Arno Holz
Sozialaristokraten

[460]

Personen

Personen.

    • Oskar Fiebig, Gelegenheitsdichter, Fünfziger.

    • Seine Frau, Vierzigerin.

    • Anna, Tochter, Neunzehn.

    • Herr Hahn, Einundzwanzig.

    • Dr. B. Gehrke, Schriftsteller, Anfang Dreißig.

    • Meischen, seine Frau, Ende Dreißig.

    • Wilhelm Werner, Buchdrucker, gen. Elefantenwilhelm, Ende Vierzig.

    • T. von Styczinski, Redakteur, Ende Zwanzig.

    • Frederick S. Bellermann, deutsch dichtender Amerikaner, Anfang Dreißig.

    • Sprödowski, Schneidergeselle, Anarchist, Mitte Zwanzig.

    • Der Amtsvorsteher von Friedrichshagen, Sechziger.

    • Schwabe, Amtsdiener, Fünfziger.

    • Dr. Moritz Naphtali, Mitarbeiter am »Berliner Lokal- Anzeiger«, Ende Dreißig.

    • Fritz, Druckerlehrling.

    • Dienstmann.

    • Waschfrau.

    • Gendarm.

    • Die drei Herren aus Arnswalde.
    • [460]

1. Akt

Erster Akt

Arbeitszimmer des Herrn Fiebig. Großer, behaglich ausgestatteter Raum. An den Wänden eine Lithographie Virchows und verschiedene Öldruckbilder: eine badende Nymphe, Schweizer Landschaften und ähnliches. Rings Glasschränke und Regale mit Büchern. Auf den Stühlen sogenannte Prachtwerke. Ein riesiger Globus und eine Büste von Schiller aus ganz gelb gewordener Elfenbeinmasse. Dicke, nicht zu teure Teppiche. Großes, buntes Paneelsofa, auf dessen Etagere allerhand Nippes: die Torwaldsenschen drei Grazien aus Biskuit, ein imitierter Talerkrug, ein Straußenei, Dürers Geburtshaus aus Pappe, ein Apfel auf einem Glasschälchen, mehrere zum Teil irisierende Spitzgläser und ein chinesisches Kaffeetäßchen. [461] In der Mitte des Zimmers ein großer viereckiger, schön geschnitzter Eichentisch, der etwas von dem kleinbürgerlichen Stil des übrigen absticht. Zwei Türen, von denen eine im Hintergrund. Herr Fiebig ganz vorn rechts in seinem Lutherstuhl vor dem Schreibtisch, der in der üblichen degenerierten Renaissance gehalten ist. Nicht weit von ihm, auf dem Sofa, Herr Hahn. Überzieher, kleiner steifer Hut auf den Knien.

FIEBIG.

Ja, wissen Se, det stimmt. Se ham an de richtje Quelle jekloppt. Beziehungn zu de Presse hab'k ne janze Menge. Fümwunzwanzich Jahre sitz ick hier nu schon in Sattl. Det erste, verstehn Se, wah mein jroßet Epos »Frankreichs Maul un Deutschlands Faust«. Sind bloß de erstn zwee Jesänge rausjekommn. Verschiednes draus is je populär gewordn. Wissn Se, aus de Belagrung vor Paris. Se feiern je jrad det Jubeläum jetz. Plötzlich total veränderter Tonfall. Wie ein altes, verstimmtes Spinett. Abgehackt.


Die Soldatn schwelchn
in den Sanftfotelchn.

Kaiser Friedrich hat mer dreißich Daler jeschickt. Bismarck jab nischt. Bloß, Ha Hahn – Nimmt das Manuskript, das vor ihm auf dem Schreibtische liegt, und wirft es wieder auf die Platte zurück. – offn jestandn, ick würde Ihn janich ratn, det schon jetz druckn zu lassn. Ihn kennt ja noch keener. Jleich son Band Jedichte von son unbekanntn Menschn, wer kooft dn det? Sehn Se Doktor Jehrkn an. Se kenn doch Doktor Jehrkn?

HAHN.

Ach, Herr Fiebig, das ist der, der da immer in den Volksversammlungen und in der freireligiösen Gemeinde ...?

FIEBIG.

Nu, sehn Se, den kennt jeder. No, un wie is den jejangn? Det kann'k Ihn sagn: Ihre Sachn sind ja janz jut. Wissn Se, »Lieder eines Schmetterlings«, dets n Titl. Schmetterling is ne poetische Fijur, un »Lieder eenes Schmetterlings«, dets ohrjenell. Könn Se sagn, wat Se [462] wolln. Bloß: »Lieder eenes Ibermenschn« ...? De janze Welt redt jetz von Ibermenschn! Nitschkn ham Se doch jelesn?

HAHN
schweigende Zustimmung.
FIEBIG.

Nu ja, sehn Se. Un jekooft is Jehrke ooch nich! Mein Freund Werner hat n jedruckt. De janze Uflage hatter noch ufn Halse. Abber ick wer Ihn wat sagn. Wer macht dn heit alles. De Zeitungn! Der »Lokalanzeijer«! Versuchn Se doch mal. Schickn Se doch in. Se könn sich ja uf mir berufn. Scherln hab'k mal bei Aschingern jesehn. Jehrke hats ooch so jemacht. Der hat iberall drin jestandn. In »Vorwärts«, int »Quellwasser fors deutsche Haus«, in »Pahn«, wat weeß ick. Abber den hat det natierlich nischt jeholfn. Der Mann hat zu ville Jejner, verstehn Se. Ick wer doch nich von mein Jejner n Buch koofn? Jehn Se doch mal ran zum »Pahn«. Wer in »Pahn« drin steht und in »Lokalanzeijer«, hat allns. Der hat det Volk un der hat die obern Zehndausnd.

HAHN.

Ja, fortgeschickt hab ich schon viel, Herr Fiebig. Auch ans Deutsche Dichterheim. Da muß man abonniert sein, wenn man aufgenommen wird. Aber die wolltens erst im nächsten Quartal bringen.

FIEBIG.
So ... Na, wat ham Se dn injeschickt?
HAHN
aufgestanden und halb über das Manuskript gebeugt, in dem er nachblättert.
Hier, das letzte, Herr Fiebig. »Schmetterlings Tod«.
FIEBIG.

»Schmetterlings Tod«. Det hat mir jefalln. Wissen Se: wie Se so iber det Wasser fliejn und so in ihrn eijnen Spiejelbild die wiederjefundne Jeliebte zu sehn jlaubn und denn so mit die nassn Fliejl int Wellnjrab sinkn ... det sollt Ihn mal erst eener nachmachn! Wissn Se, dets Trajik. So is det Leben! Nu ... na ... unne ... ham set dn nu jedruckt?

HAHN.
Nein. Sie hatten immer son Raummangel. Aber ich glaube, das war bloß Ausrede.
[463]
FIEBIG.
Die Brieder! Na, un det Abbonnemang ham Se doch nu ufjesteckt?
HAHN.
Nein. Ich dachte, vielleicht bringen sie denn mal was andres.
FIEBIG.

Nu ja, sehn Se, denn sind Se je schon ufn rechtn Weje. Jloobn Se, Firrchohn is mit een Dage jroß jewordn? Den hattn se ooch zuerst nach Schlesjen geschickt. Da hatter n Hungertypus entdeckt! Wie alt sind Se dn nu eijntlich?

HAHN
verschämt.
Einundzwanzig.
FIEBIG.

Eenunzwanzich? Wissen Se, wie ich so alt wah, da stand ick noch an Setzerkastn. Na un heite? Kieken sich mal um! Rechen sich man bloß mal die Biecher zusammn. Allns von Kampmeiern. So ville hat meine Frau ooch nich jehappt. Det hab ick allns meine Dichterei ze verdankn. Sie arbeetn je nu so mehr fier de Unsterblichkeit, verstehn Se! Wat ick hier habe, det is ja man bloß sone poetische »Blechschmiede«. Ick mach in poetschen Duft und in drastschen Humor. Abber't brinkt wat in, wissn Se. Ick hab de feinste Kundschaft in Bellin, der Hof bestellt bei mir. Wenn Se jestern um die Zeit jekomm währn, uf den Platz da, wo Se jetz sitzn, hat de Frau Kommerzjenrat Oppenheim jesessn. Se kenn doch Oppenheim? Hier jleich n paa Heiser weiter in de Potzdamer. Ick kann Ihn sagn: schönnste Frau von Bellin! Jetz mach'k vor Lohse n Blumenmärchen. No ... Bückt sich und holt unterm Schreibtisch eine Gilkaflasche vor. Trinkt und reicht Herrn Hahn, ihn starr ansehend, die Flasche. Na, nehmen Se doch. Brauchn sich nich zu scheniehrn. Die hab'k hier immer zu stehn. Reicht die janze Woche.

HAHN.
Danke, oh, danke schön, Herr Fiebig. Trinkt und verschlückert sich.
FIEBIG
lachend.

Sehn Se? Det will ooch jelernt sind, det aus die Pulle trinkn. Det hab'k allns noch aus de Setzerzeit. Jloobn Se, ick trinke Bier ausn Jlas?

HAHN.
Ist denn das aber nicht unbequem?
[464]
FIEBIG.

I, wer sacht Ihn dn det? Ist halb aufgestanden und kramt auf dem Schreibtisch. Wissn Se, ick mecht Ihn noch jern n Ziehjahn anbietn. Se roochn doch?

HAHN
geschmeichelt.
O, danke schön, Herr Fiebig.
FIEBIG.

Sonst, Se wissn ja, dets hier mein Jeheimtresor. Ick jeb Ihn jern. Ufn Ziehjahn kann mir det doch nich ankommn? Bloß ick seh hier, Spredowskn is dajewesn! Ick bin total ausjemist. Hat sich wieder gesetzt. Abber wissn Se, um uf die Sache zurückzukommn ... wieviel wah't dn?

HAHN.
Viertausend Mark, Herr Fiebig.
FIEBIG.

Fierdausend Mark, dets n janzer Klumpatsch. Soh ..., no ... un hat Ihn denn der Vormund det Jeld schon ufn Disch jeleecht?

HAHN.
Ja ... nuhe ... Herr Weiß hat mir Papiere gegeben. Sucht in der Tasche.
FIEBIG
erstaunt.
Ja, jehn Se dn immer mit die Dinger spaziern?
HAHN.
Entschuldigen Sie, Herr Fiebig. Ich ... komme eben von Herrn Weiß.
FIEBIG.

So, nu ... no! Denn is det wat anders. Na, denn zeijn Se mal her dn Krempl. Nimmt seine Stahlbrille vom Tisch, hält sie verkehrt vor und streckt die Papiere weit von sich. Anerkennend. Det sin ja Konsols. Keene Arjentienjer. Sicher sind se ja. Und det is schon immer wat wert bei die Zeitn. Aber se bringen nischt. Von de Zinsn, Ha Hahn, könn Se nich leben. Legt die Brille vorsichtig zur Seite, breitet die Papiere vor sich hin und schlägt zurückgelehnt mit der flachen Hand auf sie. Nu, horchn Se mal! Kleine Pause. Wie alt is die alte Dame in de Lienjenstraße? Hoch in de Sipptzjer. De Influenza kommt alle Jahr her. Lange macht se't nicht mehr. Wat is son Haus in die Jejend wert ohne Schuldn? Achtzichdausnd jibt alleene de Feierkasse. Ihre Zukunft ham Se in de Tasche. Nu, wissn Se, nu nehm Se mal die fierdausnd Mark un lassen Se mal Ihre Jedichte fors erste noch nich druckn. Allns, verstehn Se, in Leben kommt uf den richtjn Moment [465] an. Un jetz, Ha Hahn, is det der Moment, det Se sich eene Existenz jrindn mit de fierdausnd Mark, auch ohne Ihre Zukunftsmusik. Jetzt zeijn Se die Leute, wat Se forn Kerl sind. Sehn se, aus Ihre Jedichte hier –Schlägt auf das Manuskript. – jeht doch vor, det Se sich wat zutraun. Traun sich doch wat zu! Machn Se ne Zeitung uf! Ne Wochenschrift! Beste Kaptalanlage heut. Wat meen Se, so alleene der Bahnhofsverkauf. Doktor Jehrken kenn Se, Wilhelm Werner is n oller Duzbruder von mir, na, un wat an mir liecht, uf mir könn Se ooch zehln. Wat sagen Se nu?

HAHN
selig.
Ach, Herr Fiebig!
FIEBIG.
Nu ja: fuschen Se doch mal de siebnte Jroßmacht int Handwerk!
HAHN.
Ja, ich weiß nicht, Herr Fiebig, ich ...
FIEBIG.
Ja, nu, wenn Se nich wolln?
HAHN.
Oh, ich möchte ja gerne, Herr Fiebig, aber ...
FIEBIG.

Abber, Ha Hahn, ick bitt Ihn! Det is ja allns janz natierlich un selbstverständlich. Alleene machn Se't nich. Det weeß ick. Ick würde Ihn ja det ooch janich ratn ohne mir. Für de erste Nummer ham Se jleich wat. Verstehn Se: mein »Weltunterjank«! Ick ham noch nich fertich. Se wissn ja, bei mir is det immer so: wat bestellt witt, witt gemacht! Bestelln Se n doch bei mir! Bezahlt will'k janich hamn. Brauchn Se jar nich zu jloobn. Ick will man bloß mal wieder vort jroße Publikum treten.

HAHN.
Aber, Herr Fiebig, das würde doch niemand verlangen können; das ginge doch gar nicht.
FIEBIG.

Verlangt je ooch keener. Wissn Se, stelln sich de letzte Szene vor. Wat det vor ne Wirkung macht! Letzter Jesang: Det uf diese Erde hab ick satt jekricht. Ick sitze ufn Sonnenstrahl un reite nach der Wenus. Wissn Se, janz realistisch. Wie ick so hier bin. Verstehn Se, un wie ick obn ankomme ... bums, kriej ick n Kuß. Könn sich det vorstelln?

HAHN
verlegen.
Oh, gewiß, Herr Fiebig!
[466]
FIEBIG
lehnt sich zurück und sieht Herrn Hahn groß an.

Schwermütig. Und wissn Se ooch, Ha Hahn, wat det denn forn Kuß wah? Pause. Hahn vor sich hin; Fiebig langsam, jedes Wort betonend. Det wah der Kuß der Erkenntnis. Nimmt ein außerordentlich großes, rotgewürfeltes Schnupftuch, das neben ihm, sauber zusammengefaltet, oben im Papierkorb gelegen hat, und legt es halb auseinandergefaltet auf den Schreibtisch. Machn Se det mal!

HAHN
dem der Hut runtergefallen.
Ihn wieder aufhebend. Oh!
FIEBIG.

Ja, Ihrn Hut brauchn Se dabei nich zu verliern! Hat aus seiner Schlafrocktasche eine silberne Schnupftabaksdose gezogen. Nehm Se doch, Ha Hahn.

HAHN.
Oh, danke, danke sehr, Herr Fiebig –Nimmt. – aber bloß n ganz kleines bißchen.
FIEBIG
nimmt selber.
Wissn Se? Nach die Priese hab'k zehn Jahre jesucht. Det is Kownoer mit Meijlöckchn.
HAHN
niest mehrmals fürchterlich.
FIEBIG
lacht.

Na, Ha Hahn, Ihn merkt man ooch an, det Se keen Schnupfer sind. Ick niese überhaupt nich mehr. Ick kann ne janze Fuhre voll rinnstoppn. Wissn Se, und denn hab'k ja ooch Beziehungn zu Richard Schmidt Cabannißn? Sehn Se, da obn in de erste Reihe: »Veilchen und Meerrettig«. Scheener Titl! Hatter von mir. Wat jloobn Se, ick habe ooch meine Infälle.

HAHN.

Ja, ich wollte Ihnen das schon sagen, Herr Fiebig: das mit dem Geld von der Tante. Ich glaube ... Sie is ja immer so komisch, sie glaubt, ich bin so leichtsinnig, sie sagt – Immer kleinlauter. – sie vermachts dem Hundeasyl.

FIEBIG.

Na, da heert doch verschiednes uf! Un det lassn sich bietn? Ick würd nischt sagn: wennt wenichstns fer de Urahnja wär. Dets wat Wissenschaftlichet. Da 's 't Embrio von Huhn zu sehn. Man wenn ick ne olle Dame bin, enterb [467] ick doch nich mein Neffn? Ne! Nu zeijn Se't jrade. Mit ne Zeitung is schon mancher Milljonär jewordn. Strußberch ooch. Jloobn Se, der hat sein Jeld alleene mitn Viehhof jemacht? So lange, verstehn Se, wah't man Spaß. Tippt mit dem Finger auf den Schreibtisch. Nu is't Ehrensache!

HAHN.

Ja, Herr Fiebig, wenn das gemacht werden soll ... dafür bin ich ja ... dann muß doch auch n Redakteur sein für die Zeitung. Ich kann doch so was noch nich machen.

FIEBIG.

Ooch ... det lassn Se man meine Sorje sind. Natierlich ist det jetzt alles noch in embriojenischen Zustand. Abber, wissn Se, Se sind n Jlicksvogl. Doktor Jehrke un mein Freund Werner kommen heute zufällich alle beede her. Ick habe Ihn det noch nich sagn wolln, det wah mir peinlich, abber heut is meine Frau ihr Jeburtstach.

HAHN.
Oh, Herr Fiebig, wenn ich das jewußt hätte!
FIEBIG.

Nu, versteht sich, gewiß doch. Sone Frau freut sich ja immer iber wat. Is't, wat is. Braucht ja bloß n Veilchenbukett zu sin. Jetz in Winter?

HAHN.
Ach, wenn ich da doch bloß dran gedacht hätte, Herr Fiebig, das tut mir furchtbar leid.
FIEBIG.

Ha Hahn! Ick wer Ihn wat sagn. Nehmn Sie mir det nich übl. Se wissen ja, wie so de Fraunsleute sind. Langt unterm Schlafrock in die Hosentasche. Hier is ne Mark. Tun Se mer n Jefalln un holn Se son kleenet Bukettkn. Wissn Se, jleich hier an de Ecke. Se machn mer ne Freude.

HAHN.

Aber, Herr Fiebig. Steht auf. Selbstverständlich. Sehr gern. Geht zur Tür, ohne die Mark zu nehmen. Nicht wahr, gleich hier an der Ecke, wo das Gitter is?

FIEBIG.

Abber, Ha Hahn! Sie wern mir doch hier nich die Mark liejn lassn? Det is ja man bloß son Mumpitz. Ick will ja man bloß von wejen meine Frau, wissn Se. Vertraulich. Ick mach mir doch nischt draus!

HAHN.
Nein, nein, Herr Fiebig, wirklich, das geht nicht. Ich bin gleich wieder zurück.
[468]
FIEBIG
winkt ihm vom Stuhl zu sich.

Wissn Se, hier is noch ne Mark. Bringn Se ooch jleich drüben von Martinzn n paa Ziejahn mit. So, un nu nehm Se schon den janzn Kitt, und denn jehn Se. Wissn Se, unter uns Männern.

HAHN
nimmt das Geld und steht noch.
Na ja, Herr Fiebig, ich weiß nicht, aber, wenn Sie durchaus wollen, ich ...
FIEBIG.
Ach wat, machn Se doch keene Jeschichtn. Atchee!
HAHN.
Adjö, Herr Fiebig. Gibt ihm die Hand. Also fünf Minuten. Zur Tür.
FIEBIG
ihm nachrufend.
Sieben n halb det Stick!
HAHN.
Jaja, gleich. Ich wer nicht vergessn.

Ab.
Fiebig allein, im Stuhl. Breitet voll das Taschentuch aus und schnaubt sich umständlich.
FRAU FIEBIG
aus der Tür im Hintergrund; hinter ihr Anna.
Wer wah dn det?
FIEBIG
legt das Taschentuch sauber zusammengefaltet wieder oben auf den Papierkorb.
Ach Jott, wer sollt jroß jewesn sind? Wieder son junger Mensch mit Jedichte.
ANNA.
Ach Papa, das wah wohl Herr Hahn?
FIEBIG.
Ach Quack! Hahn wär doch jrattuliern jekommn.
FRAU FIEBIG.

Ick sag ja: Dir loofn se alle ibern Hals. Du bist ja man immer der Dumme. Wenn du dir bloß for andre Leute opfern kannst. Anjepumpt hatter dir natierlich ooch wieder?

FIEBIG.
Kümmer du dir doch lieber um deine Kochteppe, ja? Ick pump iberhaupt keen wat.
FRAU FIEBIG.
So. Na, un Spredowskn?
FIEBIG.
Wat is hier mit Spredowskn?
FRAU FIEBIG.
Dets doch keen jebillter Mann? Wenn ick n jebillter Mann bin, bin ick keen Schneiderjeselle.
FIEBIG.
Haste nu bald jenuch jeredt?
FRAU FIEBIG.

Ick red ieberhaupt nich. Ick möcht wissn, wat des bei dir nitzen soll? Alle Dage hat det nu hier mit seine Pockennarben uft Soffa jesessn. Sowat is for dir ja keen Umjank. Spuckt uft Pahkett und trampelt een n [469] janzen Teppich voll. Det hab'k Annan schon jesaacht: Den witt nich widder uffjemacht!

FIEBIG.

Jawoll doch, und wenn nachher de soziale Revolutzjohn kommt, denn solln se dir wohl det Haus ibern Kopp ansteckn? Lehr du mich, wat Politik is!

ANNA
die die Konsols entdeckt hat.
Was is dn das, Papa?
FRAU FIEBIG.
Wo dn?
FIEBIG
die Konsols zwischen das Manuskript schiebend.
Och, det is wieder so wat Lausjes von die olle Vermejenssteier. Bis in Magen sehn se een!
FRAU FIEBIG
die sich unterdessen aufs Sofa gesetzt hat.

Die Hände gefaltet. Heut is an bestn, eener hat ja nischt. Hat eener wat, denn nehm se't een, un hat eener nischt, denn könn se't een wenichstns nich nehmm. Wat jetz alleene widder son Jeburtstach kost? Bolln hab'k ooch noch nicht bezahlt.


Es klingelt.
FRAU FIEBIG.
Jeh mal ufmachn, Anna. Un seh dn ooch jleich nachn Kaffe.

Anna ab, durch die Tür, durch die Herr Hahn gegangen ist.
FIEBIG.
Hast ja heute son scheenet Kleed an. Hab'k ja noch ja nich jesehn.
FRAU FIEBIG.
Jott nu, den olln Lappn trag'k doch immer.
FIEBIG.
Steht dir sehr jut. Haste diesmal ooch orntlich Äppl in de Jans un nich zu wenich Meiran?
FRAU FIEBIG.
Stille doch! Horch doch mal.

Vom Korridor Geräusch: »Gun Tag, gun Tag, Fräulein.« – »Bitte, legen Se ab.« – »Ach du lieber Kott, nu sehen Se bloß, Freilein, das Mallehr. Nee so was!«
FRAU FIEBIG
die vom Sofa her nach der Tür gehorcht hat.
Det sin Jehrkns. Die komm widder for naß.
FIEBIG
Handbewegung.
Die heeren ja alles!

[470] Frau Gehrke und Dr. Gehrke treten ein. Frau Gehrke mit langen Handschuhen, die sie beim Eintritt aufknöpft. Später steckt sie sie in ihren Pompadour und legt diesen neben sich auf das Sofa. Herr Fiebig bleibt sitzen. Seine Frau ebenfalls.
MEISCHEN.

Achkottnee, meine liebe Frau Fiebchen, mir is noch ganz bliemerant vor de Oochen, so is mer der Schreck in de Beene gefahrn ... Denken Se sich, ähm is mer mei Benno hinden von de Färdebahn rundergefallen midden in n Schneemadsch nein ... so ä großer schdarker Mann ... Wie e gleenes Kind biste awer ooch.

