[326] [Erster Brief]
London, den Oktob. 1775
Ihr Verlangen, mein lieber B., Ihnen etwas von Herrn Garrick zu schreiben, kann ich nun hoffentlich besser befriedigen, als damals, da Sie es zum erstenmal gegen mich äußerten. Ich hatte diesen außerordentlichen Mann zu der Zeit gerade zweimal gesehen, und das war zu wenig, um ihn ruhig zu beobachten, und nicht lange genug her, um an einen Freund ruhig darüber zu schreiben. Hier kommen nun einige meiner Bemerkungen; nicht alle; Sie sollen künftig die übrigen haben, wenn Sie wollen; Beobachtung und Raisonnement durch einander, und wahrscheinlicher Weise mehr Ausschweifung als beide zusammen; alles, wo möglich, gerade weg, ich meine in der Ordnung und mit den Ausdrücken, die mir die Laune der Minute darbietet, in welcher ich schreibe. Ich weiß, Sie verzeihen mir dieses; ich mache mich gar nicht gerne an Briefe, wo ich das nicht tun darf, oder vielmehr, ich schreibe sie immer lieber morgen und dann – in Ewigkeit nicht. Noch eins, ob ich gleich, nächst deklariertem Nonsense, nichts im Stil mehr hasse, als den Boswellischen festlichen, weissagenden Ton, womit manche Schriftsteller gleich jeden großen Mann, den sie beschreiben, zum Engel und sich zum Propheten erheben, und eine gewisse Feiertagsprose zu stammeln anfangen, die der Wahrheit so trefflich zu statten kömmt, so könnte es doch sein (ich hoffe es nicht) daß mir mein Gegenstand einen kleinen Streich spielte. Merken Sie so etwas, mein Freund, so berechnen Sie den Rabatt gleich selbst, und danken mir indessen, daß ich Ihnen nicht gleich anfangs geschrieben habe.
Ich habe Herrn Garrick nunmehr gerade achtmal spielen sehen, und darunter in einigen seiner vorzüglichsten Rollen. Einmal als Abel Drugger in Ben Jonsons sehr veränderten Alchimisten; einmal als Archer in Farquhars stratagem; einmal als Sir John Brute in Vanbrughs provoked wife; zweimal als Hamlet; einmal als Lusignan in der von Hill veränderten Zaire; einmal als Benediktin Shakespears [326] much ado about nothing, und endlich als Don Leon in Beaumonts und Fletchers rule a wife and have a wife. Außerdem habe ich ihn selbst gesprochen, und habe nunmehr freien Zutritt in seine Loge.
Unter den erwähnten Charakteren soll es ihm Weston im Abel Drugger gleich tun, so wie Quin ehmals im Sir John Brute, allein noch hat kein Mann seinen Fuß auf ein britisches Theater gesetzt, der es ihm in den übrigen gleich getan hätte, auch ist itzt keiner da, der zu einem solchen Manne nur im einzelnen die mindeste Hoffnung gäbe, und am allerwenigsten zu einem, der alles zugleich werden könnte. Vermutlich leidet auch jene Vergleichung mit Quin und Weston noch eine Einschränkung. Quin im Sir John Brute habe ich zwar nicht sehen können, und den Weston im Abel Drugger nicht gesehen, allein ähnliche Urteile über Garricken, und zwar in Rollen, wo ich die Vergleichung anstellen konnte, haben mich sehr mißtrauisch gemacht. Ich bin nunmehr ziemlich überzeugt, daß ihn in Rollen, die er einmal übernimmt, schlechterdings niemand übertrifft, der nicht Garrick ist, ich meine, in dessen Seele und Körper sich kein solches System von Schauspielertalenten findet, als bei ihm, und einen solchen Mann hat England außer ihm noch nicht gesehen, wenigstens auf seinen Schaubühnen nicht. Was es mit dem Urteil jener Personen über Weston für eine Bewandtnis hat, und über Quin gehabt haben mag, muß ich erklären; es wird sich hierbei manches von Herrn Garrick beibringen lassen, das ich sonst vergessen möchte, und außerdem wollte ich auch nicht, da ich einmal so viel gesagt habe, daß Sie lange glaubten, es gefiele mir Weston nicht, ein Mann, der itzt der Liebling des Volks ist, und der mich mehr lachen gemacht hat, als alle übrige englische Schauspieler zusammen genommen. Ich sage ihnen künftig einmal mehr von ihm, itzt mag zu meiner Absicht folgendes genug sein:
