Zweiter Akt
Druckerei von Werner. Kleines, nur durch Tapetenwände, die bis zu zwei Drittel Höhe reichen, vom Maschinenraum abgetrenntes Kontor. Unter der Decke laufen Treibriemen. Durch die Glastür sieht man zwischen Setzerstände. An der Hinterwand ein altes, abgerissenes Ledersofa, über dem, eingefaßt von einer schmalen Goldleiste, ein schlechtes Porträt Bismarcks hängt. Außerdem noch eine Konsole, auf welcher eine Bibelattrappe steht. Davor ein Tisch, der mit Wachsleinwand überzogen ist. Zwei Stühle. In der Ecke ein kleiner, eiserner Ofen, in dem ein Feuer brennt. Nicht weit davon ein Regal mit verschiedenen, offenbar nur zufällig zusammengekommenen Büchern, Zeitungsstößen, Packpapieren und dergleichen. An einer Seitenwand ein hoher Stoß von Gehrkes »Lieder eines Übermenschen«. Mehrere Ballen in Latten und Blechstreifen. Auf dem Boden unordentlich Papier verstreut. Das Ganze sehr schmutzig.
WERNER
liegt lang auf dem Sofa.
Aus der Druckerei gedämpftes Geräusch. Auf dem Tisch eine Weiße und die Reste einer Käsestulle. Außerdem Zigarren. Hebt sich halb auf und nimmt eine von diesen. Ach ja! Steckt sie [481] an und legt sich wieder zurück. Ungeheurer Gähner. Uaah!
Setzerlehrling steht in der Tür.
WERNER.
Na, wat is dn nu schon widder? Keen Oogenblick hat man Ruhe. Nischt jenn se een. Nich mal det biskn Fressn lassn se een runterwirjn.
JUNGE.
Is keen Manuskript mehr.
WERNER.
All widder nich? Na, da wah doch noch son Stuß von Ibermenschn?
JUNGE.
Steht schon in de Kolumne.
WERNER.
Wieviel fehlt dn noch?
JUNGE.
Annerthalb Spalten Korpus.
WERNER.
Na, denn laß Müllern solange ablejn. De Meesters komm jleich.
Junge dreht sich um und stößt in der Tür auf Fiebig, hinter dem Herr Hahn auftaucht.
FIEBIG.
Moin! Packt den Jungen bei den Schultern. Na, Junge?
JUNGE.
Wat n?
FIEBIG.
Biste Familjenvater?
JUNGE
offenes Maul.
FIEBIG.
No, neulich hab'k dir doch mit son Vollbaht jesehn?
JUNGE
schnell gefaßt.
Och, den? Den hab'k ma jestern abrasiern lassen.
FIEBIG.
Junge, dafor krichst n Jroschn! Langt in seine Billetttasche. Da, koof dir n Ritterjut vor.
JUNGE
militärisch grüßend.
M.W., Herr Dokter, witt jemacht!
FIEBIG
zu Werner und Hahn zugleich.
N juter Schlach. Hat Ehnlichkeit mit dn Fürstn Reuß.
JUNGE
fidel ab.
Hohohoho!
WERNER
vom Sofa her.
Anerkennend. Jaa ... Den hab'k schon lange rausschmeißn wolln.
[482]FIEBIG.
Na, Wilhelm, wat sachste nu zu Han Hahn? Ick finde, bloß n biskn ne rote Neese hatter noch von die Kälte.
Hahn in seinem Kostüm, unglaublich verlegen.
WERNER
noch immer lang, auch während des Folgenden.
Jott, wat soll son Proletarjer wie ick zu son Kapitalistn sagn? Ick wah schon zwee Jahre nich mehr bei Weltmann.
FIEBIG.
Wenn du man mit dein olln Judenjankl uft Sofa liejn kannst.
WERNER.
Oska! Du hat jut redn. Wenn du mal Schwieln an de Fingern krichst, denn is't doch man bloß von Kuponabschneiden. Ick kann ma schindn.
FIEBIG.
So. Un wat ick an de Arjentienjer verloren habe?
WERNER.
Na, laß man Oska. Ick leide ja jern Not, wenn du man wat hast.
HAHN
hat unterdessen abgelegt.
Hilft jetzt Fiebig. Bitte, Herr Fiebig.
FIEBIG.
Sehn Se, Ha Hahn? Man witt immer schahthafter ... Na, wat sagn Se nu zu Ihr neiet Unternehmn? Zu Werner. Von janzn Bahnhof her! Immer unter de rotn Plakate sind mehr jejangn! Wie unter Palmn! Kooft dn »Sozialaristokrat«! Kooft dn »Sozialaristokrat«! Schack Raphaeli!
WERNER.
Jaa, die Reklame, jloob ick, ham mer janz jut jemacht. Ant Schulhaus hat der Amtsdiener de Zettl man immer so mitn Seebl runterjepolkt.
FIEBIG
setzt sich.
Setzn sich, Ha Hahn!
WERNER.
Na, wat for Papiere koofn sich dn nu? Vierdausendachthundert sin abjesetzt. Fünfdausend ham mer jedruckt. Zeigt mit der Zigarre auf einen Pack Nummern, das auf einem Ballen liegt. Da, dets de janze Uflage.
HAHN.
Ja, meine Tante hat sich ja auch sehr drüber gefreut. Zuerst war sie ja furchtbar dagegen.
FIEBIG
hat inzwischen sein Taschentuch aus der Tasche genommen, sich umständlich geschnaubt und legt das Tuch nun vor sich auf den Tisch.
Och, dets ja ne vernünftje olle Frau. Die hat jetz n scheenen Lebensahmd vor sich.
[483]HAHN.
Ja, sie hat gesagt, wenn wir noch was brauchen, wird sie vielleicht auch noch was geben.
FIEBIG.