FIEBIG.
Um Jotts willn, Dokter, lassen Se doch mal sehn. Is doch nischt Schlimmet? Kommn Se doch mal her.
FRAU FIEBIG.
Hat sich doch nischt kaputt jerißn?
GEHRKE
sich das Knie säubernd.

Überlegen. Oh, keineswegs, lieber Herr Fiebig. Kleiner, unbedeutender Unfall. Gebt auf ihn zu und gibt ihm die Hand.

MEISCHEN.

Gucke, du Schwein, wie de widder aussiehst! 's Salz wird der noch de ghanze Hose entzwee fressn. Zu Frau Fiebig. Eene hat'r bloß!

FIEBIG.
Ach wat, Frau Doktor. Maria Stuart hat ooch keene Hose jehappt, und ne jroße Könjin wah't doch!
FRAU FIEBIG.
Nu quaddl doch man, ja?
GEHRKE
lacht.

Ist unterdessen zu Frau Fiebig getreten. Meine herzlichsten Glückwünsche, Frau Fiebig. Sie entschuldigen, daß ich sie erst so verspätet bringe.

MEISCHEN.

Da soll eins auch noch wissen, wo eim der Ghopf schdeht. Bei so was is reine ghar nischt los mit mei Benno! Na, bis ibersch Jahr, meine ghute Frau Fiebchen, denn simmer widder hier!Hat sich neben sie gesetzt, nimmt das Strickzeug aus dem Pompadour und beginnt zu stricken.

FIEBIG.
No, un mir jebn Se woll nich de Hand, Frau Dokter!
MEISCHEN.
Ach, lassen Se mich in Ruhe, ich bin dicksch.
FIEBIG.
Ja, von mein Thron bemieh'k mer nich! Ick eß un drink hier vor mein Schreibtisch.
[471]
FRAU FIEBIG.
Der steht bloß noch zun Schlafen uf.
GEHRKE.

Ja, Frau Fiebig, ich beabsichtigte ja eigentlich, Ihnen ein kleines Blümchen mitzubringen. Aber Se sehen ja: höhere Gewalten.

FRAU FIEBIG.
Jott, Herr Dokter, ick habe ja ooch uf nischt jerechent.

Glättet ihre Schürze.
Es klingelt.
FIEBIG.
Elepfantenwilhelm!
FRAU FIEBIG.
Ja, den kennt man schon immer ant Klingeln. Zu Meischen. Scheene Wolle. Zehfer?
MEISCHEN.

Ach ja, in een weg muß mersche n anschtricken: ä frißt sei Zeig reene uf. Die Strimpe hat'r nu erscht vor ä Verteljahr gekricht!


Von draußen hört man weibliches Quietschen.
FIEBIG.
Wilhelm kenn'k doch?
GEHRKE
der sich unterdessen an einem Bücherregal zu schaffen gemacht, hat eine Broschüre herausgelangt in knallrotem Umschlag und liest jetzt, auf Fiebig sehend, den Titel.

»Der Einbrecher.« Das ist ja in London gedruckt. Das ist wohl eine anarchistische Broschüre? Wo haben Sie denn das her?

FIEBIG.
Nu, von Spredowskn. Verbotn!
GEHRKE.
Das Schriftchen scheint nicht uninteressant zu sein.

Es klopft.
FIEBIG.
Immer rin, Wilhelm!
WERNER
eintretend.

Sich zuerst noch halb umsehend. Bewegung mit den Achseln. Hände auswärts. In der einen ein eingewickeltes kleines Buch. Ick weeß nich, nach mir sind de Meechns immer janz verrickt. Jratulier ooch! Auf Fiebig zu. Moin ollt Federvieh. Schüttelt ihm derb die Hand. Orntlich Eisbeene hab ick. Scheen wahm hier. Zu Frau Fiebig. Na, ick will man nich so sind. Da nehm Se schon. Det is ja wat for sone Dichtersjattin. Gibt Meischen [472] die Hand und sieht auf den Strumpf. Von die Sorte könnt'k ooch mal n halbet Dutzend brauchn.

MEISCHEN.
I, heiraten Se doch!
WERNER
grinsend.

Ick wer ma hietn. Unterdessen zu Gehrke, dem er die Hand wuchtig und vertraut drückt. Gehrke lächelt freundlich-verlegen.

FIEBIG
zu seiner Frau.
Dets doch wieder wat von Wertheim?
FRAU FIEBIG
die unterdessen das Paket aufgewickelt hat.

Enttäuscht. Jott, wat soll'k dn damit? Immer die olln Biecher. »Lieder eines Ibermenschn«! Det is doch nischt for mir? Dets doch man bloß wieder, det sich der Dreck druf sammelt.

FIEBIG.
Nanu? Du wirst dir doch hier nich blamiern wolln? Det is doch von unsern Dokter?
FRAU FIEBIG
hat das Buch verächtlich in die Sofaecke geworfen.
Och, Jott!
GEHRKE.

Oh, ich lege jetzt keinen Wert mehr auf die kleinen Sachen. Stammen noch aus meiner früheren Periode. Haben eigentlich nur noch literarhistorische Bedeutung.


Werner hat sich unterdessen großpratschig auf einen Stuhl gesetzt, die Hosenbeine in die Höhe gezogen und dreht die Daumen.
MEISCHEN.

Das is je mei Jammer! Mei Benno is ähm zu bescheiden! Daß'r der Eerschte is, ham se damals alle geschriem. Im »Klein Schournal« hats auch geschdanden.

WERNER.
Jo, de Dichter habn dn Ruhm un de Drucker habn de Kostn.

Gehrke zieht ein saures Gesicht, bringt aber nur kurz ein gequetschtes »Nja« hervor.
FIEBIG.

Davon verstehste nischt, Wilhelm. Dets bei uns Unsterblichkeit uf Vorschuß. Zu seiner Frau. Laß det doch da nich so in de Ecke rumtrödeln! Jib doch her. Een Exemplar hab'k schon. Tausch'k mer mal jelejntlich bei Kampmeiern mit um.

[473]
ANNA
halb durch die Tür.
Mama?
WERNER
von seinem Stuhl her.
Kiehks!
FRAU FIEBIG.
Wat is dn schon wieder?
ANNA.
Soll ich bloß von den Zuntzkaffe nehmn, oder auch noch von den andern?
FRAU FIEBIG
aufstehend.
Hinter alles muß man ooch her sein.
MEISCHEN.
Nu warten Se doch! Nähm Se mich doch mit! Was soll ich n dahier under die Mannsleite? Beide ab.
FIEBIG
sich die Hände reibend.
Na, da ham mer ja wieder unser Konfiefjum.
GEHRKE
hat sich, die Broschüre in der Hand, aufs Sofa gesetzt.
Eine merkwürdige Anschauung.
WERNER
seinen Stuhl ranrückend.
Du, saa mal, Oska, wie is dn det? Mir roochert. Hast n jakeen Ziehjahn?
FIEBIG.

Laß doch man. Ha Hahn kommt ja jleich! Weeßte, watter machn will? Ne Wochenschrift! Du sollst se druckn.

WERNER.
Nanu? Is dn die Olle schon dot?
GEHRKE
der sofort die Broschüre zur Seite gelegt hat.
Interessiert. Ah, der junge Mann mit der reichen Tante?
FIEBIG.

Nöh! Soweit isser noch nich. Dets man erst son Vorkosthäppkn. Vierdausend Emm! Hat die Papiere genommen und schlägt drauf.

WERNER
faßt sie mit Daumen und Zeigefinger.
Wie sich det anfäßt!
GEHRKE
nachdenklich.
Damit ließe sich schon etwas beginnen.
FIEBIG.
Sie solln der Redaktöhr sind, Dokter!
GEHRKE.
Ja, wenn ich ungehemmt meiner Individualität leben kann?
WERNER.
Det jloob'k! Ick schlage denn ooch uf mit die Prozente. Dhun dhun wir je alle beede nich jern wat.
FIEBIG.

Ick weeß nich, Wilhelm, watte immer jejn Hahn hast? Steckt wat in ihn. Den jeht't wie mir. Er kannt bloß nich immer so von sich jebn.

[474]
WERNER.
Nu ja, e frißt keene Stieblwickse! Talent zum Schwiejersohn.
FIEBIG
drüber weghörend.

E redt bloß nich ville. Ma muß allns aus n rausziehn, wie mit n Proppnzieher. Dets det eenzje. Mir sieht ooch keener an, wat'k bin.


Es klingelt.
FIEBIG.
Nu ja nischt sagn!
ANNA hinter der Szene »Ach, Ha Hahn, son schöner Strauß!«
FIEBIG
absichtlich andrer Tonfall.

Ja, det mitte Ferdebahn! Det hab'k schon immer jesaacht! Det mißte man bloß zehn Fennje kostn von Jesundbrunn bis nach n Kreizberch! Passn Se uf, Dokter! Kommt ooch noch so.

WERNER.
Ooch schlecht.
ANNA
macht Herrn Hahn die Tür auf.
Bitte, gehn Sie nur rein, Herr Hahn, ich rufe gleich Mama.
HAHN
ohne Hut und Paletot, mit einem großen prächtigen Rosenstrauß.
Ache ... danke sehr, danke!

Anna schließt hinter ihm die Tür.
FIEBIG.
Ach, Ha Hahn! ... Verehrer von Ihn, Dokter.
GEHRKE
steht auf und gibt Hahn die Hand.

Es freut mich, Herr Hahn, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich glaube Ihren Namen kürzlich in einer Zeitschrift gefunden zu haben.

HAHN
entzückt.
Oh, Herr Doktor! ... Gun Tag, Herr Fiebig.
FIEBIG
zu Gehrke.

Ach, Se meen, wat ick Ihn da in de »Freie Biehne« anjestrichn habe? Ne, det wah n andrer Hahn. Zu Hahn. Wissen Se, der Mann hat dn Doktor mit Sokratesn, Confutzjusn un Tolstoin verjlichn. Da: Sehn sich mal an!

HAHN
beschämt, gibt Werner die Hand.
Gun Tag, Herr Werner.
WERNER
wie Fiebig sitzen geblieben.
Tach, Ha Hahn.
[475]
GEHRKE.

Eine gewisse Übereinstimmung in unsern Hauptideen ist allerdings merkwürdig. Ich leugne das nicht. Indessen berücksichtigt der Verfasser wohl kaum genügend die Verschiedenheit unsrer Methoden.

FIEBIG.

Ja, wissn Se, det hab'k mer ooch jesaacht. Dets immer verschiedn. Dets nie jleich bei de Künstler. Rossini leechte sich ins Bett und besoff sich. Jluck stand uf freiem Felde. Ick kann hier ohne mein Schlafrock nischt machn.

FRAU FIEBIG
tritt ein, hinter ihr Meischen, eine Küchenschürze um, in der offnen Tür.

Dahinter Anna mit langem Hals. Frau Fiebig, sich die Hände an den Hüften abwischend. Jun Tach, Ha Hahn.

HAHN
schüchtern auf sie zu.
Entschuldigen Sie, Frau Fiebig. Ich gratuliere schön. Reicht ihr das Bouquet.
WERNER
zu Gehrke, der neben ihm steht, stichelnd.
Scheenet Sträuskn, Dokter.
FRAU FIEBIG.
Is der abber dheier. Det sin ja Rosen. Dafor hättet ja schon wat Nützlichet jejebn?
FIEBIG.
No, Ha Hahn kann dir doch keene Nachtjacke schenkn?
FRAU FIEBIG.
Nu, worum dn nich?
FIEBIG.

Nischt verstehste! Det ick mir bei jede Jelejenheit uf den jeborn Humoristn rausspiele, könntste doch nachjrade schon jemerkt ham. So wat schenkt doch nicht das Portmaneh, so wat schenkt det Herz.

FRAU FIEBIG.
Der hat jut seine vier, fünf Mark gekost!
FIEBIG.
Ja, so eener wah Unsinn.
HAHN.
Ach, Herr Fiebig.

Fiebig kramt ärgerlich zwischen seinen Papieren.
FRAU FIEBIG.
Wat macht man dn nu mit ihn?
ANNA.
Steck n doch in meine Schusterkugel, Mama!
FRAU FIEBIG.
Ja, dets eijentlich wah.

Werner hat sich unterdessen an den Ofen gestellt. Wärmt sich.
[476]
MEISCHEN
während Frau Fiebig vorübergeht, an dem Strauß riechend.
Awer die sehn scheene! Ei, das riech 'ch gerne!
FRAU FIEBIG
schon im andern Zimmer.
Ich koch Ihn ooch n scheen Kaffe für, Ha Hahn.

Ab mit Anna.
Hahn Verlegenheitsdiener.
GEHRKE.
Gestatten Sie, Herr Hahn, daß ich Ihnen meine Frau vorstelle. Meine Frau, Herr Hahn.

Hat, bevor er zu ihnen getreten ist, die rote Broschüre auf den großen Sofatisch geworfen, wo sie auffällig liegengeblieben.
Hahn stumme Verbeugung.
MEISCHEN
noch immer in der offnen Tür, reicht ihm die Hand.
Leutselig. Besuchen Se uns doch emal. Se fahrn mit der Stadtbahn. Mir wohn in Friedrichshachen.
HAHN.
Oh, wenn Sie gestatten ...
MEISCHEN.

Mei Benno freit sich immer, wenn einer uns besucht. Bei mei Benno gomm se alle. Mei Bild auf der Ghunstausschdellung ham Se doch auch schon gesehn? Midden under die Ferschtlichkeiten ham se mer gehängt. Härre, wie ich bloß aussehe?! Mer muß sich je schämen! Mer muß sich je schämen! Auf Wiedersehen, Herr Hahn!


Ab.
Hahn dienert ihr nach.
FIEBIG.
Komm Se, Ha Hahn. Setzn sich.
HAHN
setzt sich auf den Stuhl, auf dem Werner gesessen.

Ach, sehr freundlich, Herr Fiebig. Schnellt auf; verwirrt. Entschuldigen Sie, Herr Werner, das war wohl Ihr Platz?

WERNER.
Ach, bleibn Se ruhch sitzn. Hier is ooch scheen wahm.

Hahn reicht Fiebig stumm die Zigarrentüte.
FIEBIG
präsentierend.
Wolln Se eene, Dokter?
GEHRKE.
Danke sehr, Herr Fiebig. Sie wissen, daß ich die Narkotika nicht als reine Mittel werte.
[477]
FIEBIG.
Sehn Se, Ha Hahn? Heern Se jleich wat. Ick mach ooch nich vorn Kaffee.
WERNER
näher gekommen.

Mir scheniert det nich.Nimmt eine Zigarre, beißt die Spitze ab und spuckt sie vor sich auf den Teppich. Hahn greift schnell in die Tasche, streicht ein Zündholz an und reicht es ihm. Merßi.

HAHN.
Oh, bitte schön.

Werner große Züge paffend, nach dem Ofen zurück.
GEHRKE
ausholend.

Kleiner Husten. Wie ich höre, lieber Herr Hahn, beabsichtigen Sie eine Wochenschrift zu gründen. Haben Sie sich bereits auch ein Programm gesetzt?

HAHN.
Nein ... ja ... e ... ich dachte, wir bringen denn auch ab und zu son kleines Gedicht.
FIEBIG.

Sonst ... e ... det is der richtje Oogenblick jetz f'ene Zeitung. Dets doch jrade so scheen mulmrich in de Welt. Nu jeht doch de jroße Deilung von Afrika los? Wißmann hat schon n Aluminjumboot.

GEHRKE.

Ja, nun, das wäre wohl mehr auswärtige Politik. Indessen, ich dächte doch, das Hauptgewicht legen wir besser auf die philosophische Seite der Ereignisse.

WERNER
vom Ofen her.
Ironisch. Dets ibrijens n janz juter Fünffennichziehjahn forn Seckser.
FIEBIG.
Nu laß doch, Wilhelm. Stör doch hier nich det Kleeblatt.
GEHRKE.

Ja, Herr Hahn, Sie spielten vorhin, wenn ich Sie recht verstanden habe, auf meine Gedichte an. Wie ich indessen schon bemerkte, sind dieselben aber durch meine spätere Entwicklung für mich ... ich weiß ja allerdings nicht, ob auch für andre ... längst überholt. Ich stand damals noch mit einem Fuße innerhalb der falschen, humanitären Bestrebungen der Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie proklamiert das Faustrecht. Ich proklamiere das Kopfrecht. Unser Freund Werner ist ja inzwischen gleichfalls geistig über sie hinausgewachsen.

[478]
WERNER
geschmeichelt.
Biedere Handbewegung. Dets allns eene reaktsjonäre Masse.
GEHRKE.

Für die sozialdemokratische Bewegung ist das Bestimmende der Herdeninstinkt der Menge, welche kritiklos den Führern folgt.

WERNER.

Ja. Die wohn in de Bellwühstraße, Ufjank nur für Herrschaftn. Un unsereens muß froh sind, wenn se n nich aus Rixdorf schmeißn!

FIEBIG.
No ... ick weeß nich? Die Leute wolln doch ooch lebn?
WERNER.
Ja, von unsre Arbeeterjroschns!
GEHRKE.

Nun, das ist bei den betreffenden Herren aus ihrem sozialen Milieu zu erklären. Es zeigt sich eben auch hier einmal wieder der korrumpierende Einfluß des Parlamentarismus. Mein Ziel ist der freie Vernunftmensch.

WERNER.
Nee, ohne Spaß, Oska, der Ziehjahn is wirklich janz jut.
FIEBIG.
Nu sehste. Setzt befriedigt die Dose auf den Tisch.
GEHRKE.

Sie haben durchaus recht, Herr Fiebig. Grade jetzt ist der Zeitpunkt, wo sich die Masse von dem suggerierenden Einfluß der Politiker zu befreien beginnt. Das letzte Ziel für uns bliebe also gewissermaßen, nicht wie bisher eine politische Politik, sondern um mich so auszudrücken, eine unpolitische Politik. Aus sich selbst kann das Volk nichts. Wer erzieht es? Wir Individualitäten.

WERNER.
Dets n Wort!
FIEBIG.

Nich wah, Ha Hahn? Dets ooch unser Standpunkt! Bei die olle Sozialdemokratie is det man bloß immer son Jeschimpfe uf die paa Kreetn, die eener noch hat! Sie ham je ooch wat, Ha Hahn! Un denn weeß'k nich, wat se heit immer von de Judn habn wolln? De Hälfte von meine Kundschaft sin Judn. Anständjer wie de Kristn!

WERNER
ist unterdessen faul am Tisch vorbeigegangen und hat in die Broschüre gesehn.
Steht jetzt mitten auf der Bühne. Liest. Der wahre Sozialaristokrat ist der Einbrecher!
[479]
FIEBIG.

Nu, Wilhelm, det paßt uf dir. Plötzlich. Wie aus einer Eingebung. Kinder! da ham mer ja ooch jleich unsern Titl: »Der Sozialaristokrat«!


Die Tür geht auf, Meischen kommt mit Tischtuch und Kaffeeservietten herein. Anna mit dem Strauß in der Schusterkugel hinter ihr.
MEISCHEN.

Da sin Se wohl widder scheene iber uns Frauen hergezoochen? Mir missen fer alles herhaltn! Blatz fern Sechser! Schiebt Werner mit seiner Broschüre weg und legt das Tischtuch über. Nu woll mer emal vergniecht sein!


Hahn ist aufgesprungen und zupft das Tischtuch mit zurecht. Meischen legt die Servietten auf.
WERNER.
Ach, Frau Doktor, wenn der Mensch nischt ze dun brauch, isser immer verjniecht!
ANNA
stellt die Kugel auf den Tisch.
Zu Herrn Hahn. Nich wah? Den stelln wir wohl am bestn in de Mitte.
HAHN.
Das Glas wird doch nicht umfallen? Beide bemühen sich, Anna kichert.
FIEBIG.
Na, wie is't, Ha Hahn? Jehn Se mal mit Annan in Winterjartn. Zu de Barrisons!
ANNA
klatscht in die Hände.
Ach ja, Papa!
FIEBIG
der unterdessen vor sich Platz für die Tasse gemacht hat.

Biljetts kann'k kriejn. Det is ja wat fer sone jungn Leute. Mir deckn Sie man jleich hier. Sieht Meischen, die ihm eine besonders große, goldgeränderte Tasse vorsetzt, verliebt an, indem er dabei die Hand aufs Herz legt. Nä?

MEISCHEN
haut ihn leicht mit der Serviette.
Sie alder Bärlatsch! Se sin woll ä bißchen hä?
FIEBIG
die Hand schützend über die Tasse.
Ja, keen Polterahmd! Die hab'k mal von Annan zu ihre Konfirmatzjohn jekricht!
WERNER.

Ach, for mir ham Se da ooch son Lappn hingeleecht? [480] Dets ja nich nötich. Wat soll'k denn mit det olle Jeplempre? Nö, mir stelln Se man ne Flasche Bier hin.

ANNA.
Helles oder dunkles, Herr Werner?
WERNER.
Och, mit die Zuckerkulöhr! Ick drink bloß hellet.

Unterdessen hat man Geräusch an der Tür gehört. Anna springt zu und macht auf.
FRAU FIEBIG
pustend, mit einem großen Tablett voll Kaffee und Kuchen.
Noch von der Tür eingerahmt. Jott sei Dank!
WERNER
in die Hände schlagend.
No, nu kann't losjehn!

2. Akt

Zweiter Akt

Druckerei von Werner. Kleines, nur durch Tapetenwände, die bis zu zwei Drittel Höhe reichen, vom Maschinenraum abgetrenntes Kontor. Unter der Decke laufen Treibriemen. Durch die Glastür sieht man zwischen Setzerstände. An der Hinterwand ein altes, abgerissenes Ledersofa, über dem, eingefaßt von einer schmalen Goldleiste, ein schlechtes Porträt Bismarcks hängt. Außerdem noch eine Konsole, auf welcher eine Bibelattrappe steht. Davor ein Tisch, der mit Wachsleinwand überzogen ist. Zwei Stühle. In der Ecke ein kleiner, eiserner Ofen, in dem ein Feuer brennt. Nicht weit davon ein Regal mit verschiedenen, offenbar nur zufällig zusammengekommenen Büchern, Zeitungsstößen, Packpapieren und dergleichen. An einer Seitenwand ein hoher Stoß von Gehrkes »Lieder eines Übermenschen«. Mehrere Ballen in Latten und Blechstreifen. Auf dem Boden unordentlich Papier verstreut. Das Ganze sehr schmutzig.

WERNER
liegt lang auf dem Sofa.

Aus der Druckerei gedämpftes Geräusch. Auf dem Tisch eine Weiße und die Reste einer Käsestulle. Außerdem Zigarren. Hebt sich halb auf und nimmt eine von diesen. Ach ja! Steckt sie [481] an und legt sich wieder zurück. Ungeheurer Gähner. Uaah!


Setzerlehrling steht in der Tür.
WERNER.

Na, wat is dn nu schon widder? Keen Oogenblick hat man Ruhe. Nischt jenn se een. Nich mal det biskn Fressn lassn se een runterwirjn.

JUNGE.
Is keen Manuskript mehr.
WERNER.
All widder nich? Na, da wah doch noch son Stuß von Ibermenschn?
JUNGE.
Steht schon in de Kolumne.
WERNER.
Wieviel fehlt dn noch?
JUNGE.
Annerthalb Spalten Korpus.
WERNER.
Na, denn laß Müllern solange ablejn. De Meesters komm jleich.

Junge dreht sich um und stößt in der Tür auf Fiebig, hinter dem Herr Hahn auftaucht.
FIEBIG.
Moin! Packt den Jungen bei den Schultern. Na, Junge?
JUNGE.
Wat n?
FIEBIG.
Biste Familjenvater?
JUNGE
offenes Maul.
FIEBIG.
No, neulich hab'k dir doch mit son Vollbaht jesehn?
JUNGE
schnell gefaßt.
Och, den? Den hab'k ma jestern abrasiern lassen.
FIEBIG.
Junge, dafor krichst n Jroschn! Langt in seine Billetttasche. Da, koof dir n Ritterjut vor.
JUNGE
militärisch grüßend.
M.W., Herr Dokter, witt jemacht!
FIEBIG
zu Werner und Hahn zugleich.
N juter Schlach. Hat Ehnlichkeit mit dn Fürstn Reuß.
JUNGE
fidel ab.
Hohohoho!
WERNER
vom Sofa her.
Anerkennend. Jaa ... Den hab'k schon lange rausschmeißn wolln.
[482]
FIEBIG.