Weston ist eines der drolligsten Geschöpfe, die mir je vor die Augen gekommen sind. Figur, Stimme, Anstand, und alles erweckt Lachen, ob er es gleich nie zu wollen scheint, und nie selbst lacht. Kaum erscheint er auf dem Theater, so vergißt ein großer Teil der Versammlung wohl gar ihm zu Gefallen das Stück und sieht ihn isoliert seine Künste machen. Sie sehen, vor solchen Richtern kann ein solcher Mann nicht schlecht spielen. Die Leute wollen nur ihn sehen. Mit Garrick ist es ganz anders, man will immer in ihm den wirksamen Teil des Ganzen, und den täuschenden Nachahmer der [327] Natur finden; er könnte also selbst vor seinem England seine Rolle schlecht spielen, wenn er wollte, aber das könnte Weston schwerlich. Nun hat Ben Jonson nur wenig Punkte von Abel Druggers Charakter gegeben, wenn ein Schauspieler durch diese seine Linie ziehen kann, so kann er ziemlich a son aise fortgehen, ohne zu fürchten, daß er übertreten werde. Eine vortreffliche Gelegenheit für Weston, seine eigene Person gut los zu werden, zumal in den langen Zwischenräumen, wo Abel Drugger stumm ist, in einer Stube, wo außer einem Paar Sternseher und Teufelsbanner, Skelette von Menschen, Krokodile, Straußeier und leere Rezipienten stehen, worin wohl gar der Teufel selbst sitzen könnte. Mich dünkt, ich sähe ihn, wie er bei jeder heftigen Bewegung der Astrologen, oder dem geringsten Getöse, das sich nicht gleich selbst erklärt, erstarrt, und mit parallelen Füßen da steht wie eine Mumie, und dann, wenn es vorüber ist, erst mit den Augen zu leben und zu untersuchen anfängt, und dann den Kopf langsam dreht usw. Der größte Teil der Versammlung klatscht und lacht, selbst der Kenner lächelt mit; über den närrischen Teufel; aber bei Garricks Abel Drugger – da fängt der Kenner mit dem Beifall an. Das ist ein ganz anderes Geschöpf, aus der Absicht des Dichters abstrahiert, durch die ausgebreiteste Kenntnis individualisierender Umstände verbessert, und von der obersten Galerie herab leserlich ausgedrückt. Die Gebärdensprache fällt ihm nicht, wenn ich so reden darf, in einer bequemen alles verschlingenden Erstarrung, die am Ende doch unnatürlich läßt, sondern in jeder Minute äußert der arme Abel seinen Charakter, Aberglauben und Einfalt, mit neuen Zeichen. Ich erwähne nur eines Zugs, den Herr Weston nicht einmal nachmachen, geschweige erfunden haben könnte, und an den der Dichter vermutlich auch nicht gedacht hat. Wenn die Astrologen den nunmehr großen Namen Abel Drugger aus den Sternen heraus buchstabieren, so sagt der betrogne arme Tropf mit inniger Freude:Das ist mein Name. Garrick macht daraus eine heimliche Freude, denn sich so gerade heraus zu freuen wäre wider den Respekt. Garrick dreht sich also von ihnen ab, und freut sich ein paar Augenblicke so in sich hinein, daß er wirklich die roten Ringe um die Augen kriegt, die allemal eine große, wenigstens zum Teil gewaltsam unterdrückte Freude begleiten, und so sagt er: das ist mein Name, zu sich selbst. Dieses weise Heimlichtun tat eine unbeschreibliche Wirkung, denn man sah nicht bloß den einfältigen, hintergangenen passiven Pinsel, [328] sondern einen noch weit lächerlicheren, der mit einer Art von innerem Triumph sich noch wohl gar für einen durchtriebenen Gast hält. So etwas muß man von Weston nicht erwarten. Wo aber seine besondere Simplizität und Figur dem Stück zu statten kommt, da tut er Wunder. So erscheint er in Footes devil upon two Sticks als Dr. Last, als Mawworm im Scheinheiligen und als Scrub im Stratagem. Ich habe ihn in allen dreien gesehen, im letztern mit Garricken zugleich in einigen Szenen. Das sind Szenen, mein lieber B., ich glaube selbst.... 