[166] Eine Fabel

Frühling war's im Land geworden
Und der Winter ward vertagt.
Ohne daß den Herrenorden
Gott noch lange drum befragt.
Jenen packt des Zorn und Trauer,
Und er ruft: »Der Lenz gilt nicht!
Nimm ihn nicht, du dummer Bauer,
Er ist klares Höllenlicht.
Diese Sonne ungeladen
Dring' zu mir nicht frevelnd ein!«
Ruft's und schließt den Fensterladen,
Hüllt sich in die Wildschur ein.
Aber ruhig strahlt die Sonne,
Und es keimt die Saat mit Lust,
Bürger, Bauer dankt in Wonne
Gott dafür aus tiefer Brust.
Aber hinterm Ofen sitzen
Bleibt der Herr und schimpft und flucht:
»In der Wildschur will ich schwitzen,
Ich hab' keinen Lenz gesucht!«
Wütend mit den Füßen stampft er:
»Wer ihn lobt, ist schlecht und dumm!«
Und aus seiner Pfeife dampft er
Blauen Dunst um sich herum.
Doch der Bauer, schlicht und wacker,
Ruft: »O Herr! Ihr wißt es nicht!
Was schon längst gebrach dem Acker,
Das ist eben dieses Licht!
Will Euch dieses Licht nicht frommen,
Nun! so schließt vor ihm das Haus;
Aber, Herr! wem es willkommen,
Den laßt ungeschimpft hinaus!«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Kerner, Justinus. Gedichte. Die lyrischen Gedichte. Eine Fabel. Eine Fabel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-A7D6-2