[8] Erste Ekloge

Der Vorabend

[9][11]
»Freundlicher Bote, woher? und was bringst du uns Neues?« – »Ein Briefchen
Bring' ich an Jungfer Jucunden« – »Gewiß von der gütigen Pathinn,
Ganz gewiß von Fräulein von Thurn! So gieb denn, ich bitte,
Mir gieb, Lieber, den Brief. Nicht fern' ist die Schwester. In Garten
Sah ich sie gehn. Flugs lauf' ich ihr nach, und bring' ihr das Briefchen.«
Also das blühende Kind; und stand aufschauend. Nicht ungern
Reichte der Diener der Kleinen das Blatt. Sie ergrif es, sie hüpfte
Freudig davon, hielt hoch es empor, und als sie die Schwester
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Kaum bey den Bohnen erblickt. – »Jucunde, liebe Jucunde,
Rief sie von weiten ihr zu, ich bringe dir Schönes. Ein Briefchen
Bring' ich von Thecla von Thurn. So laß nun hören, du Gute,
Ob auch die Pathinn mich grüßt, ob sie etwa mein noch gedenk ist.«
Lächelnd empfing aus des Mägdleins Hand die holde Jucunde,
Lächelnd entfaltete sie das zierlichgebrochene Briefchen,
Das nur wenige Zeilen enthielt: »Ich habe dich, Traute,
Ganz nothwendig zu sprechen. Ich will, wenn kühler der Tag wird,
Und das Gewitter, das fern in Süden gährt, nicht heraufkommt,
Unter dem Kreuzdorn seyn auf dem Hünenmaale. Verlangend
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Werd' ich von dort nach dir ausschaun.« So schrieb es das Fräulein.
Aber Jucunde, zu Trost der still aufmerkenden Schwester,
Setzete eignes Geheißes hinzu: »Und daß du mir ja nicht
Thecla zu grüssen vergessest, das liebe Pathchen.« – Wohl wußt' ich,
Rief aufjauchzend die Kleine, »daß Thecla von Thurn mir noch gut ist.
Aber, Jucunde, du nimmst mich doch mit?« – »Recht gern, wenn der Vater
Dir es erlaubt, und der Schlaf.« – Und Thecla: »Leider, du Traute,
Hat mir noch jüngst der Schalk das Bischen Freude verkümmert,
Das mir der Vater gegönnt. Doch dißmal täusch' ich den Täuscher.«
Also das fröhliche Kind. Und länger nicht säumend, entsprang sie
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Streifte den Garten entlang, die Libellen verfolgend, die schlanken
Schillernden, dunkel beschwingten, die hiehin gaukelnd und dorthin
Neckisch sie lockten von Beet zu Beet, von Hecke zu Hecke,
Bis sie ermüdet zuletzt abließ von der eitlen Verfolgung.
In ihr Gemach indeß schlich Theclens Schwester, in wenig
Herzlichen Zeilen versprach sie zu kommen der edelen Freundinn,
Siegelte dann und entließ nicht ungelabet den Boten.
Herzlich verlangte Jucunden, die Freundinn zu sehn; nicht wenig
Wunderte sie, was doch so Angelegnes und Heimlichs
Anzuvertraun das Fräulein ihr hab' in traulicher Dämmrung.
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Aber noch hatte gar viel zu beschicken die wirthliche Jungfrau
Eh' ihr der Musse zu pflegen geziemt' und des heitern Spatziergangs,
Hatte noch manches zu wässern der Beet' im durstenden Garten,
Noch zu besorgen das Mahl den spatheimkehrenden Schnittern,
Noch zu warten des Vaters, des Schriftvertieften, dem oblag,
Morgen das Wort zweymal zu verkündigen; erst in der Kirche,
Draussen danächst am Gestade des Meers. So wollt' es die Sitte.
Auch auf den morgenden Tag, den Tag des Herrn und der Ruhe,
Hatte noch vieles zu richten die wirthschaftkundige Jungfrau.
Klüglich jedoch eintheilend die Zeit, die schnellen Minuten
Karg aussparend, gelang es dem haushaltkundigen Mägdlein
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Jegliches Ding zu thun in seiner gebührenden Ordnung.
Aber auch Thecla, bedacht, zu helfen der wirthlichen Schwester,
Eifrig bemüht, zu fördern den anmuthreichen Spatziergang,
Schafft' und rüstete viel; sie rannte hiehin und dorthin,
Lokte die Hühnchen herbey aus jeglichem Winkel des Hofes,
Fütterte sie freygebigen Wurfs, und als sie gesättigt,
Sperrte sie sorgsam sie ein, die Rückkehr fürchtend des Marders,
Der ihr noch jüngst die Glucke gewürgt mit den piependen Küchlein.
Als sie die Starke hierauf getränkt mit dem Stern auf der Stirne,
Blume nur ward sie genannt, und es gab sie Theclen der Vater,
Half sie der Schwester bereiten das Mahl; das zierliche Tischchen
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Deckte sie nett und behende; zur Linken für sich, für die Schwester
Rechter Hand; zu oberst, wie sichs gebührte, dem Vater,
Welcher gewahrend des Töchterchens Fleiß, manch kosendes Wörtchen
Zu ihr sprach, aufschauend vom Buch und die Wangen ihr streichelnd.