's abgefrömmelte, dem Zeitlichen längst nicht mehr reizbare Wange faltete sich hier wohl einmal wieder zu einem irdischen Lächeln! – –
Eine ähnliche Beschaffenheit hatte es vermutlich mit Quins Sir John Brute. Die Leute, die ihn hierin Garrick gleich setzten, und gar hier und da vorzogen, fügten hinzu, Quin wäre selbst eine Art von Sir John gewesen, und das machte, bei mir wenigstens, ihr Urteil sehr verdächtig. Es gehört Kraft dazu, einen Schwachen auf der Bühne gut vorzustellen, und Kenntnis der feinen Welt und des Wertes der guten Sitten, um den versoffenen, liederlichen Sir John, wenigstens für Leute von Welt und Geschmack zu machen. Es gibt leider! Sir Johne in allen Ständen und da, stelle ich mir vor, machte Quin den weidmännischen Taugenichts für die Fuchsjäger, Landjunker und Renommisten; Garrick hingegen den Taugenichts von Geburt und Stand für den Hof und Leute von Geschmack. Daß dieses ein Schauspieler oft tun könne, ohne dem Dichter zu nahe zu treten, ist gewiß nicht zu leugnen. Wie sehr ist z.E. nicht das langsame, schleppende hol' mich d...., das beim herabhangenden schweren Pfeifenkopf im Walde gesprochen wird, von dem schnellen, fast partikelmäßigen unterschieden, das zwischen ein paar artigen Lippen auf dem Billard oder der Parade hervor fliegt. Über das hat man aber auch starke Veränderungen mit dem Stück selbst gemacht. Noch muß ich anführen, daß so wie Garricks Feinde von der einen Seite ihm den Quin an die Seite setzen, weil der wirklich ein Sir John gewesen wäre, so habe ich sie auf der andern nachteilig auf Garricks Charakter schließen hören, weil er den Sir John Brute so gut spielte. Das letztere habe ich so gar in einem öffentlichen Blatte gelesen. Sie sehen also, daß Garrick noch täglich seine Rebhuhne findet. Aus dem, was ich hier angeführt habe, werden Sie leicht, ohne daß ich nötig hätte eine Summe zu ziehen, abnehmen, was das sagen [329] will: Weston und Quin tun es Garricken gleich. Die eine Partei schätzt den Wert des komischen Schauspielers nach der Größe des Kützels, den er ihnen verursacht, ohne zu untersuchen, ob er es als Schauspieler durch eine vorzügliche Auszeichnung seiner Rolle, oder als isolierter Hanswurst tut, und die andere verlangt aus Mangel an Geschmack oder Weltkenntnis allzu starke Züge, und findet bei dem sogenannten Allzunatürlichen ihre Rechnung oder gar im Affektierten. Solche Leute würden oft Garricken schlechtweg tadeln, wenn sie es sicher tun könnten, allein sie würden zu viel für ihren Kredit wagen, daher äußert sich ihr schlechter Geschmack und ihre Unerfahrenheit nur zuweilen darin, daß sie ihm einen schlechtern Schauspieler gleich setzen. Das gebe ich gerne zu (und wer wird es nicht zugeben?) daß Tausende nicht alles sehen, was Garrick zu sehen gibt, darin geht es ihm nicht um ein Haar besser, als seinen beiden nahen Geistesverwandten Shakespear und Hogarth. Um bei ihnen alles zu sehen, muß man zu der gewöhnlichen Erleuchtung noch sein eigenes Lichtchen mitbringen.
