und versehe diese Verstärkungen mit den nothwendigen Requisiten. Ich habe das Terrain noch nicht genau studiren können, aber es muß ein Punkt zu finden sein, welcher die feindlichen Werke dominirt, und von diesem aus werden wir den Gegner zu bezwingen wissen.«
Surcouf hatte diese Worte gehört; er trat mit zwei raschen Schritten an die drei Offiziere heran und sagte:
»Pardon, Bürger! Dieser Punkt ist bereits gefunden.«
Cartaux machte eine strenge, zurückweisende Geberde; auch Doppet drehte sich stolz zur Seite. Napoleon aber überflog den Sprecher mit einem Blitze seines Auges und meinte:
»Du bist sehr kühn, Bürger Surcouf! Wenn Offiziere sprechen, hat ein jeder Andere zu schweigen, besonders wenn er gar ein Gefangener ist. Welchen Punkt meinst Du?«
»Bürger Colonel, siehe dort den Platz zwischen beiden Häfen der Stadt. Wenn Du ihn besetzest, so kannst Du die feindliche Flotte in ihrer ganzen Ausdehnung bestreichen. Die Stadt muß sich in zwei oder drei Tagen ergeben, sobald Du ihre Werke von dort aus mit Vierundzwanzigpfündern und Mörsern demolirst. Das Auge wird Dich lehren, daß von diesem Punkte aus Fort Malbosquet sehr leicht zu bombardiren ist.«
Bonaparte setzte das Fernrohr an und musterte die betreffende Gegend. Als er es wieder absetzte, bewegte sich kein Zug seines ehernen Gesichtes. Er blickte lange auf den Horizont hinaus; dann aber wandte er sich plötzlich zu den beiden Generalen:
»Dieser Mann hat Recht, vollkommen Recht. Ich ersuche die Bürger Generale, seinen Rath, welchen ich mit meiner Ueberzeugung unterstütze, in schnelle Erwägung zu ziehen!«
»Den Rath eines Arrestanten!« rief Cartaux. »Schäme Dich, Bürger Colonel!«
Auch auf diese beleidigende Antwort zuckte keine Wimper in Napoleon's Gesicht, aber seine Stimme klang scharf und schneidig, als er entgegnete:
»Allerdings schäme ich mich, messieurs, aber nicht über den Rath, welcher uns ertheilt wurde, sondern darüber, daß bis jetzt noch nicht gefunden worden ist, was dieser Bürger auf den ersten Blick bemerkte. Ich bin gewohnt, jeden nützlichen Rath anzunehmen, er komme, von wem es auch sei, und bitte, den betreffenden Punkt schleunigst besetzen und befestigen zu lassen. Wenn uns die Engländer zuvorkommen, so muß es uns außerordentliche Opfer kosten, die Unterlassung wieder anzugleichen.«
»Colonel!« brauste Cartaux auf. Er wollte mehr sagen, Doppet aber ergriff ihn beim Arme und zog ihn fort.
Bonaparte blickte ihnen mit finsterer Miene nach.
»Man wird dennoch thun müssen, was ich will,« murmelte er, und zu Surcouf gewendet, fuhr er fort: »Dein Plan ist gut, Bürger; ich danke Dir! Wo hast Du diesen Scharfblick her, Du, ein Matrose?«
»Matrose?« lachte der Gefragte. »Ein Schüler der See-Akademie und des Bureau des longitudes? Der Seemann hat ebenso seine Strategie und Taktik wie der Offizier des Festlandes. Bürger Colonel, ich freue mich, mit Dir sprechen zu können. Ich bin Dein Gefangener; Du wirst mich vielleicht bestrafen, weil ich einigen unnützen Burschen den Schädel geklopft habe; ich werde diese Strafe auf mich nehmen; aber wenn ich sie verbüßt habe, so werde ich Dich abermals aufsuchen, dann habe ich Dir eine Bitte vorzutragen.«
»Sprich sie aus!«
»Heute nicht. Erst muß ich die Strafe hinter mir wissen.«
Bonaparte runzelte leicht die Stirn.