Aber die Stunden entflohn, wie geflügelt. Klopfenden Herzens
Schaute zum öftern Jucunde hinaus, ob etwa die Sonne
Hinter den Bergen bereits sich senkte des Bernsteineylands.
Bang aufathmend, befahrend das Schlimmere, schaute die Jungfrau
Oefter zum gährenden Süden hinab, sie wähnete mehrmals
Flimmen die Leuchtung zu sehn, fernher schon zu hören des Donners
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Dumpfes Gerolle, der Freundinn und ihr verkümmernd die Freude.
Aber das Wetter verzog. Das Gewölk sank. Fern aus der See her
Hauchet' erquickendes Kühl. Von des Ostwind Athem gehoben,
Rauschte das Meer, und golden und roth ging unter die Sonne.
Alsbald ruhte die Sens'; es ruheten Rechen und Wiesbaum.
Losgeschirrt von der Arbeit Joch für heut und für morgen,
Kehrete fröhlichen Muths jetzt heim, was willig der Woche
Lasten getragen so früh als spat. Auch die Leute des Pfarrherrn,
Die ihm den Waizen gemäht auf dem Neubruch; drängenden Wuchses
Brauste die Saat, und es deckte das Schwad jetzt rings die Gebreite;
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Dies' auch kehreten heim nunmehr, und grüßten des Hauses
Rosige Töchter mit Sensengeklirr; die fröhlichen Dirnen
Brachten gewaltige Kränz', aus Träms' und Rade geflochten,
Wanden den sträubenden Mägdlein die furchtbar brennenden Kränze
Um den geschlanken Leib kreuzweis' und die blendenden Schultern.
Also geschmückt nun führten die Mägdlein die schäkernde Menge
Zum gastfreundlichen Tisch, den sie selbst mit reinlicher Leinwand
Sorgsam gedeckt, auch selbst mit der Speisen Fülle belastet.
Längst den Tischen nun saßen sie hin in geziemender Ordnung,
Falteten Sittig die Händ'; und nachdem der hütende Junge,
Wie es dem Jüngsten geziemt, das Aller Augen gesprochen,
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Schmauseten all' in behaglicher Muß'. Es neidete keiner
Um die Erquickung des Tranks und der Speise Labung den Andern.
Als das Gesinde besorgt nun war, und reichlich befriedigt,
Lud auch Thecla den Vater zum Mahl, und der gütige Vater
Setzete sich zum traulichen Tisch. Zur Rechten und Linken
Saßen die Töchterchen ihm, die Einzigen, welche von Sieben
Ihm das Verhängniß gespart. In des Lebens Knospe gebrochen,
Ruhten die Fünf im Ring des Kirchhofs. Zwischen den Fünfen
Ruhete, welche die Sieben gebahr. Das Leben der Jüngsten
Bracht' ihr den Tod vorzeitig. Des Mägdleins offenes Auge
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Sahe die Sterbende noch, und schloß getröstet das Ihre.
Oft noch füllete sich seitdem das Auge des Vaters,
Wenn er das Kind ansah, das ihn so theuer gekostet;
Aber er liebt' es nicht minder darum. Er liebt' in Jucunden
Seiner Entschlafenen frühestes Pfand, in Thecla ihr Letztes.
Diese nun saßen vereint am gastlichen Tischchen. Umher war
Trauliche Dämmrung, erhellt vom abendröthlichen Schimmer.
Höher glüht' in dem rosigen Schein die Wange der Mägdlein;
Zwischen den Blühenden saß verklärteren Auges der Vater.
Manches sinnige Wort jetzt tauschten sie, manches gescherzte;
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Nichts Unzeitigs; es pflegt' auch in des Scherzes Umhüllung
Ernstern Sinn der Vater zu bergen und freundliche Weisung.
Als nach genossenem Mahl von ungefähr nun der Blick ihm
Nieder auf Thecla sank, die da saß sinnend, begann er:
»Thecla, ich seh' es ihr an, trägt Heimliches tief im Gemüthe.
Schauet sie doch so sinnend hinab zum Busen; herauf dann
Blickt sie bedeuten nach mir! Sag' an, was hast du, mein Mädchen«?
Also der Vater. Und schnell sprang Thecla auf. Aus dem Schenktisch
Holte die Kleine das Körbchen hervor, das zierlich geflochtne,
Mit den erlesensten Kirschen gefüllt, den schwellendsten, reifsten,
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Welche sie sorgsam gebettet auf duftigen Blättern des Weinstocks.
Ernsthaft dann, in Händen das zierlich geflochtene Körbchen,
Trat sie heran und sprach die wohlerwogenen Worte.
»Diese sind dein, mein Vater! Es sind die Ersten des Bäumchens,
Welches der Gärtner für mich gepflanzt aus Juliusruhe.
Sorgsam hab' ich das Bäumchen gepflegt; ich habe die Käfer
Von den Blüthen geschüttelt mit Vorsicht, habe den Sperling
Emsig hinweg gescheucht von den reifenden Früchten. Nur wenig
Hab' ich mir selber zu kosten erlaubt. Die meisten und schönsten
Bring' ich, und bitte zugleich, du wollest Thecla vergönnen,
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Mit Jucunden zu gehn gleich jetzt zum Hügel der Hünen.
