Bodmer-Wieland, Edward Grandisons Geschichte in Görlitz
[249] [248][Johann Jacob Bodmer, Christoph Martin Wieland:] Edward Grandisons Geschichte in Görlitz. Berlin bei Chr. Fried. Voß 1755. In 8vo. 8 Bogen. Wir wollen es nur gleich sagen, daß diese Schrift etwas ganz anders enthält, als der Titel zu versprechen scheinet. Der Name Grandison wird an eine Geschichte denken lassen, in welcher die Kunst ihre größte Stärke angewandt hat, das menschliche Herz auf allen Seiten zu rühren, um es durch diese Rührung zu bessern. Wenn nun der Leser so etwas erwartet, wider Vermuten aber eine kleine Geschichte des Geschmacks unter den Deutschen findet, so wird er sich zwar Anfangs getäuscht glauben, allein am Ende wird er diese Täuschung doch ganz gerne zufrieden sein. Wir haben dieses zu vermuten, um so vielmehr Grund, je lebhafter wir überzeugt sind, daß die jetzt herrschenden Streitigkeiten in dem Reiche des deutschen Witzes nirgends so kurz, so deutlich, so bescheiden, als in diesen wenigen Bogen, vorgetragen worden. Die Verfasser sind dabei in ihrer Unparteilichkeit so weit gegangen, daß sie einem Gottsched und einem Schönaich weit mehr Einsicht beilegen, weit mehr Gründe in den Mund geben, als sie jemals gezeigt haben, und sie ihre schlechte Sache weit besser verteidigen lassen, als es von ihnen selbst zu erwarten steht. Ein wie viel leichters Spiel würden sie ihren Widerlegungen und ihrer Satyre haben [248] machen können, wenn sie die Einfalt des einen in allem ihren diktatorischen Stolze, und die Possenreißerei des andern in aller ihrer wendischen Grobheit aufgeführet hätten. Doch sie wollten ihre Leser mehr überzeugen, als betäuben; und der Beitritt eines einzigen, den sie durch Gründe erzwingen, wird ihnen angenehmer sein, als das jauchzende Geschrei ganzer Klassen, wo es gutherzige Knaben aus Furcht der Rute bekennen müssen, daß Gottsched ein großer Mann und Schönaich ein deutscher Virgil sei. Kostet in den Vossischen Buchläden hier und in Potsdam 3 Gr.