[26] Einleitung des Übersetzers

Bei dem in jüngster Zeit namentlich auch durch die Erfolge Ibsens noch so gesteigerten Interesse, das man seit ungefähr einem Jahrzehnt der jungen, kräftig aufstrebenden norwegischen Literatur in fast allen Kulturländern entgegenbringt, habe ich es für eine nicht undankbare Aufgabe gehalten, meinen deutschen Landsleuten endlich auch einen Autor zugänglich zu machen, dessen Schöpfungen, obwohl zur Zeit auch in ihrer norwegischen Heimat noch lange nicht nach Gebühr gewürdigt, doch sicher danach angetan sind, in naher Zukunft die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken.

Dieser Autor ist Bjarne Peter Holmsen.

Am 19. Dezember 1860 als der dritte Sohn eines streng orthodoxen Landpfarrers in Hedemarken geboren, verlebte er seine Kindheit in der alten Handelsstadt Bergen. Ein Onkel von ihm, ein Bruder seiner Mutter, der dort als Rechtsanwalt tätig war, hatte ihn, um seinen Eltern, deren Nachwuchs sich unterdes noch vergrößert hatte, eine Last abzunehmen, zu sich genommen.

Aber die Fortschritte des kleinen Bjarne auf der Lateinschule waren sehr mittelmäßige. Der Onkel erlebte nur wenig Freude an ihm. Es schien keine Aussicht vorhanden, daß er jemals sein Nachfolger werden würde. Er ist es auch in der Tat nicht geworden. Ob nun nur seiner geringen Begabung für die Humaniora zu Folge, mag freilich dahingestellt bleiben. Tatsache jedenfalls ist es, daß der zukünftige Autor des Papa Hamlet, an dessen grandiosem Humor sich die Leser dieses Buches sicher erquicken werden, in Christiania bereits durch sein erstes [27] Examen hoffnungslos durchfiel. Ein Band Gedichte, der für die damalige Stimmung des jungen Poeten bezeichnend genug Eintagsfliegen betitelt war, mochte wohl die meiste Schuld daran getragen haben. Als psychologisch bedeutsam darf uns jedenfalls auch der Umstand gelten, daß der junge Lyriker die weitaus größte Mehrzahl dieser »Eintagsfliegen«, denen allzugroße Originalität allerdings nicht nachgerühmt werden kann, in den Seziersälen der Anatomie verfaßt hatte. Seine spätere Vorliebe für die nackte Realität der Dinge war also damals noch eine ziemlich geteilte. Erst die Erfahrung, daß seine »Eintagsfliegen« das in Wirklichkeit gewesen waren, wofür er sie prophetischen Gemüts ausgegeben hatte, nämlich Eintagsfliegen, deren kläglicher Existenz die Lumpenstampe bald ein jähes Ende bereitet hatte, mochte den Ausschlag gegeben haben.

Mit seinem Studium schien es nichts Rechtes werden zu wollen. Ein erneuter Versuch des Onkels, ihn der Wissenschaft dadurch zu retten, daß er ihn dazu beredete, sich wenigstens auf ein Semester in die theologische Fakultät einschreiben zu lassen, scheiterte. Damit hatte Bjarne Peter Holmsens akademische Laufbahn ihren Abschluß erreicht. Er war verloren für immer ...

Nur schwer wollte jetzt sein Vater, dessen Hoffnungen sich arg enttäuscht sahen, seine Einwilligung dazu geben, daß sein Sohn Kaufmann wurde. Erst als der Onkel, der, selber kinderlos, trotz der vielen Sorgen, die ihm sein Neffe bereitete, doch eine innige Neigung zu ihm gefaßt hatte, sich bereit erklärte, ihn zu diesem Zwecke ins Ausland zu schicken, konnte er sich dazu verstehen, seine Bedenken zu überwinden.

Das große Leben draußen, die neuen Eindrücke, die [28] täglich geregelte Arbeit und wohl auch nicht in letzter Linie das mehrjährige Fernsein von der Heimat: auf alles das baute man. Und in der Tat, man hatte sich diesmal nicht verrechnet. Als der junge Bjarne nach dreijähriger angestrengter Tätigkeit in einem Londoner Bankhause, der sich dann noch ein weiterer zweijähriger Aufenthalt in Brest angeschlossen hatte, wieder nach Bergen zurückgekehrt war, durften die Seinen mit ihm zufrieden sein.