Thecla von Thurn wird auch dort seyn. Sie hat es geschrieben.«
Also sprach sie, und reichte dem Vater das zierliche Körbchen
Sittig sich neigend; es sprach die scherzenden Worte der Vater;
»Hätt' ich doch nimmer gedacht, daß mein kaum lallendes Mägdlein
Schon auf Bestechungen sinnt, und süß bethörende Reden.
Ihrer mich zu erwehren, bekenn' ich für heute zu schwach mich.
Deine Kirschen, mein Kind, zusammt der zierlichen Rede
Sollen Gnade finden vor mir. Du magst mit Jucunden
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Gehen, wohin es geliebt ... Geht immer Kinder, und grüßt mir
Herzlich grüsset mir Thecla von Thurn, die klug ist und gütig.
Also der Vater; und froh der Vergünstigung, eilte die Kleine,
Abzuräumen sofort des Tisches schöne Geräthe,
Während der Vater hinaus vor die Thür trat, unter den Bäumen
Wandelnd im Abendkühl, zu pflegen frommer Betrachtung.
Aber Jucunde, nachdem sie die schönen Geräthe beseitigt,
Ging leistretend die Stuffen hinauf zum Zimmer des Vaters,
Rückte den Tisch ihm zurecht, und den weichgepolsterten Lehnstuhl,
Nahm vom Gesims vorsichtig die Bibel sodann, und das Psalmbuch,
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Schlug in jener den Text ihm auf für den morgenden Sonntag,
Jenen vom Tauben und Stummen, den Jesus Christus geheilet.
Leise berührte der Herr das Ohr, und leise die Zung' ihm.
Hephata! seufzt' er; da wurde die Zung' ihm gelöset, die Ohren
Wurden ihm aufgethan. Er redete recht, und der Liebe
Leiseste Lispel vernahm er genau, wie das Rauschen des Sturmwinds.
Da sprach staunend das Volk: Wohl macht er alles; den Stummen
Machet er reden, und hören die Tauben«! – – Als nun Jucunde
Solchen erbaulichen Text dem Vater gesucht, das Gesangbuch
Neben die Bibel gelegt, und auch die Argandische Lamp' ihm
Angezündet, verließ sie mit Thecla die friedliche Wohnung,
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Herzlich verlangend, die Freundin zu schaun auf dem Hügel der Vorzeit.
Mitten im Acker, unfern der Straß' und des schützenden Gatters,
Das von der Saat und dem Schwad abwehrt die Heerden des Dorfes,
Liegt, von hohem Getraid' umwogt, der Hügel der Hünen.
Mächtige Steine, die Trümmer des uranfänglichen Felsen,
Haben die Väter umher gethürmt zum Gedächtniß der Helden,
Welche schlafen im Schooß des Maals den eisernen Schlummer,
Nimmer vom Liede genannt, auch preis't sie keine der Sagen.
Alterndes Dorngebüsch, erwachsen zu mächtigen Stämmen,
Wuchert umher, auch schaut das Maal weit über das Blachfeld.
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Westwärts dämmern die Berge der Bernsteininsel. In Osten
Blauet das Meer, besäumt von Jasmunds Riesengestaden.
Oed' ist die Gegend, die Stätt' einsam; die schauernde Stille
Wieget den sehnsuchtlechzenden Geist in ahnenden Tiefsinn.
Siehe nun schritten die Mägdlein daher auf der stäubenden Straße
Leicht gekleidet, jedoch, weil so gemahnet der Vater,
Hals und Busen gehüllt in des Shawls weichwärmende Falten.
Weit durch die Dunkelheit glänzten der Wandelnden weisse Gewande.
Dämmerung hüllt' umher die Landschaft gänzlich. Verblaßt schon
War in Westen das Roth. Aus des Aufgangs dichterem Dunste
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Taucheten einzelne Stern' empor. Vließartige Wolken
Flecketen sparsam den lautern Lasur des erheiterten Himmels.
Grillengeschrill scholl rechts und links aus des thauenden Waizens
Güldnen Gebreiten. Es schritten behenderen Trittes die Mägdlein.
Sehnender schaute Jucunde hinab die schlängelnde Straße,
Hoffend, die Freundinn leuchten zu sehn aus der dunkelnden Ferne;
Aber das Feld war leer, und ausgestorben die Straße.
Eiliger nahte sie nun dem hüglichten Maale, vermuthend,
Unter den Büschen bereits zu finden die harrende Freundinn;
Aber das Maal war leer, das Rund der Steine verödet.
Unruhvoll, bangathmend betrat die sorgende Jungfrau
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Eine der mächtigsten Trümmer und überschaute die Landschaft.
Dämmern wohl sah sie von fern der Freundinn prangende Wohnung,
Sahe die Fenster noch flimmern im sterbenden Schimmer des Spatroth;
Aber sie selber gewahrte sie nicht, die Erharrete; rings war
Oede das Land, das Gefild' einsam, entvölkert die Straßen.