Sehn Se? Hab'k Ihn jleich jesaacht! Aus den Asyl witt det nu nischt. Kriejn Se dn janzn Rummel. Habn Se mir z verdankn! Mir soll eener de Weiber kennlern! Machn sich dn wat aus Annan?
HAHN.
Oh, Herr Fiebig ...
FIEBIG.
Sonst, ick will Ihn da jar nischt in Weech lejn. Die hat mal wat. So pohwer bin'k nich. Jloobn Se nich, det det mal wenjer is, wie von Ihre Tante.
HAHN
verlegen.
Oh, gewiß nicht, Herr Fiebig.
FIEBIG.
In de blaue Stube bei uns hat ja mal son Dokter jewohnt. Der is man erst zu Ostern wechjezogen. Den hätt'k se unbesehn jejebn. Könn je ooch bei uns wohn! Überlejn sich doch mal die Sache. Een bei mir könnt'k noch janz jut jebrauchn. Poetsche Ader ham Se ja, machn mer mein »Weltunterjank« fertich.
Hahn vollständig fassungslos.
WERNER.
Ja, Ha Hahn, um denn bei die Jelejenheit ooch jleich uf den Umstand ze kommn: ick habe mir det berechent. Et is ja für de Sache. De Fraktsjohn hat keen kleen Bammel. Aus de Ajetatsjohn hattn se mer rausjeschmissn! Abber, wenn't jeht, ick seh nich in, warum solln andre Leute det schluckn?
FIEBIG
der zuerst selbst geschnupft hat und nun seine Dose stumm Hahn rüberhält, der wortlos dankend gleichfalls eine Prise nimmt, worauf Fiebig die Dose vor sich hinlegt.
Nu, Ha Hahn will doch von dir nischt jeschenkt habn?
WERNER.
Ick bin ja hier man Unternehmer sozesagn. Det is nu nich anders in die heutje Jesellschaftsorjanisatsjohn. Ick jebe ja ooch de jekrehnten Heipter raus. So Katterine de Zweete, verstehn Se. Det wirkt ufklärend. Da sieht det Volk, wattet for Monarchn hat. Se jlobn ja ja nich, wie zurückjebliebn de jroße Masse noch is! Oskan sein Herzblättken [484] druck ick ja ooch. Na, un wenn der Sonnahmd nachher rankommt, wolln se alle von mir ihr Jeld ham. Die Kerls könn je dn Hals nich voll jenuch kriejn. Ick bin in Dilemma.
Hahn niest einmal und heftig.
FIEBIG
zu Hahn.
Erklärend. Wissn Se, Ha Hahn, wie man det so uffaßt. Zuletzt spielt sich allns ufn Dilemma raus!
HAHN.
O bitte, Herr Fiebig! Natürlich. Sehr gern. Das ist ja selbstverständlich.
FIEBIG
ihm auf die Schulter klopfend.
Jloobn Se nich, Ha Hahn, det mein Freind Werner Ihn da wat ufbrummn will. Det soll man allns bloß so de jewönnlichste Taxe sind. Wilhelm is ja ja nich so. Wilhelm is jenau so wie ick. Wenn mir eener n Jroschn jiebt, kricht er ne Mark for. Sie sin ooch so. Wir verstehn uns doch? Andrer Tonfall. Na, Wilhelm, wie wär't dn nu jetz mit't Wort Jottes?
WERNER
langt nach der Attrappe.
Ja, feifn ma een! Holt die Flasche raus und trinkt halbaufgerichtet einen langen Schluck.
FIEBIG
der, während Werner noch trinkt, auf die Attrappe geklopft hat.
No, wie jefällt Ihn dn det, Ha Hahn? Mosis und de Profehtn!
HAHN.
Oh, sehr schön!
FIEBIG.
Hab ickn geschenkt. Zu Werner. Na, du bist wol ooch schon beit zweete Buch Samaelis?
WERNER
hat abgesetzt und streicht mit der flachen Hand über die Öffnung.
Dumpf deklamierend, während er mit der Flasche den Rhythmus markiert.
Denn auch Niobe, dem schweren
Zorn der Göttlichen ein Ziel,
Kostete die Frucht der Ähren
Und bezwang det Schmerzjefiehl!
FIEBIG
schlicht.
Wilhelm, uf Schillern laß'k nischt kommn. Von den Mann is »Der Jang nachn Eisenhammer«. Hebt [485] die Flasche ebenfalls und zitiert seinerseits. Sziehr! Jebn Sie Jedanknfreiheit! Setzt die Flasche ab, streicht auch über die Öffnung und gibt sie Hahn weiter.
WERNER
der sich unterdessen wieder in seine alte bequeme Lage gebracht hat, nachdem er sich kräftig mit dem Handrücken zweimal über den Bart gefahren ist.
Det wahn Kuhschluck.
FIEBIG
zu Hahn.
Prost, Ha Hahn! Na? Wat meen Se? Uf Annan? Se wissn ja: fer Ihn opfer ick allns!
HAHN.
Prosit, Herr Fiebig. Trinkt. Danke schön, Herr Werner. Reicht ihm die Flasche zurück.
WERNER.
Jott, wah keen Jejenstand. Steckt die Flasche wieder in ihre Attrappe zurück und stellt diese an ihren Ort; beides im Liegen.
FIEBIG
zu Hahn.
