Erster Theil.
[1] Ich – Halt! – Ein Schlagbaum – Gut – wohl – recht wohl – Ein wachhabender Officier! – wieder einer mit einem Achselbande zu Pferde – zu Fuß – von der Leibgarde – von der Garde der gelehrten Republik – ich ehr' Ihre Uniform, meine Herren, und damit ich Sie der Mühe überhebe, mir die üblichen Fragstücke vorzulegen, mögen Sie wissen, daß ich, wie der Paß oder Taufschein es ausweiset, ein Schriftsteller inaufsteigender Linie bin. In den folgenden zwei Bändchen, welche ich, wenn Gott Leben und Gesundheit und Lust und Liebe zum Dinge verleihet, künftige Messe zu liefern willens bin, wird mein Lebenslauf, bis zu einer sächsischen Frist vor der Messe, fortgesetzt werden. Im vierten Bändchen werde ich den Lebenslauf meines Vaters, und im fünften den Lebenslauf meines Großvaters erzählen, auch alles nach Gestalt und Gelegenheit der Umstände mit unumstößlichen Urkunden belegen. Dieser Plan soll darum noch mehr Eigenes haben, weil ich den Lebenslauf meines Vaters und Großvaters Berg ab erzählen will, da wir jetzo nur Berg auf zu gehen gewohnt sind. Ich werde von der Zeit, da mein Vater Pastor in Curland war, anfangen und bei seiner Wiege aufhören, und so soll's auch mit meinem Großvater werden, der in meiner Geschichte eher sterben als geboren werden soll. Wurzeln, Zweige und Blätter haben einerlei Struktur. Begrabe die Zweige in die[1] Erde, und laß die Wurzel in die freie Luft gen Himmel sehen: es wird ein Baum.
Vorderhand sey es meinen Lesern genug in Beziehung auf mich von dem vierten und fünften Bändchen, wobei ich die Beilagen nicht ausschließen will, zu wissen
HVIC
MONVMENTO
VSTRINVM
APPLICARI
NON LICET
Ich rathe zu keiner Justinianischen Uebersetzung dieser Stelle 1. 2. §. 27. Cod. de vet. jur. enucl. κατὰ ποδὰ, und da Vorrede die Nachrede hindert, mögen sich meine Leser wohlbedächtig merken:
Ὁ δυνάμενος ϑέλειν, δύναται καὶ μὴ ϑέλειν
welche Stelle sie nach Herzenslust verdolmetschen können.
Es ist die höchste Zeit, daß ich wieder auf mich selbst und auf den Daumen, Zeige- und Mittelfinger dieses Werks zurückkehre. Gibt es nicht, wie es am Tage ist, sogar der heiligen Schrift Spötter? Wie sollt' ich also wohl nach Art jenes Pharisäers mit den Worten an den Altar treten:
Οὐδ᾽ ἄν ὁ Μῶμος (ἔφη) τόγε τοιοῦτον μέμψαιτο.
Uebrigens gestehe ich herzlich gern denen Erzählern ein vorzüglicheres Verdienst, sowohl in Absicht des Ellenmaßes als der Würde zu, welche bei jedem merkwürdigen Vorfall außerhalb ihren Grenzen einen Wegweiser aufrichten und ihre Leser zur Nutzanwendung auf Lehre und Trost bringen. Ich werde mich so nehmen, wie ich mich finde. Wer auf eine Schüssel mehr oder Salat, Sardellen, Caviar, Austern und andere Zusätze Leckerbissen und Noten lüstern ist, lasse sich anrichten, was ihm gefällig ist, und thue, was er nicht lassen kann. So lange meine Leser gehen können, will ich ihnen keine Krücke geben; wenn sie selbst eine Dose haben, warum [2] soll ich ihnen mit meinem St. Omer an die Hand gehen (es braucht vielleicht mancher Espagnol, Tonka, Havanna-Rapee), und wenn sie selbst wissen, daß sie Menschen sind, wie sollt' ich sie wohl all' Augenblick mit einemStehe Wanderer oder Leser pfänden, und ihnen wiederholen, daß sie sterben müssen, auf daß sie klug werden.
Mein Wahlspruch ist: I licet.
So wie aber die Grabmäler der Alten, wo man seit einiger Zeit (einige setzen hinzu »Gott sey gelobt,« andere »Gott sey's geklagt«) auch in Gott ruhet, nachdem man sich vor diesem scheute der selige L. Annaeus Florus, der wohlselige C. Plinius Caec. Sec., der hochselige M. Tullius Cicero und der höchstselige Marcus Aurelius Antoninus, Armenicus, Parthicus, Maximus zu sagen.
So wie die Grabstätten der Alten mit den allgemeinen Landstraßen verbunden waren, um den Reisenden anzuhalten, so ist es zwar Regel für mich, den geneigten Leser sich selbst zu überlassen,
coelo tegitur, qui non habet urnam.
Doch wo ist Regel ohne Aber? Was sich ein paar handelnde Personen auf dem Theater unter vier Augen sagen, gehört ohnehin mit zur Handlung, und mir stand es wohl am wenigsten zu, in einer wahren Geschichte Leuten das Wort aus dem Munde zu nehmen und ihnen ein Stillschweigen aufzulegen.
Gott mit Ihnen, meine Herren, und auch mit meinem kleinen Leopold, der mir eine Sündfluth mit dem Tintefaß gemacht hat.
Die Mutter will dich –
Laß mich hier, lieber Vater –
So laß das Tintefaß –
Ich will auf deine Schulter –
Nur nicht ins Buch –
[3] Der kleine Junge hätte vielleicht Ursach, es übel zu nehmen, daß ich die erste Stufe überschreite und nicht von ihm anhebe. Ich könnte freilich bemerken, daß er kein Sanguinolentus gewesen, sondern fast wieClodius Albinus ganz sauber und schön zur Welt gekommen, wenn er sich nicht eben jetzo mit Tinte besudelt hätte. Wenigstens bist du, lieber Junge –
(Fall nicht,
»ich werd' nicht«) beim Publikum nicht präscribirt, ich habe dich einschreiben lassen, und ein größeres Pflicht- oder Kindertheil gebührte dir in diesem Werke nicht. Der arme Junge! gestern war er zwei Jahr und heute zwei Jahr und einen Tag; bisher war er gesund wie ein Fisch und auch beinahe ein so großer Liebhaber von kaltem Wasser wie ein Fisch! heute! –
»Was schreibst du« –
daß du ungeduldig auf die Zähne bist, die sich melden lassen und nicht kommen wollen!
Daß ihr nur, wenn ihr kommt einem Pfirsichkern zu seiner Zeit zeigen könnet, wer ihr seyd; und daß eine Kraft von achtzehn bis neunzehnhundert Pfund in euren Grenzen wohne. Der Himmel helfe meinem Leopold und mir! und uns allen!
Ha! eine andere Art dienstbarer Geister, ungebetner Gäste, unlieblich anzusehen – zu dienen – damit es die Herren Besucher und Versucher, Thorschreiber, Acciseeinnehmer, Cassirer, Rendanten und überhaupt alle Zöllner und Sündergesellen nur auf einmal wissen, ich, und kein anderer hat dieses Buch geschrieben. Wer von den Herren sich aufs Würdigen versteht, wird es schwerlich auch selbst auf den ersten Blick für Contrebande und auswärtiges Gut, sondern für das, was es ist, deutsche Fabrik halten. Hiesige Wolle, ich bitte Hand aus Werk zu legen (den Puls dieses Buchs anzufühlen, kann ich nicht sagen, so sehr ich ihnen auch Quacksalberehre zu erzeigen Lust habe), hiesiger Stuhl, hiesige [4] Zeichnung, alles hiesig – die Herren selbst aber scheinen nicht von hier zu seyn, und sich auf Blick und Griff, Auge und Hand nicht verlassen zu können – Nun so verlassen Sie sich auf mich, und wenn's wider Ihre theure Amtspflicht ist, sich auf ehrliche Leute zu verlassen, schreiben Sie in Ihre Kladde, in Ihr Hauptbuch, Diarium und Exercitienbuch – was die Feder will. Diese Worte werden wohl, wie ich glaube, an Ort und Stelle seyn. VonAristarch hat keiner einen Zug, wohl aber vom bankerottirten Kaufmanne, Sprachmeister, Zeichendeuter, Altflicker u.s.w. Von ἀστερίσκοις und ὀβελίσκοις hab' ich also nicht reden können, womit derHomer plombirt wurde; denn, da wett' ich,Homer ist Ihnen eben so unbekannt, als es, meine insbesondere Hochzuehrende Herren, meine Wenigkeit bis heute wird seyn, der – – gewesen. Berge und Thäler kommen nicht zusammen! wir aber sind leider! so nahe bei einander, daß wir uns mit der Hand reichen und eins versetzen können. Ich weiß, Sie verschonen nicht Säuglinge, nicht Ungeborne, wie sollte also mein Leopold auf der Schulter ohne Kopf- ober Magensteuer (wie man's nennt) abkommen! Wenn's einmal Sitte in Deutschland ist, so sey's. Du sollst dem O-, der da drischet, nicht das Maul verbinden. Item, ein Arbeiter ist seines Lohnes werth, schreibt Dr. Martin Luther in seiner Haustafel etlicher Sprüche für allerlei heilige Orden und Stände, dadurch dieselben, als durch ihre eigene Lektion ihres Amts und Diensts zu ermahnen. Die Rechnungsableger lassen oft mit gutem Bedacht Fehler stehen, um den Abnehmern zu Noten Zeit und Raum zu lassen. »Sonst,« sagen die klugen Haushalter, »fangen diese Notenkünstler es bei der Person an, da sie doch nur bei den Zahlen bleiben sollten.« Das hatte ich noch auf dem Herzen, eh' ich mich empfehlen konnte.
Plus cautionis in re est quam in persona, heißt auf [5] deutsch: beschließen Sie, was Sie wollen über mein Buch, meine Herren, nur meine Person lassen Sie in Ruhe.
Sey mir tausendmal willkommen süßes, oder besser angenehmes Wort. (Man sagt angenehme Ruhe.) Schlafen Sie wohl, oder eigentlich gesund, meine Herren. Claudatur Parenthesis würde ich sagen, wenn ich nicht den wahren Antipoden von einer Parenthese gebraucht und eben hiedurch ein neues epochemachendes Interpunktionszeichen erfunden hätte.
Was meinet ihr Herren majorum gentium, soll ich mit einem großen I anfangen, oder mit einem kleinen?
Den Schlagbaum auf!
Ich bin in Curland auf dem Kirchdorfe *** geboren, wo mein Vater Prediger oder, nach der deutschen Landessprache, Pastor, nach der curischen Basinzas Kungs oder Basingkungs, wie die Letten der geliebten Kürze wegen sprechen, war. Zu seinem Zeichen, würde ich hinzusetzen, wenn dieser Ausdruck nicht so viel Devalvation gelitten, daß ich meinem Vater dadurch keine sonderliche Ehre einbringen würde. Es war seine Kirche eine Kirchspielskirche oder eine solche, wobei wegen des Compatronat-Rechts des Adels manche Pistole, wiewohl nur nach väterlicher Weise in die freie Luft, losgeschossen worden, bis solches endlich unter einigen Daumschrauben dem Kirchspielsadel (ich glaube von Herzog Friedrich Casimir) zugestanden worden. Ich kann nicht sagen, daß mein Vater eine vorzügliche Neigung gegen mein Vaterland hatte; und wenn ich einem Erdbeschreiber hiedurch irgend einen Gefallen zu erzeigen wüßte, was könnt' ich nicht für ein Breites und Langes über die drei Namen Curland, Lettland und Semgallen an ihn endossiren? welches aber alles zu keiner Lobrede auf Curland dienen würde. So viel ist gewiß, daß mein Vater niemals zugeben wollte, daß Curland vom Flusse Chronus herkäme, wodurch die Memel angedeutet würde; obgleich ihm solches sehr wahrscheinlich [6] vorbuchstabirt wurde. Die Curländer, sagte man, wohnten um den Chronus, sie wollten ihr Land von Preußen unterscheiden, und bearbeiteten und drechselten so lange die Buchstaben und Sylben, bis endlich, so wie in der heiligen Schrift, herauskam, was zu suchen war. Es ist viel von Gottes Wort zu sagen, sagte mein Vater. Ein guter Freund von Curland und von meinem Vater spielte eine andere Karte aus, »so stammt es von Cur oder Cursemme, welches so viel als ein Land, das an der See liegt, andeutet,« allein er gewann sein Spiel nicht. Nichts sagte mein Vater. Der gute Freund fuhr fort: »vom kleinen Könige Curo? von den Curaten oder von den Curiaten? oder« – »Nichts, alles nichts – Es würde nicht verlohnen, diese Fibel über den Namen von Curland weitläuftiger zu machen, und sie wegen Lettland und Semgallen, über welche Namen mein Vater eben so wenig nachgebend war, mit Anhang und Zugabe zu verstärken. Mein Vater hatte, nach dem Ausdrucke eines Weisen des Alterthums, zwei Vaterlande, eines, wo er geboren war, und eines, wo er lebte, eines der Natur und eines des Schicksals, und man traf bei ihm, was man gewöhnlich zu treffen pflegt, daß man das Vater land der Geburt dem andern, oder die Mutter dem Vater vorziehet. Wenn der gute Freund am Ende zum Unwillen überging, wurde mein Vater ein Philosoph. Zum Curländer konnten ihn weder gute noch böse Gerüchte bringen.
So wollen Sie denn, fing der Freund an, nachdem mein Vater mit vieler Gelehrsamkeit die Geburt und Abkunft der Namen Curland, Lettland und Semgallen bestritten hatte, so wollen Sie denn den Herzogthümern Curland und Semgallen die ehrlichen Namen absprechen?
Lieber curischer Freund, antwortete mein Vater, unbiegsam wie der curische Käse, doch auch so dicht und fest wie er. Niemand kommt aus seinem Vaterlande. Seitdem die neue Welt entdeckt [7] worden, ist sie ein Theil von unserm Geburtsorte. Bin ich im Gefängnisse, beim Gastmahl, am Hofe, in der Stadt, auf dem Lande, in Mitau, im – – Pastorat, ich bin beständig zu Hause. Ein Thor sagt, daß er vertrieben sey, ein Weiser hat nur eine Reise unternommen, wenn er im Exilium ist. Oft ist man in seinem Vaterlande ein Sklave und im Exilio in Freiheit. Kann man denn mehr als leben und sterben, man sey in Rom oder inTunis! Tristia und Briefe aus Ponto sind Räusche eines Dichters. Ein Weiser kann selbst Ach nur halb aussprechen, wenn er leidet; obschon das Wort nur dritthalb Buchstaben, und wenn man ganz ehrlich seyn will, kaum eine ordentliche Sylbe im Vermögen hat. Wer sich angewöhnt hat, bloß zu essen was sättiget, und bloß zu trinken was den Durst stillet, findet überall eine offene Tafel. Wo mir wohl ist, da ist mein Vaterland, und der Gerechte ist auch im Tode getrost. Wer aus Athen ist, weiß nicht, von wannen er kommt, und wohin er fährt. Der Weise ist aus der Welt –«
Auf die Frage: Was für ein Landsmann? antwortet Diogenes für mich: κοσμοπολίτης; die Sonne, Freund! ist die Fahne, der wir geschworen haben. Die Erde ist unser aller Mutter. Saure Grütze und Bierkäse, ein paar curische Original-Essen, sind, wie Pfirsichen und Melonen, eine Gabe Gottes. Wer's mit Danksagung empfähet, ist ein Weiser. Auch in Curland gibts Knochen, die Mark haben. Gott ist überall, er, der nicht Lust hat an Cavallerie oder Stärke des Rosses, noch Wohlgefallen an Infanterie und jemandes Beinen, sieht nur auf die, die seinen Namen fürchten und auf seine Güte hoffen. Heute ist ein Land frei und morgen liegt's einem Tyrannen zu Füßen, der seine Hand ins warme Blut des Erstgebornen, eines Vertheidigers seines freien Vaterlandes, eintaucht, um das schreckliche Jahr, da die Freiheit unterging, am aristokratischen Altar, am Rathstisch anzuzeichnen. Freund! was [8] meinen Sie, wenn wir je solche Blutzahlen sehen sollten? Lassen Sie alles ruhig im Vaterlands seyn; ein Prophet gilt doch nicht, wo er geboren ist. Wie ging's dem Aristides, dem Epaminondas? In der Fremde seyn, heißt in die Hand Gottes fallen; in seinem Vaterlande ist man, wenn's hoch kommt, in der Hand der Menschen, gemeinhin in der Hand seiner Feinde. Und wie soll man sich gegen sein undankbares Vaterland führen? Wie gegen einen Vater, der eine Mutter ohne Ursach verstößt, wie gegen eine Mutter, die zum zweitenmale heirathet? Diese bleibt Mutter, jener Vater. Bei diesen Sprüchen war's dem Freunde so, als wär' er selbst nicht mehr in Curland, als hätte er der Sonne geschworen. Es schien ihm, mein Vater hätte das Feld behalten; der kleine König Curo aber und die Curaten oder Curiaten wären in die Flucht geschlagen. Mein Vater befestigte, was er erobert hatte, mit ein paar griechischen Sprüchen, die seinen Feind um so mehr abhielten, weil er kein Wort griechisch verstand.
Ἀνδρὶ σοφῷ, fing mein Vater an, πᾶσα γῆ βατή,
ψυχῆς γὰρ ἀγαϑῆς πατρὶς ὁ ξύμπας κόσμος.
Und gleich darauf:
ἐπεὶ τὶ δεῖ βροτοῖσι, πλὴν δυοῖν μόνον,
Δήμητρος ἀκτῆς, πώματος δ᾽ ὑδρηχόου.
ἅπερ πάρεστι, καὶ πέφυχ᾽ἡμᾶς τρέφειν.
Es pflegte der gute ehrwürdige Mann von Curland zuweilen als von einer Herberge zu reden, wo man sich oft länger als man wünscht, weil der Reisewagen gebrochen ist, aufzuhalten gezwungen sieht. Bei mir zu Hause essen wir um diese Zeit Spargel, pflegte er zu sagen; bei mir zu Hause raucht man um diese Jahreszeit eine Pfeife Tabak in der freien Luft, bei mir zu Hause hat man Trauben und den Wein bei der Quelle. So ungern er also auch im Herzen in Curland zu seyn schien, und so oft er im Stillen durchs Fenster gesehen haben mag, ob der Reisewagen [9] noch nicht in Ordnung wäre, so hielt er dennoch mit seiner Abneigung zurück. Der Freund, mit dem sich mein Vater auf der vorigen Seite duellirte, und noch ein Secundant waren die Hauptsiegel-Bewahrer dieses Geheimnisses und auch die einzigen, mit denen er griechisch sprach, ohne daß die guten Leute es verstanden. Wer ihn aber nach seiner Heimath fragte (sein Weib und Kind und seine zwei griechischen Freunde nicht ausgenommen), setzte ihn und sich selbst einer großen Verlegenheit aus.
Bei mir zu Hause fing er, wie gewöhnlich, an – und ich war noch im zartesten Alter, als ich ihn fragte, lieber Vater, wo ist dein Haus! wir wollen hin, du, die Mutter und ich! Ist es wohl so schön als dieses hier? Ich zeigte ihm meines von Blättern. Nimm mich ja mit, wenn du nach Hause gehst, oder laß mich, wenn ich größer werde, allein – Wo? Wo? – rief er ganz ängstlich. Meine Mutter, welche eben seinen Kragen zurecht legte, ließ diesen heiligen Halsband fallen, sprang schnell auf und ging davon, als ob sie auf allen Antheil von meiner Frage und der künftigen Antwort Verzicht thäte. Sie war indessen, wie ich es offenbar merkte, nach der Weiberweise, nur bloß dem Auge meines Vaters entgangen. Ob's mein Vater gemerkt habe, zweifle ich, denn er hatte sich auf dem Wege nach seinem Hause so sehr verirrt, daß er nicht aus noch ein wußte. Vielleicht sagt er es dem unschuldigen Kinde, dachte meine Mutter ohne Zweifel, da sie sich in der besten Ordnung zurückzog, wovon er dir allemal ein Geheimniß gemacht hat. Lieber Sohn, fing mein Vater an, als ob er von einem Vorbeigehenden wegen seiner Reise eine Auskunft erhalten, oder in eine Reisekarte gesehen hätte – und meine Mutter machte die Kammerthüre, hinter welche sie sich weislich gestellt hatte, drei Zoll weiter auf – im Himmel ist unser wahres Vaterland, hier unten sind wir Fremdlinge und suchen das, was droben ist. Wir sind in Hinsicht unseres Körpers Gottes Pilger, [10] in Hinsicht unserer Seele Gottes Bürger. Als die Pilgrime! heißt es, darum führet einen guten Wandel –
Zu Hause nimmt man sich vieles so übel nicht. Man vernachlässigt sich; thun Sie doch, als ob Sie zu Hause wären, sagt man. Auf der Reise sind wir auf uns aufmerksamer. Die Welt ist für einen klugen Reisenden höchstens eine Hauptstadt. Er läßt sich das Merkwürdige zeigen; für einen Gelehrten eine öffentliche Bibliothek, er sieht die Titel. Beide bestellen Postpferde. Plus ultra.
Hiebei sahe mein Vater so gerührt aus, daß, wenn ich nicht seinen Worten geglaubt hätte, ich jedennoch jedem ehrwürdigen Zuge seines Gesichts hätte beipflichten müssen, auch wenn ich noch einmal so alt gewesen wäre, als ich's nicht war. Wie böse meine Mutter über den Himmel geworden, weiß ich nicht, allein ich hörte, und mein Vater, der nun wieder an Ort und Stelle war, mußte es auch hören, daß sie die Thüre zuzog, als ob sie nicht die mindeste Lust zum Himmel hätte. Ohne Zweifel hat sie dieses unvermerkt thun wollen, um ihre Neugierde zu verbergen; indessen machte das plauderhafte Schloß ein unzeitiges Geräusch und wurde dafür den folgenden Tag, da mein Vater eine Beichtandacht besorgte, ausgebessert. So viel ist gewiß, daß der liebe Mann durch diese Antwort, die zwar mich, nicht aber meine Mutter befriedigen konnte, mich, wiewohl ohne daran Schuld zu seyn, auf den Gedanken brachte, daß man im Himmel früher als in Curland Spargel äße, gleich früher in der freien Luft eine Pfeife rauche, Trauben hätte, und den Wein aus der Quelle schöpfen könnte. Tausend andere Dinge, die er nachher meiner Mutter erzählte, wie es bei ihm zu Hause wäre, kamen alle bei mir auf die Rechnung des Himmels, und ich war zuletzt dort eben so bekannt als auf unserm lieben Dörflein, wo ich über jedes Huhn hätte urteln können, wenn über dessen Eigenthum ein Streit gewesen [11] wäre. Manches kam mir freilich sehr bedenklich vor, worunter zum Exempel war, daß man bei ihm zu Hause ohne Nacht- oder Unterhemde ginge und zu seiner Zeit lange Manschetten (die meine Mutter Handblätter nannte) getragen hätte. Eines Tages, da ein Literatus (welches in Curland eben keinen Gelehrten, sondern ein unselig Mittelding von Edelmann und Bauer bedeutet) mit ungewöhnlich langen Manschetten bei uns des Mittags aß, mußte ich glauben, daß er ein Himmelsbürger und Landsmann meines Vaters wäre, und wegen des ganz ungewöhnlichen Maßes seiner Handblätter schon etwas mehr als ein andrer im Himmel gelten müßte. Kaum hatte er nach meiner Meinung das Jammerthal unseres Pastorats mit den seligen Wohnungen der Gerechten verwechselt, kaum, sag' ich, war er fort, so fragt' ich meinen Vater, was ihm der gute Freund für Nachrichten aus dem Himmel gebracht hätte, und mein Vater nahm Gelegenheit, mir die wahren Begriffe von jener Welt beizubringen, denen mein Herz und Seele auf dem halben Weg entgegen kam oder beide Glaubenshände zureichte, so daß mithin dieser Literatus, der des Mittags bei uns einen vortrefflichen Kalekutschen Hahn verzehren geholfen, meinen falschen Himmel zu reiten mitnahm.
Mein Vatter war, wenn ich so sagen soll, geboren, von der andern Welt zu reden. Seine Seele, man fühlte es, war im Buche des Lebens eingeschrieben und einer Veredlung durch den Tod so gewiß, daß, wenn er davon sprach, man glauben mußte: er würde verklärt. Drei Viertheil war er dort und nur ein Viertheil hier. Gott schenke mir, wenn mein Stündlein vorhanden ist, die Empfindungen, die damals in meiner Seele hervorschossen, als er mir den Himmel zeigte. Mir fielen die Worte aufs Herz: In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen – Mein Vater war ein Kind, um mit einem Kinde zu reden, und [12] ich fand an mir erfüllet, was von den Kindern geschrieben steht: ihrer ist das Reich Gottes.
Aber wo muß denn das Haus meines Vaters seyn, dachte ich; allein ich unterstund mir nicht, darnach zu fragen, denn, so jung ich war, so merkt' ich doch, daß er seine Ursachen haben müsse, es zu verschweigen.
Meine Mutter, wie ich sowohl diesesmal als bei andrer Gelegenheit sehen konnte, hatte mein Vater gleichfalls keinen Daumenbreit über fünfzig Meilen in die Länge, und zehn, zwanzig bis dreißig in die Breite, als so viel die Grenzen von Curland ausmachen, mitgenommen, daher sie eben so wenig als ich den Ort seiner Geburt wußte. Die neue Welt, pflegte sie zu sagen, ist entdeckt, deines Vaters Vaterland würde dem Columbus mehr Schwierigkeiten gemacht haben.
Was bei dieser väterlichen Verschwiegenheit einem jeden besonders vorkam, war die Gewohnheit meines Vaters, alle Augenblicke zu erwähnen, wie es bei ihm zu Hause sey. Er kam darüber bei Leuten in Verlegenheit, die er nicht wie mich mit dem Himmel abfertigen konnte; allein ehe man sich's versah, war er nicht mehr in Curland.
Ich bemerkte auch, nachdem ich größer war, daß die Leute über diesen Punkt mit dem guten Manne ein förmliches Mitleiden zu haben schienen, so daß sie dabei die Achseln in die Höhe zogen, als über einen Menschen, der so lange vernünftig wäre, bis er auf sein Vaterland käme, und alsdann scheu würde. Es war daher zum Sprichwort bei vielen geworden »das ist so unbekannt als des Pastors – Vaterland.«
Oft traf es sich, daß die ganze Tischgesellschaft still ward, so bald er nur die Anfangsworte: bei mir aussprach, und dieses ist die natürliche Folge, wenn jemand roth zu werden Ursach gefunden. Ein einziger hat nur die Elektrisirstange angefaßt, allein sie fühlen [13] alle den Schlag. Es herrscht eine feierliche. Stille, jedes spielt mit Messer und Gabel, oder dreht sich Pillen von Brod. Nach einer Weile putzt der, welcher zu den wenigsten Empfindungen aufgelegt ist, das Licht, wenn es Abend ist, oder hustet, wenn zu Mittage gegessen wird; ist's außer Tisch, so spricht er »besondere Witterung,« oder bittet um Tabak, »der meinige,« setzt er hinzu, »ist so dürr wie Sand;« dieses alles that gewöhnlich meine liebe Mutter, wenn mein Vater einen Kreuzzug über Land unternommen hatte, allein gewiß nicht, weil sie dabei unempfindlicher, sondern weil sie's gewohnter war wie alle übrige, und weil sie die beklommene Gesellschaft gern wieder ins Freie in die frische Luft bringen wollte. Oft stand ich mit dem Gedanken auf, und schlief mit dem Gedanken ein, warum sagt er denn nicht wenigstens seiner Familie, wo man um diese Jahrszeit Spargel ißt, wo man um diese Zeit eine Pfeife in der freien Luft raucht, wo man Trauben hat, den Wein bei seiner Quelle genießt und (welches mich am meisten interessirte) lange Manschetten trägt.
So geheim mein Vater mit seinem Vaterlande und seiner Familie war, so freigebig war meine Mutter, so oft sie von ihrer Familie etwas zu erzählen Gelegenheit hatte. Sie wußte sich sehr viel damit, daß sie, wie sie sagte, aus dem Stamme Levi wäre, und zählte fünf Priester- oder (damit die in Curland herrschende lutherische Kirche kein Aergerniß nehme) Prediger-Ahnen von Vater- und vier von mütterlicher Seite. Einer ihrer Ahnherren war Superintendent, und zwei waren Präpositi gewesen. Sie rechnete sich, wiewohl von der Seitenlinie, zu den Verwandten des Superintendenten Paul Einhorn, dessen Vater Alexander Einhorn, der zweite curländische Superintendent gewesen war, und wenn sie an den Eifer dachte, mit welchem der Ehren Paul Einhorn sich der Annehmung des gregorianischen Calenders widersetzte, so schien es, daß sie der nämliche Einhornsche Eifer beseelte. [14] Es hat dieser würdige Eiferer sich die Calendermärtyrerkrone errungen, indem er im Jahr nach Christi Geburt 1655 Dominica XI. post Trinitatis auf der Kanzel mitten in einer Calenderpredigt blieb und sein ruhmvolles Leben mit den Worten: »verflucht sey der Calend« – sanft und selig endigte. Mein Vater schien beständig besorgt zu seyn, es würde meine Mutter eine Märtyrerkrone in ihrem Bluträchereifer überraschen, weßhalb er sie bei der Hand zu nehmen und zu sagen pflegte: »fasse dich, mein Kind, die Sache ist beigelegt, wir schreiben heute den – VI –.« Meine Mutter hielt indessen bis an ihren Tod den gregorianischen Calender für ein ketzerisches Buch, und ließ sich nie Ader, wenn im Calender das Zeichen zum Gutaderlassen stand. Es mußte kein Haar im Pastorat verschnitten werden, wenn der Calender hiezu anrieth, und alles, was sie nur erreichen konnte, mahnte sie ab, Holz zu fällen, Kinder zu entwöhnen, oder sonst eine Medicin zu brauchen, wenn der Calender es gut fand. Es war ein Glück für sie, daß diese ungestempelten Tage die meiste Zeit für sie und die lieben Ihrigen gut ausfielen; es war aber ein Unglück für den gregorianischen Calender, denn sie nahm eben hiedurch einen Grund mehr, dawider zu reden und dem Herrn Superintendenten Einhorn zu parentiren.