Na, Wilhelm, wat sachste nu zu Han Hahn? Ick finde, bloß n biskn ne rote Neese hatter noch von die Kälte.


Hahn in seinem Kostüm, unglaublich verlegen.
WERNER
noch immer lang, auch während des Folgenden.

Jott, wat soll son Proletarjer wie ick zu son Kapitalistn sagn? Ick wah schon zwee Jahre nich mehr bei Weltmann.

FIEBIG.
Wenn du man mit dein olln Judenjankl uft Sofa liejn kannst.
WERNER.

Oska! Du hat jut redn. Wenn du mal Schwieln an de Fingern krichst, denn is't doch man bloß von Kuponabschneiden. Ick kann ma schindn.

FIEBIG.
So. Un wat ick an de Arjentienjer verloren habe?
WERNER.
Na, laß man Oska. Ick leide ja jern Not, wenn du man wat hast.
HAHN
hat unterdessen abgelegt.
Hilft jetzt Fiebig. Bitte, Herr Fiebig.
FIEBIG.

Sehn Se, Ha Hahn? Man witt immer schahthafter ... Na, wat sagn Se nu zu Ihr neiet Unternehmn? Zu Werner. Von janzn Bahnhof her! Immer unter de rotn Plakate sind mehr jejangn! Wie unter Palmn! Kooft dn »Sozialaristokrat«! Kooft dn »Sozialaristokrat«! Schack Raphaeli!

WERNER.

Jaa, die Reklame, jloob ick, ham mer janz jut jemacht. Ant Schulhaus hat der Amtsdiener de Zettl man immer so mitn Seebl runterjepolkt.

FIEBIG
setzt sich.
Setzn sich, Ha Hahn!
WERNER.

Na, wat for Papiere koofn sich dn nu? Vierdausendachthundert sin abjesetzt. Fünfdausend ham mer jedruckt. Zeigt mit der Zigarre auf einen Pack Nummern, das auf einem Ballen liegt. Da, dets de janze Uflage.

HAHN.
Ja, meine Tante hat sich ja auch sehr drüber gefreut. Zuerst war sie ja furchtbar dagegen.
FIEBIG
hat inzwischen sein Taschentuch aus der Tasche genommen, sich umständlich geschnaubt und legt das Tuch nun vor sich auf den Tisch.
Och, dets ja ne vernünftje olle Frau. Die hat jetz n scheenen Lebensahmd vor sich.
[483]
HAHN.
Ja, sie hat gesagt, wenn wir noch was brauchen, wird sie vielleicht auch noch was geben.
FIEBIG.

Sehn Se? Hab'k Ihn jleich jesaacht! Aus den Asyl witt det nu nischt. Kriejn Se dn janzn Rummel. Habn Se mir z verdankn! Mir soll eener de Weiber kennlern! Machn sich dn wat aus Annan?

HAHN.
Oh, Herr Fiebig ...
FIEBIG.

Sonst, ick will Ihn da jar nischt in Weech lejn. Die hat mal wat. So pohwer bin'k nich. Jloobn Se nich, det det mal wenjer is, wie von Ihre Tante.

HAHN
verlegen.
Oh, gewiß nicht, Herr Fiebig.
FIEBIG.

In de blaue Stube bei uns hat ja mal son Dokter jewohnt. Der is man erst zu Ostern wechjezogen. Den hätt'k se unbesehn jejebn. Könn je ooch bei uns wohn! Überlejn sich doch mal die Sache. Een bei mir könnt'k noch janz jut jebrauchn. Poetsche Ader ham Se ja, machn mer mein »Weltunterjank« fertich.


Hahn vollständig fassungslos.
WERNER.

Ja, Ha Hahn, um denn bei die Jelejenheit ooch jleich uf den Umstand ze kommn: ick habe mir det berechent. Et is ja für de Sache. De Fraktsjohn hat keen kleen Bammel. Aus de Ajetatsjohn hattn se mer rausjeschmissn! Abber, wenn't jeht, ick seh nich in, warum solln andre Leute det schluckn?

FIEBIG
der zuerst selbst geschnupft hat und nun seine Dose stumm Hahn rüberhält, der wortlos dankend gleichfalls eine Prise nimmt, worauf Fiebig die Dose vor sich hinlegt.
Nu, Ha Hahn will doch von dir nischt jeschenkt habn?
WERNER.

Ick bin ja hier man Unternehmer sozesagn. Det is nu nich anders in die heutje Jesellschaftsorjanisatsjohn. Ick jebe ja ooch de jekrehnten Heipter raus. So Katterine de Zweete, verstehn Se. Det wirkt ufklärend. Da sieht det Volk, wattet for Monarchn hat. Se jlobn ja ja nich, wie zurückjebliebn de jroße Masse noch is! Oskan sein Herzblättken [484] druck ick ja ooch. Na, un wenn der Sonnahmd nachher rankommt, wolln se alle von mir ihr Jeld ham. Die Kerls könn je dn Hals nich voll jenuch kriejn. Ick bin in Dilemma.


Hahn niest einmal und heftig.
FIEBIG
zu Hahn.
Erklärend. Wissn Se, Ha Hahn, wie man det so uffaßt. Zuletzt spielt sich allns ufn Dilemma raus!
HAHN.
O bitte, Herr Fiebig! Natürlich. Sehr gern. Das ist ja selbstverständlich.
FIEBIG
ihm auf die Schulter klopfend.

Jloobn Se nich, Ha Hahn, det mein Freind Werner Ihn da wat ufbrummn will. Det soll man allns bloß so de jewönnlichste Taxe sind. Wilhelm is ja ja nich so. Wilhelm is jenau so wie ick. Wenn mir eener n Jroschn jiebt, kricht er ne Mark for. Sie sin ooch so. Wir verstehn uns doch? Andrer Tonfall. Na, Wilhelm, wie wär't dn nu jetz mit't Wort Jottes?

WERNER
langt nach der Attrappe.
Ja, feifn ma een! Holt die Flasche raus und trinkt halbaufgerichtet einen langen Schluck.
FIEBIG
der, während Werner noch trinkt, auf die Attrappe geklopft hat.
No, wie jefällt Ihn dn det, Ha Hahn? Mosis und de Profehtn!
HAHN.
Oh, sehr schön!
FIEBIG.
Hab ickn geschenkt. Zu Werner. Na, du bist wol ooch schon beit zweete Buch Samaelis?
WERNER
hat abgesetzt und streicht mit der flachen Hand über die Öffnung.
Dumpf deklamierend, während er mit der Flasche den Rhythmus markiert.
Denn auch Niobe, dem schweren
Zorn der Göttlichen ein Ziel,
Kostete die Frucht der Ähren
Und bezwang det Schmerzjefiehl!
FIEBIG
schlicht.

Wilhelm, uf Schillern laß'k nischt kommn. Von den Mann is »Der Jang nachn Eisenhammer«. Hebt [485] die Flasche ebenfalls und zitiert seinerseits. Sziehr! Jebn Sie Jedanknfreiheit! Setzt die Flasche ab, streicht auch über die Öffnung und gibt sie Hahn weiter.

WERNER
der sich unterdessen wieder in seine alte bequeme Lage gebracht hat, nachdem er sich kräftig mit dem Handrücken zweimal über den Bart gefahren ist.
Det wahn Kuhschluck.
FIEBIG
zu Hahn.
Prost, Ha Hahn! Na? Wat meen Se? Uf Annan? Se wissn ja: fer Ihn opfer ick allns!
HAHN.
Prosit, Herr Fiebig. Trinkt. Danke schön, Herr Werner. Reicht ihm die Flasche zurück.
WERNER.

Jott, wah keen Jejenstand. Steckt die Flasche wieder in ihre Attrappe zurück und stellt diese an ihren Ort; beides im Liegen.

FIEBIG
zu Hahn.

Wilhelm tut ja man so, Ha Hahn. Abber det kann'k Ihn sagn: Dets ne Seele von Mensch! In de Jrinderjahre ham mer in de Stallschreiberstraße zusammn Romane jeschriebn. In de Blaue Jardine. »Jraf Jriebenow de Paderna, oder der Sektonkel in de Weißbierkneipe.« 't Urbild von de Ballhausanna! Mit den ham mer dn sozialn Roman bejrindt. Zola un Kretzer kam erst später. Det heeßt, wie Wilhelm so is: ick habe se geschriebn, un Wilhelm laach uft Soffa. E wah je ooch bei de Reichsjlocke. Uf den hat Bismarck damals n Ooge jehappt! Abber so isser: meine silberne Uhr, die ick ihn damals versetzt habe, soll'k heute noch ham! Scherzend. Schenk ick Ihn, Ha Hahn! Hahn verlegen lächelnd. Na, wo bleibt dn heut der Dokter? Wir komm hier aus Bellin, und von die Jesellschaft is noch nischt zu sehn! Un Styczinski is ooch noch nich da. Wozu ham mer dn n zweetn Redaktöhr! Zu Werner. Wat ist dn det iberhaupt fern Kerl?

WERNER.
Ach, det Luder is ja noch fauler wie der Dokter.
GEHRKE
durch die Glastür.
Hinter ihm Styczinski. Moin, die Herren.
STYCZINSKI.
Guten Tack.
HAHN
aufgesprungen.
Guten Tag, Herr Doktor.
[486]
FIEBIG
sitzen geblieben, halb umgedreht.
Na, det hat abber lange jedauert!
WERNER
faul vom Sofa aufstehend.

Na, denn will ick man hier die Jelehrtn rufflassn. Ick bin ja man son eenfacher Ahbeeter. Nu is't aus mit die Friehstickspause. Streift die Zigarre ab und legt sie in den Aschenbecher. Dann schleift er einen Papierballen an den Tisch und setzt sich drauf, Fiebig gegenüber.

GEHRKE
setzt sich, nachdem er Fiebig und Hahn die Hand gegeben, aufs Sofa, das knackt.
Hier, Herr von Styczinski.
WERNER
während er sich setzt.
No, denn man zu!

Styczinski setzt sich, die Handschuhe ausziehend, stumm aufs Sofa, links von Gehrke.
GEHRKE
geschäftsmäßig.

Die Sitzung ist also eröffnet. Den großen Erfolg unserer ersten Nummer, Herr Hahn, haben Sie wohl bereits durch Herrn Werner erfahren?

HAHN.
Ja, Herr Werner war so liebenswürdig ...
FIEBIG.
In de Friedrichstraße hamse sich je drum jerissn!
GEHRKE.

Nun ja, Derartiges war ja wohl auch nur vorauszusehn. Also, was ich Ihnen noch zuerst mitteilen möchte. Sie kennen alle Herrn Frederick S. Bellermann, den Verfasser der »Anarchisten«.

FIEBIG.
Nu, versteht sich. Der hat doch Stirnern entdeckt?
GEHRKE.

Ganz richtig. Gewiß. Er hat an dessen Hause eine Gedenktafel anbringen lassen. Ich habe das Vergnügen, Ihnen mitzuteilen, daß Herr Frederick S. Bellermann uns heute die Ehre seiner Anwesenheit schenken wird. Es ist Hoffnung, ihn dauernd in unsern engeren Freundschaftskreis zu ziehn.

FIEBIG.
Den haltn sich wahm, Ha Hahn. Der hängt ooch bei Lazarussn! Jleich bei Leo Berchn!
GEHRKE
etwas ungeduldig.

Er stellt den Antrag, fürs erste seine grundlegende Untersuchung über die Autonomie des Individuums abzudrucken. Natürlich in Fortsetzungen. Die Arbeit ist freilich schon vor Jahren bei Schabelitz erschienen, [487] aber darüber wird sich ja noch Beschluß fassen lassen.

FIEBIG.
Ja, nu, no, wie ... wie steht det nu mit mein »Weltunterjank«? Von den is ja nich mehr de Rede.
GEHRKE.

Ja, wie Sie schon gelesen haben werden, Herr Fiebig, die erste Nummer brachte bereits den Anfang meiner Philosophie der Befreiung durch das reine Mittel, und Sie werden mir zugeben, daß man nicht recht zwei umfangreiche Werke gleichzeitig bringen kann.

FIEBIG.

Ja, ick seh ja nich in, wozu det mit det reine Mittl iberhaupt neetich wah? Det Publikum macht sich ja nischt aus die olle Filosofie. In so wat bin'k nu komisch: in mein Kopp is't ooch nich jejangn!

GEHRKE.

Ich verstehe. Sie machen mir den Vorwurf der Phrasenhaftigkeit. Nun, man hat ihn mir schon öfters gemacht. Ich denke indessen Gott sei Dank objektiv. Ich fühle mich nicht durch ihn getroffen. Unser Intellekt differiert eben.

FIEBIG.

Natierlich! Un Ha Hahn seine Jedichte bringen Se ooch nich! »Schmetterlings Tod«! Scheenste Jedicht von de junge Jeneratzjohn jetz!

GEHRKE.
Ja, lieber Herr Fiebig, redigieren Sie die Zeitung, oder ich?
FIEBIG.
No, erloobn Se mal!
DRUCKERJUNGE
in der Tür.
Een Herr is da.
GEHRKE.
Ah, Herr Bellermann. Es dürfte wohl niemand dagegen sein? Wir lassen den Herrn bitten.
WERNER.
Na, Ha Hahn, denn könn Se sich ja man jleich hier mit uf de Kiste setzn.
HAHN.

Oh, mit Vergnügen, Herr Werner! Herr Bellermann muß doch n Platz haben. Steht auf und stellt sich erwartungsvoll neben die Kiste.

GEHRKE.
Bitte, Herr von Styczinski.

Gehrke und Styczinski sind aufgestanden. Gehrke vor ihm nach der Tür. Bellermann eingetreten; in der Hand den Zylinder. Zeremonielles Kopfnicken.
[488]
GEHRKE
ihm entgegen, seine Hand mit beiden Händen fassend.

Es ist uns eine lebhafte Genugtuung, Herr Bellermann, den Verfasser der »Anarchisten« in unsrer Mitte begrüßen zu dürfen. Darf ich Sie den Herren vorstellen? Herr Schriftsteller Taddäus von Styczinski, unser Redakteur, Herr Fiebig ...

FIEBIG
unterbrechend.
Herr Schriftsteller Fiebig, Herr Dokter. Ooch Schriftsteller! Setzt sich wieder.
BELLERMANN
Verbeugung.
Spitz. S ... sehr wohl!
GEHRKE
fortfahrend.
Herr Hahn, Herr Wilhelm Werner.
BELLERMANN.

I ... ich muß bemerken ... ich habe mir erlaubt ... Ihnen noch einen w ... weitern Gast mitzubringen: H ... Herrn Sprödowski! I ... ich darf den Herrn wohl bitten, näher zu treten?

FIEBIG.

Spredowskn? Wat will dn der hier? Zu Hahn, geheimnisvoll. Det is der, Ha Hahn. Allgemein. Jott, ick habe nischt jejen!

BELLERMANN.

V ... verzeihn Sie, mein Herr! E ... es käme wohl darauf an ... ob auch die ... andern Herrn nichts dagegen haben.

FIEBIG
sich umsehend.
Nu, se wern doch nich?
GEHRKE.

Nicht im mindesten, Herr Bellermann. Es wäre sogar höchst interessant, auch eine abweichende Meinung zu hören.

BELLERMANN.
A ... also, ich führe den Herrn rein.Ab.
FIEBIG
zu Hahn.

Spredowski is man Schneiderjeselle. Abber vor den nehmn sich in acht, Ha Hahn. Bebel un Liebknecht, det is bloß auswendich. Der Mann, wissn Se, tut jah nischt. Det is der Jefährlichste von alle. Der erwart allns von de Entwicklung. Na, un Bellermann, offn jestandn, hab'k mer ooch janz anders vorjestellt!

WERNER
ausspuckend.
Rewolutzjonähr in Jummischleicher!
FIEBIG.
Ick weeß nich, Wilhelm, watte von den Mann wist? Ick habe jeheert, der hat sechsdausnd Mark Zinsn!
STYCZINSKI
erstaunt.
Fragend. Sechs ...?
BELLERMANN
mit Sprödowski.

B ... bitte schön, Herr Sprödowski. [489] Herr D ... Doktor Gehrke, Herr R ... Redakteur von Styczinski, Herr Hahn.

FIEBIG.
Mir kennt e schon. Wilhelm ooch.
BELLERMANN
wie vorhin.
V ... verzeihn Sie?

Legt ab. Gehrke ist ihm behilflich.
Alle setzen sich, außer Sprödowski.
GEHRKE.
Bitte, Herr Bellermann.

Bellermann setzt sich auf Hahns Stuhl.
Sprödowski: langsames Umsehn im Raum. Konzentriert sich allmählich nach dem Ofen hin, wo er sich die Hände wärmt. Rücken gegen die Zuschauer, das Hütchen unter den rechten Arm geklemmt.
WERNER
nimmt seine Zigarre.
No, mein Ziehjahn kann ick mir ja denn wohl widder ansteckn? Steckt sie an.
GEHRKE.
Ja, Herr Werner, ich weiß nicht, aber vielleicht rauchen auch die andern Herren?
FIEBIG.
Ja, na, ick prise ja man bloß. Roochn Se doch, Ha Hahn!
HAHN.
Oh, danke schön, Herr Fiebig. Ich habe wirklich keinen Appetit momentan.
STYCZINSKI
sucht auffällig in allen Taschen.
Ich weiß nicht ...
BELLERMANN
reicht ihm höflich ein silbernes Etui mit Zigaretten rüber.
D ... darf ich bitten, Herr von Styczinski?
STYCZINSKI.
Ja, ich suche, ich suche, ich weiß nicht, ich ... hatte doch noch die Zigaretten?
BELLERMANN.
B ... Bostanjoglo, Herr von Styczinski.
STYCZINSKI.
Ich bin so frei, Herr Bellermann.
HAHN
seine Zigarrentasche zu Sprödowski.
Dürfte ich mir vielleicht erlauben, Herr von Sprödowski?

Sprödowski zuckt die Achseln, dreht ihm verächtlich den Rücken, tritt ans Regal, liest Büchertitel, greift einen Band heraus und wirft ihn nach flüchtigem Ansehen wieder hin. Lehnt sich dann irgendwo passend an die Wand. Starrt, die Hände hinterm Rücken, nachdenklich an die Decke [490] und drückt dabei ab und zu die Knie durch. Niemand achtet auf ihn.
FIEBIG.

Ja, Herr Dokter, wat ick sagen wollte. Det hat mir ja in Ihre Filosofie mit det reine Mittl jefalln. Roochn dun Se nich, un aus det ville Drinkn mach'k mir ooch nischt. Bloß mir wundert, det Se nich ooch wat ibern Hiptonismus jejebn habn?

GEHRKE.

Ja, Herr Fiebig, der – Betont. – Hypnotismus ist eigentlich gar kein Mittel. Meine Philosophie begreift ihn lediglich als Erscheinung. Sie werden mir zugeben, daß er also nicht recht unter mein System gebracht werden konnte. Ich betrachte ausschließlich die Phänomene der Politik, der Religion, der Medizin, der Hautpflege und der Pädagogik.

FIEBIG.

Ja, un denn, denk ick, sin wir doch ooch für de Naturheilkunde! Mir hat mal ne olle Frau n Häring untert linke Been jebundn. Wissn Se, ick bin ja n jebillter Mann. Wenn'k ooch uf keene Unniversitätn wah. Ick jloobe an so wat nich. Abber, wat wolln Se? 't Fieber hat nachjelassn!

GEHRKE.
Nun, Herr Fiebig, daran wird wohl Ihr Herr Hausarzt auch nicht ohne alle Mitschuld gewesen sein.
FIEBIG.
Hausarzt, ick? Ick, Hausarzt?
STYCZINSKI.
Oh, Herr Doktor, lesen Sie du Prel!
FIEBIG.

Nun versteht sich. »Unter Tannen und Pinien« meen Se? Hab'k zu Hause. Hab'k mal mit in Ramsch jekooft.

BELLERMANN.

I ... ich möchte mir die B ... Bemerkung erlauben, dergleichen dürfte heute unter W ... Wissenschaft doch wohl kaum mehr verstanden werden!

FIEBIG.
Ach wat, verstehn Se, ick jloobe an de Wissenschaft un ick jloobe an du Prel. Ick jloobe an bedet.
BELLERMANN.

U ... und überdies, g ... gestatten Sie, ziert die sogenannte Naturheilkunde ... schon längst das Raritätenkabinett unsres Jahrhunderts.

FIEBIG.

Na, det witt mir doch keener weismachn, det Schwenniger Bismarckn mit Bromkali jeheilt hat?! Den konnt er wat jebn!

[491]
WERNER
in die Höhe nach dem Bilde.

Da, kiekn dir mal an, Oska, dn Vater vont Sozialistnjesetz. Feinet Kunstblatt. Hat mer mein Personal zu de letzte Maifeier jeschenkt.

GEHRKE.

Meine Herren, wir verlieren uns in Einzeldispute. Es gab eine Zeit, wo wir alle Sozialisten waren. Ich dächte, heute sind wir darüber einig, daß dieser Mann, wenn nichts anderes, so doch zum mindesten die historisch erste, wenn freilich auch noch unvollkommene Inkarnation der modernen Herrenmoral war.

FIEBIG.
In »Börsen-Courier« hab'k jelesn, det wah schon Napoljong der Erste!
STYCZINSKI
vor dem Bellermann das silberne Etui liegengelassen, hat unterdessen ausgeraucht, wirft den Stummel in den Aschbecher, steckt sich ohne weiteres eine neue Zigarette an.
Im Anzünden. Napoleon derr Errste: guttes, aber dummes Ludder. Nurr Gehirnmensch!
FIEBIG.
Nu, Ha Hahn! Se sagen ja ja nischt?
HAHN.
Ach! Herr Fiebig ...
FIEBIG.

Mit dn Dokter ham mer ooch n kleenet Hiehnkn zu flickn! Det mit unsre Dichtungen hier is noch lange nich int klare. Zu Gehrke. Ick hab Ihn den Mann zujefiehrt, un mein »Weltunterjank« nehmn Se nich. Jott, sagn Se't doch, wenn Se n nich wolln! Denn jeb'k n Jeselljussn, der verkooft n mir.

GEHRKE.
Ja, aber ich bitte Sie, lieber Herr Fiebig!
BELLERMANN.

E ... entschuldigen Sie, meine Herren. D ... darf ich mir die Anfrage erlauben, w ... was das für ein Werk ist, dieser W ... »Weltuntergang«?

FIEBIG.

Jott ... no ... wat sollt jroß sind? De Jesuitn bring'k ja ooch rin! Von de letzte Naturforscherversammlung hab'k noch janze Stöße uf mein Bodn. Det vermauer ick noch. Det is't ja ebn: alle Dage passiert wat Neiet!

BELLERMANN
von jetzt ab gegen Fiebig liebenswürdiger Tonfall.

V ... verzeihen Sie, Herr Fiebig! A ... aber ich glaube, s ... selbst die Jesuiten dürften bereits v ... veraltetes Sujet sein.

[492]
FIEBIG.
So? Na, un der Jotthardtunnl? Mit den fill'k dn achtn Jesang!
GEHRKE
klopft mit seinem Bleistift auf den Tisch.

Aber, meine Herren! Wir entfernen uns wieder von unserer Aufgabe. Es handelt sich um den Inhalt der dritten Nummer. Unser Freund von Styczinski wünscht uns einen eingehenden Artikel über »Chopin als das Urbild des Zentrifugalen« zu schreiben. Die Theorie des Herrn von Styczinski kennen Sie. Die Psychologie des Individuums resultiert aus einer Aufeinanderfolge von Sensationen und Vibrationen. Als naturgemäße Konsequenz daraus ergibt sich das Übergewicht des Gangliensystems über das Gehirn.