Was gibt denn aber nun diesem Manne die große Überlegenheit Der Ursachen, mein Freund, sind sehr viele, und ein sehr großer Teil derselben liegt in der höchstglücklichen Bildung des Mannes. Allein ob ich gleich ihre Wirkung in der Summe bis zum Hinreißenden mächtig gefühlt habe, so wage ich es doch nicht, sie in einem jeden gegebenen Fall zu analysieren. Es gehört mehr Kenntnis der Welt und mehr Übung in dieser Analyse dazu, als ich habe, und eine öftere Vergleichung, als ich anstellen konnte. Indessen, da einem manches im Umgange mit Menschen von allerlei Stand, Form und Anstand unvermutet klar werden kann (manches ist mir itzt schon deutlicher als es anfangs war) und ich den Mann in den Hauptsituationen mit Figur und Gesicht immer wie lebendig vor mir sehen kann, so könnte es sein, daß ich künftig einmal, wenn ich wieder bei Ihnen bin, etwas Zusammenhängenderes über ihn sagen könnte. Itzt müssen Sie es selbst hier und da aus meinen Briefen heraussuchen. Man hat mich einmal versichern wollen, daß hier ein Mann an einem Werk für die Schauspieler arbeite, das Regeln enthalten soll, von Garricken abstrahiert, aber durch Philosophie auf Grundsätze zurückgebracht, verbunden und geläutert. Ich habe nachher nichts wieder davon gehört. Wenn es an dem ist, so gebe der Himmel, daß der Mann ein Lessing ist, aber die sind leider! hier so selten als in Deutschland. [330] Er sollte noch jung sein, und das macht mir bange, denn auch hier wimmelt es so gut, als in Deutschland von jungen geniesüchtigen Originalköpfen, wie sie sich nennen, die ihr halb Ausgedachtes halb gesagt bei jeder Gelegenheit darbieten, ihren jungen schwärmerischen Anbetern zum Wonnegefühl, allein dem eigentlichen Denker, dem ihr Schwall von Götterprose nicht ein Körnchen Nahrung zuführt, zum Abscheu. Nun näher zur Sache.
Herr Garrick hat in seiner ganzen Figur, Bewegung und Anstand etwas, das ich unter den wenigen Franzosen, die ich gesehen habe, ein paarmal wenigstens zum Teil, und unter den vielen Engländern, die mir vorgekommen sind, gar nie wieder angetroffen habe. Ich meine hier Franzosen, die wenigstens über die Mitte des Lebens hinaus sind; aus der guten Gesellschaft, das versteht sich wohl. Wenn er sich z.E. mit einer Verbeugung gegen jemanden wendet, so sind, nicht der Kopf allein, nicht die Schultern, nicht die Füße und Arme allein beschäftigt, sondern jedes gibt dazu einen gemäßigten Anteil in der gefälligsten und den Umständen angemessensten Verhältnis her. Wenn er, auch ohne Furcht, Hoffnung, Mißtrauen oder irgend einen Affekt hinter den Szenen hervortritt, so möchte man gleich nur ihn allein ansehen; er geht und bewegt sich unter den übrigen Schauspielern, wie der Mensch unter Marionetten. Hieraus wird nun freilich niemand Herrn Garricks Anstand kennen lernen, den nicht schon etwa vorher das Betragen eines solchen wohlerzogenen Franzosen aufmerksam gemacht hat, in dem Fall wäre dieser Wink die beste Beschreibung. Folgendes wird die Sache vielleicht klärer machen. Seine Statur ist eher zu den kleinen als den mittleren zu rechnen und sein Körper untersetzt. Seine Gliedmaßen haben das gefälligste Ebenmaß und der ganze Mann ist auf die niedlichste Weise beisammen. Es ist an ihm kein dem geübtesten Auge sichtbares Gebrechen, weder in den Teilen, noch in der Zusammensetzung, noch in der Bewegung. In der letzteren bemerkt man mit Entzücken immer den reichen Vorrat an Kraft, der, wenn er gut gezeigt wird, wie Sie wissen, mehr gefällt als Aufwand. Es schleudere und schleift und schleppt nichts an ihm, und da, wo andere Schauspieler in der Bewegung der Arme und Beine sich noch einen Spielraum von sechs und mehr Zollen zu beiden Seiten des Schönen erlauben, da trifft er es mit bewundernswürdiger Sicherheit und Festigkeit, auf ein Haar. Seine Art zu gehen, die Achseln zu zucken, die [331] Arme einzustecken, den Hut zu setzen, bald in die Augen zu drücken, bald seitwärts aus der Stirne zu stoßen, alles mit der leichten Bewegung der