[238] Schlossers Antwort

»Ich danke Dir herzlich, lieber Bruder, für Dein Lied, womit du meine Prosa beantwortet hast. Es hat mir viele Freude gemacht, und ich habe es in einem Athem zwey Mahl gelesen und ganz gefühlt. So schön deine Poesie indessen ist, so ist sie doch nicht wahrer als meine Prosa. Gottlob, daß die Welt so viele Seiten hat! Wenn einem eine nicht gefällt, so kann man sie wie eine magische Laterne herumdrehen, und sich eine andere suchen. O gewiß, wenn nicht die eine Seite da wäre, wo Deine Verse hindeuten, wer würde nicht dem unterliegen, was meine Prosa sagte? Da ich Dir das gestehe, so wirst Du auch mir nicht läugnen, daß der große Riß in das Band der Menschheit, den wir erlebt haben, ein großer Riß in unsre Herzen ist. Für [239] mich hatte der Zusammenhang mit der Menschheit immer etwas vorzüglich segnendes. Das Zutrauen, das ich noch immer zu dem Gros der Menschen hatte, daß unter den tausend und tausend Schiefheiten und Schlechtheiten, die ich täglich in den Individuen sah, noch etwas vom Ebenbild der Gottheit läge, das nur hier und da Einzelne, nie aber ganze Städte, Dörfer, nicht einmahl ganze Häuser verläugnen konnten – das Zutrauen habe ich nun verloren. Noch mehr kränkt mich aber das, zu sehen, daß, wenn das Volk einmal seine angebohrnen Rechte wieder gelten macht, daß auch das Volk nicht im Stande ist, sie mit einiger Weisheit und Mäßigkeit zu gebrauchen. Was kündigt das alles uns und unsern Kindern an, als ewige Sclaverey, oder noch drückendere Anarchie? Vielleicht, wenn ich von Jugend auf bloß mit den Werken der Natur, die bleibend sind, oder, wie du, mit den goldnen Bildern der Phantasie gelebt hätte, vielleicht würde ich das anders, wenigstens minder fühlen. Aber ich, der ich verdammt war, bloß mit den Menschenwerken [240] zu leben, und der ich auch da, unter den papiernen Gebäuden der Rechte, der Regierungen, der Staatskunst noch etwas zu sehen ahndete, das aus lebendigen Felsen gehauen war; der ich die tausend Ungerechtigkeiten, die ich täglich sah, nur für Verkleidungen hielt, und unter ihnen noch einmal das Silber-Gewand der Gerechtigkeit zu entdecken hoffte; der ich die Thorheiten und Schiefheiten und Schwachheiten nur für Träume eines langen Schlafs hielt, und der ich nun so sehr überzeugt werde, daß alles, bis auf das Fundament, papiern, und, was mir Traum schien, wirkliches Menschenleben ist! – Alle meine Aussicht muß mir dunkel und eckelhaft scheinen, und ich glaube nie, daß mein Geist seinen Genuß wieder findet, bis ich alle das Menschenwerk von mir stoßen, und allein mit der Natur und den Menschen leben kann, die sich eben so losgemacht, und eben da ihren Hafen gefunden haben. Bis dahin lebe ich in einer Art von Kerker, zugemauert, bis auf einige Fenster, in die mir denn noch leuchtet, was Dein Lied mir vorzaubert,[241] und die noch die Stimme der Freundschaft und der Liebe bis zu mir gelangen lassen. Auch strahlte mir bis dahinein noch die Hoffnung, daß ich noch hier einmahl frey seyn werde; wo nicht, die Gewißheit, daß dort eine Stelle auf uns wartet, wo das Menschenwerk uns nicht mehr einflechten kann. Und diese Hoffnung und diese Gewißheit erhält noch die Energie meines Herzens; die Energie meines Geistes wird dann auch wieder aufwachen, wenn die Hoffnung erfüllt wird, u.s.w.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Jacobi, Johann Georg. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Schlossers Antwort. Schlossers Antwort. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8A60-3