Ich würde mich um alles in der Welt nicht unterstehen, in Absicht der Ahnen meiner Mutter einSchriftsteller in aufsteigender Linie zu werden, und meine Leser verlieren auch durch die Erzählung der rühmlichen Thaten, Schlachten und Siege nichts, wodurch sich meine Vorfahren mütterlicher Seits, von der geraden und Seitenlinie, um die Kirche verdient gemacht. Sie nannte sie oft Kirchensteine, um alles zusammen zu fassen. Dieser hatte lettische Lieder, wie sie sagte, aus freier Faust gesungen, jener einige übersetzt, ein anderer hatte sich dem Superintendenten Daniel Hofstein, welcher den Exorcismus bei der Taufe der fürstlichen Kinder weggelassen, mit Hand und Fuß (ich brauche ihre [15] eigenen Ausdrücke) widersetzt und ihn dem Teufel übergeben, der nach seiner wohlehrwürdigen Meinung die Complimente nicht erwiedern würde, die ihm der Herr Superintendent machte; ein anderer hatte die Ostereier in seiner Gemeine abgestellt, welches, wie meine Mutter behauptete, ein aus andern Ländern nach Curland gebrachter, nicht allgemein im Schwange gehender, unchristlicher Gebrauch wäre, und dieser gute Mann war in Kupfer gestochen. Ich weiß bis diesen Augenblick nicht, wie er zu dieser Ehre gekommen war. Meine Mutter hatte diesen Kupferstich lange verwahrt, ohne davon einen andern Gebrauch zu machen, als daß sie, wie sie sagte, dieses Bild alle heilige Abende vor Ostern eine Stunde angesehen. Sie behauptete, daß ich etwas ähnliches in der Gegend um die Augen von diesem so ehrwürdigen als beherzten Manne hätte, obgleich ich davon nicht die mindeste Spur zu entdecken im Stande war.
Es sey nun dieses oder etwas anderes die Ursache, genug, meiner Mutter wandelte auf einmal der Einfall an, diesen Kupferstich unter Glas zu setzen und unter den Spiegel zu hängen, der im Prunkzimmer des Pastorats gegen Morgen hing.
Mein Vater widersprach diesem Gedanken, da ein Glaser unsere Straße zog, und ist also dieser gute Mann, obgleich er die Ostereier abgebracht, nicht der Ehre gewürdigt worden, im Prunkzimmer des Pastorats gegen Morgen unter dem Spiegel zur Schau gestellt zu werden. Sie war etwas ungehalten über meinen Vater, obgleich sie sich solches nicht weiter mer ken ließ; indessen war es nicht das erstemal, daß sie sein Conto mit einer Schuld belastete. Sie faßte dieses und beinahe alles, was sie sonst noch auf ihrem Herzen und Gewissen hatte, die Noth des ganzen Pastorats zusammen, und schrieb's flugs unter die Rubrik:nicht aus dem Stamme Levi. Ihrem Zorne brachte sie ein Opfer, das sie nachher sehr bereuete. Sie schickte eben so flugs den Rahmen abzusagen, den sie für den Kupferstich bestellt hatte, und war verbunden, obgleich [16] der Nahmen noch nicht zur Hälfte fertig war (und dieses gab zu neuem Aergerniß Gelegenheit), ihn ganz zu bezahlen. Nachdem sie ihre zu Paaren getriebene Ideen wieder zu Hauf gebracht hatte, entwarf sie einen neuen Operationsplan, der ihr auch glücklich einschlug, nämlich diesen verdienstvollen Mann in der Speisekammer aufzuhängen. Hier, sagte sie, kann er sich ohne Rahmen behelfen und niemand wird zu ihm sagen: Freund! wie bist du hereinkommen und hast doch kein hochzeitlich Kleid an?
Ich kann es nicht schicklicher anbringen, daß meine Mutter bei aller Gelegenheit feierlich war. Es ward im Pastorat mit nichts anderm als mit Weihrauch geräuchert; alles, was meine Mutter vornahm, ward besungen. Dieses ist der eigentliche Ausdruck. Die Natur hatte sie mit einer sehr melodischen Stimme ausgestattet. Das Bewußtseyn dieser Mitgabe der Natur war indessen nicht die Ursache ihres treufleißigen Gesangs. Meine Mutter wird die Ursache hievon gelegentlich selbst angeben. Sie fing, sobald ihr etwas zu Herzen ging, einen Vers eines geistlichen Liedes in bekannter Melodie aus freier Faust (um ihren Einhornschen Ausdruck nicht zu verfälschen) zu singen an, den alles, was zu ihrem Departement gehörte, mit anzustimmen verbunden war. Sie sang mit Kind und Rind. Es war daher natürlich, daß jedes, so bei ihr in Diensten war, Probe singen mußte, weil außer dem Hausdienst auch eine Art von Küsterstelle durch jedes Hausmädchen vergeben wurde. Vor diesem hatte meine Mutter, nach ihrer selbst eigenen Relation, die Gewohnheit gehabt, einen jeden herzlichen Vorfall mit einem ganzen Liede zu bezeichnen; mein Vater indessen, der anfänglich bemüht gewesen, diese Gewohnheit völlig abzuschaffen, hatte sie doch am Ende nachlassen müssen. Sie ward aber von ihm bis auf einen Vers eingeschränkt, den meine Mutter nicht um die Herzogthümer Curland und Semgallen gelassen hätte.
Ich hab' es oft erfahren, daß mein Vater zuweilen den zweiten [17] Diskant extemporirte und meiner Mutter zum Munde sang, so daß er mithin von seiner vorigen Meinung a posteriori abgegangen war. Meine Mutter rechnete ihm diese Bekehrung im Conto sehr hoch an, und je lauter er mitgesungen hatte, je mehr wurde ihm zu gut geschrieben. Sie wußte sogar den Zeitpunkt anzugeben, wenn mein Vater, der, wie die Folge zeigen wird, keine Anlage zum Geistlichen besaß, aufgehört hätte ein Liederstürmer zu seyn, und diesen Zeitpunkt werden wir übermorgen (ich rechne nach mir und bitte meine Leser deßfalls um Verzeihung) erreichen. Meine Mutter wußte den Rückfall meines Vaters, den sie des zweiten Diskantes unerachtet noch immer befürchtete, so sehr zu verhindern, daß sie seine Lieblingslieder den ihrigen vorzog, obgleich sie es auch mit ihren Lieblingen nicht verdarb, unter denen einige waren, bei denen mein Vater unmöglich den andern Diskant singen konnte.
Das Lied: Ich bin ein Gast auf Erden, schien für meinen Vater gemacht zu seyn, und fast ward kein Glas gebrochen, ohne daß meine Mutter nicht anstimmte:
Die Herberg' ist zu böse,
Der Trübsal ist zu viel;
Ach, komm mein Gott und löse
Mein Herz, wenn dein Herz will;
Komm, mach ein sel'ges Ende
Mit meiner Wanderschaft,
Und was mich kränkt, das wende
Durch deinen Arm und Kraft.
Ich wette, wenn meine Mutter mit diesem Liede meinen Vater gleich zu Anfang bestochen hätte, sie würde nicht auf einen Vers begrenzt worden seyn. Kaum hatte einer der zwei Streiter über die Namen von Curland, Lettland und Semgallen Abschied genommen, und gleich sang ihm meine Mutter nach:
[18]
Wo ich bisher gesessen,
Ist nicht mein rechtes Haus;
Wenn mein Ziel ausgemessen,
So tret' ich frei heraus.
Und was ich hier gebrauchet,
Das leg' ich alles ab;
Und wenn ich ausgehauchet,
So scharrt man mich ins Grab.
Gern, das weiß ich, hätte sie unter der Predigt: vom Vaterlande, wie an hohen Festen diesen Vers angestimmt, wenn sie geglaubt hätte, meinem Vater hiemit einen Liebesdienst zu erweisen. Seine Singzeit indessen war noch nicht gekommen, und außerdem hatte er den Grundsatz: die Andacht gehör' ins Kämmerlein. Der Gesang blieb also bloß unter den Hausgenossen.
Wer keine Einbildungskraft hat, sagte mein Vater, hat auch kein Gedächtniß. Ein großes Gedächtniß kann die Urtheilskraft schwächen, allein auch stärken. Wer sich durch hundert Meinungen, die er weiß, nicht stören läßt und noch eine für sich besitzt, hat viel Gedächtniß und viel Urtheilskraft. Die besten Köpfe klagen am meisten über Gedächtniß. Sie sehen ein, wie viel noch zurückbleibt, was sie nicht wissen, und wollen sich auf eine Art, die ihnen am wenigsten zu stehen kommt, bei Ehren erhalten. Ein Mann von starker Beurtheilungskraft macht sich nur Merkzeichen durch die Vernunft, die Imagination ist bei ihm bloß Köchin. Was sollte ihn also zurückhalten, ohne roth zu werden, über schwaches Gedächtniß zu klagen? Manche, um auch für tiefe Denker gehalten zu werden, machen es nach, obgleich die guten Leute weit eher über schlechten Verstand klagen könnten.
Zum recht guten Gedächtniß gehört, etwas ins Gedächtniß fassen, behalten und sich wieder erinnern. Sieh bei der Sache [19] auf Ursach und Wirkung, inoculire alles auf dein Lieblingsstudium, und es ist dir auch im spätesten Alter, als hättest du es vorm dreißigsten Jahre, bis zu welcher Zeit beim Menschen alles in der Blüthe steht, gelernt. Witzige Leute haben schreckliche Gedächtnisse. Ueberall finden sie eine Aehnlichkeit – weil diese aber oft zu schwach ist, oder weil sie mit einem Blick zehn Aehnlichkeiten finden, vergessen sie alles; das Bewußtseyn, fassen zu können was man will, thut bei einem Genie oft größere Dinge, als wenn's schon ein gerüttelt, geschüttelt und überflüssiges Maß im Kopfe hätte. Ich habe noch keinen Dichter gekannt, der nicht schnell gefaßt hätte, was er gelesen. Beim mündlichen Vortrage gelingts nicht allen. Prosa behalten sie leichter als Verse. Bei andern Leuten ist es umgekehrt. Man würde behaupten können, ein Original müßte wenig Gedächtniß haben, wenn es nicht Leute gäbe, die im Vergessen eben so stark als im Fassen sind. Fassen und Behalten wird im gemeinen Leben für eins genommen, allein ganz unrichtig. Ein jeder Originalkopf muß schnell fassen und schnell vergessen. Etwas bleibt zurück, und nur eben so viel, als nöthig ist, um nicht bloß Abschreiber (Copist) zu seyn. Ein Großmaul hat ein behaltendes, ein Kopf ein fassendes Gedächtniß. Wer viel plaudert, kann auch viel behalten; ein guter Kopf kann nur viel erzählen, wenn er trunken oder verliebt ist; er darf sich indessen beides nur einbilden zu seyn. Wenn ein Poet nicht gut faßt, kommts oft daher, weil er sehen und hören kann und zwar mit Augen und Ohren des Genies, und auch dieser Umstand trägt sein Theil bei, daß er so leicht vergißt. Er kann nichts lesen und hören, was er nicht sogleich mit dem Seinigen bereichert. Er verzinset oft einen Gedanken mit fünfzig Procent, oft mit mehr. Er weiß beständig viel, nur nicht immer was andere wissen. Wer Jahreszahlen und Geschlechtsregister behalten kann, ist kein Dichter.
Lieber Vater, hier macht die liebe Mutter eine Ausnahme. [20] Anlage zur Hauspoesie ist ihr nicht abzusprechen, und wer ihr ein gutes, massives Gedächtniß zugestehen wollte, dem vergäße sie diese Beschuldigung selbst im Himmel nicht, und wenns auch nur bloß darum wäre, um ihr Gedächtniß zu beweisen. – Was sie behält, ist eisern. Meine Mutter wußte nicht nur alle mögliche Lieder aus- und inwendig, sondern besaß auch eine so genaue Lebensbeschreibung von vielen Liederdichtern, daß sie beinahe den Schöpfungstag von jeder Strophe wußte. Es war ihr von vielen Jahr und Tag bekannt, und was das allermeiste war, sie konnte sagen, was jede ihrer Herzensstrophen bei diesem oder jenem für eine Wunderkur gemacht hatte.
Mein Vater, der von dergleichen Dingen nicht das mindeste wußte, hörte ihr (ohne Zweifel von dem Zeitpunkte, da er den zweiten Diskant zu singen anfing) andächtig zu, und schien an ihrer Zufriedenheit über dieses geneigte Gehör theilzunehmen.
Die singende christliche Hausgemeine war noch an den Worten:
Und was mich kränkt, das wende
Durch deinen Arm und Kraft,
und frisch fing meine Mutter an, als wenn sie festen Fuß fassen und occupiren wollte:
»von Paul Gerhard.«
War mein Vater nicht unter ihren Zuhörern, pflegte die Leichenpredigt länger und erbaulicher zu seyn, und beständig fand sie alsdann auf ihrem Wege Umstände, die mit Umständen, so Leuten aus ihrer Familie begegnet waren, eine Aehnlichkeit hatten. Reiste mein Vater mit, war der Weg wie auf der Diele, und nie sprach sie bei einem Anverwandten auf der Landstraße an, es wäre denn zuweilen bei ihrem sel'gen Herrn Vater oder Großvater, um ihnen aus Kindespflicht die Hände zu küssen.
[21] Paul Gerhard hatte Berlin wegen des Streits der Lutheraner mit den Reformirten verlassen, nachdem er aus Lüben (denkt an Liebau, sagte sie, wenn euch der Name zu schwer fällt) nach Berlin gekommen, und ihr seliger Herr Vetter war, um allen allerlei zu werden, vom Landpastorat nach Mitau als Stadtpastor gegangen und hat in Mitau ein Bein gebrochen. Doch warum nicht sie selbst? Damit meinen Lesern die Zeit nicht zu lang werde, soll mein Vater ab- und zugehen.
»Es ist ganz besonders, daß Herr Paul Gerhard – sein Sohn, Paul Friedrich Gerhard, war Magister; auch gut! allein, so viel ich weiß, kein Liederdichter. Schade!) Es ist ganz besonders, sag' ich, daß Herr Paul Gerhard, welcher als Ober- oder Primarpastor 1676 den siebenzehnten, und nicht den siebenundzwanzigsten Mai, im siebenzigsten Jahre seines reifen Alters unter die himmlischen Sänger aufgenommen ward, kein Lied gemacht hat, das mit C anfängt, obgleich wir sonst viele vortreffliche Lieder haben, die mit diesem Buchstaben anheben. Ich laß jeden Buchstaben in seiner Ehr' und Würde, allein unter den Consonanten ist C mein Liebling. Hat dein Vater je sich des Unterdrückten, des Nothleidenden (sie wandte sich zu mir) angenommen, so war's, indem er behauptete, der Buchstabe C sey so gut deutscher Bürger im ABC als irgend einer, und indem er den Candidaten – ohne C widerlegte. Da die Letten ohne C sind, so könnte man den Herrn Oberpastor Paul Gerhard einen curischen, einen lettischen Sänger nennen, wenn er anders damit zufrieden wäre, woran ich zweifle. Wer Gerhards Lebensgeschichte mit leichter Mühe und ohne Kopfschmerz zu behalten Lust hat, merke sich vier Sieben.«
»Im Jahre sechzehn hundert sechs und siebenzig, den siebenzehnten Mai, im siebenzigsten Jahre, und in Hinsicht des Zweifels wegen seines Sterbetages sieben und zwanzig. Dieser Zweifel hat, wie mich dünkt, einen Druckfehler, eine[22] Schwachheitssünde zum Grunde. Wer kann wissen, muß jeder, der ein Buch schreibt, bekennen, wie oft er fehle.«
Da hast du ganz recht, liebe Mutter; und ich, der ich zweihundert Meilen vom Druckorte entfernt bin, setze bei dieser Gelegenheit mit einer Verbeugung an alle Recensenten hinzu: Verzeihet die verborgenen Fehler. (Meine Mutter fährt fort:)
»Gott weiß, wie die Worte in der Ausgabe des Herrn Feistking lauten. Es ist diese Ausgabe für mich ein Licht unter einem Scheffel. Das Manuscript hat Herr Johann Heinrich Feistking vom Herrn Magister Paul Friedrich Gerhard erhalten.«
Meine Mutter bedauerte, daß sie nicht selbst der Herr Johann Heinrich Feistking bei dieser Gelegenheit gewesen, und wär's auch nur, setzte sie hinzu, der grünen, rothen und blauen Grenzzeichen und Fähnchen halber. Die Autorzeichen brachten sie auf die Tintarten, welche sie alle so wie eine Mehl- und Milchspeise oder Grütze anrichten zu können vorgab. Mein seliger Großvater, sagte sie, konnte ohne alle diese Tinten kein Concept zur Predigt vollenden. Mein seliger Vater brauchte nur die rothe, und jetzt bin ich bis auf die schwarze, und auch die (mein Vater war die ganze Zeit abwesend) wird wenig gebraucht, außer Uebung.
Der holdselige Mann, Paul Gerhard, hat das Feistking'sche Exemplar mit allem Fleiß revidirt. Sein letzter Federstrich war in dieses Buch, und eben schrieb ein Erzengel
seinen Namen auf's beste
in's Buch des Lebens ein.
Ich habe die Vorrede des Herrn Feistking nicht gelesen, sondern nur in ein anderes Buch eingebrockt gefunden; indessen gehört es eben nicht zum Stern und Kern dieser Vorrede, daß Paul Gerhard daselbst mit dem Dr. Martin Luther proclamirt und gepaart worden, und daß man sogar (unter uns gesagt) den Wunsch [23] äußert, daß Gerhard dem Dr. Martin Luther beim Reformationswerk geholfen hätte. Ich thue Einspruch, Herr Feistking, nicht des Buchstabens C, sondern des auserwählten Rüstzeugs Dr. Luthers wegen, der auch wußte, was Sang und Klang war. – – Hier eine Lobrede auf Luthern, der darum, wie meine Mutter sagte, zu Eisleben geboren, weil ihn Gott das Eis zu brechen erkoren. Wir! wir! (sie sang diese Worte in der Melodie: wir glauben all' an einen Gott) wir, – setzte sie ohne Sang fort, – die wir aus Bescheidenheit den Zunamen Lutheraner angenommen, sollten mit dem Vornamen Reformatoren heißen; gewisse andere Leute aber, die nicht paulisch oder kephisch seyn wollen, können beim Namen Reformirte bleiben. Nach dem Luther (mein Vater kommt) muß ich gestehen, keinen bessern Liederdichter als Gerharden zu kennen. Er und Rist und Dach sind einKleeblatt, das auserwählte Rüstzeug Luther aber die Wurzel. Gerhard dichtete während dem Kirchengeläute, könnte man sagen. Ein gewisser Druck, eine gewisse Beklommenheit, eine Engbrüstigkeit war ihm eigen. Er war ein Gast auf Erden, und überall in seinen hundert und zwanzig Liedern – ich wünschte wohl, es wären ein hundert und siebenzig wegen der sieben – ist Sonnenwende gesäet. Diese Blume drehet sich beständig nach der Sonne und Gerhard nach der seligen Ewigkeit. Schwermüthig –
Recht, sagte mein Vater; allein weißt du auch warum?
»Warum?« meine Mutter, »weil er nach dem vorgesteckten Kleinod blickte.«
Weil er ein böses Weib hatte. – Sobald ihn Gott von dieser bösen Sieben erlöste, war keine Sonnenwende mehr in seinem poetischen Gärtchen. Er sang; allein es sang kein Gerhard mehr. Was die Xantippe dem Sokrates war –
Dieser Blitz traf das Wort auf der Zunge meiner Mutter; [24] es bebte noch eine Minute auf der bläulichen Oberlippe, allein es war so matt, daß es in der Geburt seinen Geist aufgab. Meine Mutter, die sich ihres Geschlechts überhaupt anzunehmen gewohnt war, mußte von meinem unlevitischen, unpoetischen Vater, der zum zweiten Diskant nur par bricole gekommen war, erfahren, daß er die Asche einer Oberpastorin entheiligte und ein Sacrilegium beging. Das war mehr als sie tragen konnte! – Sie verstummte vor ihremScherer, und nach einer guten Viertelstunde allererst, nachdem das Herzgespann nachgelassen, sang sie, ohne zu sagen, von wem das Lied gedichtet war:
Wenn böse Zungen stechen,
Mir Glimpf und Namen brechen,
Will ich bezähmen mich;
Das Unrecht will ich dulden,
Dem Nächsten
(meine Mutter sang dieses Wort mit einem tiefen Seufzer)
seine Schulden
Verzeihen gern und williglich.
Dieses war für heute genug am Gemälde meiner Mutter. Daß sie Gedächtniß und, wo nicht ein poetische Puls-, so doch Blutader, wo nicht prasselndes Odenfeuer, so doch eine glühende Kohle vom Altar gehabt, werden meine Leser selbst gefunden haben. Noch einen Zug um die Nase herum, der sich eben bei mir meldet, und es übel nehmen könnte, wenn ich ihn nicht, so spät es auch ist, beherbergen sollte. Meine kreuzbare Mutter war eine so große Verehrerin der Reime, daß sie sogar ein Gelübde abgelegt hatte, gewisse Worte nie zu trennen. Kern und Stern,Rath und That, Kind und Rind. Hack undPack, Dach und Fach, Knall und Fall u.s.w. waren nach ihrer Meinung Zwillinge, Doppelbrüder. Außer diesem behauptete sie, daß gewisse Reime für einander geboren, im Himmel geschlossen wären und durchaus [25] ins Eheband treten müßten, als da sind Stank und Dank, Mund und Pfund,Glimpf und Schimpf, Noth und Tod,Kleider und Schneider, Student und Recensent, Schelm und Helm. – »Was Gott zusammenfügt,« pflegte sie zu sagen, »soll der Mensch nicht scheiden. Wer solche Reime trennt, scheidet eine Ehe; und wer einen andern Reim in diese Stelle aufnimmt, heirathet im verbotenen Grade.« Sie behauptete, die Reime wären gleichsam die Riemen, durch welche das Gedicht verbunden würde, und muß ich ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie bei ihrem poetischen Trichter, oder dem in sechs Stunden einzugießenden Unterricht zur deutschen Dicht- und Reimkunst 1 die Regel gab: trachtet am ersten nach dem Reime der zweiten Reihe, der erste wird euch zufallen, und es wird der Vers wie gegossen seyn. –
Jetzt in die Speisekammer auf ein Gericht Eier.
Der Himmel helfe uns ad mala. Es wird für meine Leser und für mich, glaub' ich, das Beste seyn. Sollte indessen meinen Lesern das Schälchen, das ich aus gutem Herzen nach nordischer Art zum Willkommen herumreichen lasse, Appetit machen und Promulsis (der erste Gang) nicht mißfallen, so hoff' ich, caput coenae (die Hauptschüssel) dieses Theils wird auf ein gleiches Glück Hoffnung machen können. Ein Thaliarchus, ein Credenzer, Disponent, ein Gläserzähler, ein Taktschläger ist mir bei der Mahlzeit eine unausstehliche Creatur.
Meine Mutter läßt zur Canonisation läuten, die einen ihrer Vorfahren treffen soll. Die Reliquien dieses Candidaten zur Standeserhöhung bestehen in einem Kupferstiche, und obgleich, wenn er nach den neuesten päpstlichen Grundsätzen behandelt werden sollte, ihm rechtlich entgegenstände, daß er noch nicht hundert Jahre gestorben, [26] so wird doch bei dieser protestantischen Ceremonie dieser Einwand keine Bedenklichkeit abgeben.
Es war ein Sonnabend – denn dieses war ein Tag, den meine Mutter unter den Tagen, so wie die C unter den Consonanten (alles Widerspruchs des Kandidaten ohne C unerachtet), schätzte. Die C, um aufrichtig zu seyn, weil die Letten diesen Buchstaben nicht haben; den Sonnabend, den heiligen Abend, weil sie selbst, im Fall ich mich so ausdrücken darf, ein heiliger Abend – wenn man nur hinzusetzt, welches einem Sohne nicht zusteht, so haben sie meine Leser in einem Zuge ganz – also nur ein heiliger Abend war. Meiner Mutter gebührte allerdings eine Glorie, allein nur vom Mondschein. – Wegen des Sonnabends muß ich noch bemerken, daß sie von meinem Vater alsdann wegen der Beichtvesper am wenigsten einen Einbruch zu befürchten hatte, und daß der Sonnabend bei allen Priesterweibern dies festus, ein hervorragender Tag ist.
Es war ein Sonnabend, da mich meine Mutter mit dem ersten Verse des Liedes:
Freu dich sehr, o meine Seele,
Und vergiß all' Angst und Qual –
aufsang und nach dessen Vollendung mich also anredete: »Ich weiß, daß dieses Lied einem armen Sünder zugeschrieben wird, der in Hamburg wegen begangener Nothzüchtigung eines neunjährigen Mädchens enthauptet worden. Allein außerdem, daß dieser arme Sünder Doctor in der Medicin gewesen, so glaub' ich auch die ganze Armensündergeschichte nicht. Es ist vielmehr dieses Lied eine Messerspitze von den geistlichen Liedern des Simon Graf, die er unter dem schönen Titel: Geistliches edles Herzpulver, in drei Theilen herausgegeben hat, 2 und dann [27] am Ende, liebes Kind, sind wir alle arme Sünder, – allein wir haben nicht alle ein neunjähriges Mädchen genothzüchtigt, sind aber alle in Sünden empfangen und geboren.«
»Was ist Nothzucht, liebe Mutter?«
»Nothzucht, mein Kind!« sagte meine Mutter, und ich war voll Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, – »ist Nothzucht. Leg dein Feierkleid an, streu Puder auf dein Haupt, und wenn keiner vorhanden ist, Weizenmehl, und sieh heute wie man dem thut, den deine Mutter ehren will aus dem Buche Esther, im sechsten Capitel und sechsten Verse.« Nach einer langen Deliberation, wie die feierliche Handlung vollzogen werden sollte, ging dieser Triumph, oder Oration, oder Leichenconduct an. Io Triumphe! derTriumphator, welchem diese Ehre in effigie erwiesen wurde, lag auf zwei Folianten, und auch dieses kam von ungefähr, sonst würde selbst diese Spur von Triumphwagen nicht gewesen seyn. Bei meiner Uebermessung, die mit einer curischen Elle geschah, fand es sich, daß kein Stuhl hoch genug für mich war, den Kupferstich dem Himmel nahe genug zu bringen, wie meine Mutter sich ausdrückte, welches Ziel aber durch Beihülfe dieser Folianten erreicht werden konnte. Da die Folianten inzwischen einmal im Spiele waren, legte sie selbige kreuzweise so, daß also nicht einer auf dem andern lag. Sie spreitete endlich ein weißes Tuch über sie. – Man kann, sagte sie, auch dabei seine erbaulichen Gedanken haben. Noch gehörten zu diesem Ehrenwerk vier flimmernde Nägelchen und vier Streifen schwarzes Papier. Eine Leichenrede wurde deßhalb entkleidet, die auf einen reformirten Geistlichen gefertigt war. Die Nägelchen und die vier Streifen legte meine Mutter wie Ehrenzeichen neben den Kupferstich. Auf dem Wege von dem Ort, wo ihm der Platz unterm Spiegel gegen Morgen war abgeschlagen worden, wurden Tannenreiser bis in die Speisekammer gestreut. Unterweges war meine Mutter, wie man [28] in der Affekthitze zu seyn pflegt, still. Der Fall war zu groß, um Sang und Klang zu verstatten. Stille Begräbnisse kommen überhaupt der Natur am nächsten, wenn anders der Verstorbene keine lachende Erben nachläßt. Meine Mutter trug die Füße, ich das Haupt, und so kamen wir ins Delubrum, ins Sacrum, ins Gewölbe. Es kam mir unterwegs besonders wegen des weißen Tuches, welches bei meinen Lesern noch im frischen Andenken flaggen wird, so vor, als ob ich eine Leiche trug, und meiner Mutter muß es eben so vorgekommen seyn, denn sie sagte (dies war alles, was geredet wurde): den Weg, mein Sohn, müssen wir alle, und konnte wohl unmöglich die Speisekammer darunter verstehen. Ich merkte aus allem, daß meine Mutter eine Rede an mich halten wollte, und kann vielleicht dieser Umstand mit das Seinige zur Stille beigetragen haben, wodurch diese Handlung geweihet wurde. »Er hat gelitten und hat gesiegt,« fing sie an, »er ist gestorben und sieh! er lebt.
Schau't, die Sonne geht zur Ruh',
Kommt doch morgen wieder;
aus dem Liede: einen guten Kampf hab' ich auf der Welt gekämpfet.« Diese Citation oder eine Wehmuth, die uns Beide anwandelte, lenkte sie vom rechten Wege.
»Dein Ebenbild,« sagte sie, »mein Sohn, wie ein Ei dem andern; – sey ihm an reiner Lehre und reinem Windel gleich, auch« (hier fehlt ohne Zweifel viel) »nimm dich vor harten Eiern in Acht, sie sind schwer zu verdauen.«
»Erinnere dich an die Leiter Jakobs,« sagte sie, nachdem sie sich vom Stickfluß erholet hatte, und die Folianten wurden abgedeckt und das Leichlaken sein säuberlich zusammengelegt. »Zu niedrig,« sagte sie, indem ich die Höhe erstiegen hatte und zu hämmern anfing. »Es stockt in der Speisekammer,« »zu hoch,« gleich darauf: »denn ich kann weiter nichts als vier Sterne sehen.«
[29] Sterne dacht' ich, liebe Mutter. – Sechs für einen Vierding.
Endlich traf ich die rechte Stelle, und nachdem das Monument fertig war, welches diesem Ehrenmanne um so angemessener schien, als es gerad' über einem Eierbehältniß stand, stieg ich herab und meine Mutter umfing und küßte mich. Es war dieses eine feierliche Umhalsung, eine Accolade und nun? – Meine Leser werden es mir verzeihen, daß ich sie so lange im Finstern gelassen, ohne zu bemerken, daß meine Mutter vier Lichter auf dem Tische angezündet hatte, auf welches Castrum Doloris der Wohlselige, nachdem wir ihn von den Folianten abgehoben, eine ganz kurze Zeit zur Ausruhe hingestellt wurde. Drei von diesen Lichtern löschte meine Mutter so aus, wie andere Leute ihre Lichter auslöschen. Das vierte, ein abgebrannter Stumpf, war während dieser Zeit dem Verlöschen nahe.