Wilhelm tut ja man so, Ha Hahn. Abber det kann'k Ihn sagn: Dets ne Seele von Mensch! In de Jrinderjahre ham mer in de Stallschreiberstraße zusammn Romane jeschriebn. In de Blaue Jardine. »Jraf Jriebenow de Paderna, oder der Sektonkel in de Weißbierkneipe.« 't Urbild von de Ballhausanna! Mit den ham mer dn sozialn Roman bejrindt. Zola un Kretzer kam erst später. Det heeßt, wie Wilhelm so is: ick habe se geschriebn, un Wilhelm laach uft Soffa. E wah je ooch bei de Reichsjlocke. Uf den hat Bismarck damals n Ooge jehappt! Abber so isser: meine silberne Uhr, die ick ihn damals versetzt habe, soll'k heute noch ham! Scherzend. Schenk ick Ihn, Ha Hahn! Hahn verlegen lächelnd. Na, wo bleibt dn heut der Dokter? Wir komm hier aus Bellin, und von die Jesellschaft is noch nischt zu sehn! Un Styczinski is ooch noch nich da. Wozu ham mer dn n zweetn Redaktöhr! Zu Werner. Wat ist dn det iberhaupt fern Kerl?
WERNER.
Ach, det Luder is ja noch fauler wie der Dokter.
GEHRKE
durch die Glastür.
Hinter ihm Styczinski. Moin, die Herren.
STYCZINSKI.
Guten Tack.
HAHN
aufgesprungen.
Guten Tag, Herr Doktor.
[486]FIEBIG
sitzen geblieben, halb umgedreht.
Na, det hat abber lange jedauert!
WERNER
faul vom Sofa aufstehend.
Na, denn will ick man hier die Jelehrtn rufflassn. Ick bin ja man son eenfacher Ahbeeter. Nu is't aus mit die Friehstickspause. Streift die Zigarre ab und legt sie in den Aschenbecher. Dann schleift er einen Papierballen an den Tisch und setzt sich drauf, Fiebig gegenüber.
GEHRKE
setzt sich, nachdem er Fiebig und Hahn die Hand gegeben, aufs Sofa, das knackt.
Hier, Herr von Styczinski.
WERNER
während er sich setzt.
No, denn man zu!
Styczinski setzt sich, die Handschuhe ausziehend, stumm aufs Sofa, links von Gehrke.
GEHRKE
geschäftsmäßig.
Die Sitzung ist also eröffnet. Den großen Erfolg unserer ersten Nummer, Herr Hahn, haben Sie wohl bereits durch Herrn Werner erfahren?
HAHN.
Ja, Herr Werner war so liebenswürdig ...
FIEBIG.
In de Friedrichstraße hamse sich je drum jerissn!
GEHRKE.
Nun ja, Derartiges war ja wohl auch nur vorauszusehn. Also, was ich Ihnen noch zuerst mitteilen möchte. Sie kennen alle Herrn Frederick S. Bellermann, den Verfasser der »Anarchisten«.
FIEBIG.
Nu, versteht sich. Der hat doch Stirnern entdeckt?
GEHRKE.
Ganz richtig. Gewiß. Er hat an dessen Hause eine Gedenktafel anbringen lassen. Ich habe das Vergnügen, Ihnen mitzuteilen, daß Herr Frederick S. Bellermann uns heute die Ehre seiner Anwesenheit schenken wird. Es ist Hoffnung, ihn dauernd in unsern engeren Freundschaftskreis zu ziehn.
FIEBIG.
Den haltn sich wahm, Ha Hahn. Der hängt ooch bei Lazarussn! Jleich bei Leo Berchn!
GEHRKE
etwas ungeduldig.
Er stellt den Antrag, fürs erste seine grundlegende Untersuchung über die Autonomie des Individuums abzudrucken. Natürlich in Fortsetzungen. Die Arbeit ist freilich schon vor Jahren bei Schabelitz erschienen, [487] aber darüber wird sich ja noch Beschluß fassen lassen.
FIEBIG.
Ja, nu, no, wie ... wie steht det nu mit mein »Weltunterjank«? Von den is ja nich mehr de Rede.
GEHRKE.
Ja, wie Sie schon gelesen haben werden, Herr Fiebig, die erste Nummer brachte bereits den Anfang meiner Philosophie der Befreiung durch das reine Mittel, und Sie werden mir zugeben, daß man nicht recht zwei umfangreiche Werke gleichzeitig bringen kann.
FIEBIG.
Ja, ick seh ja nich in, wozu det mit det reine Mittl iberhaupt neetich wah? Det Publikum macht sich ja nischt aus die olle Filosofie. In so wat bin'k nu komisch: in mein Kopp is't ooch nich jejangn!
GEHRKE.
Ich verstehe. Sie machen mir den Vorwurf der Phrasenhaftigkeit. Nun, man hat ihn mir schon öfters gemacht. Ich denke indessen Gott sei Dank objektiv. Ich fühle mich nicht durch ihn getroffen. Unser Intellekt differiert eben.
FIEBIG.
Natierlich! Un Ha Hahn seine Jedichte bringen Se ooch nich! »Schmetterlings Tod«! Scheenste Jedicht von de junge Jeneratzjohn jetz!
GEHRKE.
Ja, lieber Herr Fiebig, redigieren Sie die Zeitung, oder ich?
FIEBIG.
No, erloobn Se mal!
DRUCKERJUNGE
in der Tür.
Een Herr is da.
GEHRKE.
Ah, Herr Bellermann. Es dürfte wohl niemand dagegen sein? Wir lassen den Herrn bitten.
WERNER.
Na, Ha Hahn, denn könn Se sich ja man jleich hier mit uf de Kiste setzn.
HAHN.
Oh, mit Vergnügen, Herr Werner! Herr Bellermann muß doch n Platz haben. Steht auf und stellt sich erwartungsvoll neben die Kiste.
GEHRKE.
Bitte, Herr von Styczinski.
Gehrke und Styczinski sind aufgestanden. Gehrke vor ihm nach der Tür. Bellermann eingetreten; in der Hand den Zylinder. Zeremonielles Kopfnicken.
[488]GEHRKE
ihm entgegen, seine Hand mit beiden Händen fassend.
Es ist uns eine lebhafte Genugtuung, Herr Bellermann, den Verfasser der »Anarchisten« in unsrer Mitte begrüßen zu dürfen. Darf ich Sie den Herren vorstellen? Herr Schriftsteller Taddäus von Styczinski, unser Redakteur, Herr Fiebig ...
