Siebenter Abschnitt

Der trübe Spätherbst war längst eingebrochen, als Theodor in seinem Zimmer beim knisternden Kaminfeuer der würdigen Serapionsbrüder harrte, die sich dann zur gewöhnlichen Stunde nach und nach einfanden.

»Welch abscheuliches Wetter,« sprach der zuletzt eintretende Cyprian, »trotz meines Mantels bin ich beinahe ganz durchnäßt, und nicht viel fehlte, so hätte ein tüchtiger Windstoß mir den Hut entführt.«

»Und das,« nahm Ottmar das Wort, »und das wird lange so währen, denn unser Meteorolog, der, wie ihr wißt, in meiner Straße wohnt, hat einen hellen freundlichen Spätherbst verkündigt.«

»Recht,« sprach Vinzenz, »ganz recht hast du, mein Freund Ottmar. Wenn unser vortreffliche Prophet seine Nachbaren damit tröstet, daß der Winter durchaus nicht strenge Kälte bringen, sondern ganz südlicher Natur sein würde, so läuft jeder erschrocken hin und kauft so viel Holz, als er nur beherbergen kann. So ist aber der meteorologische Seher ein weiser hochbegabter Mann, auf den man sich verlassen darf, wenn man nur jedesmal das Gegenteil von dem voraussetzt, was er verkündigt.«

»Mich,« sprach Sylvester, »mich machen diese Herbststürme, diese Herbstregen immer ganz unmutig, matt und krank, und dir, Freund Theodor, glaube ich, geht es ebenso?« »Allerdings,« erwiderte Theodor. »Diese Witterung –«

[313] »Herrliches,« schrie Lothar dazwischen, »herrliches geistreiches Beginnen unseres Serapionsklubs! Vom Wetter sprechen wir wie die alten Muhmen am Kaffeetisch!«

»Ich weiß nicht,« nahm Ottmar das Wort, »warum wir nicht vom Wetter sprechen sollen? Du kannst das nur tadeln, weil solcher Anfang des Gesprächs als ein verjährter Schlendrian erscheint, den das Bedürfnis zu sprechen bei sterilem Geist, beim gänzlichen Mangel an Stoff herbeigeführt hat. Ich meine aber, daß ein kurzes Gespräch über Wind und Wetter auf recht gemütliche Weise vorangeschickt werden darf, um alles nur mögliche einzuleiten, und daß eben die Allgemeinheit solcher Einleitung von ihrer Natürlichkeit zeugt.« »Überhaupt«, sprach Theodor, »möcht' es wohl ziemlich gleichgiltig sein, auf welche Weise sich ein Gespräch anspinnt. Gewiß ist es aber, daß die Begierde, recht geistreich zu beginnen, schon im voraus alle Freiheit tötet, die die Seele jedes Gesprächs zu nennen. – Ich kenne einen jungen Mann – ich glaube, ihr kennt ihn alle – dem es gar nicht an jenem leicht beweglichen Geist fehlt, der zum Sprechen, so recht zum Konversieren nötig. Den quält in der Gesellschaft, vorzüglich sind Frauen zugegen, jene Begierde, gleich mit dem ersten Wort funkelnd hineinzublitzen, dermaßen, daß er unruhig umherläuft, von innerer Qual gefoltert, die seltsamsten Gesichter schneidet, die Lippen bewegt und – keine Silbe herausbringt!«

»Halt ein, Unglücklicher,« rief Cyprian mit komischem Pathos, »reiße nicht mit mörderischer Hand Wunden auf, die kaum verharscht sind. – Er spricht,« fuhr er dann lächelnd fort, »er spricht von mir, das müßt ihr ja bemerken, und bedenkt nicht, daß vor wenigen Wochen, als ich jener Begierde, die ich als lächerlich anerkennen will, widerstehen und ein Gespräch in recht gewöhnlicher Art anknüpfen wollte, ich dafür büßte mit gänzlicher Vernichtung! – Ich will es euch lieber nur gleich selbst [314] erzählen, wie es sich begab, damit es nicht Ottmar tut und allerlei feine Anmerkungen beifügt. – Bei dem Tee, den wir, Ottmar und ich, besuchten, war die gewisse hübsche geistreiche Frau zugegen, von der ihr behauptet, sie interessiere mich manchmal mehr als gut und dienlich. – Es zog mich zu ihr hin, und gestehen will ich's, ich war um das erste Wort verlegen, so wie sie boshaft genug, mir mit freundlich fragendem Blick stumm in die Augen zu schauen. ›Der Mondwechsel hat uns in der Tat recht angenehme Witterung gebracht.‹ So fuhr es mir heraus, da erwiderte die Dame sehr mild: ›Sie schreiben wohl dieses Jahr den Kalender?‹«

Die Freunde lachten sehr.

»Dagegen«, fuhr Ottmar fort, »kenne ich einen andern jungen Mann, und ihr kennt ihn alle, der, vorzüglich bei Frauen, niemals um das erste Wort verlegen ist. Ja, es will mich bedünken, daß, was die Unterhaltung mit Frauen betrifft, er sich ganz im stillen ein lebenskluges System gebaut hat, das ihn so leicht nicht im Stiche läßt. So pflegt er z.B. die Schönste, die es kaum wagt etwas Zuckerbrot in den Tee einzustippen, die höchstens der Nachbarin ins Ohr flüstert: ›es ist recht heiß, meine Liebe‹, worauf diese ebenso leise ins Ohr erwidert: ›recht heiß, meine Gute!‹ deren Rede nicht hinausgehen will über ein süßes ›Ja ja!‹ und ›Nein nein‹, künstlich zu erschrecken und dadurch ihr Inneres plötzlich zu revolutionieren, so daß sie nicht mehr dieselbe scheint. ›Mein Gott, Sie sehn so blaß!‹ fährt er neulich auf ein hübsches kirchhofstilles Fräulein los, die eben den Silberfaden einhäkelt zum künstlichen Gestrick eines Beutels. Das Fräulein läßt vor Schreck das Gestrick auf den Schoß fallen, gesteht, daß sie heute ein wenig gefiebert, Fieber – ja, Fieber, darauf versteht sich eben mein Freund; er weiß geistreich und anziehend davon zu sprechen, frägt sorglich nach allen Erscheinungen, ratet, warnt, und siehe, ein ganz anmutiges munteres Gespräch spinnt sich fort.« –

[315]

»Ich danke dir,« rief Theodor, »daß du mein Talent gehörig beobachtest und würdigst.« – Die Freunde lachten aufs neue.

»Es hat,« nahm jetzt Sylvester das Wort, »es hat mit der gesellschaftlichen Unterhaltung wohl eine ganz eigne Bewandtnis. Die Franzosen werfen uns vor, daß eine gewisse Schwerfälligkeit des Charakters uns niemals den Takt, den Ton, der dazu nötig, treffen lasse, und sie mögen einigermaßen darin recht haben. Gestehen muß ich indessen, daß mich die gerühmte Lebendigkeit der französischen Zirkel betäubt und unmutig macht, und daß ich ihre Bonmots, ihre Calembours, die sich machen lassen auf den Kauf, auch nicht einmal für solchen gesellschaftlichen Witz halten kann, aus dem wahres frisches Leben der Unterhaltung sprüht. Überhaupt ist mir der eigentlich echt französische Witz im höchsten Grade fatal.«

»Diese Meinung«, sprach Cyprian, »kommt recht tief aus deinem stillen freundlichen Gemüt, mein herzenslieber Sylvester. Du hast aber noch vergessen, daß außer den größtenteils höchst nüchternen Bonmots der Gesellschaftswitz der Franzosen auf eine gegenseitige Verhöhnung basiert ist, die wir mit dem Worte ›Aufziehen‹ bezeichnen und die, leicht die Grenzen der Zartheit überschreitend, unserer Unterhaltung sehr bald alles wahrhaft Erfreuliche rauben würde. Dafür haben die Franzosen auch nicht den mindesten Sinn für den Witz, dessen Grundlage der echte Humor ist, und es ist kaum zu begreifen, wie ihnen manchmal die Spitze irgendeines gar nicht etwa tiefen, sondern oberflächlich drolligen Geschichtleins entgeht.«

»Vergiß nicht,« sprach Ottmar, »daß eben eine solche Spitze oft ganz unübersetzbar ist.«

»Oder«, fuhr Vinzenz fort, »ungeschickt übersetzt wird. – Nun, mir fällt dabei ein gar lustiges Ding ein, das sich vor wenigen Tagen zutrug, und das ich euch auftischen will, wenn ihr zu hören geneigt seid.«

[316] »Erzähle, erzähle, teurer Anekdotist, ergötzlicher Fabulant!« So riefen die Freunde.

»Ein junger Mensch,« erzählte Vinzenz, »den die Natur mit einer tüchtigen kräftigen Baßstimme begabt, und der zum Theater gegangen, sollte gleich das erstemal als Sarastro auftreten. Im Begriff, in den Wagen zu steigen, überfiel ihn aber eine solche fürchterliche Angst, daß er zitterte und bebte, ja daß er, als er herausgefahren werden sollte, ganz in sich zusammensank, und alle Ermahnungen des Direktors, doch sich zu ermutigen und wenigstens aufrecht im Wagen zu stehen, blieben vergebens. Da begab es sich, daß das eine Rad des Wagens den weit überhängenden Mantel Sarastros faßte und den Ehrwürdigen, je weiter es vorwärts ging, desto mehr rücklings überzog, wogegen er sich im Wagen festfußend sträubte, so daß er in der Mitte des Theaters dastand mit vorwärts gedrängtem Unterteil und rückwärts gedrängtem Oberteil des Körpers. Und alle Welt war entzückt über den königlichen Anstand des unerfahrnen Jünglings, und hoch erfreut schloß der Direktor mit ihm einen günstigen Kontrakt. Dies einfache Anekdötlein wurde neulich in einer Gesellschaft erzählt, der eine Französin beiwohnte, die keines deutschen Wortes mächtig. Als nun beim Schluß alles lachte, so verlangte die Französin zu wissen, worüber man lache; und unser ehrliche D., der, spricht er französisch, mit dem echtesten Akzent, mit der treuesten Nachbildung von Ton und Gebärde den Franzosen herrlich spielt, dem aber jeden Augenblick Worte fehlen, übernahm es, den Dolmetscher zu machen. Als er nun auf das Rad kam, das den Mantel Sarastros gefaßt und diesen zur majestätischen Stellung genötigt, sprach er: le rat statt la roue. Das Gesicht der Französin verfinsterte sich, die Augenbraunen zogen sich zusammen, und in ihren Blicken las man das Entsetzen, das ihr die Erzählung verursachte, wozu noch freilich beitrug, daß unser gute D. alle Register des tragikomischen Muskelspiels auf seinem Gesicht [317] angezogen hatte. Als wir beim Schluß alle noch stärker über das seltsame Mißverständnis, das zu heben sich jeder wohl hütete, lachten, lispelte die Französin: ›Ah! – les barbares!‹ – Für Barbaren mußte die Gute uns wohl halten, wenn wir es so überaus belachenswert fanden, daß ein abscheuliches ratzenhaftes Untier den armen Jüngling, in dem verhängnisvollsten Augenblick des beginnenden Theaterlebens seinen Mantel erfassend, halb zu Tode geängstigt.«

»Wir wollen,« sprach, als die Freunde sich satt gelacht, Vinzenz weiter, »wir wollen aber nun die französische Konversation mit all ihren Bonmots, Calembours und sonstigen Bestandteilen und Ingredienzien ruhen lassen und gestehen, daß es wohl hohe Lust zu nennen, wenn unter geistreichen, von echtem Humor beseelten Deutschen das Gespräch wie ein nie erlösendes Feuerwerk aufstrahlt in tausend knisternden Leuchtkugeln, Schwärmern und Raketen.«

»Wohl zu merken,« nahm Theodor das Wort, »wohl zu merken ist aber, daß eine solche Lust nur dann stattfinden kann, wenn die Freunde nicht allein geistreich und humoristisch sind, sondern auch das Talent haben, nicht allein zu sprechen, sondern auch zu hören. Dies Talent bildet das Hauptprinzip jeder Unterhaltung.«

»Ganz gewiß,« fuhr Lothar fort, »die Wortführer töten jede Unterhaltung. Ganz auf niedriger Stufe stehen aber jene Witzbolde, die, mit Anekdoten, allerlei schalen Redensarten vollgestopft, von Gesellschaft zu Gesellschaft laufen und den unberufenen Pagliasso machen. Ich kannte einen Mann, der, als geistreich und witzig geltend und dabei ein gewaltiger Vielsprecher, überall eingeladen wurde, mit dem Anspruch, die Gesellschaft zu belustigen, so daß, schon wenn er eintrat, jeder ihm ins Gesicht blickend, wartete, was für ein Witzwort er von sich geben würde. Der Arme war genötigt sich abzuquälen, um nur, gleichviel auf welche Weise, seinen Beruf zu erfüllen, und so [318] konnte es nicht fehlen, daß er bald matt und stumpf wurde, und man ihn beiseite warf wie ein verbrauchtes Möbel. Jetzt schleicht er trübe und unmutig umher und kommt mir vor wie jener Stutzer in Rabeners ›Traum von abgeschiedenen Seelen‹, der, so sehr er im Leben beglänzt, nun im Jenseits traurig und wertlos dasteht, weil er die goldne mit Spaniol gefüllte Dose, einen integrierenden Teil seines innern Selbst, bei der schnellen unvermuteten Abfahrt stehen lassen.«

»Es gibt,« sprach Ottmar, »es gibt ferner gar wunderliche Leute, die, wenigstens wenn sie Gäste bewirten, das Wort führen nicht aus Arroganz, sondern in seltsam falscher Gutmütigkeit von der Angst getrieben, daß man sich nicht unterhalten werde; die beständig fragen, ob man auch vergnügt sei u.s. und die eben deshalb jede Heiterkeit, jede Lust im Aufkeimen töten.«

»Diese Methode,« sagte Theodor, »diese Methode zu langweilen, ist die sicherste, und ich habe sie ein mal von meinem alten humoristischen Onkel, den ihr, glaub' ich, aus meinen Gesprächen schon kennt, mit dem glänzendsten Erfolg anwenden gesehn. – Es hatte sich nämlich ein alter Schulfreund eingefunden, der, ganz unausstehlich in allem, was er sprach, in seinem ganzen Benehmen, den Onkel jeden Morgen besuchte, ihn in seinen Geschäften störte, auf das ärgste langweilte und dann ungebeten sich mit zu Tische setzte. Der Onkel war mürrisch, verdrießlich, in sich gekehrt, gab dem Überlästigen nur zu deutlich zu verstehen, daß seine Besuche ihm eben nicht erfreulich wären, aber alles wollte nichts helfen. Ich meinte endlich, als der Alte einmal nach seiner Art kräftig genug auf den Schulfreund schimpfte, er solle dem Unverschämten geradehin die Türe weisen. ›Das geht nicht, Vetterchen‹, erwiderte der Alte, freundlich schmunzelnd, ›er ist einmal mein Schulfreund, aber es gibt noch ein anderes Mittel, ihn los zu werden, das will ich anwenden, das wird helfen!‹ Nicht wenig verwundert war ich, als am [319] andern Morgen mein Alter den Schulfreund mit offnen Armen empfing, als er alles beiseite warf und nun unablässig auf ihn hineinsprach, wie es ihn freue, den treuen Bruder zu sehen und sich der alten Zeit zu erinnern. Alle Geschichten aus der Jugendzeit, die der Schulfreund bis zum höchsten Überdruß ewig und ewig zu wiederholen pflegte, gingen nun über des Onkels Lippen wie ein unaufhaltsamer Strom, so daß der Schulfreund, alles Mühens unerachtet, zu keiner Silbe kommen konnte. Und dazwischen fragte der Onkel beständig: ›Aber du bist heute nicht vergnügt? – Du bist so einsilbig? – Sei doch heiter, laß uns heute recht schwelgen in Rückerinnerungen!‹ Aber sowie der Schulfreund nur den Mund öffnen wollte, schnitt ihm der Onkel das Wort ab mit einer neuen endlosen Geschichte. Endlich wurde ihm das Ding zu arg, er wollte fort, da lud ihn aber der Onkel so dringend zu Tische, daß er, nicht fähig, der Verlockung guter Schüsseln und noch bessern Weins zu widerstehen, wirklich blieb. Kaum hatte der Schulfreund aber ein paar Löffel Suppe genossen, als der Onkel ganz ergrimmt rief: ›Was zum Teufel ist das für eine verdammte Wassersuppe?- Iß nicht, Bruder, ich bitte dich, iß nicht, es kommt was Besseres – Johann, die Teller weg!‹ – Und wie ein Blitz war dem Schulfreund der Teller vor der Nase weg verschwunden! – So ging es aber bei allen Gerichten, die mitunter lecker genug waren, um den Appetit auf das stärkste zu reizen, bis das Bessere, was noch kommen sollte, in Chesterkäse bestand, gegen den, so wie gegen Käse überhaupt, der Schulfreund einen Abscheu hegte. Vor lauter anscheinender Sorge, den Schulfreund recht üppig zu bewirten, hatte dieser nicht zwei Bissen verschlucken dürfen, und ebenso war es mit dem Wein. Kaum hatte der Schulfreund das erste Glas an die Lippen gebracht, als der Onkel rief: ›Bruder, du ziehst ein saures Gesicht? – Du hast recht, der Wein taugt nichts – Johann, eine höhere Sorte!‹ – Und eine Sorte nach der andern [320] kam – französische Weine – Rheinweine und immer hieß es: ›Bruder, der Wein schmeckt dir nicht‹ etc., bis bei dem Chesterkäse der Schulfreund ungeduldig aufsprang. Da sprach der Onkel im gutmütigsten Ton: ›Bruder, du bist heute gar nicht vergnügt, gar nicht wie sonst? – Nun! – weile wir einmal so fröhlich beieinander sind, so laß uns eine Flasche alten Sorgenbrechers ausstechen!‹ – Der Schulfreund plumpte in den Sessel nieder. Der hundertjährige Rheinwein perlte herrlich und klar in den beiden Gläsern, die der Onkel einschenkte. ›Teufel!‹ sprach der Onkel aber, nun ein Glas gegen das Licht haltend, ›Teufel! der Wein ist mir trübe geworden, nein, Bruder, den kann ich dir nicht vorsetzen‹, und schlürfte mit sichtlichem Wohlgefallen beide Gläser hinunter. – Der Schulfreund fuhr in die Höhe, plumpte, aber aufs neue in den Sessel nieder, als der Onkel rief: ›Johann! Tokaier!‹ – Der Tokaier kam, der Onkel schenkte ein und reichte dem Schulfreunde das Glas hin, indem er sprach: ›Nun, alter Junge, wirst du wohl endlich einmal vergnügt werden, wenn du den Nektar eingeschlürft!‹ – Kaum setzte aber der Schulfreund das Glas an die Lippen, als der Onkel schrie: ›Donner! – da ist eine große Kreuzspinne in der Flasche gewesen!‹ – Da schleuderte der Schulfreund in voller Wut das Glas gegen die Wand, daß es in tausend Scherben zersplitterte, rannte wie besessen von dannen und kam niemals wieder.« – –

»Die Ironie deines alten Onkels in Ehren,« sprach Sylvester, »aber mich will bedünken, daß doch etwas konsequente Bosheit dazu gehört, sich einen Überlästigen auf diese Art vom Halse zu schaffen. Ich hätte dem langweiligen Schulfreunde lieber geradehin die Türe gewiesen, wiewohl ich zugestehen will, daß es gerade in deines Onkels humoristischem Charakter lag, statt des vielleicht ärgerlichen Auftritts, den es gegeben, sich eine skurrile Theaterszene zu bereiten. Denn dafür erkläre ich den ominösen Mittag, wie du ihn geschildert. Lebhaft kann ich [321] mir den alten Parasit denken, wie er die Qualen des Tantalus duldet, wie der Onkel immer neue Hoffnungen zu erregen und in demselben Augenblick zu vernichten weiß, wie endlich ihn die Verzweiflung ergreift –«

»Du kannst«, erwiderte Theodor, »im nächsten Lustspiel Gebrauch machen von dieser artigen Szene.«

»Die«, fuhr Vinzenz fort, »mich übrigens lebhaft an jenes herrliche Mahl in ›Katzenbergers Badereise‹ und an den armen Gevatter Einnehmer erinnert, der an den Bissen, die über die Trompeten-Muskel glitten, beinahe ersticken mußte. Wiewohl diese Szene unserm Sylvester für ein neues Lustspiel eben nicht dienlich sein dürfte.«

»Den vortrefflichen Katzenberger, den nur seiner robusten Zynik halber die Frauen nicht mögen,« sprach Theodor, »habe ich übrigens persönlich gekannt. Er war ein Intimus meines alten Onkels, und ich kann künftig manches Ergötzliche von ihm beibringen.« – Cyprian hatte in tiefen Gedanken gesessen und schien kaum gehört zu haben, was Theodor und die übrigen gesprochen – Theodor munterte die Freunde auf, von dem warmen Punsch zu genießen, den er bereitet, weil dies Getränk das beste Gegengift gegen den bösen Einfluß der Witterung sei.

»Allerdings,« sprach nun Cyprian, wie plötzlich aus dem Traum erwachend, »allerdings ist auch dieses der Keim des Wahnsinns, wo nicht schon Wahnsinn selbst.« – Die Freunde schauten sich bedenklich an.

»Ha,« fuhr Cyprian fort, indem er von seinem Sitz aufstand und lächelnd rund umherblickte, »ha, ich merke, daß ich den Schlußsatz laut werden ließ von dem, was ich still im Innern dachte. – Nachdem ich dieses Glas Punsch geleert und Theodors geheimnisvolle Kunst, dies Getränk nach seinen mystischen Verhältnissen der Stärke, Süße und Säure zu bereiten, gehörig gelobt, will ich nur beibringen, daß einiger Wahnsinn, einige Narrheit so tief in der menschlichen Natur bedingt ist, daß man diese gar nicht besser er kennen kann als durch sorgfältiges [322] Studium der Wahnsinnigen und Narren, die wir gar nicht in den Tollhäusern aufsuchen dürfen, sondern die uns täglich in den Weg laufen, ja, am besten durch das Studium unseres eigenen Ichs, in dem jener Niederschlag aus dem chemischen Prozeß des Lebens genugsam vorhanden.«

»Sage,« rief Lothar verdrießlich, »sage, wie kamst du schon wieder auf Wahnsinn und Wahnsinnige?«

»Erzürne,« erwiderte Cyprian, »erzürne dich nicht, lieber Lothar. Wir sprachen über das Talent des gesellschaftlichen Gesprächs, und da dachte ich an zwei sich einander entgegengesetzte Charaktere, die so häufig jede gesellschaftliche Unterhaltung töten. – Es gibt nämlich Personen, die von der Idee, von der Vorstellung, die sie erfaßt, sich durchaus nicht wieder trennen können, die stundenlang, ohne Rücksicht, wie sich das Gespräch gewandt hat, immer dasselbe und wieder dasselbe wiederholen. Alles Mühen, sie mit dem Strom des Gesprächs fortzureißen, bleibt umsonst, glaubt man endlich, ihre Teilnahme an dem, was der fortschreitende Austausch der Ideen schafft, gewonnen zu haben, so kommen sie plötzlich, ehe man sich's versieht, um an den Bürgermeister in jenem Lustspiel zu erinnern, auf besagten Hammel zurück und verdämmen so jenen schönen rauschenden Strom. Ihnen entgegengesetzt sind solche, die in der nächsten Sekunde vergessen, was sie in der vorigen gesprochen, welche fragen und ohne die Antwort abzuwarten, das davon Heterogenste vorbringen, denen bei jedem Anlaß alles, mithin eigentlich nichts einfällt, das in die Form des Gesprächs taugt, die in wenigen Worten einen bunten Plunderkram von Ideen zusammenwerfen, aus dem sich nichts, das nur einigermaßen deutlich, herausfinden läßt. Auch diese töten jede gemütliche Unterhaltung und bringen zur Verzweiflung, wenn jene die ärgste Langeweile, ja wahrhaften Überdruß erregen. Aber sagt, liegt in solchen Leuten nicht der Keim, dort des fixen Wahns, hier [323] der Narrheit, deren Charakter eben das ist, was die psychologischen Ärzte Ideenflucht nennen?«

»Wohl,« nahm Theodor das Wort, »wohl möcht' ich noch manches sagen von der in der Tat geheimnisvollen Kunst, in Gesellschaft gut zu erzählen, die, von Ort, Zeit, individuellen Verhältnissen abhängig, sich schwer in feste Prinzipe einfugen lassen würde, mich dünkt aber, es möchte uns zu weit führen und so der eigentlichen Tendenz des würdigen Serapionsklubs entgegen sein.«

»Ganz gewiß,« sprach Lothar, »wir wollen uns dabei beruhigen, daß wir weder von dem Wahnsinn noch von der Narrheit, deren unser Freund Cyprianus erwähnt hat, behaftet, daß wir vielmehr untereinander höchst vortreffliche Gesellschafter sind, die nicht allein zu sprechen, sondern auch zu hören verstehen. Ja noch mehr! – Jeder von uns hört sogar ordentlich zu, wenn der andere vorlieset, und das will viel heißen. Freund Ottmar sagte mir vor einigen Tagen, daß er eine Novelle aufgeschrieben, in welcher der berühmte dichterische Maler Salvator Rosa die Hauptrolle spiele. Mag er uns diese Novelle jetzt vorlesen.«

»Nicht ohne Furcht,« sprach Ottmar, indem er ein Manuskript aus der Tasche zog, »nicht ohne Furcht bin ich, daß ihr meine Novelle nicht serapiontisch finden werdet. Ich hatte im Sinn, jene gemächliche, aber anmutige Breite nachzuahmen, die in den Novellen der alten Italiener, vorzüglich des Boccaccio, herrscht, und über dieses Mühen bin ich, wie ich nur lieber gleich selbst gestehen will, weitschweifig geworden. Auch werdet ihr mir mit Recht vorwerfen, daß ich den eigentlichen Novellenton nur hin und wieder, vielleicht gar nur in den Überschriften der Kapitel getroffen. Bei diesen freien Selbstgeständnissen eines edlen Gemüts werdet ihr gewiß nicht zu strenge mit mir verfahren, sondern euch an das halten, was euch doch etwa ergötzlich und lebendig vorkommen möchte.«[324] »Was für Vorreden,« rief Lothar, »was für eine unnütze Captatio benevolentiae! Lies nur deine Novelle, mein guter Freund Ottmar, und gelingt es dir, uns recht lebendig anzuregen, daß wir deinen Salvator Rosa recht wahrhaft vor uns erschauen, so wollen wir dich als einen würdigen Serapionsbruder anerkennen und das übrige mürrischen, tadelsüchtigen Kunstrichtern überlassen. Nicht wahr, meine vortrefflichen Serapionsbrüder?«

Die Freunde stimmten Lothar bei, und Ottmar begann:

Signor Formica
Eine Novelle
Der berühmte Maler Salvator Rosa kommt nach Rom und wird von einer gefährlichen Krankheit befallen. Was ihm in dieser Krankheit begegnet

Berühmten Leuten wird gemeiniglich viel Böses nachgesagt, gleichviel ob aus wahrhaftigem Grunde oder nicht. – So erging es auch dem wackern Maler Salvator Rosa, dessen lebendige Bilder du, geliebter Leser, gewiß nie ohne gar besondere, herzinnigliche Lust angeschaut haben wirst.

Als Salvators Ruf Neapel, Rom, Toskana, ja ganz Italien durchdrang, als die Maler, wollten sie gefallen, seinen absonderlichen Stil nachzuahmen streben mußten, gerade zu der Zeit trugen sich hämische Neider mit allerlei bösen Gerüchten, die in die herrliche Glorie seines Künstlerruhms häßliche Schattenflecke werfen sollten. Sie behaupteten, Salvator habe in einer früheren Zeit seines Lebens sich zu einer Räuberbande geschlagen und diesem ruchlosen Verkehr all die wilden, trotzigen, abenteuerlich gekleideten Gestalten zu verdanken, die er auf seinen Gemälden angebracht, sowie er auch die düstern, grauenvollen Einöden, diese selve selvagge, um mit Dante zu reden, wo er sich verbergen müssen, getreulich in seiner Landschafterei nachgebildet. Am schlimmsten war es, daß man ihm auf den Kopf zusagte, er sei in die heillose,[325] blutige Verschwörung verwickelt gewesen, die der berüchtigte Mas'Aniello in Neapel anzettelte. Man erzählte, wie das zugegangen, mit den kleinsten Umständen.

Aniello Falcone, der Bataillenmaler (so hieß es), einer der besten Lehrmeister Salvators, entbrannte in Wut und blutdürstige Rache, als die spanischen Soldaten in einem Handgemenge einen seiner Verwandten getötet hatten. Zur Stelle rottete er einen Haufen junger verwegener Leute, mehrenteils Maler, zusammen, gab ihnen Waffen und nannte sie die Kompanie des Todes. In der Tat verbreitete dieser Haufe alle Schauer, alles Entsetzen, das schon sein fürchterlicher Name verkündete. Truppweise durchstreiften den ganzen Tag die Jünglinge Neapel und stießen ohne Gnade jeden Spanier nieder, den sie antrafen. Noch mehr! – Sie drangen ein in die geheiligten Freistätten und mordeten auch da schonungslos den unglücklichen Gegner, der, von der Todesangst getrieben, sich dorthin geflüchtet. Nachts begaben sie sich zu ihrem Haupt, dem blutgierigen, wahnsinnigen Mas'Aniello, den sie bei dem Schein angezündeter Fackeln abmalten, so daß in kurzer Zeit Hunderte dieser Abbildungen in Neapel und der Gegend umher ausgestreut wurden.

Bei diesem mörderischen Haufen soll nun Salvator Rosa gewesen sein und tages tüchtig gemetzelt, nachts aber ebenso tüchtig gemalt haben. Wahr ist es, was ein berühmter Kunstrichter, ich glaube Taillasson, von unserm Meister sagt. Seine Werke tragen den Charakter eines wilden Stolzes, einer bizarren Energie der Gedanken und ihrer Ausführung. Nicht in der lieblichen Anmut grüner Wiesen, blühender Felder, duftender Haine, murmelnder Quellen, nein, in den Schauern gigantisch aufgetürmter Felsen oder Meeresstrände, wilder unwirtbarer Forsten tut sich ihm die Natur auf, und nicht das Flüstern des Abendwindes, das rauschende Säuseln der Blätter, nein, das Brausen des Orkans, der Donner der Katarakte ist die Stimme, die er vernimmt. Betrachtet man seine Einöden, [326] und die Männer von fremdem, wilden Ansehn, die bald einzeln, bald truppweise umherschleichen, so kommen von selbst die unheimlichen Gedanken. Hier geschah ein gräßlicher Mord, dorten wurde der blutende Leichnam in den Abgrund geschleudert u.s.w.

Mag das alles nun sein, mag Taillasson sogar recht haben, wenn er behauptet, Salvators Platon, ja selbst sein heiliger Johannes, der in der Wüste die Geburt des Heilands verkündet, sähe ein klein wenig aus wie ein Straßenräuber; mag das alles nun sein, sage ich, unrecht bliebe es doch, von den Werken auf den Meister selbst zu schließen und zu wähnen, er, der das Wilde, Entsetzliche in vollem Leben dargestellt, müsse auch selbst ein wilder entsetzlicher Mensch gewesen sein. Wer viel von dem Schwerte spricht, führt es oft am schlechtesten; wer tief in der Seele alle Schrecknisse blutiger Greuel fühlt, daß er sie, Palette, Pinsel oder Feder in der Hand, in das Leben zu rufen vermag, ist sie zu üben am wenigsten fähig! – Genug! – ich glaube von allen bösen Gerüchten, die den wackern Salvator einen ruchlosen Räuber und Mörder schelten, durchaus nicht ein Wörtlein und wünsche, daß du, geliebter Leser, gleichen Sinnes mit mir sein mögest. Außerdem würde ich befürchten müssen, daß du vielleicht gegen alles, was ich von dem Meister dir zu erzählen eben im Begriff stehe, einige Zweifel hegen könntest, da dir mein Salvator, wie ich gedenke, als ein Mann erscheinen soll, in Feuer und Leben glühend und sprühend, aber dabei mit dem treusten, herrlichsten Gemüt begabt, das oft selbst die bittre Ironie zu beherrschen weiß, die sich, wie bei allen Menschen tiefen Geistes, aus der klarsten Anschauung des Lebens gestaltet. Übrigens ist es ja wohl bekannt, daß Salvator ein ebenso guter Dichter und Tonkünstler, als Maler war. Sein innerer Genius tat sich kund in herrlicher Strahlenbrechung. – Noch einmal, ich glaube nicht daran, daß Salvator teilgehabt an Mas'Aniellos blutigen Greueln, ich denke vielmehr, daß die [327] Schrecken der entsetzlichen Zeit ihn forttrieben von Neapel nach Rom, wo er, ein armer bedürftiger Flüchtling, gerade zu der Zeit ankam, als Mas'Aniello gefallen.