»Komm! sieh und lerne sterben!«
sagte sie zu mir. Ich sah ein ausgehendes Licht, und meine Mutter betete mit einer Inbrunst, die mir durch die Seele ging:
– Und wenn mir die Gedanken
Vergehen wie ein Licht,
Das hin und her thut wanken,
Bis ihm die Flamm' gebricht;
Alsdann fein sanft und stille
Laß mich, Herr! schlafen ein
Nach deinem Rath und Willen.
Wann kommt mein Stündelein.
Ich sah, was meine Mutter sagte, und oft! oft! hab' ich mein Licht so ausbrennen lassen, um dieses Fest zu wiederholen.
Meine Mutter legte die Hände, sobald alles aus war, auf mich, um mich priesterlich zu segnen. Wir weinten beide. – Nach einer Weile fing sie an (ich glaube, es sind alles dieses [30] Brosamen, die von ihrem reich besetzten Tische fielen, Stücke von der verunglückten Rede): »die lobwürdigste Fürstin Henriette Louise, Markgräfin zu Brandenburg, ließ sich dieß Lied vorsingen, und obgleich alles um sie herum weinte, starb sie doch ohne Ach und Weh sanft und selig zu Onolzbach im Jahre Christi 1650, ihres Alters sieben und zwanzig Jahr. Gott! laß es nur ein Stündlein und nicht eine ganze Stunde seyn, wenn wir heimfahren aus diesem Elend!« Wir brachten die Folianten zu Hause und meine Mutter sang, ohne zu bestimmen, ob's auf Folianten, oder auf Kupferstich, oder auf alle papierne Monumente und Denkzettel gezielt wäre:
Man trägt ein's nach dem andern hin,
Wohl aus den Augen und aus dem Sinn,
Die Welt vergisset unser bald,
Sey jung oder alt,
Auch unsrer Ehren mannigfalt.
Seyd getrost, verdienstvolle Männer (ich will meiner verstummten Mutter aushelfen). Habt ihr nicht das Glück, am Spiegel zu hängen, so ist noch die Speisekammer übrig. Stockt es hier gleich, es schadet nicht, das Bild kann hoch geschlagen werden. Beschert euch nur der Himmel Augen, die vier kleine Nägel für Sterne ansehen, habt ihr gewonnen Spiel.
Nach dieser vollbrachten Arbeit verlangte meine Mutter, daß ich diesen Tag in einem feinen, guten Herzen behalten, und ihn jeden heiligen Abend vor Ostern durch eine Wallfahrt in die Speisekammer (wie sie sich ausdrückte) feiern und erneuern sollte; dieses ist, sagte sie, die Aussaat; vor Ostern, den heiligen Abend, sollst du ernten. Der Geber aller guten und vollkommenen Gaben verleihe dir gutes Wetter oder ein Herz nach seinem Herzen zur Ernte.
Daß aber der ausgesäete Weizen nie zur Reife gekommen und [31] aus dieser Wallfahrt nie etwas geworden, ist einer von uns beiden Schuld, der frommeSchweppermann oder ich. Meine Mutter zog mich wegen eines Epitaphiums zu Rathe, und mir mußte zum Unglücke einfallen:
Dem Mann ein Ei,
Dem frommen Schweppermann zwei;
weil Schweppermann nicht Superintendent in Curland, sondern
Ein Ritter, keck und fest,
Der zu Gnadersdorf im Streit' that das Best',
gewesen, so bekam der Vorschlag meiner Mutter eine andere Wendung. Der bestimmte heilige Tag fiel aus, allein nicht zu meinem Nachtheil, denn wenn ich nach der Zelt ein Stück Geräuchertes zu ernten Lust hatte, wallfahrtete ich Hand in Hand mit meiner Mutter nach dem Mausoleum (oder nach einer ehrlichen deutschen Uebersetzung) in die Speisekammer. Es hing der Tag unseres Eierheiligen von der Angabe meines Magens ab, und war, so oft mich außer der Mahlzeit hungerte. Je nachdem ich Appetit hatte, ward auch die Feierlichkeit zur Ehre eines Mannes zugeschnitten, der nach der Bemerkung meiner Mutter, die sie mehr als einmal anbrachte, »so wie die Speckseiten und Würste, seine Nachbarn, gekommen wäre aus der Rauchkammer dieses Lebens.«
Zur Steuer der Wahrheit steh' es hier wie eine Ehrensäule, daß meine Mutter, wider die Gewohnheit aller Weiber, nicht geizig war. Sie wollte nicht die Eier abschaffen und Hühner dafür einführen, sondern die Rechtgläubigkeit, wie sie sagte, lag ihr hiebei bloß am Herzen.
Mein Vater (damit ich sobald als möglich die vacante Stelle besetze), den meine Mutter durch diesen an seinen Ort gestellten Kupferstich ohne Zweifel auf den Gedanken brachte, daß im Prunkzimmer, zur rechten Hand unter dem Spiegel, kein unrühmlicher Ort im Pastorat wäre, vocirte den Kupferstich des Eugen an [32] diesen ledigen Platz. Er ließ meine Mutter vorderhand bei ihrer voreilig gefaßten Meinung, daß dieser Kupferstich der Herzog Gotthard wäre, welchen sie für den größten Helden hielt, der je in der Welt gelebt hätte, und dem allein sie den Rang über den Superintendenten gestattete, obgleich sich die Herzoge von Curland wir von Gottes Gnaden schrieben und Landeshoheit haben. Es war mein Vater sich als ein Deutscher diese Huldigung schuldig, und nie hat er es verfehlt, dem Namen eines Deutschen Ehre zu machen. Das erste Wort, was er mich aussprechen lehrte, war, aller seiner Kenntniß in fremdem Sprachen unerachtet, ein schweres deutsches. Deutsch eben darum, warum Eugen im Pastorat zur rechten Hand unterm Spiegel des Prunkzimmers hing, schwer, weil mein Vater in allen Dingen die Gewohnheit hatte, mit dem Homer anzufangen.
Damit aber meine Leser ja nicht Realinjurien begehen und an den Gedanken grenzen, als ob mein Vater auch nur stillschweigend eine Unwahrheit verübt, so muß ich ihn bei dieser maßgebenden Gelegenheit rechtfertigen und ihn über jenen Heiden herausbringen, dem man zur Steuer der Wahrheit nachsagt, daß er auch nicht im Scherze unrichtig geworden, welches in unserer galanten Mundart ungefähr heißen würde, daß er keine einzige Equivoke gesagt habe. Wer weiß es nicht, daß eine stillschweigende Lüge eine himmelschreiende stumme Sünde sey, der feinste Meuchelmord, und eben darum der gewöhnlichste. Was meinet ihr, lieben Leser! mißt mein Vater nicht einen Zoll und einen Strich mehr?
Gotthard, sagte meine Mutter, der Held der Helden. Nicht also, fiel mein Vater ein. Eugen! ein Deutscher, der in seiner Jugend Theologie studirte und schon wirklich Candidatus theologiae war, ein rundes Perückchen trug und gepredigt hatte. Dieß brachte meine Mutter zur Andacht. Warum, sagte sie, ging er von der engen Straße, die zum Leben führt? Um der Religion [33] bessere Dienste zu thun, erwiederte mein Vater; um sein Schwert wider die zu ziehen, welche jetzo die Wache zum heiligen Grabe geben und das Schlafgemach unseres Herrn und Meisters usurpiren. Eugen hieß der kleine Abt in Frankreich, und ward ein großer Mann in Deutschland. Die mittelmäßige Statur ist die Gestalt der Helden. – Unser Sohn wird, Gottlob! groß werden, sagte meine Mutter. – Gottlob! er wird es nicht werden, erwiederte mein Vater. Die Titel des Eugen sind, fuhr er fort, Herzog von Savoyen und Piemont, Markgraf zu Saluzzo, Ritter des goldenen Vließes, der römisch kaiserlichen und königlich katholischen Majestät wirklicher Geheimer- und Conferenz-Rath, Hofkriegsraths-Präsident, General-Lieutenant, und des heiligen römischen Reichs Feldmarschall, General-Vicarius der sämmtlichen italienischen Erbkönigreiche und Lande.
Meine Mutter machte, da mein Vater sich bei jedem neuen Ehrenworte beugte, eine Gegenverbeugung, – ohne daß man eigentlich bestimmen konnte, ob's meinem Vater oder dem Eugen galt, und da die Heldengeschichte eben kein Studium für meine Mutter war, so kam manches vor, was sie zum erstenmale hörte. Bei meines Vaters Bemerkung, Eugens Mutter wäre des bekannten Cardinals Mazarini Nichte gewesen, konnte meine Mutter anfänglich nicht begreifen, wie ein Cardinal eine Nichte haben könnte? – Es fühlte Eugen (fuhr mein Vater fort und sah meine Mutter lieblich an) im Gemüthe und Geblüte väterliche Regungen, und dieses Gefühl war unfehlbar die Hauptursache, warum er das Brevier mit dem Degen vertauschte. Ob nun gleich meine Mutter, was den Punkt der heiligen Ehe betraf, sehr protestantisch dachte, so schüttelte sie dennoch wegen dieses Tausches das Haupt. Bei dem eingeweihten Degen, den Papst Clemens der XI. dem Eugen schickte, und beim Anfange seines Anschreibens: Unsern Gruß und apostolischen Segen zuvor, geliebter Sohn, edler Mann! – warf [34] sie die Frage auf: wie doch wohl der curische General-Superintendent an den Eugen geschrieben haben würde?
Mein Vater schloß die Standrede über Eugen, um sich meine Mutter, die nicht ohne Neid den Eugen unterm Spiegel sahe, zu verpflichten: daß dieser unüberwundene Held den ein und zwanzigsten April zumewigen Jubilate eingegangen.
So waren also die beiden Monumente für Eugen, der nie geschlagen worden, und meiner Mutter Ahnherrn, der durch Abschaffung der Ostereier sich unsterblich gemacht, errichtet! Der liebe Gott schenke beiden (dieß sagte meine Mutter, da mein Vater den Rücken gekehrt hatte) in der Erde eine sanfte Ruhe und am jüngsten Tage eine fröhliche Auferstehung, wo es sich ausweisen wird, ob Eugen oder der gute Pastor eher verdient, unter dem Spiegel gegen Morgen im Prunkzimmer zu hängen, wenn gleich auch unser Anverwandter sich über sein Plätzchen in der Speisekammer nicht beschweren darf.
Ich habe zwar von meinem Vater, da ich nicht capitelfest bin, nur wenig und das im Beilauf gesagt, meine Leser aber werden schon hieraus die verschiedenen Denkungsarten meines Vaters und meiner Mutter einsehen und ohne Note sich vorstellen, daß ihre Erziehungsart gleichmäßig nicht übereinstimmen konnte. Meine Mutter wollte mich zu einem Geistlichen machen, und wenn man kein Edelmann und doch ein Mensch in Curland ist, kann man keinen andern als diesen Stand wählen, einige weltliche Stellen ausgenommen, deren aber zu wenig sind, als daß viele darauf rechnen könnten, und die, bis auf die Advokatenstellen bei dem Land-Obergerichtshofe in Mitau, noch obenein adeliche Posten sind, und also als in Verfall gerathene Familien angesehen werden, welche ihren Adel mit leichter Mühe erneuern können. Mein Vater schien mich zu etwas anderm bestimmt zu haben. Meine Leser mögen rathen, wozu? denn, in Wahrheit, ich selbst muß mich bei diesem Umstande[35] mit Rathen behelfen, obgleich ich es nicht läugne, mehr Data als meine Leser zur Auflösung meines Räthsels in der Hand zu haben. Er sah es sehr gern, wenn ich Ball schlug, und erlegte selbst mit mir Kegel. Ich hatte zu Anfang Mühe, die Kugeln zu heben; indessen fand sich mit der Zeit eine Stärke in meine Arme, daß das Spiel zwischen meinem Vater und mir ungewiß und eine Wette wurde, und wir abwechselnd gewannen und verloren. Er hatte es gern, daß ich mich herumbalgte, und hierin that ich mich mit dem Benjamin, dem Sohne des altenHerrn, hervor. Sowohl von Vater als Sohn wird sogleich gehandelt werden! Meine Mutter ermahnte mich, so oft ich gerungen hatte, und fügte hinzu, daß jedes Haar auf meinem Haupte gezählt sey.
Ich arbeitete beständig, allein ich wußte es nicht, ich hätte eben so gut glauben können, daß ich beständig spielte. Mein Vater konnte sich über nichts so sehr ärgern, als daß über der Seele der Leib vergessen würde, und daß man das eine bei Hochwohlgebornen Kindern lernen, und das andere spielen hieße. Es ist alles Spiel oder alles Arbeit, pflegte er zu sagen. Die Unvermögenheiten des Leibes hielt er alle für ansteckend in Absicht der Seele. Es ist ein schlechter Wirth, sagt' er, der sein Zimmer mit Seide ausschlägt und von oben einregnen läßt. Vom Kleide auf den Mann, setzte er hinzu, vom Hause auf den Herrn, vom Leibe auf die Seele schließen, ist kein unrichtiger Schluß. Wenn man seinen Körper, den man sieht, vernachlässigt, wie will man an seine Seele denken, die man nicht sieht. Mark macht's aus, setzte er, um sich zu erklären, hinzu, nicht Lange und Breite, Dicke und Höhe. Ein jeder Erfinder ist wenigstens an dem Tage, da er erfand, ein Mann gewesen, und hätte eben so gut ein gesundes Kind in die Welt setzen als erfinden können, und alles, was in der gelehrten Welt Methusalems Alter erreichen und noch älter werden soll, alles, was eigentlich auf die Nachwelt bleibt, hat ein Gesunder gedacht und [36] geschrieben. Die Helden-und Staatsaktionen des Herkules leisteten meinem Vater auf diesem Wege gute Dienste, und er konnte sich sehr freuen, wenn ich Unwillen zeigte, daß ich nicht auch Gelegenheit gehabt, zweien Schlangen in der Wiege das Lebenslicht auszudrücken. Die Geschichte vom Antäus, dem Riesen, war mir ein Brand im Busen; mein Vater goß Oel dazu, und maß mir seine Länge vor. Ich stieg auf den Tisch, um sie recht zu sehen, und so wie ich mich über die Art des Antäus freuete, sich einen Löwen zum Braten zu fangen, so gratulirte ich dem Herkules, daß er diesen Löwenjäger todt zu drücken die Ehre gehabt. Meine Mutter war so wenig mit der Geschichte vom Riesen Antäus, als mit der von der Schlange zufrieden. Bei der Schlange fiel ihr beständig die im Paradiese ein, wobei sie es dem Noa etwas übel nahm, daß er für sie eine recht holländische Toleranz in seinem Kasten gehabt. Sie äußerte bei dieser Gelegenheit die Meinung, daß das Auszischen sich aus dem Paradiese herschriebe, wo der Teufel unsern ersten Eltern auf diese Art übel begegnet hätte, nachdem die armen Betrogenen den letzten Bissen Apfel genossen. Was den todtgedrückten Riesen betraf, fand sie's anstößig, daß er nicht Goliath hieße. Ich war sehr fürs Todtdrücken des Riesen, aber mein Vater zeigte mir das Erhabene, das Göttliche bei der Geschichte des David, und ich lernte nebenher, wie unrecht es sey, mehr Mittel, und wär's auch nur ein Gränlein, anzuwenden, als man Zweck hat.
Wenn meine liebe Mutter den Eifer bemerkte, der mir bei Erzählung vom Herkules unter die Arme griff, so daß ich vor ihren sichtlichen Augen am Tisch und Stühlen ein Exempel statuiren wollte, pflegte sie mich zu ermahnen, meine Arme zum Kanzelschlage zu schonen und sie nicht an unschuldigen Stühlen und Tischen zu entweihen.
Erziehen, sagte mein Vater, heißt aufwecken vom Schlafe, mit Schnee reiben, wo's erfroren ist, abkühlen, wo's brennt. Wer nie [37] ein Kind unterrichtet hat, wird nie über das Mittelmäßige hervorragen. Docendo discimus ist ein großes und wahres Wort! In gewisser Art lernen wir mehr von den Kindern, als die Kinder von uns. Wer ein Auge hat, lernt hier den Menschen. Wenn die Sonne aufgeht, kann sie der Blick umfassen. Wer kann in sie sehen, wenn's Hochmittag ist? –
Wenn ich auf etwas durchaus und durchall bestand, überließ mich mein Vater meinem Eigensinn, und ich sah aus den natürlichen Folgen, wie thöricht ich gehandelt, daß ich seinen Fingerzeig aus der Obacht gelassen. Er behauptete, daß keine natürliche Strafe gleich einer Todesstrafe wäre, und so ließ er nach dieser großen Vorschrift auch mich nur durch Buße bekehren und leben. Ich verbrannte mich am Licht, ich verdarb mir den Magen unterm Pflaumenbaum. Wie der himmlische Vater es mit uns macht, pflegte er zu sagen, so sollten es auch leibliche Väter machen. Welch einen Einfluß diese Lehrart auf mich gehabt, ist unaussprechlich. – Ich lernte Natur, die wir leider bei dem allgemeinen Fall oder Verfall der Menschenlernen müssen. Ich lernte sie im Kleinen und im Großen. Wenn ein Genie allein auf dem Lande geht, pflegte mein Vater zu sagen, bleibt es nicht lange allein, die Natur geht ihm an die Hand. Sie faßt es an, und es versteht die Blume, wenn sie sich neigt, und den liebevollen Hopfen, der sich hinaufranket. Es bewundert den Regenbogen, das Ordensband, das Gott der Erde als ein Gnadenzeichen umhing. Da sehen dann Genies einen gewissen Zusammenhang zwischen Gott und dem Menschen, und sind Seher, von Gott Angehauchte. Dieß ist unendlich mehr, als ein Autodidaktos, ein Selbstgelehrter. Dieser lernt aus Büchern, ein Seher lernt von Gott und aus seiner für ihn aufgeschlagenen Welt.
Mein Vater ließ es nie zu Thätlichkeiten bei seinen Strafgerichten kommen, denn ich verurtheilte mich selbst, und er bewirkte [38] eben hierdurch eine große Absicht. Er erzog nicht einen Sohn, sondern einen Menschen.
Meine Mutter hielt einen Gnadenstoß für nothwendig, und wenn sie mir mit ihrer theuern Rechten einen Ritterschlag versetzte, pflegte sie zu sagen: Besser so als anders! – eine freie Uebersetzung von: besser Ritter als Knecht – und dann sagte sie wieder: Wer seinen Eltern nicht folgt, folgt dem Kalbfelle. – In der Hauptsache stimmte sie mit meinem Vater, sie zog nur durch einen andern Weg in eben dasselbe Land. – Regen, der ihr kam, wenn sie die große Wäsche vorhatte, die mein Vater scherzweise Fegefeuer nannte, das war ihr Gottesschlag, und immer wußte sie, mit welcher Sünde sie diesen Regen beim lieben Gott verschuldet hatte.
Ich entsinne mich, als wär's heute, daß sie meinetwegen einen Stock ergriff, – feierlich wie einen an einer Kreuzfahne, allein sie besann sich, wie Diogenes, der einen armen Jungen mit der Hand Wasser schöpfen sah, – sie murmelte: »wer das Schwert nimmt, wird durchs Schwert umkommen,« und ich habe also nie unterm Gefreitenstock gestanden, sondern nach Prinzenart, da doch niemand ohne Schläge groß wird, bloß Weiberhänden diesen Tribut bezahlt. Meine Mutter nannte diese Zucht Licht undRecht, und hatte eine sehr feine Distinktion zwischen dem Stabe Sanft und dem Stabe Wehe, womit meinen Lesern aber wenig gedient seyn kann.
Die Sprachen rechnete mein Vater zum Departement des Leibes und der Seele. Man muß, pflegte er zu sagen, nur Eine vollkommen besitzen, das ist reden, schreiben und in ihr denken können. Ein Gott, Eine Taufe, Eine Sonne, Ein Weib, Ein Geist, Ein Leib, Ein Freund, Eine Sprache.
Es gibt, sagte er, keine nackte Wahrheit. Worte finden, heißt denken. Worte sind was Körperliches, was Sinnliches, sie sind die [39] Kleider der Gedanken – Beiwörter der Besatz, Worte der eigentliche Anzug. Wer deutsch gedacht und lateinisch geschrieben hat, ist, wenn er gleich der beste Lateiner wäre, doch ein Deutscher. Cicero würde ihn für keinen Landsmann halten. Um französisch zu schreiben, muß man Franzose seyn, um englisch, Engländer. Wer fremde Sprachen zu etwas mehr braucht, als sich andern Leuten, die nicht unsere Mutter kennen, verständlich zu machen, ist allemal ein schwacher Kopf. Es fehlt ihm wo, es sitze das Uebel, wo es wolle.
Mein Vater war bei alle dem so wenig wider viele Sprachen, daß er sie vielmehr nach dem Thurm zu Babel so nothwendig, als vielerlei Essen nach dem höchstbetrübten Sündenfalle hielt. Viele Sprachen, bemerkte er, sind viele Creditbriefe. Zeige sie vor, du bist überall willkommen. Kein Türke schlägt einen Christen todt, wenn der Christ türkisch kann, und wenn es noch so viel Religionsverdienst wäre. Die Sprache ist eine Herzensschlinge. Man ist bestrickt, man weiß nicht wie. Doch, warum soll ich alles wiedersagen, was mein Vater sagte? Seine Behauptungen waren außer der Weise. Er glaubte, es müßte zu kennen seyn, was bei Licht oder am Tage, was des Morgens und was des Abends gedacht wäre, wenn's nämlich aufgeschrieben worden. Morgengedanken waren bei ihm wie die Erstgeburt heilig. Da ich mehr mit Credit, als mit eignem Vermögen in der Welt handeln sollte, führte mich mein Vater fleißig zu fremden Sprachen an, und ich mußte beinahe alle diese Sprachen zu gleicher Zeit lernen. Alles ohne Donat und Grammatik. Zum Schulmäßigen gewöhnte er mich allererst im vierzehnten Jahre, und konnte ich's folglich als Proben ansehen, die man in der Rechenkunst erfunden, um zu sehen, ob richtig gerechnet sey. Mein Vater hielt viel auf wörtliche Uebersetzungen in Sprachen, die noch leben. Hieraus, pflegte er zu sagen, lernt man eine Nation auf ein Haar kennen, und die feinste Politik und Weltkenntniß ist hier verborgen. Dieß ist der Chiffer zu den Geheimnissen [40] der Völker. Auch sieht man aus der Sprache, ob's im Lande kalt oder warm, neblicht oder klar sey. – Er ging hier noch weiter, ich befürchte aber, meine Leser werden nicht weiter gehen wollen. Bei abgeschiedenen Sprachen, fuhr er fort, tödtet der Buchstabe, der Geist aber macht lebendig. Die Griechen nannte er Kirchenväter der Natur und ihre Sprache den Grundtext des Geschmacks. Wenn man uns zugehört hätte, würde man uns für ein paar Maurergesellen vom Thurm zu Babel gehalten haben. Alles durch einander und doch alles in einander. Mein Vater nahm, wenn er fremde Sprachen mit mir redete, auch fremde Arten an, und das war mir mehr als ein Lexikon! Ich hatte für jede Sprache ein ander Gesicht, eine andere Zunge, eine andere Hand, einen andern Fuß, und besonders eine andere Nase. Worte mußte ich lernen, und er war nicht mit der Lehrart zufrieden, bei Worten das Gedächtniß zu stützen und sich Merkzeichen zu machen. Man hat, sagte er, alsdann Bild und Wort zu behalten. Ein Stammvater von Worten aber diente mir zum Leitfaden bei tausend, zum Nagel im Kleiderschrank, wo man zehnerlei aufhängt. Ich lernte den Stammvater, und wußte Sohn, Enkel, Urenkel, und Ururenkel und Ur Ur, so viel man will.
Die lettische, curische oder undeutsche Sprache lernte ich von meiner Mutter und dem Herrn Jachnis (Johann), dem Aufseher über die Pastoratsbauern oder den Gottes-Berat. Das Pastoratshaus nannte ihn Herr Jachnis und sein Weib Frau Masche (Margarethe), er aber meinen Vater, wenn er gleich deutsch mit ihm sprach, Zeenigs machzitajs (wohlgelahrter und hochzuehrender Lehrer), und aus diesen Namen, die er gab und die ihm gegeben wurden, werden meine Leser ersehen, daß man diesen Menschen halb lettisch, halb deutsch nahm. Es hatte Herr Jachnis den semgallischen Dialekt, der um Mitau herum residirt, und außer diesem semgallischen Dialekte, nach welchem die Bibel ins Lettische gedolmetscht worden, [41] hatte er noch ein Flick von einem Brusttuch, welches einer seiner Vorfahren aus der eigenen Hand des Herzogs Gotthard erhalten, da er ihm das Evangelium am Sonntage Palmarum in undeutscher Sprache aufsagen können.
Mein Vater unterstützte die hohe Idee, die Herr Jachnis, der sich auch wohl von den Pastoratsbauern Amtmann nennen ließ, von dieser Reliquie hatte. Er ließ es sich zuweilen zeigen und ermahnte ihn, sein geistliches Ordensband wohl zu bewahren. Hiezu brauchte Herr Amtmann Jachnis keine Aufmunterung, denn er machte kein Geheimniß draus, daß diesesRitterflick bis an den lieben jüngsten Tag beim Aeltesten in der Familie bleiben sollte.
Meine Mutter ärgerte sich, so oft davon geredet wurde, und versicherte auf Ehre, Pflicht und Gewissen, daß dieses Stück Gewand fünf und mehrere Male verwechselt wäre, und hierin schien sie auch um so mehr Recht zu haben, als es noch ziemlich ungebraucht war. Sie legte es ihm zur Last, daß seine Vorfahren nicht lieber ein Stück von dem Psalmbuche zurückgelassen, welches der gottselige Herzog Gotthard zum Druck befördert, allein gewiß bloß darum, weil einer ihrer poetischen Vorfahren sich darin ein Gedächtniß gestiftet hatte. Mein Vater widerlegte meine Mutter nicht, allein er klopfte dem Herrn Jachnis auf die Schulter und sagte: gut ist gut, besser ist besser. Dieses legten beide, meine Mutter und Herr Jachnis, für sich zum Vortheil aus, so daß sich beide durch ein freundliches Lächeln bei meinem Vater bedankten.
Es lebte meine Mutter überhaupt mit dem Herrn Amtmann in beständigem Streite, obschon sie im Grunde gute Freunde waren. Sie gab ihm an Stärke in der undeutschen Sprache nicht einen kleinen Finger breit nach, allein sie sah diese Sprache aus dem nämlichen Standpunkte, wie ein Deutscher einen Letten. Weil Herr Jachnis auch ein Deutscher war, sprach er zuweilen von ABC, und gleich brachte ihn meine Mutter in eine solche Enge, [42] daß er nicht aus noch ein wußte. Erzen Er pflegte sie ihm nachzuspotten (denn, das H fehlet der lettischen Sprache, so wie das C) sagt ABD, sonst würde man euch wegen Dieberei in Anspruch nehmen.
Die Letten haben einen unüberwindlichen Hang zur Poesie, und ob ich gleich gewiß glaube, dieser Umstand habe den poetischen Samen in meiner Mutter ausgestreut, welche schon in ihren Vorfahren mit diesem Volke zusammen Früchte eines Feldes gegessen und Wasser eines Flusses getrunken, war sie doch in diesem Stücke unerkenntlich. Sie bestritt indessen nicht, daß die lettische Sprache schon halb Poesie wäre. Sie klingt, sagte sie, wie ein Tischglöckchen, die deutsche aber wie eine Kirchenglocke. Sie konnte nicht läugnen, daß die gemeinsten Letten, wenn sie froh sind, weissagen oder in Versen reden, und wenn sie das Gegentheil hätte behaupten wollen, würde Herr Jachnis mit den lieben Pastorats-Angehörigen den Gegenbeweis geführet haben. Herr Jachnis und seine Untergebenen ließen keine Ernte, keine Hochzeit, keine Leichenwache vorüber, wo nicht geweissagt wurde. Bei allen Talcken oder Tagesarbeiten, wo die Leute im Schweiße ihres Angesichts herrlich nach lettischer Art bewirthet wurden, bewiesen sie, daß sie poetischen Geistes Kinder wären. Meine Mutter fand, dem Herrn Jachnis zum Hauskreuz, an dieser poetischen Blumenlese, die ihr zugeeignet wurde, beständig etwas zu rügen, und wenn's auch nur das I und U gewesen wäre, welches die Nothhelfer der Letten sind, so oft es an einer Sylbe gebricht.
Es sind viele, welche behaupten, die Letten hätten noch Spuren von Heldenliedern, allein diesen vielen widerspricht mein Vater: »Das Genie der Sprache, das Genie der Nation ist ein Schäfergenie. Wenn sie gekrönt werden sollen, ist's ein Heu- oder höchstens ein Kornkranz, der ihnen zustehet. Ich glaube, Helden [43] gehören in Norden zu Hause, wo man härter ist und fast täglich wider das Klima kämpfen muß: die Letten könnten also hierzu Anlage haben, wo ist aber ein Zug davon? – Würden sie wohl seyn und bleiben, was sie sind, wenn nur wenigstens Boden zur Freiheit und zum Ruhme in ihnen wäre? In Curland ist Freiheit und Sklaverei zu Hause.«
Mein Vater war eben kein großer lettischer Sprachkünstler; wer aber eine Sprache in ihrer ganzen Länge und Breite versteht, kann über alle Recht sprechen. Er versicherte, nie Fußstapfen von Heldenliedern aufgefunden zu haben, wohl aber Beweise, daß schon ihre weitesten Vorfahren gesungen hätten: und wo ist ein Volk, fragte er, das nicht gesungen hat? Er hatte (wie er's nannte) eine Garbe zärtlicher Liedlein gesammelt, wovon ich seine Uebersetzung besitze, die ich vielleicht mittheilen kann, und wodurch dem undeutschen Opitz des Herrn Pastors Johann Wischmann kein Abbruch geschehen soll. Wenn ich nicht diese Garbe in Händen hätte, würde ich doch vom Urtheil meines Vaters, der kein Curländer war, die Appellation einzulegen anrathen. In diesen Liederchen herrscht bäuerisch-zärtliche Natur und etwas dem Volke eigenes. Die Uebersetzung ist noch meines Vaters Manier.