FIEBIG
Prise.
Ja, det looft allns ineenander.
GEHRKE.

Ich selbst, wie Sie wissen, stehe ja allerdings auf anderem Boden. Indessen unsere Anschauungen, so verschieden sie auch sind, repräsentieren nur die Ausstrahlungen der entgegengesetzten Pole desselben Elements, das mit logischer Notwendigkeit in diesem gegebenen Moment Realität werden mußte. Das Vereinigende, wie in unserm ganzen Kreise, ist das Anarchische. Herr von Styczinski hat das Wort.

STYCZINSKI
leiernd.

Wir sind alle kranke Sumpfblumen am Jahrhundertsende.

FIEBIG nickt beifällig, Gehrke spielt mit dem Bleistift, Herr Hahn sieht verlegen vor sich hin, Werner juckt sich am Bein und bläst dann wieder große Wolken, Bellermann fährt sich um die Tonsur, Sprödowski, an die Wand gelehnt, die Augen gegen die Decke mit dem Ausdruck: Wat können die mir noch sagen!

STYCZINSKI
monoton fortfahrend.

In unsrer Seele singt das Lied von der siegenden Bakterie. Unserm Blut fehlen die Leukozyten. Auf der Leierkastenwalze unsres Bewußtseins tönt allein die schauerliche Symphonie des Fleisches. Sie objektiviert sich in Chopin. Er allein, der neue Urmensch, schickt unser Gehirn auf die grüne Wiese, er allein denkt [493] in übereuropäischen Dimensionen, er allein baut uns wieder das zertrümmerte Jerusalem unserer Seele.Kleine Pause. Dies alles, bitte ich Sie, wollen Sie mich niederlegen lassen, verdichtet zu einem Deprofundis. Wieder kleine Pause.

FIEBIG.

Na ... icke ... ick muß sagn, ick bin dafor. Mir könnte so wat janz jut jefalln. Kunst un Wissenschaft in eens. Det zertrümmerte Jerusalem, wissn Se, is wat for mein »Weltunterjank«. So wat Ehnlichet hab'k ooch machn wolln.

GEHRKE.

Aber, Herr Fiebig, Sie werden Ihr anscheinend mehr humoristisch gedachtes Epos doch wohl unmöglich in Parallele mit diesen kosmogenischen Rhapsodien des Herrn von Styczinski bringen wollen?

FIEBIG
verletzt.

Ja, no, worum dn nich? Sein Hiehnerooge hat jeder. Mein Hiehnerooge ist mein »Weltunterjank«. Ick will och mal wat für de Unsterblichkeit dun! Wat Se wolln, weeß'k nachjrade. Se wolln n iberhaupt nich bringn! Jloobn Se, ick wer mehr Ihn ufdrängn?

GEHRKE.
Aber, verehrter Herr Fiebig, wer dürfte Ihnen solche Suppositionen machen.
FIEBIG.

No, ick bin keen Spielverderber. Denn wer'k Ihn wenichstn mein Trinkspruch uf de deutschn Frauen iberlaßn!

GEHRKE.
Ja ... wenn die Dichtung nicht zu lang ist?
FIEBIG.

Jut, denn soll't mir ooch nicht druff ankommn. Denn jeb'k Ihn meine Apperßiehs. Det Mitleid is de Liebe in Negligee. Und de Krankheit, sag ick, is n Duell, watter Arzt de Jesundheit liefert. In den Genre hab ick fünfhundert! Als Titl denk'k mer wat Lateinschet. Wat meen Se: »Mors vita«!

GEHRKE.

Nach dem Vorgehen Friedrich Nietzsches läßt sich eine gewisse Modernität dieser Form ja allerdings nicht absprechen. Indessen, ich dächte, wir müßten unseren Lesern doch wohl in der Hauptsache mehr wissenschaftliche Speise bieten. So sind wir doch zum Beispiel auch [494] Gegner des Impfzwanges. Solange Germaniens Eichen rauschen, ist es Sitte gewesen und Brauch, daß der Herd geheiligt, daß vor allem aber die Haut, die den Körper umschließt, eine Grenze setzte dem Recht der Gemeinde. Diese engste Grenze, die sich der Mensch zu setzen vermag, hat man überschritten. Man hat uns die Verwaltung unserer ureigensten, körperlichen Angelegenheiten entrissen durch die autoritäre Vergiftung unseres Zellengewebes durch Kuhlymphe. Ich frage, wie kommt der Staat dazu?

FIEBIG.

Janz meine Meinung! Nich wah, Ha Hahn? So denk'k ooch! Wenn ick mir heute verheirate, laß'k mir doch nich mehr in de Kirche trauen? Ooch iber de Jraffologie denk ick, müßtn wir uns doch mal verbreitn? Aus meine Handschrift hab'k mir mal wahsagn lassn. Zu Bellermann. Wissen Se, for wat mir die Dame jehaltn hat? Forn Musiker! Na, und det stimmt ja ooch. In meine Jugend hätt'k for mein Lebn jern Fleete jelernt. Mein Tenor hab'k noch heite. Du wahst je mehr Baß, Wilhem.


Bellermann unterdessen seine Stirn in beide Hände gestützt, sitzt da, wie vernichtet.
WERNER.

Apropoh, wissenschaftliche Speise. Da hab ick noch wat Natzjonalökonomischet. Mein Vortrag, verstehn Se. Den Titl hab'k ja immer jeändert. Eenmal: Lassalls Wirkn und Ende, un denn: Ewolutzjohn un Rewolutzjohn. Det Volk will immer detselbe hörn. Jedruckt isser noch nich.

GEHRKE.

Aber, lieber Herr Werner, auch Ihre Proposition kann ich wohl nur als Scherz nehmen. Sie werden uns geistigen Proletariern doch keine unlautere Konkurrenz machen wollen?

WERNER.

Seh'k ja nich in! Wenn Fiebig aus seine »Blechschmiede« Kaptal schlächt, kann'k ooch wat verdien. Schriftsteller sin mer alle.

BELLERMANN
aufspringend.

I ... ich möchte b ... bemerken, daß ich auf eine derartige P ... Parallele gern verzichte. [495] Die A ... Aristokratie, deren Herrschaft ich will, ist kein geadeltes Plebejertum!

WERNER
aufgestanden.

Hände in den Hosentaschen. Zigarre im Mundwinkel. Aach! Sieh eener an! Un mit so wat, jloobn Se, imponiern Se mir?

FIEBIG
beschwichtigend, vorwurfsvoll.
Handbewegung. Wilhem!
WERNER.

I, un det allns wolln Se mit Ihre Jlatze durchsetzn? Vertraulich. Wol n bißkn runterjeschubbert? Zu kurzet Bette jehappt?

GEHRKE
stößt energisch mit dem Bleistift auf.
Herr Werner!
BELLERMANN
hohle Stimme.

V ... von Leuten Ihres Schlages, verehrter Herr, ließ sich ein andrer Ton nicht erwarten. Zu den andern. I ... im übrigen, meine Herren, s ... so wenig angenehm Ihnen eine solche Polemik sein kann ... und so lächerlich es erscheinen möchte ... auf derartige, grobe Anspielungen überhaupt zu antworten, so möchte ich Ihnen denn d ... doch bemerken: mein L ... Leben ist ein durchaus sittliches! Ich pflege nicht bloß auf reine Wäsche zu halten. S ... Sie gestatten wohl, d ... daß ich den Raum verlasse?

WERNER
in Positur.
Wejen mir?!
GEHRKE
aufgestanden, majestätisch.
Herr Werner! Ihnen hat niemand das Wort erteilt!
STYCZINSKI
über den Tisch mit beiden Händen.
Oh, Herr Bellermann.
GEHRKE.

Herr Bellermann! Unter keinen Umständen dürfen Sie uns eine derartige Beschämung antun. Ich bitte Sie dringend, sich unserer Verhandlung nicht entziehn zu wollen. Daß Sie erregt sind, ist ja begreiflich.

BELLERMANN.

I ... ich bin nicht erregt! Ich w ... werde nur erregt, w ... wenn ich meine Weltanschauung vertrete. Setzt sich wieder.

GEHRKE.

Herr Werner! Ich muß Ihnen meine tiefste Mißbilligung als Vorsitzender ausdrücken. Setzt sich ebenfalls. Werner längst wieder auf seinem Ballen. Pö!

[496]
JUNGE
in der Tür.
Herr Müller schickt mir nach Manuskript, Meester.
WERNER.
Da sind ja de Herrn!
GEHRKE.
Ja nun, ich denke, die zweite Nummer ist bereits im Satz fertig? Was fehlt denn noch, mein Sohn?
JUNGE.
Annerthalb Spaltn Korpus.
GEHRKE
kramt in seinen Papieren, liest.
Die Produktivgenossenschaft als Hebel zu ... zu lang! Ja, von der Kürze hätte ich hier kaum etwas.
STYCZINSKI.
Ich habbe etwas hier, Herr Doktor. Das bluttende Lied vom wissenden Gehirrn.
GEHRKE.
Sie würden mir aus einer außerordentlichen Verlegenheit helfen, Herr von Styczinski.
STYCZINSKI
greift in die Tasche.

Ja, meine Wirtin, ich weiß nicht, ob ich das schon erzählt habbe ... Herr Hahn wollte mir noch etwas bewilligen ... einen kleinen Vorrschuß ...

HAHN
der sofort sein Portemonnaie gezogen.
Was darf ich mir erlauben, Ihnen a conto zu zahlen?
STYCZINSKI.
Geben Sie mir zwei Taller.
HAHN.

Oh, das tut mir leid, Herr von Styczinski. Ich habe hier nur ein kleines Zehnmarkstück. Aber, wenn Sie vielleicht so liebenswürdig sein wollten?Reicht es ihm.

STYCZINSKI
nimmt es und steckt es in die Westentasche.

Danke. Sucht in seinen Taschen. Das Manuskript ... das Manuskript ... ich weiß nicht ... meine Wirtin? ... Wo ihst das Manuskript?

GEHRKE
achselzuckend.
Bedenklich. Ja ...
FIEBIG.

Det is jut! Nö wirklich, det is wirklich jut! Vielleicht durcht Futter jefalln? Sehn Se doch mal nach. Mir hat eener mal n silbernen Löffl jeschenkt!

WERNER
klopft ihm auf den Schenkel.
Nu, Ha Hahn, det ham Se billich jekooft.
STYCZINSKI
noch immer suchend.
Das Manuskript ...
BELLERMANN
der in die Rocktasche gegriffen.

U ... Unter diesen Umständen g ... gestatten Sie mir, Herr Doktor, I ... Ihnen eine Dichtung von mir h ... honorarfrei anzubieten. [497] Der T ... Trinker! Obgleich es sonst gegen mein Prinzip ist, für meine Arbeiten kein ... Äquivalent zu beanspruchen.


Hahn unruhig.
GEHRKE.
Ja, lieber Herr Bellermann, Sie setzen mich dadurch wirklich in die peinlichste Lage.
BELLERMANN
ihm das Manuskript überreichend.

Ich ... bestehe darauf! Nimmt seine Zigaretten, die solange vor Styczinski lagen, wieder an sich. S ... Sie gestatten.

STYCZINSKI
geduckt.
O bitte.
GEHRKE.

Nun, dann, Herr Bellermann, danke ich Ihnen herzlichst im Namen von uns allen. Steht auf und gibt das Manuskript Fiebig, dieser reicht es dem Jungen, Styczinski ist übergangen und hat sich vergeblich darum bemüht.

FIEBIG.
Da, mein Sohn.

Junge verliert ein Blatt, hebt es wieder auf und geht mit dem Manuskript nach der Tür. Hahn aufgestanden und Bellermann die Hand reichend.
BELLERMANN
abwehrend.
B ... Bitte! Hahn setzt sich wieder.
FIEBIG
zu Bellermann.
Neulich hab'k wat iber Ihn in »Belliner Tageblatt« jelesn. Det wah sehr anerkennend.
BELLERMANN
nickt.
Njä!
JUNGE
der in der Tür auf den Gendarm geplatzt ist.
Meester!

Bleibt neugierig stehn.
Gendarm eingetreten. Sprödowski hat sich sofort derartig gestellt, daß ihn der Gendarm unmöglich bemerken kann.
GENDARM.

Tach, die Herren. Brieftasche. Entschuljen Se, Herr Dokter, ich habe hier ne Verfügung für Sie vom Herrn Landrat. Ich war schon drüben in Ihre Wohnung. Ihre Frau hat mir rüberjeschickt.


Gehrke aufgestanden und vor ihm stehend. Bricht die Verfügung auf und liest sie.
[498]
FIEBIG.
Hat dn keener von die Herrn n Ziehjahn for det Ooge des Gesetzes?
WERNER.
Meine Ziehjahn roch'k alleene!

Der Gendarm unterschreibt unterdessen das Auslieferungsdokument.
HAHN
reicht Fiebig eine Zigarrentasche.
Bitte schön, Herr Fiebig.
FIEBIG
nimmt sie und stellt sich damit ebenfalls vor den Gendarm.
Da, steckn sich eene int Jesichte.
GENDARM
nimmt schwerfällig eine Zigarre.
Nu!
FIEBIG.
No, det jeht wol nich so leichte?
GENDARM.
Oh, Herr Dokter, hat ihm schon!
FIEBIG.
Wolln Se Feier?
GENDARM.
Nee, Herr Dokter – Besieht sie sich. – so wat witt Sonntachs jeroocht.
FIEBIG
zum Jungen.
No, Junge, willst wol dein Jroschn wieder loswern?

Junge grinst und verschwindet.
GENDARM
steckt die Zigarre in die Brusttasche.
Empfehle mich die Herren. Zu Fiebig. Atchee, Herr Dokter! Danke scheen! Ab.
FIEBIG.
Atchö, Meester!

Hahn halb aufgestanden und eine Verbeugung nach.
GEHRKE
reicht das Papier Werner hin.
Bitte! Das habe ich wieder Ihnen u verdanken.

Werner nimmt das Papier.
BELLERMANN.

H ... Herr Hahn! I ... ich achte in Ihnen den E ... Ehrenmann. A ... aber, verzeihn Sie, es war unrecht von Ihnen ... einem Polizisten ein G ... Genußmittel zu verabreichen.


Hahn ratlos zu Fiebig.
[499]
FIEBIG.
Na wat n? Zu Bellermann. Ick finde, det wahn janz vernünftjer Mann?!

Sprödowski wieder sichtbar. Spiel wie vorhin.
WERNER
platzt los.
Dets jut! Dreißich Mark oder drei Dage Haft for die lausijen Dinger!
GEHRKE.

Ich habe Ihnen gleich erklärt, daß mit der Abfassung des Plakats meine Verantwortung aufhörte. Ich verstehe nicht, wie Sie ohne jegliche Autorisation von mir meinen Namen daruntersetzen konnten.

WERNER.
No, wozu kriejn Se denn Ihrn Jehalt als Redaktöhr? Wenn wat is, missn Se't ehm absitzn!
GEHRKE.

Sie vergessen, Herr Werner, daß die Strafe einzig des unbefugten Anbringens der Plakate wegen verfügt worden ist.

WERNER.
Ick habe keene anjeklebt!
FIEBIG.

Jott doch, in Jiete, meine Herren! In Jiete! Ick denke, det handelt sich hier doch nich darum, det man sich jejnseitich de Keppe abreißt. Det Jeld bezahlt der Verlach. Sowat sin Jeschäftsunkostn. Nich wah, Ha Hahn?

HAHN.

Ja, entschuldigen Sie, Herr Fiebig, ich wollte das schon gleich sagen, aber ich mochte den Herren nicht ins Wort fallen.

BELLERMANN.
G ... gestatten die Herren auch m ... mir eine Bemerkung zu dieser Angelegenheit?
GEHRKE
eifrig.
Herr Bellermann hat das Wort.
BELLERMANN.

E ... es dürfte, w ... was ich Ihnen in Vorschlag bringe, a ... auf den ersten Augenblick ... kleinlich scheinen. Ich m ... meine, es handelt sich heute bei ernsthaften Leuten ... um einen prinzipiellen Widerstand! Und es ist nur logisch, diesen jederzeit bis aufs Äußerste zu betätigen. Wie Sie wissen, ist uns ein aktiver Widerstand ... zur Zeit unmöglich. D ... dafür bietet sich uns aber stets die Gelegenheit zum p ... passiven! Wie ich der Meinung bin, d ... daß der überzeugte Anarchist ... dem Staat die Steuern nie freiwillig entrichten darf, s ... [500] sondern sich einfach der Pfändung unterzieht, s ... so darf er sich auch einen derartigen Tribut nie erpressen lassen. E ... es ist ihm Ehrenpflicht, seiner ... Überzeugung treu zu bleiben. Wenn es sein muß, s ... selbst hinter Schloß und Riegel!

FIEBIG.

Sehn Se, Ha Hahn, det hab'k jleich jesaacht! For Widerstand bin'k ooch! Ick zahle finverlei Artn von Steier! Unsereens nehm se allns! Man braucht bloß n bißkn wat zu ham! Dn Staat keen Fennich! Se ham janz recht, Herr Bellermann! Zu Gehrke. Det eenzje is heut 's Martirjum!

GEHRKE
steht auf.

Zunächst, Herr Bellermann, danke ich Ihnen dafür, daß Sie die Angelegenheit unter den allerdings einzig richtigen Gesichtspunkt gerückt haben. Herr Fiebig gebrauchte das Wort Martyrium. Vielleicht meinte er dasselbe nur humoristisch. Indessen Sie alle, meine Herren, werden mir nachfühlen, daß es sich in gewissem Sinne bei mir um ein wirkliches Martyrium handelt.

FIEBIG.
Uf alle Fälle! Sowat steht schon in de Weltjeschichte!
GEHRKE.

Es sind allerdings nur drei kurze Tage. Aber unser Leben zählt ja nicht nach Tagen und Stunden, sondern nach dem Inhalt, welchen wir diesen geben. Das ist mir ja bewußt, daß diese Zeit eine schmerzliche Schmälerung meines unter schweren Kämpfen errungenen individuellen Denkens und Fühlens bedeuten wird, welches die Luft der Freiheit braucht. Allein, welche Bedeutung für unsre Sache! Die Presse wird nicht zögern, den Vorfall dem großen Publikum bekanntzumachen.

FIEBIG.
Versteht sich. Beste Reklame! Passn Se uf, denn jehn ooch Ihre Jedichte!
MEISCHEN
atemlos durch die Glastür.

Achkottnee, Achkottnee ... ich hab mer nur was ibergeworfen ... was hat n der Schandarm gewollt, was is n widder los mit mei Benno?

FIEBIG
aufgestanden.
Uf den könn Se stolz sind! Noch acht Dage, Frau Dokter, un uf den Mann sieht Europa!
[501]

3. Akt

Dritter Akt

Gute Stube des Amtsvorstehers von Friedrichshagen. Ganz kleinbürgerlich eingerichtet. Sehr gemütlich. Jagdbilder und Geweihe, Gewehrschrank, Pianino, Fenster mit Blumenstöcken. Im Hintergrund Tür.

AMTSVORSTEHER
lange Pfeife.

Im Lehnstuhl vor dem runden Kaffeetisch. Langsam paffend. Ja, Herr Doktor, das muß ich ja sagen – paff – das ist ja das erste Mal in meinem Leben – paff – daß ich Gefangenenwärter gespielt habe. Paff, paff. Wir sind ja auch hier eigentlich gar nicht auf so was eingerichtet. Paff. Im Winter können wir doch keinen ins Spritzenhaus sperren. Ich habe ja immer schon berichtet. No – Handbewegun. – aber wenn's Ihnen nicht langweilig gewesen is – Behaglich einen Schluck Kaffee. – mir ist es sehr angenehm gewesen. Wann kann sich unsereins mal mit 'nem gebildeten Mann aussprechen. Paff. Na, un das müssen Se doch nu auch sagen, so schlimm sind wir nicht, wie Se uns machen.

GEHRKE
der auf dem Sofa sitzt.

Streicht die Zigarre ab. Ja, Herr Amtsvorsteher, ich kämpfe ja auch durchaus nicht gegen Personen. Sie mißverstehn mich. Mein Wirken gilt lediglich den gesellschaftlichen Einrichtungen als solchen.

AMTSVORSTEHER.

Ja, ich bin ja n alter Mann –paff – das geb ich ja zu, müßte manches anders sein. Paff. Was ich schon mit den Herren Geistlichen durchgemacht habe – paff, paff, paff – darin haben Sie ja nicht so unrecht. Zeigt auf eine Zeitung, die auf dem Tisch liegt. No – paff – das habn Se doch gelesen, was de »Post« wieder über Sie bringt?

GEHRKE.

Nun ja, daß meine Sache in der Öffentlichkeit einiges Aufsehen erregen würde, Herr Amtsvorsteher, war ja wohl nur vorauszusehen. Ich fürchte, der Herr Landrat hat gegen seinen Willen die beste Propaganda für meine Ideen gemacht.

AMTSVORSTEHER
ablenkend.

Hm ... No, warum haben Sie [502] denn eigentlich noch nicht die Lampe angesteckt? Paff. Mehr Licht, sagen die Gelehrten.

GEHRKE.

Oh, Herr Amtsvorsteher, ich wollte Ihnen Ihr trautes Dämmerstündchen nicht zerreißen. Aber, wenn Sie gestatten, es ist allerdings heute bereits merkwürdig früh dunkel. Steckt die Lampe an. Lampenschirm mit transparenten Schweizerhäuschen.

AMTSVORSTEHER.

Nun ja, wir haben ja auch bald den kürzesten Tag im Jahr. Beginnt die Pfeife sehr langsam auszuklopfen. Stochert mit einem Draht im Pfeifenkopf. No ... das Feifchen wär ja denn auch leer. Aber das müssen Sie meiner Alten doch lassen, der Hase war doch ein Prachtkerl heute mittag.

GEHRKE.

In der Tat, Herr Amtsvorsteher, um mich so auszudrücken, dieses edle Tier war kein übles Surrogat für Wasser und Brot.

AMTSVORSTEHER.

Und, nich wahr, Herr Doktor, die schöne Sauce, die sie immer macht ... Gehrke beifällig lächelnd. Ach ja! Mit der Pfeife ziemlich fertig. Pustet durch. Das bißchen Weidwerk hält mich frisch und jung. Sie sind wohl kein Jäger?

GEHRKE
räuspern.

Bei meiner anstrengenden Geistesarbeit, Herr Amtsvorsteher, fühle ich leider die Verpflichtung, mir derartige starknervige Vergnügungen zu versagen.

AMTSVORSTEHER.

Ach, da sind Sie recht zu bedauern, Herr Doktor. Sowie heute der Mond da ist, stehe ich wieder auf dem Anstand. Stellt die Pfeife auf ein Regal.

GEHRKE.

Ja, Herr Amtsvorsteher, ich hatte eigentlich gehofft – Sie waren so entgegenkommend, mich diesen letzten Abend einige Freunde laden zu lassen –, und da hatte ich eigentlich angenommen, Sie würden es nicht verschmähen, bei der kleinen Feier, wenn ich mich so ausdrücken darf, uns ein lieber Gast zu sein.

AMTSVORSTEHER
sich die Joppe zuknöpfend.

Das würde mir ja eine große Freude sein, Herr Doktor, wenn ich den gelehrten Herren zuhören dürfte. Aber Sie wissen ja, wie [503] ich hier stehe. Dann schreibt der Herr Pastor morgen gleich einen langen Bericht an den Herrn Landrat. Man muß sich ja zu sehr in acht nehmen.

GEHRKE.

Meine Freunde würden sich gewiß sehr gefreut haben. Verbeugung. Sie schätzen auch bereits meinen freundlichen Kerkermeister.

AMTSVORSTEHER.