Eben nicht sonderlich gekleidet, ein schmales Beutelchen mit ein paar blassen Zechinen in der Tasche, schlich er durch das Tor, als die Nacht schon eingebrochen. Er geriet, selbst wußte er nicht wie, auf den Platz Navona. Dort hatte er sonst zu guter Zeit in einem schönen Hause, dicht neben dem Palast Pamfili gewohnt. Unmutig schaute er hinauf nach den großen Spiegelfenstern, die im Glanz der Mondesstrahlen funkelten und blitzten. »Hm!« rief er mürrisch, »das wird bunte Leinwand kosten, ehe ich dort oben wieder meine Werkstatt aufschlage!« – Aber da fühlte er sich auf einmal wie an allen Gliedern gelähmt und dabei kraft- und mutlos, wie noch niemals in seinem Leben. »Werd' ich wohl,« murmelte er zwischen den Zähnen, indem er sich niederließ auf die steinernen Stufen vor der Türe des Hauses, »werde ich denn aber wohl bunte Leinwand genug fördern können, wie sie die Narren wollen? – Hm! – mich will's bedünken, es wär' damit am Ende!« –

Ein kalter schneidender Nachtwind durchstrich die Straßen. Salvator fühlte die Notwendigkeit, ein Obdach zu suchen. Er stand mühsam auf, wankte fort, kam nach dem Korso, bog ein in die Straße Bergognona. Da stand er still vor einem kleinen, nur zwei Fenster breiten Hause, das eine arme Witwe mit ihren beiden Töchtern bewohnte. Die hatte ihn aufgenommen für geringes Geld, als er zum erstenmal nach Rom kam, von niemanden gekannt und geachtet, und bei dieser Witwe gedachte er wohl wieder ein Unterkommen zu finden, wie es nun gerade seiner schlimmen Lage angemessen.

Er klopfte getrost an die Tür und rief mehrmals seinen Namen hinein. Endlich hörte er, wie die Alte sich mühsam aus dem Schlafe ermunterte. Sie pantoffelte hinan ans Fenster und schalt heftig, welcher Schelm sie mitten in [328] der Nacht turbiere, ihr Haus sei keine Schenke u.s.w. Da kostete es viel Hin- und Herreden, bis sie ihren alten Hausgenossen an der Stimme wiedererkannte; und als nun Salvator klagte, wie er von Neapel fortgeflüchtet und in Rom kein Obdach finden könne, da rief die Alte: »Ach, um Christus' und aller Heiligen willen! – Seid Ihr es, Signor Salvator? – Nun! Euer Stübchen oben nach dem Hofe heraus steht noch leer, und der alte Feigenbaum hat nun ganz und gar seine Zweige und Blätter in die Fenster hineingehängt, so daß Ihr sitzen und arbeiten könnt wie in einer schönen kühlen Laube! – Ei, was werden sich meine Töchter freuen, daß Ihr wieder da seid, Signor Salvator. – Aber wißt Ihr wohl, daß die Margerita recht groß und schön geworden ist? – Die werdet Ihr nicht mehr auf dem Knie schaukeln! – Euer Kätzchen, denkt Euch, ist vor drei Monaten an einer Fischgräte erstickt. Nun, das Grab ist unser aller Erbteil. Aber wißt Ihr wohl, daß die dicke Nachbarin, über die Ihr so oft gelacht, die Ihr so oft gar possierlich abgezeichnet; wißt Ihr wohl, daß sie doch noch den jungen Menschen, den Signor Luigi, heiratet? Nun! nozze e magistrati sono da Dio destinati! – Ehen werden im Himmel geschlossen, sage ich.« –

»Aber,« unterbrach Salvator die Alte, »aber Signora Caterina, ich bitte Euch um aller Heiligen willen, laßt mich doch nur erst hinein und erzählt mir dann von Euerm Feigenbaum, von Euern Töchtern, vom Kätzchen und der dicken Nachbarin! – Ich vergehe vor Müdigkeit und Frost.« –

»Nun seht mir die Ungeduld,« rief die Alte. »Chi va piano, va sano, chi va presto, more lesto – Eile mit Weile, sage ich! Doch Ihr seid müde, Ihr friert; also rasch die Schlüssel, rasch die Schlüssel!«

Aber nun mußte die Alte erst die Töchter wecken, dann langsam, langsam Feuer anschlagen! – Endlich öffnete sie dem armen Salvator die Tür; doch kaum war der in die Hausflur getreten, als er, von Ermattung und Krankheit [329] überwältigt, wie tot zu Boden niederstürzte. Zum Glück war der Sohn der Witwe, der sonst in Tivoli wohnte, gerade bei ihr eingekehrt. Der wurde nun auch aus dem Bette geholt, das er gar gern dem kranken Hausfreund einräumte.

Die Alte liebte den Salvator gar sehr, setzte ihn, was seine Kunst betraf, über alle Maler in der Welt und hatte überhaupt an allem, was er begann, die herzlichste Freude. Ganz außer sich war sie daher über seinen bejammernswerten Zustand und wollte gleich fortrennen nach dem nahegelegenen Kloster und ihren Beichtvater holen, daß er komme und mit geweihten Kerzen oder irgendeinem tüchtigen Amulett die feindliche Macht bekämpfe. Der Sohn meinte dagegen, es sei beinahe besser, sich gleich nach einem tüchtigen Arzt umzusehen, und sprang auf der Stelle fort nach dem spanischen Platz, wo, wie er wußte, der berühmte Doktor Splendiano Accoramboni wohnte. Sowie der hörte, daß der Maler Salvator Rosa in der Straße Bergognona krank darniederläge, war er sogleich bereit, sich bald bei dem Patienten einzufinden.

Salvator lag besinnungslos im stärksten Fieber. Die Alte hatte ein paar Heiligenbilder über dem Bette aufgehängt und betete eifrig. Die Töchter, in Tränen schwimmend, mühten sich, dem Kranken dann und wann einige Tropfen von der kühlenden Limonade einzuflößen, die sie bereitet, während der Sohn, der am Kopfende Platz genommen, ihm den kalten Schweiß von der Stirne trocknete. So war der Morgen herangekommen, als die Tür mit vielem Geräusch aufging, und der berühmte Doktor Signor Splendiano Accoramboni eintrat.

Wäre nur Salvator nicht so auf den Tod krank und darüber so gar großes Herzeleid gewesen, die beiden Dirnen, mein' ich, hätten, mutwillig und lustig, wie sie sonst waren, laut aufgelacht über des Doktors verwunderliches Ansehn, statt daß sie sich jetzt, ganz erschrocken, scheu in die Ecke zurückzogen. Es ist der Mühe wert zu sagen, wie das Männlein aussah, das in der Morgendämmerung [330] bei der Frau Caterina in der Straße Bergognona erschien. Aller Anlagen zum vortrefflichsten Wachstum unerachtet, hatte es der Herr Doktor Splendiano Accoramboni doch nicht ganz bis zu der ansehnlichen Größe von vier Schuh bringen können. Dabei war er aber in seinen jungen Jahren von dem zierlichsten Gliederbau, und ehe der von Haus aus etwas unförmliche Kopf durch die dicken Backen und das stattliche Doppelkinn zu viel Anwuchs gewonnen, ehe die Nase durch überreichliche Spaniol-Atzung sich zu sehr in die Breite gemästet, ehe das Bäuchlein sich durch Maccaroni-Futter zu sehr in die Spitze hinausgetrieben, stand ihm die Abbaten-Kleidung, die er damals trug, allerliebst. Er war mit Recht ein niedliches Männlein zu nennen, und die römischen Damen hießen ihn deshalb auch in der Tat ihren caro puppazetto, ihren lieben Püppling. –

Jetzt war das nun freilich vorüber, und ein deutscher Maler meinte, als er den Herrn Doktor Splendiano über den spanischen Platz wandeln sah, nicht ganz mit Unrecht, der Mann sähe aus, als sei ein baumstarker, sechs Fuß hoher Kerl unter seinem eignen Kopf davongelaufen, und der sei auf den Körper eines kleinen Marionetten-Pulcinells gefallen, der ihn nun wie seinen eignen herumtragen müsse. – Diese kleine absonderliche Figur hatte sich in eine unbillige Menge großgeblümten venezianischen Damastes, die zu einem Schlafrock verschnitten, gesteckt, dicht unter der Brust einen breiten ledernen Gurt umgeschnallt, an dem ein drei Ellen langer Stoßdegen hing, und auf der schneeweißen Perücke eine hohe spitze Mütze, die dem Obelisk auf dem Petersplatz nicht unähnlich, aufgerichtet. Da besagte Perücke, einem wirren, zerzausten Gewebe gleich, dick und breit über den ganzen Rücken herabbauschte, so konnte sie füglich für den Kokon gelten, aus dem der schöne Seidenwurm hervorgekrochen.

Der würdige Splendiano Accoramboni glotzte durch seine großen funkelnden Brillengläser erst den kranken [331] Salvator, dann die Frau Caterina an und rief diese beiseite. »Da liegt,« schnarrte er halb leise, »da liegt nun der tüchtige Maler Salvator Rosa todkrank bei Euch, Frau Caterina, und er ist verloren, wenn ihn nicht meine Kunst rettet! – Sagt mir doch, seit wann ist er bei Euch eingekehrt? – Hat er viele schöne große Bilder mitgebracht?« –

»Ach, lieber Herr Doktor,« erwiderte Frau Caterina, »erst in dieser Nacht kehrte mein armer Sohn bei mir ein, und was die Bilder betrifft, so weiß ich noch nichts davon; aber unten steht eine große Kiste, die bat mich Salvator, ehe er so besinnungslos wurde, wie Ihr ihn jetzt seht, wohl und sorgfältig zu bewahren. Es ist wohl ein gar schönes Gemälde darein gepackt, das er in Neapel gemalt.«

Das war nun eine Lüge, die Frau Caterina vorbrachte; aber wir werden schon erfahren, welchen guten Grund sie dazu hatte, dem Herrn Doktor dergleichen aufzubinden.

»So so,« sprach der Doktor, strich sich schmunzelnd den Bart, näherte sich so gravitätisch, als es der lange Stoßdegen, mit dem er überall an Stühlen und Tischen hängen blieb, nur zulassen wollte, dem Kranken, faßte seine Hand, befühlte seinen Puls, indem er dabei ächzte und schnaufte, welches in der andächtigen Todesstille, in die alle versunken, wunderlich genug klang. Dann nannte er einhundertundzwanzig Krankheiten auf lateinisch und griechisch, die Salvator nicht habe, dann beinahe ebensoviel, von denen er hätte befallen werden können, und schloß damit, daß er die Krankheit Salvators zwar vor der Hand nicht zu nennen wisse, binnen einiger Zeit aber schon einen passenden Namen dafür und mit diesem auch die gehörigen Mittel dagegen finden werde. – Dann ging er ebenso gravitätisch ab, wie er gekommen, und ließ alle in Angst und Besorgnis zurück.

Unten verlangte der Doktor Salvators Kiste zu sehen. Frau Caterina zeigte ihm wirklich eine, in der ein paar abgelegte Mäntel ihres seligen Eheherrn, nebst einigem [332] zerrissenen Schuhwerk wohl eingepackt lagen. Der Doktor klopfte lächelnd auf der Kiste hin und her und sprach zufrieden: »Wir werden sehen, wir werden sehen!« – Nach einigen Stunden kehrte der Doktor zurück mit einem sehr schönen Namen für Salvators Krankheit und einigen großen Flaschen eines übelriechenden Tranks, den er dem Kranken unaufhörlich einzuflößen befahl. Das kostete Mühe, denn der Kranke gab seinen größten Widerwillen, ja seinen höchsten Abscheu gegen die Arzenei zu erkennen, die aus dem Acheron selbst geschöpft schien. Sei es aber, daß Salvators Krankheit nun, da sie einen Namen erhalten und also wirklich was vorstellte, sich erst recht herrisch bewies, oder daß Splendianos Trank zu kräftig in den Eingeweiden tobte, genug, mit jedem Tage, ja mit jeder Stunde wurde der arme Salvator schwächer und schwächer, so daß, unerachtet der Doktor Splendiano Accoramboni versicherte, wie nach dem gänzlichen Stillestehen des Lebensprozesses er der Maschine, gleich dem Perpendikel einer Uhr, einen Stoß zu neuer Schwungkraft geben werde, alle an Salvators Aufkommen zweifelten und meinten, der Herr Doktor möge vielleicht dem Perpendikel schon einen solchen unziemlichen Stoß gegeben haben, daß er gänzlich erlahmt sei.

Eines Tages begab es sich, daß Salvator, der kaum ein Glied zu rühren fähig schien, plötzlich in brennende Fieberglut geriet, urkräftigt aus dem Bette sprang, die vollen Arzneiflaschen ergriff und sie wütend durch das Fenster schleuderte. Der Doktor Splendiano Accoramboni wollte gerade ins Haus treten, und so geschah es, daß ein paar Flaschen, ihn treffend, auf seinem Kopfe zerklirrten, und der braune Trank sich in reichen Strömen über Gesicht, Perücke und Halskrause ergoß. Der Doktor sprang schnell ins Haus und schrie wie besessen: »Signor Salvator ist toll geworden, in Raserei gefallen, keine Kunst kann ihn retten, er ist tot in zehn Minuten. Her mit dem Bilde, Frau Caterina, her mit dem Bilde, das ist mein, der [333] geringe Lohn meiner Mühe! Her mit dem Bilde, sag' ich.« –

Als nun aber Frau Caterina die Kiste öffnete, und der Doktor Splendiano die alten Mäntel und das zerrissene Schuhwerk zu Gesichte bekam, rollten seine Augen wie ein paar Feuerräder im Kopfe; er knirschte mit den Zähnen, stampfte mit den Füßen, übergab den armen Salvator, die Witwe, das ganze Haus allen Teufeln der Hölle und stürzte pfeilschnell, wie aus der Mündung einer Kanone geschossen, fort zum Hause hinaus. –

Salvator fiel, da der wütende Paroxysmus des heftigsten Fiebers vorüber, aufs neue in einen todähnlichen Zustand. Frau Caterina glaubte nicht anders, als Salvators Ende sei nun wirklich herangekommen; rannte daher schnell nach dem Kloster und holte den Pater Bonifacio, daß er dem Sterbenden das Sakrament reiche. Als Pater Bonifaz den Kranken erblickte, meinte er, die gar besondern Züge, die der Tod auf des Menschen Antlitz zeichne, wenn er ihn erfassen wolle, kenne er gar gut; bei dem ohnmächtigen Salvator sei zurzeit nichts davon zu spüren und Hilfe noch möglich, die er ihm gleich verschaffen wolle, nur dürfe der Herr Doktor Splendiano Accoramboni mit seinen griechischen Namen und höllischen Flaschen nicht mehr über die Schwelle. Der gute Pater machte sich sogleich auf den Weg, und wir werden erfahren, daß er, was die versprochene Hilfe betraf, Wort hielt. –

Salvator erwachte aus seiner Ohnmacht, und da dünkte es ihm, er läge in einer schönen duftigen Laube, denn über ihm rankten sich grüne Zweige und Blätter. Er fühlte, wie eine wohltätige Lebenswärme ihn durchströmte, nur war es ihm, als sei sein linker Arm gefesselt. – »Wo bin ich?« rief er mit matter Stimme; – da stürzte ein junger Mensch von hübschem Ansehn, der an seinem Bette gestanden, und den er jetzt erst gewahrte, nieder auf die Knie, ergriff seine rechte Hand, küßte sie, benetzte sie mit heißen Tränen, rief ein Mal über das andere: »O mein [334] bester Herr! – mein hoher Meister! – nun ist alles gut – Ihr seid gerettet, Ihr werdet gesunden!« –

»Aber sagt mir nur«, fing Salvator an; – doch der junge Mensch bat ihn, sich ja in seiner großen Mattigkeit nicht durch Reden anzustrengen, er wolle erzählen, wie es sich mit ihm begeben. »Seht,« begann der junge Mensch, »seht, mein lieber hoher Meister, Ihr wart wohl sehr krank, als Ihr von Neapel hier ankamt; aber so zum Tode gefährlich mochte doch wohl Euer Zustand nicht sein, und geringe Mittel angewandt, hätte Euch Eure starke Natur in kurzer Zeit wieder auf die Beine geholfen, wäret Ihr nicht durch Karlos gutgemeintes Ungeschick, der gleich nach dem nächsten Arzte rannte, dem unseligen Pyramiden-Doktor in die Hände geraten, der alle Anstalten machte, Euch unter die Erde zu bringen.«

»Was,« rief Salvator und lachte, so matt wie er war, recht herzlich, »was sagt Ihr? – dem Pyramiden-Doktor? – Ja, ja, trotz meiner Krankheit habe ich es wohl gesehen, der kleine damastne Kerl, der mich zu dem abscheulichen ekelhaften Höllengesöff verdammte, trug den Obelisk vom Petersplatz auf dem Kopfe, und darum heißt Ihr ihn den Pyramiden-Doktor!« –

»O heiliger Gott,« sprach der junge Mensch, indem er ebenfalls laut auflachte, »da ist Euch der Doktor Splendiano Accoramboni in seiner spitzen verhängnisvollen Nachtmütze erschienen, in der er, wie ein unheilbringendes Meteor, jeden Morgen auf dem spanischen Platz zum Fenster hinausleuchtet. Aber dieser Mütze wegen heißt er keinesweges der Pyramiden-Doktor, vielmehr hat es damit eine ganz andere Bewandtnis. – Der Doktor Splendiano ist ein großer Liebhaber von Gemälden und besitzt auch in der Tat eine ganz auserlesene Gemäldesammlung, die er sich durch eine besondere Praktik erworben. Er stellt nämlich den Malern und ihren Krankheiten mit Schlauigkeit und Eifer nach. Vorzüglich fremde Meister, haben sie nur einmal ein paar Maccaroni zuviel gegessen oder ein [335] Glas Syrakuser mehr als dienlich getrunken, weiß er in sein Garn zu locken und hängt ihnen bald diese, bald jene Krankheit an, die er mit einem ungeheuern Namen tauft und darauf los kuriert. Für die Kur läßt er sich ein Gemälde versprechen, das er, da nur besonders hartnäckige Naturen seinen kräftigen Mitteln widerstehen, gewöhnlich aus dem Nachlaß des armen fremden Malers holt, den sie nach der Pyramide des Cestius getragen und eingescharrt. Daß Signor Splendiano dann immer das Beste wählt, was der Maler gefertigt, und dann noch manches andere Bild mitgehen heißt, versteht sich von selbst. Der Begräbnisplatz bei der Pyramide des Cestius ist das Saatfeld des Doktors Splendiano Accoramboni, das er fleißig bestellt, und deshalb wird er der Pyramiden-Doktor genannt. Zum Überfluß hatte Frau Caterina, freilich in guter Absicht, dem Doktor eingebildet, Ihr hättet ein schönes Gemälde mitgebracht, und nun könnt Ihr denken, mit welchem Eifer er für Euch seine Tränke kochte. – Euer Glück, daß Ihr im Fieberparoxysmus dem Doktor seine Flaschen auf den Kopf warft, ein Glück, daß er zornig Euch verließ, ein Glück, daß Frau Caterina den Pater Bonifacio holte, Euch, den sie in Todesnöten glaubte, mit dem Sakrament zu versehen. Pater Bonifacio versteht sich etwas auf die Heilkunde, er beurteilte Euern Zustand ganz richtig, er holte mich.« –

»Also seid Ihr auch ein Doktor?« fragte Salvator mit matter weinerlicher Stimme.

»Nein,« erwiderte der Jüngling, indem ihm hohe Röte ins Gesicht stieg, »nein, mein lieber, hoher Meister, ich bin keinesweges ein Doktor wie Signor Splendiano Accoramboni, aber wohl ein Wundarzt. Ich dachte, ich müsse in die Erde versinken vor Schreck – vor Freude, als Pater Bonifacio mir sagte, Salvator Rosa liege todkrank in der Straße Bergognona und bedürfe meiner Hilfe. Ich eilte her, ich schlug Euch eine Ader am linken Arm; Ihr wart gerettet! Wir brachten Euch hieher in das kühle luftige [336] Zimmer, das Ihr sonst bewohntet. Schaut um Euch, dort steht noch die Staffelei, die Ihr zurückließet; dort liegen noch ein paar Handzeichnungen, die Frau Caterina aufbewahrt hat, wie ein Heiligtum. – Eure Krankheit ist gebrochen; einfache Mittel, die Euch Pater Bonifacio bereitet, und gute Pflege werden Euch bald ganz erkräftigen. – Und nun erlaubt, daß ich noch einmal diese Hand küsse, diese schöpferische Hand, die die verborgensten Geheimnisse der Natur ins rege Leben zaubert! – Erlaubt, daß der arme Antonio Scacciati sein ganzes Herz ausströmen lasse in Entzücken und feurigen Dank, daß der Himmel es ihm verstattete, dem hohen, herrlichen Meister Salvator Rosa das Leben zu retten.« – Und damit stürzte der Jüngling aufs neue nieder auf die Knie, ergriff Salvators Hand, küßte sie und benetzte sie mit heißen Tränen, wie zuvor.

»Ich weiß nicht,« sprach Salvator, indem er sich mühsam etwas in die Höhe richtete, »ich weiß nicht, lieber Antonio, welcher besondere Geist Euch treibt, daß Ihr mir so gar große Verehrung beweiset. Ihr seid, wie Ihr sagt, ein Wundarzt, und dies Gewerbe pflegt sich doch sonst mit der Kunst schwer zu paaren?« –

»Wenn Ihr,« erwiderte der Jüngling mit niedergeschlagenen Augen, »wenn Ihr, mein lieber Meister, wieder mehr bei Kräften seid, so werde ich Euch manches sagen, was mir jetzt schwer auf dem Herzen liegt.« –

»Tut das,« sprach Salvator, »faßt volles Vertrauen zu mir. Ihr könnt das; denn ich wüßte nicht, welches Menschen Anblick mir mehr ins treue Gemüt gedrungen, als der Eurige. – Je mehr ich Euch anschaue, desto klarer geht es mir auf, daß Euer Antlitz Spuren trägt einer Ähnlichkeit mit dem göttlichen Jüngling – ich meine den Sanzio!« – Antonios Augen leuchteten hoch auf in blitzendem Feuer – er schien vergebens nach Worten zu ringen.

In dem Augenblick trat Frau Caterina mit dem Pater Bonifacio herein, der dem Salvator ein Getränk brachte, [337] das er kunstverständig zubereitet, und das dem Kranken besser mundete und bekam, als das acherontische Wasser des Pyramiden-Doktors Splendiano Accoramboni.

Antonio Scacciati kommt durch Salvator Rosas Vermittlung zu hohen Ehren. Er entdeckt die Ursache seiner fortdauernden Betrübnis dem Salvator, der ihn tröstet und zu helfen verspricht

Es kam so, wie Antonio vorausgesagt. Die einfachen, heilbringenden Mittel des Pater Bonifacio, die sorgsame Pflege der guten Frau Caterina und ihrer Töchter, die milde Jahreszeit, die eben eintrat, alles schlug bei dem von Natur kräftigen Salvator so gut an, daß er sich bald gesund genug fühlte, an seine Kunst zu denken, und fürs erste tüchtige Handzeichnungen entwarf, die er künftig auszuführen gedachte.

Antonio verließ beinahe gar nicht Salvators Zimmer, er war ganz Aug', wenn Salvator seine Skizzen entwarf; und sein Urteil über manches zeigte, daß er eingeweiht sein mußte in die Geheimnisse der Kunst.

»Hört,« sprach Salvator eines Tages zu ihm, »hört, Antonio, Ihr versteht Euch so gut auf die Kunst, daß ich glaube, Ihr habt nicht allein vieles mit richtigem Verstande angeschaut, sondern wohl gar selbst den Pinsel in der Hand gehabt.«

»Erinnert,« erwiderte Antonio, »erinnert Euch, mein lieber Meister, daß ich schon damals, als Ihr aus tiefer Ohnmacht zur Genesung erwachtet, Euch sagte, schwer läge manches auf meinem Herzen. Nun ist es wohl an der Zeit, daß ich mein Inneres Euch ganz und gar offenbare!- Seht, so wie ich der Wundarzt Antonio Scacciati bin, der Euch die Ader schlug, so gehöre ich doch ganz und gar der Kunst an, der ich mich nun auch ganz ergeben will, das verhaßte Handwerk beiseite werfend!« –

»Hoho,« rief Salvator, »hoho, Antonio, bedenkt, was Ihr tut. Ihr seid ein geschickter Wundarzt und werdet [338] vielleicht ein stümperhafter Maler werden und bleiben; denn verzeiht, so jung Ihr noch an Jahren sein möget, so seid Ihr doch schon zu alt, um jetzt noch die Kohle zur Hand zu nehmen. Reicht doch kaum ein Menschenalter hin, um nur zu einiger Erkenntnis des Wahrhaftigen – und noch mehr zur praktischen Fähigkeit, es darzustellen, zu gelangen!«-

»Ei,« erwiderte Antonio mild lächelnd, »ei, mein lieber Meister, wie sollte mir der wahnsinnige Gedanke kommen, jetzt mich zur schweren Malerkunst zu wenden, hätt' ich nicht, wie ich nur konnte, schon von Kindesbeinen an die Kunst getrieben, hätt' es nicht der Himmel gewollt, daß ich, durch meines Vaters Starrsinn von allem zurückgehalten, was Kunst heißt, doch in die Nähe berühmter Meister kam. Wißt, daß der große Annibal sich des verlaßnen Knaben annahm, wißt, daß ich mich wohl recht eigentlich Guido Renis Schüler nennen darf.«

»Nun,« sprach Salvator etwas scharf, wie es zuweilen in seiner Art lag, »nun, wackerer Antonio, so habt Ihr ja gar große Lehrer gehabt, und so kann es gar nicht fehlen, daß Ihr, Eurer Wundarzneikunst unbeschadet, auch ein großer Schüler sein müßt. – Nur begreife ich nicht, wie Ihr, ein treuer Anhänger des sanften, zierlichen Guido, den Ihr vielleicht, – die Schüler tun ja das wohl im Enthusiasmus, – in Euern Gemälden noch überzierlicht, wie Ihr da einiges Wohlgefallen an meinen Bildern finden, wie Ihr mich wirklich für einen Meister der Kunst halten könnt.«

Dem Jüngling stieg hohe Glut ins Gesicht bei diesen Worten Salvators, die auch wohl beinahe klangen wie verhöhnender Spott.

»Laßt,« sprach er, »laßt mich jetzt alle Scheu, die sonst mir den Mund verschließt, beiseite setzen, laßt mich alles frei heraussagen, wie ich es in mir trage. – Seht, Salvator, niemals habe ich einen Meister so aus dem tiefsten Grunde meiner Seele verehrt, als eben Euch. Es ist die oft übermenschliche Größe der Gedanken, die ich in Euren Werken [339] anstaune. Ihr erfaßt die tiefsten Geheimnisse der Natur, Ihr erschaut die wunderbaren Hieroglyphen ihrer Felsen, ihrer Bäume, ihrer Wasserfälle, Ihr vernehmt ihre heilige Stimme, Ihr versteht ihre Sprache und habt die Macht, es aufzuschreiben, was sie zu Euch gesprochen. – Ja, ein Aufschreiben möcht' ich Euer keckes, kühnes Malen nennen. – Der Mensch allein mit seinem Treiben genügt Euch nicht, Ihr schaut den Menschen nur in dem Kreise der Natur, und insofern sein innerstes Wesen durch ihre Erscheinungen bedingt ist; deshalb, Salvator, seid Ihr auch nur wahrhaft groß in Euern wunderbar staffierten Landschaften. Das historische Bild setzt Euch Grenzen, die Euern Flug hemmen zum Nachteil der Darstellung –«

»Das,« unterbrach Salvator den Jüngling, »das redet Ihr den neidischen Historienmalern nach, Antonio, die mir die Landschaft hinwerfen, wie einen guten Bissen, an dem ich kauen und ihr eigenes Fleisch verschonen soll! – Ob ich mich wohl auf menschliche Figuren und auf alles, was dem anhängig, verstehe? – Aber das tolle Nachreden –«

»Werdet,« fuhr Antonio fort, »werdet nicht ungehalten, mein lieber Meister, ich rede niemanden etwas blindlings nach, und am wenigsten darf ich jetzt dem Urteil unserer Meister hier in Rom trauen! – Wer wird die kühne Zeichnung, den wunderbaren Ausdruck, vorzüglich aber die lebendige Bewegung Eurer Figuren nicht hoch bewundern! – Man merkt es, daß Ihr nicht nach dem steifen, ungelenken Modell oder gar nach der toten Gliederpuppe arbeitet; man merkt es, daß Ihr selbst Euer reges lebendiges Modell seid, indem Ihr, wann Ihr zeichnet oder malt, vor einem großen Spiegel die Figur darstellt, die Ihr auf die Leinwand zu bringen im Sinne habt!« –

»Der Tausend! Antonio,« rief Salvator lachend, »ich glaube, Ihr habt schon öfters, ohne daß ich es eben gewahr worden, in meine Werkstatt geguckt, da Ihr so genau wisset, wie es darin hergeht?« –

»Könnte das nicht sein?« erwiderte Antonio, »doch laßt [340] mich weiter sprechen! – Die Bilder, die Euch Euer mächtiger Geist eingibt, möcht' ich gar nicht so ängstlich in ein Fach stellen, wie die pedantischen Meister zu tun sich mühen. In der Tat, was man gewöhnlich Landschaft nennt, paßt schlecht auf Eure Gemälde, die ich lieber historische Darstellungen im tiefern Sinne nennen möchte. Scheint oft dieser, jener Felsen, dieser, jener Baum wie ein riesiger Mensch mit ernstem Blick uns anzuschauen, so gleicht diese, jene Gruppe seltsam gekleideter Menschen wiederum einem wunderbaren, lebendig gewordnen Gestein; die ganze Natur, im harmonischen Einklang sich regend, spricht den erhabenen Gedanken aus, der in Euch aufglühte. So hab' ich Eure Gemälde betrachtet, und auf diese Weise verdanke ich ihnen, Euch, mein hoher, herrlicher Meister, allein das tiefere Verständnis der Kunst. – Glaubt deshalb nicht, daß ich in kindische Nachahmerei verfallen. – So sehr ich mir die Freiheit, die Keckheit Eures Pinsels wünsche, so muß ich doch gestehen, daß mir die Färbung in der Natur anders erscheint, als ich sie auf Euern Gemälden erblicke. Ist es, meine ich, auch der Praktik wegen, dem Schüler heilsam, den Stil dieses oder jenes Meisters nachzuahmen, so muß er, steht er nur einigermaßen auf eigenen Füßen, doch darnach ringen, die Natur so darzustellen, wie er sie erschaut! – Dieses wahrhafte Schauen, diese Einigkeit mit sich selbst kann ja nur allein Charakter und Wahrheit erzeugen. – Guido war dieser Meinung, und der unruhige Preti, den sie, wie Euch bekannt ist, den Kalabrese nennen, ein Maler, der gewiß wie kein andrer über seine Kunst nachgedacht hat, warnte mich ebenso vor aller Nachahmerei! – Nun wißt Ihr, Salvator, warum ich Euch so überaus verehre, ohne Euer Nachahmer zu sein.« –

Salvator hatte dem Jüngling, während er sprach, starr in die Augen geschaut, jetzt riß er ihn stürmisch an die Brust.