FIEBIG
unterbrechend.
Herr Schriftsteller Fiebig, Herr Dokter. Ooch Schriftsteller! Setzt sich wieder.
BELLERMANN
Verbeugung.
Spitz. S ... sehr wohl!
GEHRKE
fortfahrend.
Herr Hahn, Herr Wilhelm Werner.
BELLERMANN.
I ... ich muß bemerken ... ich habe mir erlaubt ... Ihnen noch einen w ... weitern Gast mitzubringen: H ... Herrn Sprödowski! I ... ich darf den Herrn wohl bitten, näher zu treten?
FIEBIG.
Spredowskn? Wat will dn der hier? Zu Hahn, geheimnisvoll. Det is der, Ha Hahn. Allgemein. Jott, ick habe nischt jejen!
BELLERMANN.
V ... verzeihn Sie, mein Herr! E ... es käme wohl darauf an ... ob auch die ... andern Herrn nichts dagegen haben.
FIEBIG
sich umsehend.
Nu, se wern doch nich?
GEHRKE.
Nicht im mindesten, Herr Bellermann. Es wäre sogar höchst interessant, auch eine abweichende Meinung zu hören.
BELLERMANN.
A ... also, ich führe den Herrn rein.Ab.
FIEBIG
zu Hahn.
Spredowski is man Schneiderjeselle. Abber vor den nehmn sich in acht, Ha Hahn. Bebel un Liebknecht, det is bloß auswendich. Der Mann, wissn Se, tut jah nischt. Det is der Jefährlichste von alle. Der erwart allns von de Entwicklung. Na, un Bellermann, offn jestandn, hab'k mer ooch janz anders vorjestellt!
WERNER
ausspuckend.
Rewolutzjonähr in Jummischleicher!
FIEBIG.
Ick weeß nich, Wilhelm, watte von den Mann wist? Ick habe jeheert, der hat sechsdausnd Mark Zinsn!
STYCZINSKI
erstaunt.
Fragend. Sechs ...?
BELLERMANN
mit Sprödowski.
B ... bitte schön, Herr Sprödowski. [489] Herr D ... Doktor Gehrke, Herr R ... Redakteur von Styczinski, Herr Hahn.
FIEBIG.
Mir kennt e schon. Wilhelm ooch.
BELLERMANN
wie vorhin.
V ... verzeihn Sie?
Legt ab. Gehrke ist ihm behilflich.
Alle setzen sich, außer Sprödowski.
GEHRKE.
Bitte, Herr Bellermann.
Bellermann setzt sich auf Hahns Stuhl.
Sprödowski: langsames Umsehn im Raum. Konzentriert sich allmählich nach dem Ofen hin, wo er sich die Hände wärmt. Rücken gegen die Zuschauer, das Hütchen unter den rechten Arm geklemmt.
WERNER
nimmt seine Zigarre.
No, mein Ziehjahn kann ick mir ja denn wohl widder ansteckn? Steckt sie an.
GEHRKE.
Ja, Herr Werner, ich weiß nicht, aber vielleicht rauchen auch die andern Herren?
FIEBIG.
Ja, na, ick prise ja man bloß. Roochn Se doch, Ha Hahn!
HAHN.
Oh, danke schön, Herr Fiebig. Ich habe wirklich keinen Appetit momentan.
STYCZINSKI
sucht auffällig in allen Taschen.
Ich weiß nicht ...
BELLERMANN
reicht ihm höflich ein silbernes Etui mit Zigaretten rüber.
D ... darf ich bitten, Herr von Styczinski?
STYCZINSKI.
Ja, ich suche, ich suche, ich weiß nicht, ich ... hatte doch noch die Zigaretten?
BELLERMANN.
B ... Bostanjoglo, Herr von Styczinski.
STYCZINSKI.
Ich bin so frei, Herr Bellermann.
HAHN
seine Zigarrentasche zu Sprödowski.
Dürfte ich mir vielleicht erlauben, Herr von Sprödowski?
Sprödowski zuckt die Achseln, dreht ihm verächtlich den Rücken, tritt ans Regal, liest Büchertitel, greift einen Band heraus und wirft ihn nach flüchtigem Ansehen wieder hin. Lehnt sich dann irgendwo passend an die Wand. Starrt, die Hände hinterm Rücken, nachdenklich an die Decke [490] und drückt dabei ab und zu die Knie durch. Niemand achtet auf ihn.
FIEBIG.
Ja, Herr Dokter, wat ick sagen wollte. Det hat mir ja in Ihre Filosofie mit det reine Mittl jefalln. Roochn dun Se nich, un aus det ville Drinkn mach'k mir ooch nischt. Bloß mir wundert, det Se nich ooch wat ibern Hiptonismus jejebn habn?
GEHRKE.
Ja, Herr Fiebig, der – Betont. – Hypnotismus ist eigentlich gar kein Mittel. Meine Philosophie begreift ihn lediglich als Erscheinung. Sie werden mir zugeben, daß er also nicht recht unter mein System gebracht werden konnte. Ich betrachte ausschließlich die Phänomene der Politik, der Religion, der Medizin, der Hautpflege und der Pädagogik.
FIEBIG.
Ja, un denn, denk ick, sin wir doch ooch für de Naturheilkunde! Mir hat mal ne olle Frau n Häring untert linke Been jebundn. Wissn Se, ick bin ja n jebillter Mann. Wenn'k ooch uf keene Unniversitätn wah. Ick jloobe an so wat nich. Abber, wat wolln Se? 't Fieber hat nachjelassn!
GEHRKE.
Nun, Herr Fiebig, daran wird wohl Ihr Herr Hausarzt auch nicht ohne alle Mitschuld gewesen sein.
FIEBIG.
Hausarzt, ick? Ick, Hausarzt?