Na, Herr Doktor, dann wird mir ja wohl nichts anderes übrigbleiben. Auf ein Augenblickchen werde ich denn schon reinkommen müssen.


Es klopft.
AMTSVORSTEHER
macht die Tür auf.
Draußen Schwabe. No, was bringen Se denn, Schwabe?
SCHWABE.

Is n Herr draußen. Möcht jern Herrn Dokter sprechen. Hat die Tür geschlossen und bleibt vorschriftsmäßig an ihr stehn, nachdem er eine Visitenkarte abgegeben hat.

AMTSVORSTEHER
geht mit der Karte zur Lampe und versucht zu lesen.

Wenn se doch bloß nich immer son Augenpulver drucken wollten. Das müssen Sie schon emal lesen, Herr Doktor.

GEHRKE.
Doktor Moritz Naphtali. Mitarbeiter am »Berliner Lokal-Anzeiger«.
AMTSVORSTEHER.
Ja, lieber Schwabe, hat denn der Herr nicht gesagt, was er will?
SCHWABE.
E saacht, e will über ihn was schreibn.
AMTSVORSTEHER.

Na, sehn Se, Herr Doktor! Was son alter Knasterbart auf seine alten Tage noch fürn berühmten Mann in sein Haus gekriegt hat. Zu Schwabe. No, ich habe nichts gegen. Lassen Se den Herrn nur reintreten. Das Kaffeegeschirr können Se gleich mitnehmen. Zu Gehrke. Ich will nicht stören, Herr Doktor.

GEHRKE.
Meinen herzlichsten Dank, Herr Amtsvorsteher! Also nicht wahr, Sie machen uns denn die Freude?

Schwabe hat unterdessen abgeräumt. Ab.
AMTSVORSTEHER
im Hinausgehen.
Na, weils denn schon der [504] letzte Abend ist ... Vor neun kommt der Mond ja doch nicht.
GEHRKE.
Meine Freunde werden ja auch selbstverständlich nicht länger bleiben.
AMTSVORSTEHER.

Ach ja! Und so viel Ehre schon in so jungen Jahren. Wenn man das so sieht. Ja, ja, Bildung macht frei.


Ab.
Gehrke allein. Spuckt sich in die Hände, reibt die Ärmel ab, knöpft das Jackett nochmal nach, tritt vor den Spiegel, zieht die Hosen runter, stellt den
Rohrstuhl schräg vor die Mitte des Tisches, rückt den Lehnstuhl zurecht, setzt sich auf ihn, langt ein Buch, das er aufschlägt, und tut, als ob er eifrig läse. Blei in der Hand. Hustet.
NAPHTALI
Chapeau claque zugeklappt, tiefer Bückling.
Doktor Naphtali.
GEHRKE
ist wie überrascht aufgestanden, geht ihm entgegen.
Wollen Sie gefälligst Platz nehmen, Herr Doktor?
NAPHTALI
setzt sich auf den Rohrstuhl, Gehrke Lehnstuhl.

Wenn Se jestatten, Herr Doktor, also gleich in medias res. Aus meiner Karte werden Sie bereits mit Recht vermutet haben, daß ich Sie um ein Interview bitten möchte. Nicht allein die Blätter am Platz, sondern auch die größeren auswärtigen Journale – ich nenne nur die »Frankfurter Zeitung« – haben sich bereits Ihrer Angelegenheit bemächtigt. In einer so sensationellen Sache darf ich unmöglich mein Blatt unbedient lassen.

GEHRKE.
Ja, Herr Doktor, eigentlich bin ich ja gegen Interviews.
NAPHTALI
schreibt.

Ausgezeichnet! Bringen wir. Und, verzeihn Se, Herr Doktor, in diesem behaglichen Raum hier interniert Friedrichshagen seine Herren Verbrecher?

GEHRKE.

Ja, wie Sie sehn. In unserm idyllischen Örtchen geht es noch einigermaßen patriarchalisch her. Der Raum, in welchem Sie weilen, ist ein geweihter. Sie befinden sich in der guten Stube des Herrn Amtsvorstehers.

[505]
NAPHTALI.
Oh, ausgezaichnet! Selbstverständlich! Bringen wir!
GEHRKE.

Ja, um aber auf den Zweck Ihrer Anwesenheit zurückzukommen. Ich muß gestehn, ich stehe ja nicht auf dem Boden Ihrer Zeitung.

NAPHTALI.
Oh!
GEHRKE.

Ich stehe, wie Sie wissen, überhaupt nicht auf dem Boden irgendeines Parteigezänks. Aber ich gebe gern zu, daß die Aufklärung, die Sie in die Massen streuen, mir sehr sympathisch ist. Wirklich, aufrichtig sympathisch. Sie können das Ihren Lesern ruhig mitteilen.

NAPHTALI.
Vorzüglich. Ja, die Macht der Presse. Ausgezeichnet! Bringen wir.
GEHRKE.

Den Hauptwert, Herr Doktor, werden Sie vermutlich auf die Darstellung meiner Ideen legen. Mein individuelles Schicksal, so typisch es für das des modernen Freiheitskämpfers auch ist, kann doch kaum das allgemeine Interesse so beanspruchen. Sie wissen von der brutalen Vergewaltigung, die ich bereits früher wegen meiner freireligiösen Tätigkeit vom Ministerium zu erdulden hatte.

NAPHTALI.
Gewiß, Herr Doktor. Das Blatt hat ja alle Ihre Einsendungen damals sorgfältig gebracht.
GEHRKE.

Ja, ganz recht. Ich entsinne mich. Um aber, wie gesagt, auf das Eigentliche zu kommen. Ich gehöre nicht zu den verworrenen Jüngern eines Nietzsche. Leutchen, die ihre zufällige Individualität in Gänsefüßchen mit einer gewissen Naivität heute in den Vordergrund zu stellen belieben. Mein Ideal ist nicht, wie das jener Pseudogröße einer überwundenen Epoche, der bloße sogenannte Übermensch, sondern wohlgemerkt, die Übermenschheit! Ein Ideal, dessen erstmalige Schöpfung mein geistiges Eigentum ist. Die gegenwärtige Gesellschaft bietet nicht das nötige Material für diesen Zweck. Es sind neue Menschen, welche die Zukunft braucht. Diese aber können nur durch die Erziehung geliefert werden. Daher [506] die ausschlaggebende Stellung der Pädagogik in meinem System.

NAPHTALI.

Sehr wohl, Herr Doktor. Ein Augenblick. Effektuierung des neuen Menschen ... durch die Zukunft. Ausgezaichnet!

GEHRKE
der solange innegehalten hat.

Ich bin mir bewußt, daß ich, wie jeder Reformator, zunächst auf den Fluch der Lächerlichkeit gefaßt sein muß. Dieser wird natürlich auch meine grundlegende Differenzierung der Pädagogik treffen. Ich teile dieselbe, wie Sie wissen, ein in die Pädagogik vor der Zeugung und nach der Zeugung. Das Hauptgewicht lege ich selbstverständlich auf die erste.


Es klopft.
GEHRKE.
Entschuldigen Sie einen Augenblick, Herr Doktor. Herein!
SCHWABE
tritt ein mit Briefen.
Hier, Herr Dokter. Der Briefträger is dajewesen.
GEHRKE.
Danke Ihnen, Herr Schwabe.
SCHWABE.
Det Bier wärm wir wohl erst n bißkn an?
GEHRKE.

Nun, das darf ich Ihnen wohl ganz überlassen, lieber Schwabe. Sie werden ja darin die beste Praxis haben.

SCHWABE.
No ja, ick denk ooch. Wollen't schon machn, Herr Dokter.

Ab.
Naphtali erstaunt.
GEHRKE.

Sie gestatten, Herr Doktor. Sieht die Postsachen durch. Es ist wohl nichts Dringliches. Hat einen Brief geöffnet.

NAPHTALI.
O bitte, bitte. Ich komplettiere unterdessen meine Notizen.
GEHRKE.

Ja, sehn Sie, Herr Doktor. Um meine Ideen hat sich niemand gekümmert. Jetzt aber, wo es sich nur um meine, Fernstehenden doch immerhin relativ gleichgültige Persönlichkeit handelt, drängt sich alles an mich. Da, hier die Wiener »Neue Freie Presse«. Gleichgültig was. Einzige[507] Bedingung: umgehend! Fünfundsiebzig Mark pro Spalte. Sie werden zugeben, Herr Doktor, daß ein solcher Umschlag eines gewissen schmerzlichen Humors für mich kaum entbehren kann.

NAPHTALI.

O gewiß, Herr Doktor! Als ich noch in der Branche war, hab ich auch nicht gedacht, daß ich mal in der Literatur Karriere machen würde.

GEHRKE
der drüber weggehört hat.

Ja und dann, Herr Doktor, möchte ich Sie noch bitten, doch zum Schluß die Analyse des Wortes nicht zu vergessen, welches meine Freunde und ich als Symbol unserer in gewissem Sinne doch vorbildlichen Tätigkeit gewählt haben. Wir fühlen uns als Sozialaristokraten. Sie finden die letzte Definition in unserer zweiten Nummer hier. Gibt sie ihm. »Der Instinkt des Einzelnen als Wille zur Elite«.


Es bummert gegen die Tür. Naphtali springt auf. Es bummert nochmal.
GEHRKE
ist zur Tür gegangen und reißt diese groß auf.
Ich verstehe nicht? Ah, Herr Fiebig.
FIEBIG
im Arm eine Flasche.

In der Hand schwenkt er seinen Stock, auf den er seinen Zylinder gestülpt hat. Ungeheuer vergnügt. Hinter ihm Herr Hahn mit einem Paket. Könn ruhch rinkommn. Ha Hahn! Der Enthauptete lebt noch. Beide treten ein. Hoch lebe die alljemeine internationale Sozialaristokratie! Nanu? Ick dacht, dets hier allns mit Jirlandn? Un keene Lampinjongs seh'k ooch nich.Entdeckt plötzlich Naphtali. Entzückt. Herr Löbndhal! Wo komm Sie dn hierher?

NAPHTALI.
Verzaihn Sie! Doktor Naphtali.
FIEBIG.
Nanu? Se wern mir doch nich vormachn, det Sie uf eenmal Ihr eijner Milchbruder geworn sind?
NAPHTALI
Augenbrauen hoch, Achselzucken, etwa wie: Bedaure, ham wer nich auf Lager.
FIEBIG.
Na, wohn Se denn nich in de Jollnostraße?
[508]
NAPHTALI.
Verzaihn Se, Holzmarktstraße Zwaiundzwanzig.
FIEBIG.
Na, oder dann ham Se mal in de Jollnostraße jewohnt!
NAPHTALI.
Bedaure unendlich.
FIEBIG.
Nee, nee! Verlassn sich druff. Se sehn so aus, als ob Se in de Jollnostraße jewohnt ham.
GEHRKE.

Herr Fiebig, Sie befinden sich augenscheinlich in einem Irrtum. Die Herren gestatten. Herr Schriftsteller Fiebig, Chefredakteur des »Herzblättchens«, Herr Doktor Naphtali, Mitarbeiter am »Lokal-Anzeiger«, Herr Hahn.

FIEBIG.

Nu, denn ham Se n Doppjänger. Mir hat mal eener in de Stadtbahn anjesprochn. Na, und nach her wah ick't ooch nich.

NAPHTALI
verbeugt sich.
Schlau. Na vielleicht, Herr Doktor, wenn Se sich würdn besonnen habn?
FIEBIG.

Nee, nee! So wat ähnlichet hat ja schon mal in Ihre Beilage jestandn. Der Mann mitte eiserne Maske. Wah Ludwich der Firrzehnte!

NAPHTALI.
Ah so! Vermutlich mein Kollege, Herr Doktor Adolf Kohut?
FIEBIG.
Ja, det kann schon stimmn. Von Kohutn lißt man ja öfter wat.

Gehrke hat unterdessen Fiebig Hut, Stock und Flasche abgenommen; Herr Hahn gleichzeitig seinen Paletot hingelegt und seinen Zylinder in Sicherheit gebracht, beim Ausziehen hilft er Fiebig.
GEHRKE
während er die Flasche nimmt.

Ah, Allasch, Herr Fiebig. Ihr Lieblingsgetränk. Nun, dann sind wir ja geborgen. Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Hahn?

HAHN.
O danke sehr, Herr Doktor.

Gehrke räumt während des Folgenden den Tisch ab: Bücher, Bleistifte, Zeitungen und so weiter.
NAPHTALI
zu Gehrke.
Herr Doktor, Sie jestatten, daß ich mich empfehle.
[509]
FIEBIG
zu Naphtali.

Nee, nee, bleibn Se doch noch n biskn. Kriegt ihn am Rockknopf. Wissn Se, Se sind doch bein »Lokal-Anzeijer«? Son Allasch hab'k mal ne jute Idee zu verdankn. Könn Se wat draus machn. Die Ochsen von de Jewerbeausstellung haben't mir ja zurückjeschickt. Verstehn Se: stelln sich n Jlobus vor. So jroß wie der Eiffelturm! Innen looft ne Wendeltreppe. Na, un auswendich steht uf jedet Land n Pawiljong. Un in jedn sitzt n scheenet Meechn in Natzjonalkostüm un verkooft n andern Schnaps. In Pariser Pawiljong Benediktiner, in Peterburjer Wuttki, in Schweizer Alpenkräuter, in Belliner Jilka, na, un det so, verstehn Se, so um n janzn Erdball rum. Sein Natzjonalschnaps hat jedet Volk. Obn ufn Nordpol steht ne Sternwarte. De Welt will heute Wissenschaft. Un in de Mitte is de Hölle. Da komm se alle widder zusammn. An de Wände steht Meyers Konversatsjonslexikon, neuste Uflage, un de Kellners sind alle als rote Deibels verkleidt. Na un an Ausjank, wenn se denn alle so scheen dhune sind, denn jippts mein »Weltunterjank« jratis.

NAPHTALI
voll herausplatzend.
Ausgeßaichnet!
GEHRKE.
Sie sehn, Herr Doktor, über welch prächtigen Humor unser lieber Freund verfügt.
FIEBIG.

Nee, nee, Dokter! So wat meen ick ja nich humoristisch. Jloobn Se, der Eiffelturm wah humoristisch? Zu Naphtali. Nu, wolln Se't nu, oder nich? Dadruff is noch keener jekommn! Schnupft.

NAPHTALI.
Ja, ich waiß nicht, Herr Doktor. Ich müßte man erst mal mit Herrn Scherl sprechen.
FIEBIG.

Könn Se dhun. Mit Scherln bin ick mal ne Zeitlang alle Dage zusammnjewesn. Hält ihm die Dose hin. Wolln Se eene?

NAPHTALI
ihn ignorierend, tut als ob er seine Uhr sucht.
Zu Gehrke. Herr Doktor verßaihn, ich möchte Sie bitten, was wir haben ferre Zeit?
GEHRKE.
Ach, Herr Hahn, wolln Sie so liebenswürdig sein?
[510]
HAHN.
O sehr gern. Sieht nach der Uhr. In sieben Minuten drei Viertel sechs.
NAPHTALI.

Mein herzlichsten Dank! De Herren werden verßaihn? Um sechse geht der Zuch. Verbeugt sich, klappt dabei den Cbapeau claque auf, zur Tür. Gehrke hat sich gleichfalls verbeugt und gibt ihm die Hand. Hahn ist aufgeschnellt, findet aber keine Gelegenheit zur Verbeugung. Morgen früh, Herr Doktor, wem Se's zun Kaffe lesen.

GEHRKE.
Meinen verbindlichsten Dank, Herr Doktor.

Naphtali ab.
FIEBIG
der sein Taschentuch gezogen hat, mißbilligend nach der Tür.

Wat wah dn det forn Kerl? Wat wollt n der? Det wah doch keen Spitzl? Ick muß sagn, der Mann hat mir janich jefalln. Der »Lokal-Anzeijer« is ja n janz jutet Blatt. Bloß det wundert mir doch, detter keene andern Leite hat? Den klebn doch ooch de fünf Finger von Nitschkn noch deutlich in de Jehirnschale?

GEHRKE
geht an den Tisch, setzt noch einen Stuhl an ihn.

Oh, ich meine, wir können dem Herrn im Interesse unserer Sache nur dankbar sein. Er hat mich für sein Blatt interviewt.

HAHN.
Oh, Herr Doktor, interviewt?
FIEBIG
aufgeregt, beide Arme mit auf gespreizten Fingern hoch vor sich in die Luft.

Dokter! Dets ja jroßahtich! Sehn Se, Ha Hahn? Hab ick't Ihn nich immer jesaacht? An den Mann wern Se noch mal zum deutschn Edison! Nu sind Se ja schon der deutsche Edison! Hände über die Brust. Ick weeß nich, wenn mir det doch mal passierte!

GEHRKE.
Oh, meine Herren, wer wie ich im öffentlichen Leben steht ...
FIEBIG
noch immer in Ekstase.

Wissn Se, Dokter? Mit son Lorbeerkranz ufn Kopp könn Se jetz allns machn! Ahlwart is'n Amerika! Den lassn se nich mehr zurück. Jehn Se ufn neien Ahlwart los. 't Zeuch zu ham Se!

[511]
GEHRKE
überlegen lächelnd.
Oh ...
MEISCHEN
mit Schwabe, welcher ihr einen großen Waschkorb mit Geschirr und Eßwaren tragen hilft.
Dä, Herr Schwabe, wenn Se so ghud sein wollen. Setzen den Korb auf einen Stuhl.
SCHWABE.
Nu, dabei wern wer je nich verhungern.

Hahn hilfsbereit aufgesprungen.
MEISCHEN.

Danke scheen ... so ... das war emal ä Schdicke Arweit bis hierher! Zu Hahn. Nechah! Mir Fraun ham de Last und Ihr Männer habts Vergniejn.

HAHN.
Diener, Frau Doktor.
SCHWABE
nimmt das Tuch vom Korb, faltet es sehr sorgfältig zusammen und hängt es über die Stuhllehne.
Ja, det stimmt. Sechstet Buch Mosis.
GEHRKE.
Guten Abend, mein Kind. Nun, du sorgsames Hausfrauchen?
MEISCHEN.

Mei Benno! Na morjen biste widder bei dei Meischen. Gibt ihm auf Spitzzehen einen Kuß. Er hält sie während des Folgenden um die Taille.

FIEBIG
noch immer in größter Aufregung.
Nee, wissn Se, det muß jefeiert wern! Ha Hahn, wo ham Se de Lichter?
MEISCHEN.
Lichter?

Hahn versucht das Paket aufzumachen.
GEHRKE.
Nun, Herr Fiebig, Sie gedenken wohl den Abend mir zu einem ganz besonders festlichen zu gestalten?
FIEBIG.

Ach wat, n Dhaler kann doch bei mir keene Rollen spieln? Sie! Herr Wachtmeester! Dhun Se mir n eenzjen Jefalln und bringen Se mir n paa Ärme voll leere Bierpulln!

SCHWABE.
Voll leere?
FIEBIG.
Voll leere, ausjetrunkne Bierpulln! Vor jede Minute, die Se schneller kommn, jippts n Jroschn.
SCHWABE
Finger hoch.
Aha! Zu die Lichter. Ab.[512] .
FIEBIG
rezitierend.
Zu Gehrke und Meischen, die sich noch immer umschlungen halten.
Selbst die stolze Putzmamsell Therese
Tritt zu Bimmel-Bollens Fritzen ran;
Erst besieht se sich den alten Käse,
Dann besieht se sich den jungen Mann!
MEISCHEN.

I, Sie ham woll ä gleenen Grach? Nu gommen Se schon widder mit Ihre alde Goldne Hundertzehn! Zu Gehrke, sich losmachend. Du nimm doch emal ä bißchen deine Schreiberei wech. Mache! Gannst auch emal was dhun.

GEHRKE
packt die Bücher und so weiter vom Tisch auf eine Etagere.
Gern, mein Kind.

Meischen reicht ihm während des Folgenden aus dem Korb die Sachen rüber, die er auf den Tisch stellt.
FIEBIG
zu Hahn, der vergeblich versucht hat, das Paket aufzuknüpfen.

Sein Messer ziehend. Zeijn Se mal her, Ha Hahn! Den Bindfaden durch schneidend. An die Strippe soll sich keener mehr dran ufhängn!

SCHWABE
mit den leeren Flaschen.
Na, det witt wol langn?
FIEBIG.

Stelln Se man hier jleich uft Soffa. Ihre fünf Jroschn ham sich verdient. So, un nu machn Se noch scheen de Fensterladn zu. Kost, wat kost!

SCHWABE.
Ick mach allns. Ab. Später werden von außen die Fensterläden zugemacht.
FIEBIG.

Un jetz, Kinder, wolln ma mal det fidele Zellenjefänknis n bißkn illuminieren. Musik hammer! Nu noch Blumn. Zu Gehrke. Jott, vielleicht schickt Ihn eener welche? Mir is janz so.


Steckt während dieses und des Folgenden mit Hahn die Lichter auf die Flaschen. Gehrke und Meischen leeren noch den Korb.
[513]
GEHRKE.

Das wird ja in der Tat heute hier eine Festlichkeit, Herr Fiebig, wie ich sie selbst in meinen kühnsten Träumen nie erhofft hätte.

FIEBIG.

Ach wat, Dokter. Sie sin man immer ville zu bescheiden. Wenn't nach Ihn jinge, denn käm jetz unser Wachmeester mit ne Kiepe voll Handschelln rin. Se wissn iberhaupt noch janich, wat Se jetzt forn Mann sind. Mit jedn von die drei Dage sind Se unsterblicher jeworn. Wenn det so weiter jeht, stehn Se in acht Dage ufn Dönhoffsplatz. Da jehn noch ne janze Masse ruff.

MEISCHEN.
Nu, gammersch wissn, weeß mersch denn?
GEHRKE.

Mein bester Herr Fiebig! Ihre lebhafte Phantasie, im Verein mit Ihrem guten Herzen, dürfte hier denn doch wohl ein wenig zu meinen Gunsten übertreiben.

FIEBIG.

Nee nee, Dokter, det kann'k Ihn sagen: Se wern sich janz jut machn in de Mitte. Jloobn Se, ick würde mir ekeln, wenn Se mir bei die Jelejenheit jleich ooch mit aushautn?


Unterdessen ist aus dem Korb eine kalte Gans zum Vorschein gekommen.
GEHRKE.
Oh, mein liebes Kind! Das hast du ja mal wieder sehr schön gemacht.
FIEBIG.

Wat? Ne kalte Jans ham Se ooch? Anjenehmer Leuchnahm! Wissn Se, bei son Selijen bin'k nich for de Verbrennung.

MEISCHEN.
Ja, awer de Äppel kricht mei Benno!
FIEBIG
gegen sein Gewissen.

Ach, aus die olln Äppel mach ick mir ooch janischt! Ick halte mir lieber an die korpulente Schattenseite von den Vogl. Na, wat machn Sie denn forn dummet Jesichte, Ha Hahn?

HAHN
vom Klavier her.
Ich?
FIEBIG.

Nu, ick doch nich! An wart Se widder gedacht ham, weeß ick. An Annan! Brauchn Se janich rot zu werden. Nu sagn Se't man die olle Dame! Det mit Löbndhaln müssn Se ausnutzn. Hochzeitskladdradatsch mach'k Ihn [514] jratis. Jott, n Schwiejersohn kann'k jeden Dach kriejn. An jeden Finger eenen. Abber der eene sauft, der andre is hinter de Meechns her, wie det so is. Bei Ihn bin'k ja sicher. So wah'k ooch mal ... Se habn doch noch keene Dummheitn jemacht? Hahn erschrocken. Sonst, det verplempert sich bald! Uf det Klavier könn Se ruhch zwee rufsetzn. Klappn Se man ooch jleich dn Deckel uf. Spieln Se nachher wat Vierhändjet. So wat hör ick am liebstn.

MEISCHEN
zu Gehrke.