»Antonio,« sprach er dann, »Ihr habt in diesem Augenblick [341] gar weise tiefsinnige Worte gesagt – So jung Ihr an Jahren seid, so möget Ihr es doch, was das wahre Verständnis der Kunst betrifft, manchem von unsern alten, hochgepriesenen Meistern zuvortun, die viel Abenteuerliches von ihrem Malen faseln, ohne jemals der Sache auf den Grund zu kommen. Wahrhaftig! als Ihr von meinen Bildern spracht, war es, als würde ich mir selbst erst recht klar, und daß Ihr meinen Stil nicht nachahmt, daß Ihr nicht, wie manche andere, den schwarzen Farbentopf zur Hand nehmt, grelle Lichter aufsetzet oder gar ein paar verkrüppelte Gestalten mit abscheulichen Gesichtern aus der kotigen Erde herausgucken laßt und dann meint, der Salvator sei fertig: eben darum schätze ich Euch gar hoch – Wie Ihr da seid, habt Ihr an mir den treusten Freund gefunden! – Ich gebe mich Euch hin mit ganzer Seele!« –

Antonio war außer sich vor Freude über das Wohlwollen, das ihm der Meister so mit aller Gemütlichkeit bezeugte. Salvator äußerte lebhaftes Verlangen, Antonios Bilder zu sehen. Antonio führte ihn zur Stelle in seine Werkstatt.

Nicht Geringes hatte Salvator von dem Jünglinge erwartet, der so verständig über die Kunst gesprochen, in dem ein besonderer Geist sich zu regen schien; und doch wurde der Meister durch Antonios reiche Bilder gar höchlich überrascht. Er fand überall kühne Gedanken, korrekte Zeichnung, und das frische Kolorit, der große Geschmack in dem breiten Faltenwurf, die ungemeine Zierlichkeit der Extremitäten, die hohe Anmut der Köpfe zeigte den würdigen Schüler des großen Reni, wiewohl das Bestreben Antonios, nicht, wie jenes Meisters, der das wohl zu tun pflegte, den Ausdruck der Schönheit zu opfern, oft zu sichtlich hervortrat. Man sah, Antonio rang nach Annibals Stärke, ohne sie zurzeit erreichen zu können.

In ernstem Schweigen hatte Salvator jedes von Antonios Gemälden lange Zeit hindurch betrachtet, dann sprach [342] er: »Hört, Antonio, es ist wohl nun nicht anders, Ihr seid recht eigentlich für die edle Malerkunst geboren. Denn nicht allein, daß die Natur Euch den schöpferischen Geist gegeben hat, der in unversiegbarem Reichtum die herrlichsten Gedanken entflammt, sie verlieh Euch auch das seltene Talent, das in kurzer Zeit die Schwierigkeiten der Praktik überwindet. – Ich würde lügenhaft schmeicheln, wenn ich Euch sagen sollte, daß Ihr jetzt schon Eure Meister, daß Ihr Guidos wunderbare Anmut, daß Ihr Annibals Stärke erreicht habt; aber gewiß ist es, daß Ihr unsere Meister, die sich hier in der Akademie San Luca so brüsten, den Tiarini, den Gessi, den Sementa und wie sie alle heißen, ja selbst den Lanfranco nicht ausgenommen, der nur auf Kalk zu malen versteht, weit übertrefft. – Und doch, Antonio! und doch würde ich mich, wär' ich an Eurer Stelle, besinnen, ob ich die Lanzette ganz und gar wegwerfen und den Pinsel allein zur Hand nehmen solle! – Das klingt sonderbar, aber hört mich an! – Es ist jetzt in der Kunst eine böse Zeit eingetreten, oder vielmehr, der Teufel scheint geschäftig zu sein unter unsern Meistern und sie wacker zu hetzen! – Seid Ihr nicht darauf gefaßt, Kränkungen jeder Art zu erfahren, je höher Ihr in der Kunst steigt, desto mehr Hohn und Verachtung zu leiden, überall, sowie Euer Ruhm sich verbreitet, auf hämische Bösewichter zu stoßen, die mit freundlicher Miene sich an Euch drängen, um Euch desto sicherer zu verderben, seid Ihr, sage ich, auf alles das nicht gefaßt, so bleibt weg von der Malerei! – Denkt an das Schicksal Eures Lehrers, des großen Annibal, den ein schurkischer Haufe von Kunstgenossen in Neapel tückisch verfolgte, so daß er kein einziges großes Werk auszuführen bekam, sondern überall mit Verachtung abgewiesen wurde, was ihm denn den frühen Tod zuzog! – Denkt doch nur daran, wie es unserm Dominichino erging, als er die Kuppel in der Kapelle des heiligen Januars malte. Bestachen nicht die Bösewichter von Malern – ich will [343] nun eben keinen nennen, auch nicht den Schurken Belisario und den Ribera! – bestachen die nicht Dominichinos Diener, daß er Asche unter den Kalk werfen solle? Sc konnte das Bewerfen der Mauer nicht binden und die Malerei keinen Bestand haben. – Denkt an das alles und prüft Euch wohl, ob Euer Gemüt stark genug ist, dergleichen zu ertragen, denn sonst wird Eure Kraft gebrochen, und mit dem festen Mut, zu schaffen, geht auch die Fähigkeit dazu verloren!« –

»Ach, Salvator,« erwiderte Antonio, »es ist wohl kaum möglich, daß ich, habe ich mich dann ganz und gar zu den Malern geschlagen, mehr Hohn und Verachtung erdulden kann, als es jetzt schon geschehen ist, da ich noch Wundarzt bin. – Ihr habt Wohlgefallen gefunden an meinen Gemälden, ja, Ihr habt es, und doch wohl aus innerer Überzeugung ausgesprochen, daß ich Tüchtigeres zu schaffen vermag, als manche von unsern Lucanern; und doch sind es eben diese, die über alles, was ich mit großem Fleiß hervorgebracht, die Nase rümpfen und verächtlich sprechen: ›Seht doch, der Wundarzt will malen!‹ – Eben darum steht aber mein Entschluß fest, mich von einem Gewerbe ganz zu trennen, das mir mit jedem Tage verhaßter wird! – Auf Euch, mein würdiger Meister, habe ich aber nun meine ganze Hoffnung gestellt! – Euer Wort gilt viel, Ihr könnt, wollt Ihr für mich sprechen, mit einemmal meine neidischen Verfolger zu Boden schlagen, Ihr könnt mich hinstellen an den Platz, wo ich hingehöre!« –

»Ihr habt,« erwiderte Salvator, »Ihr habt viel Vertrauen zu mir; aber, nachdem wir uns so recht über unsere Kunst verständigt, nachdem ich Eure Werke gesehen, wüßte ich auch in der Tat nicht, für wen ich lieber mit aller meiner Kraft in den Kampf gehen sollte, als eben für Euch!« –

Salvator betrachtete noch einmal Antonios Gemälde und blieb vor einem stehen, das eine Magdalena zu des [344] Heilands Füßen darstellte, und das er ganz besonders pries.

»Ihr seid«, sprach er, »von der gewöhnlichen Art, wie man diese Magdalena darstellt, abgewichen. Eure Magdalena ist nicht die ernste Jungfrau, sondern mehr ein unbefangenes, liebliches Kind, aber ein so wunderbares, wie es Guido nur hätte schaffen können. – Es liegt ein besonderer Zauber in der holden Gestalt; Ihr habt mit Begeisterung gemalt, und irr' ich nicht, so lebt das Original dieser Magdalena und ist hier in Rom zu finden – Gesteht es, Antonio! – Ihr seid in Liebe!« – Antonio schlug den Blick zu Boden und sprach leise und schüchtern: »Eurem Scharfblick entgeht nichts, mein lieber Meister, es mag wohl so sein, wie Ihr saget; aber tadelt mich nicht darum. – Jenes Bild halt' ich am höchsten, und ich habe es wie ein heiliges Geheimnis zurzeit verborgen gehalten vor jedermanns Auge.«

»Was sagt Ihr,« unterbrach Salvator den Jüngling, »niemand von den Malern hat Euer Bild geschaut?«

»So ist es«, erwiderte Antonio.

»Nun,« fuhr Salvator fort, indem ihm die Augen vor Freude blitzten, »nun, Antonio, so seid gewiß, daß ich Eure neidischen, hochmütigen Verfolger zu Boden schlage und Euch zu verdienten Ehren bringe. Vertraut mir Euer Bild an, schafft es zur Nachtzeit heimlich in meine Wohnung, und für das übrige laßt mich dann sorgen. – Wollt Ihr das tun?«

»Mit tausend Freuden«, erwiderte Antonio. »Ach, ich möchte nun auch gleich von dem Ungemach meiner Liebe zu Euch reden; aber es ist mir so, als wenn ich das nun gerade heute, da in der Kunst unser Inneres sich gegenseitig erschlossen, nicht dürfe. Künftig flehe ich Euch wohl an, auch was meine Liebe betrifft, mir beizustehen mit Rat und Tat –«

»Mit beidem«, sprach Salvator, »stehe ich Euch zu Diensten, wo und wenn es not tut!«. – Im Davonschreiten [345] wandte sich Salvator noch einmal um und sprach lächelnd: »Hört, Antonio, als Ihr mir entdecktet, daß Ihr ein Maler wäret, da fiel es mir schwer aufs Herz, daß ich von Eurer Ähnlichkeit mit dem Sanzio gesprochen. Ich glaubte schon, Ihr könntet so faselig tun, wie manche von unsern jungen Leuten, die, tragen sie eine flüchtige Ähnlichkeit mit diesem, jenem großen Meister im Gesicht, sich sogleich den Bart so stutzen oder die Haare, wie der es tat, und darin den Beruf finden, jenes Meisters Manier auch in der Kunst nachzuahmen, widerstrebt dem gleich ihre Natur! – Wir haben beide den Namen Raffael nicht genannt, aber glaubt mir, in Euern Bildern habe ich die deutliche Spur gefunden, wie der ganze Himmel der göttlichen Gedanken in den Werken des größten Malers der Zeit Euch aufgegangen! – Ihr versteht den Raffael, Ihr werdet mir nicht so antworten, wie der Velasquez, den ich neulich fragte, was er von dem Sanzio halte. Tizian, erwiderte er mir, sei der größte Maler, Raffael wisse nichts von der Karnation. – In diesem Spanier ist das Fleisch, aber nicht das Wort; und doch erheben sie ihn in San Luca bis in den Himmel, weil er einmal Kirschen gemalt, die die Spatzen angepickt!« – –

Es begab sich, daß nach einigen Tagen die Akademisten von San Luca sich in ihrer Kirche versammelten, um über die Werke der Maler, die sich zur Aufnahme gemeldet, zu urteilen. Dort hatte Salvator das schöne Bild Scacciatis aufstellen lassen. Unwillkürlich wurden die Maler von der Stärke und Anmut des Gemäldes hingerissen, und von allen Lippen ertönte das ungemessenste Lob, als Salvator versicherte, daß er das Bild aus Neapel mitgebracht, als den Nachlaß eines jungen, früh verstorbenen Malers. –

Wenige Zeit dauerte es, so strömte ganz Rom hin, das Gemälde des jungen, unbekannt verstorbenen Malers zu bewundern; man war darüber einig, daß seit Guido Renis Zeiten ein solches Bild nicht geschaffen worden, ja, man ging im gerechten Enthusiasmus so weit, die wunderliebliche [346] Magdalena noch über Guidos Schöpfungen der Art zu stellen. – Unter der Menge von Menschen, die immer vor Scacciatis Gemälde versammelt, bemerkte Salvator eines Tages einen Mann, der bei seinem übrigens gar besonderen Ansehen sich wie närrisch gebärdete. Er war hoch in den Jahren, groß, dürr wie eine Spindel, bleichen Angesichts, mit langer spitzer Nase, mit ebenso langem Kinn, das überdies in einen kleinen Bart sich zuspitzte, und grauen, blitzenden Augen. Auf die dicke, hellblonde Perücke hatte er einen hohen Hut mit einer stattlichen Feder gesetzt, er trug ein kleines, dunkelrotes Mäntelchen mit vielen blanken Knöpfen, ein himmelblaues, spanisch geschlitztes Wams, große, mit silbernen Frangen besetzte Stülphandschuhe, einen langen Stoßdegen an der Seite, hellgraue Strümpfe über die spitzen Knie gezogen und mit gelben Bändern gebunden, und ebensolche gelbe Bandschleifen auf den Schuhen.

Diese seltsame Figur stand nun wie entzückt vor dem Bilde, erhob sich auf den Zehen, duckte sich ganz klein nieder – hüpfte dann mit beiden Beinen zugleich auf – stöhnte – ächzte – kniff die Augen fest zu, daß die Tränen hervorperlten, riß sie dann wieder weit auf, schaute unverwandt hin nach der lieblichen Magdalena, seufzte, lispelte mit feiner, klagender Kastraten-Stimme: »Ah carissima – benedettissima – ah Marianna – Mariannina – bellissima« etc. Salvator, auf solche Figuren besonders erpicht, drängte sich zu dem Alten, wollte sich mit ihm in ein Gespräch einlassen über Scacciatis Bild, das ihn so zu entzücken schien. Ohne sonderlich auf Salvator zu achten, verfluchte aber der Alte seine Armut, die ihm nicht erlaube, das Bild für eine Million zu erstehen und zu verschließen, damit nur kein anderer seine satanischen Blicke darauf richte. Und dann hüpfte er wieder auf und nieder und dankte der Jungfrau und allen Heiligen, daß der verruchte Maler tot sei, der das himmlische Bild gemalt, das ihn in Verzweiflung und Raserei stürze. [347] Salvator schloß, der Mann müsse wahnsinnig oder ein ihm unbekannter Akademist von San Luca sein. –

Ganz Rom war erfüllt von dem wunderbaren Gemälde Scacciatis; es war kaum von etwas anderm die Rede, und dies mußte wohl schon zur Gnüge die Vortrefflichkeit des Werkes beweisen. Als nun die Maler aufs neue in der Kirche des heiligen Lucas versammelt waren, um über die Aufnahme verschiedener, die sich dazu gemeldet, zu entscheiden, fragte Salvator Rosa plötzlich, ob nicht der Maler, dessen Werk die Magdalena zu des Heilands Füßen, würdig gewesen, in die Akademie aufgenommen zu werden. Alle Maler, selbst den über die Gebühr kritischen Ritter Josepin nicht ausgenommen, versicherten einstimmig, daß solch ein hoher Meister eine Zierde der Akademie gewesen sein würde, und bedauerten in den ausgesuchtesten Redensarten seinen Tod, wiewohl sie ebensogut, als jener tolle Alte, im Herzen den Himmel dafür priesen. – Ja, sie gingen in ihrem Enthusiasmus so weit, daß sie beschlossen, den vortrefflichen Jüngling, den der Tod zu früh der Kunst entrissen, noch im Grabe zum Akademiker zu ernennen und zum Heil seiner Seele Messen lesen zu lassen in der Kirche des heiligen Lucas. Sie erbaten sich daher von dem Salvator den vollständigen Namen des Verstorbenen, sein Geburtsjahr, den Ort seiner Herkunft u.s.w.

Da erhob sich Salvator Rosa und sprach mit lauter Stimme: »Ei, ihr Herren, die Ehre, die ihr einem Toten im Grabe erweisen wollet, könnet ihr besser einem Lebendigen zuwenden, der unter euch wandelt. – Wißt, die Magdalena zu des Heilands Füßen, das Gemälde, das ihr mit Recht so hoch, so über alle Malereien stellt, die die neueste Zeit hervorgebracht hat, es ist nicht das Werk eines neapolitanischen Malers, der schon verstorben, wie ich vorgab, damit euer Urteil unbefangen sein möchte – jenes Gemälde, das Meisterwerk, welches ganz Rom bewundert, ist von der Hand Antonio Scacciatis, des Wundarztes!« –[348] Stumm und starr, wie von jähem Blitz getroffen, schauten die Maler den Salvator an. Der weidete sich einige Augenblicke an ihrer Verlegenheit und fuhr dann fort: »Nun, ihr Herren, ihr habt den wackern Antonio nicht unter euch dulden wollen, weil er ein Wundarzt ist, nun mein' ich aber, ein Wundarzt täte der erhabenen Akademie von San Luca eben recht not, um den verkrüppelten Figuren, wie sie aus der Werkstatt von manchen eurer Maler hervorgehen, die Glieder einzurenken! – Jetzt werdet ihr aber wohl nicht länger anstehen, zu tun, was ihr längst hättet tun sollen, nämlich den tüchtigen Maler Antonio Scacciati aufnehmen in die Akademie San Luca.«

Die Akademiker verschluckten Salvators bittere Pille, stellten sich hoch erfreut, daß Antonio sein Talent auf solch entscheidende Weise beurkundet, und ernannten ihn mit vielem Gepränge zum Mitgliede der Akademie.

Kaum ward es in Rom bekannt, daß Antonio das wunderbare Bild geschaffen, als ihm von allen Seiten Lobeserhebungen, ja Anerbieten, große Werke zu unternehmen, zuströmten. So wurde nun der Jüngling durch Salvators kluge, listige Handlungsweise auf einmal aus dem Dunkel hervorgezogen und kam im Augenblick, als er seine eigentliche Künstlerlaufbahn beginnen wollte, zu hohen Ehren.

Antonio schwamm in Seligkeit und Wonne. Desto mehr nahm es den Salvator wunder, als, da einige Tage vergangen, der Jüngling bei ihm sich einfand, bleich, entstellt, ganz Gram und Verzweiflung. »Ach, Salvator,« sprach Antonio, »was hilft es mir nun, daß Ihr mich emporgebracht habt, wie ich es gar nicht ahnen konnte, daß ich überhäuft werde mit Lob und Ehre, daß die Aussicht des herrlichsten Künstlerlebens sich mir geöffnet, da ich doch grenzenlos elend bin, da eben das Bild, dem ich nächst Euch, mein lieber Meister, meinen Sieg verdanke, mein Unglück rettungslos entschieden hat!«

»Still,« erwiderte Salvator, »versündigt Euch nicht an der Kunst und an Euerm Bilde! An das entsetzliche [349] Unglück, das Euch betroffen, glaube ich ganz und gar nicht. Ihr seid in Liebe, und da mag sich denn nicht gleich alles Euern Wünschen fügen wollen: das wird alles sein. Verliebte sind wie die Kinder, die gleich weinen und schreien, wenn man nur ihr Püppchen berührt. Laßt, ich bitt' Euch, laßt das Lamentieren, ich kann es durchaus nicht leiden. Dort setzt Euch hin und erzählt mir ruhig, wie es sich verhält mit Eurer holden Magdalena, mit Eurer Liebesgeschichte überhaupt, und wo die Steine des Anstoßes liegen, die wir wegräumen müssen, denn ich sage Euch im voraus meine Hilfe zu. Je abenteuerlicher die Dinge sind, die wir unternehmen müssen, desto lieber ist es mir. – In der Tat, das Blut wallt wieder rasch in meinen Adern, und meine Diät will es, daß ich einige tolle Streiche unternehme. – Aber nun erzählt, Antonio! und, wie gesagt, fein ruhig ohne O – Ach und Weh!« –

Antonio nahm Platz in dem Sessel, den ihm Salvator an die Staffelei, an der er arbeitete, hingeschoben, und begann in folgender Art:

»In der Straße Ripetta, in dem hohen Hause, dessen weit vorstehenden Balkon man gleich erblickt, wenn man durch die Porta del Popolo tritt, wohnt der närrischste Kauz, den es vielleicht in ganz Rom gibt. Ein alter Hagestolz, alle Gebrechen seines Standes in sich tragend, geizig, eitel, den Jüngling spielend, verliebt, geckenhaft! – Er ist groß, dürr wie eine Gerte, geht in buntscheckig spanischer Tracht, mit blonder Perücke, spitzem Hute, Stülphandschuhen, Stoßdegen an der Seite –«

»Halt, halt,« rief Salvator, den Jüngling unterbrechend, »erlaubt einige Augenblicke, Antonio!« – Und damit drehte er das Bild, an dem er eben malte, um, nahm die Kohle zur Hand und zeichnete auf die Kehrseite mit einigen kecken Strichen den seltsamen alten Mann hin, der sich vor Antonios Gemälde so närrisch gebärdete.

»Bei allen Heiligen,« schrie Antonio, indem er auf sprang vom Stuhl und, seiner Verzweiflung unbeschadet, hell [350] auflachte, »bei allen Heiligen, das ist er, das ist Signor Pasquale Capuzzi, von dem ich eben spreche, wie er leibt und lebt!« –

»Nun seht Ihr wohl,« sprach Salvator ruhig, »ich kenne schon den Patron, der höchstwahrscheinlich Euer arger Widersacher ist; doch fahrt nur fort.«

»Signor Pasquale Capuzzi«, sprach Antonio weiter, »ist steinreich, dabei, wie ich schon sagte, schmutziger Geizhals und ein ausgemachter Geck. Das Beste an ihm ist noch, daß er die Künste liebt, vorzüglich Musik und Malerei; aber es läuft dabei so viel Narrheit mit unter, daß auch in dieser Hinsicht mit ihm gar nicht auszukommen ist. Er hält sich für den größten Komponisten der Welt und für einen Sänger, wie er in der päpstlichen Kapelle gar nicht zu finden. Deshalb sieht er unsern alten Frescobaldi nur über die Schultern an und meint, wenn die Römer von dem wunderbaren Zauber sprechen, der in Ceccarellis Stimme liege, Ceccarelli verstehe vom Gesange soviel wie ein Reitstiefel, und er, Capuzzi, wisse wohl, wie man die Leute zu bezaubern vermöge. Weil aber der erste Sänger des Papstes den stolzen Namen Odoardo Ceccarelli di Merania führt, so hört es unser Capuzzi gern, wenn man ihn Signor Pasquale Capuzzi di Senigaglia heißt. Denn in Senigaglia, und zwar, wie die Leute sagen, auf einem Fischerkahn, jäh erschreckt durch einen auftauchenden Seehund, gebar ihn seine Mutter, weshalb viel Seehündisches in seine Natur gekommen. In frühern Jahren brachte er eine Oper aufs Theater, die jämmerlich ausgepfiffen wurde, das hat ihn aber nicht geheilt von seiner Sucht, abscheuliche Musik zu machen; vielmehr schwur er, als er Francesco Cavallis Oper ›Le Nozze di Teti e di Peleo‹ gehört, der Kapellmeister habe die sublimsten Gedanken aus seinen unsterblichen Werken entlehnt, worüber er beinahe Prügel oder gar Messerstiche bekommen. Noch ist er wie besessen darauf, Arien zu singen und dazu eine arme schwindsüchtige Chitarre abzumartern, daß sie zu seinem [351] abscheulichen Gequarre stöhnen und ächzen muß. Sein treuer Pylades ist ein mißratener zwergharter Kastrat, den die Römer Pitichinaccio nennen. Zu den beiden gesellt sich – denkt Euch wer! – Nun! kein andrer, als der Pyramiden-Doktor, der Töne von sich gibt wie ein melancholischer Esel und dennoch meint, er sänge einen vortrefflichen Baß, trotz dem Martinelli in der päpstlichen Kapelle. Die drei würdigen Leute kommen nun zusammen abends und stellen sich hin auf den Balkon und singen die Motetten von Carissimi, daß alle Hunde und Katzen in der ganzen Nachbarschaft in ein lautes Jammergeschrei ausbrechen, und die Menschen das höllische Trio zu allen tausend Teufeln wünschen.

Bei diesem närrischen Signor Pasquale Capuzzi, den Ihr aus meiner Schilderung hinlänglich kennen gelernt haben werdet, ging nun mein Vater aus und ein, weil er ihm Perücke und Bart zustutzte. Als mein Vater gestorben, übernahm ich das Geschäft, und Capuzzi war gar sehr mit mir zufrieden, einmal, weil er behauptete, ich verstehe wie kein andrer, seinem Zwickelbart unter der Nase einen kühnen Schwung aufwärts zu geben, dann aber wohl, weil ich mit den elenden paar Quattrinos zufrieden war, die er mir für meine Mühe gab. Doch glaubte er mich überreich zu belohnen, weil er mir jedesmal, wenn ich ihm seinen Bart gestutzt, mit fest zugedrückten Augen eine Arie von seiner Komposition vorkrähte, die mir die Ohren zerriß, wiewohl mir die tollen Gebärden des Alten viel Spaß machten, weshalb ich auch immer wieder hinging. – Eines Tages steige ich ganz ruhig die Treppen herauf, klopfe an die Tür, öffne sie – da tritt mir ein Mädchen – ein Engel des Lichts entgegen! – Ihr kennt meine Magdalena! – sie war es! – Erstarrt, fest in den Boden gewurzelt, bleibe ich stehen. – Nein, Salvator! – Ihr möget kein O und Ach! – Genug, sowie ich die wunderlieblichste der Jungfrauen schaute, ergriff mich die heißeste, glühendste Liebe. Der Alte sagte mir schmunzelnd, das Mädchen sei [352] die Tochter seines Bruders Pietro, der in Senigaglia gestorben, heiße Marianna, sei mutter- und geschwisterlos; als Onkel und Vormund habe er sie daher zu sich ins Haus genommen. Ihr könnt denken, daß von nun an Capuzzis Haus mein Paradies war. Ich mocht' es anstellen, wie ich wollte, nie glückte es mir, mit Marianna auch nur einen Augenblick allein zu sein. Doch ihre Blicke, mancher verstohlne Seufzer, ja mancher Händedruck ließen mich mein Glück nicht bezweifeln. – Der Alte erriet mich, und das konnte ihm wohl nicht schwerfallen. Er meinte, mein Betragen gegen seine Nichte gefiele ihm ganz und gar nicht, und fragte, was ich denn eigentlich wolle. – Offen gestand ich ihm, daß ich Marianna mit voller Seele liebe und kein höheres Glück auf Erden kenne, als mich mit ihr zu verbinden. Da maß mich Capuzzi von oben bis unten, brach dann in ein höhnisches Gelächter aus und meinte, er habe gar nicht geglaubt, daß in dem Kopf eines armseligen Bartkratzers solche hohe Ideen spuken könnten. Der Zorn wollte in mir überwallen, ich sagte, er wisse wohl, daß ich kein armseliger Bartkratzer, vielmehr ein tüchtiger Wundarzt und überdem, was die herrliche Malerkunst betreffe, ein treuer Schüler des großen Annibal Caracci, des unübertroffenen Guido Reni sei. Noch in ein stärkeres Gelächter brach nun der niederträchtige Capuzzi aus und quiekte in seinem scheußlichen Falsett: ›Ei, mein süßer Signor Bartkratzer, mein vortrefflicher Signor Wundarzt, mein holdseliger Annibal Caracci, mein geliebtester Guido Reni, schert Euch zu allen Teufeln und laßt Euch hier nicht mehr sehen, wenn Ihr mit gesunden Beinen davonkommen wollt!‹ – Damit packte mich der alte wahnsinnige Knickebein und hatte nichts Geringeres im Sinn, als mich zur Türe hinaus, die Treppe hinabzuwerfen. – Nein! das war nicht zu dulden! – Wütend faßte ich den Alten, stülpte ihn um, daß er, laut aufkreischend, die Beine in die Höhe streckte, rannte die Treppe hinab, zur Türe hinaus, die nun freilich für mich verschlossen blieb.

[353] So standen die Sachen, als Ihr nach Rom kamt, und als der Himmel dem guten Pater Bonifacio es eingab, mich zu Euch zu führen. – Nun da durch Eure Geschicklichkeit das gelungen, wornach ich vergebens getrachtet hätte, als die Akademie von San Luca mich aufgenommen, als ganz Rom mir Lob und Ehre in überreichem Maß gespendet hatte, ging ich geradesweges zum Alten und stand plötzlich vor ihm in seinem Zimmer, wie ein bedrohliches Gespenst. – So mußte ich ihm nämlich vorkommen, denn er wurde leichenblaß und zog sich zurück, an allen Gliedern zitternd, hinter einen großen Tisch. Mit ernstem, festen Ton hielt ich ihm nun vor, daß es jetzt keinen Bartkratzer und Wundarzt, wohl aber einen berühmten Maler und Akademiker von San Luca, Antonio Scacciati gebe, dem er die Hand seiner Nichte Marianna nicht verweigern werde. Da hättet Ihr die Wut sehen sollen, in die der Alte geriet. Er heulte, er schlug mit den Armen um sich, wie vom Teufel besessen; er schrie, ich trachte, ein ruchloser Mörder, nach seinem Leben, ich habe ihm seine Marianna gestohlen, da ich sie in dem Gemälde abkonterfeit, das ihn in Raserei und Verzweiflung stürze, da nun alle Welt – alle Welt seine Marianna – sein Leben – seine Hoffnung – sein Alles mit gierigen, lüsternen Blicken anschaue; – aber ich solle mich hüten, das Haus über den Kopf wolle er mir anzünden, damit ich verbrenne samt meinem Gemälde. – Und damit fing er so übermäßig an zu schreien: ›Feuer – Mörder – Diebe – Hilfe‹ – daß ich, ganz bestürzt, nur eilte, um aus dem Hause zu kommen. –

Der alte, wahnsinnige Capuzzi ist bis über die Ohren verliebt in seine Nichte, er schließt sie ein, er wird, gelingt es ihm, Dispensation zu bekommen, sie zu der abscheulichsten Verbindung zwingen. – Alle Hoffnung ist verloren.« –

»Warum nicht gar,« sprach Salvator lachend, »ich meine vielmehr, daß Eure Sachen gar nicht besser stehen können! – Marianna liebt Euch, davon seid Ihr überzeugt, [354] und es kommt nur darauf an, sie dem alten, tollen Signor Pasquale Capuzzi zu entreißen. Nun wüßt' ich aber doch in der Tat nicht, warum ein paar unternehmende rüstige Leute, wie wir, das nicht bewerkstelligen sollten! – Faßt Mut, Antonio! statt zu klagen, statt liebeskrank zu seufzen und zu ohnmächteln, ist es besser, emsig zu sinnen auf Mariannas Rettung. – Gebt acht, Antonio, wie wir den alten Geck bei der Nase herumführen wollen: das Tollste ist mir kaum toll genug bei derlei Unternehmungen! – Gleich auf der Stelle will ich sehen, wie ich mehr über den Alten und über seine ganze Lebensweise erfahre. Ihr dürft Euch dabei nicht blicken lassen, Antonio; geht nur fein nach Hause und kommt morgen in aller Frühe zu mir, damit wir den Plan zum ersten Angriff überlegen.«

Damit schnickte Salvator den Pinsel aus, warf den Mantel um und eilte nach dem Korso, während Antonio, getröstet, lebensfrische Hoffnung in der Brust, sich, wie ihm Salvator geheißen, in seine Wohnung begab.