Weil wir bei den Sprachen sind, muß ich noch bemerken, daß mein Vater nur blutwenig hebräisch, arabisch und chaldäisch u.s.w. aber gar nicht wußte. Er hatte sich wegen des Hebräischen im Anfange vielen Nachreden ausgesetzt, da er so ehrlich gewesen, die Grenzen seiner Kenntnisse nicht zu verbergen. Nach der zehnten Hauptverfolgung, die mein Vater dieserhalb in Curland erlitten, zog ein sehr geschickter Conversus (jüdischer Christ oder getaufter Jude) unsere Straße, und dieser brachte meinem Vater das Jüdisch-deutsche in wenigen Stunden bei. Er hatte den Einfall, auf diese Art an einen seiner Herren Amtsbrüder, der über ihn den größten Stock gebrochen hatte, zu schreiben, und da es dem guten [44] Manne unmöglich fiel, diese Schrift aufzulösen, kam mein Vater in einen so großen Ruf wegen der Grundsprache, daß dieser böse Herr Amtsbruder mit dem großen Stocke meinen Vater für einen getauften Rabbiner gehalten haben würde, wenn meinem Vater damit gedient gewesen wäre. Ob nun gleich dieser Conversus meinen Vater wie einen Brand aus dem Feuer zog, und meine Mutter die Aufmerksamkeit bemerken konnte, die mein Vater für diesen seinen Retter faßte, war sie doch anfänglich sehr wenig mit diesem Hieronymo a sancta fide zufrieden. Sie probirte seinen Glauben täglich mit Schweinefleisch, und da mein Vater ihr diese Mode verwies, andere Gerichte anordnete und den ehrlichen Sprachmeister von dieser Tortur und christlichen Daumenstöcken befreiete, war sie der Gesinnung jenes Königs von Spanien, welcher gesagt hat: drei Wasser verdürben; das süße Wasser im salzigen Meer, das Wasser im Weine, das Taufwasser auf dem jüdischen Kopfe. – »Das Wasser im Weine,« sagte mein Vater, »mit Erlaubniß Sr. katholischen Majestät: der Wein im Wasser.« – Meine Mutter gab nicht sogleich die Allianz mit dem Könige von Spanien auf; indessen wurde am Ende alles beigelegt, und die liebe Frau ging einen für ihren Gast sehr vortheilhaften Frieden ein. Sie fand sogar ein rührendes Vorbild in dieser Einigkeit von der Bekehrung der Juden vor dem jüngsten Tage, welche der Conversus steif und fest nach seiner Versicherung glaubte, und worüber mancherlei und manches geredet wurde. Meine Mutter war sehr für schriftliche Aufsätze, mein Vater, wie alle Leute seiner Art, fürs Mündliche. Die gute Frau war entschlossen, dem Converso eine schriftlich abgefaßte Instruction mitzugeben, da er fröhlich seine Straße zog; indessen blieb es doch bei einer mündlichen.
»Wanken Sie weder zur Rechten noch zur Linken. Wer beharrt bis ans Ende, der wird selig. Die Beständigkeit sey um Sie wie ein Kleid, das Sie anhaben, und wie ein Gürtel, womit [45] Sie sich gürten. Wie ein frisches Hemde am schwülen Tage sey Ihnen der Trost des christlichen Gewissens. Vater und Mutter haben Sie verlassen, aber der Herr hat Sie angenommen. – Sie werden nicht bloß ein Grasbürger, ein Einwohner der Vorstädte in der Stadt Gottes seyn, sondern mit Ehren und Schmuck werden Sie in die Hauptstadt eingehen: Ihr Kern und Stern bleibe das Lied:
Keinen hat Gott verlassen,«
setzte sie hinzu, »Sie sind ihm diese Dankbarkeit schuldig.«
Der Conversus hatte ihr erzählt, daß für ihn dieß Lied der Wecker zur christlichen Religion gewesen, und ohne Zweifel war diese Erzählung der Eckstein zur Aufsage des guten Vernehmens mit Sr. katholischen Majestät. Sie gab ihrem Freunde den Hauptschlüssel zu allen Versen dieses Leibliedes, aus welchen, wie sie sagte, summa summarum Catharina herauskäme. Das Wort Akrostichon mußte ihr mein Vater vorschießen, sie hatte es nicht im Vermögen, und da sie selbst Catharina hieß, so wird man desto leichter einsehen, warum Se. katholische Majestät nunmehr keine Bundesgenossin mehr an meiner Mutter hatte.
Mein Vater wünschte schlechthin eine glückliche Reise und gab seinem Sprachmeister, statt des Schatzkästleins von Stoßsprüchen, einen Zehrpfennig. Eigentlich war's, in Hinsicht des mit ihm getroffenen Contrakts, ein Gottespfennig, denn er bat, nicht zu vergessen, was er mit einer Handlobung versprochen hätte. Unfehlbar hat dieser Contrakt darin bestanden, gewissen Geistlichen in Curland keine Lection zu geben, oder wenigstens die ihm gegebene zu verschweigen.
Das Einträglichste bei dieser Sache war, daß die benachbarte Clerisei ihre Verfolgungen einstellte, und da zuvor das dritte Wort beständig eins aus der Grundsprache war, verstummten, von Stund des jüdischdeutschen Briefes an, die Orakel. Mein Vater hatte andere Ursachen, seinen Herren Amtsbrüdern kein Rappier [46] anzubieten oder sie kämpflich zu grüßen, und wußte sich so vortrefflich, ohne die geringste Unrichtigkeit sich zu Schulden kommen zu lassen, bei Ehren zu erhalten, daß, so oft er irgend einen Confrater zum Zuhörer hatte, er den Grundtext tapfer citirte und oft zwei bis drei Verse aushob. Wenn es gleich auf Treue und Glauben eines Andern, wo nicht Dritten, geschah, und sein Grundzeugniß beständig von Hörensagen war, so hatte er doch seine Leute viel zu gut kennen gelernt, und war bei dieser Proclamation kein Einspruch zu fürchten, so daß er sich zuletzt ganz dreist ein Beholzungsrecht, oder die Befugniß, in des andern Walde Holz zu fällen, zueignete. Die griechische Sprache, wovon die Herren Amtsbrüder nicht vielmehr als die beiden griechischen Freunde wußten, war nicht hinreichend, meinem Vater Ruhe zu schaffen. Sie hielten es mit dem alten Testament bis zur Ankunft des Conversus, und nun war jeder furchtsam, in meines Vaters Gegenwart an die heilige Schrift zu denken, und jeder wunderte sich, warum er mit seiner hebräischen Sprachkenntniß so lange hinter dem Berge geblieben.
Personen:
Mein Vater;
Meine Mutter;
Der Ritter Jachnis;
Conversus putzt Licht;
Der alte Herr;
Minchen, seine Tochter;
Benjamin, sein Sohn.
Ich habe gestern Abend meinen Lesern den Auftrittdes alten Herrn und seines Benjamins versprochen. Den alten Herrn habe ich in meinem Leben nie unter einem andern Namen, als dem des alten Herrn, kennen gelernt. Wer mich also nach seinem Vor- und Zunamen fragt, erhält eine abschlägige Antwort. [47] Seine Lebensgeschichte kann von keinem besondern Belang seyn, indem sein ganzes Wesen allem, was man Belang heißen kann, geradezu entgegen war. Er selbst behauptete von sich, so oft man's ihm so nahe legte, daß es ihm an den Fingern brannte: er sey ein Literatus. Meine Mutter, die sich nicht stark genug dünkte, ihm diese Ehre abwendig zu machen, ließ ihn zwar Literatus seyn, indessen pflegte sie ihn in Rücksicht dieser Würde eine geschwächte, eine zu Fall gekommene Person zu heißen. Es ging die Rede, daß er das Schneiderhandwerk gelernt hätte; wenigstens übte er dieses Handwerk aus, und alle meine Schlafröcke und täglichen Kleider sind durch seine gelehrte Hand gegangen. Was die Feierkleider betraf, konnten sie freilich keinem Literato anvertraut werden; der Umstand indessen, daß er Schneiderarbeit verrichtete, schien nicht hinreichend, das Gerede, daß er ein Schneider wäre, außer allen Zweifel zu setzen, denn er war im Grunde genommen ein Tausendkünstler.
Er hatte sich bei einigen hochwohlgeborenen Herren zum Hofnarren, zum Kammerherrn, zum Forst-und Jägermeister brauchen lassen, und nachdem er am Ende einsah, daß es besser sey, ein Schneider als ein Hofnarr zu seyn, zog er sich in bester Ordnung zurück, nahm seine letzten Kräfte der Hofkunst zusammen und war so glücklich, seine Herren Principale dahin zu überschwatzen, daß ihm zeitlebens einstandesmäßiger, das heißt ein höchst nothdürftiger Unterhalt angewiesen wurde. Die Alten starben und die Jüngeren ließen ihn im Besitz, ohne den Canon von Witz einzufordern, den sich ihre Antecessoren jährlich hatten bezahlen lassen. Es legte sich der alte Herr auf den Unterricht der Kinder, stand mit den Pastoren der Gegend in gutem Vernehmen, und verrichtete, sogar einige heilige Handlungen, wobei die Herren Geistlichen substituiren können, zuweilen rührte er das Positiv, welches in einer unserer benachbarten Kirchen stand. Dieses aber [48] mußte wenigstens vierzehn Tage zuvor bestellt werden, und dann war es doch nur ein Gastpräludium.
Er behauptete, daß man sich auf ein Präludium eben so sehr, als auf eine Predigt vorbereiten müsse, und wie der Klang der Worte – wenn er mit der auszudrückenden Sache wie ungefähr der erste und zweite Diskant harmonire – die Originalsubstanz der Sprache bewiese, so verriethe es einen großen Musikus, wenn man das Evangelium so zu sagen ins Präludium setzen und es so deutlich in Noten ausdrücken könnte, daß wer das Präludium hört, auch zugleich das Evangelium wissen müßte.
Hierüber wurden dem alten Herrn von meiner Mutter verschiedene Einwendungen gemacht; allein er behauptete, er hätte nur neulich das Vater Abraham erbarme dich mein so natürlich auszudrücken gewußt, daß der ganzen Gemeinde darüber Furcht und Schrecken angekommen wäre; und da ihm meine Mutter das Evangelium von der Beschneidung, von den viertausend Mann und vom steinichten Acker entgegen setzte, und ihn befragte, wie er Weizen und Kornland, fünf Gerstenbrode und ein wenig Fischlein in der Musik ausdrücken könnte, wollte er zwar im Anfange behaupten, daß alles dieß in die Musik zu übersetzen wäre, nachher aber schämte er sich über sich selbst. Sie warf ihm sehr oft den steinichten Acker, die viertausend Mann, die fünf Gerstenbrode und ein wenig Fischlein vor, obgleich sie an die Beschneidung, ich weiß nicht warum, weiter nicht dachte. Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, zu bemerken, daß meine Mutter sich vor der satyrischen Ader des alten Herrn gar nicht fürchtete, so furchtbar ihn auch in der ganzen Gegend seine Einfälle gemacht hatten.
»Eine Schneidernadel,« pflegte sie zu sagen, wenn er einen Einfall wider sie hatte, und wenn sie ihn recht ärgern wollte, nannte sie ihn Tonkünstler, welchen Ausdruck er weniger als [49] alles leiden konnte, indem er sich hierdurch zu einem Töpfer erniedrigt zu seyn dünkte, und sich hierbei um so mehr getroffen fand, als er dieses Handwerk in den langen Abenden, wie er versicherte, bloß seine Augen zu schonen, die freilich durch Noten und Fäden gelitten haben können, trieb. Er verstand auch etwas vom Schuhmachen, allein nicht das mindeste von der Poesie. Meine Mutter pflegte daher von ihm zu sagen: er hätte den kalten Brand. Es war ihm zur Gewohnheit geworden, wenn er etwas suchte, auf den Tisch zu klopfen, welche Mode die Schneider haben, wenn sie die Scheere suchen; auch wackelte er beständig mit dem Fuße, welches den Töpfern eigen seyn soll. Vom Schuster hatte er das weite Ausholen mit den Händen, vom Spielmann aber einen taktmäßigen Schritt. Da er für die poetische Gelehrsamkeit meiner Mutter Respekt hatte, unterstand er sich nicht, aus seinem alten Kramladen ihr zum Nachtheil eine witzige Antwort herauszusuchen. Er saß vielmehr, wenn sie ihn böse gemacht, ganz still, und wie meine Mutter sagte, so gerade, als wenn er sich barbiren ließ. Obgleich er als Organist, welches in Curland ein seltener Vogel ist, oder als Schullehrer ankommen können, so hatte er jedennoch alles verbeten, indem er glaubte, daß er sich hierbei aus den Augen setzen und zugleich allen Universitäten einen Brandmark geben würde.
Die Kinder, so er erzog, nahm er nicht anders als bittweise an. Zwar that er sehr unzufrieden, wenn er seine Zahl nicht vollständig und seinen Lehrsaal nicht ganz besetzt hatte, inzwischen schien er nicht darum böse, weil ihm keine Kinder in die Schule gebracht wurden, sondern weil er nicht gebeten war, sein täglich Brod zu verdienen.
Er brachte freilich seinen ihm vertrauten Kindern nicht viel bei; da er indessen mit für körperliche Uebungen war, konnte ihn [50] mein Vater leiden, obgleich er mich seinem Unterrichte so wenig, als meine Feierkleider seiner Nadel anvertraute.
Da der alte Herr übrigens podagraische Zufälle hatte, welche nach meiner Mutter Meinung nur ein Edelmann und Literatus haben könnte; da ferner der ehrliche Nicolaus Herrmann vom Zipperlein geplaget gewesen, welches aus dem letzten Verse des Liedes: »Wenn mein Stündlein vorhanden ist,« erhellet.
Wer ist, der uns das Liedlein sang?
Ist alt und wohl betaget;
Dießmal kommt er nicht aus der Statt,
Das Zipperlein ihn plaget.
Oft seufzt er und hat Gott im Sinn;
Herr, hol' den kranken Herrmann hin,
Wo jetzt Elias lebet.
Da auch noch ferner der alte kranke Herrmann viele gute Chorale gemacht und ein bewährter Tonkünstler und Cantor gewesen, so beehrte meine Mutter zuweilen den alten Herrn mit dem Namen Nicolaus Herrmann, obgleich ihm die Haupteigenschaft des Nicolaus Herrmann fehlte und der alte Herr den kalten Brand hatte. Oft sang sie ihm:
Wer ist, der uns das Liedlein sang –
vor, und so wie sie es dem wirklichen Nicolaus Herrmann übel nahm, daß ihm nicht für
»Dießmal kommt er nicht aus der Statt«
die Schulbank eingefallen und er gesungen:
Dießmal kommt er nicht von der Bank,
als wodurch ohnehin der Reim »sang« sein bescheiden Theil erhalten hätte, so empfahl sie dem alten Herrn auch anstatt der letzten Reihe
»Herr, hol' den alten Herrmann hin,
Dort wo es ewig taget.«
[51] Die Verbesserungsfreiheit nahm sie sich indessen sehr selten heraus, denn sie war keine Liebhaberin von Liederänderungen, und mochte nicht, wie sie sagte, den Saft und Kraft des Alten wässern undentkräften.
Die Zuschrift, so der ehrliche Herrmann seinen Liedern vorgesetzt, parodirte meine Mutter auf den alten Herrn. Ich muß sie hersetzen. Sie verdient's. Die Herrmannsche Dedication ist nur in zwei Reihen geändert:
»Ihr allerliebste Kinderlein,
Seht, das Choralbüchlein
Soll eu'r und keines andern seyn.
Es ist fein albern und fein schlecht,
Drum ist es für euch Kinder recht;
Alt' und g'lehrt' Leut' bedürfen's nicht,
Und die zuvor sind wohl bericht't.
Gott will durch der Säuglinge Mund
Gepreiset werden alle Stund';
Drum o ihr Christenkinderlein!
Durch euch will Gott gelobet seyn:
So g'wöhnt euch nun mit allem Fleiß,
Daß ihr Gott singt Lob, Ehr' und Preis,
Und hebt bald in der Jugend an;
Was ich euch dazu dienen kann,
Das will ich thun bis an mein Grab,
Und weil ich geh'n kann an ein'm Stab;
Ob ich gleich wenig bring' davon,
Und Kinderarbeit gibt Kinderlohn,
So wird's doch alles machen gleich
Der liebe Gott im Himmelreich,
Dem sagt allzeit Lob, Ehr' und Preis
Niclas Herrmann, der alte Greis.«
[52] Der alte Herr war indessen nicht der Herr C.F., wie er in den lettischen Gesangbüchern bezeichnet ist, welches Christoph Fürecker heißt, denn dieser der Gottesgelahrtheit Beflissener war ein unbezweifelter Literatus und Poet, der aus Liebe zu den lettischen Declinationen und Conjugationen, wie ich unlängst gelesen, ein Märtyrer ward, und eine wiewohl bemittelte undfreie lettische Bauerwittwe (hübsch wird sie ohne Zweifel auch gewesen seyn) heirathete, um recht unter das Lettische zu kommen. Ihm hat die lettische Grammatik den Eckstein, die Kirche aber sehr schöne Gesänge zu danken. Ehre, dem Ehre gebühret! sagte der alte Herr; und so wenig ich es zugeben würde, daß dem alten Herrn was abginge, eben so wenig will ich auch meine Leser bei einem Irrthum lassen, der sich sehr leicht bei ihnen hätte zur Miethe anbieten können.
Ehe ich vom alten Herrn zum jungen übergehe, noch ein Wort an den herzlich geliebten Leser, den wider mein Verschulden der Gedanke befallen, daß die Charaktere in dieser Geschichte so ziemlich übereinstimmend wären:
Da mein Vater sein Vaterland und der alte Herr seinen Namen verschwiegen;
Da meine Mutter sich eben sowohl über den Ritter Jachnis, als den Cantor und respective Schneider, Töpfer und Schuster, Nicolaus Herrmann genannt, aufhielt; da – – –
Allein hierauf dienet dem geneigten Leser zur dienstlichen Antwort, daß ich die Sache erzähle, wie sie war, und nicht, wie man sie wünschen könnte. Wenn ich einen Roman schriebe, wäre es was anders. – Haben nicht sogar Völkerschaften gewisse ähnliche Züge? und jede Stadt und jedes Dorf durch die ganze Welt halten unter einander wieder ihr Abzeichen. Würde es mir zuzuschreiben seyn, wenn die Unergründlichkeit wirklich der Hauptcharakter unseres Kirchspiels gewesen wäre? und wäre dieses nicht um so [53] begreiflicher, da mein Vater hierzu den Ton angeben können? wo hab' ichs indessen je gesagt, daß der alte Herr seines Namens wegen in Anfechtung gewesen? oder daß er ihn verschwiegen? Ist dennalter Herr zu heißen nicht eben so gut, als Caspar und Melchior? und ist's einerlei, lettische Verse machen, welches in Curland was allgemeines ist, und ein Positiv schlagen, welches selten vorkommt? – Wenn ich ganz aufrichtig seyn soll, hast du dich gewaltig geirrt, lieber Leser, denn du kennest den alten Herrmann nicht weiter, als wo er von meiner Mutter überflügelt war. Dieser Uebergriff entscheidet nichts – und was ist's am Ende für Kunst, Physiognomien zu beurtheilen, wo der eine eine Habichts- und der andere eine Mopsnase hat, – wo der eine ein Verschwender und der andere ein Harpagon ist. Sieh aber leibliche Brüder, sieh Natur- und Staatsbrüder – find'st du noch Bedenklichkeiten; bist du ein Recensent, und da verlohnt's nicht, zu streiten, daß du nur nicht hingegeben im verkehrten Sinn, zu schreiben, was nicht taugt, mir, um dein vorgeschriebenes Recensionsmaß voll zu machen, ein gegebenes Aergerniß andichtest. – Ich verfluche jedes Wort, das der Religion und ihrer Mutter, der Tugend, nachtheilig seyn könnte; allein ich glaube, die Religion in der Kirche verschließen und sie nicht ins gemeine Leben bringen, heißt alle Wärme, alle Empfindung des Herzens aus der Welt verbannen, und Tugend an einen Ort verlegen, wo denen, die nicht Geistliche sind, weiter keine Handlung übrig bleibt, als öffentlich in den Seckel zu legen, und kein anderes Verdienst, als still zu sitzen. Ich wette, die mich auf diese Art zeihen, vergessen, daß wir nur aus der Kirche eine glühende Kohle vom Altare heimholen sollen, um im gemeinen Leben Gott Opfer der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit zu bringen, die allein ein süßer Geruch vor dem Herrn sind und werth geachtet in seinen Augen. Auch seine Heiligen sind nicht rein vor ihm, und warum soll ich [54] also meine Mutter anders darstellen, als? – Ich bin zu bewegt, als daß ich heute mehr könnte als die Sonne untergehen, und wenn ich ins Bett' mich lege, nach meiner Mutter Weise ein Licht ausbrennen – sehen.
Geschrieben an einem schönen
Abend den – 17 –
Benjamin gefiel mir unter allen Jungen unseres Kirchspiels am besten, und da ich vollkommen entschlossen war, aus ihm den Darius (den kleinen oder letzten) zu machen, so muß ich gestehen, daß ich viel Mühe befürchtete, durchzukommen. Zum Glück fiel mir die Thronerhöhung eines seiner Vorfahren ein. Wie kann Benjamin Darius werden? sagte das Heer. Hier sind acht Jungen, die gerade Beine haben, und außerdem, daß dem Herrn Benjamin (so nannten sie ihn schon, weil er Candidat des Throns war) das Bein nicht an der rechten Stelle sitzt, hat er den Fehler, daß er link ist. Nehmt sieben, sagt' ich, nach Anzahl der sieben Fürsten, welche den König Smerdis mit seinem Anhange ausrotteten, und der, dessen Pferd, wenn ihr beim Spital angeritten kommt, am ersten beim Aufgange der Sonne wiehern wird, sey Darius. Gut, sagten die sieben Candidaten zur königlichen Würde; allein sie wußten nicht, daß der königliche Candidat es so einrichten ließ, wie es Darius, des Hystaspis Sohn, oder vielmehr dessen Stallmeister einrichtete, und wie man es noch bis auf den heutigen Tag bei allen Wahlen, man wähle einen König, einen Landesdeputirten, einen Priester, einen Küster einrichtet. Es wird überall gewiehert. Kurz Benjamins Pferd wieherte zuerst, und die Krone war sein, damit ich sie ihm durchs Recht der Waffen, welches das besonderste Recht von allen ist, nehmen könnte. Er nahm die Glückwünsche an, und da ich bei dergleichen Dingen erschrecklich gelehrt war, brachte ich noch so viel Umstände aus der Geschichte bei, daß ich nunmehr, wiewohl zu spät, aus der Bewunderung[55] des Volks einsah, wie ich um eines Darius wegen eben kein Pferd hätte wiehern lassen, sondern bloß meine Zunge tapfer brauchen dürfen. Einen Alexander durften wir nicht suchen, denn die heilige Taufe hatte mir dazu ein Recht gegeben. – (Das Glück ist nicht viel auseinander, einen Freund oder einen Feind zu haben, der uns Ehre macht, und wenn ich also den Benjamin zu meinem Feinde anzunehmen kein Bedenken trage, was wollten denn die Jungen?) – Fast schäme ich mich, da ich meinen Lesern so spät eröffne, daß ich Alexander heiße. Um indessen diese Verspätung gut zu machen, will ich dabei bemerken, daß meine Mutter mit diesem Namen den Alexander Einhorn, zweiten Superintendenten in Curland, mein Vater aber den wirklichen Alexander, oder den Alexander Magnus, den Alexander, gegen den alle andere Alexander es nicht sind, zu verstehen schienen. Meine Mutter hielt sogar das Wort Einhorn für eine freie Uebersetzung des Namens Alexander, und rief mich daher sehr oft Einhörnchen, obgleich mein Vater nicht sonderlich damit zufrieden war. Sie hätte um alles in der Welt willen nicht Olympias seyn wollen. Es war ihr sehr unangenehm, daß wir heidnische Historien aufführten, daher sie, sobald sie Kriegsgeschrei im Dorfe hörte, uns die Historie vomJoseph in Vorschlag brachte, wozu sie unter andern den Grund hernahm, weil ich einen bunten Rock hatte. Indessen bestärkte mein Vater meinen Entschluß, Alexander zu werden, und war dabei so zufrieden, daß ich den guten Mann als Feldpropst hätte mitnehmen können, wenn Alexander einenFeldpropst gehabt hätte.
Zum Aristander war mein Vater nicht als ein christlicher Geistlicher zu brauchen, eine so wichtige geistliche Rolle auch Aristander zu seiner Zeit in der Geschichte Alexanders spielte. Gelegenheiten machen Diebe, Gelegenheiten machen Helden, und es ist nicht zu läugnen, daß auch Alexander Gelegenheit gefunden. [56] Aristander indessen, das wett' ich, hat eben so viel gethan als Alexander, obgleich der erste eigentlich nur ein Gelegenheitsmacher war. Von der Auslegung des Traums des Philippus an, welchem vorkam, daß er den Leib seiner königlichen Gemahlin Olympias mit einem Wappen, worauf ein Löwe gegraben war, versiegelt, als welchen Traum Aristander auf einen Sohn, der ein Löwe seyn würde, auspunktirte, bahnte er durch alle seine Auslegungen unerhörte Wege. Es ging wie beim Religionskriege zu Aristander gab dem Alexander, seinem Generalfeldmarschall Bucephalus und der ganzen Armee den Sporn. Die Auslegung, als man ihm meldete, daß eine Bildsäule des Orpheus geschwitzt hätte, gefiel seinem christlichen Herrn Collegen, meinem Vater sehr übel. Es sollte dieses nach des Aristanders Deutung anzeigen, wie die Poeten bei der Alexandriade schwitzen würden. »Daß dich,« – sagt mein Vater, »Aristander hat bei dieser Auslegung selbst geschwitzt.« Ich kann es jetzt zwar meinen Lesern nicht ohne Lachen erzählen, durch den Umstand sehr aufgefordert zu seyn:
Daß in der Nacht, da ich geboren, ein Backhaus durch einen Brand zerstört worden.
Indessen brauchte mein Vater diesen Vorfall sehr zu meinem Vortheil. Es war das Gerüste, auf das ich stieg, um gut dazu zu kommen, die Leiter, mich, so jung und klein ich war, doch künstlich groß zu machen. Der Vorfall diente ihm meine Lebenskarte zu illuminiren, und es half mir diese Fiction bei Sprachen und bei Schlachten. Wenn gleich ich mir nicht einbilden konnte, daß die Diana nicht Zeit gehabt, das Backhaus in Protection zu nehmen, da sie bei meiner Mutter Hebammendienste verrichtete, schien's mir doch was Denkwürdiges. Das Feuer vom Backofen war mir eine Leuchte auf manchem sauern Vocabelnwege, und nimmermehr würd' ich dieses alles so herzlich erzählt haben, wenn nicht bei tausend [57] Merkwürdigkeiten, die in der Welt geschehen, ein abgebranntes Backhaus der Entstehungsgrund wäre. Eine Art Bucephalusgeschichte veranstaltete mein Vater, da er einem Pferde diesen Namen verehrte, das wie alle andere Pferde war, das seines Schattens wegen nicht in Unordnung kam, und das eben nicht werth war, im besondern Verstande von der Sonne beschienen zu werden. Meinem Tempel der Diana indessen war der Gaul sehr angemessen. Ich sah verschiedenes, was man beim Bucephalus sah, allein ich konnte es nicht ändern, daß ich nicht auch verschiedentlich etwas anders sah. Mein lieber Vater sah alles mit.
Was der Herr von Voltaire in seiner Geschichte »Alexander Magnus« vom Bucephalus unter andern im sechsten Buch und fünften Kapitel sagt, daß nämlich Alexander denselben non eodem quo caeteras pecudes animo aestimabat, das traf bei mir auf das genaueste ein; wenn ich ihn abrichten wollte, daß, wenn ich aufstieg, er die Knie beugen und empfinden sollte, wer ihn zu besteigen ihm die Ehre erwiese, war er doch zum Kniebeugen nicht gelehrig, und wenn ich die aufrichtige Wahrheit sagen soll, viel zu steif; wie ich denn auch blind seyn müssen, falls ich behaupten sollen, daß ers empfunden, wenn ich oben war, wen er trüge, wie Herr von Voltaire in dem angezogenen Roman vom Bucephalus des Alexanders berichtet, et regem, quum vellet ascendere, sponte sua genua submittens excipiebat, credebaturque sentire, quem veheret.
Ueberhaupt war es ein sehr alltägliches Pastoratspferd, und darf ich's also nicht bemerken, daß mit der Reiterei bei meinen Feldzügen es nur sehr schlecht bestellt gewesen. Dies ist ein unverlöschlicher Beweis, daß ich zu keinem Roman, wo beständig ein merkwürdiges Pferd nöthig ist, wohl aber zur Geschichte, wo man mehr zu Fuße ist, (wie's am Tage und an mir erfüllt wird) Stoff abgeben könne. FürTalente war mein Bucephalus nicht [58] gekauft; mein Vater konnte auch nicht sagen, da ich ihn zum ersten male unter meine Füße gebracht, daß sein Pastoratzu klein für mich wäre; indessen hatte ich das Unglück, dieses Pferd, wiewohl Alters wegen, während dem Kriege zu verlieren. Es starb nicht den rühmlichen, den schönen Tod fürs Vaterland; indessen heißt der Ort, wo es mit andern seines gleichen, welche aber nicht den großen Namen Bucephalus geführt, begraben ist, Bucephalia bis auf den heutigen Tag. Das ist alles, was ich mich unterstehe, in einer wahren Geschichte von einem Pferde zu erzählen.