Mähre doch nich so. Wie de widder bist. Jeden Auchenblick missen se gommen. Awer so isser allemal, mei Benno. Frieh gann er auch immer nich rausfinden. Siehste, wärschte vorgestern aufgeschtanden, wie ich geweckt habe, dann ghämste morchen schon um achte heeme, und so lassen se dich erseht um elfe widder naus! Awer de heerscht je nich.

GEHRKE.
Aber liebes Kind, das muß sich doch wohl nach meinen Bedürfnissen richten.
FIEBIG
ablenkend.

Na ... Bellermann kommt erst mit dn nächstn Zuch. Wissn Se, ick habe den Kerl orntlich liebjewonn. Der Mann hat doch wenichstns n bißkn wat. De »Annarchistn« sin schon ins Französche ibersetzt. In de Bibliothek hier, hab'k jeheert, wem se nich ausjeliehn. Da stehn se in Jiftschrank! Aus den Kasimir, offn jestandn, kann'k mir nich ville machn. Mir hatter ooch anjeschnorrt ...

GEHRKE.

Immerhin, lieber Herr Fiebig, Sie vergessen vollständig die doch unleugbar geniale Persönlichkeit unseres Freundes.

FIEBIG.

Ach wat, schenjale Persönlichkeit! Ick bin ooch schenjale Persönlichkeit. Ick möcht wissn, wat jeht dn den meine Privatschatulle an? Pinke muß eener ham! Sehn Se Hahn an. Hahn hat beedet!

HAHN
der gerade eine Flasche mit einem Licht in der Hand hat, läßt diese fallen; das Licht rollt heraus.
Hebt es verlegen wieder auf. Oh!
[515]
FIEBIG.

Sehn Se, der is ooch man zu bescheiden. Abber der pellt sich doch wenichstns so sachte aus't Ei. Schnuppn dhut e schon, wie n Oller.

HAHN
schnaubt sich still die Nase und stellt weiter auf.
FIEBIG.

Jaja, Ha Hahn! In Ihn irr ick mir nich. Aus Ihn witt noch mal wat. Ick wer Ihn sagen: machn Se n Stick aus Annan! Amor an Scheideweje. Der Naturalismus hat doch jetz abjewirtschaft. Erst de Stimper, denn wir Olimper! Machn Se Wildenbruchen dot. Jilke hat sich mit sein Schnaps n Namen jemacht!

MEISCHEN.
Und daß der Herr Werner ooch noch nich da is! Der gennte ein doch wenigstens ä bißchen was helfn.
FIEBIG.

Och, da kenn Se Wilhelmn schlecht. Der kommt erst, wenn se alle schon umn Disch sitzn. Der hat't ja man am neechstn!

MEISCHEN
nachdem jetzt auf dem Tisch alles aufgebaut ist.
Gucken Se mal, Hummermajonäse! Chaa!

Alle gruppieren sich um den Tisch.
FIEBIG.

Nee Kinder, wie een dabei zumut wird? Und det allns for die lausjn dreißich Mark? Ne kalte Jans, Pumpernickl, Hummermajonäse, Lachs, Rockfor, Uffschnitt von de feinstn Sortn, n halbet Viertl Kavjar, Mixpickl, Selleriesalat un Appelsinen! Det sag'k ooch: so wat kann der ärmste Mensch essn. Zu Gehrke. Sehn Se wohl? Wah det nich ne jute Idee von mir? Det ham Se nu allns zusammjehungert mit Ihr Martirjum. Uf den Standpunkt steh ick ooch: Essen is't scheenste Verjniejen! So, Ha Hahn, un nu steckn Se de Lichter an!


Hahn steckt an, Fiebig beaufsichtigt das Ganze und schnuppert ab und zu nach dem Speisen- und Lichtergeruch.
SCHWABE
der während der Rede von Fiebig das Bier gebracht hat.
No, un hier det Reellste. Wieder ab.
MEISCHEN.

Ja, das saacht mei Benno auch immer. An Essen [516] und Drinkn darf mersch n nich abgehn lassen. So ä großer, schdarker Ghärper verlangt auch was.

GEHRKE.

Lassen Sie sich nichts weismachen, Herr Fiebig. Meine Frau weiß sehr gut, daß ich im Grunde genommen für eine mehr vegetarische Lebensweise sein würde.

FIEBIG
während Hahn die letzten Kerzen ansteckt.

Nee, Kinder, nu sehn Se doch bloß, Ha Hahn: der reene Kristallpalast! Da, hier ham Se ooch noch eens verjessn. Wenn ick nich bin! Hat sich, die Hände vorm Bauch, vor den Lebnstuhl gestellt. Humoristisch-elegisch. Jetz wißt ick hier so een, der uns noch fehlte. Wieviel Dhaler isser mir doch noch schuldich? Nickt mit dem Kopf. Der stille Mann von Friedrichsruh ... Die olle Raketenkiste in Sachsenwald. Na, un uft Soffa Firrchohn. Da wirdn wir wat erlebn!


Es hat eine Zeitlang geklopft, ohne daß jemand darauf geachtet hätte. Dienstmann tritt ein mit einem Riesenbukett auf einer Stange, die er auf den Fußboden stellt. Das Bukett besteht aus: Weintrauben, Rosinen, Mohrrüben, Meerrettich, Sellerie, roten Rüben und so weiter. Zwischen diesen
eine Menge Blumen, darunter Rosen und andere farbig hervorstechende. In der Mitte, oben aufgespießt, ein mächtiger roter Hummer. Außerdem ist eine Büchse Stangenspargel, eine Tüte Bonbons, Äpfel und Tomaten zu unterscheiden. Das Ganze zunächst noch umhüllt von einem weißen Seidenpapier, das unten mit ein paar Stecknadeln zusammengesteckt ist. Alle stehen um den Dienstmann. Fiebig abseits, aber gleichfalls lebhaft teilnehmend.
DIENSTMANN.

Nahmd die Herrschaftn! Ick hab hier schon ne janze Weile jekloppt. Bin ick hier recht bei Dokter Gehrkn?

GEHRKE
zögernd, verwundert.
Ja ... was wünschen Sie von mir?
DIENSTMANN.
Ick bring hier n kleenet Bukettkn.
[517]
MEISCHEN.
Wo denn, von wem denn?
DIENSTMANN
aufklopfend.
Nu, hier!
FIEBIG.
Um Jotts willn, Mann! Kloppn Se nich noch mal mit uf! Det witt doch nicht explodiern?
DIENSTMANN.
Nöh! Dets janz wat Friedlichet. Damit bin'ck schon bis aus Bellin jefahrn.
GEHRKE.
Da scheint sich jemand einen merkwürdigen Scherz erlaubt zu haben.
FIEBIG
beleidigt.
Jott, nu wickeln Se't doch erst mal uf! Wissn ja noch janich, wat drin is!
MEISCHEN
zieht die Stecknadeln raus und wickelt das Papier ab.
Nee, was das bloß widder sein wird? ... Nee, Benno, gucke doch, is das awer mal hibsch!
HAHN.
Ach!
GEHRKE.
Ja aber, wer hat Sie denn damit hergeschickt?

Dienstmann immer noch den Strauß haltend, schnaubt sich die Nase, indem er das Taschentuch halb in der Tasche behält und sich danach bückt, wodurch er der Antwort überhoben ist.
MEISCHEN.
Gucke, mei Benno, gucke, enne Bixe Schbargel is ooch derbei!
FIEBIG.
No, Ha Hahn, leuchtn Se doch mal n bißkn zu die Bescheerung!
MEISCHEN.

Un Riebn un Weindraum un Domadn, un der scheene, große Hummer obn druff, un die vielen, scheenen Blumen!

GEHRKE.
Ja, aber, das ist alles ganz schön. Bloß wer hat Sie denn eigentlich geschickt?
FIEBIG.

Nu, sehn Se doch mal nach! Vielleicht steckt n kleenet Biljeduh drinne? Meischen hat die Karte sofort entdeckt, gefaßt, und das Kuvert abgerissen. Da schdeckt was derhinder. So was hat mer doch gleich geahnt?

GEHRKE.
Aber, liebes Kind, ich bitte dich. Schließlich ist doch wohl die Karte an mich.
[518]
MEISCHEN.
Ja, eich Mannsleite soll eener dhraun!
GEHRKE.

Ich wünsche, daß du mir die Karte gibst! Diese lächerliche Eifersucht immer! Ich begreife dich nicht!

MEISCHEN.
Dann soll se wenigstens der Herr Hahn vorläsen!

Hahn hält die Karte unschlüssig in der Hand.
FIEBIG.
Ach wat, schmeißn Se dn schon lieber det olle Dings in dn Papierkorb! Son Sums!
GEHRKE.
Meinetwegen, schön, Herr Hahn. Lesen Sie, was auf dem Wisch steht.
HAHN
mit schüchterner Stimme.
Liest. Von –Pause. – von zarter Hand.
MEISCHEN.
Meine Ahnung! So ä verfluchtes Weibssticke! Ich saache ja, mei Benno ...!
GEHRKE.
Es ist doch aber unerhört, solche Scherze!
FIEBIG.

Jott no, Frau Dokter! Vielleicht is det ooch blooß n juter Freund jewesn! Mir schickn se ooch immer so wat. Da rej ick mir doch nicht weiter bei uf?

MEISCHEN.
Die ghuden Freinde! Die ghuden Freinde ... die genn mer – Schnell. – die mit die lange Zeppe!
FIEBIG
langsam näher gekommen.

Ja, nu, wenn Se't dn durchaus wissn wolln, ick habe gedacht, ick mach Ihn hier ne kleene Iberraschung, un nu verderbn Se mir't janze Verjniejn.

GEHRKE.

Nun, siehst du, mein Kind. Eine Aufmerksamkeit von unserm lieben Freunde! Zu Fiebig. Ihm die Hand schüttelnd. Meinen herzlichsten Dank, Herr Fiebig.

FIEBIG.
Jott nu, det hat mir doch selber Spaß jemacht!
DIENSTMANN.

Ja, dadruff kann'k n Meineid schwörn. Der Herr is't jewesen. Ick bin der dickste Dienstmann. Ick stehe an de Wilhelm- und Kochstraßen-Ecke. Ick hatte man bloß nich de Traute, mir mank de Ölichkeiten zu mischn. Ick bin ja ooch Familjenvater.

FIEBIG.

Da ham wer't. Der Mann ooch. Wissn Se, denn ham Se schwer zu leiden. Familjenvater sin mer alle. Jebn Se [519] mir de Hand! Det is die jroße Krankheit des Jahrhunderts. Dienstmann drückt ihm die Hand.

MEISCHEN.

Nee, Herr Fiebch, was Sie auch egal fer Gaksch machen! Denn war das awer wirklich sehr scheen von Sie. Da ham Se uns auch eene recht große Freide gemacht.

FIEBIG.

No, hab'k 't nich jleich jesaacht? Nu so fünvunzwanzich Jahre jinger! Det kann'k Ihn sagn: Ihrn Dokter jink't jetz schlecht. Wissn Se, wir beede? Mir unterschätze n se man alle!

MEISCHEN.
Nu, mei Benno, de bist mer doch nich mehr beese?
GEHRKE.

Behüte mein Kind. Der neuen Seelenkunde ist das antithetische Fühlen des Weibes längst bekannt, und ich müßte ja ein Tor sein, wenn ich gegen ein Naturgesetz revoltieren wollte. Zumal heute! Wo mir das Herz ... so voll ist.

MEISCHEN
an seiner Brust.
Mei Benno! Haste mich lieb, mei Schätzchen, biste glicklich?
FIEBIG.

Sehn Se, so is recht! Da nehm sich n Beispiel, Ha Hahn! Un jetz will'k Ihn ooch sagn, wat det Dingrings hier iberhaupt zu bedeutn hat. De janze Welt, wissn Se, ist mir ne eenzje Blumensprache. Det is det jroße Banner der Sozialaristokratie! Ha Hahn, nehm Se Ihre Neese wech! E beißt Ihn!


Herr Hahn, der sich nahe an den Strauß gebückt hat, schreckt zurück; schnelles, hastiges Anklopfen, die Tür geht sofort auf.
FIEBIG.
Nanu?
BELLERMANN
der die Tür aufgerissen hat und jetzt diese noch, weit offen, am Drücker hält.
E ... entschuldigen Sie, meine Herrschaften! E ... eine kleine w ... wohlverdiente Ovation!
STYCZINSKI
der jetzt ebenfalls in der Tür aufgetaucht ist und sich zur andern Seite plaziert.
Bitte, Herr Werner!
WERNER
mit einem großen, roten Kranz auf einer Stange, die [520] er schwer vor den Bauch gestemmt trägt.

Inmitten des Kranzes, auf weißem Karton, deutlich die Inschrift. Werner sie rezitierend. Pathetisch. »Dem Kämpfer für Wahrheit, Freiheit und Recht! Die vereinichtn Schuhmacherjeselln von Friedrichshagen und Umjejendl« Nu bin ick ooch Sozialaristokrat!

FIEBIG.

Sehste, Wilhelm? Det haste sauber jemacht. Sozialaristokraten sind mehr alle. Der Kaiser is ooch Sozialaristokrat. Völker des Ostens wahrt Eire heilichsten Jieter! Los, Ha Hahn! Ran!

HAHN
setzt sich und spielt.
FIEBIG
der schnell eine Bierflasche vom Tisch genommen, öffnet den Patentverschluß und schwingt sie.
Singend. Hoch ... soll ... er ... le ... ben!
ALLE
singend.
Hoch ... soll ... er ... le ... ben! Dreimal mit Musik.

Amtsvorsteher während des zweiten Hochs in der Tür aufgetaucht. Mit verzweifelter Gebärde, die Hände im Bogen durch die Luft gerungen und vor den Bauch zurück.

4. Akt

Vierter Akt

Szene wie im zweiten. Der »Sozialaristokrat« in hohen Stößen. Im Nebenraum wieder gedämpft die Maschine. Druckerjunge auf den Knien vor dem Ofen, schaufelt Kohlen ein.

WERNER
wieder auf dem Sofa.
Man immer ruff! Det will heut widder janich wahm wern in die olle Bude.
JUNGE
ist fertig und hat den Ofen zugeklappt.
Is jleich Pause. Soll'k Ihn wat mitbringn?
WERNER.
Na wat läßt sich dn det hungernde Proletarjaht da drinne holn?
JUNGE.
No, for Herrn Müller soll'k n Silberpapiernen bringn.
WERNER.

Nu, denn kann ick, als eier Prinzipal, mir doch [521] man bloß n olln Mann leistn. Ick wer mer doch nich son Friehstück jenn, wie mein Mettöhr? Wat stehst dn noch, olle Dromlade? Wat wist dn noch?

JUNGE.
No, Jeld!
WERNER.

Ach wat, Jeld! Allns will Jeld harn von een. Holst jleich noch wat und saachst, ick laß n scheen jrießen. E sollt ufschreiben! Bringst ne Weiße mit. No, ick soll dir wohl erst noch Beene mach, Rotzneese? Det sin so die Frichte von de moderne Erziehung. Tut ooch, als ob sein Vater Paster wah!

JUNGE
im Abgeben, für sich.
Oller Ochse.
WERNER.
Uah! ... U ... Dets n Lebn!
FIEBIG
schon von außen durch die Glastür sichtbar, klopft mit dem Finger an die Scheibe und sieht durch.
WERNER.
No?
FIEBIG
eintretend.
Noch keener da?
WERNER.
Nanu? Wo hast dn dein Han Hahn?
FIEBIG.

Jott, wo soll ick uf eenmal immer Hahn ham? Ick weeß janich, wat Hahn mir anjeht? Ick bin doch nich seine Schwiejermutter?

WERNER.
No, wat nich is, kann ja vielleicht noch wern.
FIEBIG.

Ja woll doch! So een könnt'k for meine Anna jrade noch brauchn. Nich wah? Detter mir det bißkn nachher ooch so uf diesen nunmehr schon nich mehr unjewehnlichen Weje verpohst? Iberhaupt! Ick versteh janich, wie wir zu die janze Verricktheit eijntlich jekommn sind? Da hat uns doch eener n Floh in Kopp jesetzt? Zuerst wah keener wat, und uf eenmal wah alles Sozialaristokrat! Ist unterdessen ans Sofa zu Werner getreten, dieser hilft ihm im Liegen den Rock ausziehn, nicht ohne einige Zwischenstöhner.

WERNER.
Jott, Oskal Wat kann der Mensch for seine Dummheit.
FIEBIG.

Ach wat, bei die Erfindung von die Röntjenstrahlen brauch eener nich immer jleich beijewesen zu sind. Det [522] nehm ick weiter keen ibel. Abber det is doch wahaftich nich zu ville verlangt, wenn eener n paa Fennje hat, detter se zusammnhält.

WERNER.
Sehste Oska? So mußt't kommn. Nu schimpste uf den kristlichen Jinglink.
FIEBIG.

Ach wat! Watte sagn wist, weeß ick. Det wäscht uns keen Reejen mehr ab. Die Dage iber sind wir moveh Szischehs jewesn! Ick habe schon manchn in de Literatur injeführt. Holzn je ooch! Der kam ooch zuerst zu mir mit seine »Familje Selicke«. Is mir zu jrau, hab'k jesaacht. Ick will uf die Biehne Jold un Purpur sehn!

WERNER
hat sich vom Sofa aufgehoben und sitzt jetzt, den Kopf in beide Hände gestützt.
Jott, hab ick heut n Brummschädel!
FIEBIG
der, den Zylinder, unter welchem ihm die schwarzen, struppigen Haare vorstehen, auf dem Kopf, noch immer nach einem Nagel sucht.

Nagel natürlich ooch wieder nich! Da ham mers ja: moin! De janzn Uflagn! Scheene Bogn forn spekulativn Tapßier. 't Kilo n Sekser! Hat den Mantel auf den »Sozialaristokrat« geworfen.

WERNER
nach einer kleinen Pause, dumpf.
Mensch ohne Jeld is wie n Affe.
FIEBIG.
Mit wieviel hängt e dn nu schon bei dir?
WERNER.

Det kannste dir ja an de eejnen Finger abklawiern. De vierte Nummer hab'k nich mehr bezahlt jekricht.

FIEBIG
hat unterdessen auch den Zylinder abgenommen und setzt sich.

Legt Schnupftuch und Dose vor sich. Kurz un jut, de erste Rate is also jlicklich durch de Lappn. Dets nu de Quintessenz. Un de zweete kricht er nich mehr. Nach die Olle kann er nu pfeifn. Uf mir hat je abber natierlich keener jeheert. Ick habe ja det den jungn Mann jleich jesaacht: Jehrke is for Ihn nischt. Der Mann hat zu ville Jejner. Abber natierlich, noch nich jrien hinter de Ohrn, un denn abber man immer jleich: Ach wat verstehst du von mein Inchehnjum! Nu ham se n natierlich jlicklich uft Pollezeipräsidjum!

[523]
WERNER.
Nanu? Wat wolln se denn mit den uft Präsidjum?
FIEBIG.

Jott, nu, wat solin se jroß mit det Kükn wolln? Aushorchn wolln se n. Bei mir aust Fenster hab'k de letztn Dage ooch schon immer een jesehn. Uf uns Schriftsteller hat je de Pollezei jleich n Ooge.


Kurz nach dem Eintritt Fiebigs hat das Maschinengeräusch aufgehört.
JUNGE
kommt zurück mit einer großen Weißen und einem Teller, auf dem ein Knust Brot, Butter, Käse und ein Messer liegen.
Hier, Meester! Steht noch und sieht Fiebig erwartungsvoll an.
FIEBIG.
Nee, nee, mach man, dette rauskommst! Alle Dage rejents keene Jroschns. Nächstet Mal!
JUNGE
im Abgehen.

Det nächste Mal kenn wer!Ab. Werner, sich über den Käse hermachend. 'k wer dir sagn, Oska, is mein Fehler: 'k bin zu jutmietich. Zuerst hab'k jejloobt, 't jippt ne birrjerliche Wissnschaft un 't jippt ne sozialdemokratische Wissnschaft. Un wie ick Spredowskn kennjelernt habe, hab ick jejloobt, 't jippooch ooch ne anarchistische Wissnschaft. Jetz jloob ick iberhaupt nich mehr an de Wissnschaft. Jetz jeh'k uf dn Kaptalistn los!

FIEBIG.

Na, Wilhem? Schnüffelt dreimal. Zu Weihnachtn, jloob ick – Schnüffelt zweimal. – schenk ick dir doch wol man ne Jlocke for dein Liebling.

WERNER
langt nach der Bibel, setzt sie ihm vor und ißt weiter.
Da lakier dir mal erst n biskn deine Lebensjeister uf!
FIEBIG
trinkt.

Ja, abber uf die Art, Wilhem, kommt ja det heute jradezu zu die jroße Aussprache?! Ick muß sagn, det paßt mir janich. Ick bin janich for sone Sachn!

WERNER.

Wat ick von jehappt habe, Oska, det weeßte. Untern Tarif hab'k natürlich nischt berechent. Det Hauptkonto hat Jehrke. No, un den Polackn sein geschenktet Jeld hat je jleich seine Schlafmutter abjeholt. 't wah ja man ooch for son kleenet Quartal!

[524]
FIEBIG
Prise Schnupftuch.

Ja nu, det mit Jehrkn, offn jestandn, wundert mir je nu weiter nich. So wat hat mir ja jleich jeahnt! Bloß ick weeß janich, wie wir iberhaupt zu den Bruder Kasimir jekommn sind? Der kam mir jleich so klebrich vor. Jedhan for det Blatt harter doch nischt? Weeßt du, Wilhelm, wer uns mit den anjeschmiert hat?

WERNER.

Jott, Berlin is kleen, Inowrazlaw is jroß. Ick weeß ooch nich, aus welche Versenkung der uf eenmal ufjetaucht is. Ick jloobe, e hat mal so wat wie de »Sphinx« redijiert.

FIEBIG.

Sonst, de »Sphinx« is n jutet Blatt. In de »Sphinx« stand mal wat von Dalai Lama! Man, jloobste, der schnorrt een bloß an? Biecher hatter mir ooch abjekneppt! Priaps Romane, 't beste Buch aus meine Bibliothek!

WERNER.

Och det, Oska, det mit die Bilder? No, det muß man ja denn den jungen Mann lassn: schlechtn Jeschmack hatter nich!

FIEBIG.

Nitschkn hab'k ja ooch janz gehappt. Den hat natierlich Spredowskn! Ick hab n selbst noch nich jelesn! Ick habe bloß mal erst n bißkn so in die »Fröhliche Wissenschaft« geschmökert. Der Titl hat mer so jefalln.

WERNER.

Ach wat, immer mit dein olln Nitschkn! Wie 'k iber Hahn denke, weeßte. Hahn is je man son Klunkerschäfkn. Aber det muß man den kleen Kerl lassen: verbrauchn für sich dhuter eejentlich nischt. Detter dir for deine Anna ...

FIEBIG.

Ach Jott, Wilhem, nu laß doch det schon! Jloobste, mir intressiert det? Det du uf Hahn wat hältst, weeß ick. Wie er for dir is, weeßte iberhaupt noch janich. Ick halt ja ooch wat uf ihn! Man det kann mir doch keener zumutn, det ik Annan son Luftikus jebe? Ick möcht wirklich wissn: wovon soll der Schornstein roochn? Det Jeld is nu futsch, un nu versteh'k wahaftich nich, wat mir hier Vorwürfe treffn! Ick weeß nich: wat soll'k hier iberhaupt? Ick jeh nach Hause!

WERNER.

Ick habe ja ooch jedacht, ick habe den Druckuftrach, [525] un nu bin'k obendruf noch der Rinjeschlidderte. Von dein »Herzblättkn« alleene kann'k doch nich lebn. Abber ick wer dir sagn, wat det jroße Loch jerissn hat. Den Dokter seine Reklame!

FIEBIG.