Signor Pasquale Capuzzi erscheint in Salvator Rosas Wohnung. Was sich dabei begibt. Listiger Streich, den Rosa und Scacciati ausführen, und dessen Folgen

Antonio verwunderte sich nicht wenig, als am andern Morgen Salvator ihm auf das genaueste Capuzzis ganze Lebensweise beschrieb, die er indessen erforscht. »Die arme Marianna«, sprach Salvator, »wird von dem wahnsinnigen Alten auf höllische Weise gequält. Er seufzt und liebelt den ganzen Tag, und was das ärgste, singt, um ihr Herz zu rühren, ihr alle mögliche verliebte Arien vor, die er jemals komponiert hat oder komponieren wollen. Dabei ist er so bis zur Tollheit eifersüchtig, daß er dem bedauernswerten Mädchen sogar nicht einmal die gewöhnliche weibliche Bedienung verstattet, aus Furcht vor Liebesintrigen, zu denen die Zofe vielleicht verleitet werden könnte. Statt dessen erscheint jeden Morgen und jeden Abend ein kleines scheußliches Gespenst mit hohlen Augen [355] und bleichen, schlotternden Wangen, das Zofendienste bei der holden Marianna verrichtet. Und dies Gespenst ist niemand anders, als der winzige Däumling, der Pitichinaccio, der sich in Weiberkleider werfen muß. Ist Capuzzi abwesend, so verschließt und verriegelt er sorgfältig alle Türen, und außerdem hält ein verfluchter Kerl Wache, der ehemals ein Bravo, dann aber Sbirre war, und der unten in Capuzzis Hause wohnt. In seine Wohnung einzudringen, scheint daher unmöglich, und doch verspreche ich Euch, Antonio, daß Ihr schon in künftiger Nacht bei Capuzzi im Zimmer sein und Eure Marianna schauen sollt, wiewohl für diesmal nur in Capuzzis Gegenwart –«

»Was sagt Ihr,« rief Antonio ganz begeistert, »was sagt Ihr, Salvator, in künftiger Nacht sollte geschehen, was mir unmöglich dünkt?« –

»Still,« fuhr Salvator fort, »still, Antonio, laßt uns ruhig überlegen, wie wir den Plan mit Sicherheit ausführen, den ich entworfen! – Fürs erste muß ich Euch sagen, daß ich mit dem Signor Pasquale Capuzzi in Verbindung stehe, ohne daß ich es wußte. Jenes erbärmliche Spinett, das dort im Winkel steht, gehört dem Alten, und ich soll ihm den ungeheuern Preis von zehn Dukaten dafür bezahlen. – Als ich gesund geworden, sehnte ich mich nach der Musik, die mir Trost und Labsal ist; ich bat meine Wirtin, mir solch ein Instrument, wie das Spinett dort, zu besorgen. Frau Caterina mitteile gleich aus, daß in der Straße Ripetta ein alter Herr wohne, der ein schönes Spinett verkaufen wolle. Das Instrument wurde hergeschafft. Ich kümmerte mich weder um den Preis noch um den Besitzer. Erst gestern abend erfuhr ich ganz zufällig, daß es der ehrliche Signor Capuzzi sei, der mich mit seinem alten, gebrechlichen Spinett zu prellen beschlossen. Frau Caterina hatte sich an eine Bekannte gewendet, die im Hause des Capuzzi, und noch dazu in demselben Stockwerk wohnt, und nun könnt Ihr Euch wohl denken, wo ich alle meine schöne Nachrichten her habe!« –

[356] »Ha!« rief Antonio, »so ist der Zugang gefunden, Eure Wirtin« –.

»Ich weiß,« fiel ihm Salvator ins Wort, »ich weiß, Antonio, was Ihr sagen wollt; durch Frau Caterina meint Ihr den Weg zu finden zu Eurer Marianna. Damit ist es aber gar nichts; Frau Caterina ist viel zu geschwätzig, sie bewahrt nicht das kleinste Geheimnis und ist daher in unsern Angelegenheiten ganz und gar nicht zu brauchen. Hört mich nur ruhig an! – Jeden Abend in der Finsternis trägt Signor Pasquale, wird ihm das bei seiner Knickbeinigkeit auch blutsauer, seinen kleinen Kastraten, wenn sein Zofendienst beendigt ist, auf den Armen nach Hause. Nicht um die Welt würde der furchtsame Pitichinaccio um diese Zeit einen Fuß auf das Pflaster setzen. Nun also wenn –«

In diesem Augenblicke wurde an Salvators Tür geklopft, und zu nicht geringem Erstaunen beider trat Signor Pasquale Capuzzi herein in voller Pracht und Herrlichkeit. – Sowie er den Scacciati erblickte, blieb er, wie an allen Gliedern gelähmt, stehen, riß die Augen weit auf und schnappte nach Luft, als wollte ihm der Atem vergehen. Doch Salvator sprang hastig auf ihn zu, faßte ihn bei beiden Händen und rief: »Mein bester Signor Pasquale, wie fühle ich mich beehrt durch Eure Gegenwart in meiner schlechten Wohnung! – Gewiß ist es die Liebe zur Kunst, die Euch zu mir führt – Ihr wollt sehen, was ich Neues geschaffen, vielleicht gar eine Arbeit auftragen. – Sprecht, mein bester Signor Pasquale, worin kann ich Euch gefällig sein –«

»Ich habe,« stammelte Capuzzi mühsam, »ich habe mit Euch zu reden, bester Signor Salvator! aber – allein – wenn Ihr allein seid. Erlaubt, daß ich mich jetzt entferne und zu gelegnerer Zeit wiederkomme –«

»Mitnichten,« sprach Salvator, indem er den Alten festhielt, »mitnichten, mein bester Signor! Ihr sollt nicht von der Stelle; Ihr konntet zu keiner gelegneren Stunde kommen, denn da Ihr ein großer Verehrer der edeln Malerkunst, der Freund aller tüchtigen Maler seid, so wird es [357] Euch nicht wenig Freude machen, wenn ich Euch hier den Antonio Scacciati vorstelle, den ersten Maler unserer Zeit, dessen herrliches Gemälde, dessen wundervolle Magdalena zu des Heilands Füßen ganz Rom mit dem glühendsten Enthusiasmus bewundert. Gewiß seid auch Ihr ganz und gar von dem Bilde erfüllt und habt wohl eifrig gewünscht, den wackern Meister selbst zu kennen!«

Den Alten überfiel ein heftiges Zittern, er schüttelte sich wie im Fieberfrost, während er glühende, wütende Blicke auf den armen Antonio schoß. Der trat aber auf den Alten zu, verbeugte sich mit freiem Anstande, versicherte, daß er sich glücklich schätze, den Signor Pasquale Capuzzi, dessen tiefe Kenntnisse in der Musik sowohl, als in der Malerei nicht allein Rom, sondern ganz Italien bewundere, so unvermuteterweise anzutreffen, und empfahl sich seiner Protektion.

Daß Antonio so tat, als sähe er ihn zum erstenmal, daß er ihn mit so schmeichelhaften Worten anredete, das brachte den Alten auf einmal wieder zu sich selbst. Er zwang sich zum schmunzelnden Lächeln, strich sich, da nun Salvator seine Hände fahren lassen, zierlich den Zwickelbart in die Höhe, stotterte einige unverständliche Worte und wandte sich dann zum Salvator, den er um die Zahlung der zehn Dukaten für das verkaufte Spinett anging.

»Wir wollen«, erwiderte Salvator, »die lumpige Kleinigkeit nachher abmachen, bester Signor! Erst laßt es Euch gefallen, die Skizze eines Gemäldes zu betrachten, die ich entworfen, und dabei ein Glas edeln Syrakuser-Weines zu trinken.« Damit stellte Salvator seine Skizze auf die Staffelei, rückte dem Alten einen Stuhl hin und reichte ihm, als er sich niedergelassen, einen großen schönen Pokal, in dem der edle Syrakuser perlte.

Der Alte trank gar zu gern ein Glas guten Weins, wenn er kein Geld dafür ausgeben durfte; hatte er nun noch dazu die Hoffnung im Herzen, für ein abgelebtes morsches Spinett zehn Dukaten zu erhalten, und saß er vor einem [358] herrlich und kühn entworfenen Gemälde, dessen wunderbare Schönheit er sehr gut zu schätzen verstand, so mußte ihm wohl ganz behaglich zumute werden. Diese Behaglichkeit äußerte er denn auch, indem er gar lieblich schmunzelte, die Äuglein halb zudrückte, sich fleißig Kinn und Zwickelbart strich, ein Mal über das andere lispelte: »Herrlich, köstlich!« ohne daß man wußte, was er meinte, das Gemälde oder den Wein! –

Sowie denn nun der Alte ganz fröhlich geworden, fing Salvator plötzlich an: »Sagt mir doch, mein bester Signor, Ihr sollt ja eine wunderschöne, wunderliebliche Nichte haben, Marianna geheißen? – Alle unsere jungen Herren rennen, vom verliebten Wahnsinn getrieben, unaufhörlich durch die Straße Ripetta und renken sich, nach Eurem Balkon hinaufschauend, beinahe die Hälse aus, nur, um Eure holde Marianna zu sehen, um einen einzigen Blick ihrer Himmelsaugen zu erhaschen.«

Fort war aus dem Gesichte des Alten plötzlich alles liebliche Schmunzeln, alle Fröhlichkeit, die der gute Wein entzündet. Finster vor sich hinblickend, sprach er barsch: »Da sieht man das tiefe Verderbnis unserer sündigen Jugend. Auf Kinder richten sie ihre satanischen Blicke, die abscheulichen Verführer! – Denn ich sage Euch, mein bester Signor, ein pures Kind ist meine Nichte Marianna, ein pures Kind, kaum der Amme entwachsen.«

Salvator sprach von was anderm; der Alte erholte sich. Aber sowie er, neuen Sonnenschein im Antlitz, den vollgefüllten Pokal an die Lippen setzte, fing Salvator aufs neue an: »Sagt mir doch, mein bester Signor, hat Eure sechzehnjährige Nichte, die holde Marianna, wirklich solche wunderschöne kastanienbraune Haare und solche Augen voll Wonne und Seligkeit des Himmels, wie Antonios Magdalena? – Man will das allgemein behaupten!« – –

»Ich weiß das nicht,« erwiderte der Alte in noch barscherem Ton als vorher, »ich weiß das nicht, doch[359] laßt uns von meiner Nichte schweigen; wir können ja bedeutendere Worte wechseln über die edle Kunst, wozu mich Euer schönes Gemälde von selbst auffordert!« –

Als nun aber Salvator jedesmal, wenn der Alte den Pokal ansetzte und einen tüchtigen Schluck tun wollte, aufs neue von der schönen Marianna zu sprechen anfing, sprang der Alte endlich in voller Wut vom Stuhle auf, stieß den Pokal heftig auf den Tisch nieder, daß er beinahe zerbrochen wäre, schrie mit gehender Stimme: »Beim schwarzen höllischen Pluto, bei allen Furien, zu Gift, zu Gift macht Ihr mir den Wein! Aber ich merk' es, Ihr und der saubere Signor Antonio mit Euch, Ihr wollt mich foppen! – Das soll Euch aber schlecht gelingen. Zahlt wir sogleich die zehn Dukaten, die Ihr mir schuldig seid, und dann überlasse ich Euch samt Eurem Kumpan, dem Bartkratzer Antonio, allen Teufeln!« –

Salvator schrie, als übermanne ihn der wütendste Zorn: »Was? – Ihr untersteht Euch, mir hier in meiner Wohnung so zu begegnen? – Zehn Dukaten soll ich Euch zahlen für jenen morschen Kasten, aus dem die Holzwürmer schon längst alles Mark, allen Ton, weggezehrt haben? – Nicht zehn – nicht fünf – nicht drei – nicht einen Dukaten sollt Ihr für das Spinett erhalten, das kaum einen Quattrino wert ist; – fort mit dem lahmen Dinge!« – Und damit stieß Salvator das kleine Spinett mit dem Fuße um und um, daß die Saiten einen lauten Jammerton von sich gaben. –

»Ha,« kreischte Capuzzi, »noch gibt es Gesetze in Rom; – zur Haft – zur Haft laß ich Euch bringen, in den tiefesten Kerker werfen«, und wollte brausend, wie eine Hagelwolke, zur Türe hinausstürmen. Salvator umfaßte ihn aber fest mit beiden Armen; drückte ihn in den Lehnsessel nieder und lispelte ihm mit süßer Stimme in die Ohren »Mein bester Signor Pasquale, merkt Ihr denn nicht, daß ich nur Scherz treibe? – Nicht zehn, dreißig blanke bare Dukaten sollt Ihr für Euer Spinett haben!« – Und so [360] lange wiederholte er: »dreißig blanke bare Dukaten«, bis Capuzzi mit matter, ohnmächtiger Stimme sprach: »Was sagt Ihr, bester Signor? – Dreißig Dukaten für das Spinett, ohne Reparatur?« Da ließ Salvator den Alten los und versicherte, er setze seine Ehre zum Pfande, daß das Spinett binnen einer Stunde dreißig – vierzig Dukaten wert sein, und daß Signor Pasquale so viel dafür erhalten solle.

Der Alte, mit einem tiefen Seufzer neuen Atem schöpfend, murmelte: »– Dreißig – vierzig Dukaten?« Dann begann er: »Aber Ihr habt mich schwer geärgert, Signor Salvator!« – »Dreißig Dukaten«, wiederholte Salvator. – Der Alte schmunzelte, aber dann wieder: »Ihr habt mir ins Herz gegriffen, Signor Salvator!« – »Dreißig Dukaten,« fiel ihm Salvator ins Wort und wiederholte immer: »Dreißig Dukaten, dreißig Dukaten«, so lange der Alte noch schmollen wollte, bis er endlich ganz fröhlich sprach: »Kann ich für mein Spinett dreißig – vierzig Dukaten erhalten, so sei alles vergeben und vergessen, bester Signor!« –

»Doch,« begann Salvator, »doch habe ich, ehe ich mein Versprechen erfülle, noch eine kleine Bedingung zu machen, die Ihr, mein würdigster Signor Pasquale Capuzzi di Senigaglia, sehr leicht erfüllen könnt. Ihr seid der erste Komponist in ganz Italien und dabei der vortrefflichste Sänger, den es geben mag. Mit Entzücken habe ich die große Szene in der Oper ›Le nozze di Teti e Peleo‹ gehört, die der verruchte Francesco Cavalli Euch diebischerweise entwandt hat und für seine Arbeit ausgibt. – Wolltet Ihr, während ich hier das Spinett instand setze, mir diese Arie vorsingen, ich wüßte in der Tat nicht, was mir Angenehmeres erzeigt werden könnte.«

Der Alte verzog den Mund zu dem süßesten Lächeln, blinzelte mit den grauen Äugelein und sprach: »Man merkt es, daß Ihr selbst ein tüchtiger Musiker seid, bester Signor; denn Ihr habt Geschmack und wißt würdige Leute besser [361] zu schätzen, als die undankbaren Römer. – Hört! – Hört! die Arie aller Arien!« –

Damit stand der Alte auf, erhob sich auf den Fußspitzen, breitete die Arme aus, drückte beide Augen zu, daß er ganz einem Hahn zu vergleichen, der sich zum Krähen rüstet, und fing sogleich an, dermaßen zu kreischen, daß die Wände klangen, und alsbald Frau Caterina mit ihren beiden Töchtern hereinstürzte, nicht anders meinend, als daß das entsetzliche Jammergeschrei irgendein geschehenes Unheil verkünde. – Ganz erstaunt blieben sie in der Türe stehen, als sie den krähenden Alten erblickten, und bildeten so das Publikum des unerhörten Virtuosen Capuzzi.

Währenddessen hatte aber Salvator das Spinett aufgerichtet, den Deckel zurückgeschlagen, die Palette zur Hand genommen und mit kecker Faust in kräftigen Pinselstrichen auf eben dem Spinettdeckel die wunderbarste Malerei begonnen, die man nur sehen konnte. Der Hauptgedanke war eine Szene aus der Cavallischen Oper ›Le nozze di Teti‹, aber darunter mischten sich auf ganz phantastische Weise eine Menge anderer Personen. Unter ihnen Capuzzi, Antonio, Marianna, treu nach Antonios Gemälde, Salvator, Frau Caterina und ihre beiden Töchter in kenntlichen Zügen, ja sogar der Pyramiden-Doktor fehlte nicht, und alles so verständig, sinnig, genial geordnet, daß Antonio sein Erstaunen über den Geist, über die Praktik des Meisters nicht bergen konnte.

Der Alte ließ es gar nicht bei der Szene bewenden, die Salvator hören wollte, sondern sang oder kreischte vielmehr, von dem musikalischen Wahnsinn fortgerissen, ohne Aufhören, indem er durch die greulichsten Rezitative sich von einer höllischen Arie zur andern durcharbeitete. Das mochte wohl beinahe zwei Stunden gedauert haben, da sank er, kirschbraun im Gesicht, atemlos in den Lehnsessel. In dem Augenblicke hatte aber auch Salvator seine Skizze so herausgearbeitet, daß alles lebendig geworden [362] und in einiger Entfernung das Ganze einem vollendeten Gemälde glich.

»Ich habe Wort gehalten wegen des Spinetts, bester Signor Pasquale!« – so lispelte nun Salvator dem Alten in die Ohren. Der fuhr, wie aus tiefem Schlummer, in die Höhe. Sogleich fiel sein Blick auf das bemalte Spinett, das ihm geradeüber stand. Da riß er die Augen weit auf, als sähe er Wunder, stülpte den spitzen Hut auf die Perücke, nahm den Krückstock unter den Arm, sprang hin mit einem Satz ans Spinett, riß den Deckel aus den Scharnieren, hob ihn hoch über den Kopf und rannte so wie besessen zur Tür hinaus, die Treppe hinab, fort, fort aus dem Hause, indem Frau Caterina und ihre beiden Töchter hinter ihm her lachten. –

»Der alte Geizhals weiß,« sprach Salvator, »daß er den bemalten Deckel nur zum Grafen Colonna oder zu meinem Freunde Rossi tragen darf, um vierzig Dukaten und auch wohl noch mehr dafür zu erhalten.« –

Beide, Salvator und Antonio, überlegten nun den Angriffsplan, der noch in kommender Nacht ausgeführt werden sollte. – Wir werden gleich sehen, was die beiden Abenteurer begannen, und wie ihnen der Anschlag glückte.

Als es Nacht geworden, trug Signor Pasquale, nachdem er seine Wohnung wohl verschlossen und verriegelt, wie gewöhnlich, das kleine Ungeheuer von Kastraten nach Hause. Den ganzen Weg über miaute und ächzte der Kleine und klagte, daß, nicht genug, daß er sich an Capuzzis Arien die Schwindsucht an den Hals singen und bei dem Makkaronikochen die Hände verbrennen müsse, er jetzt noch zu einem Dienst gebraucht werde, der ihm nichts einbringe, als tüchtige Ohrfeigen und derbe Fußtritte, die ihm Marianna, sowie er sich nur ihr nähere, in reichlichem Maß zuteile. Der Alte tröstete ihn, wie er nur konnte, versprach ihn besser mit Zuckerwerk zu versorgen, als es bisher geschehen, verpflichtete sich sogar, [363] als der Kleine gar nicht aufhören wollte zu quäken und zu lamentieren, ihm aus einer alten schwarzen Plüschweste, die er, der Kleine, schon oft mit begehrlichen Blicken angeschaut, ein nettes Abbaten-Röcklein ma chen zu lassen. Der Kleine forderte noch eine Perücke und einen Degen. Darüber kapitulierend, kamen sie in der Straße Bergognona an, denn ebenda wohnte Pitichinaccio und zwar nur vier Häuser von Salvators Wohnung.

Der Alte setzte den Kleinen behutsam nieder, öffnete die Haustür, und nun stiegen beide, der Kleine voran, der Alte hinterher, die schmale Treppe hinauf, die einer elenden Hühnerleiter zu vergleichen. Aber kaum hatten sie die Hälfte der Stiege erreicht, als oben auf dem Hausflur ein entsetzliches Gepolter entstand, und sich die rauhe Stimme eines wilden besoffenen Kerls vernehmen ließ, der alle Teufel der Hölle beschwor, ihm den Weg aus dem verwünschten Hause zu zeigen. Pitichinaccio drückte sich dicht an die Wand und bat den Capuzzi um aller Heiligen willen, vorauszugehen. Doch kaum hatte Capuzzi noch ein paar Stufen erstiegen, als der Kerl von oben die Treppe herunterstürzte, den Capuzzi wie ein Wirbelwind erfaßte und sich mit ihm hinabschleuderte durch die offen stehende Haustüre bis mitten auf die Straße. Da blieben sie liegen; Capuzzi unten, der besoffene Kerl auf ihm wie ein schwerer Sack. – Capuzzi schrie erbärmlich um Hilfe, und alsbald fanden sich auch zwei Männer ein, die mit vieler Mühe den Signor Pasquale von seiner Last befreiten; der Kerl taumelte, als sie ihn aufgerichtet, fluchend fort.

»Jesus, was ist Euch geschehen, Signor Pasquale, – wie kommt Ihr zur Nachtzeit hieher – was habt Ihr für schlimme Händel gehabt in dem Hause?« – So fragten Antonio und Salvator; denn niemand anders waren die beiden Männer.

»Das ist mein Ende,« ächzte Capuzzi; »alle meine Glieder hat mir der Höllenhund zerschellt, ich kann mich nicht rühren.«

[364] »Laßt doch sehen,« sprach Antonio, betastete den Alten am ganzen Leibe und kniff ihm dabei plötzlich so heftig ins rechte Bein, daß Capuzzi laut aufschrie –

»Alle Heiligen!« rief Antonio ganz erschrocken, »alle Heiligen! bester Signor Pasquale, Ihr habt das rechte Bein gebrochen an der gefährlichsten Stelle. Wird Euch nicht schleunige Hilfe geleistet, so seid Ihr binnen weniger Zeit des Todes oder bleibt doch wenigstens auf immer lahm.« –

Capuzzi stieß ein fürchterliches Geheul aus. »Beruhigt Euch nur, bester Signor,« fuhr Antonio fort; »unerachtet ich jetzt Maler bin, so habe ich doch den Wundarzt noch nicht vergessen. Wir tragen Euch nach Salvators Wohnung, und ich verbinde Euch augenblicklich.« –

»Mein bester Signor Antonio,« wimmerte Capuzzi, »Ihr seid mir feindlich gesinnt, ich weiß es.«-»Ach,« fiel Salvator ihm ins Wort, »hier ist von keiner Feindschaft weiter die Rede; Ihr seid in Gefahr, und das ist dem ehrlichen Antonio genug, alle seine Kunst aufzubieten zu Eurer Hilfe – Faßt an, Freund Antonio!« –

Beide hoben nun den Alten, der über die unsäglichsten Schmerzen schrie, die der gebrochene Fuß verursache, sanft und behutsam auf und trugen ihn nach Salvators Wohnung.

Frau Caterina versicherte, daß sie irgendein Unheil geahnt und deswegen sich nicht zur Ruhe begeben. Sowie sie den Alten ansichtig wurde und hörte, wie es ihm ergangen, brach sie in Vorwürfe aus über sein Tun und Treiben. »Ich weiß es wohl,« sprach sie, »ich weiß es wohl, Signor Pasquale, wen Ihr wieder nach Hause gebracht habt! – Ihr denkt, ist gleich Eure schöne Nichte Marianna bei Euch im Hause, der weiblichen Bedienung gar nicht zu bedürfen, und mißbraucht recht schändlich und gotteslästerlich den armen Pitichinaccio, den Ihr in den Weiberrock steckt. Aber seht Ihr wohl: ogni carne ha il suo osso, jedes Fleisch hat seinen Knochen! – Wollt Ihr ein Mädchen bei Euch haben, so bedürft Ihr auch der[365] Weiber! Fate il passo secondo la gamba, streckt Euch nach der Decke und verlangt nicht mehr und nicht weniger, als was recht ist, von Eurer Marianna. Sperrt sie nicht ein wie eine Gefangene, macht Euer Haus nicht zum Kerker, asino punto convien che trotti, wer auf der Reise ist, muß fort; Ihr habt eine schöne Nichte und müßt Euer Leben darnach einrichten, das heißt, nur lediglich tun, was die schöne Nichte will. Aber Ihr seid ein ungalanter hartherziger Mann, und wohl gar, wie ich nicht hoffen will, in Eurem hohen Alter noch verliebt und eifersüchtig. – Verzeiht, daß ich das alles Euch gerade heraussage, aber: chi ha nel petto fiele, non puo sputar miele, wessen das Herz voll ist, geht der Mund über! – Nun, wenn Ihr nicht, wie bei Eurem hohen Alter zu vermuten steht, an Eurem Beinbruch sterbt, so wird Euch das wohl zur Warnung dienen, und Ihr werdet Eurer Nichte die Freiheit lassen, zu tun, was sie will, und den hübschen jungen Menschen zu heiraten, den ich wohl schon kenne –«

So ging es in einem Strome fort, während Salvator und Antonio den Alten behutsam entkleideten und aufs Bette legten. Der Frau Caterina Worte waren lauter Dolchstiche, die ihm tief in die Brust fuhren; aber sowie er etwas dazwischen reden wollte, bedeutete ihn Antonio, daß alles Sprechen ihm Gefahr bringe, er mußte daher alle bittere Galle in sich schlucken. Salvator schickte endlich Frau Caterina fort, um, wie Antonio geboten, Eiswasser zu besorgen.

Salvator und Antonio überzeugten sich, daß der in Pitichinaccios Wohnung abgesendete Kerl seine Sachen vortrefflich gemacht. Außer einigen blauen Flecken hatte Capuzzi nicht die mindeste Beschädigung davongetragen, so fürchterlich der Sturz auch dem Anscheine nach gewesen. Antonio schiente und schnürte dem Alten den rechten Fuß zusammen, daß er sich nicht regen konnte. Und dabei umwickelten sie ihn mit in Eiswasser genetzten [366] Tüchern, angeblich um der Entzündung zu wehren, daß der Alte wie im Fieberfrost sich schüttelte.

»Mein guter Signor Antonio,« ächzte er leise, »sagt mir, ist es um mich geschehen? – muß ich sterben?«

»Beruhigt Euch nur,« erwiderte Antonio, »beruhigt Euch nur, Signor Pasquale, da Ihr den ersten Verband mit so vieler Standhaftigkeit und ohne in Ohnmacht zu sinken ausgehalten, so scheint die Gefahr vorüber; doch ist die sorgsamste Pflege nötig: Ihr dürft fürs erste nicht aus den Augen des Wundarztes kommen.«

»Ach Antonio,« wimmerte der Alte, »Ihr wißt, wie ich Euch lieb habe! – wie ich Eure Talente schätze! – Verlaßt mich nicht! – reicht mir Eure liebe Hand! – so! – Nicht wahr, mein guter, lieber Sohn, Ihr verlaßt mich nicht?« –

»Bin ich,« sprach Antonio, »bin ich gleich nicht mehr Wundarzt, hab' ich gleich das mir verhaßte Gewerbe ganz aufgegeben, so will ich doch bei Euch, Signor Pasquale, eine Ausnahme machen und mich Eurer Kur unterziehen, wofür ich nichts verlange, als daß Ihr mir wieder Eure Freundschaft, Euer Zutrauen schenkt, – Ihr waret ein wenig barsch gegen mich –«

»Schweigt,« lispelte der Alte, »schweigt davon, bester Antonio!«

»Eure Nichte,« sprach Antonio weiter, »wird sich, da Ihr nicht ins Haus zurückgekehrt seid, halbtot ängstigen! – Ihr seid für Euern Zustand munter und stark genug, wir wollen Euch daher, sowie der Tag anbricht, in Eure Wohnung tragen. Dort sehe ich noch einmal nach dem Verbande, bereite Euch das Lager, wie es sein muß, und sage Eurer Nichte alles, was sie für Euch zu tun hat, damit Ihr recht bald geneset.«

Der Alte seufzte recht tief auf, schloß die Augen und blieb einige Augenblicke stumm. Dann streckte er die Hand aus nach Antonio, zog ihn dicht an sich und sprach ganz leise: »Nicht wahr, bester Signor, das mit Marianna, [367] das war nur Euer Scherz, solch ein lustiger Einfall, wie ihn junge Leute haben –«

»Denkt doch,« erwiderte Antonio, »denkt doch jetzt nicht an so etwas, Signor Pasquale! Es ist wahr, Eure Nichte stach mir in die Augen; aber jetzt habe ich ganz andere Dinge im Kopfe und bin – ich muß es Euch nur aufrichtig gestehen – recht sehr damit zufrieden, daß Ihr mich mit meinem törichten Antrage so kurz abgefertigt habt. Ich dachte in Eure Marianna verliebt zu sein und erblickte in ihr doch nur ein schönes Modell zu meiner Magdalena. Daher mag es denn kommen, daß Marianna mir, nachdem ich das Gemälde vollendet, ganz gleichgültig geworden ist!« –

»Antonio,« rief der Alte laut, »Antonio, Gesegneter des Himmels! Du bist mein Trost – meine Hilfe, mein Labsal! Da du Marianna nicht liebst, ist mir aller Schmerz entnommen!« –

»In der Tat,« sprach Salvator, »in der Tat, Signor Pasquale, kennte man Euch nicht als einen ernsten, verständigen Mann, welcher wohl weiß, was seinen hohen Jahren ziemt, man sollte glauben, Ihr wäret wahnsinnigerweise selbst in Eure sechzehnjährige Nichte verliebt.« –

Der Alte schloß aufs neue die Augen und ächzte und lamentierte über die gräßlichen Schmerzen, die mit verdoppelter Wut wiederkehrten.

Das Morgenrot dämmerte auf und strahlte durch das Fenster. Antonio sagte dem Alten, es sei nun Zeit, ihn in die Straße Ripetta nach seiner Wohnung zu schaffen. Signor Pasquale antwortete mit einem tiefen kläglichen Seufzer. Salvator und Antonio hoben ihn aus dem Bette und wickelten ihn in einen weiten Mantel, den Frau Caterinas Eheherr getragen und den sie dazu hergab. Der Alte bat um aller Heiligen willen, doch nur die schändlichen Eistücher, womit sein kahles Haupt umwickelt, wegzunehmen und ihm Perücke und Federhut aufzusetzen. Auch sollte Antonio ihm womöglich den Zwickelbart in [368] Ordnung richten, damit Marianna sich nicht so sehr vor seinem Anblicke entsetze.

Zwei Träger mit einer Bahre standen bereits vor dem Hause. Frau Caterina, immerfort den Alten ausscheltend und unzählige Sprüchwörter einmischend, trug Betten herab, in die der Alte wohl eingepackt und so, von Salvator und Antonio begleitet, in sein Haus geschafft wurde.

Sowie Marianna den Oheim in dem erbärmlichen Zustande erblickte, schrie sie laut auf; ein Tränenstrom stürzte ihr aus den Augen; ohne auf den Geliebten, der mitgekommen, zu achten, faßte sie des Alten Hände, drückte sie an die Lippen, jammerte über das entsetzliche Unglück, das ihn betroffen. – So tiefes Mitleiden hatte das fromme Kind mit dem Alten, der sie mit seinem verliebten Wahnsinn marterte und quälte. Aber in demselben Augenblick tat sich auch die ihr angeborne innerste Natur des Weibes kund; denn ein paar bedeutende Blicke Salvators reichten hin, sie über das Ganze vollkommen zu verständigen. Nun erst schaute sie den glücklichen Antonio verstohlen an, indem sie hoch errötete, und es war wunderlieblich anzuschauen, wie durch die Tränen ein schalkhaftes Lächeln siegend hervorbrach. Überhaupt hatte Salvator sich die Kleine doch nicht so gar anmutig, so wunderbar hübsch gedacht, der Magdalena unerachtet, als er sie nun wirklich fand, und indem er den Antonio um sein Glück beinahe hätte beneiden mögen, fühlte er doppelt die Notwendigkeit, die arme Marianna dem verdammten Capuzzi zu entreißen, koste es, was es wolle. –

Signor Pasquale, von seiner schönen Nichte so zärtlich empfangen, wie er es gar nicht verdiente, vergaß sein Ungemach. Er schmunzelte, er spitzte die Lippen, daß der Zwickelbart wackelte, und ächzte und winselte nicht vor Schmerz, sondern vor lauter Verliebtheit.

Antonio bereitete kunstmäßig das Lager, schnürte, als man den Capuzzi hineingelegt, den Verband noch fester und umwickelte auch das linke Bein so, daß der Alte [369] regungslos daliegen mußte wie eine Holzpuppe. Salvator begab sich fort und überließ die Liebenden ihrem Glücke. –

Der Alte lag in Kissen begraben, zum Überfluß hatte ihm aber noch Antonio ein dickes, mit starkem Wasser benetztes Tuch um den Kopf gebunden, so daß er das Geflüster der Liebenden nicht vernehmen konnte, die nun zum erstenmal ihr ganzes Herz ausströmen ließen und sich unter Tränen und süßen Küssen ewige Treue schwuren. Nicht ahnen mochte der Alte, was vorging, da Marianna dazwischen sich unaufhörlich nach seinem Befinden erkundigte und es sogar zuließ, daß er ihre kleine weiße Hand an seine Lippen drückte.

Als der Tag hoch heraufgekommen, eilte Antonio fort, um, wie er sagte, die nötigen Mittel für den Alten herbeizuschaffen, eigentlich aber, um zu ersinnen, wie er wenigstens auf einige Stunden den Alten in noch hilfloseren Zustand versetzen solle, und mit Salvator zu überlegen, was dann weiter anzufangen sei.