Diese Zufriedenheit bekam erst wieder einen Stoß, als man schließlich dahinter kam, daß der junge Bankier nebenbei auch noch wieder schriftstellerte. Wie die meisten seiner Landsleute, die ihre Entwicklung dem Auslande verdanken, hatte auch er eben Ideen und Anschauungen von dort mitgebracht, die zu den kleinen Verhältnissen seiner Heimat nicht mehr recht passen wollten. Was natürlicher, als daß jetzt der alte Poet in ihm wieder lebendig geworden war; zumal auch die großen, neuen Literaturtaten seines Volkes, für deren Bedeutsamkeit ihm erst jetzt das rechte Verständnis aufgegangen war, nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben sein konnten.

Freilich läßt sich konstatieren, daß dieser Einfluß kein unbeschränkter war.

Bereits aus den vorliegenden Stücken, zu deren Sammlung mich namentlich auch grade ihre unbestreitbare Originalität ermutigte, wird sich der Leser darüber orientieren können, wie schnell es unsrem Dichter gelang, sich zu einer eignen Individualität emporzuringen. Die vor keiner Konsequenz zurückschreckende Energie seiner Darstellungsweise, für die man sich selbst in seiner heimischen norwegischen Literatur vergeblich nach Vorbildern umsieht, scheint mir sogar Keime in sich zu enthalten, die bei vollerer Entfaltung weit über die Grenzen des Hergebrachten[29] hinauswachsen werden. Man ahnt, wie sie das lebendige Produkt einer Zeit ist, von der das Wort geht, daß ihre Anatomen Dichter und ihre Dichter Anatomen sind. –

Die Übersetzung war, wie sich aus dem Vorstehenden wohl bereits von selbst ergibt eine ausnehmend schwierige. Die speziell norwegischen Wendungen, von denen das Original begreiflicherweise nur so wimmelt, mußten in der deutschen Wiedergabe sorgfältig vermieden werden. Doch glaube ich, daß dies mir in den meisten Fällen gelungen ist. Ich habe keine Arbeit gescheut, sie durch heimische zu ersetzen, wo ich nur konnte.

Über meinen Autor hier eine Kritik zu fällen, steht mir nicht zu. Doch bekenne ich gerne, daß das Studium, das ich auf ihn verwandte, ihn mir um so lieber machte, je eingehender ich mich mit ihm beschäftigte. Es würde mir eine Genugtuung sein, wenn es den Lesern dieses Buches ebenso erginge.

Daß das Grundkolorit fast aller seiner Schöpfungen, die der jugendliche Dichter freilich samt und sonders, bezeichnend genug, nicht etwa bereits als abgerundete Kunstwerke, sondern nur als »Studien« zu solchen aufgefaßt wissen will 1, ein düstres ist, wird niemand wundernehmen. Es ist eben die Mitternachtssonne seiner nordischen Heimat, die ihren trüben Schein auch über sie ausgießt. Zum Teil freilich mögen es auch Umstände rein persönlicher Natur sein, die hier mitwirken. Ein hartnäckiges Augenübel zwang den kaum Fünfundzwanzigjährigen, seiner praktischen Tätigkeit zu entsagen. Und es ist nur anzunehmen, daß sich jetzt auch der Schriftsteller durch dieses Leiden beeinträchtigt fühlt.

[30] Sein großartig angelegter Sozialroman Fremud, dessen Buchausgabe er soeben vorbereitet, wird erkennen lassen, ob dieses Leiden drohend genug ist, um ernstere Befürchtungen für diese Kraft aufkommen zu lassen.

Jedenfalls darf uns auch dieses schon ein Beweggrund mehr sein, für den Dichter einzutreten. Es soll ihm nicht gehen wie seinem großen Landsmanne Björnson, dessen beste Novelle im Original bereits in mehr als 70 000 Exemplaren verbreitet war, ehe sie volle 20 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen endlich ins Deutsche übertragen wurde.

Dr. Bruno Franzius

Fußnote

Note:

1 Vgl. die Einl. zu Ein Städtchen am Fjord. Christiania 1887.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Holz, Arno. Erzählung. Papa Hamlet. Einleitung des Übersetzers. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8204-6