Ja, no, Wilhem, n bißkn muß ick Jehrkn da doch in Schutz nehmn. De Reklame is heute der empfindsamste Thermometer von Weltmarkt. Jloobste, mir liefen se't Haus in, wenn ick nich immer hintn in Adreßkalender stände?

WERNER.

Jaa ... for de Zeitung! For sich hat der Windhund Reklame jemacht! Wat det alleene jekost hat, det det jroße kalte Jans- und Hummermajonäsen-Martirjum von den Herrn Dokter jetz so sachte bis in de letzn Kreisblätter steht. Ick weeß, wat den in de Neese jestochen hat! Det mit unsre ehrliche Arbeet hier paßt den schon lange nich mehr. In Reichstach will det Luder sitzn!

FIEBIG.
Nu, da hab ick n doch druff jebracht? In Ihn, hab'k jesaacht, steckt n Ersatz for Ahlwart!
WERNER.

No, det Loch in de Hose zu hatter je schon. Der weeß, wie't jemacht witt! Jloobste, det de Schusters bei uns hier sone Dussels sind, det se den rotn Kranz von ihre Krankenjelder bezahlt ham? Bei mir ham se n inkassiert nächstn Morjn!

FIEBIG.

Ja, Wilhem, dets mir ja ooch fatal. Wat ick bestellt hatte, hab ick bezahlt. For so eenen hätt'k nu Jehrkn offnjestandn doch nich jehaltn.

GEHRKE
in der Tür, die er brüsk aufgerissen hat.

Bitte die Herren! Ist mit Bellermann und Stycznski eingetreten, wirft seinen Hut auf Fiebigs Sachen und setzt sich dann grußlos aufs Sofa neben Werner.


Styczinski plaziert sich auf die Kiste, wobei ihn Werner höhnisch angrinst. Bellermann im Mantel, den Zylinder in der Hand, setzt sich auf den Stuhl, der dem Sofa gegenüber steht, nachdem er Fiebig durch eine leichte Verbeugung begrüßt hat, die
dieser im Sitzen erwidert.
[526]
WERNER
sitzen geblieben.
Moin die Herren!
GEHRKE.

Herr Werner, ich habe Sie schon verschiedentlich darauf aufmerksam machen müssen, daß Sie unser Redaktionslokal nicht als Frühstücksstube benutzen. Wir befinden uns hier in keiner Destillation.

WERNER
ruhig, unter allgemeinem Stillschweigen zur Tür, öffnet diese und ruft hinaus.
Fritz!
JUNGE
von außen.
Meester?
WERNER
die Hand am Mund.
Hol mal noch zwee Paa Wahme rum! For Herrn Fiebichn ooch!

Gehrke hat ein Buch aufgenommen und wirft es heftig auf den Tisch.
FIEBIG.

Jotte, ick eß ja jakeene! Ick will jakeene! Ist dabei mit dem Taschentuch Bellermanns Zylinder zu nahe gekommen.

BELLERMANN.
Pardon!
FIEBIG.
Ick esse iberhaupt nie Friehstück! Zu Bellermann. Ick wer mir doch nicht Mittach verderbn?

Werner hat sich wieder gesetzt. Hände in den Hosentaschen, die Beine weit weg, sieht in die Luft.
GEHRKE
zieht eine Zustellung aus der Tasche.

Wir sind also in die Verhandlungen getreten. Ich habe Ihnen mitzuteilen, daß ich auf meinen Artikel in der letzten Nummer hier – Legt das Blatt auf den Tisch. – eine Anklage erhalten habe. Sie erinnern sich: »Die freie Liebe im Lichte der Pädagogik«. Ich soll in demselben sogenannte Staatseinrichtungen verächtlich gemacht haben. Selbstverständlich habe ich mit unserm Rechtsbeistand bereits Rücksprache genommen. Herr Coßmann ist der Ansicht, es sei vollständig ausgeschlossen, daß ich diesmal mit weniger als den bekannten sechs Wochen davonkommen werde. Ich stelle daher den Antrag, daß für jede Eventualität die entsprechende Summe bereits heute sichergelegt wird. Ich habe keine Lust, noch einmal den Märtyrer für eine aussichtslos gewordene Sache zu machen.

[527]
WERNER
noch immer dieselbe Stellung.
So. No. Un ick stelle den Antrach, det mein Konto bejlichen witt. Ick bin ooch Märtyrer!
FIEBIG.

Vor allen Dingen, Wilhem, stell ick den Antrach, det wir uns mal hier nich jleich mit Dynamitbomben beschmeißn. Ick habe ooch noch wat uf de Reichsbank. Wat wird dn der Krempl jroß machn, Dokter?

GEHRKE.

Nun, wenn Sie das auslegen wollen, Herr Fiebig, ich kann im Prinzip nichts dagegen haben. Die bloße Strafe wird voraussichtlich sechshundert Mark betragen.

WERNER.
Jrattuliere.
FIEBIG
setzt die Dose auf den Tisch.

I, die Kerls sin wol verrickt? Die könn wol nischt vor? Ick denke, so wat is hier immer mit dreißich Mark abjemacht. Det muß n Redaktöhr doch wissen, watter schreibn derf un watter nich schreibt. Wofor isser denn Redaktöhr? Schließlich hab ick mein Jeld doch ooch nich bloß mits jroße Los jewonn! Iberhaupt! Wat jeht mir dn det an? Ick bin Familjenvater.

WERNER
nach ihm von der Seite.
Mit den gespreizten Fingern der rechten Hand. Dein Jlick, Oska!
FIEBIG
in noch immer sich steigerndem Selbstbewußtsein.

Un denn, da wir jrade mal so scheene bei sind, möcht ick mir doch auch mal bei die Jelejenheit jleich erkundijen: ick vermisse iberhaupt Spredowskn? Der scheint mer wol ooch mehr fort Kneifn?

WERNER.

Abber, Oska! Ick bitt dir! Der ist doch ooch nun schon widder längst in ne neue Per jode. Det kannste dir doch denkn: uf de Entwicklung jippter nu nischt mehr. Der sitzt jetz uf seine Schlafstelle und lißt Nitschkn.

BELLERMANN
räuspert sich.
U ... unerhört!
GEHRKE.

Oh, regen Sie sich nicht auf, Herr Bellermann. Sie sehn, auch ich bewahre meine Ruhe vollkommen. Bei einem derartig ungleichen Niveau war eine solche Entwicklung der Dinge vorauszusehen.

BELLERMANN.
A ... allerdings!
[528]
JUNGE
mit Teller, auf welchem die beiden »Warmen« und etwas Mostrich.
Hier, Meester! Un ick soll Ihn ooch sagn, det det nun schon sechse fuffzich macht.
WERNER
der ihm den Teller abnimmt.

Sehn Se, meine Herrn? Zahln beweisn! Nu, ne kleene Hippothek wer'k wol bald ufnehmn müssen.Schiebt den Teller Fiebig zu. Da, Oska, frisch von Faß!


Bellermann steht auf.
FIEBIG
faßt ihn am Mantel.

Neenee, Herr Bellermann! Bleibn Se doch noch! Se tun mer n Jefalln! Ick mach mir ja janischt aus die olln Würschte.

BELLERMANN
setzt sich wieder.

Es f ... freut mich, Ihnen e ... erwidern zu dürfen, daß es auch k ... keineswegs ... Ihre Persönlichkeit war, gegen die ich protestiert haben wollte.

FIEBIG.

Wissn Se: ick habe ja ooch noch wat for Ihn. Steckt in de Tasche. Der »Ulk« hat wat iber Ihn jebracht.

BELLERMANN.
Oh! S ... sehr verbunden, Herr Fiebig!
FIEBIG.
Jaa, iber Ihn steht alle Oogenblick wat in de Blätter. Ick bin ja man immer mehr so in Annongznteil.
WERNER.

Jut. Wenn de se nich willst, die kriej ick ooch noch alleene uf. Da jibt't keene Hufneegel nach in Bauch!

BELLERMANN
zu Gehrke.

Ein ... Hauptgewicht, wie ich bemerke, wird hier auf eine ... möglichst volkstümliche Diktion gelegt!

GEHRKE.
Herr Werner! Ich bitte Sie wenigstens um Anstand!
WERNER.

Hurrjott, Dokter, sehn Se denn nich, det ick det janze Maul voll ze dhun habe? Zum Jungen, der solange an der Tür gestanden hat. Na, wat hast dn noch? Woll n bißkn horchn? Spioniern!

JUNGE.

Herr Müller freecht, wie det nu wird mit den »Sozialaristokrat«. Wenn't noch wat sin soll mit de nächste Nummer, missn wer Manuskript habn.

WERNER
zu Styczinski.

Na, wie is det, Herr von Baron? [529] Vielleicht ham Se noch son kleenet Manuskriptkn, wat Se widder nich bei sich habn?

STYCZINSKI.
Ich muß Sie bitten, Herr Werner, Mein Chef ist Herr Doktor Gehrke.
WERNER.
Sonst, ick seh nich in! Wenn mir eener wat ufdrängt, ick sammel ooch abjeleechte Zehnmarkstücke.
GEHRKE.
Geh an deine Arbeit, mein Kind. Wir können dich jetzt hier nicht brauchen.

Junge mit einem Blick auf Werner ab. Man sieht, wie er hinter der Tür neben dem Kopf eine Handbewegung macht. Etwa wie: Au den Deuwel ja.
FIEBIG.

Ick wer Ihn wat sagn, Dokter: wenn Not an Mann is, den Trinkspruch uf de deutschen Fraun habn Se nich jebracht. Meine Apperßiehs ooch nich. 't is mir offnjestand ooch lieber so. Nehm Se doch mein »Weltunterjank«! Ick jeb n Ihn!

WERNER
stippt seine Wurst in den Mostrich und pfeift die ersten Töne von »Ach du lieber .
..«, den Rest singend. Aujustiehn, Aujustiehn!
GEHRKE
schlägt mit der Hand auf den Tisch und sieht ihn groß an.
WERNER
noch einmal.
Mit größerem Nachdruck. Aujustiehn!
BELLERMANN
aufgesprungen.
M ... mein Herr! Sie m ... mißbrauchen entschieden die Situation!
WERNER.
Ach wat, ick wer doch nich hier aus mir Wurscht machn lassn?
GEHRKE
aufgestanden, durchaus gefaßt.

Herr Bellermann. Wenn Sie vielleicht noch einen Augenblick aushalten wollen. Ich habe nur ein paar Worte zu sagen. Durch uns alle geht das starke Gefühl, daß die Katastrophe, welche die meisten von uns schon geahnt haben, hereingebrochen ist. Der Sozialaristokratismus war ja ein schönes Ideal. Allein, es hat sich jetzt herausgestellt, daß er ein verfrühtes Ideal war. Wir haben eben noch keine neuen Menschen. [530] Ich bedauere daher die mir in der Tat unerklärliche Abwesenheit des Herrn Hahn. Ich hätte sonst die Gelegenheit mit Freuden ergriffen, das mir so vertrauensvoll übertragene Amt dankend in seine Hand zurückzulegen. Setzt sich.

WERNER
noch immer über seinem Wurstteller.

Joa, de Fettposen sin ja det arme Hähnken nu jlicklich ausjezogen! Nu kanner je den gelehrtn Herrn Dokter nischt mehr nitzn. Durch Dreck zum Zweck. Durch die Lattenkammer in de Volkszertretung!

FIEBIG.
Nee! Nu hörste abber ooch uf, Wilhem!
GEHRKE.
Lassen Sie nur, Herr Fiebig. Ich glaube, über derartige Insinuationen erhaben zu sein.
FIEBIG.
Nu, versteht sich, Dokter, uf alle Fälle? Hält ihm seine Dose hin.
GEHRKE.
Danke. Sie wissen: ich bin nicht Schnupfer. Ich warte nur noch auf das Eintreffen des Herrn Hahn.
FIEBIG.
Ja, ick weeß ooch nich, wat der immer mit de Pollezei zu dhun hat! E is uft Präsidjum.
GEHRKE.
So, nun, das läßt ja noch schöne Dinge erwarten.
BELLERMANN.

N ... nachdem die innere Haltlosigkeit dieses Unternehmens sich so a ... angenehm herausgestellt hat, ist es gegen meinen Geschmack, eine eigne Angelegenheit hier erst noch zur Sprache zu bringen. Auch m ... mir ist eine Anklage zugegangen. L ... lächerlicherweise auf Grund des Unsittlichkeitsparagraphen. Die eventuelle Strafe trage nach diesen ... letzten, erfreulichen Vorgängen natürlich ich. B ... bei der inkriminierten Stelle habe ich mir selbstverständlich gar nichts gedacht!

FIEBIG
in seiner Tasche suchend.
Ick jloobe doch, ick hab't mir injesteckt?

Hahn durch die Glastür sichtbar. Klopft.
GEHRKE.
Herein!
FIEBIG.

Sehn Se, Ha Hahn? Sie ham Jlick! Se kommn jrade [531] mal wieder so an mittnmangstn. Na, wat saacht dn nu Windheim?

HAHN
hat sich vor den Anwesenden linkisch verbeugt.
Gutn Tag! Zu Gehrke. Guten Tag, Herr Doktor!
GEHRKE
der seine Anklage studiert.

Bitte, lassen Sie sich nicht stören. Fahren Sie nur fort. Was ich Ihnen mitzuteilen habe, eilt nicht.

HAHN
nochmals Verbeugung.
Zu Fiebig. Ja, eigentlich war wohl nur son Assessor da.
FIEBIG.

Ja no, wozu lassn sich dn det jefalln? Wozu zahln Se dn Ihre Steiern? Ick würde jleich jesaacht ham, ick will zum Präsidentn!

BELLERMANN.

V ... verzeihn Sie, Herr Fiebig! Zu Hahn. G ... gestatten Sie, w ... welches war also.., schließlich der Grund ... Ihrer sonderbaren Vorladung? D ... diese deutschen R ... Rechtszustände scheinen ja m ... merkwürdig eigentümliche!

FIEBIG.

Ach so, Herr Bellermann, ja: Se meen de Lynchjustiz? Iber die hab'k ooch wat! Ja, Ha Hahn, nu sagn Se't doch!

HAHN.
Ja, zuerst hat der Herr ja gefragt, wo wir das Geld herhaben.
FIEBIG.
Nu, det ham Se doch den blauen Engel nich uf de Neese jehängt?
HAHN.
Ja, Herr Fiebig, ich habe gesagt, das sind die viertausend Mark gewesen.
FIEBIG.

No, erlobn Se, Ha Hahn. Wenn'k det jewußt hätte, wer'k mit jekommn! Na, und wat hatter denn druf jesaacht?

HAHN.
Ja, gesagt hat er ja nichts, Herr Fiebig.
FIEBIG.

Jesaacht hatter nischt! Det weeß'k ooch! So ville versteh'k ooch von de Verwaltung! Det hab'k von Dröschern. Zu Bellermann. Wissn Se: Der Mann is Jeheimrat. Is mein Schwager. Is Kanzleirat. Der hat Fühlung mit de Regierung. Zu Hahn. Nu, er muß doch abber wat jemacht ham?

[532]
HAHN.
Nein, er hat nichts gemacht, er hat bloß gelacht.
WERNER.
Der Mann wah nich ufn Kopp jefalln!
FIEBIG
empört.
Nu, da beschwer'k mer doch? Wir lehn doch in keen Pollezeistaat?
BELLERMANN.
Ja, nun, und das ... weitere, Herr Hahn?
HAHN.

Ja, und denn hab ich ihm auch sagen müssen, daß die »Lieder eines Schmetterlings« von mir sind. Aber die haben wir ja noch nicht gebracht.

WERNER.
Na, und denn hat der Mann wieder jelacht!
FIEBIG.

Ja, Wilhem, offn jestandn: ick versteh dir janich mehr! Schon die janze Zeit iber. Du scheinst wol Han Hahn forn Dussel zu haltn?

HAHN.
Ach, Herr Fiebig, ich bitte Sie, Herr Werner ist immer so liebenswürdig.
WERNER.

Sehste, Oska? Det saag'k oodi. Mir muß man bloß eener zu nehmen verstehn. Mit Essen fertig, brennt die Zigarre an. Roochn dhut wol wieder keener von die Herrn?

FIEBIG.

No, un von mein »Weltunterjank« ham Se de Leute natierlich ooch alles erzehlt! Tür auf, Kopf durch. Um Jotts willn?

WASCHFRAU
durch die Türspalte.

Herr Dokter, Herr Dokter! Komm Se doch jleich zu Ihre Frau! 's sind e paa janz fremde Herrn mit Zylinder da!Schleunigst ab.

FIEBIG.
Sehn Se? Det hat bloß noch jefehlt! Nu ooch noch de Haussuchung!
BELLERMANN.
E ... empörende Zustände!
GEHRKE
aufgestanden.

Meine Herren! Diese Lösung habe ich kommen sehn. Auf diesen Augenblick habe ich gewartet. Wieder ist ein kulturelles Werk durch den Staatsanwalt vernichtet worden! Ich bedauerte dann herzlich die dadurch geschaffene mißliche Lage unseres armen Herrn Hahn. Und ich hätte angesichts solcher, wie Herr Bellermann dann allerdings ganz richtig bemerkt, empörenden Zustände nur die eine Bezeichnung: Sibirien in Preußen!

[533]
FIEBIG
haut Bellermann aufgebracht auf die Schulter.

Un det nennt nu det neunzehnte Jahrhundert Jedanknfreiheit! De Wissenschaft und ihre Lehre is frei. Ahtikl der preuschn Verfassung! Von mir hatter ooch noch n paa Postkartn!

GEHRKE
Hahn die Hand reichend.
Herr Hahn? Ich sehe Sie wieder. Herr Bellermann?
BELLERMANN.
A ... also auf Wiedersehn!
FIEBIG
streckt ihm die Hand hin und fühlt sich den Puls.

Da, Dokter! Fühln Se mal! Nich n bißkn! Det Wort Angst muß janich in Ihrn Wörterbuch stehn! In mein steht ooch nich.

GEHRKE
Hand bereits auf der Türklinke.

Ich gehe. Wieder droht administrative Willkür einer asiatischen Politik mich ohne Richterspruch zu verdammen. Nicht genug, daß man mich, einen friedlichen Bürger, dem das Wohl seiner Mitmenschen über das eigene ging, ins Gefängnis geworfen und mich so an Freiheit, Erwerb und Gesundheit geschädigt, nein, die rohen Emissäre der Gewalt bedrohen vielleicht schon, ich kann wohl sagen, selbst die schlichte Schwelle meines Heims. Nun, wer die betreffenden Herren auch sein mögen, ich werde sie zu empfangen wissen. Hat unterdessen nachgesehen, ob er auch alle Schlüssel bei sich hat. Es ist ein stolzes Wort, aber ich weiß, was ich ausspreche: Wir und die Zukunft! Hut auf, ab.

WERNER
große Züge paffend.
Nu, der Hauptappl wär ja denn vont Roß jefalln.
BELLERMANN.

V ... verzeihn Sie, wenn ich mich ... endlich empfehle. Die Debatte scheint immer ... intimer zu werden!

WERNER.
No, denn fällt je nu ooch schon der zweete – Räuspern. – Sozialaristokrat.
BELLERMANN.
H ... Herren Ihres Schlages gegenüber b ... bin ich überhaupt Aristokrat.
WERNER.
Det sieht man an Ihre englische Hosn!
BELLERMANN.

V ... verzeihn Sie! Ich bin kaum dafür verantwortlich, [534] daß Sie keinen ... fashionablern Schneider haben.

WERNER.

Wat? Indem er aufsteht und die Hände in die Hosentaschen steckt. In der einen Hand die Zigarre. Un Sie wolln aus det Land der Freiheit sind? Sie sin ja iberhaupt man n janz jemeener –Die Faust aus der Tasche schleudernd. – Rixdorfer!

BELLERMANN
schon halb in der Tür.
G ... gestatten Sie! Ich m ... muß bemerken, ich bin aus L ... Lichterfelde!

Ab.
Styczinski ist aufgestanden, hat ihm unentschlossen nachgesehn und sich wieder gesetzt.
WERNER
der sich gleichfalls setzt.
So. No. Der scheint mir je denn ooch nich besonders jeliebt zu habn.
FIEBIG.

Ja, ick weeß nich? Wat wah dn den? Der is ja immer jleich so ibelnehmrich? Sonst, det er n Amerikaner is, sieht man ihn an. Ick jloobe, er hat ooch mal wat zu mir uf Englisch jesaacht. Mir hält ja ooch jeder forn Belliner. No, un ick bin aus Mühlhausn! Zu Styczinski. Ihr Dokter hebt doch nich alles uf, watter kricht?

STYCZINSKI.

Ja, Herr Hahn, Sie werden entschuldigen, auch nach mir ist recherchiert. Zum Glück war ich noch nicht zu Hause. Meine Wirtin ... Sie wissen, ich bin russischer Untertan. Ich muß nach London. Ich habe nicht das Reisegeld.

HAHN.
Ja, natürlich. Selbstverständlich. Herr von Styczinski!
WERNER.

Ach, wat! Hier mal erst Kies in de Molle. Zuerst kommt der Drucker. Se denkn wohl ooch, bei uns werdn de Seijlinge jleich mitn Zwanzigmarkstick int Portmanneh jeborn! Meldn sich doch! Forn nächsten Schupp!


Styczinski zögernd aufgestanden.
FIEBIG.
Ja, Jeld hab'k je ooch nich. Ick bin ja nich immer jleich uf so wat injericht.
WERNER.
Nöh ... wir ham hier alle keen Jeld. Hier riecht schon längst nach't letzte Ende von Monat!
[535]
STYCZINSKI.
Ich empfehle mich.
FIEBIG
unsicher.

Ja, no, Se wern doch nich schon jehn? Von seinem Platz aus ihm nachrufend. Ick mache mir wat aus Ihre Jesellschaft!

WERNER.

Halt doch det Maul, Oska! Ihm ebenfalls nachrufend. Sie! Sie habn doch nich Ihren Überzieher verjessn?

STYCZINSKI
die Tür noch einmal halb auf.
Ihr Schmutz trifft mich nicht mehr. Ich stehe zu hoch für Sie. Ich bin Europäer.
WERNER.
Quatsch! Europäer! Mauseratzenfaller sind Se!
FIEBIG
ist jetzt endlich auch aufgestanden, schlägt ärgerlich mit der Dose auf den Tisch.

Nee, weeßte, Wilhem, nu is mir det abber doch zu ville! Det du dir det ooch noch mit den Europäer sagn lassn mußt? Ick hier bin wol nich aus Europa? Ick möcht wissn, wat ick unter solche Umstände hier iberhaupt noch zu dhun habe. Die kram jetz womöjlich schon zwischen meine Papiere! Der Dokter hat janz recht: De Rattn verlassn det Schiff. Kommn Se, Ha Hahn! Geht zu seinen Sachen. Hahn hilft ihm während des Folgenden beim Anziehen.

WERNER.
Ach wat! Mein Jeld will'k ham! Wie is dn det nu, Ha Hahn? Wenn jehn Se dn nu zu Ihre Tante?
FIEBIG.
Wat det nu uf eemal die olle Dame anjeht, möcht'k wissn. Die hat dir wol noch nich jenuch Kummer?
HAHN
verschüchtert.

Halb mit Tränen kämpfend. Ja, entschuldigen Sie, Herr Fiebig. Ich war ja auch schon bei meiner Tante. Aber die is ja so böse, die will ja nichts mehr von uns wissen, die denkt ja, der Artikel is von mir.

FIEBIG.
Ahtikl? Watn forn Ahtikl?
HAHN.
Nun, der von der Pädagogik, das heißt eigentlich wohl so mehr von der freien Liebe.
FIEBIG.
I, die is wohl nich mehr recht in Kopp?
WERNER.
Jroßartich! Hahn iber de freie Liebe!
FIEBIG.
Ach wat. Ha Hahn! Komm Se! Wir wern uns doch nich merkn lassn, det wir uns ärjern?
[536]
WERNER
aufgestanden, näher getreten.