Neuer Anschlag, den Salvator Rosa und Antonio Scacciati wider den Signor Pasquale Capuzzi und wider seine Gesellschaft ausführen, und was sich darauf weiter begibt

Am andern Morgen kam Antonio zum Salvator, ganz Mißmut und Gram. –

»Nun, wie geht es,« rief Salvator ihm entgegen, »warum hängt Ihr so den Kopf? – was ist Euch Überglücklichem, der Ihr nun jeden Tag Euer Liebchen schauen, küssen und herzen könnt, denn widerfahren?«

»Ach, Salvator,« rief Antonio, »mit meinem Glück ist es aus, rein aus; der Teufel hat sein Spiel mit mir! Gescheitert ist unsere List, und wir stehen nun mit dem verdammten Capuzzi in offner Fehde!«

»Desto besser,« sprach Salvator, »desto besser! Aber sprecht, Antonio, was hat sich denn begeben?« –

»Stellt Euch vor,« begann Antonio, »stellt Euch vor, Salvator, als ich gestern nach einer Abwesenheit von [370] höchstens zwei Stunden mit allerlei Essenzen zurückkehre nach der Straße Ripetta, erblicke ich den Alten ganz angekleidet in der Türe seiner Wohnung. – Hinter ihm steht der Pyramiden-Doktor und der verfluchte Sbirre, und zwischen ihren Beinen zappelt noch etwas Buntes. Das war, glaub' ich, die kleine Mißgeburt, der Pitichinaccio. Sowie der Alte mich ansichtig wurde, drohte er mit der Faust, stieß die grimmigsten Flüche und Verwünschungen aus und schwur, daß er mir alle Glieder zerbrechen lassen würde, sowie ich nur vor seiner Tür erschiene. ›Schert Euch zu allen Teufeln, verruchter Bartkratzer‹ – kreischte er; ›mit Lug und Trug gedenkt Ihr mich zu überlisten; wie der leidige Satan selbst stellt Ihr meiner armen frommen Marianna nach und gedenkt sie in Eure höllischen Schlingen zu locken – aber wartet! – meine letzten Dukaten wende ich dran, Euch, ehe Ihr's Euch verseht, das Lebenslicht ausblasen zu lassen! – Und Euer sauberer Patron, der Signor Salvator, der Mörder, der Räuber, der dem Strange entflohen, der soll zur Hölle fahren zu seinem Hauptmann Mas'Aniello, den schaffe ich fort aus Rom, das ist mir leichte Mühe!‹

So tobte der Alte, und da der verfluchte Sbirre, vom Pyramiden-Doktor angeheizt, Anstalt machte, auf mich loszugehen, da das neugierige Volk sich zu sammeln begann, was blieb mir übrig als in aller Schnelligkeit das Feld zu räumen? Ich mochte in meiner Verzweiflung gar nicht zu Euch gehen; denn ich weiß schon, Ihr hättet mich nur mit meinen trostlosen Klagen ausgelacht. Könnt Ihr doch jetzt kaum das Lachen unterdrücken!« –

Sowie Antonio schwieg, lachte Salvator auch in der Tat hell auf.

»Jetzt,« rief er, »jetzt wird die Sache erst recht ergötzlich! Nun will ich aber Euch, mein wackerer Antonio, auch umständlich sagen, wie sich alles begab in Capuzzis Hause, als Ihr fortgegangen. Kaum wart Ihr nämlich aus dem Hause, als Signor Splendiano Accoramboni, der – [371] Gott weiß, auf welche Weise – erfahren, daß sein Busenfreund Capuzzi in der Nacht das rechte Bein gebrochen, feierlichst mit einem Wundarzt heranrückte. Euer Verband, die ganze Art, wie Signor Pasquale behandelt worden, mußte Verdacht erregen. Der Wundarzt nahm die Schienen, die Bandagen ab, und man fand, was wir beide wissen, daß nämlich an dem rechten Fuß des würdigen Capuzzi auch nicht ein Knöchelchen verrenkt, viel weniger zerbrochen war! – Das übrige ließ sich nun ohne sonderlichen Scharfsinn erklären.«

»Aber,« sprach Antonio voll Erstaunen, »aber mein bester Meister, aber sagt mir nur, wie Ihr das alles erfahren konntet, wie Ihr eindringt in Capuzzis Wohnung und alles wißt, was sich dort begibt?«

»Ich habe Euch gesagt,« erwiderte Salvator, »daß in Capuzzis Hause, und zwar in demselben Stock, eine Bekannte der Frau Caterina wohnt. Diese Bekannte, die Witwe eines Weinhändlers, hat eine Tochter, zu der meine kleine Margarita öfters hingeht. Die Mädchen haben nun einen besondern Instinkt, ihresgleichen aufzusuchen und zu finden, und so mittelten denn auch Rosa – so heißt die Tochter der Weinhändlerswitwe – und Margarita gar bald ein kleines Luftloch in der Speisekammer aus, das in eine finstere Kammer geht, die an Mariannas Gemach stößt. Mariannas Aufmerksamkeit entging keinesweges das Wispern und Flüstern der Mädchen, sowie das Luftloch, und so wurde dann bald der Weg gegenseitiger Mitteilung eröffnet und benutzt. Hält der Alte sein Mittagsschläfchen, so schwatzen sich die Mädchen recht nach Herzenslust aus. Ihr werdet bemerkt haben, daß die kleine Margarita, der Frau Caterina und mein Liebling, gar nicht so ernst und spröde wie ihre ältere Schwester Anna, sondern ein drolliges, munteres, pfiffiges Ding ist. Ohne gerade von Eurer Liebschaft zu sprechen, habe ich sie unterrichtet, wie sie alles, was sich in Capuzzis Hause begibt, von Marianna sich erzählen lassen soll. Sie beweist sich [372] dabei gar anstellig, und wenn ich vorhin über Euren Schmerz, über Eure Verzweiflung lachte, so geschah es, weil ich Euch zu trösten, Euch zu beweisen vermag, daß Eure Angelegenheiten jetzt erst in einen Gang kommen, der recht ersprießlich ist. – Ich habe einen ganzen Sack voll der trefflichsten Neuigkeiten für Euch –«

»Salvator,« rief Antonio, indem ihm die Augen vor Freude glänzten, »welche Hoffnungen gehen mir auf! – Gesegnet sei das Luftloch in der Speisekammer! – Ich schreibe an Marianna; – Margarita nimmt das Brieflein mit sich –«

»Nichts davon,« entgegnete Salvator, »nichts davon Antonio! Margarita soll uns nützlich werden, ohne gerade Eure Liebesbotin zu machen. Zudem könnte auch der Zufall, der oft sein wunderliches Spiel treibt, dem Alten Euer Liebesgeschwätz in die Hände bringen und der armen Marianna tausend neues Unheil bereiten, da sie in diesem Augenblick im Begriff steht, den alten verliebten Gecken ganz und gar unter ihr Samtpantöffelchen zu bringen. Denn hört nur an, wie sich ferner alles begeben. Die Art, wie Marianna den Alten, als wir ihn ins Haus brachten, empfing, hat ihn ganz und gar bekehrt. Er glaubt nichts Geringeres, als daß Marianna Euch nicht mehr liebt, sondern ihm wenigstens zur Hälfte ihr Herz geschenkt hat, so daß es nur darauf ankommt, noch die andere Hälfte zu erobern. Marianna ist, nachdem sie das Gift Eurer Küsse eingesogen, sogleich um drei Jahre klüger, schlauer, erfahrener geworden. Sie hat den Alten nicht allein überzeugt, daß sie gar keinen Anteil hatte an unserm Streich, sondern, daß sie unser Verfahren verabscheut und mit tiefer Verachtung jede List, die Euch in ihre Nähe bringen könnte, zurückweisen wird. Der Alte hat im Übermaß des Entzückens sich übereilt und geschworen, daß, wenn er seiner angebeteten Marianna eine Freude bereiten könne, es zur Stelle geschehen solle, sie möge nur irgendeinen Wunsch aussprechen. Da hat denn Marianna ganz [373] bescheiden nichts weiter verlangt, als daß der Zio carissimo sie in das Theater vor der Porta del Popolo zum Signor Formica führen solle. Darüber ist der Alte etwas verdutzt worden; es hat Beratschlagungen gegeben mit dem Pyramiden-Doktor und dem Pitichinaccio; endlich haben beide, Signor Pasquale und Signor Splendiano, beschlossen, Marianna wirklich morgenden Tages in jenes Theater zu bringen. Pitichinaccio soll sie in Zofentracht begleiten, wozu er sich nur unter der Bedingung verstanden, daß Signor Pasquale außer der Plüschweste ihm noch eine Perücke schenken, in der Nacht ihn aber abwechselnd mit dem Pyramiden-Doktor nach Hause tragen solle. Darüber sind sie eins geworden, und morgen wird sich das merkwürdige Kleeblatt mit der holden Marianna wirklich in das Theater vor der Porta del Popolo zum Signor Formica begeben.« – Es ist nötig zu sagen, was für eine Bewandtnis es mit dem Theater vor der Porta del Popolo und mit dem Signor Formica hatte.

Nichts ist betrübter, als wenn zur Zeit des Karnevals in Rom die Impresarien in der Wahl ihrer Compositori unglücklich waren, wenn der Primo Tenore in der Argentina seine Stimme unterwegs gelassen, wenn der Primo Uomo da Donna in dem Teatro Valle am Schnupfen darniederliegt, kurz, wenn das Hauptvergnügen, das die Römer zu finden glaubten, fehlschlägt, und der Giovedi grasso alle Hoffnungen, die sich vielleicht noch auftun könnten, mit einem Male abschneidet. Gerade nach einem solchen betrübten Karneval – kaum waren die Fasten vorüber – eröffnete ein gewisser Nicolo Musso vor der Porta del Popolo ein Theater, auf dem er nichts darzustellen versprach, als kleine improvisierte Buffonaden. Die Ankündigung war in einem geistreichen, witzigen Stil abgefaßt, und dadurch bekamen die Römer ein günstiges Vorurteil für Mussos Unternehmen, hätten sie auch sonst nicht schon im ungestillten dramatischen Heißhunger begierig nach der geringsten Speise der Art gehascht. Die Einrichtung [374] des Theaters oder vielmehr der kleinen Bude, zeugte eben nicht von den glänzenden Umständen des Unternehmers. Es gab weder ein Orchester noch Logen. Statt derselben war im Hintergrunde eine Galerie angebracht, an der das Wappen des Hauses Colonna prangte, ein Zeichen, daß der Conte Colonna den Musso und sein Theater in besondern Schutz genommen. Eine mit Teppichen verkleidete Erhöhung, auf welcher rund umher einige bunte Tapeten gehängt waren, die nach dem Bedürfnisse des Stücks Wald, Saal, Straße vorstellen mußten: das war die Bühne. Kam noch hinzu, daß die Zuschauer es sich gefallen lassen mußten, auf harten, unbequemen, hölzernen Bänken zu sitzen, so konnt' es nicht fehlen, daß die Eintretenden ziemlich laut über Signor Musso murrten, der eine elende Bretterbude ein Theater nenne. Kaum hatten aber die beiden ersten Schauspieler, welche auftraten, einige Worte gesprochen, so wurden die Zuschauer aufmerksam; sowie das Stück fortging, stieg die Aufmerksamkeit zum Beifall, der Beifall zur Bewunderung, die Bewunderung zum höchsten Enthusiasmus, der sich durch das anhaltendste, wütendste Gelächter, Klatschen, Bravorufen Luft machte.

In der Tat konnte man auch nichts Vollkommneres sehen, als diese improvisierten Darstellungen des Nicolo Musso, die von Witz, Laune und Geist übersprudelten und die Torheiten des Tages mit scharfer Geißel züchtigten. Jeder Schauspieler gab seine Rolle mit unvergleichlicher Charakteristik, vorzüglich riß aber der Pasquarello durch sein unnachahmliches Gebärdenspiel, durch das Talent, in Stimme, Gang und Stellung bekannte Personen bis zur höchsten Täuschung nachzuahmen, durch seine unerschöpfliche Laune, durch das Schlagende seiner Einfälle alle Zuschauer mit sich fort. Den Mann, der die Rolle des Pasquarello spielte und der sich Signor Formica nannte, schien ein ganz besonderer, ungewöhnlicher Geist zu beseelen; oft war in Ton und Bewegung so etwas Seltsames, daß die Zuschauer im tollsten Gelächter sich von [375] Schauern durchfröstelt fühlten. Ihm zur Seite stand würdig der Doktor Graziano mit einem Mienenspiel, mit einem Organ, mit einem Talent, in dem anscheinend ungereimtesten Zeuge die ergötzlichsten Dinge zu sagen, dem nichts in der Welt zu vergleichen. Diesen Doktor Graziano spielte ein alter Bologneser, Maria Agli mit Namen. Es konnte nicht fehlen, daß in kurzer Zeit die gebildete Welt von Rom unablässig hinströmte nach Nicolo Mussos kleinem Theater vor der Porta del Popolo, daß jeder den Namen Formica im Munde führte und auf der Straße wie im Theater in voller Begeisterung ausrief: »Oh Formica! – Formica benedetto! – oh Formicissimo!« – Man betrachtete den Formica als eine überirdische Erscheinung, und manche alte Frau, die im Theater sich vor Lachen ausgeschüttet, wurde, wagte ja einer nur das mindeste zu tadeln an Formicas Spiel, plötzlich ernsthaft und sprach feierlich: »Scherza coi fanti e lascia star i santi!« – Das kam daher, weil Signor Formica außer dem Theater ein unerforschliches Geheimnis blieb. Man sah ihn durchaus nirgends, und vergebens blieb alles Mühen, ihm auf die Spur zu kommen. Nicolo Musso schwieg unerbittlich über Formicas Aufenthalt.

So war das Theater beschaffen, nach dem sich Marianna sehnte.

»Laßt uns,« sprach Salvator, »unsern Feinden geradezu auf den Hals gehen; der Gang aus dem Theater nach der Stadt bietet uns die bequemste Gelegenheit dazu dar.«

Er teilte jetzt dem Antonio einen Plan mit, der gar abenteuerlich und gewagt schien, den aber Antonio mit Freuden ergriff, weil er hoffte, dabei seine Marianna dem niederträchtigen Capuzzi zu entreißen. Auch war es ihm recht, daß Salvator es vorzüglich darauf angelegt, den Pyramiden-Doktor zu züchtigen.

Als es Nacht worden, nahmen beide, Salvator und Antonio, Chitarren, gingen nach der Straße Ripetta und brachten, um den alten Capuzzi recht zu ärgern, der holden [376] Marianna die schönste Serenata, die man nur hören konnte. Salvator spielte und sang nämlich meisterhaft, und Antonio tat es, was einen schönen Tenor betrifft, beinahe dem Odoardo Ceccarelli gleich. Signor Pasquale erschien zwar auf dem Balkon und wollte hinabschimpfend den Sängern Stillschweigen gebieten; die Nachbarn, die der schöne Gesang in die Fenster gelockt, riefen ihm aber zu, weil er mit seinen Gefährten so heule und schreie wie alle höllische Geister zusammen, wolle er wohl keine gute Musik in der Straße leiden? er möge sich hineinscheren und die Ohren verstopfen, wenn er den schönen Gesang nicht hören wolle. – So mußte Signor Pasquale zu seiner Marter dulden, daß Salvator und Antonio beinahe die ganze Nacht hindurch Lieder sangen, die bald die süßesten Liebesworte enthielten, bald die Torheit verliebter Alten verhöhnten. Sie gewahrten deutlich Marianna im Fenster, die Signor Pasquale vergebens mit den süßesten Worten und Beteuerungen beschwor, sich doch nicht der bösen Nachtluft auszusetzen.

Am folgenden Abend wandelte dann die merkwürdigste Gesellschaft, die man jemals gesehen, durch die Straße Ripetta nach der Porta del Popolo. Sie zog aller Augen auf sich, und man fragte, ob denn der Karneval noch einen Rest toller Masken zurückgelassen. – Signor Pasquale Capuzzi in seinen bunten, spanischen, wohl gebürsteten Kleidern, mit einer neuen gelben Feder auf dem spitzen Hute prangend, geschniegelt und gebügelt, durch und durch Zierlichkeit und Grazie, in zu engen Schuhen wie auf Eiern dahertretend, führte am Arm die holde Marianna, deren schlanken Wuchs, viel weniger deren Antlitz man nicht erschauen konnte, weil sie auf ungewöhnliche Weise in Schleier verhüllt war. Auf der andern Seite schritt Signor Splendiano Accoramboni in seiner großen Perücke, die den ganzen Rücken bedeckte, so daß es von hinten anzusehen war, als wandle ein ungeheurer Kopf daher auf zwei kleinen Beinchen. Dicht [377] hinter Marianna, sich beinahe an sie anklammernd, krebste das kleine Scheusal, der Pitichinaccio, nach, in feuerfarbnen Weiberkleidern und den ganzen Kopf auf widerwärtige Art mit bunten Blumen besteckt.

Signor Formica übertraf sich den Abend selbst, und was noch nie geschehn, er mischte kleine Lieder ein, die er bald in dem Ton dieses, bald jenes bekannten Sängers vortrug. In dem alten Capuzzi erwachte alle Theaterlust, die früher in jungen Jahren beinahe ausartete in Wahnsinn. Er küßte in Entzücken der Marianna einmal über das andere die Hände und Schwur, daß er keinen Abend versäumen werde, mit ihr Nicolo Mussos Theater zu besuchen. Er erhob den Signor Formica bis über die Sterne und stimmte mit aller Gewalt ein in den lärmenden Beifall der übrigen Zuschauer. Weniger zufrieden war der Signor Splendiano, der unablässig den Signor Capuzzi und die schöne Marianna ermahnte, nicht so übermäßig zu lachen. Er nannte in einem Atem etliche zwanzig Krankheiten, welche die zu große Erschütterung des Zwerchfells herbeiführen könne. Beide, Marianna und Capuzzi, kehrten sich aber daran ganz und gar nicht. Ganz unglücklich fühlte sich Pitichinaccio. Er hatte hinter dem Pyramiden-Doktor Platz nehmen müssen, der ihn mit seiner großen Perücke ganz und gar umschaltete. Er sah auch nicht das mindeste von der Bühne und den spielenden Personen und wurde überdem von zwei mutwilligen Weibern, die sich neben ihn gesetzt, unaufhörlich geängstigt und gequält. Sie nannten ihn eine artige liebe Signora, fragten, ob er trotz seiner Jugend schon verheiratet sei und Kinderchen habe, die allerliebste Wesen sein müßten u.s.w. Dem armen Pitichinaccio standen die kalten Schweißtropfen auf der Stirne, er wimmerte und winselte und verfluchte sein elendes Dasein.

Als die Vorstellung geendet, wartete Signor Pasquale, bis sich alle Zuschauer aus dem Hause entfernt hatten. Man löschte das letzte Licht aus, an dem Signor Splendiano [378] noch eben ein Stückchen von einer Wachsfackel angezündet hatte, als Capuzzi mit seinen würdigen Freunden und der Marianna langsam und bedächtig den Rückweg antrat.

Pitichinaccio weinte und schrie; Capuzzi mußte ihn zu seiner Qual auf den linken Arm nehmen, mit dem rechten faßte er Marianna. Vorauf zog der Doktor Splendiano mit seinem Fackelstümpfchen, das mühsam und erbärmlich genug brannte, so daß sie bei dem matten Schein die dicke Finsternis der Nacht erst recht gewahr wurden.

Noch ziemlich weit entfernt waren sie von der Porta del Popolo, als sie sich urplötzlich von mehreren hohen, in Mäntel dicht verhüllten Gestalten umringt sahen. In dem Augenblick wurde dem Doktor die Fackel aus der Hand geschlagen, daß sie am Boden verlöschte. – Lautlos blieb Capuzzi, blieb der Doktor stehen. Da fiel, man wußte nicht, woher er kam, ein blasser rötlicher Schimmer auf die Vermummten, und vier bleiche Totengesichter starrten den Pyramiden-Doktor mit hohlen, gräßlichen Augen an. »Wehe – wehe – wehe dir, Splendiano Accoramboni!« – So heulten die entsetzlichen Gespenster in tiefem, dumpfen Ton; dann wimmerte einer: »Kennst du mich, kennst du mich, Splendiano? – Ich bin Cordier, der französische Maler, der in voriger Woche begraben wurde, den du mit deiner Arznei unter die Erde brachtest!« Dann der zweite: »Kennst du mich, Splendiano? Ich bin Küfner, der deutsche Maler, den du mit deinen höllischen Latwergen vergiftetest!« Dann der dritte: »Kennst du mich, Splendiano? Ich bin Liers, der Flamländer, den du mit deinen Pillen umbrachtest und seinen Bruder um die Gemälde betrogst.« Dann der vierte: »Kennst du mich, Splendiano? Ich bin Ghigi, der neapolitanische Maler, den du mit deinen Pulvern tötetest!« – Und nun alle vier zusammen: »Wehe, wehe, – wehe dir, Splendiano Accoramboni, verfluchter Pyramiden-Doktor! – Du mußt hinab – hinab zu uns unter die Erde – Fort – fort – fort mit dir! – Halloh – Halloh!« – Und damit stürzten sie auf den unglücklichen [379] Doktor, hoben ihn hoch in die Luft und fuhren mit ihm ab wie der Sturmwind.

So sehr das Entsetzen den Signor Pasquale übermannen wollte, so faßte er sich doch mit wunderbarem Mute als er sah, daß es nur auf seinen Freund Accoramboni abgesehen war. Pitichinaccio hatte den Kopf samt dem Blumenbeet, das darauf befindlich, unter Capuzzis Mantel gesteckt und sich so fest um seinen Hals geklammert, daß alle Mühe, ihn abzuschütteln, vergebens blieb.

»Erhole dich,« sprach Capuzzi zu Marianna, als nichts mehr zu schauen war von den Gespenstern und dem Pyramiden-Doktor, »erhole dich, komm zu mir, mein süßes, liebes Täubchen! – Mein würdiger Freund Splendiano, der ist nun hin; Sankt Bernardus, der selbst ein tüchtiger Doktor war und vielen zur Seligkeit verholfen, möge ihm beistehen, wenn ihm die rachsüchtigen Maler, die er zu rasch nach seiner Pyramide befördert hat, den Hals umdrehen! – Wer wird nun zu meinen Kanzonen den Baß singen? – Und der Bengel, der Pitichinaccio, drückt mir dermaßen die Kehle zu, daß ich den Schreck, den mir Splendianos Transport verursacht, mit eingerechnet, vielleicht binnen sechs Wochen keinen reinen Ton werde hervorbringen können! – Sei nur nicht bange, meine Marianna! mein süßes Hoffen! – es ist alles vorüber!« –

Marianna versicherte, daß sie den Schreck ganz überwunden, und bat, sie nur allein, ohne Hilfe gehen zu lassen, damit Capuzzi sich von seinem lästigen Schoßkinde befreien könne. Signor Pasquale faßte aber das Mädchen nur noch fester und meinte, daß er um keinen Preis der Welt sie in dieser bedrohlichen Finsternis auch nur einen Schritt von sich lassen würde.

In demselben Augenblicke, als nun Signor Pasquale ganz wohlgemütlich weiter fort wollte, tauchten dicht vor ihm, wie aus tiefer Erde, vier gräßliche Teufelsgestalten auf, in kurzen rotgleißenden Mänteln, die ihn mit funkelnden Augen anblitzten und ein abscheuliches Gekrächze [380] und Gepfeife erhoben. »Hui, hui! – Pasquale Capuzzi, verfluchter Narr! – Alter verliebter Teufel! – Wir sind deine Kumpane, wir sind Liebesteufel, wir kommen dich zu holen in die Hölle, in die glühende Hölle, samt deinem Spießgesellen Pitichinaccio!« – So kreischten die Teufel und fielen über den Alten her. Capuzzi stürzte mit dem Pitichinaccio zu Boden, und beide erhoben ein gellendes, durchdringendes Jammergeschrei, wie eine ganze Herde geprügelter Esel.

Marianna hatte sich mit Gewalt vom Alten losgerissen und war auf die Seite gesprungen. Da schloß sie einer von den Teufeln sanft in die Arme und sprach mit süßer, lieblicher Stimme: »Ach, Marianna! – meine Marianna! – endlich ist's gelungen! – Die Freunde tragen den Alten weit, weit fort, während wir eine sichere Zuflucht finden!« – »Mein Antonio!« lispelte Marianna leise.

Aber plötzlich ward es ringsumher hell von Fackeln, und Antonio fühlte einen Stich in das Schulterblatt. Mit Blitzesschnelle wandte er sich um, riß den Degen aus der Scheide und ging dem Kerl, der eben mit dem Stilett in der Hand den zweiten Stoß führen wollte, zu Leibe. Er gewahrte, wie seine drei Freunde sich gegen eine Überzahl von Sbirren verteidigten. Es gelang ihm, den Kerl, der ihn angegriffen, fortzutreiben und sich zu den Freunden zu gesellen. So tapfer sie sich aber auch hielten, der Kampf war doch zu ungleich; die Sbirren mußten unfehlbar siegen, hätten sich nicht plötzlich mit lautem Geschrei zwei Männer in die Reihe der Jünglinge gestürzt, von denen der eine sogleich den Sbirren, der dem Antonio am härtesten zusetzte, niederstieß.

Der Kampf war nun in wenigen Augenblicken zum Nachteil der Sbirren entschieden. Wer von ihnen nicht hart verwundet auf dem Platze lag, floh mit lautem Geschrei der Porta del Popolo zu.

Salvator Rosa (niemand anders war der, der dem Antonio zu Hilfe eilte und den Sbirren niederstieß) wollte [381] mit Antonio und den jungen Malern, die in den Teufelsmasken steckten, ohne weiteres hinter den Sbirren her, nach der Stadt.

Maria Agli, der mit ihm gekommen und, seines hohen Alters unerachtet, den Sbirren zugesetzt hatte, trotz jedem andern, meinte indessen, dies sei nicht ratsam, da die Wache bei der Porta del Popolo von dem Vorfall unterrichtet, sie alle unbezweifelt verhaften würde. Sie begaben sich nun alle zum Nicolo Musso, der sie in seinem kleinen, engen Hause, unfern des Theaters, mit Freuden aufnahm. Die Maler legten ihre Teufelslarven und ihre mit Phosphor bestrichenen Mäntel ab, und Antonio, der außer dem unbedeutenden Stich im Schulterblatt gar nicht verwundet war, machte den Wundarzt geltend, indem er den Salvator, den Agli und die Jünglinge, welche alle Wunden davongetragen, mit denen es aber nicht die mindeste Gefahr hatte, verband.

Der Streich, so toll und keck angelegt, wäre gelungen, hätten Salvator und Antonio nicht eine Person außer acht gelassen, die ihnen alles verdarb. Michele, der gewesene Bravo und Sbirre, der unten in Capuzzis Hause wohnte und in gewisser Art seinen Hausknecht machte, war, wie es Capuzzi gewollt, hinter ihm hergegangen nach dem Theater, wiewohl in einiger Entfernung, da der Alte sich des zerlumpten Tagediebes schämte. Ebenso hatte Michele den Alten zurückbegleitet. Als nun die Gespenster erschienen, merkte Michele, der ganz eigentlich weder Tod noch Teufel fürchtete, gleich Unrat, lief in finstrer Nacht spornstreichs nach der Porta del Popolo, machte Lärm und kam mit den Sbirren, die sich zusammengefunden, wie wir wissen, gerade in dem Augenblick an, als die Teufel über den Signor Pasquale herfielen und ihn entführen wollten, wie die Toten den Pyramiden-Doktor.

In dem hitzigsten Gefecht hatte doch einer von den jungen Malern sehr deutlich wahrgenommen, daß ein Kerl, die ohnmächtige Marianna auf den Armen, fortlief nach [382] dem Tore, und daß ihm Signor Pasquale mit unglaublicher Hast, als sei Quecksilber in seine Beine gefahren, nachrannte. Dabei hatte etwas im Fackelschein hell Aufgleißendes an seinem Mantel gehangen und gewimmert; das mochte wohl der Pitichinaccio gewesen sein.

Am andern Morgen wurde bei der Pyramide des Cestius der Doktor Splendiano gefunden, ganz zusammengekugelt und in seine Perücke hineingedrückt, fest eingeschlafen, wie in einem warmen, weichen Nest. Als man ihn weckte, redete er irre und war schwer zu überzeugen, daß er sich noch auf der Oberwelt und zwar in Rom befinde, und als man ihn endlich nach Hause gebracht, dankte er der Jungfrau und allen Heiligen für seine Errettung, warf alle seine Tinkturen, Essenzen, Latwergen und Pulver zum Fenster hinaus, verbrannte seine Rezepte und gelobte künftig seine Patienten nicht anders zu heilen, als durch Bestreichen und Auflegen der Hände, wie es einmal ein berühmter Arzt, der zugleich ein Heiliger war, dessen Namen mir aber nicht beifallen will, vor ihm mit vielem Erfolg getan. Denn seine Patienten starben ebensogut wie die Patienten der andern und sahen schon vor dem Tode den Himmel offen und alles, was der Heilige nur wollte.

»Ich weiß nicht,« sprach Antonio andern Tages zum Salvator, »ich weiß nicht, welcher Grimm in mir entbrannt ist, seitdem mein Blut geflossen! – Tod und Verderben dem niederträchtigen Capuzzi! – Wißt Ihr, Salvator, daß ich entschlossen bin, mit Gewalt einzudringen in Capuzzis Haus? – Ich stoße den Alten nieder, wenn er sich widersetzt, und entführe Marianna!« –

»Herrlicher Anschlag,« rief Salvator lachend, »herrlicher Anschlag! – Vortrefflich ausgedacht! – Ich zweifle gar nicht, daß du auch das Mittel gefunden haben wirst, deine Marianna durch die Luft nach dem spanischen Platz zu bringen, damit sie dich nicht, ehe du diese Freistatt erreicht hast, greifen und aufhängen! – Nein, mein lieber Antonio! – mit Gewalt ist hier gar nichts auszurichten, [383] und Ihr könnt es Euch wohl denken, daß Signor Pasquale jetzt jedem öffentlichen Angriff auszuweichen wissen wird. Zudem hat unser Streich gar gewaltiges Aufsehen gemacht, und gerade das unmäßige Gelächter der Leute über die tolle Art, wie wir den Splendiano und den Capuzzi gehetzt haben, weckte die Polizei aus dem sanften Schlummer, die uns nun, soviel sie es mit ihren schwächlichen Mitteln vermag, nachstellen wird. – Nein, Antonio, laßt uns zur List unsre Zuflucht nehmen. Con arte e con inganno si vive mezzo l' anno, con inganno e con arte si vive l' altra parte. (Es bringen Trug und Künste des Sommers uns Gewinste, und schlaue Kunst, betrügen, schafft Winters uns Vergnügen!) – So spricht Frau Caterina, und sie hat recht. – Überdem muß ich lachen, daß wir recht wie junge, unbedachtsame Leute gehandelt haben, welches mir vorzüglich zur Last fällt, da ich ein gut Teil älter bin als Ihr. Sagt, Antonio, wäre uns der Streich wirklich gelungen, hättet Ihr Marianna dem Alten wirklich entrissen, sagt, wohin mit ihr fliehen, wo sie verborgen halten, wie es anfangen, so rasch die Verbindung durch den Priester herbeizuführen, daß der Alte sie nicht mehr zu hintertreiben vermochte? – Ihr sollt in wenigen Tagen Eure Marianna wirklich entführen. Ich habe den Nicolo Musso, den Formica, in alles eingeweiht und mit ihnen gemeinschaftlich einen Streich ersonnen, der kaum fehlschlagen kann. Tröstet Euch nur, Antonio! – Signor Formica wird Euch helfen!«

»Signor Formica?« sprach Antonio mit gleichgültigem, beinahe verächtlichem Ton, »Signor Formica? – Was kann mir der Spaßmacher nützen?«

»Hoho,« rief Salvator, »habt Ehrfurcht vor dem Signor Formica, das bitte ich mir aus! – Wißt Ihr denn nicht, daß Formica eine Art von Zaubrer ist, der ganz im Verborgnen über die wunderbarsten Künste gebietet? – Ich sage Euch, Signor Formica wird helfen! Auch der alte Maria Agli, der vortreffliche Doktor Graziano Bolognese, [384] ist in unser Komplott gezogen und wird dabei eine gar bedeutende Rolle spielen. Aus Mussos Theater, Antonio, sollt Ihr Eure Marianna entführen.«

»Salvator,« sprach Antonio, »Ihr schmeichelt mir mit trügerischen Hoffnungen! – Ihr sagtet selbst, daß Signor Pasquale jetzt sorglich jedem öffentlichen Angriff ausweichen wird. Wie ist es denn nun möglich, daß er sich entschließen könnte, nachdem ihm so Arges widerfahren, noch einmal Mussos Theater zu besuchen?«

»Den Alten dahin zu verlocken,« erwiderte Salvator, »ist so schwer nicht, als Ihr denken möget. Viel schwerer, wird es halten, zu bewirken, daß er ohne seine Kumpanen in das Theater steigt. – Doch dem sei, wie ihm wolle, jetzt ist es nötig, daß Ihr, Antonio, Euch vorbereitet, mit Marianna, sowie der günstige Moment da ist, aus Rom entfliehen zu können. – Ihr sollt nach Florenz, Ihr seid dort schon durch Eure Kunst empfohlen, und daß es Euch nach Eurer Ankunft nicht an Bekanntschaft, nicht an würdiger Unterstützung und Hilfe mangeln soll, dafür laßt mich sorgen! – Einige Tage müssen wir ruhen, dann wollen wir sehen, was sich weiter begibt. – Noch einmal, Antonio! – faßt Hoffnung; Formica wird helfen!«

Neuer Unfall, der den Signor Pasquale Capuzzi betrifft. Antonio Scacciati führt einen Anschlag im Theater des Nicolo Musso glücklich aus und flüchtet nach Florenz

Signor Pasquale wußte zu gut, wer ihm das Unheil, das ihn und den armen Pyramiden-Doktor vor der Porta del Popolo betroffen, bereitet hatte, und man kann denken, in welchem Grimm er entbrannt war gegen Antonio und gegen Salvator Rosa, den er mit Recht für den Anstifter von allem hielt. Er mühte sich ab, die arme Marianna zu trösten, die ganz erkrankt war vor Schreck, wie sie sagte; aber eigentlich vor Betrübnis, daß der verdammte Michele mit seinen Sbirren sie ihrem Antonio entrissen hatte. Margarita brachte ihr indessen fleißig Nachricht von dem [385] Geliebten, und auf den unternehmenden Salvator setzte sie ihre ganze Hoffnung. – Mit Ungeduld wartete sie an einem Tage zum andern auf irgendein neues Ereignis und ließ diese Ungeduld aus an dem Alten durch tausend Quälereien, die ihn in seiner wahnsinnigen Verliebtheit kirre und kleinmütig genug machten, ohne indessen etwas über den Liebesteufel zu vermögen, der in seinem Innern spukte. Hatte Marianna alle üble Laune des eigensinnigsten Mädchens im reichlichsten Maße ausgegossen, und litt sie dann nur ein einziges Mal, daß der Alte seine welken Lippen auf ihre kleine Hand drückte, so schwur er im Übermaße des Entzückens, daß er nicht ablassen wolle vom Pantoffel des Papstes mit inbrünstigen Küssen, bis er die Dispensation zur Heirat mit seiner Nichte, dem Ausbunde aller Schönheit und Liebenswürdigkeit, erhalten. Marianna hütete sich, ihn in diesem Entzücken zu stören, denn eben in diesem Hoffnungsschimmer des Alten leuchtete auch ihre Hoffnung auf, ihm desto leichter zu entfliehen, je fester er sie mit unauflöslichen Banden verstrickt glaubte.