Glieder, als wäre jedes seine rechte Hand, ist daher eine Erquickung anzusehen. Man fühlt sich selbst leicht und wohl, wenn man die Stärke und Sicherheit in seinen Bewegungen sieht, und wie allgegenwärtig er in den Muskeln seines Körpers scheint. Wenn ich mich selbst recht verstehe, so trägt sein untersetzter Körper nicht wenig dazu bei. Von dem starken Schenkel herab verdünnt sich das richtig geformte Bein immer mehr und schließt sich endlich in dem nettesten Fuß, den Sie sich denken können, und eben so verdünnt sich der starke Arm nach der kleinen Hand zu. Was das für eine Wirkung tun muß, können Sie sich leicht vorstellen. Allein diese Stärke ist nicht bloß scheinbar. Er ist wirklich stark und äußerst geübt und flink. In der Szene im Alchimisten, wo er sich boxt, läuft er und hüpft er von einem dieser netten Beine auf das andere mit bewundernswürdiger Leichtigkeit, daß man glaubt er schwebe, auch in dem Tanz in much ado about nothing, unterscheidet er sich vor andern durch die Leichtigkeit seiner Sprünge, als ich ihn in diesem Tanz sah, war das Volk so zufrieden damit, daß es die Unverschämtheit hatte, seinem Roscius encore zuzurufen. In seinem Gesichte sieht jedermann, ohne viel physiognomisches Raffinement, den glücklichen schönen Geist auf der heitern Stirne, und den wachsamen Beobachter und witzigen Kopf in dem schnellen, funkelnden und oft schalkhaften Auge. Seine Mienen sind bis zur Mitteilung deutlich und lebhaft. Man sieht ernsthaft mit ihm aus, man runzelt die Stirne mit ihm, und lächelt mit ihm; in seiner heimlichen Freude, und in der Freundlichkeit, wenn er in einem Beiseite den Zuhörer zu seinem Vertrauten zu machen scheint, ist etwas so Zutuliches, daß man dem entzückenden Manne mit ganzer Seele entgegen fliegt.
Von seiner Gabe das Gesicht zu verändern haben Sie vermutlich so wie ich, in Deutschland schon gehört. Der Enthusiasmus seiner Landsleute und der Reisenden hat wohl etwas hier zugesetzt, aber ich glaube doch, laß mehr als die Hälfte wahr ist, und das heißt ich für den Enthusiasmus gut observiert. Herr G. hat es allerdings hierin zum Erstaunen weit gebracht. Ich werde unter der Hand hiervon Beispiele geben, wenn ich ihn in besondern Rollen beschreibe; hier erwähne ich nur, daß mich z.E. im Sir John Brute, wo ich ihn ganz in der Nähe beobachtete, sein Mund aufmerksam machte, so bald [332] er auf die Bühne trat. Er hatte nämlich die beiden Winkel desselben etwas herab gezogen, wodurch er sich ein äußerst liederliches und versoffenes Ansehen gab. Diese Figur des Mundes behielt er bis ans Ende bei, nur mit dem Unterschiede, daß sich der Mund etwas mehr öffnete, so wie sein Rausch anwuchs; diese Figur muß sich also, in dem Manne, so mit der Idee eines Sir Johns Brutes assoziiert haben, daß sie sich ohne Vorsatz gibt, sonst, sollte man denken, müßte er sie einmal in dem Lärm vergessen, dessen er fürwahr in diesem Stück nicht wenig macht.
Nun bedenken Sie weiter: seit dem dieser vortrefflich gebildete und dabei mit allen Geistesgaben eines großen Schauspielers von der Natur ausgerüstete Mann, in seinem 24. Jahre, als Exkandidatus Juris, auf einmal auf dem Theater in Goodmansfields er schien, und gleich bei seiner ersten Erscheinung alle Schauspieler seiner Zeit zurück ließ, ward er der Abgott der Nation, die Würze der guten Gesellschaft und der Liebling der Großen. Fast alle die neuern englischen Schriftsteller, die man bei uns so sehr liest, nachahmt und nachäfft, waren seine Freunde. Er half sie bilden, so wie sie ihn wiederum bilden halfen. Der Mensch lag seinem beobachtenden Geiste offen, von dem ausgebildeten und ausgekünstelten in den Sälen von S. James' an, bis zu den Wilden in den Garküchen von S. Giles'. Er besuchte die Schule, in welche Shakespear ging, wo er ebenfalls, wie jener, nicht auf Offenbarungen paßte, sondern, studierte, (denn in England tut das Genie nicht alles, wie in Deutschland) London meine ich, wo ein Mann mit solchem Talent zur Beobachtung seinen