STYCZINSKI.
Oh, Herr Doktor, lesen Sie du Prel!
FIEBIG.
Nun versteht sich. »Unter Tannen und Pinien« meen Se? Hab'k zu Hause. Hab'k mal mit in Ramsch jekooft.
BELLERMANN.
I ... ich möchte mir die B ... Bemerkung erlauben, dergleichen dürfte heute unter W ... Wissenschaft doch wohl kaum mehr verstanden werden!
FIEBIG.
Ach wat, verstehn Se, ick jloobe an de Wissenschaft un ick jloobe an du Prel. Ick jloobe an bedet.
BELLERMANN.
U ... und überdies, g ... gestatten Sie, ziert die sogenannte Naturheilkunde ... schon längst das Raritätenkabinett unsres Jahrhunderts.
FIEBIG.
Na, det witt mir doch keener weismachn, det Schwenniger Bismarckn mit Bromkali jeheilt hat?! Den konnt er wat jebn!
[491]WERNER
in die Höhe nach dem Bilde.
Da, kiekn dir mal an, Oska, dn Vater vont Sozialistnjesetz. Feinet Kunstblatt. Hat mer mein Personal zu de letzte Maifeier jeschenkt.
GEHRKE.
Meine Herren, wir verlieren uns in Einzeldispute. Es gab eine Zeit, wo wir alle Sozialisten waren. Ich dächte, heute sind wir darüber einig, daß dieser Mann, wenn nichts anderes, so doch zum mindesten die historisch erste, wenn freilich auch noch unvollkommene Inkarnation der modernen Herrenmoral war.
FIEBIG.
In »Börsen-Courier« hab'k jelesn, det wah schon Napoljong der Erste!
STYCZINSKI
vor dem Bellermann das silberne Etui liegengelassen, hat unterdessen ausgeraucht, wirft den Stummel in den Aschbecher, steckt sich ohne weiteres eine neue Zigarette an.
Im Anzünden. Napoleon derr Errste: guttes, aber dummes Ludder. Nurr Gehirnmensch!
FIEBIG.
Nu, Ha Hahn! Se sagen ja ja nischt?
HAHN.
Ach! Herr Fiebig ...
FIEBIG.
Mit dn Dokter ham mer ooch n kleenet Hiehnkn zu flickn! Det mit unsre Dichtungen hier is noch lange nich int klare. Zu Gehrke. Ick hab Ihn den Mann zujefiehrt, un mein »Weltunterjank« nehmn Se nich. Jott, sagn Se't doch, wenn Se n nich wolln! Denn jeb'k n Jeselljussn, der verkooft n mir.
GEHRKE.
Ja, aber ich bitte Sie, lieber Herr Fiebig!
BELLERMANN.
E ... entschuldigen Sie, meine Herren. D ... darf ich mir die Anfrage erlauben, w ... was das für ein Werk ist, dieser W ... »Weltuntergang«?
FIEBIG.
Jott ... no ... wat sollt jroß sind? De Jesuitn bring'k ja ooch rin! Von de letzte Naturforscherversammlung hab'k noch janze Stöße uf mein Bodn. Det vermauer ick noch. Det is't ja ebn: alle Dage passiert wat Neiet!
BELLERMANN
von jetzt ab gegen Fiebig liebenswürdiger Tonfall.
V ... verzeihen Sie, Herr Fiebig! A ... aber ich glaube, s ... selbst die Jesuiten dürften bereits v ... veraltetes Sujet sein.
[492]FIEBIG.
So? Na, un der Jotthardtunnl? Mit den fill'k dn achtn Jesang!
GEHRKE
klopft mit seinem Bleistift auf den Tisch.
Aber, meine Herren! Wir entfernen uns wieder von unserer Aufgabe. Es handelt sich um den Inhalt der dritten Nummer. Unser Freund von Styczinski wünscht uns einen eingehenden Artikel über »Chopin als das Urbild des Zentrifugalen« zu schreiben. Die Theorie des Herrn von Styczinski kennen Sie. Die Psychologie des Individuums resultiert aus einer Aufeinanderfolge von Sensationen und Vibrationen. Als naturgemäße Konsequenz daraus ergibt sich das Übergewicht des Gangliensystems über das Gehirn.
FIEBIG
Prise.
Ja, det looft allns ineenander.
GEHRKE.
Ich selbst, wie Sie wissen, stehe ja allerdings auf anderem Boden. Indessen unsere Anschauungen, so verschieden sie auch sind, repräsentieren nur die Ausstrahlungen der entgegengesetzten Pole desselben Elements, das mit logischer Notwendigkeit in diesem gegebenen Moment Realität werden mußte. Das Vereinigende, wie in unserm ganzen Kreise, ist das Anarchische. Herr von Styczinski hat das Wort.
STYCZINSKI
leiernd.
Wir sind alle kranke Sumpfblumen am Jahrhundertsende.
FIEBIG nickt beifällig, Gehrke spielt mit dem Bleistift, Herr Hahn sieht verlegen vor sich hin, Werner juckt sich am Bein und bläst dann wieder große Wolken, Bellermann fährt sich um die Tonsur, Sprödowski, an die Wand gelehnt, die Augen gegen die Decke mit dem Ausdruck: Wat können die mir noch sagen!
STYCZINSKI
monoton fortfahrend.
In unsrer Seele singt das Lied von der siegenden Bakterie. Unserm Blut fehlen die Leukozyten. Auf der Leierkastenwalze unsres Bewußtseins tönt allein die schauerliche Symphonie des Fleisches. Sie objektiviert sich in Chopin. Er allein, der neue Urmensch, schickt unser Gehirn auf die grüne Wiese, er allein denkt [493] in übereuropäischen Dimensionen, er allein baut uns wieder das zertrümmerte Jerusalem unserer Seele.Kleine Pause. Dies alles, bitte ich Sie, wollen Sie mich niederlegen lassen, verdichtet zu einem Deprofundis. Wieder kleine Pause.