Theclen indeß begann es zu graun in des schaurigen Rundes
Düsterem Schatten, der rings von den alternden Wipfeln herabfloß.
Aengstlicher schmiegte sie sich an die liebe Schwester. Erbarmend
Führte Jucunde die Kleine hinaus zum schaurigen Runde,
Nahm aus dem Beutel das Tuch, das seidene, wärmende, weite,
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Breitet' es über das thauende Gras, und an Einem der Steine
Hingelehnt, saß nieder das Mägdlein; mütterlich sorgend,
Nahm sie das Kind auf den Schooß. Also von der liebenden Schwester
Schützendem Arm umschmiegt, am athmenden Busen erwarmend,
Schwatzte noch dieses und jenes das Mägdlein ... Stiller und stiller
Ward sie allmählich, und bald entschlief sie am Busen der Schwester.
Thecla schlief, und allein im unermeßlichen Weltall
Dauchte Jucunde sich jetzt. Zum sternebesäeten Himmel
Schaute sie sehnend empor; sie blickt' in die Ferne mit Wehmuth.
Rings war lauschendes Still. Es verstummten die Grillen. Die Winde
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Hielten die Flügel gesenkt, den Kamm die Welle des Meeres.
Nun und dann nur erscholl fernher melodisches Tönen,
Aehnlich dem fremden Getön, das der Harf' aufbebenden Saiten
Streifend der Wind entlockt. Es waren die Stimmen der Schwäne,
Welche geschaart die Luft durchsegelten, ferne Gestade
Suchend, antwortend einander in zwiefach wechselnden Chören.
Wundersamlich ergriff Jucunden das fremde Getöne.
Auf brach jegliche Tiefe des unerforschten Gemüthes.
Dunkle Erinnrungen wehten sie an; auf Flügeln der Ahnung
Strebt' in die Ferne der Geist. Ein namenloses Verlangen
Hob ihr die athmende Brust, und Thränen näßten die Wimper,
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Süß und bitter zugleich. Da entquoll den Lippen des Mägdleins
Leiser Gesang, sanftklagend, geschluchzt fast mehr, denn gesungen.
»Siehe, wie schimmern die Augen der Nacht! Wie gleiten die Seelen
Durch das ätherische Blau luftig und leise dahin!
Horch, wie klingen die Stimmen herab aus dem lauteren Azur,
Sprechen vertraulich mich an, locken mich kosend hinweg.
Helle Gestalten, woher? Wohin ihr rufenden Stimmen
Lockt ihr das stille Gemüth, winkt ihr den sehnenden Geist?
Blüht vielleicht in dem röthlichen Duft die elysische Insel,
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Die im Gesang uns entzückt, die uns in Träumen erscheint?
Hebet mich, schimmernde Wolken, und traget mich mit euch hinüber!
Senket mich leise hinab in das ambrosische Grün!
Löset mir, magische Stimmen, mit freundlichem Zauber die Seele,
Daß sie sich wiege mit euch in dem ätherischen Blau!
Einsam zu weilen in schauriger Nacht, in der Oede des Lebens,
Machet erstarren die Brust, lässet zerlechzen das Herz.«
Also erscholl der Gesang Jucundens. Und als nun der Töne
Letzter, vom schwellenden Seufzer erstickt, mühsam hervorquoll,
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Fühlte sie schnell sich umfaßt von zwey umschlingenden Armen.
Thecla war es von Thurn. Sie war der staunenden Freundinn
Näher getreten, ihr unvermerkt im wachsenden Dunkel.
Froh aufschauernd umschloß Jucunde die Sehnlicherharrte,
Drückte sie fest an das schlagende Herz. – »Wie so ewiglich lange
Ließest du warten auf dich, Unartige! Wenig in Wohrheit
Fehlt, und ich zürn' auf dich.« – »So zürne denn, frommes Gemüthe!
Längst verlangt mich dein Zürnen zu sehn, lammartiges Mädchen.
Aber im Ernst, du trauest mir zu, daß mein nicht die Schuld sey.
Menschen, wie du sie nicht kennst, glattzüngig, zierlich, geschmeidig,
Hohl und leer, doch nimmer gewahrend der eigenen Leerheit,
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Einzig vielmehr anbetend ihr Ich, Sich einzig die Sehnsucht
Jegliches Herzens wähnend, und jegliches Zirkels Entzücken;
Menschen, wie diese, mein Kind, unschön, unnütz, und unleidlich,
Haben mir Aermsten die Stunden verderbt von Mittag zu Abend,
Wechselnd mich folternd mit widerndem Schwulst, und platter Gemeinheit.
Zwar einsylbiger ward ich mit jeder Minute. Zum öftern
Sahen sie dann nach der Uhr mich schaun, dann nieder zur Sonne.
Gänzlich verstummt' ich zuletzt. Nun endlich merkten sie Unrath,
Setzten sich ein und rollten davon. Froh nun der Erlösung,
Eilt' ich sofort hieher, kaum hoffend, so spat dich zu finden.
Aber du bist mein gutes Kind ... Und das herzige Pathchen
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Wie es so ruhig schläft in der schaurigen Nacht, in dem weiten
Freyen Gefilde so sicher und sanft, wie daheim in dem Bettchen!