Der gordianische Knoten war für mich ein wahrer Knoten, denn außerdem, daß ich zuweilen meiner Mutter, wegen meiner kleinen Hände, beim Stricken, wenn etwas verknüpft war, kindliche Dienste geleistet, war mir kein gordianischer Knoten vorgekommen, obgleich ich mich schon in dieser Erwartung im Knotenlösen so geübt hatte, daß mir so leicht nichts zu sehr verknüpft war. Ich hatte den Stolz, den Knoten nicht symbolisch, nicht witzig, sondern künstlich lösen zu wollen. Da ich indessen eine geraume Zeit vergebens auf einen gordianischen Knoten gewartet hatte, führte mich die Knotensucht auf das Geistige. Ich legte diesen Umstand in der Geschichte des Alexander so aus, wie man vieles auszulegen gewohnt ist. Ich deutete es auf schwere Stellen in den Autoren, die man durchaus witzig lösen muß. Mein Kopf war hiebei so fertig, als meine Hand beim Strickzeug; und wie Alexander, nach dem Berichte des oberwähnten Romanenstellers, sagt: nihil interest quomodo solvatur: so konnte man auch, was loco citato hinzugefügt wird, von meinen meisten kritischen Erzählungen sagen: oraculi sortem vel elusit vel implevit.
Es würde ferner eine Unwahrheit seyn, wenn ich meinen Lesern erzählen sollte, daß ich meinen Vater beneidet und mit Thränen bedauert, daß er mir keine Sünder zu bekehren übrig ließe.
[59] Mein Vater legt' es auch nicht an, einen Alexanderden Großen aus mir zu ziehen, ich sollte nur Alexander werden.
Unter dem Orden Groß, sagte er, liegt etwas Seelenverderbendes, es trage diesen Orden ein Monarch unterm oder überm Kleide, oder ein Privatmann am Knopfloche. Hüte dich vor dem, den Gott gezeichnet hat.
Regenten, die sich so peinlich, wie Alexander der Große, bemühen, Groß zu heißen, leben nicht der lieben Unsterblichkeit wegen. Sie tragen Fesseln, die ihnen die Dichter und Redner anlegen. Wenn es gleich das Ansehen hat, als ob die Dichtkunst und Geschichtskunde auch den Huldigungseid abgeleistet hätte, wissen sie doch, daß einer von diesen Zünften sie bei einer Lampe in einer Stunde um eines ganzen Lebens Ruhm bringen könne. Sie zittern vor einem jeden, der Reime kommandiren, oder: es war einmal ein Mann etc. schreiben kann.
Wie Alexander des Homers Schriften verehret, weiß jeder, welcher weiß, daß Homer und Alexander in der Welt gewesen. Homers Schriften waren sein Gesangbuch, das er auf Reisen mitnahm, und da er ein güldenes Kästchen erbeutet, antwortete er denen, die ihn fragten: »wozu?« den Homer hinein zu legen. Das waren mehr als silberne Clausuren.
Den Nachkommen des Pindars ließ er Salvegarden anschlagen, und beehrte auf diese Art das Haus dieses Dichters, und damit der Maler Apelles selbst das Aeußere eines Alexanders nicht verunstalten möchte, schenkte Alexander, wie man erzählet, ihm eine seiner vorzüglichsten Inclinationen. Des Malers wegen that er's nicht. Der gute Apelles sollte diese Schönheit nackt in forma probante vidimiren, und konnte nicht der Liebe widerstehen. Alexander merkte diese Neigung und befriedigte sie.
Die Gewalt, die sich die Großen des Nachruhms wegen anthun, die sie zu Knechten ihres ganzen Lebens macht, [60] ist von der Hofmanier ungefähr wie ein Tänzer vom Fechter unterschieden. Alles ist solch eines Großen wegen da, bis auf den lieben Gott, den er aber auch nur der Curialien halber in Ehren hält. Thut er was Gutes, plaudert es nicht nur seine Rechte der Linken aus, sondern es wird ausgetrommelt, als wenn man in einer Glücksbude oder Lotterie was gewonnen hat. Bei ihrem Gutsthun sieht's so wie beim stolzen Geiz aus, der aus Noth gedrungen ist ein Mahl auszurichten. Es soll was seyn! sagen die Leute. Ein großer Privatmann ist noch unerträglicher. Riegelt die Thüren eurer Herzen zu, wenn er sich melden läßt, und laßt ihn höchstens ein Visitenblatt einreichen. Ich wollte mit ihm nicht unter einem Dache wohnen, wenn gleich er mir den rechten Flügel seines Schlosses aufräumen würde. Lieber will ich beim Lot auf dem Boden schlafen. Jonathan Wild ist noch der leidlichste unter Großen dieser Art.
Warum war ich denn Alexander?Respondetur eben darum, weil Eugen unterm Spiegel hing, und weil man bei meinem Vater zu Hause eher als in Curland Spargel ißt, in der freien Luft eine Pfeife raucht, Wein braut und lange Manschetten trägt. Ich sollte zwar nicht groß werden, allein ich sollte auch nicht klein bleiben. Hier hatte er eine feine Distinktion, die ich mir nicht getraue wiederholen zu können. Sie würde mir untern Händen bleiben.
Mein Vater war – wie ich schon meinen Lesern bei einer andern Gelegenheit reinen Wein aus seinem Geburtsorte, wo man ihn bei der Quelle trinkt, eingeschenkt – sehr für mannhafte tapfere Leute, mithin lag ihm der Soldatenstand nicht aus dem Wege. Alles war bei ihm nach Soldatenart. Er hatte zum Exempel die Gewohnheit, alle Jahre seinen Büchervorrath, den erArmee oder seine Macht nannte, auszustäuben. Dieß hieß, in seiner Sprache, sie mustern und Revue halten. Alle acht Tage [61] (nach russischer Art) zogen zehn Bücher auf die Wache. Es war ein besonderer Ort, wo sie aufgestellt wurden. Seine Absicht war, diese zehn zu durchlaufen. Meine Mutter fand hiebei viel Anstößiges, weil auch geistliche Bücher sich diesen Kriegsdienst gefallen lassen mußten. Vielleicht liegt der Umstand, den ich noch anführen will, nicht sehr aus dem Wege.
Mein Vater mochte gern wilde Thiere zähmen. Er sagte zwar: »wir sind auf die Art Menschen geworden; Gott weiß, was aus ihnen wird.« Indessen warf er hierbei einen Seitenblick auf den monarchischen Staat und den Soldatenstand, wofür er im Grunde des Herzens war.
Das sind die Data, die ich meinen Lesern, in Hinsicht seines Entwurfs zu meiner künftigen Bestimmung, bis hierher mit dem Mantel der Liebe und mit dem Pelz der Verschwiegenheit bedeckt habe.
Warum aber, wenn ich zu mir selbst komme, diese Hüllen? Meine Leser werden, das weiß ich, von meiner Ehrlichkeit keinen bösen Gebrauch machen, da sie nunmehr wissen, was ich weiß.
Für einen Mann aber wie du, lieber Vater! ein unerwarteter Plan, daß ich aus dem Stahl und Stein deines Feuerzeuges keinen einzigen Funken mehr herausschlagen kann.
Zwar weiß ich, daß die Bürger zu viel Zeit brauchen, Zeitungen zu lesen, um selbst zu Zeitungen Gelegenheit zu geben, daß sie zu weichlich sind, um sich das Auge und den Rücken frei zu halten. Indessen, lieber Vater, sieh an die Thiere, von denen wir durch die Kunst verdorbene Menschen leider die Natur absehen müssen, haben sie einen Obersten? einen Hauptmann? einen Lieutenant, einen Fähndrich? und außer dem Zank unter sich und mit andern Thieren ist der Mensch ohnehin ihr Türke, ihr Erbfeind. Ein jedes Thier wehrt sich seiner Haut; und wenn wir uns zusammenarmen, wir! die wir durch Boden und Sonne vereinigt [62] sind, um das nämliche zu thun, würden wir dann nicht vernünftige Thiere seyn? Ein jeder wäre Soldat und Bürger, jeder hätte Leib und Seele. Der Gelehrte würde abgehärteter, der Soldat vernünftiger seyn, und allen wäre geholfen.
Meine Leser werden, das sehe ich im Geiste, die Köpfe schütteln, wenn sie den dritten Theil meiner Geschichte mit dieser Stelle in einem Gliede marschiren sehen werden. Sie können mir indessen nicht verargen, daß ich ihnen den Schlüssel vom fünften Akt verhalte, denn warum sollten sie einem Feuerwerk des Mittags um zwölf Uhr zusehen, das erst um zwölf Uhr in der Nacht abgebrannt werden soll?
Die Kriege wurden griechisch geführt, die Reden respective lateinisch, und wegen des Ekels des Benjamin gegen diese Sprache, lettisch gehalten.Recht wurde nach Leonhart Fronspergers kaiserlichen Kriegsrechten gepfleget. Rechne, lieber Leser! alles dieses zusammen, schwerlich ist Summa Summarum: Soldat, wenigstens bleibt der Zweifel, was für ein miles? (Soldat) togatus oder sagatus, ein Soldat mit dem Haarzopfe oder mit der Alongenperücke. Die Behauptung meines Vaters, daß man aus den römischen Gesetzen, und was ihnen anhängt, lateinisch, und aus den alten deutschen Gesetzen und ihren Verwandten deutsch lernen könnte, stützt den gegebenen Zweifel; allein meines Vaters Bibel wird den Ausschlag geben.
Mein Vater hatte alle Schriftstellen, wo von Soldaten geredet wird, gezeichnet. Im zweiten Buche der Maccabäer, im dreizehnten Kapitel und fünfzehnten Verse, sagt' er, wird die Parole ausgegeben. »Und er lagerte sich bei Modin und gab diese Worte ihnenzur Losung«: »Gott gibt Sieg!« Jetzt, sagt' er, hat sich die Parole, recht als ob sie ihm selbst war gegeben worden, von dieser Art sehr gändert, indessen könnte diese Manier im Kriege mit Nutzen gebraucht werden, um das sinkende Rohr aufzurichten[63] und den flimmenden Docht aufzufrischen. – Von Feldgeschrei wird im Buche der Richter im siebenten Kapitel vom achtzehnten bis zwanzigsten Verse geredet: hier lag ein großes Zeichen: »Wenn ich die Posaune blase, und alle, die mit mir sind, so sollt ihr auch die Posaunen blasen um's ganze Heer, und sprechen: hie Herr und Gideon! Also kam Gideon und hundert Mann mit ihm an den Ort des Heeres, an die ersten Wächter, die da verordnet waren, und weckten sie auf, und bliesen mit den Posaunen und zerschlugen die Krüge in ihren Händen. Also bliesen alle drei Haufen mit Posaunen und zerbrachen die Krüge. Sie hielten aber die Fackeln in ihrer linken Hand, und die Posaunen in ihrer rechten Hand, daß sie bliesen und riefen: hie Schwert des Herrn und Gideon!«
Es fand mein Vater im zweiten Buch der Chronik im dreizehnten Kapitel im vierzehnten Verse ein Bataillon quarré:
»Da sich Juda umwandte, siehe, da war vorn und hinten Streit. Da schrien sie zum Herrn und die Priester trommeteten mit Tromme ten«,
wie er denn auch mit dieser Spruchstelle bewies, daß die Priester ehemals Hautboistendienste verrichtet; diesen Spruch führte er beständig an, wenn er vom geistlichen Priesterthume redete, und legte ihn von dem Muthe aus, den ein Christ dem andern bei den Feldzügen und Scharmützeln dieses Lebens zuzublasen verbunden wäre, um ihn wenigstens zu betäuben. Ueber die Werbung, Handgeld undMusterung hatte er im zweiten Buche der Chronik im fünfundzwanzigsten Kapitel den fünften und sechsten Vers gezeichnet:
»Und Amazia brachte zuhauf Juda, und stellete sie nach der Väter Häusern, nach den Obersten über tausend und über hundert unter ganz Juda und Benjamin, und zählete sie von zwanzig Jahren und drüber, und fand ihrer dreihunderttausend auserlesen, [64] die ins Heer ziehen mochten, und Spieße und Schilde führen konnten. Dazu nahm er aus Israel hunderttausend starke Kriegsleute um hundert Centner Silbers.«
Jethro, sagte er, hat die ersten Patente alsOberster und Kapitän gegeben, und von ihm schreiben sich die Herren Stabs- und andere Officiere her, im zweiten Buche Mosis im achtzehnten Kapitel vom neunzehnten bis zum siebenundzwanzigsten Verse heißt es also:
»Aber gehorche meiner Stimme, ich will dir rathen und Gott wird mit dir seyn. Pflege du des Volks vor Gott, und bringe die Geschäfte vor Gott, und stelle ihnen Rechte und Gesetze, daß du sie lehrest den Weg, darin sie wandeln, und die Werke, die sie thun sollen. Siehe dich aber um unter allem Volke nach redlichen Leuten, die Gott fürchten wahrhaftig, und dem Geiz feind sind, die setze über sie, etlicheüber tausend, über hundert, über fünfzig und über zehn, daß sie das Volk allezeit richten. Wo aber eine große Sache ist, daß sie dieselbe an dich bringen, und sie alle geringe Sachen richten. So wird dir's leichter werden, und sie mit dir tragen. Wirst du das thun, so kannst du ausrichten, was dir Gott gebeut, und alle dieß Volk kann mit Frieden an seinen Ort kommen. Mose gehorchte seines Schwähers Worten und that alles, was er sagte. Und er wählete redliche Leute aus ganz Israel und machte sie zu Häuptern über das Volk, etliche über tausend, über hundert, über fünfzig und über zehn. Daß sie das Volk allezeit richteten, was aber schwere Sachen wären, zu Moses brächten, und die kleinen Sachen sie richteten. Also ließ Mose seinen Schwäher in sein Land ziehen.«
Das Exerciren bewies er aus dem andern Buche der Könige im fünf und zwanzigsten Kapitel im neunzehnten Verse:
»Und einen Kämmerer aus der Stadt, der gesetzet war über die Kriegsmänner, und fünf Männer, die stets vor dem Könige [65] waren, die in der Stadt funden wurden, und Sopher, den Feldhauptmann, der das Volk im Lande kriegen lehrte, und sechzig Mann vom Volk auf dem Lande, die in der Stadt funden wurden – –«
Gern hätte ihm meine Mutter diese Zeichen insgesammt wie Spreu in die Luft zerstreuet; allein sie schien diese Schriftstellen selbst als bewaffnet anzusehen,
und nun sollen sie so lange wie Fahnen in der Kirche hängen. Da liegt sie vor mir, diese vä terliche Bibel, wo Stunde, Tag und Jahr meiner Geburt von meinem Vater eingeschrieben ist. Sey mir gesegnet, göttliches Buch!
Bei meinem Namen steht: eine schwere Geburt! der Name des Herrn sey gelobt! Feierlich bete ich Amen dazu! Theure Bibel, jedes Zeichen in dir, ob's gleich eine Menschensatzung ist, bleibt mir doch unschätzbar. Es enthält für mich einen Zug vom Bilde meines Vaters, der überwunden hat. Laßt mich einen Augenblick, damit ich meine Hände zu den Bergen hebe, von welchen uns Hülfe kommt. Unsere Hülfe kommt im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat! – –
Ich finde Oerter mit einer solchen papiernen Schildwache versehen, wo
vom Schwerte,
von Pfeilen,
Bogen,
Lanzen,
Panier,
Trompeten, geredet wird;
wo ein Fähnlein wehet,
ein Gezelt im Lager stehet,
Gold ausgetheilt wird,
[66] und wo das Wort ausziehen, welches nach seiner Erinnerung marschiren und nicht laufen bedeutet, gebraucht ist.
Ferner liegen Zeichen bei den Worten: Kriege,Kriegsknechte, Streiter, Streitgenossen oder Kriegskameraden;
bei List, Hinterhalt, Schlagen, Fechten, Streiten, Wagenburg, Sturm und Beute;
beim Hauptmann von Capernaum und bei drei Obersten.
Ihr sollt unversehrt bleiben, ihr! nur lieben Zeichen, und so oft ich dich, theure Epistel am einundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis, die erschrecklich begriffen ist, im Haupt-Exemplare sehe, und sonst lese und höre, seh' ich und les' und hör' ich meinen Vater.
Hierauf wollen meine christlichen Leser mit theilnehmender Herzensandacht verlesen hören: die Epistel am einundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis, wie sie beschrieben stehet in der Epistel an die Epheser im sechsten Kapitel und zehnten Verse, und wie sie in unserer deutschen Uebersetzung lautet:
»Zuletzt, meine Brüder, seyd stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnet gegen die listigen Anläufe des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsterniß dieser Welt herrschen mit den bösen Geistern unter dem Himmel. Um deßwillen so ergreifet den Harnisch Gottes, auf daß ihr, wenn das böse Stündlein kommt, Widerstand thun und alles wohl ausrichten und das Feld behalten möget. So stehet nun, umgürtet eure Lenden mit Wahrheit, und angezogen mit dem Krebs der Gerechtigkeit, und an Beinen gestiefelt, als fertig zu treiben das Evangelium des Friedens, damit ihr bereitet seyd. Vor allen Dingen aber ergreifet den Schild des Glaubens, mit welchem [67] ihr auslöschen könnet alle feurige Pfeile des Bösewichts, und nehmet den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.«
Wenn ich mir die Seelenfreude vorstelle, mit welcher mein Vater über diese Epistel predigte, empfind' ich ein groß Stück dieser Seelenfreude. Meine Mutter sagte zwar: »Heute geht er gestiefelt und gespornt, wie ein geistlicher Ritter, auf die Kanzel.« Laß ihn, liebe Mutter! den hochwürdigen und gestrengen Herrn. Es ist ein Mann, mein Vater! Wenn es gleich aus der heiligen Schrift ziemlich deutlich hervorgeht, daß er für den Soldatenstand sey, bin ich denn darum schon in Reih' und Gliedern? – Warte, wenn ich bitten darf, den dritten Theil meiner Geschichte ab – und am Ende, liebe Mutter! heißt es: Gebet dem Kaiser was des Kaisers, und Gott was Gottes ist! Sind wir nicht geistliche Soldaten, die sich zum Himmel durchschlagen müssen? Die klugen Israeliten mußten mit dem Könige vorn Willen nehmen, da die Pluralität einen begehrte. Gott gab allen einen König. Sapienti sat.
Clitus, damit es meine Leser nur ja wissen, ist auch nicht in unserm Kirchdorfe erstochen, vielmehr ist er noch jetzt am Leben und sitzt auf dem väterlichen Acker. Er hat mir nicht das Leben gerettet, auch ist seine Schwester nicht meine Amme gewesen. Dieß Trauerspiel ward also als ein Lustspiel vorgestellt, wie man es mit den meisten Trauerspielen machen kann. I nunc ad Philippum et Parmenionem et Attalum, wurde nüchtern gesagt, und blieben daher die Bußtage aus, vielmehr wurde ein allgemeines Gelächter, weil Clitus so frisch und gesund seiner Wege ging, wie unsere Schauspieler, wenn sie erstochen, er schossen und mit Gift vergeben sind. Seneca, das fällt mir eben ein, hätte sich die Todesart wählen sollen, im Trauerspiele am fünften Akt zu sterben. Es wäre seinem Leben und seinen Schriften angemessener [68] gewesen, und leichter muß es auch seyn, als wenn man sich alle Adern öffnen läßt.
Die schönen Redeübungen, doch nur von Alexanders Seite, womit der beredte Curtius seine Leute ausstaffirt, konnte ich auf ein Haar. Benjamin hielt alles, was er hielt, aus oben angezeigten wichtigen Gründen in curischer Sprache; ich habe dem Q. Curtius Rufus eben den christlichen Namen Voltaire beigelegt, um diesem letzten mit Ehren grau gewordenen Dichter und Geschichtschreiber, Comödien- und Tragödiensteller, den ich von Person kenne, vorzüglich wegen seiner Geschichte bei dieser Gelegenheit ein Compliment zu machen.
Dieser große Mann trägt's auch am Knopfloche, und wenn er als Geschichtschreiber auftischen läßt, fehlt's an gesundem, unverfäschtem Weine. Gebackenes die Menge. Da heut eben sein Geburtstag ist, hoffe ich von ihm, wegen dieses kleinen Andenkens, Toleranz, und von meinen Lesern Verzeihung!
Es ist schon gesagt, daß die Nüchternheit bei unserm Alexanderspiel beobachtet wurde; indessen tranken wir Wasser aus dem Hute, wenn's in der Rolle vorkam, daß getrunken werden sollte; und der Hut stellte des Herkules Becher sehr gut vor. Ich konnte also nicht durch das Gift des Weins ums Leben kommen, sondern lebte den Curtius einigemale durch und durch.
Ich zog mit wenigen Jungen oder Pfefferkörnern dem Benjamin Darius und seinem Mohnsamen auf den Hals.
Wir lieferten alle Schlachten, die Alexander geliefert hat.
Bei Issus in Cilicien, welches über Feld lag, verlor Benjamin Darius eine Menge Volks, und ich bekam seine Frau Mutter Majestät, seine Frau Gemahlin Majestät und seine Kinder königliche Hoheiten zu Kriegsgefangenen. Die königliche Frau Mutter stellte, auf Befehl meines Vaters, unsere alte Köchin vor, und meine Mutter sagte: »kann sie nicht lieber die Potiphar machen?« [69] Benjamins Schwester war die älteste Prinzessin Tochter, und des Ritter Jachnis Frau und Tochter stellten die königliche Frau Gemahlin und Tochter vor. Wegen des Prinzen waren wir nicht verlegen, denn hierzu hatten wir viele Jungen im Dorfe. Mit der Schlacht bei Arbela hatte die persische Monarchie ein Ende.
Der Tod des Darius ward nicht vorgestellt, weil Benjamin über den Tod nicht spaßen wollte, und aus Todesangst sehr leicht untern Händen bleiben können. Es fehlte uns auch eine Kleinigkeit, die goldnen Ketten. Wenn alle Schlachten zu Ende waren, fingen wir sie von Anfang an, obgleich, wenn wir an die Gefangennehmung der königlichen Familie kamen, wegen der königlichen Frau Mutter der Verdruß unvermeidlich war. Meine Mutter beklagte sich über die Köchin, daß sie wenigstens drei Tage bei dieser königlichen Gelegenheit den Gehorsam aufsagte und vorzüglich alles versalze. Desto besser, sagte ich, sie macht ihrer Stelle Ehre. Die Frau Potiphar würde sie besser machen, antwortete sie, und ich brachte ihr das Salzfaß, ging mit ihr in die Speisekammer, aß unterm Eier-Monument ein Stück Schinken, und die Köchin blieb die königliche Frau Mutter.
Die Jungen im Dorfe nannten diese feierlichen Tage Talken, allein ich brachte diesen unheiligen Namen ab und pflanzte so viel Griechisch im ganzen Dorfe, daß derjenige, welcher der lettischen Sprache die Ehre that, sie aus meiner Welt zu beurtheilen, die griechische Sprache für Mutter, Schwester, Tochter oder was weiß ich für was für eine nahe Blutsverwandtin von der lettischen halten mußte.
Die königlichen Gefangenen waren bei mir so gut als beim Alexander aufbewahrt. Ich war eben so wie Er justus hostis und misericors victor. Die königliche Frau Gemahlin würde auch schwerlich jemanden, wenn gleich er sie nicht so gut als [70] Alexander und ich besessen, in Versuchung geführt haben, da sie bei den Blattern um ein königliches Auge gekommen war.
Nach dieser Anzeige darf ich auch nicht bemerken, daß die dreihundert sechzig Pellices (Kebsweiber) nicht angebracht werden konnten; wie denn auch deßhalb nicht zu behaupten war, Pellices CCC et LV totidem quod Darii fuerant, regiam implebant. Denn Benjamin wußte in diesem Stücke eben so wenig wie ich, was gut oder böse sey. Ich vermied mithin den Vorwurf des Lagers: daß ich mehr verloren als gewonnen hätte, und daß, obgleich ich den Darius überwunden, ich doch von ihm in diesem Stücke wäre überwunden worden (ex Macedoniae Imperatore Darii satrapem factum).
Bei dieser Gelegenheit indessen, und vorzüglich weil Darius seine Gemahlin so sehr, wie Hans seine Grete geliebt, sah ich seine und des Alexander und des Königs Salomo Kebsweiber für Lexika an, die man, um ein Wort nachzuschlagen, nöthig hat.
Außer den Soldat- und Sprachabsichten hatte mein Vater auch eine moralische, woran ihn sein Priesterkleid auch bei einer heidnischen Geschichte erinnerte. Es ward oft mitten in der Schlacht ein Porisma ober ein Komma gemacht, womit ich aber meine Leser nicht belästigen, mir selbst aber nicht in die Rede fallen will.
Die Geschwindigkeit, z.E. in der Ausführung, ist für jeden Alexander eine Haupteigenschaft. Ist's möglich, nimm Postpferde, sagte er, wenn du thust – allein denk erst! Kannst du Courierpferde haben, desto besser! Was geschwind geschieht, vergeht geschwind, kann nur von Planen verstanden werden, oder über die ganze Regel, wie über viele, ein Schwamm! Wer bald gibt, gibt doppelt, und wer schnell thut, ahmt Gott nach, der sprach und es ward.
Unter anderem behauptete er auch, daß Aristoteles durch den Alexander und Alexander durch den Aristoteles so groß geworden, als sie's wirklich waren. Mali corvi malum ovum! Einer [71] war stolz auf den andern; wie er denn auch der Meinung war, daß solche außerordentliche Leute, wie Alexander, an dem nichts mittelmäßig als seine Gestalt war, und der unter den Großen der Flügelmann ist, nicht vierzig Jahre alt würden, und daß große Eigenschaften auch große Laster, oder wenigstens große Fehler zu ihren Waffenträgern hätten.
Alexander, sagte er, thäte alles der atheniensischen Avisen wegen, allein er nehme mir nicht übel, daß ich ihm nicht beitreten kann. Er, welcher die ganze Welt für eine Festung ansah, wo ihm nur verstattet worden, auf den Wällen herumzugehen, sollte des Wandsbecker Boten wegen in Athen? – – – Nein, die späteste Nachwelt war sein Ziel; unser Dorf, wo Er gespielt wurde, war seine Aussicht, und wahrlich, wir sind nicht die ersten Kinder, und werden auch nicht die letzten seyn, die den Alexander spielen. Diese Geschichte hat viel Unheil in der Welt angerichtet, vom Brudermörder Caracalla an bis auf den heutigen Tag wird sie ins Große und ins Kleine gespielt, allein es geht, leider! dabei nicht so ruhig zu, wie in – und in unserm Dorfe, wo Gottlob! kein Blut vergossen wird.
Und ich? warum vergieß' ich Tinte, warum ergreif' ich die Feder? warum bin ich Alexander und Q. Curtius Rufus in einer Person? Das ist ein gordianischer Knoten im ganz besondern Sinne! Einer wird sagen, um in der – gelobt oder (wie ich vorlaut bin!) recensirt zu werden, ein anderer, um über tausend Jahre den Jungen im Dorfe zum Marionettenspiele zu dienen, ein anderer – die Zeit wird's lehren.
Schon vor vierzehn Tagen sagte ich übermorgen! und legte also eine schriftliche Zusage ab, an diesem Uebermorgen meinen Lesern den Zeitpunkt zu bestimmen, wenn mein Vater den zweiten Diskant rühmlichst mitzusingen angefangen, um sie in diesem Sinne nicht länger absque die et consule zu lassen. Ich hätte [72] keine Stundung ober Tagung vonnöthen gehabt, wenn nicht ein guter Freund, der nach Gastrecht zu behandeln war, diesen Aufschub veranlasset. Heute will ich meine Schuld abtragen, wenn ich zuvor meinem guten Freunde eine glückliche Reise gewünscht habe.
Damit ich alles siguire, war's in meinem vierzehnten Jahre, da ich ohne Hoffnung krank darnieder lag. Mein Vater konnte nicht begreifen wie's zuging. Bei einer solchen Bewegung an Leib und Seele, sagte er, wo kommt das Uebel her?
Vom betrübten Sündenfalle, half ihm meine Mutter aus, denn alles Böse war bei ihr ahnenreich und vielschildig.
Vom betrübten Sündenfalle, seufzte mein Vater, und meine Mutter sang aus vollen Seelen- und Leibeskräften:
Heut' sind wir frisch, gesund und stark,
Sieh, morgen liegen wir im Sarg;
Heut' blüh'n wir wie die Rosen roth,
Bald krank und todt,
Ist allenthalben Müh und Noth.
Mein Vater, der diesen Vers mit vieler Andacht gehört, doch aber noch nicht mitgesungen hatte, verfolgte seine Zweifel. Seine Meinung, um sie zu filtriren, war, daß ein Mensch, der der Natur getreu wäre, und ihrem Fingerzeige folge – denn es ist Gottes Finger, setzte er hinzu – daß ein solcher Mensch, der seiner Seele und seinem Körper nicht zu viel, nicht zu wenig thäte, nicht krank werden, und ehe er achtzig erreicht hätte und das Gewicht abgelaufen wäre, auch nicht sterben könne.
Allein die Thiere, sagte meine Mutter, sind krank, ehe ihre Stunde schlägt.
Thut alles nichts zur Sache; Hausthiere sind wie Menschen am Hofe. Sie sind verwöhnt. Wilde Thiere, das wäre ein Einwand, allein nur ein scheinbarer, denn der Mensch hat Verstand.
[73] »Nur nicht in seiner Kindheit; selbst wenn er älter wird, verdirbt er sich den Magen.«
Dafür hat ein Kind Vater und Mutter. Der Eltern Verstand ist der seinige. Ist er erwachsen und übertritt sein bescheiden Theil, trifft's meine Regel nicht.
»Aber wenn Vater und Mutter schon krank sind, ehe sie ein Kind in diese Hütten Kedars setzen; ich sag's nicht von uns beiden.«
Du hast Recht. Gottlob! aber wir sind frisch, gesund und stark, wie du gesungen hast.
