Jakob Michael Reinhold Lenz
Rezension des Neuen Menoza

von dem Verfasser selbst aufgesetzt

[414] Es ist eine mißliche Sache von sich selber zu reden, wenn's aber nicht anders sein kann, und man sich durch Stillschweigen bei Welt und Nachwelt von dem Verdacht der Unmündigkeit nicht lossagen könnte, so wird man freilich in die traurige Notwendigkeit versetzt, mit den andern Gukuken mit anzustimmen. Ich nenne einen Menschen unmündig, der von seinen Handlungen nicht Rechenschaft zu geben im Stande ist, und da andre mit ihrem Selbst zu sehr beschäftigt sind, mir diesen doch nicht unverdienten Dienst zu erweisen: so muß ich freilich selber hinter dem Vorhang hervorgehn, und meinem deutschen Vaterlande dartun, daß ich mit andern unberufnen Schmierern ihm wenigstens nicht beschwerlich worden bin. Alles fodert mich dazu auf, die gänzliche Vernachlässigung, und darf ich's sagen stillschweigende Gleichgültigkeit oder vielmehr Mißbilligung derer, die ich als den edlern Teil desselben vorzüglich verehre, auf der einen; der Mißverstand, das falsche schielende Lob, der ungegründete Tadel gewöhnlicher Kunstrichter auf der andern Seite. Ich habe einen Freund, der sich Ruhm genug im Vaterlande erworben hatte, um zu meinem ersten Stücke seinen Namen herzugeben, und es so vor den niederschlagenden Beleidigungen und Anschielungen nirgends autorisierter Richter sicher zu stellen, ohne daß ich nötig gehabt durch Kabalen und Kunstgriffe, deren diese Herren gewohnt sind, ihre Gunst zu suchen. Ich bin der Ehre meines Freundes diese öffentliche Verteidigung meiner selbst schuldig: Er ist es, der meine Stücke, die ich ihm zu einer unschuldigen Ergötzung in der Handschrift zugeschickt, ohne mein Wissen und Zutun der Welt mitgeteilt: damit man nun nicht etwa glaube, ich habe hinter seinem Namen Schutz gesucht, und [414] ihn aus seiner Gesellschaft nachteilig beurteile, will ich hiemit jedermann sagen, was ich von meinem Stück selber halte. Vorzüglich aber seh ich mich gedrungen neuauftretende Dramenschreiber in den Standpunkt zu stellen, aus dem sie meine bisherigen Arbeiten fürs Theater anzusehn haben, damit sie nicht etwa glauben, ich habe mich von den Einflüssen eines glücklichen oder unglücklichen Ohngefährs blindlings regieren lassen, nieder zu schreiben was mir in die Feder kam. Ich habe etwa durch ihnen unbekannte Mittel das Geheimnis gefunden, mir die Freundschaft eines oder des andern berühmten Mannes, und mittelst derselben Ruhm und Ansehn beim Publikum zu erwerben (worüber ich mich zur Zeit noch nicht beschweren kann), und sei dieses der Weg, auf dem sie mir nachzugehn hätten. Ich verachte diesen Weg und hier ist es der Ort, wo ich's einmal öffentlich sagen muß.

Mich wunderte der Kaltsinn im geringsten nicht, mit welchem das Publikum meinen Menoza aufgenommen: jedermann sieht leicht ein, daß ich mir nichts Gelinderes von demselben gewärtigen konnte. Ein Prinz, der ohne den geringsten Anteil, mit dem kalten Auge eines Beobachters, aber eines Beobachters, dem darum zu tun war, Wahrheit, Größe und Güte zu finden, von allen marktschreierischen Nachrichten, die ihm Jesuiten und Missionarien gaben, auf die höchste Erwartung gespannt, quer durch mein Vaterland reist und darinnen nun nicht viel findt, wenigstens das nicht findt, was er suchte, konnt' in demselbigen sein Glück nicht machen. Es konnte an ihm gelegen haben, daß er die Vorzüge desselben nicht so aufempfand, aber niemand hat sich doch noch die Mühe gegeben, ihm dieses anschaulicher zu beweisen als der Herr v. Biederling. Vielleicht hat ihn niemand der Mühe wert gehalten, indessen behält doch immer sein persönlicher Charakter, der ganze Entwurf und Endzweck seiner Reise mit dem unüberwindlichen und aushaltenden Entgegenstreben gegen alle Fährlichkeiten, Leiden, Verkennungen [415] und Mißdeutungen, Anzügliches und Hochachtungswürdiges genug, um von denen, die sich von der Spreu in Kot getretner Menschen unterscheiden wollen, nachgeahmt zu werden. Ein Mensch, der alles, was ihm vorkommt, ohne Absichten schätzt, und in dem Maß als seine nicht versäumten Kenntnisse und Talente zureichen, ist, wenn er andern Leuten seine Urteile nicht aufdringen will, wie unsre Journalisten, immer ein hochachtungswürdiger, in unserm eigennützigen Jahrhundert der einzige hochachtungswürdige Mensch.