Wie die Wangen ihr glühn und die quellenden Lippen! Ihr Athem
Weht süßschmeichelnd mich an, lau wie ein Lüftchen aus Süden.
Sonderbar wird mir zu Muth. Wohl ists ein rührender Anblick,
Schlummern zu sehn ein unschuldiges Kind, das nimmer gesündigt.
Gieb, Jucunde, das Kind, gieb mir es, Trauteste! Mich auch
Lüstert, zu haben was Liebes im Arm, in der Still' und im Dunkeln.«
Also sagte sie lächelnd, jedoch nicht sonder Erweichung,
Hob dann sachte das Kind von Jucundens Schooße. Noch sachter
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Bettete sie's in den eigenen Schooß, und schirmet' es sorgsam
Gegen den Thau und das Kühl mit dem veilchenfarbigen Schleier.
Näher dann rückte Jucunde der Freundinn. Fest sie umschlingend,
Senkete sie das Haupt auf Theclens Schulter; es wurden
Theclens Wangen genäßt von der nassen Wange Jucundens.
»Was ist dies?« sprach Thecla, verbergend des Herzens Erweichung
Unter der Hülle des Scherzes. »Woher die Wange so naß dir,
Traute? ... Gewiß von den Dünsten der Nacht! Und das Ach, das so eben
Dir entfuhr, wohl wett' ich, es war nur verhaltenes Gähnen.
Meinst du, Unschuldige, dann, ich hätte, den weiblichen Vorwitz
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Gar verläugnend, vorhin nicht gelauscht, derweil du so kläglich
Von der Verlassenheit sangst, und von dem sehnenden Herzen.
Nicht gesungen, geschluchzt war manche der Zeilen. Ich dachte,
Selbst schier weinen zu müssen, so traurig klang es im Dunkeln.
Heuchlerinn, sieh mich an, sieh grad' ins Gesicht mir. Nicht fein ist
Was auf dem Herzen uns drückt, der trauten Freundinn zu bergen.«
Ihr erwiederte drauf die sanfterröthende Jungfrau:
»Schwere Sünde fürwahr, und kaum verzeihliche wär' es,
Was auf dem Herzen uns drückt, verbergen zu wollen der Freundinn.
Etwas, ich muß es bekennen, beklemmt die Brust mir. Nur weiß ich
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Selber nicht was, auch ist es, bey Lichte besehen, so wenig,
Daß ich mich schäme der Thorheit, und in verständlichen Ausdruck
Solche zu fassen, nur kaum mich getraue ... Jedoch du schriebst mir,
Liebe Thecla, du hättest mich ganz nothwendig zu sprechen.
Wenig besonders gleichwohl hab' ich vernommen bis itzund.
Sage denn, Liebe, was ist's? Was hast du mir Neues zu melden?«
Ihr erwiederte drauf das vielerfindende Fräulein:
»Mancherley Neues fürwahr, und manches Erhebliche trieb mich,
Liebliches Kind, so spat dich herzuladen. Das Erste,
Zwar Alltägliche dieses: In drey unendlichen Tagen
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Hatt' ich mein liebliches Kind nicht gesehn. Das Andre: du sollst mich
Morgen besuchen im Tag', und zwar fein frühe, mein Mädchen,
Ehe die Schwüle die Wange dir bräunt, und das Wandern dir schwer wird.
Allerley wollen wir dann abhandeln, wollen zusammen
Speisen, so bald wir gespeist, an das Ufer fahren, uns dorten
Zum anbetenden Volke gesellen, die Predigt des Vaters
Fein andächtig vernehmen, sodann mit dem Vater und Theclen
Gen Arkona ziehn, vollendend dorten die Feyer.«
Ihr erwiederte drauf die kindlichgesinnete Jungfrau:
»Gern zwar, Traute, besucht' und geleitet' ich dich gen Arkona;
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Aber allein ist der Vater, und mißt nicht gerne sein Mädchen.«
Ihr erwiederte drauf die vielersinnende Thecla:
»Dafür sorge du nicht! Du weißt, geliebte Jucunde,
Einen gewaltigen Stein hab' ich beym Vater im Brette.
Morgen, bevor du noch wach, eh noch die Kirche den Vater
Abruft, schreib' ich ein Briefchen an ihn, und alles ist richtig!«
Ihr erwiederte drauf des Pfarrers bescheidene Tochter:
»Liebe Thecla, du weißt, zur herrlichen Fey'r am Gestade
Pflegen sich Menschen zu sammeln aus jeglicher Ecke des Eylands.
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Viel auch pflegen der Fremden, die etwa von ferne gekommen,
Nach vernommenem Wort bey den edelen Freunden des Landes
Einzusprechen, verschiebend zum morgenden Tage die Rückfahrt.
Viel auch fürcht' ich der Fremden, bey dir zu finden, und wenig
Wäre mir solches gewünscht, die ich fremd bin höfischer Sitte.«
Ihr erwiederte drauf die schalkhaftlächelnde Thecla:
»Wenige Fremde nur sind vermuthend, Liebe. Doch magst du
Immer ein wenig dich putzen. Denn einen Jüngling erwart' ich,
Welcher ist schön, vornehm, und ein Liebhaber der Mädchen.«
Ernst antwortete drauf des Pfarrers bescheidene Tochter:
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»Desto schlimmer, du Arge! Du weißt es längstens, nur wenig
Kümmern die Jünglinge mich; am wenigsten jene, die vornehm
Frech in die Augen uns schaun, sich weidend an unsrer Beschämung.