Einige Zeit war vergangen, als eines Tages zur Mittagsstunde Michele die Treppe heraufstampfte und dem Signor Pasquale, der ihm nach vielem Klopfen die Tür öffnete, mit vieler Weitläuftigkeit meldete, daß ein Herr unten sei, der durchaus verlange, den Signor Pasquale Capuzzi, der, wie er wisse, in diesem Hause wohne, zu sprechen.

»O all ihr himmlischen Heerscharen,« schrie der Alte erbost, »ob der Schlingel nicht weiß, daß ich in meiner Wohnung durchaus keinen Fremden spreche!« –

Der Herr, meinte Michele, sei aber von gar feinem Ansehen, etwas ältlich, führe eine hübsche Sprache und nenne sich Nicolo Musso! –

»Nicolo Musso,« sprach Capuzzi nachdenklich in sich hinein, »Nicolo Musso, der das Theater vor der Porta del Popolo hat, was mag der nur von mir wollen?« Damit [386] verschloß und verriegelte er sorgfältig die Türe und stieg mit Michele die Treppe herab, um mit Nicolo unten vor dem Hause auf der Straße zu sprechen.

»Mein bester Signor Pasquale,« kam ihm Nicolo, sich mit freiem Anstande verneigend, entgegen, »wie hoch erfreut bin ich, daß Ihr mich Eurer Bekanntschaft würdigt! Wie vielen Dank bin ich Euch schuldig! – Seit die Römer Euch, den Mann von dem bewährtesten Geschmack, von der durchdringendsten Wissenschaft und Virtuosen in der Kunst, in meinem Theater gesehen haben, verdoppelte sich mein Ruf und meine Einnahme. Um so mehr schmerzt es mich tief, daß böse mutwillige Buben Euch und Eure Gesellschaft auf mörderische Weise angefallen haben, als Ihr aus meinem Theater nachts nach der Stadt zurückkehrtet! – Um aller Heiligen willen, Signor Pasquale, werft dieses Streichs halber, der schwer geahndet werden wird, nicht einen Groll auf mich und mein Theater! – Entzieht mir nicht Euren Besuch!« –

»Bester Signor Nicolo,« erwiderte der Alte schmunzelnd, »seid versichert, daß ich noch nie mehr Vergnügen empfand, als in Eurem Theater. Euer Formica, Euer Agli, das sind Schauspieler, wie ihresgleichen nicht zu finden. Doch der Schreck, der meinem Freunde, dem Signor Splendiano Accoramboni, ja mir selbst beinahe den Tod gebracht hat, war zu groß; er hat mir nicht Euer Theater, wohl aber den Gang dahin auf immer verleidet. Schlagt Ihr Euer Theater auf dem Platze del Popolo oder in der Straße Babuina, in der Straße Ripetta auf, so fehle ich gewiß keinen Abend, aber vor das Tor del Popolo bringt mich zur Nachtzeit keine Macht der Erde.«

Nicolo seufzte auf, wie von tiefem Kummer erfaßt. »Das trifft mich hart,« sprach er dann, »härter, als Ihr vielleicht glaubt, Signor Pasquale! – Ach! – auf Euch hatte ich alle meine Hoffnung gesetzt! – Um Euern Beistand wollte ich flehen!« –

»Um meinen Beistand,« fragte der Alte verwundert, [387] »um meinen Beistand, Signor Nicolo? Auf welche Weise hätte der Euch frommen können?«

»Mein bester Signor Pasquale,« erwiderte Nicolo, indem er mit dem Schnupftuch über die Augen fuhr, als trockne er hervorquellende Tränen, »mein bester vortrefflichster Signor Pasquale, Ihr werdet bemerkt haben, daß meine Schauspieler hin und wieder Arien einmischten. Das gedachte ich denn so ganz unvermerkt weiter und weiter hinaufzutreiben, ein Orchester anzuschaffen, kurz, zuletzt alle Verbote umgehend, eine Oper einzurichten. Ihr, Signor Capuzzi, seid der erste Komponist in ganz Italien, und nur der unglaubliche Leichtsinn der Römer, der hämische Neid der Maestri ist schuld daran, daß man auf den Theatern etwas anders hört als Eure Kompositionen. Signor Pasquale, um Eure unsterblichen Werke wollte ich Euch fußfällig bitten, um sie, wie es nur in meinen Kräften stand, auf mein geringes Theater zu bringen!« –

»Bester Signor Nicolo,« sprach der Alte, den vollsten Sonnenschein im Antlitz, »was unterreden wir uns denn hier auf öffentlicher Straße! – Laßt es Euch gefallen, ein paar steile Treppen hinaufzusteigen! – Kommt mit mir in meine schlechte Wohnung!«

Kaum mit Nicolo im Zimmer angelangt, holte der Alte ein großes Pack bestäubter Noten hervor, schlug es auseinander, nahm die Chitarre zur Hand und begann das entsetzliche, geltende Gekreisch, welches er Singen nannte.

Nicolo gebärdete sich wie ein Verzückter! – Er seufzte – er stöhnte – er schrie dazwischen: »bravo! – bravissimo! – benedettissimo Capuzzi!« – bis er endlich, wie im Übermaß der seligsten Begeisterung, dem Alten zu Füßen stürzte und seine Knie umfaßte, die er aber so heftig drückte, daß der Alte in die Höhe fuhr, vor Schmerz aufjauchzte, laut aufschrie: »Alle Heiligen! – Laßt ab von mir, Signor Nicolo, Ihr bringt mich um!«

»Nein,« rief Nicolo, »nein, Signor Pasquale, nicht eher stehe ich auf, bis Ihr mir die göttlichen Arien versprecht, [388] die Ihr soeben vorgetragen, damit sie übermorgen Formica in meinem Theater singen kann!«

»Ihr seid ein Mann von Geschmack,« ächzte Pasquale, »ein Mann von tiefer Einsicht! – Wem könnte ich besser meine Kompositionen anvertrauen als Euch! – Ihr sollt alle meine Arien mit Euch nehmen – laßt mich nur los! – Aber, o Gott, ich werde sie nicht hören, meine göttliche Meisterwerke! – Laßt mich nur los, Signor Nicolo!« –

»Nein,« rief Nicolo, noch immer auf den Knien und des Alten dürre Spindelbeine fest umklammernd, »nein, Signor Pasquale, ich lasse Euch nicht, bis Ihr Euer Wort gebt, übermorgen in meinem Theater zu sein! – Besorgt doch nur nicht einen neuen Anfall! Glaubt Ihr denn nicht, daß die Römer, haben sie Eure Arien gehört, Euch im Triumph mit hundert Fackeln zu Hause bringen werden? – Aber sollte das auch nicht geschehen, ich selbst und meine getreuen Kameraden, wir bewaffnen uns und geleiten Euch bis in Euer Haus!«

»Ihr selbst«, fragte Pasquale, »wollt mich begleiten mit Euern Kameraden! – Wieviel Leute sind das wohl?«

»Acht bis zehn Personen stehen Euch zu Befehl, Signor Pasquale! Entschließt Euch, erhört mein Flehen!« –

»Formica«, lispelte Pasquale, »hat eine schöne Stimme! – Wie er nur meine Arien vortragen wird!«

»Entschließt Euch«, rief Nicolo noch einmal, indem er fester des Alten Beine packte! – »Ihr steht mir,« sprach der Alte, »Ihr steht mir dafür, daß ich unangefochten mein Haus erreiche?«

»Ehre und Leben zum Pfande«, rief Nicolo, indem er den Beinen einen schärfern Druck gab.

»Topp!« – schrie der Alte, »ich bin übermorgen in Eurem Theater!« –

Da sprang Nicolo auf und drückte den Alten an die Brust, daß er ganz außer Atem ächzte und keuchte.

In dem Augenblick trat Marianna herein. Signor Pasquale wollte sie zwar mit einem grimmigen Blick, den er [389] ihr zuwarf, zurückscheuchen; sie kehrte sich aber gar nicht daran, sondern ging geradezu auf den Musso los und sprach wie im Zorn: »Vergebens, Signor Nicolo, versucht Ihr, meinen lieben Oheim in Euer Theater zu locken! – Ihr vergeßt, daß der abscheuliche Streich, den ruchlose Verführer, die mir nachstellen, neulich uns spielten, meinem herzgeliebten Oheim, seinem würdigen Freunde Splendiano, ja mir selbst beinahe das Leben kostete! Nimmermehr werde ich zugeben, daß mein Oheim sich aufs neue solcher Gefahr aussetze! Steht nur ab von Euern Bitten, Nicolo! – Nicht wahr, mein geliebtester Oheim, Ihr bleibt fein im Hause und wagt Euch nicht mehr vor die Porta del Popolo in der verräterischen Nacht, die niemands Freund ist?«

Signor Pasquale war wie vom Donner gerührt. Er starrte seine Nichte mit weit aufgerissenen Augen an. Darauf gab er ihr die süßesten Worte und setzte weitläuftig auseinander, wie Signor Nicolo sich dazu verpflichtet, solche Maßregeln zu treffen, die jeder Gefahr beim Rückwege vorbeugen sollten.

»Und doch«, sprach Marianna, »bleibe ich bei meinem Wort, indem ich Euch, geliebtester Oheim, auf das flehentlichste bitte, nicht in das Theater vor der Porta del Popolo zu gehen. – Verzeiht, Signor Nicolo, daß ich in Eurer Gegenwart geradezu heraussage, welche schwarze Ahnung in meiner Seele ist! – Ihr seid, ich weiß es, mit Salvator Rosa und auch wohl mit dem Antonio Scacciati bekannt. – Wie, wenn Ihr mit unsern Feinden unter einer Decke stecktet, wie, wenn Ihr meinen Oheim, der, ich weiß es, ohne mich Euer Theater nicht besuchen wird, nur auf hämische Weise verlocken wolltet, damit desto sicherer ein neuer verruchter Anschlag ausgeführt werde?«

»Welcher Verdacht,« rief Nicolo ganz erschrocken, »welcher entsetzliche Verdacht, Signora? – Kennt Ihr mich denn von solch einer schlimmen Seite? Hab' ich solch einen bösen Ruf, daß Ihr mir den abscheulichsten [390] Verrat zutraut? – Aber denkt Ihr einmal so schlecht von mir, setzt Ihr Mißtrauen in den Beistand, den ich Euch zugesagt, nun gut, so laßt Euch von Michele, der, wie ich weiß, Euch aus den Händen der Räuber gerettet hat, begleiten, und Michele soll eine gute Anzahl Sbirren mitnehmen, die Euch ja vor dem Theater erwarten können, da Ihr doch nicht verlangen werdet, daß ich meine Plätze mit Sbirren füllen soll.«

Marianna sah dem Nicolo starr in die Augen, dann sprach sie ernst und feierlich: »Was sagt Ihr? – Michele und Sbirren sollen uns begleiten? – Nun sehe ich wohl, Signor Nicolo, daß Ihr es ehrlich meint, daß mein schlimmer Verdacht ungerecht ist! – Verzeiht mir nur meine unbesonnenen Reden! – Und doch kann ich die Angst, die Besorgnis für meinen geliebten Oheim nicht überwinden, und doch bitte ich ihn, den bedrohlichen Gang nicht zu wagen!« –

Signor Pasquale hatte das ganze Gespräch mit seltsamen Blicken, die deutlich von dem Kampf in seinem Innern zeugten, angehört. Jetzt konnte er sich nicht länger halten, er stürzte vor der schönen Nichte auf die Kniee, ergriff ihre Hände, küßte sie, benetzte sie mit Tränen, die ihm aus den Augen quollen, rief wie außer sich: »Himmlische, angebetete Marianna, lichterloh schlagen die Flammen hervor, die in meinem Herzen brennen! – Ach, diese Angst, diese Besorgnis, das ist ja das süßeste Geständnis, daß du mich liebst!« – Und nun flehte er sie an, doch nur keiner Furcht Raum zu geben und von dem Theater herab die schönste der Arien zu hören, die jemals der göttlichste Komponist erfunden.

Auch Nicolo ließ nicht nach mit den wehmütigsten Bitten, bis Marianna sich für überwunden erklärte und versprach, alle Furcht beiseite gesetzt, dem zärtlichen Oheim in das Theater vor der Porta del Popolo zu folgen. – Signor Pasquale war verzückt in den höchsten Himmel der Wonne. Er hatte die Überzeugung von Mariannas [391] Liebe, die Hoffnung, im Theater seine Musik zu hören und Lorbeern zu erhaschen, nach denen er so lange vergebens getrachtet; er stand daran, seine süßesten Träume erfüllt zu sehen! – Nun wollte er auch sein Licht recht hell leuchten lassen vor den treu verbundenen Freunden, er dachte daher gar nicht anders, als daß Signor Splendiano und der kleine Pitichinaccio ebenso mit ihm gehen sollten, wie das erstemal.

Außer den Gespenstern, die ihn entführten, waren dem Signor Splendiano in der Nacht, als er neben der Pyramide des Cestius in seiner Perücke schlief, allerlei böse Erscheinungen gekommen. Der ganze Totenacker war lebendig worden, und hundert Leichen hatten die Knochenarme nach ihm ausgestreckt, laut jammernd über seine Essenzen und Latwergen, deren Qual sie noch im Grabe nicht verwinden konnten. Daher kam es, daß der Pyramiden-Doktor, konnte er gleich dem Signor Pasquale nicht ableugnen, wie nur der ausgelassenste Mutwille verruchter Buben ihm den Streich spielte, doch trübsinnig blieb und, sonst eben nicht zum abergläubischen Wesen geneigt, jetzt überall Gespenster sah und von Ahnungen und bösen Träumen hart geplagt wurde.

Pitichinaccio war nun durchaus nicht zu überzeugen, daß das nicht wirkliche Teufel aus der flammenden Hölle gewesen sein sollten, die über den Signor Pasquale und über ihn herfielen, und schrie laut auf, wenn man nur an jene verhängnisvolle Nacht dachte. Alle Beteurungen des Signor Pasquale, daß niemand anders als Antonio Scacciati und Salvator Rosa hinter den Teufelsmasken gesteckt, schlugen nicht an, denn Pitichinaccio schwur unter vielen Tränen, daß seiner Angst, seines Entsetzens unerachtet, er an der Stimme und an dem ganzen Wesen den Teufel Fanfarell sehr gut erkannt habe, der ihm den Bauch braun und blau gezwickt.

Man kann denken, wie Signor Pasquale sich abmühen mußte, beide, den Pyramiden-Doktor und den Pitichinaccio [392] zu überreden, noch einmal mit ihm zu wandern. Splendiano entschloß sich erst dazu, als es ihm gelungen, von einem Bernhardiner-Mönch ein geweihtes Bisamsäckchen zu erhalten, dessen Geruch weder Tote noch Teufel ertragen können, und mit dem er sich wappnen wollte gegen alle Anfechtungen; Pitichinaccio vermochte dem Versprechen einer Büchse mit in Zucker eingemachten Trauben nicht zu widerstehen, außerdem mußte aber Signor Pasquale ausdrücklich nachgeben, daß er statt der Weiberkleider, die ihm, wie er sagte, den Teufel recht auf den Hals gelockt hätten, seine neue Abbatenkleidung anlegen dürfte.

Was Salvator gefürchtet, schien also wirklich eintreffen zu wollen, und doch hing, wie er versicherte, sein ganzer Plan davon ab, daß Signor Pasquale mit Marianna allein, ohne die getreuen Kumpane, im Theater des Nicolo sein müsse.

Beide, Antonio und Salvator, zerbrachen sich weidlich den Kopf, wie sie den Splendiano und den Pitichinaccio von dem Signor Pasquale abwendig machen sollten. Zur Ausführung jedes Streichs, der dies hätte bewirken können, reichte aber die Zeit nicht hin, da schon am Abende des folgenden Tages der Anschlag im Theater des Nicolo ausgeführt werden mußte. Der Himmel, der sich oft der sonderbarsten Werkzeuge bedient, um die Narren zu züchtigen, schlug sich aber zugunsten des bedrängten Liebespaars ins Mittel und regierte den Michele, daß er seiner Tölpelei Raum gab und dadurch bewirkte, was Salvators und Antonios Kunst nicht zu erringen vermochte.

In selbiger Nacht entstand in der Straße Ripetta vor dem Hause des Signor Pasquale auf einmal ein solch entsetzliches Jammergeschrei, ein solch fürchterliches Fluchen, Toben und Schimpfen, daß alle Nachbaren auffuhren aus dem Schlafe, und die Sbirren, die eben einen Mörder verfolgt hatten, der sich nach dem spanischen Platz gerettet, neue Mordtat vermutend, schnell mit ihren [393] Fackeln herbeieilten. Als diese nun und mit ihnen eine Menge anderer Leute, die der Lärm herbeigelockt, ankamen auf dem vermeinten Mordplatz, lag der arme kleine Pitichinaccio wie entseelt auf dem Boden, Michele aber schlug mit einem furchtbaren Knittel auf den Pyramiden-Doktor los, der in demselben Augenblick niederstürzte, als Signor Pasquale sich mühsam aufrappelte, den Stoßdegen zog und wütend auf Michele eindrang. Rund umher lagen Stücke zersplitterter Chitarren. Mehrere Leute fielen dem Alten in den Arm, sonst hätte er den Michele unfehlbar durch und durch gerannt. Michele, der nun erst bei dem Schein der Fackeln gewahrte, wen er vor sich hatte, stand da, zur Bildsäule erstarrt, mit herausglotzenden Augen, ein gemalter Wütrich, parteilos zwischen Kraft und Willen, wie es irgendwo heißt. Dann stieß er ein entsetzliches Geheul aus, zerraufte sich die Haare, flehte um Gnade und Barmherzigkeit. – Keiner von beiden, weder der Pyramiden-Doktor noch der Kleine, waren bedeutend beschädigt, aber so zerbleut, daß sie sich nicht rücken noch regen konnten und nach Hause getragen werden mußten.

Signor Pasquale hatte sich das Unglück selbst auf den Hals geladen.

Wir wissen, daß Salvator und Antonio der Marianna die schönste Nachtmusik brachten, die man nur hören konnte; ich habe aber vergessen zu sagen, daß sie dies zum entsetzlichsten Ingrimm des Alten in jeder der folgenden Nächte wiederholten. Signor Pasquale, dessen Wut die Nachbarn in Schranken hielten, war toll genug, sich an die Obrigkeit zu wenden, die den beiden Malern das Singen in der Straße Ripetta verbieten sollte. Die Obrigkeit meinte aber, unerhört sei es in Rom, daß irgend jemanden verwehrt sein solle, zu singen und Chitarre zu spielen, wo es ihm beliebe, und es sei unsinnig, so etwas zu verlangen. Da beschloß Signor Pasquale, selbst dem Dinge ein Ende zu machen, und versprach dem Michele [394] ein gut Stück Geld, wenn er bei der ersten Gelegenheit über die Sänger herfallen und sie tüchtig abprügeln werde. Michele schaffte sich auch sofort einen tüchtigen Knittel an und lauerte jede Nacht hinter der Türe. Nun begab es sich aber, daß Salvator und Antonio es für ratsam hielten, die Nächte vor der Ausführung ihres Anschlages selbst die Nachtmusiken in der Straße Ripetta einzustellen, damit dem Alten auch kein Gedanke an seine Widersacher einkomme. Marianna äußerte ganz unschuldig, so sehr sie den Antonio, den Salvator hasse, so habe sie doch ihren Gesang gar gern gehört, da ihr Musik, die so zur Nachtzeit in den Lüften hinaufschwebe, über alles gehe.

Signor Pasquale schrieb sich das hinter die Ohren und wollte als ein Ausbund von Galanterie sein Liebchen mit einer Serenata überraschen, die er selbst komponiert und mit seinen Getreuen sorglich eingeübt hatte. Gerade in der Nacht vor dem Tage, an dem er im Theater des Nicolo Musso seinen höchsten Triumph zu feiern gedachte, schlich er sich heimlich fort und holte seine Getreuen herbei, die schon darauf vorbereitet waren. Kaum schlugen sie aber die ersten Töne auf den Chitarren an, als Michele, dem Signor Pasquale unbedachtesamerweise nichts von seinem Vorhaben gesagt, in voller Freude, endlich das ihm versprochne Stück Geld verdienen zu können, aus der Haustür herausstürzte, auf die Musiker unbarmherzig losprügelte, und sich folglich das begab, was wir wissen. Daß nun weder Signor Splendiano, noch Pitichinaccio, die über und über bepflastert in den Betten lagen, den Signor Pasquale in Nicolos Theater begleiten konnten, war keine Frage. Doch vermochte Signor Pasquale nicht davonzubleiben, ohnerachtet ihm Schultern und Rücken von den erhaltenen Prügeln nicht wenig schmerzten; jeder Ton seiner Arie war ein Band, das ihn unwiderstehlich hinzog.

»Nun das Hindernis,« sprach Salvator zu Antonio, »das wir für unübersteiglich hielten, sich von selbst aus dem Wege geräumt hat, kommt es nur auf Eure Geschicklichkeit [395] an, daß Ihr nicht den günstigen Moment versäumt, Eure Marianna aus dem Theater des Nicolo zu entführen.- Doch Ihr werdet nicht fehlen, und ich begrüße Euch schon als Bräutigam der holden Nichte Capuzzis, die in wenigen Tagen Eure Gattin sein wird. Ich wünsche Euch Glück, Antonio, wiewohl es mir durch Mark und Bein fröstelt, wenn ich an Eure Heirat denke!« –

»Wie meint Ihr das, Salvator?« fragte Antonio voll Erstaunen.

»Nennt es Grille,« erwiderte Salvator, »nennt es törichte Einbildung oder, wie Ihr sonst wollt, Antonio, genug, ich liebe die Weiber; aber jede, selbst die, in die ich bis zum Wahnsinn vernarrt bin, für die ich sterben möchte, macht in meinem Innersten einen Argwohn rege, der mich in den unheimlichsten Schauern erbeben läßt, sobald ich an eine Verbindung mit ihr denke, wie sie die Ehe herbeiführt. Das Unerforschliche in der Natur der Weiber spottet jeder Waffe des Mannes. Die, von der wir glauben, daß sie sich uns mit ihrem ganzen Wesen hingab, daß ihr Inneres sich uns erschlossen, betrügt uns am ersten, und mit dem süßesten Kuß saugen wir das verderblichste Gift ein.«

»Und meine Marianna?« rief Antonio bestürzt.

»Verzeiht, Antonio,« fuhr Salvator fort, »eben Eure Marianna, die die Holdseligkeit und Anmut selbst ist, hat mir aufs neue bewiesen, wie bedrohlich uns die geheimnisvolle Natur des Weibes ist! – Bedenkt, wie das unschuldige, unerfahrne Kind sich benahm, als wir den Oheim ihr ins Haus trugen, wie sie auf einen Blick von mir alles – alles erriet und ihre Rolle, wie Ihr mir selbst sagtet, mit der größten Klugheit fortspielte. Doch nicht mag dies in Anschlag kommen gegen das, was sich bei Mussos Besuch bei dem Alten begab! – Die geübteste Gewandtheit, die undurchdringliche Schlauheit, kurz, alle ersinnliche Kunst des welterfahrensten Weibes vermag nicht mehr, als was die kleine Marianna tat, um den Alten mit voller Sicherheit [396] hinters Licht zu führen. – Sie konnte gar nicht klüger handeln, um uns den Weg zu Unternehmungen jeder Art zu bahnen. Die Fehde gegen den alten wahnsinnigen Toren – jede List erscheint gerechtfertigt, aber – doch! – geliebter Antonio! – laßt Euch durch meine träumerischen Grillen nicht irren, sondern seid glücklich mit Eurer Marianna, wie Ihr's nur zu sein vermöget!«

Gesellte sich nur noch irgendein Mönch zum Signor Pasquale, als er mit seiner Nichte Marianna herauszog nach dem Theater des Nicolo Musso, alle Welt hätte glauben müssen, das seltsame Paar würde zum Richtplatz geführt. Denn vorauf ging der tapfere Michele barschen Ansehens, bis an die Zähne bewaffnet, und ihm folgten, den Signor Pasquale und Marianna einschließend, wohl an zwanzig Sbirren.

Nicolo empfing den Alten mit seiner Dame sehr feierlich an dem Eingange des Theaters und führte sie auf die dicht vor der Bühne befindlichen Sitze, die für sie aufbewahrt waren. Signor Pasquale fühlte sich durch diese Ehrenbezeugung sehr geschmeichelt, er blickte mit stolzen leuchtenden Blicken umher, und sein Vergnügen, seine Lust stieg um vieles höher, als er gewahrte, daß neben und hinter Marianna durchaus nur Frauen Platz genommen hatten. – Hinter den Tapeten der Bühne wurden ein paar Geigen und ein Baß eingestimmt; das Herz schlug dem Alten vor Erwartung, und wie ein elektrischer Schlag durchfuhr es ihm Mark und Bein, als urplötzlich das Ritornell seiner Arie begann.

Formica trat heraus als Pasquarello und sang – sang mit der Stimme, mit dem eigentümlichsten Gebärdenspiel Capuzzis die heilloseste aller Arien! – Das Theater dröhnte von dem schallenden, schmetternden Gelächter der Zuschauer. Man schrie, man raste: »Ah Pasquale Capuzzi! – compositore, virtuoso celeberrimo bravo! – bravissimo!« – Der Alte, das verfängliche Lachen nicht beachtend, war ganz Wonne und Entzücken. Die Arie war beendigt, man[397] rief zur Ruhe; denn Doktor Graziano, diesmal von Nicolo Musso selbst dargestellt, trat auf, sich die Ohren zuhaltend, schreiend, daß Pasquarello endlich einhalten sollte mit seinem tollen Gekrächze.

Der Doktor fragte nun den Pasquarello, seit wann er sich das verfluchte Singen angewöhnt, und wo er die abscheuliche Arie her habe?

Darauf Pasquarello, er wisse nicht, was der Doktor wolle, es ginge ihm so wie den Römern, die keinen Geschmack für wahrhafte Musik hätten und die größten Talente unbeachtet ließen. Die Arie sei von dem größten jetzt lebenden Komponisten und Virtuosen gesetzt, bei dem er das Glück habe, in Diensten zu stehen, und der ihn selbst in der Musik, im Gesang unterrichte!

Nun riet Graziano hin und her, nannte eine Menge bekannter Komponisten und Virtuosen; aber bei jedem berühmten Namen schüttelte Pasquarello verächtlich den Kopf. –

Endlich Pasquarello, der Doktor zeige seine grobe Unwissenheit, da er nicht einmal den größten Komponisten der Zeit kenne. Das sei kein andrer als der Signor Pasquale Capuzzi, der ihm die Ehre erwiesen, ihn in seine Dienste zu nehmen. Ob er es nicht einsehe, daß Pasquarello Freund und Diener des Signor Pasquale sein müsse?

Da brach der Doktor Graziano in ein ungemessenes Gelächter aus und rief, was? nachdem Pasquarello ihm, dem Doktor, aus dem Dienste gelaufen, wo ihm außer Lohn und Nahrung doch noch mancher Quattrino ins Maul geflogen, sei er hingegangen zu dem allergrößten, ausgemachtesten alten Gecken, der jemals sich mit Makkaroni gestopft, zu dem buntscheckigen Fastnachtsnarren, der einherstolziere wie ein satter Haushahn nach dem Regenwetter, zu dem knurrigen Geizhals, zu dem alten verliebten Hasenfuß, der mit dem widerlichen Bocksgeschrei, das er Singen nenne, die Luft in der Straße Ripetta verpeste u.s.w.

[398] Darauf Pasquarello, ganz erzürnt, nur der Neid spreche aus dem Doktor, er rede mit dem Herzen in der Hand (parla col cuore in mano), der Doktor sei gar nicht der Mann, der den Signor Pasquale Capuzzi di Senigaglia zu beurteilen imstande sei, – er rede mit dem Herzen in der Hand – der Doktor selbst habe einen starken Beischmack von dem allen, was er an dem vortrefflichen Signor Pasquale tadle – er rede mit dem Herzen in der Hand – er habe es selbst oft genug erfahren, daß über den Herrn Doktor Graziano an sechshundert Personen auf einmal, aus voller Kehle gelacht u.s.w. Nun hielt Pasquarello eine lange Lobrede auf seinen neuen Herrn, den Signor Pasquale, in der er ihm alle nur mögliche Tugenden beilegte und mit der Beschreibung seiner Person schloß, die er als die Liebenswürdigkeit und Anmut selbst herausstrich.

»Gesegneter Formica,« lispelte Signor Capuzzi vor sich hin, »gesegneter Formica, ich merke, du hast es darauf abgesehen, meinen Triumph vollständig zu machen, da du den Römern allen Neid und Undank, mit dem sie mich verfolgen, gehörig in die Nase reibst und ihnen sagst, wer ich bin!«

»Da kommt mein Herr selbst«, rief in dem Augenblick Pasquarello, und es trat herein – Signor Pasquale Capuzzi, wie er leibte und lebte, in Kleidung, Gesicht, Gebärde, Gang, Stellung dem Signor Capuzzi unten so völlig gleich, daß dieser ganz erschrocken Marianna, die er so lange mit der einen Hand festgehalten, losließ und sich selbst, Nase und Perücke betastete, um zu erspüren, ob er nicht im Traum liege und sich doppelt sehe, ob er wirklich im Theater des Nicolo Musso sitze und dem Wunder trauen dürfe.