FIEBIG.
Na ... icke ... ick muß sagn, ick bin dafor. Mir könnte so wat janz jut jefalln. Kunst un Wissenschaft in eens. Det zertrümmerte Jerusalem, wissn Se, is wat for mein »Weltunterjank«. So wat Ehnlichet hab'k ooch machn wolln.
GEHRKE.
Aber, Herr Fiebig, Sie werden Ihr anscheinend mehr humoristisch gedachtes Epos doch wohl unmöglich in Parallele mit diesen kosmogenischen Rhapsodien des Herrn von Styczinski bringen wollen?
FIEBIG
verletzt.
Ja, no, worum dn nich? Sein Hiehnerooge hat jeder. Mein Hiehnerooge ist mein »Weltunterjank«. Ick will och mal wat für de Unsterblichkeit dun! Wat Se wolln, weeß'k nachjrade. Se wolln n iberhaupt nich bringn! Jloobn Se, ick wer mehr Ihn ufdrängn?
GEHRKE.
Aber, verehrter Herr Fiebig, wer dürfte Ihnen solche Suppositionen machen.
FIEBIG.
No, ick bin keen Spielverderber. Denn wer'k Ihn wenichstn mein Trinkspruch uf de deutschn Frauen iberlaßn!
GEHRKE.
Ja ... wenn die Dichtung nicht zu lang ist?
FIEBIG.
Jut, denn soll't mir ooch nicht druff ankommn. Denn jeb'k Ihn meine Apperßiehs. Det Mitleid is de Liebe in Negligee. Und de Krankheit, sag ick, is n Duell, watter Arzt de Jesundheit liefert. In den Genre hab ick fünfhundert! Als Titl denk'k mer wat Lateinschet. Wat meen Se: »Mors vita«!
GEHRKE.
Nach dem Vorgehen Friedrich Nietzsches läßt sich eine gewisse Modernität dieser Form ja allerdings nicht absprechen. Indessen, ich dächte, wir müßten unseren Lesern doch wohl in der Hauptsache mehr wissenschaftliche Speise bieten. So sind wir doch zum Beispiel auch [494] Gegner des Impfzwanges. Solange Germaniens Eichen rauschen, ist es Sitte gewesen und Brauch, daß der Herd geheiligt, daß vor allem aber die Haut, die den Körper umschließt, eine Grenze setzte dem Recht der Gemeinde. Diese engste Grenze, die sich der Mensch zu setzen vermag, hat man überschritten. Man hat uns die Verwaltung unserer ureigensten, körperlichen Angelegenheiten entrissen durch die autoritäre Vergiftung unseres Zellengewebes durch Kuhlymphe. Ich frage, wie kommt der Staat dazu?
FIEBIG.
Janz meine Meinung! Nich wah, Ha Hahn? So denk'k ooch! Wenn ick mir heute verheirate, laß'k mir doch nich mehr in de Kirche trauen? Ooch iber de Jraffologie denk ick, müßtn wir uns doch mal verbreitn? Aus meine Handschrift hab'k mir mal wahsagn lassn. Zu Bellermann. Wissen Se, for wat mir die Dame jehaltn hat? Forn Musiker! Na, und det stimmt ja ooch. In meine Jugend hätt'k for mein Lebn jern Fleete jelernt. Mein Tenor hab'k noch heite. Du wahst je mehr Baß, Wilhem.
Bellermann unterdessen seine Stirn in beide Hände gestützt, sitzt da, wie vernichtet.
WERNER.
Apropoh, wissenschaftliche Speise. Da hab ick noch wat Natzjonalökonomischet. Mein Vortrag, verstehn Se. Den Titl hab'k ja immer jeändert. Eenmal: Lassalls Wirkn und Ende, un denn: Ewolutzjohn un Rewolutzjohn. Det Volk will immer detselbe hörn. Jedruckt isser noch nich.
GEHRKE.
Aber, lieber Herr Werner, auch Ihre Proposition kann ich wohl nur als Scherz nehmen. Sie werden uns geistigen Proletariern doch keine unlautere Konkurrenz machen wollen?
WERNER.
Seh'k ja nich in! Wenn Fiebig aus seine »Blechschmiede« Kaptal schlächt, kann'k ooch wat verdien. Schriftsteller sin mer alle.
BELLERMANN
aufspringend.
I ... ich möchte b ... bemerken, daß ich auf eine derartige P ... Parallele gern verzichte. [495] Die A ... Aristokratie, deren Herrschaft ich will, ist kein geadeltes Plebejertum!
WERNER
aufgestanden.
Hände in den Hosentaschen. Zigarre im Mundwinkel. Aach! Sieh eener an! Un mit so wat, jloobn Se, imponiern Se mir?
FIEBIG
beschwichtigend, vorwurfsvoll.
Handbewegung. Wilhem!
WERNER.
I, un det allns wolln Se mit Ihre Jlatze durchsetzn? Vertraulich. Wol n bißkn runterjeschubbert? Zu kurzet Bette jehappt?
GEHRKE
stößt energisch mit dem Bleistift auf.
Herr Werner!
BELLERMANN
hohle Stimme.
V ... von Leuten Ihres Schlages, verehrter Herr, ließ sich ein andrer Ton nicht erwarten. Zu den andern. I ... im übrigen, meine Herren, s ... so wenig angenehm Ihnen eine solche Polemik sein kann ... und so lächerlich es erscheinen möchte ... auf derartige, grobe Anspielungen überhaupt zu antworten, so möchte ich Ihnen denn d ... doch bemerken: mein L ... Leben ist ein durchaus sittliches! Ich pflege nicht bloß auf reine Wäsche zu halten. S ... Sie gestatten wohl, d ... daß ich den Raum verlasse?
WERNER
in Positur.