Weg mit diesen! ... Doch wünscht' ich, du sagtest mir, wen du erwartest!«
»Meinen Amalrich erwart' ich!« erwiedert' erhöheter Seele,
So wie erhöheten Tons die edele Thecla. »Schon lange
Schmerzt mich, daß du Amalrich nicht kennst, noch Amalrich Jucunden.
Fromm ist mein Bruder und brav, wie einst die Ritter des Grabes;
Weich wie ein Weib, arglos wie ein Kind, wie ein Mägdlein so züchtig;
Liebenswürdig im Kreise der Liebenswürdigen; furchtbar
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Aber im Zorn, der jedoch nur um das Recht ihm entbrennet,
Nur wenn es gilt, zu steuern dem Trotz, und zu schützen die Ohnmacht.
Doch das ist, was ich oft dir gesagt; wie könnt' ich Amalrich
Jemal nennen, daß nicht sein Lob verriethe die Schwester.
Schmerzlich hab' ich Amalrich gemißt. Erneuert schon viermal
Hat sich das Jahr. Wir hatten so eben erstanden das Gut hier,
Als uns Amalrich verließ, um wider die trotzigen Franken
Schirmen zu helfen die Gränze des Reichs, des Heiligen Deutschen
Zween Feldzüge nur that er; da schloß man den Frieden. Amalrich
Zog nun hin, das Volk zu beschaun, das Wiedergeborne,
Das zur Bewunderung bald, und bald uns nöthigt zum Abscheu:
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Reisete dann die Insel zu sehn, die Herrinn der Wasser,
Welcher der Aufgang zollt, und welcher zinset der Abend.
Auch den Norden, den Aermern an Gold, an Tugend den Reichern,
Sah er, und sehnte sich dann zurück zu den Fluren der Heimath.
Wochen schon sind entflohn, seitdem er der schwedischen Hauptstadt
Prangende Holme verließ, zueilend der stilleren Heimath.
Widrige Winde nur haben bis jetzt ihm verzögert die Rückfahrt.
Lange kreuzt' er umher im Labyrinthe der Scheeren.
Länger noch hielt ihm der Süd das Schiff gefesselt an Gothlands
Kalkichtem Strand, am längsten die halcyonische Stille
In der Küsten Gesicht, der vaterländischen, welche
[46]
Immer vor Augen zu sehn, und nimmer beschreiten zu dürfen,
Ueber die Maße verdrießlich ihm war. Einmal nur, schreibt er,
Hab' er gewagt, und nur auf einzelne schnelle Minuten,
Auszusteigen am sandigen Strand des benachbarten Eylands,
Wo er bestanden ein Ebentheur, als schöneres, schreibt er,
Keines zuvor ihm begegnet in allen Landen und Meeren;
Welches? vertraut er mir nicht. Vorgestern endlich, und kaum nur
Hat er den Hafen erreicht, den vielgewünschten; und morgen,
Morgen, Jucunde, erwart' ich, ihn wieder zu haben, den lang' und
Schmerzlich Gemißten; ich hoff', ihn wieder zu haben auf lange ...
Dürft' ich sagen auf immer! Geläng' es, in Banden der Liebe
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(Solche nur ängstigen nicht)! zu fesseln den freudigen Flüchtling.
Wahrlich, mich freut, Jucunde, daß mein Amalrich dich sehn wird.«
Also redetest du, Amalrichs trefliche Schwester,
Flammend die Seel' und erhöht die Stimm' im Lobe des Bruders.
Einfach aber versetzte des Pfarrers bescheidene Tochter:
»Höchlich erfreun fürwahr wird mich dein Glück. Auch verlangt mich,
Ich bekenn' es, zu sehn, ob dir dein Bruder wohl gleich sieht.«
Schnell erwiederte Thecla: »Nur wenig, liebe Jucunde,
[48]
Sieht er mir gleich. Sie sagen, es sey der verstorbenen Mutter
Mehnlich der Bruder, wie ich dem früh entschlafenen Vater.
Diesem, so sagen sie, dank' ich den Trotz, der in mancherley Prüfung
Wohl zu statten mir kam, und Ihr der Bruder die Güte.«
Also sprach sie, und setzte hinzu die herzlichen Worte:
»Liebe Jucunde, die Nacht ist so klar, auch schauen die Sterne
So aufrichtig herunter auf uns. Nicht länger vermag ich
Dir zu verhalten, was längst mir lauscht in der Tiefe des Herzens.
Höre denn, Kind, was mir ohnlängst der Bruder geschrieben.
Müde sey er zu opfern dem Schein, ein Sklave der Meinung;
[49]
Ueberdrüssig des lästigen Prunks, der die Seele verödet,
Und austrocknet das Herz, verlang' ihn, ledig des Hofzwangs,
Einzig allein sich selbst und des Menschen schlichter Bestimmung
Ruhig zu leben im Schooß der Natur. Zu so löblichem Vorsatz
Mög' ich behülflich ihm seyn, im Kreise meiner Gespielen
Ihm ein Mägdlein ersehn, ein Wackeres, dem es gelungen,
Wohl zu bewahren die Klarheit des Sinns, und die Heitre des Geistes,
Rein treu offen und wahr, einfältig, lauterlich, kindlich.