»Du sprichst sehr kategorisch! In Deinem Alter ist man gern bescheiden, weil man da erst im Begriffe steht, das Leben zu beginnen.«
»Bürger,« lächelte der Getadelte, »Du beginnst es also vom Colonel an, denn wir werden wohl die gleichen Jahre zählen.«
Napoleon beachtete diesen Einwurf nicht und fuhr fort:
»Du hast allerdings Strafe verdient, denn Du hast Dich an den Soldaten des Convents vergriffen; aber um des Rathes willen, welchen Du uns gegeben hast, soll Dir verziehen sein. Jetzt nun wirst Du wohl Zeit finden, Deine Bitte auszusprechen, Bürger Surcouf?«
»Ich danke Dir, Bürger Colonel! Meine Bitte ist sehr kurz; sie lautet: gib mir ein Schiff!«
Der kleine Corse blickte erstaunt den Seemann an.
»Ein Schiff?« rief er verwundert. »Was willst Du mit dem Schiffe, und woher soll ich es nehmen?«
»Hier lies zunächst diese Papiere!«
Er zog sein Portefeuille hervor, nahm eine Anzahl groß gesiegelter Zeugnisse hervor und gab sie Napoleon. Dieser las eines nach dem andern und gab sie ihm dann mit einer sehr nachdenklichen Miene zurück.
»Ausgezeichnet!« nickte er. »Bürger Surcouf, es wird wenig Männer Deines Alters geben, welche sich des Besitzes solcher Papiere rühmen können. Du bist klug und kühn; der Convent wird wohlthun, Dich im Auge zu behalten.«
»Pah, der Convent will mich gar nicht haben!«
»Warst Du in Paris?«
»Ich war dort; ich war in Le Havre; ich war in Brest, in Nantes, in La Rochelle, in Bordeaux, Marseille und Lyon; ich war bei allen Marinebehörden bis hinauf zum Minister und habe nur das Eine gehört, daß ich unfähig bin.«
»So sind Deine Zeugnisse eine Lüge.«
»Sie enthalten die Wahrheit; aber die Männer, bei denen ich war, segeln im Nebel, ohne die Augen zu öffnen. Ich habe Alles gethan, um sie sehend zu machen; ich habe ihnen meine Ansichten entwickelt; ich habe ihnen den Vorhang der Zukunft gelüftet – sie wollten blind bleiben.«
Jetzt lächelte Bonaparte, aber wie ein Riese, welcher einen Zwerg von Heldenthaten sprechen hört.
»Welches sind die Ansichten, die Du ihnen entwickelt hast?« fragte er.
»Es sind die Ansichten eines einfachen Mannes, der sich durch kein Blendwerk täuschen läßt. Die republikanische Form unserer Regierung steht im Gegensatze zu den Regierungsformen der uns umgebenden Länder; unsere Interessen sind den ihrigen feindlich entgegengesetzt, und der Ausgleich kann nicht auf dem Wege des Friedens geschehen. Ferner gibt es im Innern der Republik selbst tausend noch ungezügelte Kräfte und Mächte, welche eine gewaltige Expansionskraft besitzen; eine einzige dieser Kräfte ist im Stande, den noch unfertigen Bau augenblicklich zu zertrümmern. Die Religion ist das Herz der Nation; die Republik will sich dieses Herz herausreißen; sie wird zum Selbstmörder werden; sie wird sterben; aber ihr Tod wird kein sanfter, sondern ein fürchterlicher sein. Damit habe ich bewiesen, daß [799] Frankreich vor großen Kämpfen steht, vor Kämpfen nach außen und vor Kämpfen nach innen. Hierzu bedarf es einer Land- und Seemacht, welche nicht nur sich in gutem Vertheidigungszustande befindet, sondern nöthigenfalls auch zum Angriffe schreiten kann. Wir haben ein tapferes Heer und gute Generale, aber was wir nicht haben, das ist eine genügende Flotte. Seeleute hat Frankreich genug, aber es mangelt an Kriegsschiffen und an Seeoffizieren, welche die Fähigkeit besitzen, die kriegerischen Traditionen unserer Feinde zu Schanden zu machen – – –«
»Und ein solcher Offizier bist Du?« unterbrach ihn Napoleon.