»Indessen etwas fehlt einem jeden, und wenn er ein Gesicht wie ein Stettiner-Apfel hätte. Wir haben alle einen Schaden und der kommt von Adam her, du magst sagen was du willst. Siehst du, wie ich durch die offene Thüre beim betrübten Sündenfalle bin. Hast du nicht selbst gesagt, Thoren! sie wollen das Fleischessen auf einmal abbringen! das Kind kommt schon mit Fleischhunger und Bischofsdurst auf die Welt. Allmählig und durch fünf Generationen (wars nicht so?) muß es erst zur Natur reducirt werden. Da siehst du, wie ich deine Prose behalte. Ich habe noch in meinem Leben nicht so geistlich mit dir gesprochen, wie jetzt. Gott Lob für diesen Tag!«
Wenn du so den Fall Adams nimmst, hast du Recht; kann aber der liebe Junge nicht aufstehen? Arbeit ist die beste Arznei wider den Tod. Auch ein Kranker sollte arbeiten, wenn's nur so viel ist, als er zu seiner Beköstigung braucht. Das ist wenig! Die Natur hat ihm nicht mehr auferlegt, als er ertragen kann. So allmählig, als ein Kranker Appetit bekommt, fängt er auch an besser zu werden.
Ich. Vater, ich kann nicht mehr auf, kann auch nicht mehr essen.
[74] Mein Vater. Armer Junge! (Geht ab. Ich wollte versuchen aufzustehen.)
Meine Mutter. Bleib, bleib! Es ist immer besser, die Krankheit trifft uns auf dem Bette, als auf dem Felde. Davon weiß ich auch ein Lied zu singen! Gewisse Krankheiten wollen wie vornehme Leute behandelt werden; man muß ihnen entgegen – ein Flußfieber nimmt's so genau nicht.
Mein Vater kam wieder, faßte mich an die Stirn und Hände, und ich konnte an seinen Augen in Frakturschrift lesen, was er, sobald er merkte, daß ich hereinsah, vor mir verbarg.
So sehr mein lieber Vater wider die Aerzte war, die er wie die Beichtväter und Gewissensräthe für etwas hielt was uns und unsern Gott und die Natur, sein Werk, von einander schiede, so gab er doch dem Verlangen meiner Mutter nach, die sich ihr Votum nicht nehmen ließ.
Oft habe ich ihn sagen gehört, ohne Arzt stirbt man leicht und schnell. Mit einem Arzte stirbt man täglich. Wer bis in seinen letzten Augenblick lebt, wer beharrt bis aus Ende, stirbt nicht – er wird lebendig gen Himmel geholt, und dieß alles kann man nur ohne Arzt. Dieß und noch mehr sagte er sehr oft, allein jetzt blieben diese schönen Sprüche weg, er schrieb an denDoctor Saft, der sechs Meilen von meinem Puls entfernt war, und machte ein Gesicht als ein Referent, der von seiner Meinung durch die Mehrheit abgestimmt ist.
Die Antwort des Doctor Saft traf ihm das Herz. Er war nicht mehr. Er bestätigte mit seinem Beispiele, daß uns die Aerzte feig machen, indem sie Gefahren aufdecken, die vor uns verborgen sind.
Meine Mutter hingegen war so sanft wie ein Lied. Er nahm sie an der Hand, zeigte ihr den saftischen Brief, und sie, ohne Schrei ohne Ach, stimmte an, ihre Augen gen Himmel:
[75]
Da wird uns der Tod nicht scheiden,
Der uns jetzt geschieden hat;
Gott der Herr wird selbst uns weiden
Und erfreu'n in seiner Stadt.
Ewig, ewig für und für,
Ewig, ewig werden wir
Mit einander jubiliren
Und ein englisch Leben führen.
Noch sang mein Vater nicht mit. Seine Seele war versunken in Schmerz. Meine Hoffnung, sagte er, die der Herr bei meinem stummen Gram mir in einem fremden Lande aufgehen ließ: ein Nachtfrost, und siehe da –
Er hat große Hitze, sagte meine Mutter.
Gütiger Gott! laß ihn mir, laß ihn einem Unglücklichen, der für sich lange die Wünsche aufgegeben, zu dem Staube seiner Väter versammelt zu werden.
Herr Superintendent Alexander Einhorn, fiel meine Mutter ein, liegt in Curland begraben, –
O mein Sohn! sagte mein Vater;
und meine Mutter: er hat die Kirchenordnung im Jahre ein tausend fünf hundert und siebenzig verfertigt; –
O mein Sohn! sagte mein Vater;
und nach ihm blieb die Superintendenten-Stelle vierzehn Jahre unbesetzt.
O mein Sohn! beschloß mein Vater, der sich in seinem Gebete nicht hätte stören lassen, wenn's eingeschlagen hätte. O mein Sohn, mein Sohn! wollte Gott, ich könnte für dich sterben!
Hierauf sagte meine Mutter kein Wort.
Ich sah bei dieser Gelegenheit, was ich oft gesehen, daß das schlecht und rechte Christenthum eine edle Gleichgültigkeit, einen gewissen Liederton im Leben wirkt, der uns bei allem in der Welt, [76] wär's auch ein Alexander-Verlust, Ruhe ins Herz weht. Mein Vater schlug wie Petrus mit dem Schwerte drein. Seine Religion war ein höheres Halleluja, welches aber für die Vollendeten gehört, und das für die Zeitlichkeit nicht zu seyn scheint. Bald sind wir zwar, wenn wir uns in diesem höhern Chor befinden, entzückt bis in den dritten Himmel, bald aber schreien wir: Herr hilf uns, wir verderben!
Lange stand mein Vater mit gelähmter Seele, allein meine Mutter brach diesen Seelenschlaf durch einen freundlichen guten Morgen.
Eins, sagte sie, lieber Mann, bedaur' ich.
Ich mehr als Eins, sagte mein Vater; und was ist dieses Eine? mein Kind! fuhr er mit einer bedeutenden Miene fort.
Meine Mutter nahm ihn (ohne ihm zu antworten) bei der Hand, und drückte ihm ein wiederholtes liebliches: Was denn? heraus.
»Daß ich ihn predigen gehört.«
Mein Vater seufzte laut, ohne ein Wort zu sagen.
Nach ihrer Meinung hätte mir eine Predigt einen gewissen Rang im Himmel zutheilen müssen. Ob ich nun gleich nicht die Kanzel bestiegen, so versicherte mich jedennoch meine Mutter, da mein Vater mit gekreuzten Händen hinausgegangen war, daß sie mir ebenfalls ein Monument in der Speisekammer errichten würde. Der alte Herr, sagte sie, soll deinenNamen in Mitau zum Druck befördern, und da du von deinem lieben Vetter eine schreckliche Aehnlichkeit hast, ist euch beiden geholfen.
Von den sechs Nägeln für einen Vierding sind noch zwei übrig. Verlaß dich auf deine Mutter!
Dieser an sich unbeträchtliche Umstand von den zwei übriggebliebenen Nägeln fiel mir so auf, daß ich von dieser Minute an den letzten Rest meiner Hoffnungen einbüßte, und meinen ungezweifelten [77] Tod in den zwei Nägeln sah. Wären wohl zwei Nägel übrig geblieben, wenn es nicht darum gewesen wäre, deine Grabschrift zu befestigen, dacht' ich, und warum würden wohl sechs Nägel für einen Vierding zu haben seyn, wenn ich nicht dießmal sterben sollte? Ich war kein Alexander mehr, und ich fühlte es, daß die Medicin mit der Einbildungskraft stritte und dieses letztere überwand. Es schlug nichts an.
Wenn er nur ein einzigesmal gepredigt hätte, wiederholte meine Mutter; und mein Vater, der bei dergleichen Irrthümern sonst ein sehr heftiger Widerleger war, that nichts weiter als seufzen. Eine totale Sonnenfinsterniß lag auf seiner Seele, sein Herz konnte nicht ins Geleise gebracht werden. So vergingen drei bis vier Tage. Werde ich sterben? fragt' ich. Gott kann dir helfen! sagte er; und meine Mutter, wie Gott will! und beide, Amen!
Nach einer Weile zog ich meine Mutter fest an mich: »Ei, die zwei Nägel?« Sie glänzten mir so schrecklich, als die Kometen dem gemeinen Manne. Wie verstellt die Verzagtheit, die Mutter der Hypochondrie, die Geberden eines jeden Dinges?
Meine Mutter, ohne die Frage in ihrem Umfange zu denken, antwortete: Sie sollen dein!
Ach! war meine Antwort;
Und hilft dir Gott, fuhr sie fort, hänge ich deine Lieblingswürste dran.
Die, sagte ich, Liebe, die – ich konnte sie vor Freuden nicht bestimmen.
Eben die, erwiederte sie.
Das war Medicin. Ich sammelte mich. Die Kometen verloren ihren Schein. Ich sah, anstatt meines Namens im Druck, zwei kleine Würste. Ich bekam Appetit und hätte gewiß alle beide aus freier Faust aufgegessen, wenn nicht alsdann die beiden Nägel wieder vacant geworden wären. Ich schlief die Nacht, und wenn [78] mein Vater nicht noch ganz verfinstert gewesen wäre, würd' er aus meinen Augen eben so viel gelesen haben, als ich zuvor aus den seinigen las.
Ehe noch das Fatale interponendae und introducendae abgelaufen und mein Leben ober Tod res judicata (eine rechtskräftige Sache) war, bekam mein Vater einen Brief, für den er viel Postgeld bezahlen mußte, und dieser Brief brachte ihm den zweiten Diskant mit, den meine Leser ihn sogleich singen hören werden.
Er las diesen Brief, las ihn wieder, und da er ihn zum drittenmale anfing, rief er mit wehmüthiger Stimme: Licht! Es ist aus! – Gott! – schrie ich – aus! und meine Mutter: aus!
Wenn er lieber auf die Würmer curirt hätte? fragte meine Mutter meinen Vater; nicht wahr? lieber auf die Würmer?
»Es ist aus!« sagte mein Vater. Der Stärkste in seiner Kunst ist Saft nicht, fuhr meine Mutter fort. Ich wette, er ist da Doctor geworden, wo der alte Herr Literatus gewesen ist. »Gottes Wege sind nicht unsere Wege!« sagte mein Vater. »Im fünf und vierzigsten Jahre seines Alters im Herrn entschlafen!« Wer? fiel meine Mutter ein, Doctor Saft? ist er todt, der geschickte Mann? Curland verliert viel an ihm!
Mein Vater. Die letzte Stütze des Hauses!
Meine Mutter. Er hat noch einen Bruder!
Mein Vater. Licht! Licht! Licht! Licht!
Meine Mutter. Wie! todt? am Schlagfluß?
Mein Vater. Alles todt! alles todt!
Meine Mutter. Mit Weib und Kind?
Mein Vater. Licht! Licht!
Man brachte ein Licht.
Noch eins! sagte er, und nachdem er beide Lichter (es war heller Tag) hingestellt hatte, nahm er eine Handvoll Papiere, die [79] sich mit dem neuen Briefe, für den er eben so viel Postgeld bezahlt hatte, begrüßten, und nachdem er diese Papiere allzusammen gen Himmel gehalten, sagte er: »wie du willst, unbegreiflicher Gott!«
Er steckte an, und noch hör' ich die wehmüthige Stimme! Wir sind Staub, und unsere Hoffnungen Staub und alles Staub! Hier verbrannte er sich die Finger, indem er das eine Papier nicht zeitig genug fallen lassen. Heilige Asche, diese Thräne sey Weihwasser für dich. Mit dir, geweihter Staub! will ich den Sarg meines Sohnes begrüßen. Du bist Erde und sollst zur Erde werden.
Cleopatra, die eine Perle austrank, sagt' er nach einer Weile, hat nicht mehr verzehrt, als ich heute, und kein Lucius Plaucius hat die andere Perle gerettet.
Die Nägel fingen wieder an zu blinken, ich sah meinen Tod vor Augen, und empfand, wie es einem jungen Menschen von vierzehn Jahren zu Muthe ist, wenn er sterben soll.
Freilich hätte mir einfallen können, daß ein Brief vom Doctor Saft und so viel Postgeld nicht im Verhältniß wären; doch fiel es meiner Mutter so wenig wie mir ein.
Mein Vater zog mit dem Doctor Saft über mein Leben schriftlich Schach. Mein Vater schrieb ihm seinen Zug, der Doctor den seinen, und die Verwirrung, die mein Vater durch das Wort aus, welches ein schreckliches Wort ist, und durch die zwei Lichter am hellen Tage, welche zum Worte aus eben so schrecklich abstechen, erregt hatte, brachten meine Mutter und mich auf den Gedanken, Doctor Saft hätte Schachmatt gesagt. Das Feuer ist ein vernichtendes Element! Noch schaudert mir die Haut, da ich diese Papiere brennen und in Asche, ohne Leben und Bestand und Saft, verwandeln sehe; solch einen Eindruck machte dieses Feuer auf mich. Ich würde meinen Leib um alles nicht verbrennen lassen, und viele[80] meiner Leser, welche bedenken, daß die Verwesung zugleich eine Geburt sey, werden mir beitreten.
Die Art, wie mein Vater anfänglich die Sache betrieb, ließ mich vermuthen, Doctor Saft hätte unbedachtsam gezogen, und was mich noch freut, ist dieß, daß ich dem Doctor Saft nicht fluchte.
Gott verzeihe ihm, sagte ich, und meine Mutter setzte hinzu: aus Barmherzigkeit!
Nachdem wir beide, meine Mutter und ich, aus den abgebrochenen Reden einen andern Schluß zogen, Doctor Saft wäre nämlich vorausgegangen, wünschten wir ihm beide aus gutem Herzen eine glückliche Reise; ich will ihm abbitten, sagte ich, wenn ich ihn im Himmel sehe, daß ich ihn unrecht verdacht habe. Nach vollbrachtem Opfer sah ich eine Thräne nach der andern die Wangen meines Vaters herabfließen und die Papierasche, die sonst verflogen wäre, anleimen.
Es sey nun das weinende Auge meines Vaters, oder das unrichtig vermuthete Schachmatt des Doctors, oder sein selbsteigener tödtlicher Hintritt die Ursache, die meine Mutter zum Singen brachte, sie fing an:
Gott eilet mit den Seinen –
und bei der zweiten Strophe fiel mein Vater im zweiten Diskant ein (zum erstenmale hören ihn also meine Leser mitsingen):
Läßt sie nicht lange weinen
In diesem Jammerthal.
Wenn ich jetzt die Sache überlege, finde ich, daß ich eigentlich damals nur einen Sterbenden vorstellte; ich starb schön, ich starb poetisch, denn mein Körper hatte sich von den zwei kleinen Würsten erholt. Mein Herz war aber aller der Vorgänge wegen im fünften Akte des Trauerspiels. Ich war bewegt – ich sah alles mit mir [81] sterben; bis auf die Lichtputzerin zu weinte alles (ich weiß nicht, ob es die königliche Frau Mutter oder ein anderes Geschöpf war).
Eine Bitte habe ich an Vater und Mutter, fing ich nach einer langen Stille an.
Meine Mutter, die unfehlbar sich vorstellte, daß es wegen des Monumentes in der Speisekammer wäre, fragte leise: »an beide?« Ja, liebe Mutter, und gleich, lieber Vater, sagte ich laut. Sprich, sagten sie beide. Verlasset – hier weinte ich zärtlich – Minchen, des alten Herrn Tochter, nicht. Gut, sagte mein Vater; warum? fiel meine Mutter ein. Weil ich sterbe und mich ihrer in dieser Welt nicht annehmen kann, liebe Mutter. Schade, daß ich es nicht kann! Wie ich Alexander und sie die Tochter des Darius war – denke nicht mehr daran, sagte meine Mutter; wollte Gott, du wärest Joseph und die alte Babbe (Barbara) Potiphars Weib gewesen – hab' ich gefunden, daß sie verdiente, Königin zu seyn. Ich habe ihr nie gesagt, daß ich ihretwegen des Amtmanns – – Christoph zwei Finger gelähmt – Gott stärke sie, wenn es dem Christoph nützlich und selig ist. Ich meine seine beiden Finger. Christoph behauptete, Minchen sey verwachsen; das ist sie nicht, sagt selbst, liebe Eltern! Das ist sie nicht! versicherten beide, und ich fügte noch einmal hinzu: das ist sie nicht. Nach meinem Tode, fuhr ich fort, entdecke ihr, liebe Mutter, meinen Streit mit Christoph und daß ich ihr gut gewesen bis in den Tod; denn ich möchte gern, daß sie mich nicht vergäße und mir auch gut wäre bis in den Tod. Meinen Benjamin grüßt von mir, auch den Christoph. Die Sonne ging nicht unter während unserm Zorn. Grüßt das ganze Heer! – Nicht wahr, mein Vater, jetzt kann kein anderer als Benjamin im Dorfe Alexander werden? (Joseph, willst du sagen, sagte meine Mutter, und drückte mir die Hand.)
Alexander, erwiederte ich, will ich sagen. Meine Mutter sah meinen Vater an, mein Vater sah auf die Erde. Benjamin, fuhr [82] ich fort, hat zwar die rechte Hand nicht in seiner Gewalt, allein sonst ist's ein guter Junge. Ehrlich und treu wie der Wiederhall. Das Bein verwächst sich vortrefflich; und fallen gleich die lateinischen Reden weg, im Lettischen ist er Alexander. Minchen, Benjamin und ich waren Castor, Pollux und Helena. Ein Drittel dieses Dreiblatts welkt, Gott segne die Zurückgebliebenen mit dem Thau seiner Gnade. Wenn Minchen heirathet, ich möcht' es nicht gern, wenn aber – sehet zu, liebe Eltern, daß sie einem ehrlichen Kerl ihre Hand gibt, und nun – und nun – hier stockt' ich – lebt wohl, meine theuern, lieben, gütigen Eltern, lebt wohl! lebt wohl! Hier nahm ich alle ihre Hände zusammen und küßte sie und sagte: Gott vergelte euch alles Gute. Dir, liebe Mutter, das Geräucherte unterm Kupferstich. Seyd Minchen und Benjamin gut, liebe Eltern, und wenn es seyn kann, laßt mich hinter der Kirche an dem großen schwarzen Kreuze begraben, wo mein liebstes Lager war. Lieber Vater, du weißt den Platz so gut wie ich.Minchen wird, das weiß ich, sich gern auch da begraben lassen – wenn anders ihr Mann es zugibt; und auch ihr, meine lieben Eltern, wenn ihr so gütig seyn wollet, ruhet zusammen mit mir bis an den Morgen des jüngsten Tages. – Dann gehe ich mit Minchen, wie ein Bräutigam mit seiner Braut, aus der Schlafkammer. Eine lange Brautnacht. – Mein Herz bebt vor dem Worte lange zurück! Gott schenke uns allen eine angenehme Ruhe! – Wir weinten alle. Die Thränen meiner Mutter flossen sanft, so sanft als ein warmer Mairegen. Mein Vater war heftig. Stirb, sagte er, im Namen Gottes, der Himmel und Erde gemacht hat! und meine Mutter: Amen! und ich: Gott mit euch in alle Ewigkeit! und wir alle drei zusammen: Amen! Amen!
Nach einer kleinen Weile fragte mich mein Vater, ob ich noch Minchen, oder Benjamin, oder beide zusammen sehen wollte? – Minchen? sagt' ich heiter, Minchen? Nein – Minchen nicht, [83] lieber Vater, sie würde sich zu sehr grämen, wenn sie ihren Gemahl Alexander sterben sehen sollte. Sie hat mich bloß als Ueberwinder gesehen. Benjamin? auch nicht, er würd's ihr vorwimmern, was er gesehen, gehört und empfunden hat; Benjamin ist ein guter Junge, nicht wahr, lieber Vater? Er muß Alexander werden! Lange genug ist er Darius gewesen – und, in Wahrheit, es ist nicht viel, Darius zu seyn. Er und ich waren guteFeinde zusammen, eine Seele in zwei Leibern.
Dieses alles brachte mich auf ein Codicill. Ich änderte mein Testament und bat meine Eltern, Minchen nichts, auch nichts vom Christoph, auch nichts vom großen Kreuze zu eröffnen, wenigstens die Publication des Testaments noch viele Jahre auszusetzen. Meine Mutter, die mit der Anfrage meines Vaters, die zwei Lieblinge meines Herzens noch in dieser Welt zu grüßen, unzufrieden geworden, freute sich, daß alles so vortrefflich beigelegt und der vorige Druckfehler verbessert war. Er ist schon ein Engel, sagte sie, und es war völlig klar in ihrem Gesichte. Werden wird er's, sagte mein Vater. Bei ihm sah es noch sehr finster aus. Der Platzregen hatte aufgehört, allein eine Gewitterwolke hielt ihn zurück, und man hörte von ferne ein Donnerwetter murmeln. Ich bin ruhig, sagte er, und das ist immer der größte Beweis, daß man's nicht ist. Nichts ist so leicht anzusehen, als Ruhe. Ein Hofmann selbst könnte sie nicht verbergen, wenn er die Ruhe je zu kennen die Gnade gehabt. Im Grunde war er so ruhig als ein Mann, dem Haus und Scheuern abgebrannt sind, und dem ein gutgesinnter Nachbar ein Kämmerlein mit einer Klinke eingeräumt hat.
Mein Feierabend bricht heran, willst du nicht, sagt' ich, Licht bringen, liebe Mutter! das hin und her thut wanken, bis ihm die Flamm' gebricht, alsdann fein sanft und stillelaß, Herr, mich schlafen ein!
[84] Meine Mutter setzte hinzu: Nach seinem Rath und Willen, wann kömmt dein Stündelein!
Mein Vater wurde von dieser letzten Oelung unterrichtet, ohne daß man dabei des Eierheiligen dachte, und seine Seele war gerührt. Es fielen große Tropfen.
Noch nicht, sagte meine Mutter zu mir, dein Auge ist noch zu hell. Dies soll das Letzte seyn, damit du die letzten Worte noch im Himmel singen kannst.
Mein Vater ermannte sich nach einer Weile, um mich mit der Stadt Gottes bekannt zu machen. Er hatte einen andern Himmel für ein Kind, einen andern für meine Jahre. Wir sprachen viel. Ich fragte ihn so, als ob er schon dagewesen, und er antwortete mir so. Ich will nur etwas anführen:
Seine Meinung war, daß die Verwandlung eben so groß nicht seyn würde. Wir können, sagte er, nichts mehr durch ein Seherohr sehen, was wir nicht schon durch's Auge gesehen haben.
In dieser Welt sehen wir in der Ferne eine Menge Menschen wie Dünste aus der Erde steigen, wie Gesträuch – im Himmel kommen wir diesem Menschenklumpen näher, wir kennen sie, wir geben ihnen die Hand; indessen blieb uns wohl auch in der Welt ein Haar auf ihrem Haupte verborgen? In der Welt ist alles gezeichnet, dort ist's ausgemalt. Was wir hier im Kleinen sahen, geht uns dort im Großen auf. Was ist in der Welt für eine Wissenschaft, die nicht schon in unserer Seele läge? Nur Licht hereingebracht und alles ist aufgedeckt – der gemeinste Mensch begreift alles, noch mehr, er weiß alles, was du ihm sagest. Gib ihm den ersten Buchstaben, er gibt dir den zweiten. Wir lernen nichts, was eigentliche Wissenschaft, bleibende Kenntniß, himmlische Wahrheit ist. Die Seele ist ein gestimmtes Instrument, das nur gespielt werden darf; und wenn du die Kunstwörter von der Sache abnimmst, diese Rüstung, die einem kleinen Körper das Ansehen [85] eines Riesen gibt, find'st du nichts Unerwartetes. Wenn du die Tressen vom Kleide absonderst, ist's dem gemeinsten Mann, als hätte er sein eigen Kleid an. Quantum est in rebus inane! Die Gelehrten bemühen sich weislich, dieses ihr Kunststück nicht zu verrathen, weil sie damit auf die Märkte ziehen, und große bunte Zettel drucken lassen, um sich für Geld zu zeigen.
Ist's denn Wunder, wenn der Gelehrte dem Ungelehrten in der andern Welt nichts nachgeben wird! O ihr Thoren, die ihr glauben konntet, ein Gelehrter würde dort schon eine höhere Klasse der himmlischen Glückseligkeit betreten, als ein Bauer. Der letzte wird in Wahrheit nur ein kleines nöthig haben, um dem Gelehrtesten gleich zu seyn. Der einzige Unterschied zwischen einem Gelehrten und Ungelehrten in der andern Welt wird seyn, daß der erstere mehr vergessen muß als der letztere, um himmlisch zu wissen, was er weiß; und was ist schwerer? vergessen, was man nicht halb, nicht ganz wußte, oder gleich die Sache beim rechten Ende fassen? Der Literatus (welches in Curland gemeinhin ein gekaufter Titel ist), wenn ihm auch dieses Diplom seiner Geschicklichkeit wegen ohne Geld und gute Worte zugestanden werden kann, hat nicht Ursache stolz zu seyn, denn der Unwissende unterscheidet sich von dem Wissenden bloß dann, daß dieser sagen, aussprechen kann, was beide wissen, und das erste Capitel von dem, was sie beide nicht wissen. Ein schönes Buch, das wirklich schön ist, das vom Herzen kommt und zu Herzen geht, was meinst du? Hast du das nicht alles gedacht, was drin steht? Du hast nur – eine Kleinigkeit – nicht das Buch selbst geschrieben. Du hast nichts gelernt, sondern nur mit diesem Buch Feuer in deiner Seele angefacht.
Mein Vater nahm Gelegenheit diese Sätze auf Vernunft und Religion anzuwenden.
Aber die Sprachen, sagte ich, lieber Vater?
[86] Nur eine ist da, und keinem wird ein Wort fehlen. Sieh! wie fein und lieblich ist's, wenn Brüder einträchtlich bei einander wohnen, wird's von Gedanken und von Worten heißen. Es werden Zwillinge seyn, wie Nachbarskinder werden sie zusammenhalten.
Hier, fuhr er fort, lernen wir Sprachen, um mit der Natur umgehen zu können. Wir wollen uns ihr gern bequemen, und da ihre Hofsprache unbekannt ist, halten wir viele Sprachen in Bereitschaft, und kommen, da kein Mensch mehr als Eine Sprache recht wissen kann, mit einem Frachtwagen voll Grammatiken und Wörterbüchern, um bei der Königin Natur, mit Beihülfe dieser Dolmetscher, Audienz zu haben!
Die Natur versteht, wie Gott der Herr, eben so gut deutsch, als griechisch und lateinisch; auch sie will nicht mit Worten, sondern im Geiste und in der Wahrheit verehrt seyn. Eine Sprache ist der Hauptstuhl, das eigentliche Capital, die andern sind die Zinsen.
In dieser Welt sprachst du mit Gott deutsch. Jachnis spricht lettisch mit ihm. Wenn ein Deutscher französisch betet, läßt er sich vom lieben Gott französische Vocabeln überhören. Die letzten Worte sind alle in der Muttersprache, auch die letzten Seufzer so. Da kommt gemeinhin alles an Stell' und Ort. Man sagt sogar, daß sich das ganze Gesicht im Sterben verändere und der Hofmann wie ein anderer Mensch aussehe, und der Cain ohne Zeichen da läge, alles in Gottes Gewalt.
Zu jeder Sprache, das weißt du, lieber Junge, denn du hast außer der commandirenden deutschen mehr als eine, gehört eine andere Zunge und ein anderer Mensch. Von der in der andern Welt läßt sich, glaube ich, kein einzig Wort, auch nicht einmal lieber Gott, mit einer Menschenzunge aussprechen. Da fehlt's [87] am R, am H, am L, und an jedem Buchstaben. Eine Engelzunge ist uns vonnöthen.
Meine Mutter sang mitten unter dieser Predigt, da mein Vater Athem holte:
Wie herrlich ist die neue Welt,
Die Gott den Frommen vorbehält!
Kein Mensch kann sie erwerben.
Doch ist zu jener Herrlichkeit
Auch ihm die Stätte zubereit,
Herr! hilf sie ihm ererben.
Einen
Kleinen
Schall von jenen
Freudentönen
Schenk dem Schwachen,
Ihm den Abschied leicht zu machen.
Mein Vater lehrte mich nachdrücklich das Irdische, das Hinfällige, das Hektische in dem größten Theile der menschlichen Kenntniß, und da er nur ein wenig anhielt, fing meine Mutter wieder an:
Herr! wir wallen sämmtlich hier,
Da der Leib uns hält verschlossen,
Brüder! Menschen! was sind wir?
Fremd' und Reichsgenossen.
Unsers kurzen Wandels Lauf
Geht hinauf,
Da wir her entsprossen.
Historie, fuhr mein Vater fort, ist darum gut, damit sich nicht die Kaufleute freuen, wenn Kinder und Narren zu Markte kommen; und Erdbeschreibungen und Reisen zu Wasser und zu [88] Lande und Weltentdeckungen, damit wir uns selbst entdecken und kennen lernen.
Ich lese, das weißt du, sehr gern Reisen, um in mich selbst zu kehren; ich freue mich über jede neue Völkerentdeckung, weil ich hierdurch den Schlüssel zu mir selbst und zu meinem Nachbarn finde. Vom Anbeginn ist's so nicht gewesen, wie es jetzt in der Welt ist.
Meine Mutter hatte vieles in dieser Predigt gefunden, was ihr zu prosaisch war. Ihr Himmel bestand aus einer Schaar heiliger Sänger und Sängerinnen. Da, pflegte sie sonst zu mir zu sagen, werden wir nicht reden, sondern alles wird Musik seyn. Lauter Duettos und Terzetten, Recitative und – sie wandte indessen jetzt nur bloß mit dem Kopfe ein, den sie zuweilen von der Linken zur Rechten, wie die meisten Menschen ihre Köpfe zu schütteln gewohnt sind, schüttelte.
Wenn mein Vater nur etwas still hielt, wollte sie anstimmen, indessen konnte sie keinen Takt zu Ende kommen, mein Vater griff beständig plötzlich an.
Es ist ein Gott! deine Seele ist sein Hauch, er ist! er war! er wird seyn! Sein Bevollmächtigter ist das Gewissen. Du fühlst diesen Machthaber, wenn du ihn gleich nicht siehest, als einen gegenwärtigen Zeugen, wenn du im Stillen Gutes oder Böses thust. Er ist mit dir, er geleitet dich, um dich dort als Bürger in der Stadt Gottes einschreiben zu lassen mit einem neuen Namen, der über alle Namen in der Welt ist.
