Den Alltagsmenschen

Ihr, denen der Zufall die Krankheit versagt,
Die göttlich Genie man benennt,
Laßt fahren die Trauer und seid nicht verzagt,
Ihr ahnet ja nicht, wie das brennt,
Lebt ruhig nur fort in dem engen Gebiet,
Mit euch und dem Herrgott in Frieden,
Und preist euch glücklich, daß eurem Gemüt
Kein stürmendes Ringen beschieden.
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O könntet ins Herz jenen Männern ihr schaun,
Ihr pralltet erschrocken zurück:
Bleichzuckende Flammen und nebliges Graun,
Doch nimmer und nimmer Glück;
Kaum einem noch wurde vom Zufall beschert
Genie und zufriedenes Leben,
Den meisten hat Leben und Lieben zerstört
Das Ringen und Kämpfen und Streben.
Kein Frieden bei Tage, kein Frieden bei Nacht,
Im Fieber von Abend bis Früh –
Das Los jeder Stirn, der in höllischer Pracht
Den Kainsstempel gab das Genie,
Ein Hungern nach Ruhe, ein Dursten nach Glück,
Nach Schatten, die ewig verschwinden,
Sie suchen und suchen mit trostlosem Blick
Und glauben doch selbst nicht ans Finden.
Und schließlich, wenn alles verbrannt und verglüht,
Und jeglich Idol ist zernagt,
Wenn öde die Seele und kahl das Gemüt,
Verzweiflung die Elenden plagt –
Die Träume zerplatzen, ins Weite sich schwingt
Des Glückes verblaßte Erscheinung,
Und höhnisch im herzlosen Herzen nur klingt
Das schneidende Lied der Verneinung.

Münster 1887

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Löns, Hermann. Gedichte. Junglaub. Den Alltagsmenschen. Den Alltagsmenschen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-20A9-2