Erfahrungssätzen in einem Jahre leicht eine Richtigkeit geben kann, wozu kaum in einem Städtchen, wo alles einerlei hofft und fürchtet, einerlei bewundert und einerlei erzählt, und wo sich alles reimt, ein ganzes Leben hinreichend wäre. Ich wundere mich daher gar nicht wenn sich dort zuweilen ein Mann bildet, dessen Werke hernach Leute an andern Orten und von mindrer Erfahrung zum Maßstab ihres Wachstums in der Kenntnis des Menschen gebrauchen können, ich meine, in denen man immer mehr findet, je mehr man selbst zur Lesung mitzubringen hat, sondern ich wundere mich, daß London nicht mehrere bildet, ich meine nicht mehrere Garricke oder Hogarthe oder Fieldinge, sondern Leute, die zwar etwas anderes wären, aber es so würden wie jene. Kenntnis der Welt gibt dem Schriftsteller in jeder Klasse Überlegenheit. Sie gibt, wo nicht in [333] allen Fällen seinem Was, doch immer seinemWie eine Stärke, gegen die der große nachahmende Zauberer nicht aufkomme, so sehr auch Er, oder sein Club oder sein Städtchen das Gegenteil glauben mag, und unter den Umständen glauben muß. Wenn man daher die Welt selbst etwas kennt, so wird man leicht gewahr, daß Garrick auf der Bühne von Kenntnissen Gebrauch macht, die man, dort gezeigt, fast weggeworfen nennen möchte, vermutlich aber nur so lange, als man ihrer selbst noch nicht viele wegzuwerfen hat. Denn es mag damals, als ich nach Garricken hinsah, noch manches Paar Augen nach ihm gesehen haben, das mehr in ihm erblickte als ich, oder wohl gar nicht einmal alles fand, was es suchte. Stellte G. z.E. den wollüstigen Fresser vor, und wollte mit den Fingern untersuchen, ob sein Kapaun oder sein Fasan zur völligen Reife am Spieß gediehen sei, so wollte ich wohl wetten, er sondierte ihn auch mit dem vierten Finger der linken Hand. In allen übrigen wäre dazu zu viel Stärke und zu wenig Gefühl. Man muß aber dergleichen Dinge selbst finden; wenn man sie andern beschreiben will, so läuft man oft grade alsdann, wenn man sich am weisesten dünkt, Gefahr lächerlich zu werden.
Außer den einem guten Schauspieler mehr wesentlichen Eigenschaften besitzt der Mann noch eine Menge anderer, womit man in allen Ständen des Lebens sein Glück macht und die Menschen hinführen kann, wo man sie hin haben will. Dahin rechne ich seine Gabe, einzelnen Menschen so wohl als dem Publikum seine Schwachheiten sehr geschwind abzumerken. Dieses setzt ihn in den Stand, in einem Notfall dem natürlichen Schönen noch den Zusatz von Konventionellen zu geben, ohne welches es in dem Jahr, ja ich möchte fast sagen, an dem Tage den Eindruck nicht gemacht haben würde, den es macht. Ich habe selbst bemerkt, daß wann ihm z. E. bei einem neuen Versuche der laute Beifall, oder die gewohnte Todesstille der Versammlung ausbleibt, so weiß er es sicherlich noch vor dem Schlusse der Handlung so zu wenden, daß sie erfolgen müssen.
Nun, mein lieber B. wenn Sie sich anders aus dem, was ich gesagt habe, schon einen Garrick haben bilden können, so folgen Sie mir itzt mit ihm in einige Szenen. Ich will heute, weil ich eben dazu aufgelegt bin, die aus dem Hamlet nehmen wo ihm der Geist erscheint. Sie kennen ihn schon in diesen Szenen aus Meister Rebhuhns vortrefflicher Beschreibung im Fündling. Die meinige soll jene nicht entbehrlich ma chen, sondern nur erklären:
[334] Hamlet erscheint in einem schwarzen Kleide, dem einzigen, das leider! noch am ganzen Hofe für seinen armen Vater, der kaum ein paar Monate tot ist, getragen wird. Horatio und Marcellus sind bei ihm und haben Uniform; Sie erwarten den Geist; die Arme hat Hamlet hoch untergesteckt, und den Hut in die Augen gedrückt; es ist eine kalte Nacht, und eben zwölfe; das Theater ist verdunkelt und die ganze Versammlung von einigen Tausenden wird so stille, und alle Gesichter so unbeweglich, als wären sie an die Wände des Schauplatzes gemalt; man könnte am entferntesten Ende des Theaters eine Nadel fallen hören. Auf einmal, da Hamlet eben ziemlich tief im Theater, etwas zur