Von der Seite hätt' ich also wider die Kunst nicht verstoßen, das Publikum für meine Hauptperson einzunehmen, sobald das Publikum sich nur Zeit nimmt, oder ihm Zeit gelassen wird darüber nachzudenken. Aber da stehn freilich viel andre Sachen im Wege. Ich habe gegen diesen Menschen gewöhnliche Menschen meines Jahrhunderts abstechen lassen, aber immer mit dem mir einmal unumstößlich angenommnen Grundgesetz für theatralische Darstellung, zu dem Gewöhnlichen, ich möcht es die treffende Ähnlichkeit heißen, eine Verstärkung, eine Erhöhung hinzuzutun, die uns die Alltagscharaktere im gemeinen Leben auf dem Theater anzüglich interessant machen kann. Ich kann also dafür nicht, wenn Donna Diana gewissen Herren zu rasen scheint, die die menschliche Natur nur immer im Schnürleib des Etikette zu sehen gewohnt sind, und daß es solche Empfindungen gebe, können die, die in ähnlichen Umständen gewesen sind, doch nicht in Abrede sein.

Ich kann dafür nicht, wenn andre im Grafen Camäleon einen unnatürlichen Bösewicht zu finden glauben, da wir doch Dichtungen dieser Art in der neusten Geschichte unsrer Tage überall, leider sowohl in südlichen als nördlichen Ländern, durch die Erfahrung häufig bestätigt finden. Glaubt man etwa, ich habe aus der Luft gegriffen, was bei mir halbe Authentizität eines Geschichtschreibers ist? Ich habe nur den Grafen Camäleon erträgliche Farben geben wollen, um unser Auge nicht zu [416] beleidigen. Das ist es, was ich schöne Natur nenne, nicht Verzuckungen in willkürliche Träume, die nur der schön findet, der wachend glücklich zu sein verzweifeln muß.

So habe ich überall gemalt. Ich hoffe, die häufigen Zieraus unsers Vaterlands werden's sich für eine Ehre halten, so dargestellt zu sein, soviel Beobachtungsgeist mit ihrem gewöhnlichen literarischen Geschwätz zu verbinden. Sähen die Herren es lieber, daß man ihre Blößen empfindlicher aufdeckte, so hängt Popens Geißel noch ungebraucht an der Wand: Wer weiß, wer sie einmal über Deutschland schwingt.

Beza ist der waisenhäuserische Freudenhässer, bloß weil es Freude ist, und er keinen schon in diesem Jammertal glücklichen Menschen leiden kann. Ich habe ihm den Anstrich von der orientalischen Modeliteratur gegeben, um ihn interessant zu machen. In der Tat lassen sich die beiden Extreme sehr wohl vereinigen, obschon ich in einer neuen Auflage des Menoza, die mir aber meine Freunde widerraten, aus den scheinbaren Widersprüchen dieses Charakters zwei neue für sich bestehende Charaktere zu schaffen willens war. Denn sobald der Gesichtspunkt des Theologen untheologisch ist, sind alle seine Aussichten verschoben, mag er nun von sanguinischen oder melancholischen oder hypochondrischem Temperament sein.

Herr Wieland irret sich, wenn er glaubt, daß ich in keiner andern Maske auftreten könne, um unsre heutige theatralische Kunst lächerlich zu machen, als der des Bürgermeister in Naumburg. So wie er sich irrt, wenn er Rotwelsch für meine Muttersprache hält. Und ich hoffe, wenn er sich die Mühe nähme dieses Rotwelsch (ich meine die A. ü. d. Th.) von Anfang bis zu Ende durchzulesen, er würde finden, daß er sich auch darin geirrt, daß ich ihn ausgeschrieben. Das ist überhaupt der Fehler eben nicht, den man mir vorzuwerfen haben wird, wenigstens sagt mir mein Gewissen nichts davon.