Glücklich, wenn solche vielleicht ihn würdig fände, den schmalen
Vielfachschlängelnden Pfad mit ihm durchs Leben zu wallen.
Theure Jucunde, die Nacht ist so ernst, es schauen die Sterne
[50]
Auf uns herab mitwissend; vernimm dann, wie ich es meine.
Keine noch kannt' ich und kenn' ich, die ihre Wahrheit und Unschuld
Also erhalten wie du, die den anspruchvollsten der Männer,
Welcher Amalrich nicht ist, wie du zu befriedigen taugte.
Möchtest du dann Jucunde mir helfen, den treflichen Flüchtling
Fest zu halten in Banden der Liebe für nun und für immer!«
Also redetest du, Amalrichs trefliche Schwester,
Angezündet den Blick, wie die Seel' im Glück des Geliebten.
Einfach aber versetzte des Pfarrers bescheidene Tochter:
»Viel zu geringe fürwahr, und zu arm an Gaben des Glückes
[51]
Wie der Natur ist Jucund', als daß sie des edeln Amalrich
Wünschen zu gnügen vermöcht', und zu lohnen solchem Verdienste.«
Also sprach sie; und fester umschlingend die edele Freundinn,
Raunte sie ihr in das innere Ohr die vertraulichen Worte:
»Theure Thecla, die Nacht ist so klar; es schauen die Sterne
Auf uns herab mitwissend. Ach ich vermag es nicht länger
Dir zu verbergen, was heimlich mir lauscht in der Tiefe des Herzens.
Höre denn, Traute, was jüngst in den Schlüften des Bernsteineylands
Wunderbarliches mir begegnet, und Nimmergeahntes.
Mit dem Vater, er liebt die Schlüft' und Berge der Insel,
[52]
Waren wir, Thecla und ich, hinübergeschiffet. Der Vater
Stand auf der Gipfel steilstem, und staunt' in des grollenden Meeres
Düstere Fluten hinab. Ich aber schwärmte mit Thecla
Fröhlich umher von Schluft zu Schluft, von Hügel zu Hügel,
Blumen sammelnd, und Kiesel, und vielfach schillernde Muscheln.
Endlich vom Wandern erschöpft und der Schwüle, wünschten wir sehnlich
Wider der Sonne Brand zu finden ein schirmendes Obdach.
Doch kein Obdach war zu erspähn, kein kühlender Schatten.
Trostlos irrten wir lang und schmachtend umher in der Wildniß;
Gar zu verschmachten befürchteten wir, als endlich ein Plätzchen
Uns erschien einladend; ein Thal in Mitten der Wildniß
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Rings von stickelen Wänden umstarrt; in der Tiefe der Bergschluft
Säuselte lieblich ein Hain von jungen Tannen. Erquickend
Ueber die Maßen bedünkt' uns das frischere Grün und die Kühlung.
Und wir lagerten uns in das Gras in den Schatten der Tannen,
Wenig nur achtend den Harzgeruch und die klebrigten Nadeln,
Welche den Boden umher bedecketen. Thecla, der Kinder
Weise getreu, ertrug nicht lang das Sitzen. Sie irrte
Sonder Besorgniß umher im kleinen Reviere des Forstes,
Emsig sammelnd die Zapfen, die abgefallnen. Mit einmal
Hört' ich das Kind aufschrein. Ich schauet' um, und o Schrecken!
Hart vor der Kleinen, zu Füßen ihr, buntfarbig, geringelt
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Lag, hochbäumend den Hals, mit Gezisch die Zunge bewegend,
Eine erschreckliche Natter, die fertig zum tödlichen Sprung schien.
Grauen ergriff mich, ich raffte mich auf, ich rannte, die Kleine,
Die das Entsetzen gelähmt, der Gefahr zu entreißen – als siehe
Hinter den Bäumen und hart in der Näh' ein Fremder hervortrat,
Hoch von Wuchs und schön von Gestalt und herrlich zu schauen;
Daß er ein Kriegsmann sey, verriethen die Bind' und die Schärpe.
Dieser gewahrte des Kindes Gefahr und die Tücke des Unthiers.
Eilig sprang er herzu, und mit dem Knopfe des Rohres
Traf er den gräßlichen Wurm auf den Kopf, der betäubt und gelähmt zwar
Niedertaumelt' alsbald, doch erst nach verdoppelten Streichen
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Um sich zu haun abließ mit dem farbicht schillernden Schweife.
Freundlicher trat nun der Fremde heran. Die erschrockene Kleine
Nahm er in Arm, und schauet' ihr tief in das glänzende Auge.«
»Liebliches Kind,« so hört' ich ihn sprechen, und nimmer entfällt mir
Dieser Worte Musik, noch des Inhalts freundliche Meinung,
»Mög', holdseliges Kind, ein Retter nimmer dir mangeln,
Wenn einst giftigre Würme dir drohn als dieser.« Er sprach es,
Stockete plötzlich; ihm starb, so schien's, das Wort auf der Zunge.