Ja, nu, weeßte, Oska! Det mit den Dokter laß'k mer ja nu noch jefalln. Der is je schon lange reif for de Jummizelle. Man, det find ick, offn jestandn, denn doch n bißkn komisch. Erst führste mir Han Hahn zu mit sein Druckuftrach, un wie ick nu mein Jeld ham will: Komm Se, Ha Hahn!

FIEBIG.

Ach wat! Bald is de Welle obn, bald is de Welle unten. Ha Hahn is mer sicher. Du bist mer je ooch sicher. Jejn Dokter hab'k nischt. Dets n studierter Mann. Der hat immer seine Quelln. Der jeht nich unter. Det liecht in sein Karakter! Sin Se fertich, Ha Hahn? Passn Se ut, meine Frau hat se natierlich wieder ufjemacht. In Bellin sind se je noch verrickter. Mein janzer »Weltunterjank« liecht in de Schupplade!

WERNER.

Ja, ja, Oska, mach man! Abber n bißkn dalli! Ut dir wartn se schon. Denn kann dir ja Anna 't Essen jleich in Henkelpott nacht Jefänknis bringn. Kloppst dir n bißkn mit Hammerstein!

FIEBIG
schon in der Tür.

In allen Gefühlen schillernd. Ach wat, da is janich zu spaßn. Det ick keene Angst habe, weeßte. Soweit kennste mir doch. Wenn ick zu fürchten anjefangn, hab ick zu fürchten ufjehört! Wenn ick mir man bloß nich mit den janzn olln Schwindel injelassn hätte! Dets Bedrickunk! Ick stecke die janze Sache iberhaupt Firrchohn! Der bringt't in Reichstach! Der is je ooch jejn Bismarck. Ick möcht wirklich wissn: wat jeht mir iberhaupt die janze, olle, poplije Sozialaristokratie an? Ick bin deutschfreisinnich. Komm Se, Ha Hahn. Beide ab.

WERNER.

Da! Nu jeht e! Un ick kann zusehn, wie'k zu mein Jelde komme. Hand an der Tür, in den anderen Raum hinein. Jrieß dn Exkuter! ... Nanu?

FIEBIG
verstört zurück.
Hinter ihm drein Herr Hahn. Wilhelm! Mitten auf der Bühne.
WERNER.
Ja, nu ... watn?
FIEBIG
höchstes Entsetzen.
Se kommn! Ick hab se durcht Fenster jesehn. Alle mit Zylinder! Heerste?

[537] Von draußen Gerausch. Stimmen.
WERNER.
Nanu wird't Dach. Det wolln wir doch mal erst abwahtn?
GEHRKE
die Tür aufmachend, man sieht die drei Herren aus Arnswalde.

Bitte die Herren! Die Herren verbeugen sich höflich. Fiebig retiriert, die Augen grauenvoll auf ihre Bäuche, mehr und mehr bis vorn in die Ecke links. Nun, wenn die Herrschaften durchaus wollen, ich bin so frei. Tritt ein.

WERNER
breitbeinig, die Fäuste in den Hüften.
Wat wünschn die Herrn!
GEHRKE
zu Werner geschäftig – schnell.

Sie gestatten. Herr Buchdruckereibesitzer Werner, Herr Schriftsteller Fiebig, Herr Verlagsbuchhändler Hahn. Die Herren haben die Ehre, den Wahlverein der antisemitischen Volkspartei von Arnswalde zu vertreten. Sie waren so gütig, mir im Namen ihrer Parteigenossen die Kandidatur für die, wie Sie wissen, inzwischen notwendig gewordene Ersatzwahl ihres Kreises anzutragen. Ich habe diese Kandidatur angenommen. Alle drei Herren verbeugen sich wieder. Ich danke Ihnen. Für dringend notwendig erachte ich natürlich sofort die Schaffung eines neuen Zentralorgans und kann nun für dessen technische Ausführung selbstverständlich keinen Bewährteren empfehlen als Sie, lieber Herr Werner.Die drei Herren verbeugen sich abermals. Wenn es den Herren also recht ist ...


Fiebig, der sich von seinem Schrecken noch immer nicht hat erholen können, ist gegen die Wand getaumelt, an der er gebrochen lehnt. Zylinder schief, kreidebleich, Arme schlaff, der Stock fällt ihm polternd auf die Erde. Alle auf ihn zu, mit Ausnahme Werners.
WERNER
durch die Tür, die er aufreißt.
Fritz? N Jlas Wasser!
[538]

5. Akt

Fünfter Akt

Wohn- und Arbeitszimmer Dr. Gehrkes. Helle, billige Tapete. Im Hintergrund ein Fenster mit Kattungardinen und eine Tür, die auf eine Loggia geht. Dazwischen ein kleines Bücherbrett mit wenigen Büchern, auf dem eine ausgestopfte Eule steht. Vorn links über einem aus Korb geflochtenen Blumentisch mit einem Aquarium in der Mitte die Ölporträts des Ehepaars; Dr. Gehrke Brustbild, Meischen Kniestück, beide Lebensgröße. Die Rahmen sind aus bronzierten, unbehobelten Brettern zusammengeschlagen. Um das Porträt Gehrkes hängt der große, rote Kranz, die Inschrift draus ist mit Reißpinnen unter dem Bild befestigt. Über dem Konterfei Meischens Schleier und Brautkranz. Weiterhin die Schlafstubentür; drüber ein Plakat: »Willkommen!« In der Ecke ein japanischer Sonnenschirm, darunter ein einbeiniges Tischchen mit gehäkelter Decke und Wasserkaraffe. Rechts, ganz vorn, eine Chaiselongue, vor der ein weißes, abgeschabtes Ziegenfell liegt. Über das Möbel ist eine alte Chenilledecke gebreitet. An der Wand eine Schmetterlingssammlung, um die kleine japanische Fächer genagelt sind. Weiterhin die Nähmaschine und die Tür zum Korridor. Vor der Chaiselongue ein Tisch, auf dem Groggläser,
Tassen, Teller und ein Petroleumkocher. Morgenlicht. Die Lampe auf dem Tisch brennt noch. Werner, Fiebig und Hahn schnarchend. Werner, über die Beine eine gestrickte Decke, zusammengerollt auf der Chaiselongue; Fiebig, um die Schultern ein großes Wolltuch von Meischen, ganz im Vordergrund auf einem Lehnstuhl, die Beine auf einem andern Stuhl, Hahn auf der andern Seite des Tisches, den Kopf auf der Tischplatte. Hahn schnarcht am lautesten.

WERNER
im Schnarchkonzert plötzlich steckengeblieben.

Sich aufrichtend. Reibt sich die Augen. Gähnt. Da hat mer doch von son Lutschproppn jetreimt? Die Hand vor der Stirn. Den hab ick doch mit Salz ausjeriem? ... Sie, Ha [539] Hahn! Packt ihn an die Schulter. Is dn der Ast noch nich balde durch?

HAHN
noch im Schlaf.
Komme nach.
WERNER.
Prost! Gutmütig. Wachn Se man uf, Hähneken. Se verstänkern ja dn Doktor de janze Bude.
HAHN
auffahrend.

Jajajajaja! Is dn der Herr Doktor schon da? Sieht sich wirr um, zieht seine Uhr, blickt nach dem Fenster. Ach, das ist ja schon Morgen!

WERNER
Weste auf, Hosenträger.

Nu Jott sei Dank! Son Dussel bin'k nich noch mal! Uf den ham wir jut jelauert. Der klebt womejlich noch in sein Arnswalde! Der zerstreute Jelehrte verpaßt den Zuch, und de Jrattulantn schlagn sich die Nacht um de Ohrn. Wenn er nu nich jewehlt is, witt je nu doch nischt aust neue Zentralorjan!

HAHN
der sich auf seine Weise ebenfalls etwas in Ordnung bringt.
Sieht noch mal nach der Uhr. Ja, meine Uhr ist wirklich schon nach sieben, Herr Werner.
WERNER.

No, Fahrplan hab'k in Kopp. Denn könntn je der Herr Jraf nu bald widder da sind. Ufn neechstn Zuch will'k dn noch wahtn. Um achte steht mein Personal vor de Diere.

HAHN.
Wenn der Herr Doktor wenigstens noch n Telegramm geschickt hätte! Dann wüßte man doch wenigstens!
WERNER.

Nu ja. Jewehlt mit eene Stimme pluß. Oder: Verhaun un rausjeschmissen, Jehrke ... Nischt! Man bloß jut, det wir nich noch ufn Bahnhof jebliem sind. Die ham doch de janze Nacht durchjesoffn!

HAHN.
Ach ja, der Herr Doktor ist doch nun richtig effektiv populär geworden.
WERNER.

Ja nu, det muß man ihn je lassn: uf det Resultat kommt zuletzt jeder: wat de Wanze in menschlichn Lebn, dets der Jude in Volkskörper. Mir ham se jut vorjehabt die Nacht. Nach der Chaiselongue hin. Schenken wir mal die Familie for fünfzig Fennje Insektenpulver. Hat vom [540] Tisch ein Stück Zucker genommen und wirft es nun Fiebig in den offenen Mund. Cchh?


Hahn lacht diskret.
FIEBIG
Grimasse.
Nu, da simmer doch injeschlafn?
WERNER.
Ja, un ick habe derweil jesessn un hab euch die Fliejen von de Neese jefangn!
FIEBIG
unterm Tuch noch Kragen hoch.
Det is ja so kalt?
HAHN.
Guten Morgen, Papa.
FIEBIG.

No? Wat saachste nu? Wie in de Abruzzn! De Freunde in wollne Tiecher, un von Jefeiertn is noch nischt zu sehn. Wenn se n nu nich jewehlt ham, kriej'k wat zu hörn. De Weiber verstehn doch von nischt.

WERNER.
Jaja, Oska. Trau du dir man jetz nach Hause. In dein Schlaf rock möcht'k denn nich steckn!
FIEBIG
sich noch fester einwickelnd.

Ach wat, det'k meine Frau nich bedrieje, weeß se! In mein Alter jeh'k doch nich mehr in de Feensäle? Zu Hahn. Brauchste jarkeene Angst ze ham. For Annan komm'k uf. Jehrkn haste ausjenutzt!

HAHN.
Ach Gott, nun ja, nicht wahr, das Geld wäre ja vielleicht doch wohl verlorengegangen.
FIEBIG.
Nu, uf alle Fälle!
WERNER.

Jippt dn noch keen Kaffe? De Jattin liecht wol noch ins Bett? Mit dem Fuß gegen die Tür. Sie! Madamkn! Wachn Se uf! Dreimal Kaffe for de Jäste!

FIEBIG
zu Hahn.
Du Rudolf! Fühl doch mal da in de Tasche nach. Da hab'k doch noch son paa Fefferminzplätzkns?

Hahn zum Paletot Fiebigs.
MEISCHEN
Nachtjacke, »Papilloten«; sieht durch die Tür.
Nu, is'n mei Benno schon da?
WERNER.

Ach wat! Mandarinn secht der Chinese!Reißt die Tür auf, man sieht Meischen in einem sehr kurzen Unterrock und Pantoffeln; sie kreischt auf und verschwindet. Werner drückt die Tür wieder zu. No, ick will nich indiskret [541] sein.Schüttelt sich. Brrr. Nee. Sowat ufn nüchtern Magn? Hat dn keener n Schnaps da uf die Reize?

FIEBIG.
Wilhelm! De bist hier Jast.
WERNER
hat an einer Stelle die Decke aufgehoben und zieht einen langen Zippel Werg aus der Chaiselongue.
Drum ooch. Da sind doch schon de Sprungfedern kaputt?
HAHN.
Da, Papa.
FIEBIG
die Schachtel aufdrehend.

Det Weib is n Abjrund mit Blumn. Ißt. Det tut jut, wenn man noch nischt jejessn hat. Hält die Schachtel Hahn rüber. Da! Is jesund!

HAHN
nimmt.
Ja, aber ich muß doch nun schon um neune aufm Büro sein.
FIEBIG
lutschend.

Ach wat, det mach'k schon mit Dröschern ab. Wenn sich dein zukinftjer Schwiejervater mit dein Kanzleirat steht, denn haste ooch n Stein int Brett bei de Rejierung.

WERNER
mit dem Petroleumkocher schwappernd.

Is je noch janz voll. Zu Hahn. Handbewegung nach der Karaffe. Machn sich verdient. N bißkn Wasser! Nimmt ein Glas vom Tisch. Noch n Neeje Jrock drin. Gießt sie in den Topf. Dets jut. Schmeckt der Kaffe besser.

FIEBIG.
Spuck doch noch rin!
WERNER.
Jott, wah je mein Jlas.
HAHN
der seinen Auftrag erledigt hat, setzt den Topf auf den Petroleumkocher, holt Streichhölzer aus der Tasche und steckt an; die beiden andern haben einen Augenblick zugesehen.
WERNER
klopft ihm auf die Schulter.
Jaja, Ha Hahn! Wir Jungjeselln! Lange dauert det nu nicht mehr!
FIEBIG
sich vor den Leib fassend.
Ick weeß nich, seit die jraulichn drei Kerls neulich hab'k doch n Knacks wech?
MEISCHEN
Hausrock, Pantoffeln, Nachtjacke, Tuch drüber.

Nee, was sagn Se nu bloß zu mei Benno? Muß mer sich da nich widder emal reeneweg zuschandn ärchern? Gestern ahmnd hatter nu schon da sein sollen! Und ob er iberhaupt [542] gewählt is, weeß kee Mensch. Wie ä Dummer is mer.

FIEBIG
Prise.

Ja, nu, det is doch so in die Poletik? E muß doch mit die Leite noch n Jlas Bier trinkn? Firrchohn kann achtzehn Seidl verdragn.

MEISCHEN.

I cha wohl! So dumm bin ich auch nich. Das wissen mer schon, was de Männer machn, wenn de Frauen nich derbei sin. Aber das will ich Sie bloß saachn: den ham Sie aufm Gewissn. Sie harn mir mei Benno bloß echal ufjehetzt. Schämen sollter sich in n Hals nein, so ä verheirater Mann.

FIEBIG
Beine vom Stuhl.

Natierlich! Ick habe allns ufn Jewissn! Hahn je wol ooch! Den hab ick je wol ooch ufn Jewissn – Stark betont. – det seine Tante ihn det Jeld nu schon jleich for die Kinder festjeleecht hat? Hab'k ooch! Der soll sich mal erst son zweetn Schwiejervater suchn! Wat, Rudolf? Det wahn Stick Zeitjeschichte mit dein »Sozialaristokrat«!

MEISCHEN.
Nu, Sie heirat er doch nich?
FIEBIG.

Nich? So. No! Wer hat dn zu Ihrn Doktor immer jesaacht, Se sind der neue Ahlwart? Solln Se sehn, der jeht jetz ufn Reichskanzler los!

MEISCHEN.

Nu, mer soll nischt verschweern! Mei Benno kann alles, wasser will. Er saacht doch, uns Frauen wähln se auch noch mal in de Gesetzgebung?! I gucke da, 's Wasser ham Se wohl schon aufjesetzt? Na da! Da missen mer wohl heite mal ene Bohne mehr nein dhun?

WERNER.
Sollste sehn, Oska, der kann denn wieder vor Schwäche nich aus de Kanne loofn.
MEISCHEN
die Tassen ordnend.
Schimpn, schimpn dhut nich weh, wer mich schimpf, hat Lais und Fleh!
WERNER.
Jaa, fein is det hier nich. Abber jemietlich!
FIEBIG
der jetzt aufgestanden ist.

Nu, sonst? Dets doch hier son wissenschaf tlichet Stübkn? Jott, fühl'k mein Kadawer ... Da! Der Vogel der Jelehrsamkeit, Herrscher der Lüfte! Son Aqwarjum hab'k mer schon lange jewünscht. [543] Steckt den Finger hinein. Zu Hahn. Siehste, Rudolf? So sin mir ooch mal int Wasser rumjehuppt. Sin unsre Vorfahrn. »Kraft un Stoff« hab'k je ooch! Zu Meischen. No, abber meine Frau kenn Se doch? Die is nich for de Naturkunde.

MEISCHEN.

Cha, mit die alde Schweinerei hab'ch auch immer mein Grach. Da studiert mei Benno immer die Natur dran. Wolln Se mersch glauben, Herr Werner? Neilich, wie ich ausm Bette steiche, bin ich Sie auf son nackten Molch mitm Beene getretn?

WERNER.

Heern Se uf! Hahn, der Fiebig nachgegangen ist. Wieder nach der Uhr sehend. Na, der Zug muß eigentlich aber schon längst wieder da sein.

FIEBIG.

Nu versteht sich? Do! Is ja schon't Morjenrot! Zu Meischen zurück. Aurora in Ehl! Hat die Tür zur Loggia aufgeklinkt. Siehste, is det nu nich jut, dette deine Jedichte nich hast druckn lassn? Hier haste alles! Hier haste Wald, hier haste Jarten, hier haste Jemiese, hier haste alles!

WERNER.
Diere zu! 't zieht!
HAHN
macht hinter Fiebig und sich die Türe zu.
WERNER
dreht die Lampe aus.

Keen Petroljum mehr drinne. Pustet von oben in den Zylinder. Pppph! Nu setzn sich doch, Frau Dokter! Der Kaffe kocht ooch alleene. Se jrauln sich doch nich?

MEISCHEN.

Ach nee, Herr Werner, ich gann doch nich hier so alleine mit Sie bleibn? Ich bin doch auch noch ghar nich angezoochen. Das schickt sich je ghar nich.

WERNER.
Nu watn? Se sin doch ne verheirate Frau? Se denkn doch nich, det ick Ihn hier wat dhun wer?
MEISCHEN.
Ja, ihr Männer! Das hat mei Benno auch immer gesaacht.
WERNER.

Nu, sehn Se! Un der hat Ihn doch ooch nischt jedan? Hm? Nach dem Bild hin. Da! E macht orntlich nochmal son dummet Jesichte!

[544]
MEISCHEN
verschämt.
Gott, ich bin ja nur mei Benno sei Meischen. Aber ich mach n so glicklich!
WERNER
hat ihre Hand genommen.
Ach nee, die Fingerkns.

Von der Straße her, aus der Ferne, hat Gesang eingesetzt. Man unterscheidet deutlich die Melodie von »Deutschland, Deutschland über alles«.
FIEBIG
in höchster Ekstase.
Tür auf. Kinder, se kommn!
WERNER.
Dunnerwettstock!
FIEBIG.
Saacht'k nich? Der hat uns bloß wieder iberraschen wolln! Da hatter je't Mandat!
MEISCHEN
mit einem Schrei aufgefahren, Hand am Herzen.
Ach, mei Benno! Hab ich n Schreck gekricht. Und – Selig. – wie scheene se singen!
HAHN.
Soll ich auflassen?
FIEBIG
die Tür schnell schließend.
Um Jotts willn!Zu den übrigen. Nu wat improvisiern!
WERNER.
Riejeln wir doch de Diere zu.
MEISCHEN.
Ach, gehn Se weg, Herr Werner! Sie mißtn iberhaupt noch mal auf de Benähmige!
HAHN.

Ja, wenn wir jetzt son Kostüm hätten, denn könnte vielleicht so Frau Doktor als Germania n Kranz überreichen?

WERNER.
Kranz ham mer. Det läßt sich machn. Feste! Steigt auf einen Stuhl und hakt ihn runter. Da, Ha Hahn.
FIEBIG.
Dets ne Idee! Los, Wilhem! Und de Germania mit'n Brautschleier! Paßt! Is det anjetraute Volk!
WERNER
jetzt auch Kranz und Schleier reichend.
Do! Vorspiejlung falscher Tatsachn.
FIEBIG
den Schleier Meischen aufgeregt um Tuch und Nachtjacke drapierend.
Det Weib in Schmucke der Myrte! Die Jungfrau als Jattin und Mutter!
MEISCHEN.
Ach nee, Herr Fiebch. Se reißen mer je alle Haare aus. Nu soll'ch mich auch noch zu so was hergebn.
FIEBIG.
E poltert je schon de Treppe hoch!
[545]
WERNER
von seinem Stuhl wieder runtergeklettert.
Der scheint jut jeladn.
HAHN
den Kranz reichend.
Bitte schön, Frau Doktor.
MEISCHEN.
Was? Dän auch noch? Nee! Das tu'ch nich. Da gomm'ch mer zu komisch vor.
FIEBIG.

Ach wat, schnell! Det mauer'k doch nu ooch noch in mein »Weltunterjank«! Hat selbst den Kranz genommen, und steht damit parat.

WERNER
Taschentuch.
Ungeheure Trompete. Da kann eener orntlich jeriehrt bei wern.
GEHRKE
gegen die Tür gepoltert.

In der einen Hand einen kleinen Koffer, in der andern einen Regenschirm. Bleiche Züge, Hut in die Stirn, etwas schwere Zunge. Nun? das ist ja ... Fiebig hat ihm ohne weiteres den Kranz übergestülpt. Welche Überraschung! Meinen herzlichsten Dank!

FIEBIG.
Jaja, Dokter! De Poesie, die de Wissenschaft krehnt! Se kommn jrade mit de ufjehende Sonne.
WERNER
sein Taschentuch schwenkend.
Judn raus!
GEHRKE.
Oh, liebe Freunde! Mietzemeischen! Ja, wo soll ich denn nun eigentlich meinen Koffer hinstellen?
HAHN.
Oh, bitte Herr Doktor!

Hat ihm den Koffer abgenommen und vors Fenster gestellt.
Von draußen, wo der Gesang unterdessen aufgehört hat: »Gehrke! Gehrke! Reden! Reden! Hut ab! Gehrke!« Man sieht durch Tür und Fenster eine vielköpfige Menge.
GEHRKE.

Die guten Leute! Hat die Tür zur Loggia aufgemacht. Fiebig sich als erster rausdrängelnd. Das Tuch noch immer um die Schultern. Ins Zimmer zurück. Sehste Wilhelm, dets jetz hier nich mehr Friedrichs hagen, dets jetz hier Friedrichs ruh!


Gehrke ist als zweiter auf die Loggia getreten, Hahn als dritter.
[546]
WERNER
den Zug schließend, die Tür hinter sich auflassend.
Halb zu Meischen. Ja: Bismarck und Ahlwart in eens.

Meischen zurückgeblieben, selig an der Tür. Gesicht ins Zimmer.
GEHRKE
den Kranz schräg um die Schulter, den Hut ins Genick, in der Linken den Regenschirm, mit der Rechten pathetische Gebärde.

Volksgenossen! Ich danke Euch! Harrt aus im Kampfe gegen Mammonismus und Überkultur für germanisches Volkstum und die antikratische, sozialitäre Gesellschaftsform der Zukunft! Für Freiheit, Treue, Glauben, Wahrheit und Recht!


Von draußen: »Schirm uf!«
GEHRKE.

Die Saat, die wir gesät haben in Leiden, geht auf in Freuden. Der Schnitter naht! Bei Philippi sehen wir uns wieder!


Draußen: »Bravo, bravo! Da capo!« Fiebig, der die Rede mit Gestikulationen begleitet bat, klatscht in die Hände; von neuem setzt der Gesang ein: »Deutschland, Deutschland« und so weiter. Hahn schwenkt sein Taschentuch, Fiebig fällt über Werner her und umarmt ihn. Die Sonne ist aufgegangen, ihr Schein füllt das Zimmer. Gehrke allein zurück. Noch immer Kranz, Hut und Regenschirm.
MEISCHEN
sinkt ihm in die Arme, schluchzend, die Tränen laufen ihr über die Backen.
Mei Benno! Liebste mich? Biste glicklich?
GEHRKE.

Mäuschen! Mäuschen! Küßt sie. Geste nach draußen hin. Siehst du, mein Kind? Wie Ibsen sagt: Die Sonne, die Sonne!

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TextGrid Repository (2012). Holz, Arno. Dramen. Sozialaristokraten. Sozialaristokraten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-83F5-F