Capuzzi auf dem Theater umarmte den Doktor Graziano mit vieler Freundlichkeit und fragte, wie es ihm ginge. Der Doktor erwiderte, sein Appetit sei gut, sein Schlaf ruhig, ihm zu dienen (per servirlo), was aber seinen [399] Beutel betreffe, der leide an einer gänzlichen Auszehrung. Gestern hab' er, seiner Liebe zu Ehren, den letzten Dukaten für ein Paar rosmarinfarbne Strümpfe ausgegeben, und eben wolle er zu dem und dem Bankier wandern, um zu sehen, ob er dreißig Dukaten geborgt erhalten könne!

»Wie könnt Ihr«, sprach nun Capuzzi, »bei Eurem besten Freunde vorbeigehen! – Hier, mein bester Signor, sind fünfzig Dukaten, nehmt sie hin!« –

»Pasquale, was tust du!« rief der Capuzzi unten halblaut. –

Der Doktor Graziano sprach nun von Schuldschein, von Zinsen; Signor Capuzzi erklärte aber, daß er beides nicht verlange von einem Freunde, wie der Doktor sei.

»Pasquale, bist du von Sinnen?« rief der Capuzzi unten noch lauter.

Doktor Graziano schied nach vielen dankbaren Umarmungen. Nun nahte sich Pasquarello, machte viele Bücklinge, erhob den Signor Capuzzi bis in den Himmel, meinte, daß sein Beutel an ebenderselben Krankheit leide, wie der Beutel Grazianos, bat auch, ihm doch mit der vortrefflichen Arznei aufzuhelfen! – Capuzzi auf dem Theater lachte, freute sich, daß Pasquarello seine gute Laune zu nutzen verstehe, und warf ihm einige blanke Dukaten hin! –

»Pasquale, du bist rasend – vom Teufel besessen«, rief der Capuzzi unten überlaut. Man gebot ihm Stillschweigen.

Pasquarello stieg noch höher in Capuzzis Lob und kam zuletzt auf die Arie, die er, Capuzzi, komponiert habe, und womit er, Pasquarello, alle Welt zu bezaubern hoffe. Capuzzi auf dem Theater klopfte dem Pasquarello treuherzig auf die Schulter und sprach, ihm, als seinem treuen Diener, könne er es wohl vertrauen, daß er von der Kunst der Musik eigentlich gar nichts verstehe und die Arie, von der er spreche, sowie alle Arien, die er jemals komponiert, aus Frescobaldis Kanzonen und Carissimis Motetten gestohlen habe.[400] »Das lügst du in deinen eignen Hals hinein, du Halunke!« schrie der Capuzzi unten, indem er sich von seinem Sitze erhob. Man gebot ihm aufs neue Stillschweigen, und die Frau, welche neben ihm saß, zog ihn auf die Bank nieder.

Es sei nun Zeit, fuhr der Capuzzi auf dem Theater fort, an andere wichtigere Dinge zu denken. Er wolle morgen einen großen Schmaus geben, und Pasquarello müsse sich frisch daranhalten, alles Nötige herbeizuschaffen. Nun holte er ein Verzeichnis der köstlichsten, teuersten Speisen hervor, welches er ablas; bei jeder Speise mußte Pasquarello anmerken, wieviel sie kosten würde, und erhielt auf der Stelle das Geld.

»Pasquale! – Unsinniger! – Rasender! – Taugenichts! – Verschwender!« – so rief der Capuzzi unten dazwischen und wurde immer zorniger und zorniger, je höher die Summe der Kosten stieg für das unsinnigste aller Mittagsmahle.

Pasquarello fragte, als endlich das Verzeichnis geschlossen, wodurch denn Signor Pasquale bewogen würde, solch ein glänzendes Fest zu geben.

»Es ist«, sprach der Capuzzi auf dem Theater, »morgen der glücklichste, freudenvollste Tag meines Lebens. Wisse, mein guter Pasquarello, daß ich morgen den segensreichen Hochzeitstag meiner lieben Nichte Marianna feiere. Ich gebe ihre Hand dem braven jungen Menschen, dem vortrefflichsten aller Künstler, dem Antonio Scacciati!«

Kaum hatte der Capuzzi oben das Wort ausgesprochen, als der Capuzzi unten, ganz außer sich, ganz von Sinnen, alle Wut der Hölle im feuerroten Antlitz, aufsprang, beide Fäuste gegen sein Ebenbild ballte und mit gellender Stimme aufkreischte: »Das tust du nicht, das tust du nicht, du schurkischer halunkischer Pasquale! – Willst du dich um deine Marianna betrügen, du Hund? – willst du sie dem verdammten Schuft an den Hals werfen – die süße Marianna, dein Leben – dein Hoffen – dein alles? – Ha, sieh [401] zu – sieh zu – betörter Narr! sieh zu, wie du bei dir ankommst! – Deine Fäuste sollen dich zerbleuen, daß du schon Mittagsmahl und Hochzeit vergessen wirst!«

Aber Capuzzi oben ballte ebenso wie der Capuzzi unten die Fäuste und schrie ebenso in voller Wut, mit derselben geltenden Stimme: »Alle Teufel dir in den Leib, du verfluchter, unsinniger Pasquale, du verruchter Geizhals – alter verliebter Geck – bunt geputzter Esel mit der Schellenkappe um die Ohren – sich dich vor, daß ich dir nicht das Lebenslicht ausblase, damit deine niederträchtigen Streiche, die du dem ehrlichen, guten, frommen Pasquale Capuzzi auf den Hals schieben willst, endlich einmal aufhören.«

Unter den gräßlichsten Flüchen und Verwünschungen des Capuzzi unten erzählte nun der Capuzzi oben ein sauberes Stückchen von ihm nach dem andern.

»Versuche es einmal,« schrie endlich der Capuzzi oben, »versuche es einmal, Pasquale, du alter verliebter Affe, das Glück dieser beiden Leute, die der Himmel selbst für einander bestimmt, zu stören!«

In dem Augenblicke erschienen im Hintergrunde des Theaters Antonio Scacciati und Marianna, sich mit den Armen umschlingend. So schwächlich der Alte sonst auf den Beinen war, die Wut gab ihm Behendigkeit und Kraft. Mit einem Satze war er auf der Bühne, riß den Stoßdegen aus der Scheide und rannte auf den vermeintlichen Antonio los. Er fühlte sich indessen von hinten festgehalten. Ein Offizier von der päpstlichen Garde hatte ihn erfaßt und sprach mit ernstem Ton: »Besinnt Euch, Signor Pasquale, Ihr seid auf dem Theater des Nicolo Musso! – Ohne es zu wollen, habt Ihr heute eine gar ergötzliche Rolle gespielt! – Weder Antonio noch Marianna werdet Ihr hier finden.« – Die beiden Personen, die Capuzzi dafür gehalten, waren mit den übrigen Schauspielern näher getreten. Capuzzi schaute in lauter unbekannte Gesichter! – Der Degen fiel ihm aus der zitternden Hand, er holte [402] tief Atem, wie aus einem schweren Traum erwachend, er faßte sich an die Stirne – riß die Augen weit auf. Die Ahnung dessen, was geschehen, ergriff ihn; er schrie mit fürchterlicher Stimme, daß die Wände dröhnten: »Marianna!«

Bis zu ihr konnte aber sein Ruf nicht mehr dringen. Antonio hatte nämlich den Zeitpunkt, als Pasquale, alles um sich her, sich selbst vergessend, mit seinem Doppeltgänger zankte, sehr gut wahrgenommen, sich an Marianna hinan, durch die Zuschauer fort und zu einer Seitentüre hinauszuschleichen, wo der Vetturino mit dem Wagen bereit stand. Fort ging es im schnellsten Lauf, fort nach Florenz.

»Marianna!« schrie der Alte nochmals, »Marianna! – Sie ist fort – sie ist entflohen – der Spitzbube Antonio hat sie mir gestohlen! – Auf – ihr nach! – Habt die Barmherzigkeit – Leute, nehmt Fackeln, sucht mir mein Täubchen – ha, die Schlange!« –

Damit wollte der Alte fort. Der Offizier hielt ihn aber fest, indem er sprach: »Meint Ihr das junge holde Mädchen, das neben Euch saß, so ist es mir, als hätte ich sie längst, und zwar als Ihr den unnützen Zank mit dem Schauspieler, der eine Euch ähnliche Maske trug, anfinget, mit einem jungen Menschen, mich dünkt, es war Antonio Scacciati, herausschlüpfen gesehen. Sorgt nicht dafür; es sollen sogleich alle nur mögliche Nachforschungen angestellt, und Marianna soll Euch zurückgeliefert werden, sowie man sie findet. Was aber jetzt Euch selbst betrifft, Signor Pasquale, so muß ich Euch, Eures Betragens, Eures mordgierigen Anschlags auf das Leben jenes Schauspielers halber, verhaften!« –

Signor Pasquale, den bleichen Tod im Antlitz, keines Wortes, keines Lautes mächtig, wurde von denselben Sbirren abgeführt, die ihn schützen sollten wider verkappte Teufel und Gespenster, und so kam in derselben Nacht, in der er seinen Triumph zu feiern hoffte, tiefe Betrübnis [403] über ihn und alle wahnsinnige Verzweiflung alter, verliebter, betrogner Toren.

Salvator Rosa verläßt Rom und begibt sich nach Florenz. Beschluß der Geschichte

Alles hienieden unter der Sonne ist stetem Wechsel unterworfen; doch nichts mag wankelmütiger genannt werden, als die Gesinnung der Menschen, die sich in ewigem Kreise fortdreht wie das Rad der Glücksgöttin. Bittrer Tadel trifft morgen den, der heute großes Lob einerntete, mit Füßen tritt man heute den, der morgen hoch erhoben wird! –

Wer war in Rom, der nicht den alten Pasquale Capuzzi, mit seinem schmutzigen Geiz, mit seiner närrischen Verliebtheit, mit seiner wahnsinnigen Eifersucht, verspottete und verhöhnte, der nicht der armen, gequälten Marianna die Freiheit wünschte. Und nun Antonio die Geliebte glücklich entführt hatte, wandte sich aller Hohn, aller Spott plötzlich um in Mitleid für den alten Toren, den man mit zur Erde gesenktem Haupte ganz trostlos durch die Straßen von Rom schleichen sah. Ein Unglück kommt selten allein: so begab es sich denn auch, daß Signor Pasquale bald darauf, als ihm Marianna entführt worden, seine besten Busenfreunde verlor. Der kleine Pitichinaccio erstickte nämlich an einem Mandelkern, den er unvorsichtigerweise verschlucken wollte, als er eben in einer Kadenz begriffen; dem Leben des berühmten Pyramiden-Doktors Signor Splendiano Accoramboni setzte aber das plötzliche Ziel ein Schreibfehler, dessen er sich selbst schuldig machte. Micheles Prügel waren ihm so schlecht bekommen, daß er in ein Fieber verfiel. Er beschloß, sich selbst durch ein Mittel zu heilen, das er erfunden zu haben glaubte, verlangte Feder und Tinte und schrieb ein Rezept auf, in welchem er durch ein unrichtiges Zeichen die Dosis einer stark wirkenden Substanz auf unbillige Weise erhöhte. Kaum hatte er indessen die Arzenei verschluckt,[404] als er in die Bettkissen zurücksank und dahinschied, so aber die Wirkung der letzten Tinktur, die er verordnete, durch den eignen Tod auf würdige, herrliche Weise bewährte.

Wie gesagt, nun waren alle, die sonst am ärgsten gelacht und tausendmal dem wackern Antonio das Gelingen seines Anschlags gewünscht hatten, ganz Mitleid für den Alten, und nicht sowohl den Antonio, als den Salvator Rosa, den sie freilich mit Recht für den Anstifter des ganzen Streichs hielten, traf der bitterste Tadel.

Salvators Feinde, deren es eine gute Anzahl gab, unterließen nicht das Feuer zu schüren, wie sie nur konnten. »Seht,« sprachen sie, »das ist Mas'Aniellos saubrer Spießgeselle, der zu allen schlechten Streichen, zu allen räuberischen Unternehmungen willig die Hand bietet, dessen bedrohlichen Aufenthalt in Rom wir nächstens schwer fühlen werden!« –

In der Tat gelang es der neidischen Rotte, die sich wider Salvator verschworen, den kecken Flug, den sonst sein Ruhm genommen, zu hemmen. Ein Gemälde nach dem andern, kühn erfunden, herrlich ausgeführt, ging aus seiner Werkstätte hervor; aber immer zuckten die sogenannten Kenner die Achseln, fanden bald die Berge zu blau, die Bäume zu grün, die Figuren bald zu lang, bald zu breit, tadelten alles, was nicht zu tadeln war, und suchten Salvators wohlerworbnes Verdienst auf jede Weise zu schmälern. Vorzüglich verfolgten ihn die Akademiker von San Luca, die ihm den Wundarzt nicht vergessen konnten, und gingen weiter, als es ihres Berufs schien, da sie selbst die artigen Verse, die Salvator damals aufschrieb, herabsetzten, ja sogar zu verstehen gaben, daß Salvator die Früchte nicht auf eignem Boden pflücke, sondern fremdes Gebiet plündere. Daher kam es denn auch, daß es Salvator durchaus nicht gelingen wollte, sich mit dem Glanz zu umgeben, wie es wohl ehemals in Rom geschehen. Statt der großen Werkstatt, in der ihn sonst die vornehmsten [405] Römer aufsuchten, blieb er bei der Frau Caterina, bei seinem grünen Feigenbaum, und gerade in dieser Beschränktheit mochte er manchmal Trost finden und Beruhigung.

Mehr als billig ging dem Salvator das hämische Betragen seiner Feinde zu Herzen, ja, er fühlte, wie eine schleichende Krankheit, von Ärger und Mißmut erzeugt, an seinem besten Lebensmark zehrte. In dieser bösen Stimmung entwarf und führte er zwei große Gemälde aus, die ganz Rom in Aufruhr setzten. Das eine dieser Gemälde stellte die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge dar, und man erkannte in der Hauptfigur, einer leichtsinnigen Weibsperson, die alle Zeichen des niederträchtigen Gewerbes an sich trug, die Geliebte eines Kardinals. Auf dem andern Gemälde war die Glücksgöttin abgebildet, die ihre reichen Gaben verspendet. Doch Kardinalshüte, Bischofsmützen, goldne Münzen, Ehrenzeichen fielen herab auf blökende Schafe, schreiende Esel und andere verachtete Tiere, während schön gestaltete Menschen in zerrissenen Kleidern vergebens hinaufblickten nach der geringsten Gabe. Salvator hatte ganz Raum gegeben seiner verbitterten Laune, und jene Tierköpfe trugen die ähnlichsten Züge dieser, jener vornehmen Person. Man kann denken, wie der Haß gegen ihn stieg, wie er ärger verfolgt wurde als jemals.

Frau Caterina warnte ihn mit Tränen in den Augen. Sie hatte es wohl bemerkt, daß, sobald es Nacht geworden, verdächtiges Gesindel um das Haus schlich, das jeden Schritt Salvators zu belauschen schien. Salvator sah ein, daß es Zeit sei, Rom zu verlassen, und Frau Caterina mit ihren herzlieben Töchtern waren die einzigen Personen von denen er sich mit Schmerz trennte. Er begab sich, eingedenk der wiederholten Aufforderung des Herzogs von Toskana, nach Florenz. Hier war es nun, wo dem gekränkten Salvator aller Verdruß, der ihm in Rom zugefügt worden war, reichlich vergütigt, wo ihm alle Ehre, [406] aller Ruhm, seinem Verdienst gemäß, in reichlichem Maß gespendet wurde. Die Geschenke des Herzogs, die hohen Preise, die er für seine Gemälde erhielt, setzten ihn bald in den Stand, ein großes Haus zu beziehen und auf das prächtigste einzurichten. Da versammelten sich um ihn her die berühmtesten Dichter und Gelehrten der Zeit; es ist genug, den Evangelista Toricelli, den Valerio Chimentelli, den Battista Ricciardi, den Andrea Cavalcanti, den Pietro Salvati, den Filippo Apolloni, den Volumnio Bandelli, den Francesco Rovai zu nennen, die sich darunter befanden. Man trieb Kunst und Wissenschaft, im schönen Bunde vereinigt, und Salvator Rosa wußte den Zusammenkünften ein phantastisches Ansehen zu geben, das den Geist auf eigene Weise belebte und anfeuerte. So glich der Speisesaal einem schönen Lusthain mit duftenden Büschen und Blumen und plätschernden Springbrunnen, und selbst die Speisen, die von seltsam gekleideten Pagen aufgetragen wurden, sahen wunderbar aus, als kämen sie aus einem fernen Zauberlande. Diese Versammlungen der Dichter und Gelehrten in Salvator Rosas Hause nannte man damals die »Academia de' Percossi«.

Wandte nun auf diese Weise Salvator seinen Geist ganz zu der Kunst und Wissenschaft, so lebte sein innigstes Gemüt auf bei seinem Freunde Antonio Scacciati, der mit der holden Marianna ein anmutiges, sorgenfreies Künstlerleben führte. Sie gedachten des alten betrogenen Signor Pasquale, und wie sich alles im Theater des Nicolo Musso begeben. Antonio fragte den Salvator, wie er es denn angestellt, den Musso nicht allein, sondern auch den vortrefflichen Formica, den Agli, für seine, des Antonios, Sache zu beleben; Salvator meinte indessen, das sei ein leichtes gewesen, da eben Formica sein innigst verbundner Freund in Rom gewesen, so daß er alles mit Lust und Liebe auf dem Theater ausgeführt, was er, Salvator, ihm angegeben. Antonio versicherte dagegen, daß, so sehr er noch über jenen Auftritt lachen müsse, der sein Glück [407] herbeigeführt, er doch von Herzen wünsche, den Alten zu versöhnen, wenn er übrigens auch nicht einen Quattrino von Mariannas Vermögen, das der Alte in Beschlag genommen, heraushaben wolle, da seine Kunst ihm Geld genug einbringe. Auch Marianna könne sich oft nicht der Tränen enthalten, wenn sie daran denke, daß der Bruder ihres Vaters ihr im Grabe den Streich nicht verzeihen werde, der ihm gespielt worden, und so werfe Pasquales Haß einen trüben Wolkenschatten in sein helles Leben. Salvator tröstete beide, Antonio und Marianna, damit, daß die Zeit noch viel ärgere Dinge ausgleichen, und daß der Zufall vielleicht auf weniger gefährliche Weise den Alten in ihre Nähe bringen werde, als es geschehen, wenn sie in Rom geblieben oder jetzt nach Rom zurückkehren wollten.

Wir werden sehen, daß in dem Salvator ein weissagender Geist wohnte.

Mehrere Zeit war vergangen, als eines Tages Antonio atemlos, bleich wie der Tod in Salvators Werkstatt hereinstürzte. »Salvator,« rief er, »Salvator, mein Freund! – mein Beschützer! – ich bin verloren, wenn Ihr nicht helft – Pasquale Capuzzi ist hier; er hat gegen mich, als den Entführer seiner Nichte, einen Verhaftsbefehl ausgewirkt!« –

»Aber,« sprach Salvator, »was kann Signor Pasquale jetzt gegen Euch ausrichten? – Seid Ihr denn nicht durch die Kirche mit Eurer Marianna verbunden?«

»Ach,« erwiderte Antonio, ganz in Verzweiflung, »selbst der Segen der Kirche schützt mich nicht vor dem Verderben! – Weiß der Himmel, welchen Weg der Alte gefunden hat, sich dem Nepoten des Papstes zu nähern. Genug, der Nepote ist's, der den Alten in seinen Schutz genommen, der ihm Hoffnung gemacht hat, daß der heilige Vater das Bündnis mit Marianna für nichtig erklären, noch mehr, daß er ihm, dem Alten, Dispensation geben werde, seine Nichte zu heiraten!«

[408] »Halt,« rief Salvator, »nun, nun verstehe ich alles! – Es ist der Haß des Nepoten gegen mich, der Euch, Antonio, zu verderben droht! – Wißt, daß der Nepote, dieser stolze, rohe, bäurische Tölpel sich unter jenen Tieren auf meinem Gemälde befand, die die Glücksgöttin mit ihren Gaben überschüttet! – Daß ich es war, der Euch zu Eurer Marianna, wenn auch mittelbar, verhalf, das weiß nicht allein der Nepote, das weiß jedermann in Rom; Grund genug, Euch zu verfolgen, da sie mir selbst eben nichts anhaben können! – Liebte ich Euch auch nicht als meinen besten innigsten Freund, Antonio, doch müßte ich schon darum, weil ich den Unstern auf Euch herabgezogen, alle meine Kräfte aufbieten, Euch beizustehen! – Aber bei allen Heiligen, ich weiß nicht, auf welche Weise ich Euern Gegnern das Spiel verderben soll!« –

Damit legte Salvator, der so lange, ohne sich zu unterbrechen, an einem Gemälde gearbeitet, Pinsel, Palette, Malstock weg, stand auf von der Staffelei und ging, die Arme übereinandergeschlagen, im Zimmer einigemal auf und ab, während Antonio, ganz in sich versunken, starren Blicks den Boden betrachtete.

Endlich blieb Salvator vor Antonio stehen und rief lächelnd: »Hört, Antonio, ich kann nichts ausrichten gegen Eure mächtigen Feinde, aber einer ist noch, der Euch helfen kann und helfen wird, und das ist – Signor Formica!« –

»Ach,« sprach Antonio, »scherzt nicht mit einem Unglücklichen, für den es keine Rettung mehr gibt!« –

»Wollt Ihr schon wieder verzweifeln?« rief Salvator, indem er, auf einmal in die heiterste Laune versetzt, laut auflachte; »ich sage Euch, Antonio! – Freund Formica wird helfen in Florenz, wie er in Rom geholfen! – Geht fein nach Hause, tröstet Eure Marianna und erwartet ruhig, wie sich alles fügen wird. Ich hoffe, Ihr seid auf jeden Wink bereit, das zu tun, was Signor Formica, der sich in der Tat eben hier befindet, von Euch verlangen wird!« Antonio versprach das mit vollem Herzen, indem [409] aufs neue die Hoffnung in ihm aufdämmerte und das Vertrauen.

Signor Pasquale Capuzzi geriet nicht in geringes Erstaunen, als er eine feierliche Einladung von der Academia de' Percossi erhielt. »Ha,« rief er aus, »hier in Florenz ist es also, wo man Verdienste zu schätzen weiß, wo man den mit den vortrefflichsten Gaben ausgestatteten Pasquale Capuzzi di Senigaglia kennt und würdigt!« – So überwand der Gedanke an seine Wissenschaft, an seine Kunst, an die Ehre, die ihm deshalb erzeigt wurde, den Widerwillen, den er sonst gegen eine Versammlung hegen mußte, an deren Spitze Salvator Rosa stand. Das spanische Ehrenkleid wurde sorglicher ausgebürstet als jemals, der spitze Hut mit einer neuen Feder geschmückt, die Schuhe wurden mit neuen Bandschleifen versehen, und so erschien Signor Pasquale, glänzend wie ein Goldkäfer, vollen Sonnenschein im Antlitz, in Salvators Hause. Die Pracht, von der er sich umgeben sah, selbst Salvator, der ihn, in reichern Kleidern angetan, empfing, flößte ihm Ehrfurcht ein, und wie es bei kleinen Seelen zu geschehen pflegt, die, erst stolz und aufgeblasen, sich gleich im Staube winden, sobald sie irgendeine Übermacht fühlen, Pasquale war ganz Demut und Ergebung gegen denselben Salvator, dem er in Rom kecklich zu Leibe gehen wollen.

Man erwies von allen Seiten dem Signor Pasquale so viel Aufmerksamkeit, man berief sich so unbedingt auf sein Urteil, man sprach so viel von seinen Verdiensten um die Kunst, daß er sich wie neu belebt fühlte, ja daß ein besonderer Geist in ihm wach wurde und er über manches viel gescheiter sprach, als man es hätte denken sollen. Kam noch hinzu, daß er in seinem Leben nicht herrlicher bewirtet worden, daß er niemals begeisterndern Wein getrunken, so konnte es nicht fehlen, daß seine Lust höher und höher stieg, und er alle Unbill vergaß, die ihm in Rom widerfahren, und die böse Angelegenheit, weshalb er sich in Florenz befand. Die Akademiker pflegten oft nach [410] der Mahlzeit zu ihrer Lust kleine theatralische Darstellungen aus dem Stegreife zu geben, und so forderte denn auch heute der berühmte Schauspieldichter Filippo Apolloni diejenigen, die gewöhnlich daran teilnahmen, auf, das Fest mit einer solchen Darstellung zu beschließen. Salvator entfernte sich sogleich, um die nötigen Vorkehrungen zu treffen.

Nicht lange dauerte es, so regten sich am Ende des Speisesaals die Büsche, schlugen die belaubten Zweige auseinander, und ein kleines Theater mit einigen Sitzen für die Zuschauer wurde sichtbar.

»Alle Heiligen,« rief Pasquale Capuzzi erschrocken, »wo bin ich! – das ist das Theater des Nicolo Musso!« –

Ohne auf seinen Ausruf zu achten, faßten ihn Evangelista Toricelli und Andrea Cavalcanti, beides ernste Männer von würdigem, ehrfurchtgebietendem Ansehen, bei den Armen, führten ihn zu einem Sitz dicht vor dem Theater und nahmen von beiden Seiten neben ihm Platz.

Kaum war dies geschehen, so erschien – Formica auf dem Theater als Pasquarello! –

»Verruchter Formica!« schrie Pasquale, indem er aufsprang und mit geballter Faust nach dem Theater hindrohte. Toricellis und Cavalcantis ernste, strafende Blicke geboten ihm Ruhe und Stillschweigen.

Pasquarello schluchzte, weinte, fluchte auf das Schicksal, das ihm lauter Jammer und Herzeleid bereitet, versicherte, er wisse gar nicht mehr, wie er es anstellen solle, um zu lachen, und schloß damit, daß er sich in heller Verzweiflung ganz gewiß den Hals abschneiden, wenn er, ohne ohnmächtig zu werden, Blut sehen, oder in die Tiber stürzen würde, wenn er nur im Wasser das verfluchte Schwimmen lassen könne.

Nun trat Doktor Graziano ein und fragte den Pasquarello nach der Ursache seiner Betrübnis.

Darauf Pasquarello: ob er nicht wisse, was sich alles im Hause seines Herrn, des Signor Pasquale Capuzzi di Senigaglia, [411] begeben, ob er nicht wisse, daß ein verruchter Bösewicht die holde Marianna, seines Herrn Nichte, entführt? –

»Ha«, murmelte Capuzzi, »ich merk' es, Signor Formica, Ihr wollt Euch bei mir entschuldigen, Ihr wollt meine Verzeihung! – Nun, wir wollen sehen!«

Doktor Graziano gab seine Teilnahme zu erkennen und meinte, der Bösewicht müsse es sehr schlau angefangen haben, um allen Nachforschungen Capuzzis zu entgehen.

Hoho, erwiderte Pasquarello, das möge der Doktor sich nicht einbilden, daß es dem Bösewicht Antonio Scacciati gelungen, dem schlauen, von mächtigen Freunden unterstützten Signor Pasquale Capuzzi zu entkommen; Antonio sei verhaftet, seine Ehe mit der entführten Marianna für nichtig erklärt worden und Marianna wieder in Capuzzis Gewalt gekommen! –

»Hat er sie wieder?« schrie Capuzzi außer sich, »hat er sie wieder, der gute Pasquale? hat er sein Täubchen wieder, seine Marianna? – Ist der Schurke Antonio verhaftet? – O gesegneter Formica!«

»Ihr nehmt,« sprach Cavalcanti sehr ernst, »Ihr nehmt zu lebhaften Anteil an dem Schauspiel, Signor Pasquale! – Laßt doch die Schauspieler reden, ohne sie auf störende Weise zu unterbrechen!« –

Signor Pasquale ließ sich beschämt auf den Sitz nieder, von dem er sich erhoben.

Doktor Graziano fragte, was es denn weiter gegeben.

Hochzeit, fuhr Pasquarello fort, Hochzeit habe es gegeben. Marianna habe bereut, was sie getan, Signor Pasquale die gewünschte Dispensation von dem heiligen Vater erhalten und seine Nichte geheiratet! –

»Ja ja,« murmelte Pasquale Capuzzi vor sich hin, indem ihm die Augen glänzten vor Entzücken, »ja, ja, mein geliebtester Formica, er heiratet die süße Marianna, der glückliche Pasquale! – Er wußte ja, daß das Täubchen ihn liebte immerdar, daß nur der Satan sie verführte.«

[412] So sei, sprach Doktor Graziano, ja alles in Ordnung und kein Grund zur Betrübnis vorhanden.

Da begann aber Pasquarello viel ärger zu schluchzen und zu weinen als vorher und fiel endlich, wie übermannt von dem entsetzlichen Schmerz, in Ohnmacht.

Doktor Graziano lief ängstlich umher, bedauerte, kein Riechfläschchen bei sich zu tragen, suchte in allen Taschen, brachte endlich eine gebratene Kastanie hervor und hielt sie dem ohnmächtigen Pasquarello unter die Nase. Dieser erholte sich sofort unter starkem Niesen, bat ihn, dies seinen schwachen Nerven zugute zu halten, und erzählte, wie Marianna gleich nach der Hochzeit in die tiefste Schwermut gefallen, beständig den Namen Antonio genannt und dem Alten mit Abscheu und Verachtung begegnet. Der Alte, von Verliebtheit und Eifersucht ganz verblendet, habe aber nicht nachgelassen, sie mit seiner Tollheit auf die entsetzlichste Weise zu quälen. Nun führte Pasquarello eine Menge wahnsinniger Streiche an, die Pasquale begangen, und die man sich in Rom wirklich von ihm erzählte. Signor Capuzzi rückte un ruhig auf seinem Sitze hin und her, murmelte dazwischen: »Verfluchter Formica – du lügst – welcher Satan regiert dich!« – Nur Toricelli und Cavalcanti, die den Alten mit ernsten Blicken bewachten, hielten den wilden Ausbruch seines Zorns zurück.

Pasquarello schloß damit, daß die unglückliche Marianna endlich der ungestillten Liebessehnsucht, dem tiefen Gram und den tausendfältigen Qualen, die ihr der fluchwürdige Alte bereitet, erlegen und in der Blüte ihrer Jahre gestorben sei.

In dem Augenblicke vernahm man ein schauerliches de profundis, von dumpfen heiseren Kehlen angestimmt, und Männer in langen schwarzen Talaren erschienen auf der Bühne, die einen offnen Sarg trugen. In demselben erblickte man die Leiche der holden Marianna, in weiße Totengewänder gehüllt. Signor Pasquale Capuzzi in der [413] tiefsten Trauer wankte hinterher, laut heulend, sich die Brust zerschlagend, in Verzweiflung rufend: »O Marianna, Marianna!«

Sowie der Capuzzi unten die Leiche seiner Nichte erblickte, brach er in ein lautes Jammern aus, und beide Capuzzis, der auf dem Theater und der unten, heulten und schrieen im herzzerschneidendsten Ton: »O Marianna – o Marianna! – O ich Unglückseliger! – Wehe mir! Wehe mir!« –

Man denke sich den offnen Sarg mit der Leiche des holden Kindes, von den Trauermännern umgeben, ihr schauerliches krächzendes de profundis, dabei die närrischen Masken, den Pasquarello und den Doktor Graziano, die ihren Schmerz durch das lächerlichste Gebärdenspiel ausdrücken, und nun die beiden Capuzzis, in Verzweiflung heulend und schreiend! – In der Tat, alle, die das seltsamste Schauspiel ansahen, mußten selbst in dem tollsten Gelächter, in das sie über den wunderlichen Alten ausgebrochen, sich von tiefen, unheimlichen Schauern durchbebt fühlen.