Staunend sah er mich an mit verwundernden flammenden Blicken,
Schien wie untergegangen im wenig erwarteten Anschaun.
Plötzlich erscholl Getöne, wie Glockengeläut'. »Es ruft mich,«
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Rief er erschüttert, »und ach! in des Lebens schönster Minute.
Wer du auch seyst, fahr wohl, fahr wohl, Lichtstrahl in der Wildniß« ...
Heftiger küßt' er die Kleine sodann. Doch lauter und lauter
Scholl das Geläut', und der Fremde verschwand. Das irdische Auge
Sah ihn nicht mehr, doch sieht ihn ewig das Auge des Geistes.
Immer noch seh' ich ihn stehn in seiner Hoheit und Güte,
Höre noch immer die helle Musik der erhabnen Begrüßung ...
Theure Thecla, das Loos ist mir gefallen. Jucunde
Liebet keinen hinfort. Denn wen sie zu lieben vermöchte,
Welcher allein in ihr geweckt, was Liebe die Menschen
Nennen, zerflossen in Dunst ist schnell das freundliche Luftbild.
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Also bekannte der Freundinn die kindlichgesinnete Jungfrau,
Was sie zu innerst bis jetzt bewahrt in der Tiefe des Herzens.
Thecla die Rede bewundernd, die schmerzliche wenig geahnte,
Traurend, den Wunsch vereitelt zu sehn, den liebsten des Herzens
Zartbesorgt um Amalrichs Geschick und Jucundens Verhängniß,
Saß in Gedanken vertieft. In den unergründlichen Aether
Schaute sie staunend empor, in die Saat unzählbarer Sonnen.
Endlich ermannte sie sich, und sprach die fey'rlichen Worte:
»Rein ist dein Herz, Jucunde, dein Sinn, Geliebteste, kindlich.
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Darum vertraue du dem, der durch unsichtbare Fäden
Seelen mit Seelen verknüpft, wie droben Sonnen mit Sonnen.«
Also sprach sie erhaben, und endete kosender: »Traute,
Laß jetzt heim uns gehn. Arktur ist hinab, und Fomahand's
Zitterndes Licht verkündet, daß nah' die Mitte der Nacht sey.«
Also sprach sie, versuchte sodann die schlafende Kleine,
Ungern zwar, doch drängte die Späte der Nacht, zu ermuntern.
Sanft sie schüttelnd, ins Ohr ihr raunend, den rosigen Mund ihr
Deckend mit glühendem Kuß, gelang es mit Noth ihr, dem Schlummer
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Sie zu entreißen. Es schlug das Kind die trunkenen Augen
Träumend zum Himmel empor, erblickte die glänzenden Sterne,
Schauerte leis', und bog sich zurück zum Busen der Pathinn,
Welch' ihr süß zuredet': »Ermuntre dich, Thecla; nicht bleiben
Magst du in schauriger Nacht auf freiem Felde. Bereitet
Ist dir dein Bettchen daheim schneeweiß, weich, warm und gemächlich.«
Als es ihr endlich gelungen, das träumende Kind zu ermuntern,
Schieden die Mädchen, sich tröstend der morgenden Wiederumarmung.
Ostwärts wandte sich dies', und jen' in den Westen. Hinunter
Wandelte Thecla des Wegs einsam. Das taumelnde Mägdlein
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Langsam leitend, das bange sich hüllt' in der Schwester Gewande,
Wallte Jucunde die Straße zurück zur friedlichen Wohnung.
Bald gewann sie das Gatter, unfern des Fliedergebüsches,
Tappte vorüber sodann die schlummernden Hütten des Dorfes;
Ueber den tückischen Rost des Kirchhofs hob sie behutsam
Schreitend die Schwester, betrat den pappelbeschatteten Kirchhof,
Schlüpfete leiseren Trittes vorüber der Mutter und Schwestern
Thauende Gräber; erreichte nunmehr die Pforte des Gartens,
Eilte die schattigen Gäng' hindurch, und stand vor der Wohnung.
Bleich noch blickte von oben herab die Lampe des Vaters,
Welchen noch wach erhielt die Betrachtung des Worts und die Sorge
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Um die Kinder, die spatausbleibenden. Aber die Mägdlein
Unter die Fenster tretend, die dämmernden, riefen dem Vater
Gute Nacht! hinauf. Auch sprach noch Thecla: »Es läßt dich
Vielmal grüßen die Pathinn.« Da schaute zum offenen Fenster
Liebend der Vater herab, und sprach sanft: »Spat ist die Stunde.
Eilet nun, Kinder, und legt euch schlafen.« Sie eilten getröstet
In das entschlummerte Haus, verwahreten sorgsam die Thüren,
Gingen zur Küche, belebten mit mächtigem Hauche des Heerdes
Kaum noch glimmenden Brand, und, nachdem sie gezündet den Wachsstock,
Schlüpften sie in ihr Gemach, von Reseda duftend und Goldlack.

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TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Jucunde. Erste Ekloge: Der Vorabend. Erste Ekloge: Der Vorabend. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B720-C