Linken, geht und den Rücken nach der Versammlung kehrt, fährt Horatio zusammen: Sehen Sie, Mylord, dort kommts, sagt er, und deutet nach der Rechten, wo der Geist schon unbeweglich hingepflanzt steht, ehe man ihn einmal gewahr wird. Garrick, auf diese Worte, wirft sich plötzlich herum und stürzt in demselben Augenblicke zwei bis drei Schritte mit zusammenbrechenden Knien zurück, sein Hut fällt auf die Erde, die beiden Arme, hauptsächlich der linke, sind fast ausgestreckt, die Hand so hoch als der Kopf, der rechte Arm ist mehr gebogen und die Hand niedriger, die Finger stehen aus einander, und der Mund offen, so bleibt er in einen großen aber anständigen Schritt, wie erstarrt, stehen, unterstützt von seinen Freunden, die mit der Erscheinung bekannter sind, und fürchteten, er würde niederfallen; in seiner Miene ist das Entsetzen so ausgedruckt, daß mich, noch ehe er zu sprechen anfing, ein wiederholtes Grausen anwandelte. Die fast fürchterliche Stille der Versammlung, die vor diesem Auftritt vorherging, und machte, daß man sich kaum sicher glaubte, trug vermutlich nicht wenig dazu bei. So spricht er endlich, nicht mit dem Anfange, sondern mit dem Ende eines Odemzugs und bebender Stimme: Angels and ministers of grace defend us! Worte, die alles vollenden, was dieser Szene noch fehlen könnte, sie zu einer der größten und schrecklichsten zu machen, deren vielleicht der Schauplatz fähig ist. Der Geist winkt ihm, da sollten Sie ihn sich von seinen Freunden, die ihn warnen nicht zu folgen und fest halten, los arbeiten sehen, immer mit den Augen auf den Geist, ob er gleich mit seinen Gefährten spricht. Aber endlich, da sie es ihm zu lange machen, wendet er auch sein Gesicht nach ihnen, reißt sich mit großer Heftigkeit los, und zieht mit einer Geschwindigkeit, die einen schaudern macht, den Degen [335] gegen sie: by heaven I'll make a ghost of him, that lets me, sagt er. Das ist genug für sie; alsdann legt er den Degen gegen das Gespenst aus: go on I'll follow thee: so geht der Geist ab. Hamlet steht noch immer still, mit vorgehaltenem Degen, um mehr Entfernung zu gewinnen, endlich da der Zuschauer den Geist nicht mehr sieht, fängt er ihm an langsam zu folgen, stehe zuweilen still und geht dann weiter, immer mit ausgelegtem Degen, die Augen starr nach dem Geist, mit verwirrtem Haar und noch außer Odem, bis er sich ebenfalls hinter den Szenen verliert. Mit was für einem lauten Beifall dieser Abzug begleitet wird, können Sie sich leicht denken. Er fängt an, so bald der Geist fort ist, und dauert bis Hamlet ebenfalls verschwindet. Was das für ein Triumph ist! Man sollte denken ein solcher Beifall auf einem der ersten Schauplätze der Welt und vielleicht von dem gefühlvollsten Publikum der Welt, müßte jeden Funken von Schauspielergenie in einem Zuschauer zu Flammen fachen. Allein da sieht mans, so handeln, wie Garrick, und so schreiben, wie Shakespear, sind Wirkungen von Ursachen, die sehr tief liegen. Sie werden freilich nachgeahmt, nicht sie, sollte man sagen, sondern das Phantom, das sich der Nachahmer nach Maßgabe seiner eigenen Kräfte von ihnen schafft. Dieses erreicht er oft, übertrifft es wohl gar, und bleibt dem ohngeachtet weit unter dem wahren Original. Der Weißbinder hält sein Werk für so vollkommen, als der Maler das seinige, oder wohl gar für vollkommner. Nicht jeder Schauspieler, der die flachen Hände von ein paar hundert Menschen allezeit zu kommandieren weiß ist deswegen ein Garrick, und nicht jeder Schriftsteller, der ein paar so genannte Heimlichkeiten der menschlichen Natur, in einer altväterischen Prose, und mit Prunkschnitzern gegen Sprache und gute Sitten auszuplaudern gelernt hat, ist deswegen ein Shakespear.
Der Geist wurde von Herrn Bransby vorgestellt. Er erschien allemal sehr gut, ganz über und über in einem Harnisch, den man durch einen Anzug von stahlblauem Atlas ausdrückt; selbst von dem Gesicht sieht man nichts als die bleiche Nase und etwas weniges zu beiden Seiten derselben.