Gottes Güte, seine Gerechtigkeit ist's, daß wir im Tode nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat kein Ende! Neu ist sie am Morgen der Ewigkeit! Welch eine Sonne, die dann aufgeht! Welch ein Wort, Ewigkeit! Etwas ohne Ufer und ohne Grund.
Dort haben wir nicht nöthig, uns um einander zu bekümmern. [89] Die Eltern brauchen keine Pflege, die Kinder keine Stütze: Ganze wird unser Gegenstand seyn.
Gott, der in uns angefangen hat das gute Werk, wird's vollenden in Ewigkeit. Wir werden ihn sehen von Angesicht zu Angesicht, jetzt sehen wir ihn im Spiegel, der seine Welt ist, den er uns vorhalten ließ, und da unser Standort dunkel war, sahen wir nur wenig, nur daß er war! Dort werden wir sehen, was er ist!
Selig sind die Todten, die im Herrn sterben! Sie stärken sich durch einen sanften Schlaf zu himmlischen Beschäftigungen, um zu erwachen nach Gottes Bilde. Muß der Mensch nicht hier immer im Streite leben? Seine Tage sind wie eines Tagelöhners. Man legt ihn in die Erde, und wenn man ihn morgen sucht, beschämt ihn der Stuhl, wo er saß, das Buch, das er eben gelesen hat, denn er ist dahin; den Sucher ergreift ein Schauder. Heil dem, der in der Jugend vollendet wird! Er kommt froh zum Grabe, wie Garben mit Jauchzen eingeführt werden zu ihrer Zeit – du wirst liegen und schlafen ganz mit Frieden, denn allein der Herr hilft dir, daß du sicher wohnest – –
Zu allem diesem sprach meine Mutter den Segen. Empfange, sagte sie mit gerührtem Herzen, hierauf den Segen des Herrn:
Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über euch und sey euch gnädig! – und da kein Chor antwortet, setze ich, sagte sie, selbst hinzu: Der Herr erhebe sein Antlitz auf uns und gebe uns seinen Frieden, Amen!
Sie sprach diese Worte mit einer so zuversichtlichen Segensstimme, daß meine Seele das Licht sah, das mir leuchten sollte bei dem schrecklichen Todesgange, und die Hülfe empfand, die mir helfen würde bei dem allerletzten letzten Todesstoß.
Kaum hatte sie ihn aber mit Herzen, Augen, Mund und Händen ausgesprochen, ihr Auge war gen Himmel gerichtet, ihre [90] Hände hatte sie auf mich gelegt – kaum hatte sie Amen gesagt, so ward sie des Segens wegen verfolgt, weil der Candidat mit den langen Manschetten, der vor vieler Zeit, wie meine Leser sich erinnern werden, einen kalekutischen Hahn verzehren geholfen, während des Segensspruchs ins Zimmer getreten war. Es war dieser gute Mann in der Bauskeschen Präpositur, welche, so wie die Seelburgsche, den dreigliedrigen Segen angenommen hatte.
Der Herr Superintendent Alexander Gräven, unter dessen Regierung, wie meine Mutter zu sagen pflegte, ich leider! das Licht der Welt erblickt, hatte im Jahr eintausend siebenhundert und achtzehn den dreigliedrigen Segen eingeführt; indessen blieb meine Mutter, so wie beim alten Kalender, so auch beim alten Segen, wenn er gleich ein Glied weniger hatte.
Meine Mutter, die, wie Brutus, nicht mehr auf den Sohn ihres Leibes, sondern auf's Unsichtbare und Allgemeine, und was noch mehr war, die Ehre der Kirche und ihre Ordnung sah, gerieth in Paul Einhornschen Eifer, sprach wider die Regierung, nicht des Herzogs Ferdinand, sondern des Gräven, ärgerte sich, daß ich und er Alexander hießen.
Er, weil ein würdiger Einhorn so geheißen.
Ich, weil man außer vielen andern Bedenklichkeiten, die sie hatte, auf den, wie sie sagte, unseligen Gedanken kommen könnte, daß ich von diesem dreigliedrigen Alexander Gräven den Namen empfangen haben könnte.
Dem Herrn M. Adolph Grot, Pastor in Windau, der sich des alten Gebrauchs angenommen, setzte sie eine Märtyrerkrone auf, und dem Herrn Pastor Christoph Sennert, der des dreigliedrigen Segens wegen Kreuzzüge thun mußte, und in gewisser Art Fähnchenführer war, hatte sie keinen Segen auf den Weg gewünscht, wenigstens sollten seine Gebeine nicht im Vaterlande verwesen, welches auch nur, wie sie sagte, zweigliedrig wäre: Curland und Semgallen.
[91] Ich will nicht hoffen, daß eben wegen dieses Unsegens (Fluch war es nicht) dieser Grävensche Adjutant unstät und flüchtig geworden, und auch wirklich in der preußischen Grenzstadt Memel sein unruhiges Leben, wiewohl schlüßlich, wie Paul Einhorn, sanft und ruhig geendigt hat.
Es würde kein Segen für meine Leser seyn, wenn ich ihnen den Streit meiner Mutter und des Herrn Candidaten auseinander setzen sollte.
So viel zur Nachricht, daß dieser Segensstreit in Curland durch den landtäglichen Schluß vom einunddreißigsten Julius eintausend siebenhundert und dreiunddreißig, und durch die Verordnung vom neunzehnten August eintausend siebenhundert und dreiunddreißig, in der Art beigelegt worden, daß meine Mutter zwar nach der Zeit einsah, es sollte in Curland nicht mehr zweigliedrig gesegnet werden, indessen was sind Edikte und landtägliche Schlüsse dem Gewissen? Sie lebte und starb nach dem alten Kalender und nach dem alten Segen, und wenn sie gleich oft und viel nicht wider den Strom schwimmen konnte, hoffte sie doch, es werde alles ein Ende gewinnen, daß wir's könnten ertragen.
Den Ungläubigen, die vielleicht auf den Gedanken kommen könnten, daß ich ein Mährlein erzählet, zur Beschämung, will ich wörtlich die segensreiche Verordnung unter die Augen setzen, welche den neunzehnten August eintausend siebenhundert und dreiunddreißig in der Residenz Mitau gegeben worden:
»Von Gottes Gnaden Wir Ferdinand, in Liefland, zu Curland und Semgallen Herzog, geben allen Einsassen dieser Herzogthümer zu vernehmen, daß in diesem letzten landtäglichen Schluß vom einunddreißigsten Julius jetztlaufenden Jahres wohlbedächtig, und alle bisherige Discrepance und angewachsene Streitschriften unter den Geistlichen in diesen Herzogthümern einmal zu heben, den dreifachen Segen beizubehalten und durch Publicationes festzusetzen,[92] beschlossen worden. Dahero Wir denn, kraft dieses unsers Patents, sowohl dem wohlehrwürdigen und hochgelahrten Herrn Alexander Gräven, Superintendenti und pastori primario zu Mitau, als allen ehrwürdigen und hochgelahrten Präpositis dieser Herzogthümer, auch sämmtlichen übrigen würdigen und wohlgelahrten Pastoribus in Gnaden befehlen, daß sie solchen dreifachen Segen, der in verschiedenen Kirchen allhier bereits angenommen, sofort, wo es noch nöthig, gleichfalls einführen und den zweifachen künftighin nachlassen mögen. Gewärtigen auch ein Gleiches von den Priestern der adeligen Kirchen, und wollen gnädigst, daß zu aller Wissenschaft dieses Patent drei Sonntage nach einander in deutscher und undeutscher Sprache von den Kanzeln verlesen, auch nachgehends ad valvas templi affigiret werden soll. Urkundlich unter dem fürstlichen Insiegel und unserer Unterschrift. Gegeben in der Residenz Mitau den neunzehnten August eintausend siebenhundert und dreiunddreißig.«
Mein Vater, der es beständig mit dem weltlichen und nicht mit dem geistlichen Arme hielt, mischte sich gar nicht in diesen Segensstreit des Herrn Candidaten und meiner Mutter, obschon ich aus anderweitigen Aeußerungen weiß, daß er's dem Herrn Superintendenten nicht verzeihen konnte, daß derselbe eigenmächtige Veränderungen zu machen sich unterfangen hätte. Er war so gleichstimmig mit der wohlgebornen Ritter- und Landschaft, daß man glauben sollen, er selbst hätte den landtäglichen Schluß vom einunddreißigsten Julius eintausend siebenhundert und dreiunddreißig entworfen, den ich meinen Lesern aber nicht vor die Augen stellen will.
Jetzt war mein Vater während dem Segensrauch ganz still und blickte zuweilen auf mich, seinen zweigliedrig eingesegneten Sohn. Da es sich zum Waffenstillstande anließ, der dem Herrn Candidaten um so rathsamer war, als er während dem Streite [93] fallen lassen, daß er heißhungrig sey, indem invita Minerva wohl schwerlich ein kalekutischer Hahn wieder sein Theil geworden wäre.
Da, sag' ich, der Herr Candidat ins Winterquartier zog, nahm mein Vater das Präsidium bei diesem Disputationsactu und sagte etwas, was weder den Opponenten noch Respondenten traf.
Von Gott, fing er an, kommt aller Segen. Meine Mutter nahm dies Wort; wollte Gott, sagte sie, Sie hätten Segen für meinen Sohn mitgebracht!
»Hier ist ein Brief von Doktor Saft und er selbst wird auch noch heute hier seyn.«
Er lebt? sagte meine Mutter.
Und ich zu gleicher Zeit: er lebt! indessen setzte ich noch das Wort also hinzu. Wir hätten auch fragweise: lebt er? die Sache nehmen können, und ich hätte das also alsdann vielleicht gespart; indessen, wollten wir ohne Zweifel den Accent auf Er legen, und es war ein Frag- und Verwunderungszeichen bei den Worten: er lebt! an Ort und Stelle.
Der Candidat, der nicht zu wissen schien, ob vom geistlichen oder leiblichen Leben die Rede wäre, zog seine Handblätter weiter heraus, denn diese Frage war ihm in alle Wege so besonders, daß er die Antwort hervorziehen mußte.
Meine Mutter kam ihm entgegen und setzte die Frage durch eine andere ins Licht.
Ist er nicht todt? und nun waren die Manschetten heraus und die Antwort:
»Ich habe ihn frisch und gesund gelassen –«
Und woher todt? fragte mein Vater.
Diese Frage befremdete meine Mutter noch mehr, als ihre und meine Frage den Herrn Candidaten. Sie wollte indessen meinen Vater keiner Lüge beschuldigen und ihn öffentlich beschämen.
Mein Vater las den Brief und sagte mit einer Stimme: [94] außer Gefahr, daß es mir auffiel, mein Leben sey ihm nach den verbrannten Papieren gleichgültiger geworden. Es war ihm so, als wenn ein Sterbender eine Pension bekäme, auf die er zwanzig Jahre gehungert, oder wenn jemand, dem alle sein jetziges und künftiges Habe und Gut heut confiscirt ist, morgen hundert tausend Dukaten durch einen Rechtsspruch gewinnt.
Ich habe es oft erlebt, daß der beste Freund, wenn er seinen sterbenden Jonathan beweint hat, im Anfange gleichgültig ist, wenn er hört, dein Freund Jonathan lebt. Er schließt nach seinem erlittenen, nach seinem überwundenen Schmerze auf den, der ihm noch bevorsteht. Bei meinem Vater wie oben.
Welch eine Veränderung bei ihm! welch eine bei mir! Meine Mutter blieb, wie sie war; ich fühlte mich die Minute besser, da diese Worte ausgesprochen wurden. Es war Schlag auf Schlag. Die Krankheit hatte mich schon vorher verlassen, nur ich nicht die Krankheit. Ich getraute es mir nicht zu glauben, daß ich gesund wäre. Lieber Herr Candidat, Sie hätten, unter uns gesagt, den Segen zuletzt lassen sollen, wie es Sitte in der Christenheit ist.
Warum soll ich's läugnen, daß mir jetzt mein letzter Wille zusammt dem Codicill, in Absicht Minchens, herzlich leid zu thun anfing; ich möchte wissen, was die Ursache war? Ich wurde Mal auf Mal im Bette blutroth, als wenn mir das Gewissen ins Gesicht sähe. Um alles in der Welt willen hätte ich das Testamentum nuncupativum zurück gehabt.
So gern meine Mutter es wissen mochte, wie das ganze Briefmißverständniß entstanden wäre, unterfing sie's doch nicht, die Auflösung in des Candidaten Gegenwart abzufragen. Die verfluchten Briefe! überall, wo sie sind, sind Falten und Verwicklungen! Spitzet nicht eure Federn, Kunstrichter, wenn sie in Romanen und auf dem Theater große Rollen spielen. Es ist wahr, sie sind der faule Knecht für unsere Theaterdichter, denn wo [95] würden sie ohne Briefe einen gordischen Knoten hernehmen? Und wie würden sie die Knoten so alexandrisch, als durch eine Antwort auf diesen Brief entzweihauen? Allein, siehe da! wie die Natur spielt, auch in einer wahren Geschichte ein Brief! und gewiß nicht der letzte.
Die blanken Nägel waren mir nicht mehr im Wege, ich bekam Appetit, eine von den Würsten zu essen, die meine Stelle vertreten sollten.
Aus dem Bette, sagte mein Vater, wenn du essen willst! Kein Mensch muß im Bette essen und trinken. Es ist schon zuviel, daß man darin schläft oder stirbt. Wer auf der Erbe stirbt, stirbt auf dem Bette der Ehren. Er nimmt's mit der Krankheit auf.
Da stand ich, wie mich Gott geschaffen hat, bis auf's Hemde –
Obgleich meine Mutter es gern gesehen, wenn ich der Krankheit standeshalber das Geleite gegeben, übersah sie dennoch diese Sünde wider die Etikette, um vielleicht meinen Vater zur Erkenntlichkeit in Beschlag zu nehmen, welche darin bestehen sollte, daß er ihr zu seiner Zeit das Geheimniß des Briefes und der Feuersbrunst entdecken möchte. Ich glaub's schwerlich, liebe Mutter, wenn du nicht durch die Künste der Palingenesie – –
Der Doktor fand mich beim Geräucherten, und das war meinem Vater gewonnen Spiel. So, sagte er, sollte der Doktor jeden treffen; gelt! wir würden weniger Patienten und – mit Erlaubnis Herr Doktor – weniger Doktores haben. Der ehrliche Saft schämte sich, dem Puls die Hand zu geben. Nach einem Bedenken nahm er sein ganzes Doktoransehen zu Hülfe, fühlte wirklich Schande halber nach dem Pulse, indessen that er's verstohlen und so ungefähr, als ein hochwohlgeborner Herr, wenn er eines ehrlichen Bürgers Tochter geheirathet, seinem Herrn Schwiegervater die Hand gibt. – Ich riß mir die Hand los, um das abgeschnittene [96] Stück an seinen Ort zu stellen. – Der Herr Schwiegervater sollt's auch so machen.
Warum aber Geräuchertes? fragte der Doktor. »Weil er's gewollt« (mein Vater und meine Mutter). Hierin war meine Mutter mit meinem Vater gleichlautend, denn sie hatte Beispiele, daß viele Leute mit Sauerkraut von hitzigen Fiebern, und kalten Fiebern, und faulen Fiebern, und Flußfiebern, und Seitenstechen, und Entzündung der Lunge, und Entzündung der Leber, und Entzündung des Gekröses, und Frieseln und Schlagflüssen, und Herzgespann und vielen Suchten und Gichten kurirt wären. Die Stimme des Magens war ihr eine heilige Stimme.
Der Doktor Saft und sein Freund, der Herr Candidat, fanden für gut, drei Tage bei uns zu bleiben. Ich will nicht hoffen, Herr Candidat, um auch hierin dreigliederig zu seyn! Meiner sonst gastfreien Mutter waren sie unausstehlich, denn sie ward wegen des Briefstaubes durch die Gegenwart entsetzlich gemartert. Es zog der Doktor Saft während dieser drei Tage mit andern Leuten in der Nachbarschaft Schach, und war fröhlich und guter Dinge, als ob er immer gewönne.
Schon ehe der Doktor angekommen war, hatte mein Vater den Staub, der mich am allerersten als seines Gleichen bewillkommen sollte, in weißes Papier eingesargt; ich glaube, es war ein großer Bogen Postpapier, weil, wenn gleich die Thränen nicht alles zurückhalten können, und vieles in die Luft gesprengt war, doch immer von einer Handvoll Papier ziemlich viel geweihete Asche zurückbleiben mußte.
Es schien mir indessen, da ich zusahe, daß mein Vater diese Asche nur vorderhand in sein Nußbaumschränkchen beisetzte, weil der Paradesarg noch nicht fertig war.
Kaum hatte der Doktor, der unvermuthet nach drei Tagen zum Uhrwerk eines andern Pulses zu reisen nothwendig fand (sonst [97] wär' er länger geblieben), mit seiner Hand meinem Vater und Mutter zum letztenmale einen Kuß zugeworfen und sich tief herausgebogen, kaum war er ihrem Auge entfahren (der Candidat, sein Freund, war eine Stunde früher ohne eine solche feierliche Begleitung und ohne einen Kußwurf abgereiset), fing meine Mutter an:
Der Brief – – – Um Verzeihung, liebe Mutter! warum? Schach dem Könige! warum gleich mit dem Hauptworte? Eine Hauptschlacht ist bei einer solchen Gelegenheit nicht immer das rathsamste. Warum so geradezu und nicht durch ein Strategem? Für Helden, die in einem Jahre die Geographie so unbrauchbar machen können, wie den vorjährigen Kalender, ist freilich kein Strategem; eine liebe Frau Pastorin aber, die keinen Beruf zur Amazonin hat, kann den Vogel im Neste greifen.
Was für ein Brief? erwiederte mein Vater. Mich dünkt eine schlechte Deckung auf Schach dem Könige. Meine Mutter war auf diese Frage unvorbereitet, indessen verlor sie noch nicht den Muth; sie hatte Hülfsvölker in Bereitschaft.
Den du eingeäschert hast, sagte sie, und setzte in einem Tone: mein Kind, dazu, daß man wohl einsah, wie sie, wenn es nicht anders wäre, auch zum edeln Frieden bereit sey. Noch streckte sie indessen nicht das Gewehr. Ich hielt ihn, sagte sie, für einen Brief vom Herrn Doktor Saft (sie nannte ihn Herr, welches sie mit Anwesenden selten that, es wäre denn, daß sie vom Herrn Superintendenten gesprochen hätte; auch die Herren Praepositi hatten schon diesen Vorzug, nur der Bauske'sche und Seelburg'sche ausgenommen, die Dichter hatten alle Herr).
Dieser Brief hat uns alle in Unordnung und Verwirrung gebracht. Ich dachte, Saft sey todt.
Du hast unrecht gedacht, mein Kind.
Aber der Brief, sagte meine Mutter. Sie war einmal in Unordnung, und wie eine Uhr, die unrichtig ist, so lang von eins bis [98] zwölf immerfort schlägt, bis das Gewicht abgelaufen ist, war auch sie mit ihrem: der Brief.
Glaube mir, mein Kind, erwiederte mein Vater, es gibt nicht Aerzte, Wundärzte gibt's hier und da einen. Hier folgte ein langes Kapitel für und wider die Aerzte, wodurch meine Mutter in eine solche Enge gebracht wurde, daß sie nicht aus noch ein wußte.Ehre den Arzt, sagte sie in der Verwirrung; allein welch eine allgemeine Ursache? erwiederte mein Vater; denn der Herr hat ihn gemacht. Wenn dem Arzte keine andere Ehre zukommt, so sind sie eben nicht hochgeehrt! Was thun sie auch? Sie sind unsere Peiniger. Sie suchen eine Ehre darin, daß wir durch ihre und nicht durch die Hand der Natur sterben. Sie sind privilegirte Giftmischer und subtile Todtschläger, die ein Recht promovirt haben, tödten zu können; und wenn's ihnen glückt, wenn sie einen Menschen auf ein halb Jahr befristen, ist's ein Mensch? eine Mißgeburt ist's, ein im Reich der Todten Angeworbener. Wer einen Arzt annimmt, hat vom Tode Handgeld genommen. Aerzte sind seine Werber! Mein Vater sprach den Recepten Ehre und Redlichkeit ab. Hätte die Natur nicht gemischt, wenn die Mischung nöthig gewesen? Er wollte, daß man den Aerzten den Proviant abschneiden und die Apotheken zerstören sollte. Den Arzeneien aus dem Pflanzenreiche ließ er Gerechtigkeit widerfahren. Wenn ein Arzt, fuhr er fort, krank wird, kurirt er sich nicht selbst, sondern ersucht seine Herren Kollegen, Standrecht über ihn zu halten. Er selbst weiß wohl, daß er nichts weiß; indessen mit der Kunst geht's ihm wie einem Lügner mit der Lüge, die er oft und viel für Wahrheit ausgegeben – wie einem Schwarzkünstler. – Der Arzt hält die Kunst am Ende selbst für Wahrheit, und denkt, die Unwissenheit hab' an ihm gelegen. Ein kranker Arzt schickt also zu andern Aerzten, und diese, wenn gleich sie den Kranken wegen seiner zeither geleisteten vielen Wunderkuren, wodurch er sie bei [99] weitem übertroffen, von Herzen beneiden, denken doch, heute mir, morgen dir! und würden dem Herrn Kollegen gern helfen – wenn sie nur könnten. Wenn die Natur sich selbst nicht mehr helfen kann, ich möchte den Arzt sehen, der Naturstelle vertreten könnte? – Wie kann er den Weg wissen, den die Natur will? Geht sie zur Rechten, so will er zur Linken. Geht sie zur Linken, will er zur Rechten, und am Ende – da sie sieht, man traue ihr nicht, man haue sich Brunnen, wo kein Wasser ist, wird sie der Neckerei überdrüssig, und dieß ist das Gericht der Verstockung im leiblichen Sinn. – Am Ende weiß er, was nicht alle wissen wollen, die Signa mortis, obgleich auch selbst hiebei viele Ungewißheiten vorfallen.
Wie meiner Mutter bei allem diesem zu Muthe gewesen, kann ich mir sehr klärlich vorstellen.
Sie wollte indessen noch einmal eine Schwenkung mit der Fahne versuchen; wer weiß, dachte sie, ob sich die zerstreuten Leute nicht sammeln. Sie sagte, was sie schon oft gesagt hatte, und was ich meinen Lesern nicht mehr sagen mag; weiter nichts, als –der Brief – und mein Vater machte ihr ein Gesicht, das ich einem jeden Ehemann als ein probates Hausmittel empfehlen würde, wenn seine Frau zu oftder Brief sagt, und wie eine verdorbene Uhr in einem Zuge von eins bis zwölf schlägt, wär's auch das beste Weib in der Welt und eine liebe – – Ein Gesicht dieser Art hat seinen guten Nutzen. Eigentlich sollte ich nur sagen das linke Auge, denn über das ganze Gesicht darf es sich nicht verbreiten, auch das rechte Auge kann frei bleiben, oder darf diese feindliche Einquartierung nicht einnehmen. Dieß ist das einzigste, was ich einem Manne von seiner Herrschaft zugestehen kann. Es ist dieß Gesicht so sehr von Zorn entfernt, daß der Ehemann hiebei seiner Frau die eine Wange küssen kann.
So oft mein Vater dieses Gesicht machte, blieb meine Mutter plötzlich still, und das geschah oft mitten im Wort, so daß sie zuweilen [100] a – anfing, das ber indessen hatte das linke Auge meines Vaters getroffen. Arme Mutter! wenn du nur besser angefangen hättest. Warum eben »der Brief!«
Kurz, meine Mutter erfuhr nicht, wo der Brief herkäme, und wie's mir vorkam, konnte sie auch nicht einmal auf Spuren kommen; so total war sie aufs Haupt geschlagen. Sie zog ohne Ehrenzeichen aus ihrer Festung, ohne Unter- und Obergewehr, ohne klingendes Spiel, ohne fliegende Fahne, brennende Lunten, Kugel im Munde, und ohne zwölf Schüsse für ihr Gewehr, großes und kleines –
Ich aber war völlig bei mir überzeugt, daß dieser Brief daher käme, wo man die Spargel früher als in Curland ißt, gleich früher in der freien Luft eine Pfeife raucht, den Wein mit der Hand aus der Quelle trinkt, und lange Manschetten trägt.
Wenn man die Augen zuhält, kann man genauer und richtiger überlegen. Zum Erfinden muß man sehen, zum Anordnen kann man blind seyn. Ein großer Kopf, der sehen und blind seyn könnte, wenn's die Umstände erfordern, müßte größer als Homer werden.
Die Umstände, die mein Vater mit dem feierlich verbrannten Briefe machte, und andere während meiner Krankheit von ihm verstreuten Worte, brachten mich auf den Gedanken, daß er von seiner Familie schlechte, unerwartete Nachrichten erfahren haben müßte. Mehr unbekannte Zahlen konnt' ich aus den gegebenen nicht heraus bringen, und gewiß, ich war weiter als meine arme Mutter, die noch nicht einen Finger breit näher vorrücken konnte, als sie ausgezogen. Meine Besserung indessen vergnügte sie so sehr, als sie meinem Vater gleichgültig schien.
Kaum war ich gesund geworden, so ermahnte mich mein Vater, daß ich mich auf die Theologie legen und mehr Fleiß als zeither darauf verwenden möchte. Ein Geistlicher, fing er an, ist der glücklichste Mensch in der Welt. In seiner Seele ist beständig Frühling, wo es weder zu kalt noch zu warm ist. Die Leidenschaften kommen [101] nie bei ihm in gewaltige Bewegung. Dinge der Zukunft sind seine Beschäftigung, und ein Mensch, der nicht von Stande ist, kann keine bessere Lebensart als diese ergreifen, wobei er hoffen lernt. Er beklagte, daß er keine Gelegenheit gehabt, die Grundsprache ex professo, wie er sagte, zu erlernen, segnete das Andenken des Conversus, der ihn jüdischdeutsch gelehrt hatte. Wenn's auch nur wäre, weil der Herr und Meister unserer Religion die hebräische Sprache geredet hätte, sollten wirs thun (nämlich hebräisch lernen) zu seinem Gedächtniß.
Wie vergnügt meine Mutter über diese theologischen Anstalten war, kann man sich sehr leicht vorstellen. Sie dachte nicht weiter an meines Vaters Vaterland, noch an den eingeäscherten Brief.
Lobt Gott mit Herz und Munde
sang sie, und mein Vater sang den andern Diskant:
Für das er euch geschenkt;
Das ist ein' sel'ge Stunde,
Darin man sein gedenkt,
Sonst verdirbt alle Zeit,
Die wir zubring'n auf Erden,
Wir sollen selig werden
Und bleib'n in Ewigkeit.
Wie sehr sich alles im Pastorat nach diesem änderte, kann ich nicht beschreiben. Gegen die vorige Zeit war kein Stein auf dem andern. Alexander und Darius ward nicht mehr gespielt.
Mein Vater, der sehr für die Quellen war, lehrte mich die christliche Religion aus der Bibel, die wenigsten lernen sie draus, pflegte er zu sagen. Das, was dir abgeht, fuhr er fort, werden dir die Schriftgelehrten beibringen. Er schien selbst nichts mehr zu wissen, als was die Fülle seines Herzens und eine andächtige Lesung der heiligen Schrift in ihm gewirkt hatte.
Von seinen vorigen Heldenthaten blieb ihm noch ein gewisser [102] Ausdruck; er nannte ihn adelich – er war feierlich dem Gedanken treu und nicht jedermanns Ding. Dem Adel und dem weltlichen Arm blieb mein Vater getreu bis in den Tod. Ich nahm täglich in Kenntnissen der Schrift zu, wenigstens war mein Herz ein Schriftbefolger. Meiner Mutter zu gefallen, mußte ich meines Vaters Kragen anlegen, und ein andermal seinen Mantel, und dann wieder ein anderes geistliches Kleidungsstück anpassen, damit sie sähe, wie es mir ließe. Eines Tages, da mein Vater viel Beichtkinder hatte, und ich meiner Mutter zu Ehren bis auf die neue Perücke meines Vaters zum Geistlichen investirt war, fing der Gedanke, der schon oft wie die Sonne auf- und untergegangen war, hell zu scheinen an. Ist es denn nicht möglich, sagte sie, daß ich dich, ehe du auf Universitäten ziehest, predigen hören kann?
Die Brodstudien haben mit den Handwerkern alles nur mögliche gemein, und meine Mutter hatte nicht ganz Unrecht, daß sie auf ein Gesellenstück bestand, ehe ich losgesprochen werden sollte. Es war ausgemacht, daß ich über einige Zeit als Geselle auf meine Künste und Wissenschaften reisen, oder, wie man es in Curland nennt, ausreisen und das Haus meines Vaters verlassen sollte. Mein Vater war einen Sonntag gegen Abend recht vergnügt, und überhaupt pflegte er nach abgelegter Sonntagsarbeit, wie ein Taglöhner alle Abend ist, zu seyn. »Das,« sagt' er selbst, »hat ein Taglöhner vor mir voraus, daß er so alle Abend ist; allein meine Freude ist eine Sabbathsfreude.«
Dieser Sonntagsfreude bediente sich meine Mutter, die ihm um diese Zeit die Gesichtsbewegungen seiner Zuhörer zu erzählen pflegte, die sie bei dieser oder jener Stelle seiner Predigt bemerkt hatte.
