[26] Waldgang

Mit meinen Teckeln ging ich heut' in's Holz,
Am Strick sie führend, daß die hitzigen Kleinen
Nicht kläffend mir vertrautes Wild verscheuchten.
Der Morgen glänzt wie ein Paradefeld.
Im Tau perlt Blume noch und Blatt und Gras,
Nur trocken da, wo sich die Sommersonne
Mit heißen Lippen schon den Trunk geholt.
Im Walde schwieg es heilig überall.
Als vom gewohnten Weg ich abwärts bog,
Um eine Wiesenblöße aufzusuchen,
Entdeckt' ich dort, von Himmelslicht umleuchtet,
Ist's Gaukelspiel, kann ich den Augen trauen,
Sanft eingeschlafen, mit dem Haupt im Schatten,
Den kleinen Gott, der so viel Unheil stiftet.
Und wie das Kind, das seine Weihnachtspuppe
In's Bettchen nahm, glückselig dann entschlief,
So hielt er fest mit seinen kecken Fäustchen
An seine Brust geschlossen Pfeil und Bogen.
[27]
Er wandte mir den rosigen Rücken zu,
Den Köcher zwischen seinen Flügeln zeigend.
Und nun die Dächsel ... Wollt ihr!.. Daß der Kukuk!..
Ich schnüre ihnen fast die Kehlen zu,
So emsig, mit gesträubtem Nackenhaar,
War ihr Gezerr ... Um Himmelswillen! Wollt ihr!
Daß ihr mir nicht den süßen Bengel weckt!
Weh mir, wenn er erwacht, er schenkt sofort
Der Senne seinen Pfeil, den ersten, besten,
Und trifft mein Herz, und trifft es unbarmherzig,
Daß ich der Liebe Qualen dulden muß,
Der Liebe Leiden, die vieltausendmal,
Hält Venus, wiegend, in der Hand die Wage,
Der Liebe Lust schwerlastend niederdrücken.
Schon bin am Holzesrand ich, immer noch
Die heftigen Hunde ängstlich mit mir ziehend.
Und vor mir schimmert weit ein helles Land.
In seine Stille schau' ich lang hinein.
Und mählig, während ich die Augen tränke
In all' den Morgenfarben, steigt ein Wunsch:
Wenn dort um eine schöne Schulter ich,
Durch Duft und bunte Blumengrüße schreitend,
Den Arm gelegt, indeß die andre Hand
Ein liebes Händchen hält; und zu mir auf
Ein Auge blickt, das ich mein Leben nennte ...
Die Teckel laß ich fort, daß ihr Geläut
In fernen Gründen bald erstirbt, verhallt.
Ich selber dann, nicht hastiger kann ein Mensch
Sich Bahn durch Busch und störrige Zweige brechen,
Enteile meinem Ort und lauf' waldein,
Und komme atemlos an jene Stelle,
Wo Amor seinen frühen Schlummer hielt.
[28]
Doch ach, verschwunden ist der Liebesgott.
Die Gräser, wo er ruhte, heben mühsam
Sich auf vom Druck; nur eine Königskerze,
Durchaus geknickt aus ihrer stolzen Höhe,
Brach ich vom Grund, sie an den Hut mir steckend,
Und eine Weile stand ich sehr verblüfft ...

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TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Gedichte. Haidegänger. Waldgang. Waldgang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-EEB0-5