13.

Und als der Morgen um die Dächer
Sein silbergraues Zwielicht spann,
Da war der arme, bleiche Schächer
Ein stummer und ein stiller Mann.
In seines Mantels grauen Falten,
So lag er da, kalt und entstellt –
Führwahr, er hatte Recht behalten,
Sein Reich war nicht von dieser Welt!
Ein goldnes Sonnenstäubchen tippte
Ihm auf die Stirn von ungefähr
Und seine lieben Manuscripte
Verschloss der Armencommissär.
Sein Freund, der Doctor, aber zierte
Brutal sich durch das Kämmerlein
Und schneuzte sich und constatirte
Verhungert! auf dem Todtenschein.
[509]
Drei Frühlingstage später karrten
Ihn Armenklepper vor das Thor!
Ich sah's noch, wie sie ihn verscharrten –
Die Sonne lachte, doch mich fror!
Mich fror, und meine Hände suchten
Umsonst zu würgen meinen Schmerz
Und meine bleichen Lippen fluchten ...
O Gott, mein Herz, mein armes Herz!
So stand ich und vermaledeite
Die Welt bis in ihr Nichts hinab;
Der goldne Frühling aber schneite
Ihm lächelnd Rosen übers Grab.
Schon nahten unsichtbaren Zuges
Die grossen Geister alter Zeit,
Und drüber schwebte leisen Fluges
Der Genius der Unsterblichkeit!
[510]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Holz, Arno. Gedichte. Buch der Zeit. Phantasus. 13. [Und als der Morgen um die Dächer]. 13. [Und als der Morgen um die Dächer]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-81DD-A