Wejen mir?!
GEHRKE
aufgestanden, majestätisch.
Herr Werner! Ihnen hat niemand das Wort erteilt!
STYCZINSKI
über den Tisch mit beiden Händen.
Oh, Herr Bellermann.
GEHRKE.
Herr Bellermann! Unter keinen Umständen dürfen Sie uns eine derartige Beschämung antun. Ich bitte Sie dringend, sich unserer Verhandlung nicht entziehn zu wollen. Daß Sie erregt sind, ist ja begreiflich.
BELLERMANN.
I ... ich bin nicht erregt! Ich w ... werde nur erregt, w ... wenn ich meine Weltanschauung vertrete. Setzt sich wieder.
GEHRKE.
Herr Werner! Ich muß Ihnen meine tiefste Mißbilligung als Vorsitzender ausdrücken. Setzt sich ebenfalls. Werner längst wieder auf seinem Ballen. Pö!
[496]JUNGE
in der Tür.
Herr Müller schickt mir nach Manuskript, Meester.
WERNER.
Da sind ja de Herrn!
GEHRKE.
Ja nun, ich denke, die zweite Nummer ist bereits im Satz fertig? Was fehlt denn noch, mein Sohn?
JUNGE.
Annerthalb Spaltn Korpus.
GEHRKE
kramt in seinen Papieren, liest.
Die Produktivgenossenschaft als Hebel zu ... zu lang! Ja, von der Kürze hätte ich hier kaum etwas.
STYCZINSKI.
Ich habbe etwas hier, Herr Doktor. Das bluttende Lied vom wissenden Gehirrn.
GEHRKE.
Sie würden mir aus einer außerordentlichen Verlegenheit helfen, Herr von Styczinski.
STYCZINSKI
greift in die Tasche.
Ja, meine Wirtin, ich weiß nicht, ob ich das schon erzählt habbe ... Herr Hahn wollte mir noch etwas bewilligen ... einen kleinen Vorrschuß ...
HAHN
der sofort sein Portemonnaie gezogen.
Was darf ich mir erlauben, Ihnen a conto zu zahlen?
STYCZINSKI.
Geben Sie mir zwei Taller.
HAHN.
Oh, das tut mir leid, Herr von Styczinski. Ich habe hier nur ein kleines Zehnmarkstück. Aber, wenn Sie vielleicht so liebenswürdig sein wollten?Reicht es ihm.
STYCZINSKI
nimmt es und steckt es in die Westentasche.
Danke. Sucht in seinen Taschen. Das Manuskript ... das Manuskript ... ich weiß nicht ... meine Wirtin? ... Wo ihst das Manuskript?
GEHRKE
achselzuckend.
Bedenklich. Ja ...
FIEBIG.
Det is jut! Nö wirklich, det is wirklich jut! Vielleicht durcht Futter jefalln? Sehn Se doch mal nach. Mir hat eener mal n silbernen Löffl jeschenkt!
WERNER
klopft ihm auf den Schenkel.
Nu, Ha Hahn, det ham Se billich jekooft.
STYCZINSKI
noch immer suchend.
Das Manuskript ...
BELLERMANN
der in die Rocktasche gegriffen.
U ... Unter diesen Umständen g ... gestatten Sie mir, Herr Doktor, I ... Ihnen eine Dichtung von mir h ... honorarfrei anzubieten. [497] Der T ... Trinker! Obgleich es sonst gegen mein Prinzip ist, für meine Arbeiten kein ... Äquivalent zu beanspruchen.
Hahn unruhig.
GEHRKE.
Ja, lieber Herr Bellermann, Sie setzen mich dadurch wirklich in die peinlichste Lage.
BELLERMANN
ihm das Manuskript überreichend.
Ich ... bestehe darauf! Nimmt seine Zigaretten, die solange vor Styczinski lagen, wieder an sich. S ... Sie gestatten.
STYCZINSKI
geduckt.
O bitte.
GEHRKE.
Nun, dann, Herr Bellermann, danke ich Ihnen herzlichst im Namen von uns allen. Steht auf und gibt das Manuskript Fiebig, dieser reicht es dem Jungen, Styczinski ist übergangen und hat sich vergeblich darum bemüht.
FIEBIG.
Da, mein Sohn.
Junge verliert ein Blatt, hebt es wieder auf und geht mit dem Manuskript nach der Tür. Hahn aufgestanden und Bellermann die Hand reichend.
BELLERMANN
abwehrend.
B ... Bitte! Hahn setzt sich wieder.
FIEBIG
zu Bellermann.
Neulich hab'k wat iber Ihn in »Belliner Tageblatt« jelesn. Det wah sehr anerkennend.
BELLERMANN
nickt.
Njä!
JUNGE
der in der Tür auf den Gendarm geplatzt ist.
Meester!
Bleibt neugierig stehn.
Gendarm eingetreten. Sprödowski hat sich sofort derartig gestellt, daß ihn der Gendarm unmöglich bemerken kann.
GENDARM.
Tach, die Herren. Brieftasche. Entschuljen Se, Herr Dokter, ich habe hier ne Verfügung für Sie vom Herrn Landrat. Ich war schon drüben in Ihre Wohnung. Ihre Frau hat mir rüberjeschickt.
Gehrke aufgestanden und vor ihm stehend. Bricht die Verfügung auf und liest sie.
[498]FIEBIG.
Hat dn keener von die Herrn n Ziehjahn for det Ooge des Gesetzes?
WERNER.
Meine Ziehjahn roch'k alleene!
Der Gendarm unterschreibt unterdessen das Auslieferungsdokument.
HAHN
reicht Fiebig eine Zigarrentasche.
Bitte schön, Herr Fiebig.
FIEBIG
nimmt sie und stellt sich damit ebenfalls vor den Gendarm.
Da, steckn sich eene int Jesichte.
GENDARM
nimmt schwerfällig eine Zigarre.