Dieses mag für heute von Herrn Garrick genug sein, aber schließen kann ich unmöglich, ohne einmal nach den Schauspielern meines Vaterlandes zurück zu sehen. Einige meiner Freunde in Deutschland haben befürchtet, ich möchte mich durch mein häufiges Besuchen der englischen Schauplätze so verwöhnen, daß ich an den [336] deutschen künftig keinen Geschmack mehr finden könnte. Dem Himmel sei Dank! einen solchen Baderstolz hat mir mein bißchen Reisen noch nicht beigebracht, und der müßte es sein, oder noch was Schlechters, wenn ich bei meiner itzigen Überzeugung die Verdienste unserer Schauspieler verkennen wollte. Gerade umgekehrt, ich werde künftig die braven Leute noch weit mehr bewundern, als ehemals, da sie es in den Umständen, in welchen sie sich gemeiniglich bei uns befinden, so sehr weit gebracht haben, wie ich itzo besser, als ehmals, einsehe. Unter denen, die ich in Göttingen, Hannover und Hamburg gesehen habe (die andern Schauplätze kenne ich nicht) könnten nicht allein viele in Drurylane mit spielen, sondern einige würden sogar Aufsehen machen. Ein so allgemeiner Schauspieler als z.E. Herr Ekhof, ist, wenn ich Herrn Garrick ausnehme, auf dem englischen Theater itzt schlechterdings nicht, ob es gleich noch viele gibt, die es in besondern Rollen sehr weit wo nicht zur Vollkommenheit gebracht haben. Z. E. in Drurylane, King, Smith, Dodd, Parsons, Palmer, und hauptsächlich der drollige Weston; alsdann in Coventgarden, Barry, Lewis (der zu einem guten allgemeinen Schauspieler Hoffnung gibt), Lee, Macklin, Shuter und Woodward. Allein gleich Herr Smith in Drurylane, ein ziemlich beliebter Schauspieler und schöner Mann, der auch zu Anfang des Winters, ehe Garrick sich sehen läßt und gegen das Ende, wenn er wieder verschwindet, dessen Rollen, Hamlet, Richard III. etc. mit vielem Beifall spielt, ist weit unter Herrn Ekhof. Die Ursache ist, er hat seine Kunst auch nicht an der Quelle geholt, er ist der Kenner des Menschen nicht, der Herr Ekhof sein muß. Dieses wird aus folgender Anekdote erhellen, die mir ein glaubwürdiger Mann erzählt hat. Vor mehreren Jahren, da freilich Herr Smith der Mann noch nicht war, der er itzo ist, erschrak er zwar als Hamlet in der oben beschriebenen Szene, zog aber zugleich aus Respekt gegen den Geist seines gnädigsten Herrn Vaters den Hut mit einer tiefen Verbeugung ab. Sehen Sie, so gehts den Leuten zuweilen unversehens, die glauben, sie könnten mit Nachahmen auskommen. So etwas hätte Herr Ekhof in seinem 12. Jahre nicht getan und nicht tun können. Aber dafür kriegte auch Herr Smith damals den Namen Monsieur Hamlet ab, den man ihm nun wieder vergessen hat.
Den Tod der jüngeren Mamsel Ackermann habe ich in einem englischen Blatte vor einigen Monaten nicht ohne die größte Bewegung [337] gelesen. Ist das nicht traurig, mein lieber B.? Ich mag es nicht über mich nehmen zu untersuchen, welcher englischen Schauspielerin sie hätte gleich werden können: itzt wäre es ein trauriges Geschäft, und allemal würde es ein schweres gewesen sein. Von ihrem Alter ist keine da, die das wäre, was sie war, und die zwo oder drei der älteren, die sie itzt übertreffen, hätte sie unter gleichen Umständen vielleicht in ihrem 25. Jahre alle übertroffen. Sie hat uns indessen gezeigt, was wir in Deutschland mit unsern Treibhäuschen ausrichten können. Wie wenn nun unsere Pflanzen erst gar die Sonne hätten, die sie in England haben, wo sie noch außerdem vor dem Strahl sicher sind, für den bis itzt in Deutschland noch kein Franklin einen Ableiter gefunden hat, obgleich manche Stadt und manches Städtchen seinen Richmann zählt, der für den Vorwitz mit ihm spielen zu wollen, mit seinem Verderben hat büßen müssen.
Ich bin etc.
G.C.L.