[417] Das zu Romantische, das mehr als Englische und Spanische dieses Stücks, ist mir, ich muß es sagen, noch halb ein Rätsel, und wenn der Vorwurf gegründet wäre, eine der ersten Erfordernisse des Gegenstandes. In einem Stück, wo der Hauptheld höchst romantisch ist, muß alles übrige mit ihm nicht zu sehr absetzen, oder die ganze Harmonie schreit. Wir finden sogar in dem natürlichen Lauf der Dinge eine gewisse Übereinstimmung, einen Zusammenstoß seltsamer und außerorderlicher Begebenheiten, das auch das Sprichwort veranlaßt hat: kein Unglück kommt je allein. Bei einer Familie, die so aus ihrem Schwunge gebracht war wie die Biederlingsche, waren ungewöhnliche Schicksale der Kinder auch eben nichts Übernatürliches noch Unbegreifliches. Vertauschungen sind ja auch auf der Bühne nichts Fremdes, Giftmischereien nichts Unerhörtes. Deutlicher hätt' ich in der Erzählung der Umstände sein können, die den Grafen dahin gebracht, durch Gustav den Vater seiner Donna, in Madrid, mit einem sogenannten Sukzessionspulver vergiften zu lassen, um desto bequemer mit ihr und seinem ganzen Vermögen entfliehn zu können, wenn ich nicht überhaupt alle Erzählungen auf dem Theater haßte. Indessen ist das in der Tat ein Fehler, den ich mir anrechne und der der Katastrophe im vierten Akt vielmehr Licht und Wahrheit würde gegeben haben. Ich möchte immer gern der geschwungnen Phantasei des Zuschauers auch was zu tun und zu vermuten übrig lassen, und ihm nicht alles erst vorkäuen. Gustav, das Werkzeug der Frevel seines Herrn, bestraft ihn dadurch, daß er sich im Augenblick der höchsten Reue selbst bestraft. Wiewohl diese Entwickelung ist zu ernsthaft für eine Komödie, ich will mich also darüber erklären.

Ich nenne durchaus Komödie nicht eine Vorstellung die bloß Lachen erregt, sondern eine Vorstellung die für jedermann ist. Tragödie ist nur für den ernsthaftern Teil des Publikums, der Helden der Vorzeit in ihrem Licht anzusehn [418] und ihren Wert auszumessen im Stande ist. So waren die griechischen Tragödien Verewigung merkwürdiger Personen ihres Vaterlandes in auszeichnenden Handlungen oder Schicksalen; so waren die Tragödien Schackespears wahre Darstellungen aus den Geschichten älterer und neuerer Nationen. Die Komödien jener aber waren für das Volk, und der Unterscheid von lachen und Weinen war nur eine Erfindung späterer Kunstrichter, die nicht einsahen, warum der gröbere Teil des Volks geneigter zum Lachen als zum Weinen sein, und je näher es dem Stande der Wildheit oder dem Hervorgehn aus demselbigen, destomehr sich seine Komödien dem Komischen nähern mußten. Daher der Unterschied unter der alten und neuen Komödie, daher die Notwendigkeit der französischen weinerlichen Dramen, die alle Spöttereien nicht hinwegräsonnieren können, und die nur mit totalem Verderbnis der Sitten der Nation ganz fallen werden. Komödie ist Gemälde der menschlichen Gesellschaft, und wenn die ernsthaft wird, kann das Gemälde nicht lachend werden. Daher schrieb Plautus komischer als Terenz, und Moliere komischer als Destouches und Beaumarchais. Daher müssen unsere deutschen Komödienschreiber komisch und tragisch zugleich schreiben, weil das Volk, für das sie schreiben, oder doch wenigstens schreiben sollten, ein solcher Mischmasch von Kultur und Rohigkeit, Sittigkeit und Wildheit ist. So erschafft der komische Dichter dem tragischen sein Publikum. Ich habe genug geredt für die, die mich verstehen wollen, und verstehen können. Ich spreche hier keinem einzigen Künstler was ab, sondern will bloß die Grundsätze meiner Kunst, die ich mir von den berühmtesten alten Künstlern abgezogen, und lange mit ganz warmer teilnehmender Seele durchdacht habe, dem Publikum vorlegen. Wer bedenkt, was das Theater für Einflüsse auf eine Nation haben kann, wird sich mit mir für eine Sache interessieren, die in Theaterzeitungen und Almanachen gewiß nicht ausgemacht werden wird. [419] Ich habe nie ans Publikum etwas gefodert, ich weiß auch nicht, ob einige meiner Stücke, die hie und da bei meinen Freunden in Handschriften liegen, Verleger finden werden. Mögen meine Freunde damit machen was sie wollen, nur begegne man mir, der nie Vorteile bei seinen Autorschaften gesucht, noch erhalten hat, sondern ewig das güldne angustam amice pauperiem pati studieren wird, nicht als einem Menschen, den man ums Brod beneidet.

[420]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Lenz, Jakob Michael Reinhold. Essays und Reden. Rezension des Neuen Menoza. Rezension des Neuen Menoza. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-E3B1-1