Nu!
FIEBIG.
No, det jeht wol nich so leichte?
GENDARM.
Oh, Herr Dokter, hat ihm schon!
FIEBIG.
Wolln Se Feier?
GENDARM.
Nee, Herr Dokter – Besieht sie sich. – so wat witt Sonntachs jeroocht.
FIEBIG
zum Jungen.
No, Junge, willst wol dein Jroschn wieder loswern?
Junge grinst und verschwindet.
GENDARM
steckt die Zigarre in die Brusttasche.
Empfehle mich die Herren. Zu Fiebig. Atchee, Herr Dokter! Danke scheen! Ab.
FIEBIG.
Atchö, Meester!
Hahn halb aufgestanden und eine Verbeugung nach.
GEHRKE
reicht das Papier Werner hin.
Bitte! Das habe ich wieder Ihnen u verdanken.
Werner nimmt das Papier.
BELLERMANN.
H ... Herr Hahn! I ... ich achte in Ihnen den E ... Ehrenmann. A ... aber, verzeihn Sie, es war unrecht von Ihnen ... einem Polizisten ein G ... Genußmittel zu verabreichen.
Hahn ratlos zu Fiebig.
[499]FIEBIG.
Na wat n? Zu Bellermann. Ick finde, det wahn janz vernünftjer Mann?!
Sprödowski wieder sichtbar. Spiel wie vorhin.
WERNER
platzt los.
Dets jut! Dreißich Mark oder drei Dage Haft for die lausijen Dinger!
GEHRKE.
Ich habe Ihnen gleich erklärt, daß mit der Abfassung des Plakats meine Verantwortung aufhörte. Ich verstehe nicht, wie Sie ohne jegliche Autorisation von mir meinen Namen daruntersetzen konnten.
WERNER.
No, wozu kriejn Se denn Ihrn Jehalt als Redaktöhr? Wenn wat is, missn Se't ehm absitzn!
GEHRKE.
Sie vergessen, Herr Werner, daß die Strafe einzig des unbefugten Anbringens der Plakate wegen verfügt worden ist.
WERNER.
Ick habe keene anjeklebt!
FIEBIG.
Jott doch, in Jiete, meine Herren! In Jiete! Ick denke, det handelt sich hier doch nich darum, det man sich jejnseitich de Keppe abreißt. Det Jeld bezahlt der Verlach. Sowat sin Jeschäftsunkostn. Nich wah, Ha Hahn?
HAHN.
Ja, entschuldigen Sie, Herr Fiebig, ich wollte das schon gleich sagen, aber ich mochte den Herren nicht ins Wort fallen.
BELLERMANN.
G ... gestatten die Herren auch m ... mir eine Bemerkung zu dieser Angelegenheit?
GEHRKE
eifrig.
Herr Bellermann hat das Wort.
BELLERMANN.
E ... es dürfte, w ... was ich Ihnen in Vorschlag bringe, a ... auf den ersten Augenblick ... kleinlich scheinen. Ich m ... meine, es handelt sich heute bei ernsthaften Leuten ... um einen prinzipiellen Widerstand! Und es ist nur logisch, diesen jederzeit bis aufs Äußerste zu betätigen. Wie Sie wissen, ist uns ein aktiver Widerstand ... zur Zeit unmöglich. D ... dafür bietet sich uns aber stets die Gelegenheit zum p ... passiven! Wie ich der Meinung bin, d ... daß der überzeugte Anarchist ... dem Staat die Steuern nie freiwillig entrichten darf, s ... [500] sondern sich einfach der Pfändung unterzieht, s ... so darf er sich auch einen derartigen Tribut nie erpressen lassen. E ... es ist ihm Ehrenpflicht, seiner ... Überzeugung treu zu bleiben. Wenn es sein muß, s ... selbst hinter Schloß und Riegel!
FIEBIG.
Sehn Se, Ha Hahn, det hab'k jleich jesaacht! For Widerstand bin'k ooch! Ick zahle finverlei Artn von Steier! Unsereens nehm se allns! Man braucht bloß n bißkn wat zu ham! Dn Staat keen Fennich! Se ham janz recht, Herr Bellermann! Zu Gehrke. Det eenzje is heut 's Martirjum!
GEHRKE
steht auf.
Zunächst, Herr Bellermann, danke ich Ihnen dafür, daß Sie die Angelegenheit unter den allerdings einzig richtigen Gesichtspunkt gerückt haben. Herr Fiebig gebrauchte das Wort Martyrium. Vielleicht meinte er dasselbe nur humoristisch. Indessen Sie alle, meine Herren, werden mir nachfühlen, daß es sich in gewissem Sinne bei mir um ein wirkliches Martyrium handelt.
FIEBIG.
Uf alle Fälle! Sowat steht schon in de Weltjeschichte!
GEHRKE.
Es sind allerdings nur drei kurze Tage. Aber unser Leben zählt ja nicht nach Tagen und Stunden, sondern nach dem Inhalt, welchen wir diesen geben. Das ist mir ja bewußt, daß diese Zeit eine schmerzliche Schmälerung meines unter schweren Kämpfen errungenen individuellen Denkens und Fühlens bedeuten wird, welches die Luft der Freiheit braucht. Allein, welche Bedeutung für unsre Sache! Die Presse wird nicht zögern, den Vorfall dem großen Publikum bekanntzumachen.
FIEBIG.
Versteht sich. Beste Reklame! Passn Se uf, denn jehn ooch Ihre Jedichte!
MEISCHEN
atemlos durch die Glastür.
Achkottnee, Achkottnee ... ich hab mer nur was ibergeworfen ... was hat n der Schandarm gewollt, was is n widder los mit mei Benno?
FIEBIG
aufgestanden.
Uf den könn Se stolz sind! Noch acht Dage, Frau Dokter, un uf den Mann sieht Europa!
[501]