Nun verfinsterte sich plötzlich das Theater mit Blitz und Donnerschlag, und aus der Tiefe stieg eine bleiche, gespenstische Gestalt hervor, welche die deutlichsten Züge von Capuzzis in Senigaglia verstorbenem Bruder, Pietro, dem Vater der Marianna, trug.

»Verruchter Pasquale,« heulte die Gestalt in hohlem, gräßlichen Tone, »wo hast du meine Tochter, wo hast du meine Tochter? – Verzweifle, verdammter Mörder meines Kindes! – In der Hölle findest du deinen Lohn!« –

Der Capuzzi oben sank, wie vom Blitze getroffen, nieder, aber in demselben Augenblicke stürzte auch der Capuzzi unten bewußtlos von seinem Sitze herab. Das Gebüsch rauschte ineinander, und verschwunden war die Bühne, und Marianna und Capuzzi und das gräßliche Gespenst Pietros. Signor Pasquale Capuzzi lag in solch schwerer [414] Ohnmacht, daß es Mühe kostete, ihn wieder zu sich selbst zu bringen.

Endlich erwachte er mit einem tiefen Seufzer, streckte beide Hände vor sich hin, als wolle er das Entsetzen von sich abwehren, das ihn erfaßt, und rief mit dumpfer Stimme: »Laß ab von mir, Pietro!« – Dann stürzte ein Tränenstrom aus seinen Augen, und er weinte und schluchzte: »Ach Marianna – mein holdes liebes Kind! – meine Marianna!« –

»Besinnt Euch,« sprach nun Cavalcanti, »besinnt Euch, Signor Pasquale, nur auf dem Theater habt Ihr ja Eure Nichte tot gesehen. Sie lebt, sie ist hier, um Verzeihung zu erflehen wegen des unbesonnenen Streichs, zu der sie Liebe und auch wohl Euer unüberlegtes Betragen trieb.«

Nun stürzte Marianna, und hinter ihr Antonio Scacciati hervor aus dem Hintergrunde des Saals dem Alten, den man in einen Polsterstuhl gesetzt, zu Füßen. Marianna, in hohem Liebreiz prangend, küßte seine Hände, benetzte sie mit heißen Tränen und flehte, ihr und ihrem Antonio, mit dem sie durch den Segen der Kirche verbunden, zu verzeihen.

In des Alten todbleichem Gesicht schlugen plötzlich Feuerflammen auf, Wut blitzte aus seinen Augen, er rief mit halberstickter Stimme: »Ha Verruchter! – giftige Schlange, die ich im Busen nährte zu meinem Verderben!« – Da trat aber der alte ernste Toricelli in voller Würde vor Capuzzi hin und sprach, er, Capuzzi, habe im Bilde das Schicksal gesehen, das ihn unbedingt, rettungslos erfassen würde, wenn er es wage, seinen heillosen Anschlag gegen Mariannas und Antonios Ruhe und Glück auszuführen. Er schilderte mit grellen Farben die Torheit, den Wahnsinn verliebter Alten, die das verderblichste Unheil, welches der Himmel über einen Menschen verhängen könne, auf sich herabzögen, da alle Liebe, die ihnen noch zuteil werden könne, verloren ginge, Haß und[415] Verachtung aber von allen Seiten die todbringenden Pfeile auf sie richte.

Und dazwischen rief die holde Marianna mit tief ins Herz dringender Stimme: »O mein Oheim, ich will Euch ja ehren und lieben wie meinen Vater, Ihr gebt mir den bittern Tod, wenn Ihr mir meinen Antonio raubt!« Und alle Dichter, von denen der Alte umgeben, riefen einstimmig, es sei unmöglich, daß ein Mann wie Signor Pasquale Capuzzi di Senigaglia, der Kunst hold, selbst der vortrefflichste Künstler, nicht verzeihen, daß er, der Vaterstelle bei der holdesten der Frauen vertrete, nicht mit Freuden einen solchen Künstler wie den Antonio Scacciati, der, von ganz Italien hochgeschätzt, mit Ruhm und Ehre überhäuft werde, zu seinem Eidam annehmen solle.

Man merkte deutlich, wie es in dem Innersten des Alten arbeitete und wühlte. Er seufzte, er ächzte, er hielt die Hände vors Gesicht, er schaute, während Toricelli mit den eindringlichsten Reden fortfuhr, während Marianna auf das rührendste flehte, während die übrigen den Antonio Scacciati herausstrichen, wie sie nur konnten, bald auf seine Nichte, bald auf den Antonio herab, dessen glänzende Kleider und reiche Gnadenketten das bewährten, was dem Alten über den von ihm erlangten Künstlerruhm gesagt wurde.

Verschwunden war alle Wut aus Capuzzis Antlitz, er sprang auf mit leuchtenden Blicken, er drückte Marianna an seine Brust, er rief: »Ja, ich verzeihe dir, mein geliebtes Kind; ich verzeihe Euch, Antonio! – Fern sei es von mir, Euer Glück zu stören. Ihr habt recht, mein würdiger Signor Toricelli; im Bilde auf dem Theater hat mir Formica alles Unheil, alles Verderben gezeigt, das mich getroffen, hätt' ich meinen wahnsinnigen Anschlag ausgeführt. – Ich bin geheilt, ganz geheilt von meiner Torheit! – Aber wo ist Signor Formica, wo ist mein würdiger Arzt, daß ich ihm tausendmal für meine Heilung danke, die nur er vollbracht. Das Entsetzen, das er über mich [416] zu bringen wußte, hat mein ganzes Inneres umgwandelt!« –

Pasquarello trat hervor. Antonio warf sich ihm an den Hals, indem er rief: »O Signor Formica, dem ich mein Leben, mein Alles verdanke, werft sie ab, diese Euch entstellende Maske, daß ich Euer Gesicht schaue, daß nicht länger Formica für mich ein Geheimnis bleibe.«

Pasquarello zog die Kappe und die künstliche Larve, die ein natürliches Gesicht schien, da sie dem Gebärdenspiel keinen Eintrag tat, herab, und dieser Formica, dieser Pasquarello war verwandelt in – Salvator Rosa! –

»Salvator!« riefen voll Erstaunen Marianna, Antonio, Capuzzi. –

»Ja,« sprach der wunderbare Mann, »Salvator Rosa ist es, den die Römer nicht anerkennen wollten als Maler, als Dichter, und der sie, ohne daß sie es wußten, als Formica auf dem kleinen erbärmlichen Theater des Nicolo Musso länger als ein Jahr beinahe jeden Abend zum lautesten, ungemessensten Beifall begeisterte, von dem sie jeden Spott, jede Verhöhnung des Schlechten, die sie in Salvators Gedichten und Gemälden nicht leiden wollten, willig hinnahmen! – Salvator Formica ist es, der dir, mein geliebter Antonio, geholfen!«

»Salvator,« begann nun der alte Capuzzi, »Salvator Rosa, so sehr ich Euch für meinen schlimmsten Feind gehalten, so habe ich Eure Kunst doch immer hoch geehrt, aber jetzt liebe ich Euch als den würdigsten Freund und darf Euch wohl bitten, Euch meiner anzunehmen!« –

»Sprecht,« erwiderte Salvator, »sprecht, mein würdiger Signor Pasquale, welchen Dienst ich Euch erzeigen kann, und seid im voraus versichert, daß ich alle meine Kräfte aufbieten werde, das zu erfüllen, was Ihr von mir verlangt.«

Nun dämmerte in Capuzzis Antlitz jenes süßliche Lächeln, das entschwunden, seitdem Marianna ihm entführt worden, wieder auf. Er nahm Salvators Hand und lispelte [417] leise: »Mein bester Signor Salvator, Ihr vermöget alles über den wackern Antonio; flehet ihn in meinem Namen an, er solle erlauben, daß ich den kurzen Rest meiner Tage bei ihm und meiner lieben Tochter Marianna verlebe, und die mütterliche Erbschaft, der ich einen guten Brautschatz hinzuzufügen gedenke, von mir annehmen! – Dann solle er aber auch nicht scheel sehen, wenn ich dem holden süßen Kinde zuweilen die kleine weiße Hand küsse, und – mir wenigstens jeden Sonntag, wenn ich in die Messe wandle, meinen verwilderten Zwickelbart aufstutzen, welches niemand auf der ganzen Erde so versteht, als er!«

Salvator hatte Mühe, das Lachen über den wunderlichen Alten zu unterdrücken; ehe er aber etwas erwidern konnte, versicherten Antonio und Marianna, den Alten umarmend, daß sie erst dann an seine völlige Versöhnung glauben und recht glücklich sein würden, wenn er als geliebter Vater in ihr Haus trete und es nie wieder verlasse. Antonio setzte noch hinzu, daß er nicht nur Sonntags, sondern jeden Tag Capuzzis Zwickelbart auf das zierlichste aufstutzen werde, und nun war der Alte ganz Wonne und Seligkeit. Unter dessen hatte man ein köstliches Nachtmahl bereitet, zu dem sich nun alle in der fröhlichsten Stimmung hinsetzten.

Indem ich von dir, vielgeliebter Leser, scheide, wünsche ich recht von Herzen, daß die Freudigkeit, welche nun den Salvator und alle seine Freunde begeisterte, in deinem eignen Gemüt, während du die Geschichte von dem wunderbaren Signor Formica lasest, recht hell aufgegangen sein möge.


»Da« – nahm Lothar das Wort, als Ottmar geendet hatte – »da unser Freund ehrlich und unbefangen genug gewesen ist, gleich von Haus aus die Schwächen seines Produkts, das ›Novelle‹ zu nennen ihm beliebt hat, einzugestehen, [418] so entwaffnet freilich dieser Anspruch an unsere Gutmütigkeit unsere Kritik, die wohlgerüstet ihm gegenüberstand. Er streckt die offne Brust der Partisane entgegen, und eben darum dürfen wir, ein großmütiger Feind, nicht zustoßen, sondern müssen seiner schonen.«

»Nicht,« sprach Cyprian, »nicht allein das, sondern wir können, um ihn aufzurichten in seinem Schmerz, sogar mit Fug ihm einiges, wiewohl spärliches Lob zuteil werden lassen. Ich für mein Teil finde manches ergötzlich und serapiontisch, wie z.B. Capuzzis eingebildeten Beinbruch mit seinen Folgen, Capuzzis verhängnisvolle Serenade« -

»Die,« unterbrach Vinzenz den Freund, »vorzüglich deshalb einen echt spanischen oder auch italienischen Beischmack hat, weil sie sich mit gewaltigen Prügeln endet. Gehörige Prügel dürfen aber in keiner Novelle der Art fehlen, und ich nehme dieselben gar sehr in Schutz als ein besonderes kräftiges Reizmittel, das die geistreichsten Dichter stets in Anspruch nahmen. Im Boccaccio geht es selten ohne Prügel ab; wo fallen aber mehr Schläge, Stöße, Püffe als in dem Roman aller Romane, im ›Don Quixote‹, so daß Cervantes es selbst für nötig fand, sich bei dem Leser deshalb zu entschuldigen! Aber jetzt mögen gebildete Damen, für die geistiger Tee, den sie genießen können, mit leiblichem ohne allen Nachteil für ihre Ruhe bereitet wird in Masse, derlei nicht mehr, und eine ehrliche Haut von beliebtem Dichter, will er sich erhalten in Tees und Taschenbüchern, darf höchstens mit Mühe ein paar Nasenstüber oder ein Ohrfeiglein einschwärzen. Wo dergleichen vorkommt, das ist dann gleich eine sogenannte komische Geschichte. – Aber was Tee, – was gebildete Damen! – Sieh in mir, o mein Ottmar, deinen gewappneten Beschützer und prügle erklecklich in allen Novellen, die du noch etwa zu schreiben entschlossen, und der Prügel halber rühme ich dich!« –

»Und ich,« fuhr Theodor fort, »und ich des anmutigen Trios halber, das Capuzzi, der Pyramiden-Doktor und die [419] etwas greuliche kastratische Mißgeburt bilden, sowie auch deshalb, weil die verwunderliche Art, wie Salvator Rosa, der nie als Held des Stücks, sondern nur als Vermittler eingreift, sehr mit dem Charakter übereinstimmt, wie er geschildert wird, und wie er auch aus seinen Werken spricht.«

»Ottmar«, sagte Sylvester, »hat sich mehr an das Abenteuerliche gehalten, das in Salvators Charakter lag, und weniger die ernste finstre Seite herausgekehrt. Mir fällt bei dieser Gelegenheit das berühmte Sonett ein, in dem Salvator, seinen Namen (Salvator) allegorisierend, den tiefen Unmut ausspricht über seine Feinde und Verfolger, welche behaupteten, daß er in seinen Gedichten, denen man mit Recht Schroffheit und Mangel an innerem Zusammenhang vorwirft, Werke älterer Meister geplündert. Es heißt ungefähr:


›Wohl darum nur, weil Heiland man mich nannte,
Hör': »kreuzigt ihn!« das wilde Volk ich toben?
Doch recht! – der Brut, aus Haß und Neid gewoben,
Verzoll' mit Schmerz ich Ruhm, den sie nie kannte.
Es fragen dem Pilatus treu Verwandte,
Ob mir der Lieder Lorbeer sei erhoben?
Und manches Petrus' Treu' seh' ich zerstoben,
Judasse nahn sich mir, der Höll' Gesandte.
Es schwört der Juden treulos finstre Rotte,
Daß aus dem Heiligtum geraubt ich hätte
Den Glanz, die Herrlichkeit dem mächt'gern Gotte.
Doch anders reiht sich Glied an Glied der Kette.
Die Schächer sie, nicht Heiland ich zum Spotte,
Was Pindus mir, ist ihnen Schädelstätte!‹«

»Ich erinnere mich,« sprach Lothar, »dieses Sonetts in der Ursprache sehr wohl und finde, daß unser Sylvester das Rauhe, das Harte des Originals nicht übel wiedergegeben hat. – Doch um noch einmal auf Ottmars so [420] genannte Novelle zurückzukommen, so halte ich meinesteils es für den größten Übelstand, daß Ottmar statt einer in allen Teilen zum Ganzen sich ründenden Erzählung nur vielmehr eine Reihe Bilder geliefert hat, die indessen manchmal ergötzlich genug sind.«

»Muß ich,« rief Ottmar, »muß ich dir denn nicht recht geben, mein Lothar? Aber gestehen werdet ihr mir alle, daß ein gar geschickter Segler dazu gehört, um die Klippe zu umschiffen, an der ich gescheitert.«

»Gefährlicher«, sagte Sylvester, »möchte diese Klippe wohl noch dramatischen Dichtern sein. Nichts ist wenigstens für mich verdrießlicher, als z.B. statt eines Lustspiels, in dem alles, was geschieht, fest an den Faden gereiht sein, der sich durch das Ganze zieht, in dem alles als unbedingt zum Gebilde des Ganzen notwendig erscheinen soll, nur eine Reihe willkürlicher Begebenheiten oder gar einzelner Situationen zu schauen. Und auch zu dieser leichtsinnigen Behandlung des Lustspiels hat der rüstigste Theaterschreiber der letztvergangenen Zeit das Signal gegeben. Enthalten z.B. die ›Pagenstreiche‹ denn mehr als eine Reihe possenhafter Einfälle, die nach Willkür zusammengewürfelt scheinen? – In älterer Zeit, der man überhaupt rücksichts der dramatischen Kunst wohl den tiefern Ernst nicht wird absprechen können, mühte sich jeder Lustspieldichter um einen tüchtigen Plan, aus dem sich dann das Komische, Drollige oder auch nur Possenhafte von selbst ergab, weil dies unerläßlich schien. Bei Jünger, der nur oft gar zu flach erscheint, war dies gewiß der Fall, und auch dem nur zu prosaischen Bretzner fehlte es gar nicht an Talent, das Lustige aus dem dazu geschickt erfundenen Plane hervorströmen zu lassen. Auch haben seine Charaktere oft wahre, der regen Wirklichkeit entnommene Lebenskraft, wie z.B. der ›Eheprokurator‹. Nur möchten uns seine gescheit parlierenden Damen jetzt völlig ungenießbar sein. Darum schätze ich ihn dennoch sehr.«

[421] »Mit mir«, nahm Theodor das Wort, »hat er es durch seine Opern ganz und gar verdorben, die als Muster gelten können, wie Opern nicht gedichtet werden müssen.«

»Rührt,« sprach Vinzenz, »rührt bloß davon her, weil der Wohlselige, wie Sylvester sehr richtig bemerkt hat, etwelche Poesie nicht sonderlich verspüren ließ und in dem romantischen Gebiet der Oper nicht Steg und Weg zu finden wußte. – Weil ihr aber nun so über das Lustspiel sprecht, so könnte ich mit Nutzen beibringen, daß ihr die Zeit verderbt mit Räsonieren über ein Nonens und euch zurufen, wie Romeo dem Merkutio: ›Still, o still, ihr guten Leut'! – Ihr sprecht von einem Nichts!‹ – Ich vermeine nämlich, daß wir allzumal gar kein eigentliches wahrhaftes deutsches Lustspiel repräsentieren sehen, aus dem einfachen Grunde, weil die verjährten nicht mehr verdaut werden können, der Schwäche unserer Magen halber, und neue nicht mehr geschrieben werden. Woher letzteres kommt, das werde ich ganz kürzlich in einer Abhandlung von höchstens vierzig Bogen dartun, euch aber vorderhand mit einem Wortspiel abfertigen. Es fehlt, sage ich nämlich, uns am Lustspiel hauptsächlich deshalb, weil es uns an der Lust fehlt, die mit sich selbst spielt, und an dem Sinn dafür.«

»Dixi,« rief Sylvester lachend, »dixi und der Name: Vinzenz darunter, und gestempelt und gesiegelt! – Ich denke aber eben daran, daß in die unterste Klasse dramatischer oder vielmehr zur Darstellung auf der Bühne bestimmter Erzeugnisse, wohl die sogenannten Schubladen-Stückchen gehören möchten, in denen irgendein gewandter Pfiffikus einen ehrsamen Oheim – Theaterdirektor u.s.w. durch mancherlei, zum Teil alberne Verkleidungen neckt und foppt. Und doch war vor gar nicht langer Zeit derlei nüchternes mageres Zeug beinahe das tägliche Brot jeder Bühne. Jetzt scheint es damit ein wenig nachzulassen.«

»Aufhören,« nahm Theodor das Wort, »aufhören wird es nie, solange es eitle Schauspieler gibt, denen ja in der [422] Welt nichts gelegener sein kann, als an einem und demselben Abend, Gestalt und Farbe auf das verschiedenartigste wechselnd, sich als chamäleontische Wunder anstaunen zu lassen. Recht in das Innerste hinein habe ich jedesmal über die sich apotheosierende Selbstgenügsamkeit lachen müssen, mit der nach überstandener Seelenwanderung dann der letzten Puppe das Ich des Schauspielers als schöner Schmetterling entfliegt. Gewöhnlich ist es ein netter, geschniegelter Nachtfalter, schwarz gekleidet, in seidenen Strümpfen, den Dreieck unterm Arm, der es von dem Augenblick an nur mit dem in Erstaunen gesetzten Publikum zu tun hat und sich nicht mehr um den kümmert, der ihm Frondienste geleistet. Kann, wie in ›Wilhelm Meisters Lehrjahren‹ zu lesen, ein bestimmtes Fach einen Schauspieler dazu verbinden, alle diejenigen Rollen zu übernehmen, in denen es Prügel oder irgendeine andere Mißhandlung gibt, so könnte und müßte auch jede Bühne ein jenem Alten im ›Meister‹ ähnliches Subjekt besitzen, das jenes Frondienst ein für allemal zu verrichten und die nötigen Theaterdirektoren u.s.w. zu spielen hätte. Zu tun gäb's immer, denn wenigstens jeder gastierende Schauspieler hat gewiß solch ein Stück in der Tasche als Eingangspaß und Kreditbrief.«

»Mir fällt«, sprach Lothar, »dabei ein gar absonderlicher Mann ein, den ich in einer kleinen süddeutschen Stadt bei einer Schauspielertruppe fand, und in dem mir ganz und gar jener vortreffliche Pedant aus dem ›Wilhelm Meister‹ auflebte. So unausstehlich er jetzt auf dem Theater war, wenn er seine kleinen Rollen in heilloser Monotonie herbetete, so sagte man doch, er sei sonst in jüngeren Jahren ein sehr guter Schauspieler gewesen und habe z.B. jene schlauen spitzbübischen Gastwirte, wie sie in alter Zeit beinahe in jedem Lustspiel vorkamen, und über deren gänzliches Verschwinden von der Bühne schon der Wirt in Tiecks ›verkehrter Welt‹ klagt und sich mehr auf den Hofrat gelegt zu haben wünscht, ganz vortrefflich [423] gespielt. Jetzt schien er mit dem Schicksal, das ihn freilich hart verfolgt hatte, gänzlich abgeschlossen zu haben und in gänzlicher Apathie auf nichts in der Welt, am wenigsten aber auf sich selbst einigen Wert zu legen. Nichts durchdrang die Kruste, die der Anwurf der gemeinsten Erbärmlichkeit um sein besseres Ich gebildet, und er gefiel sich darin wohl. Und doch strahlte aus seinen tiefliegenden, geistreichen Augen oft der Funke eines höheren Geistes, und schnell zuckte dann der Ausdruck einer bittern Ironie über sein Gesicht hin, so daß das übertrieben unterwürfige Wesen, das er gegen alle, vorzüglich aber gegen seinen Direktor, einen jungen geckhaft eiteln Mann annahm, nur schalkische Verhöhnung schien. Sonntags pflegte er in einem reinlichen wohlgebürsteten Anzuge, dessen abenteuerliche Farbe und noch abenteuerlicherer Zuschnitt den Schauspieler aus verjährter Zeit verkündete, am untersten Ende der Wirtstafel des ersten Gasthofes in der Stadt zu sitzen und, ohne ein einziges Wort zu sprechen, es sich wohlschmecken zu lassen, wiewohl er, vorzüglich was den Wein betraf, sehr mäßig war und beinahe nur zur Hälfte die Flasche leerte, die man ihm hingestellt. Bei jedem Glase, das er sich einschenkte, bückte er sich demütig gegen den Wirt, der ihm Sonntags einen Freitisch gab, da er die Kinder im Schreiben und Rechnen unterrichtete. Es begab sich, daß ich an einem Sonntage die Wirtstafel besetzt und nur noch einen Platz leer fand neben dem Alten. Flugs setzte ich mich hin, hoffend, daß es mir gelingen werde, den bessern Geist, der in dem Mann verschlossen sein mußte, heraufzutagen. Es war schwer, beinahe unmöglich, dem Alten beizukommen, glaubte man ihn zu fassen, so duckte er schnell unter und verkroch sich in lauter Demut und Unterwürfigkeit. Endlich, nachdem ich ihm mit großer Mühe ein paar Gläser kräftigen Weins eingenötigt, schien er etwas aufzutauen und sprach mit sichtlicher Rührung von der alten guten Theaterzeit, die nun verschwunden sei und nie wiederkehre. [424] Die Tafel wurde aufgehoben, ein paar Freunde fanden sich zu mir, der Schauspieler wollte fort. Ich hielt ihn fest, unerachtet er auf das wehmütigste protestierte, ein armer abgelebter Schauspieler sei keine Gesellschaft für solche würdige Herren, es schicke sich ja gar nicht für ihn zu bleiben, er gehöre ja gar nicht hieher und könne nur geduldet werden des bißchen Essens halber u.s.w. Nicht sowohl meiner Überredungskraft, als der unwiderstehlichen Verlockung einer Tasse Kaffee und einer Pfeife des feinsten Knasters, den ich bei mir führte, durfte ich es wohl zuschreiben, daß er blieb. Er sprach mit Lebhaftigkeit und Geist von der alten Theaterzeit, er hatte noch Eckhof gesehen, mit Schrödern gespielt – genug, es offenbarte sich, daß seine ihn vernichtende Verstimmung wohl daher rührte, daß jene Zeit die abgeschlossene Welt war, in der er frei atmete, frei sich bewegte, und daß, aus ihr herausgeworfen, er durchaus keinen festen Standpunkt zu fassen vermochte. – Wie sehr überraschte uns aber der Mann, als er endlich, ganz heiter und treuherzig geworden, mit einer Kraft des Ausdrucks, die das Innerste durchdrang, die Rede des Geistes aus dem ›Hamlet‹ nach der Schröderschen Bearbeitung (die Schlegelsche Übersetzung kannte er gar nicht) hersagte. Bewundern mußten wir ihn aber auf das höchste, als er mehrere Stellen aus der Rolle des Oldenholm (den Namen Polonius wollte er nicht gelten lassen) auf eine Weise sprach, daß wir den kindisch gewordenen Höfling, dem es sonst gewiß nicht an Lebensweisheit fehlte, und der noch sichtliche Spuren davon blicken läßt, ganz vor Augen hatten, welches manchmal bei der wirklichen Erscheinung auf der Bühne nicht der Fall ist. – Das alles war aber nur das Vorspiel einer Szene, wie ich sie niemals sah, und die mir unvergeßlich bleiben wird! – Hier komme ich nun erst eigentlich darauf, was mich jetzt bei unserm Gespräch an meinen alten Schauspieler erinnerte, und verzeihen möget ihr mir's, meine würdigen Serapionsbrüder, [425] wenn die Einleitung etwas zu lang ausfiel. – Mein Mann mußte nun eben auch jene erbärmliche Hilfsrollen übernehmen, von denen ihr spracht, und so sollte er auch einige Tage darauf den Schauspieldirektor in den ›Proberollen‹ spielen, die sich der Theaterdirektor selbst, der darin zu glänzen glaubte, nach seiner Art und Weise zugerichtet hatte. Sei es nun, daß jener Nachmittag seinen innern bessern Sinn aufgeregt hatte, oder daß er vielleicht selbigen Tages, wie es nachher verlauten wollte, seiner Gewohnheit ganz entgegen seine Geisteskraft gestählt hatte durch Wein, genug, schon bei seinem ersten Auftreten erschien er ein ganz anderer, als der er sonst gewesen. Seine Augen funkelten, und die hohle schwankende Stimme des abgelebten Hypochonders war umgewandelt in einen hellen tönenden Baß, wie ihn joviale Leute älteren Schlags, z.B. reiche Onkel, die, die poetische Gerechtigkeit handhabend, die Narrheit züchtigen und die Tugend belohnen, zu sprechen pflegen. Der Eingang ließ sonst nichts Besonders ahnen. Doch wie erstaunte das Publikum, als sich, nachdem die erste Verkleidungsszene vorüber, der seltsame Mensch mit sarkastischem Lächeln zu ihm wandte und ungefähr also sprach: »Sollte ein hochverehrtes Publikum nicht ebensogut wie ich auf den ersten Blick unsern guten (er nannte den Namen des Direktors) erkannt haben? – Ist es möglich, die Kraft der Täuschung auf einen so und wieder anders zugeschnittenen Rock, auf eine mehr oder minder zerzauste Perücke zu basieren und dadurch ein dürftiges Talent, dem kein tüchtiger Geist Nahrung spendet, mühsam aufpäppeln zu wollen, wie ein von der nährenden Mutter verlassenes Kind? – Der junge Mensch, der auf solch ungeschickte Weise sich mir als ein vielseitiger Künstler, als ein chamäleontisches Genie darstellen will, hätte nun gleich nicht so übermäßig mit den Händen fechten, nicht bei jeder Rede wie ein Taschenmesser zusammenfallen, das R nicht so schnarren sollen, und ich glaube, ein hochverehrtes [426] Publikum sowohl als ich hätte unsern kleinen Direktor nicht stracks erkannt, wie es nun so geschehen ist, daß es zum Erbarmen! – Doch da das Stück noch eine halbe Stunde spielen muß, so will ich mich noch diese Zeit hindurch so stellen, als merkte ich nichts, unerachtet mir das Ding herzlich langweilig ist und zuwider!« – Genug! – nach jedem neuen Auftritt des Direktors ironierte der Alte sein Spiel auf die ergötzlichste Weise, und man kann denken, daß dies unter dem schallenden Gelächter des Publikums geschah. Sehr lustig war es auch, daß der mit dem beständigen Umkleiden beschäftigte Direktor bis zur letzten Szene nichts von dem Streich merkte, der ihm auf dem Theater gespielt wurde. Es mochte sein, daß der Alte mit dem Theaterschneider sich im bösen Komplott befand, denn so viel war gewiß, daß die Garderobe des unglückseligen Direktors in die größte Unordnung geraten, so daß die Zwischenszenen, die der Alte ausfüllen mußte, viel länger dauerten als gewöhnlich, und er Zeit genug hatte, eine Fülle des bittersten Spotts über den armen Direktor ausströmen zu lassen, ja sogar ihm manches mit einer schalkischen Wahrheit nachzusprechen und nachzuspielen, die das Publikum außer sich selbst setzte. Das ganze Stück war auf den Kopf gestellt, so daß die lückenbüßerischen Zwischenszenen zur Hauptsache wurden. – Herrlich war es auch wohl, daß der Alte zuweilen dem Publikum schon vorhersagte, wie nun der Direktor erscheinen würde, Miene und Stellung nachahmend, und daß dieser das schallende Gelächter, das ihn empfing und das der treffenden Schilderung galt, die der Alte gegeben, zu seiner großen Zufriedenheit lediglich seiner gelungenen Maske zuschrieb. – Zuletzt mußte denn nun wohl das Beginnen des Alten dem Direktor klar werden, und man kann denken, daß er auf ihn losfuhr wie ein gehetzter Eber, so daß der Alte sich kaum vor Mißhandlungen retten konnte und die Bühne nicht mehr betreten durfte. Dagegen hatte den Alten aber das Publikum so [427] liebgewonnen und nahm seine Partie so lebhaft, daß der Direktor, noch dazu seit jenem Abend mit dem Fluch des Lächerlichen belastet, es geraten fand, sein kleines Theater zu schließen und weiter zu ziehen. Mehrere ehrsame Bürger, an ihrer Spitze stand jener Gastwirt, traten aber zusammen und verschafften dem Alten ein artiges Auskommen, so daß er, der Theaterhudelei auf immer entsagend, ein ruhiges sorgenfreies Leben am Orte führen konnte. Doch wunderlich, ja unergründlich ist das Gemüt eines Schauspielers. Nicht ein Jahr war vergangen, als der Alte plötzlich vom Orte verschwand, niemand wußte wohin! – Nach einiger Zeit wollte man ihn bei irgendeiner erbärmlichen herumziehenden Schauspielertruppe gesehen haben, ganz in demselben nichts würdigen Verhältnis, dem er kaum entgangen.«

»Mit,« nahm Ottmar das Wort, »mit geringer angefügter Nutzanwendung gehört dieses Anekdoton von dem Alten in den Moralkodex für Schauspieler und für die, die es werden wollen.«

– Cyprian war indessen schweigend aufgestanden und hatte sich, nachdem er einigemal im Zimmer auf-und abgeschritten, hinter die herabgelassenen Gardinen ins Fenster gestellt. In dem Augenblick als Ottmar schwieg, stürmte es heulend und tobend hinein, die Lichter drohten zu verlöschen, Theodors ganzer Schreibtisch wurde lebendig, hundert Papierchen rauschten auf und trieben im Zimmer umher, und die Saiten des offenstehenden Fortepianos ächzten laut auf.

»Hei – hei!« rief Theodor, als er seine literarischen Notizen und wer weiß was sonst noch Geschriebenes dem tobenden Herbststurm preisgegeben sah, »hei, hei, Cyprianus, was machst du!« – Und alle Freunde mühten sich, die Lichter zu retten und sich selbst vor dem hereintosenden Schneegestöber. –

»Es ist wahr,« sprach Cyprian, indem er das geöffnete Fenster wieder zuwarf, »es ist wahr, das Wetter leidet es [428] nicht, daß man hinausschaue, wie es damit steht.« »Sage,« nahm Sylvester das Wort, indem er den ganz zerstreuten Cyprian bei beiden Händen faßte und ihn nötigte, den verlassenen Platz wieder einzunehmen, »sage mir nur, Cyprian, wo du weiltest, in welche fremde Region du dich verirrt hattest, denn ferne, gar ferne von uns hatte dich dein unsteter Geist doch wieder fortgetragen.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Hoffmann, E. T. A.. Erzählungen, Märchen und Schriften. Die Serapionsbrüder. Vierter Band. Siebenter Abschnitt. Signor Formica. Signor Formica. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-6AF4-C