»Ja,« antwortete der Gefragte mit offener Miene. »Man gebe mir ein Schiff, und ich werde es beweisen!«
»Du sprichst sehr stolz, Bürger Surcouf, und läufst Gefahr, daß man Dein Selbstbewußtsein für Prahlerei nimmt. Wer einen Kahn zu steuern vermag, ist doch noch nicht ein geborenes Genie zur See!«
Es lag etwas wie Geringschätzung in dem Tone, in welchem diese Worte gesprochen wurden; Surcouf fühlte das, und seine Stimme klang schärfer denn vorher, als er entgegnete:
»Bürger Colonel, Du sprichst in dieser Weise zu mir, weil Du siehst, daß ich noch nicht das Alter besitze, um Mitglied des Rathes der Alten zu sein. Das ist ein schlechter Mann, welcher mehr von sich hält, als er ist; aber ein noch viel schlechterer Mann ist derjenige, welcher nicht weiß, was er zu leisten vermag. Wenn ein Maler oder ein Arzt General werden kann, so ist es auch nicht unwahrscheinlich, daß ein Seemann ein Schiff zu führen vermag. Wir stehen in einer Zeit, welche Altes zerschmettert, um Neues zu schaffen. Die Kämpfe, denen wir entgegen gehen, erfordern jugendliche Kräfte. Warum soll ich abgewiesen werden?«
»Weil Du Dir erst verdienen mußt, was Du begehrst. Was hast Du für den Staat geleistet? Du magst ein guter Seemann sein; Du magst dies im privaten Leben auch bewiesen haben; der Marinebehörde aber bist Du unbekannt und darfst nicht erwarten, daß man Dir ein Schiff anvertraut, ohne Dich vorher kennen gelernt zu haben.«
»Aber man will mich nicht kennen lernen; man will keinen Offizier, der den Glauben hat, daß sein Schiff ebenso von Gottes Hand wie von den Winden geleitet wird.«
»So ändere Deinen Glauben!«
Surcouf trat einen Schritt zurück und rief:
»Bürger Bonaparte, Du scherzest! Ich bin ein Katholik und bleibe es. Ich bin ein Franzose und bleibe es, trotzdem mir von England Anerbietungen gemacht worden sind, welche mir die Erfüllung meiner sehnlichsten Wünsche verheißen. Ich werde stets nur für mein Vaterland, niemals aber gegen dasselbe kämpfen, und gibt man mir kein Schiff, so nehme ich es mir!«
Napoleon machte eine abweisende Geberde.
»Das träumst Du nur!« meinte er scharf.
»Robert Surcouf träumt nie, Bürger Colonel! Du bist der Letzte, auf den ich meine Hoffnung setzte. Gib mir wenigstens ein kleines Fahrzeug, aus welchem ich einen Brander herstellen kann, und Du sollst sehen, daß ich das feindliche Flaggenschiff in die Luft sprenge!«
»Hier, im Hafen von Toulon?«
»Ja.«
»Ah, nun bin ich wirklich überzeugt, daß Du träumst! Bürger Surcouf, gehe; Deine Dienste werden nicht gebraucht!«
»Ist dies Dein letztes Wort?«
»Mein letztes!«
»So habe ich meine Schuldigkeit gethan und kann nun nach Belieben handeln. Es wird eine Zeit kommen, in welcher Frankreich's Ruhm zur See zusammenbricht, in welcher man vergebens ausschaut nach einem Manne, der unsere Flagge siegreich steigen lassen könnte; aber dieser Mann wird fehlen. Dann, ja dann wird man sich des Bürgers Surcouf erinnern; man wird ihn rufen, doch er wird diesem Rufe nicht Folge leisten.«
»Ah, Dein Traum wird zum Fieber! Man wird Dich niemals rufen, denn Du wirst niemals zu verwenden sein. Und wäre ich selbst es, der hier zu entscheiden hätte, so würde ich der Letzte sein, der Deinen Namen nennt. Frankreich braucht Männer und besonnene Köpfe, aber nicht Knaben und Phantasten. Heute hast Du gesprochen, und bereits morgen wirst Du vergessen sein!«
Da trat Surcouf hart an den Offizier heran und legte ihm die Hand schwer auf die Schulter.
»Bürger Bonaparte, ich will Dir nicht Gleiches mit Gleichem vergelten; ich sage Dir offen, daß ich Dich für einen Mann halte, der seinen Weg machen wird; auf diesem Wege aber wird Dir einst Robert Surcouf begegnen, und dann wirst Du bedauern, daß Du ihn so schnell vergessen hast. Wir sind geschieden für ewige Zeiten; vorher aber sage ich nur noch Eins: Was wirst Du mit Pater Martin, meinem Gefährten, thun?«
»Darnach hast Du nichts zu fragen. Er hat sich gegen die Verordnungen des Convents gesträubt und wird seine Strafe leiden.«
»Er hat Gott mehr gehorcht als den Menschen, und darum wird ihn Gott beschützen. Versucht es immerhin, den Ewigen abzusetzen: es wird Euch schwer werden, gegen den Stachel zu lecken!« –
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