Was denkst du, mein Lieber! fing sie an, wär' es nicht gut, daß unser Sohn Alexander Einhorn (Alexander sagte mein Vater), ehe er uns verläßt, eine Predigt hielte? Eine Predigt? sagte mein [103] Vater, und schwieg stille, nicht aber, als ob er abbrechen wollte, sondern weil er sich nicht so geschwinde auf eine Antwort besinnen konnte. Da nun meine Mutter sein Stillschweigen eben so verstand, klopfte sie zum andernmal an, und balgte sich mit allen Zweifeln meines Vaters, die ohnedem alle sehr leicht nachgaben, weil er selbst keine Lust zu zweifeln hatte. Der alte Herr beging hiebei einen tückischen Streich, denn da ihn meine Mutter über diese Sache ebenfalls zum Vertrauten gemacht hatte, schlug er ihr den fünften Vers aus dem zehnten Kapitel des zweiten Buchs Samuelis zum Text vor. »Ich will's vortragen, Herr Cantor Herrmann,« sagte sie. Sie hielt Wort, und da man nachschlug, fanden sich die Worte: »bleibet zu Jericho bis euch der Bart gewachsen ist, so kommet dann wieder;« das war gewiß mehr als eine Schneidernadel! Dominica III. post Epiphanias ward beschlossen, daß ich Dominica Judica meine erste Predigt in unserer Dorfkirche ablegen, oder, wie es meine Mutter in der Sprache ihrer Ahnherren nannte, mich hören lassen sollte. Ich entwarf die Predigt selbst, mein Vater gab das Imprimatur, nachdem er sie befeilt hatte. Meine Mutter sonderte mir die Lieder aus. Dieses macht' ihr viele Mühe. Ein Lied war um einen Vers zu lang, ein anderes war wieder um einen zu kurz; bei manchem war die Melodie nicht der ersten Predigt angemessen, bei noch einem war noch was anderes zu bedenken: endlich getroffen. Ich habe den sehr bescheidenen Autorausdruck: befeilen, gebraucht, die Wahrheit aber zu gestehen, that mein Vater mehr. Ich hatte den Styl so sehr von den Feldreden beibehalten, daß alles Trommel und Trompete war, und zum Kammerton herabgestimmt werden mußte.
Bei der Nutzanwendung z.E. gab ich Kanonenfeuer auf die Sünder, ich versicherte sie, daß sie im Pfuhl, der mit Pech und Schwefel brennt, o Solon! Solon! rufen würden. Den Pech und [104] Schwefel strich mein Vater, und setzte: in den Flammen des Gewissens. Den Solon, Solon ließ er stehen.
Die ersten vierzehn Tage erzählte meine Mutter mir vielerlei Begebenheiten, die ihren verstorbenen Hochwohlehrwürdigen Ahnherren begegnet, und durch die Tradition bis auf den heutigen Tag unverloschen bei der Familie geblieben wären. Ein Literatus hätte nämlich sehr pathetisch seine heilige Rede angefangen, allein er wäre gleich beim ersten Theile in die Irre gerathen. Mein seliger Aelter- oder Großvater hätte ihm lateinisch zugerufen: ab initio (von vorn) und der Literatus wäre wieder nur bis auf diese unglückliche Stelle, wo er schon einmal den Faden verloren, gekommen. Noch einmal hörte der nun Trostbange die Stimme ab initio, und da er wieder diese unglückliche Stelle berührte, fiel (meine Mutter sagte dieß mit vieler Theilnehmung) ihm das Amen zu rechter Zeit ein. Das Dorf, welches das ab initio für bravo! gehalten, hatte dem Herrn Candidaten, der aus Angst gewaltig geschwitzt, das Zeugniß beigelegt, lange keine so gute Predigt gehört zu haben.
Ein andrer Candidat hätte aus Angst die Kanzel verfehlt, und anstatt beim letzten Wir glauben all' auf die Kanzel zu steigen, wär' er geradezu aus der Kirche gegangen. Mein lieber Herr Großvater hätte also ex tempore seine Gemeine bewirthen müssen. Ein dritter hätte die vierte Bitte zweimal gebetet, woraus man geschlossen, daß er zwei Magen hätte. Noch ein dritter hätte, und dieß schien ihr die traurigste Begebenheit zu seyn, das Vater Unser nach der Predigt zu beten vergessen. Der arme Mann! Er hat keine Kanzel weiter bestiegen. Dein lieber seliger Großvater rieth ihm zu einer andern ehrlichen Handthierung, indem derjenige, der vergäße das Vater Unser auf der Kanzel zu beten, mit Zuverlässigkeit es als ein Omen ansehen müßte, daß er nie mit Ruhm in den Priesterorden aufgenommen werden könnte.
Endlich wär' es einem in der Predigt vorgekommen, der Herr [105] Pastor, der mit ihm in die Kirche gekommen, sey in ein Bildniß, wie Loths Weib in eine Salzsäule, verwandelt. Die Geschichte verdient gelesen zu werden, obgleich sie nicht in der Familie meiner Mutter sich begeben hat. Der Herr Pastor hatte sich bei lebendigem Leibe in Lebensgröße malen lassen, und dieses Bild war so getroffen als die Trauben desZeuxis, welche die Vögel lüstern machten. Der Herr Pastor war da mit Leib und Seel.
Damit ich meinen Lesern die Bemerkung meiner Mutter nicht verhalte, so kam die Ehre der Aehnlichkeit nicht dem Künstler, sondern dem Herrn Pastor zu. Er hatte etwas im Gesicht von Karl XII. und Martin Luther, die jeder Töpfer trifft, wenn er sie auf den Teller hinwirft, und die der liebe Gott mit einem besondern Gesicht ausgerüstet hat. Ich, sagte sie, möchte sie treffen, obgleich ich nicht weiß, was ein i-strich in der Malerei ist.
Beim zweiten Theil fällt dieses Bild dem armen Candidaten ins Auge. Wer eine Predigt im Kopfe hat, und zum erstenmal pro candidatura sich hören läßt, kann nicht alle Ideen in ihre rechte Fächer bringen. Ein Duodezbändchen kommt dann wohl zum Folianten zu stehen. Dem armen Mann kommt's vor, er sähe ein Gesicht, er wird bleich, und mit den Worten: Herr Pastor, Herr Pastor, Herr Pastor, die immer schwächer nach dem Grade der Ohnmacht werden, fällt er rückwärts von der Kanzel. Doch Gottlob! setzte sie hinzu, ohne sich weiter am Leibe Schaden zu thun.
Die Woche vor der letzten ließ meine Mutter nach, ihre Gespensterhistörchen zu erzählen.
Ich wußte die Predigt ganz fertig und war gezwungen, aus kindlicher Liebe, wiewohl gegen ein schönes Stück geräucherten rohen Schinken pro honorario, gerad' unter dem schon genug gepriesenen Bildniß, das ich mit Ehren dem Himmel zugebracht, Probe zu halten.
[106] Dieser Ort war Kebla für meine Mutter. Nach meiner Meinung war dieses eine Goldprobe. Bin ich hier bewährt und komm' ich in der Speisekammer nicht aus dem Concept, wo mich der Geruch auf allerlei Dinge führt, wird es in der Kirche noch besser zum Amen kommen. Es ging in der Speisekammer alles bis in den dritten Theil gut. Da warf der Wagen um. Meine Mutter fiel nicht mit ab initio ein; allein nach glücklich erreichtem Ende sagte sie mir im Vertrauen, daß mein Vater weit besser gethan haben würde, es bei drei Theilen bewenden zu lassen. Er hat ja selbst, setzte sie hinzu, im vorigen ganzen Kirchenjahre nur ein einzigesmal vier Schüsseln oder Theile aufgetragen. Indessen war der vierte Theil so wenig Schuld daran, als ich mein Schnupftuch zu Hülfe nehmen und husten mußte, daß mich vielmehr der angenehme Rauchgeruch aus der Fassung brachte. Ich besann mich bald wieder, und meine Predigt kam in der Speisekammer mit vielem Beifall zum Ende. Meine Mutter hatte herzlich geweint. Wie ich die Sünder anredete, mußte ich das Gesicht gegen die weißen Erbsen wenden (sie waren dieses Jahr sehr wurmstichig). Sobald ich aber von diesen auf die Frommen kam, die ich in meiner Predigt meine Brüder nannte, mußt' ich das Gesicht meiner Mutter zukehren, welche anfänglich durchaus verlangte, ich sollte auchmeine Schwestern dazu setzen, bis ich sie durch die heilige Schrift selbst auf andere Gedanken brachte. Sie umarmte und segnete mich, wiewohl wieder zweigliedrig mit beiden Händen, so daß jede Hand ein Segensstück sich zueignete. Die Zeit der Ernte ist vorhanden! sagte sie, weißt du noch, was ich dir hier an dieser heiligen Stätte gewünscht habe? Meine Ermahnungen sind auf ein gut Land gefallen. – –
Ueber diese Zurückerinnerungen bei diesem Erntefest vergaß ich das Stück rohen Schinken, welches mir meine Mutter für diese Cabinetspredigt versprochen hatte. Sie selbst hatte bei der in der [107] Speisekammer genossenen Seelenspeise den Leib ganz und gar vergessen. Ich habe indessen diese Schuldpost mit Zinsen usque ad ultimum solutionis momentum zurückerhalten. Die ganze letzte Woche vor der Predigt wurde von meiner lieben Mutter so wie der heilige Abend vor einem der drei hohen Feste angesehen. Sie feierte Weihnachten, Ostern, Pfingsten meinetwegen auf einmal, und alles ging auf Zehen. Am Freitage führte mich mein Vater zwischen zehn und eilf des Abends in die Kirche, und setzte mich mit meiner Mutter, die eine kleine Laterne in der Hand hielt, in seinen Beichtstuhl. Ich wurde durch diesen Schein der Lampe in ein so heiliges Feuer gesetzt, daß ich meine Predigt mit einer solchen Rührung ablegte, als ich bei der ordentlichen Ablegung nicht empfand, bei welcher ich nur auf die Gesichtszüge dieses oder jenes merkte, und insbesondere nicht vergaß auf Nr. 5 zu sehen, wo mein liebes Minchen saß.
Im Vorbeigehen will ich bemerken, daß wenn gleich Minchen aufgehört hatte die königliche Prinzessin und ich Alexander zu seyn diese alte Liebe, wiewohl unter anderm Namen, fortgelodert habe.
Mein Vater war außerordentlich mit dieser Predigtprobe zufrieden. Predige, so lange du lebst, mit einer solchen Rührung, mit einem solchen Gott ergebenen Herzen, sagte er, so wirst du dir und denen nützlich werden, die dich hören.
Diese Probe in der Kirche war inzwischen, so spät sie auch anfing, einem Paar Leuten aus unserm Dorfe nicht entgangen. Die Laterne in der Hand meiner Mutter hatte einen solchen Wiederschein geworfen, daß in der ganzen Gemeine das Gerede ging, es würde sich ein bedeutender Todesfall ereignen, welches auch nach einer geraumen Zeit durch das Ableben eines Cavaliers unsers Kirchspiels und der Frau des alten Herrn in Erfüllung ging.
Am Sonnabende vor der ersten Predigt war im Pastorat alles so feierlich still, als es noch nie gewesen; meine Mutter sagte [108] selbst, »wie vor der Erschaffung der Welt.« Meine Mutter hatte die Lieblingsschüsseln auf den andern Tag für mich bestellt, und entdeckte mir wohlbedächtig schon Sonnabends am Hühner-oder Polterabend, womit sie mich Sonntags erfreuen würde. Auch der liebe Gott, setzte sie hinzu, erfreut seine Kinder in dieser Welt mit leiblichen Gaben. Wer am ersten nach seinem Reiche trachtet, erhält diese Zugaben und empfähet sie mit Danksagung und Wohlgefallen.
Bald hätte ich einen Zug vergessen, der mir sehr rührend und eben so lächerlich vorkam. Ungefähr um eilf Uhr in der Nacht auf den Sonntag, da meine Mutter in der festen Meinung war, ich sey schon eingeschlafen, kam sie in meine Kammer, und nachdem sie das Concept zu meiner Predigt sehr andächtig aus der Bibel genommen, legte sie's mir unters Kopfkissen, murmelte einige mir unverständliche Worte und ging davon. Schon war ich im Griff nach der Hand dieser lieben Mutter, um sie zu drücken und zu küssen. Ich konnte diese – ich will sie Brautnacht nennen, nicht schlafen, und war also ein Augenzeuge von diesem Vorgange, wenn ich gleich meine Augen bis auf ein kleines Ritzchen verriegelt hatte.
Des Morgens erfuhr ich den Aufschluß dieser Ceremonie, die sich von der Schwester der Mutter meiner Mutter herschrieb, welche behauptet hatte, daß das Concept unterm Kissen sehr das Gedächtniß stärke. Ich glaub's nicht, fügte meine Mutter hinzu, indessen ist's in der Familie beibehalten bis auf die vorige Nacht.
Ich hielt meine Predigt mit erwünschtem Glücke, allein ohne Rührung, indem, wie ich schon bemerkt habe, mein Auge herum wankte und bei Nr. 5 sich lagerte.
Ich sah ein, was mein Vater oft zu behaupten pflegte. Ein Geistlicher muß wie ein Vater zu seinen Kindern reden. Wenn er sich's aufschreibt, muß er's nicht der Gemeine, sondern seines [109] Gedächtnisses wegen thun. Auch ein Vater macht sich wohl ein Promemoria, wenn er viel mit seinem Sohne zu sprechen hat.
Meine Predigt nannte er eine Kirchenchrie, ein Exercitium, und sehr richtig.
Wer, pflegte er zu sagen, sich ein Gebet auswendig lernt, spottet Gott des Herrn. Entweder muß man gar nicht auf der Kanzel beten, oder man bete nach der göttlichen Vorschrift: »ihr sollt nicht viel plappern.« Sonst war mein Vater der Meinung, daß junge Leute nicht eher die mindeste Ausarbeitung machen sollten, als bis sich ihre Seele entfalten könne. In jedem Menschen, sagte er, liegen Zurüstungen und Triebfedern zu allen Charakteren. Die erste Schrift die ein junger Mensch entwirft, muß der Kupferstich seiner Seele seyn. Notabene der Kupferstich. – Wer die Tropen und Figuren erfand, erfand Masken für Diebe, Verräther, Mörder und Ehebrecher. Man schreibt sich jetzt nicht aus, wenn man schreibt, sondern man hat eine Vorschrift. – Auf die erste Predigt ist wenig von dem, was ich gesagt habe, zu deuten. Schwerlich, wenn sie auch ohne Lineal gemacht wird, kann daraus mehr erhellen, als ob der junge Mensch zum Gesetz-oder zum Evangelienprediger gedeihen werde.
Meine Mutter hätte gern gesehen, wenn ich ein Paar Verse nach mütterlicher Weise eingewirkt hätte, allein es ging ihre Meinung nicht durch. Warum predigt man denn nicht mitten im Liede? fragte mein Vater. Meine Mutter konnte nichts dagegen singen.
Alles, was man wünschen konnte, wünschte mir Glück, nur Minchen nicht, diese ging aus Nr. 5, als ob sie nichts gehört hätte. Ihr Scherflein, ein verstohlener Blick, galt aber mehr, als alle übrige klingende Münze. Sie hatte mich nach dieser Predigt noch lieber als ehemals, ohne daß ich einsehen konnte, was eine Predigt auf die Liebe für einen Einfluß haben könne.
Nach der Zeit erklärte ich mir dieses Räthsel. Das Frauenzimmer [110] liebt Leute, die öffentlich reden und Geschäfte treiben; vielleicht weil es Herzhaftigkeit verräth, vielleicht weil die Ehre, die auf den Verehrten fällt, auf sie zurückprallt. Kurz ich gewann beiMinchen. Ich hatte sie in der Predigt angesehen, ich hatte Gott in der Kirche (so kam es ihr vielleicht vor) hierdurch zum Zeugen unsrer Liebe angerufen. Wir waren nur eine Seele vor der Predigt, nach der Predigt war ich der Mann ihrer Seele und sie das Weib der meinigen. Im Küssen kamen wir uns nach dieser Predigt oft auf dem halben Wege entgegen, an mehr dachten wir beide nicht.
Der alte Herr wollte wieder mit einem Spruch bei meiner Mutter gut machen, was er mit einem Spruch verdorben hatte. Man kann vom jungen Herrn, versicherte er, nicht sagen, was man vom Herrn Pastor in – sagte, der die Gemeinde von seinem Herrn Vater erbte, und mit ihr des Vaters Concepte. »Alles, was der Vater hat, ist sein, und von dem Seinen wird er's nehmen, und euch verkündigen.«
Meine Mutter sprach gleich nach eingenommenem Mittagsmahl von Universitäten, allein mir schienen Universitäten ein sehr unnöthig Ding zu seyn. Ich wiederholte ihr das, was mein Vater darüber verkündigt hatte.
Müssen denn alle Bäume, die ihr Haupt emporheben sollen, ehe sie an Stelle und Ort kommen, in einer Baumschule ihre Jahre stehen? Wo Gott und die Natur ist, da ist eine hohe Schule. Gott wohnet nicht in Tempeln, mit Menschenhänden gemacht, nicht in Jerusalem, sondern in ihm leben, weben und sind wir.
Wer läugnet, daß auf Universitäten geschickte Männer sind; allein ich glaube, daß ein geschickter Mann sein Licht nicht bloß auf der Universität leuchten lassen, sondern schreiben werde. Professor Sokrates schrieb nicht; allein, es schrieben andere für ihn,[111] und sobald ein Professor schreibt, warum sollen wir hin, ihn zu sehen? – Warum soll ich einen Geistlichen bitten, die Predigt zu halten, die gedruckt ist? Ist's wo, damit ich reden höre, kann ich denn nicht laut lesen?
Da griff mich meine Mutter. Dein Vater und sein Wort in Ehren, nur in diesem Stücke hat er Grundsätze, daß man beinahe glauben sollte, er wäre auf keiner Universität gewesen.
»Wollte Gott, er wär's nicht, denn in Wahrheit, er verdient so sehr Pastor zu seyn, als die auf zehn gewesen sind.«
Alles gut, allein beim Hebräischen stehen die Ochsen am Berge.
»Ein Conversus.«
Sag mir nichts vom Conversus, Gott leite den unsrigen auf meinen Instruktionswegen! Besser wär's für ihn gewesen, wenn ich ihn schriftlich instruirt hätte. Was kann (um auf deinen Vater zurück zu kommen), was kann, im Grund genommen und aus der Tiefe geschöpft, was kann ein Conversus? Muß man nicht in die Kirche, obgleich Predigtbücher feil sind?
»Doch nicht jeder?«
Nicht jeder?
»Nein.«
Nicht?
»Der Prediger.« –
Hätt' ich meiner Mutter einen Augenblick Zeit bei dieser Antwort gelassen, wär' ich verloren gewesen, allein ich erklärte mich, daß ein Prediger nicht hörte, sondern redete, und mithin eigentlich nicht in der Kirche wäre.
Diese Erklärung öffnete ihr viele Gelegenheit, mich zu überzeugen, daß er erst sich und dann andere zu bekehren zur Pflicht hätte, wie er denn sich auch selbst hörte, im Fall er nämlich nicht taub wäre. Ich oder eigentlich mein Vater fuhr fort:
[112] »Es ist unmöglich in drei Jahren alles zu lernen, was fünfzehn Professores wissen.«
Wer sagt's, antwortete sie, du sollst nur erfahren, wo du weiter nachschlagen kannst.
»Das sagt mir aber jedes Register.«
Das liest du in jedem Register, willst du sagen.
»Und liebe Mutter! unsere jungen Herren, die von Universitäten kommen? – –«
Alles recht, allein du sollst ein Vorbild werden der Heerde – du hast Talente, die müssen auf einer privilegirten Wage gewogen und das Gewicht durch ein beglaubtes Testimonium bezeichnet werden. Es wird in schönem Latein gegeben.
Die Talente brachten mich auf ein weites Feld, ich sagte zwar nichts, was nicht mein Vater schon öfters gesagt hatte; ich sagte aber, wovon ich überzeugt war. Man klagt überall über Unterdrückung der Talente, und daß so viele Lichte unterm Scheffel bleiben. – »Glaubt's nicht,« pflegte der gute Mann zu sagen. »Wer ein recht Talent hat, brennt sich durch den Scheffel durch, dessen Flamme so weit nicht reicht, bleib' unterm Scheffel, oder bleib im Lande und nähre sich redlich.« Muß denn, wer ein Talent hat, gleich ein Buch schreiben? Kann man nicht ein Talent haben und den Pflug führen? Ein Talent ist Hefen. – Er macht, daß sich der Teig hebt, wenn er herein gelegt wird.
Protagoras, der Taglöhner, legte und band sein Holz so künstlich, daß er dem Demokritus ins Auge fiel, der ihn die Wissenschaften so legen und binden lehrte, und so findet jeder Protagoras seinen Demokritus, obgleich noch die Frage bleibt, hat Demokritus dem Protagoras eine Last abgenommen oder aufgelegt?
Niemand als Minchen machte mich so beredt, und da endlich meine Mutter mir entgegensetzte, daß, wenn ich nicht auf Universitäten gewesen, ich nicht Pastor werden könnte, kam ich auf andere [113] Gedanken, und das (wie zuvor) auch Minchens wegen. Ich sah, wie ein Erleuchteter, auf einmal alle Gründe meiner Mutter ein, und hatte keinen Zweifel mehr als den: Muß denn jeder in der Fremde als Gesell arbeiten und wandern, eh' er Pastor wird? Diesen Zweifel löste mein Vater.
Was er wider die Universitäten gesagt hatte, war vorm Brande geschehen. Jetzt war er zwar eben kein Apologist der hohen Schulen, denn so sehr konnt' er nicht seinen Grundsätzen untreu werden; allein er war der Meinung meiner Mutter, die ihn sehr bat, mir andere Gedanken einzuäugen, die aber schon wirklich, ohne daß es meine Mutter gemerkt hatte, bei mir in Blüthe standen.
Kinder, sagte mein Vater, sollte man keinem Menschen anvertrauen, der nicht auch Kinder hat oder gehabt hat, so wie man keine Hebamme anzunehmen pflegt, die nicht weiß, wie es einer Gesegneten zu Muthe sey. Wenn ich ja einem Arzt ein Ohr zuneigen sollte, ich sage mit Fleiß ein Ohr – obgleich ich Gott lob beide brauchen kann – müßte er selbst die Krankheit haben, die er curiren will. In diesem Fall wird mir ein Hufschmied und eine entzahnte Matrone eben so willkommen, als ein rother Mantel seyn.
Seht da! warum ich dem alten Herrn, der Schuster, Schneider und Töpfer ist, alle diese Handwerke auf Herz und Seele der ihm anvertrauten Jugend anzuwenden gestatte. Sein Sohn Benjamin und seine Tochter Wilhelmine haben ihn examinirt und tüchtig befunden. Es sind gut gezogene Kinder.
Bei dem Worte Wilhelmine zog ich mein Schnupftuch aus der Tasche, ohne sonst zu wissen warum, als des Namens Wilhelmine wegen.
Man muß alles von sich anfangen. Selbst wenn die Schulgelehrten die Existenz Gottes beweisen wollen – Schande ist's zu sagen, daß sie's wollen – fangen sie von sich an: ich bin, sagen sie, [114] also ist auch Gott der Herr. Es sind gewisse Geheimnisse, welche die Natur, obschon der Kunst viel verrathen worden, doch für sich behält, und dahin gehört die Kinderzucht. Man wird in dieses Geheimniß allein durch die Vaterschaft initiiret. Ich glaub' es steif und fest, daß jeder Vater, wär's gleich ein Bürstenbinder, und jede Mutter, wär's gleich eine Bürstenbinderin, ihre Kinder erziehen können, und es also nicht nöthig haben, andern Unterricht für die kleinen Bürstenbinderchen in einem öffentlichen Laden zu kaufen. Wie sollte wohl die Natur so ungerecht seyn, das Größere zu geben und das Kleinere zu versagen? Du weißt, Alexander, was dein Vetter, der große Summus Alexander (an diese Vetterschaft hatte er lange nicht gedacht) seinem Lehrer, dem Summus Aristoteles für ein Compliment machte, im rechten Sinne ein Compliment: er hätte ihm mehr als seinem Vater Philipp zu danken. Sobald Alexander bleiben wollte, was sein Vater war, hatte er Unrecht. Wollte er aber die Grenzen seines Reichs erweitern, und nicht Bürstenbinder bleiben, setzte meine Mutter hinzu, hatte er Recht. Da liegt der Grund von dem Leben der Erziehung. Der Vater, der aus seinem Sohne mehr machen will, als er selbst ist, muß freilich einen andern Weg einschlagen. Indessen sollte dieser andere Weg keinem Vater verstattet seyn, der nicht Alexanders zu Kindern und Aristoteles zu Lehrern aufweisen könnte. In diesem Falle müßte, aller Beispiele vom Gegentheile ungeachtet, die Jugend, die Gnadenzeit, der Morgen nicht versäumt werden.
Der Staat braucht viel Hände, aber wenig Köpfe. Ein politischer Kannengießer ist ein schlechter Kannengießer und ein schlechter Bürgermeister; die Kenntnisse des gemeinen Mannes müssen bei der Hand bleiben und nicht bis zum Kopfe kommen. Wer dem Menschen das Denken nehmen will, setzt ihn herab. Denken kannst du, du kannst denken, das Grübeln, das Weiterhinausdenken als vier und zwanzig Stunden, zwölf in die Länge und zwölf in die [115] Breite, ist dem Menschen schädlich, und Tinte und Feder, Papier und Presse sind eben solche Verheerer des menschlichen Geschlechts, als Bomben, Kartätschen und Pulver und Schrot und Büchsen und Säbel.
Mein lieber Vater war über diesen Gegenstand ein Verschwender, er gab ungezählt – ich will bedachtsamer zu Werke schreiten und mit geiziger Kürze nur etwas von seinen Grundsätzen ausgeben. Der Himmel gebe, daß es lauter seltene Schaustücke wären, ich würde sie meinen Lesern herzlich gönnen.
Daß jeder Kinderlehrer verheirathet seyn müsse, wissen wir schon. Man hat, sagt' er, lange auf Verbesserung der niedern Schulen gedacht, und freilich müssen diese eher verbessert werden, als hohe, wo du, mein Sohn, dein Heil versuchen sollst; allein man sollte noch eine Stufe heruntertreten und mit der Verbesserung der Mütter dieses gute Werk anheben. Man sollte Töchter ziehen, ehe man noch an Söhne kommt. Jetzt ist die Erziehung, wenn man an die Männer appellirt, gemeinhin schon in der ersten Instanz von unwissenden und ungeschickten Sachwaltern verdorben, und die Kur einer von der Mutter verfälschten Seele. – Was in so vielen Generationen verdorben ist, muß wieder allmählig verbessert und zu seinem anfänglichen Wesen gebracht werden. Desperate Mittel sind eben so viel gewisse Morde. Bliebe der Mensch bloß Mensch, er müßte sehr alt werden und beinahe unsterblich seyn. Jetzt aber, da ihn die Vernunft verleitet, von der Landstraße bald zur Rechten, bald zur Linken abzuweichen, und theils seinem Leibe, theils seiner Seele zu viel zu thun, fällt er eher wie ein wurmstichiger Apfel ab. Er hat einen Wurm, der ihn zehrt.
Den rechten Weg abzustecken und auf dessen Erhaltung zu sehen, wäre die Pflicht der Gelehrten. Sie sollten Wegcommissärs für das menschliche Geschlecht seyn. Wer einmal den rechten Weg verschlägt, kommt immer weiter vom Ziele.
[116] Ein Vater kann mehr als ein Kind haben und ein Lehrer mehr als einen Schüler; allein seht euch nur um. Der von zehn Jahren ist eben so weit als der von fünfen.
Man kann den Privatunterricht nicht verachten. Schulen haben ihr Gutes; der Privatunterricht, der der Natur näher verwandt zu seyn scheint, auch.
Elementarbücher sind sehr gut, allein ein Elementarlehrer ist noch besser. Für wen sollen Elementarbücher geschrieben werden? für Genies, oder für Mittelmäßige, oder für Marode? Will man sie für Mittelmäßige schreiben, um die Mittelstraße nicht zu verfehlen, auf der viele wandeln, leiden andere, die den schmalen Weg anzutreten Herz haben und die enge Pforte nicht scheuen weil sie zum Leben führt. Die Bibel ist das einzige Buch, das für alle Menschen paßt, ein göttliches Elementarbuch.
Ein poetischer Kopf darf nur vieles durchblättern, von allem nimmt er Zoll. In der ganzen Natur schreibt er Schatzung aus. Er befindet sich in den Wissenschaften auf Reisen, wo ihn oft etwas aufhält, worauf der Eingeborene, das Landeskind, der Philosoph nicht kommt. Ein denkender Kopf weiß weniger, allein seine Aecker kennt er auf ein Haar. Er thut, wenn ich so sagen darf, was der Dichter weiß. Ein großer Kopf ist eine Mischung von beiden. Selig sind, die wissen! Seliger die thun! Und am seligsten die wissen und thun! So viel Köpfe, so viel Sinne; so viel Alexander, so viel Welten; so viel Planeten, so viel Bahnen; so viel Genies, so viel Methoden.
Es ist unerhört, daß unsere Schulhalter lauter Geistliche sind. Sehr klug für die Geistlichen, besonders in der monarchischen Kirche. – Unsere Knaben werden alle erzogen, als ob sie Schulmänner werden sollten, unsere Töchter, wenn's köstlich gewesen, als Mamsells (als französische Hofmeisterinnen).
Jedes Mitglied des Staats muß sein Votum haben, wenn [117] eine allgemeine Schulanstalt im Staate erbaut werden soll. Bei Töchtern dürfen nur drei ganz gewöhnliche Weiber votiren. Diese Weiber müssen gesund seyn, jede einen Sohn und eine Tochter haben, auch NB. jede nur einen Mann. Jünglinge haben viele Zwecke; Mädchen nur den, Weiber und Mütter zu werden. Ein gutes Weib ist auch immer eine gute Mutter.
Schule und Welt ist jetzt zweierlei. Schulbegriffe sind mit einem Worte solche, denen die Erfahrung widerspricht. In der Schule sind Worte. Sachen, Nadel und Zwirn sind ein Kleid, Mittel ist der Endzweck.
Schullehrer! bleibt nicht auf der Bank mit euren Schülern, sondern zieht mit ihnen in die freie Luft der Natur, werdet Peripatetiker. Lehrt sie im Angesicht Gottes – oder laßt sie nur herumgehen; die Natur selbst wird sie besser unterweisen als ihr, wenn ihr Gottes Wetter nicht ertragen könnt.
Die Gabe zu unterrichten (donum docendi) hat jeder Mensch. Wer durch die rechte Thür gekommen ist, wird auch wieder durch die rechte Thür herausfinden. Wer eine Treppe in die Höhe steigen kann, wird sie auch herabsteigen. Bergab ist immer leichter. Wer eine Sache halb weiß, kann nur ein Viertheil beibringen. Wer nur ein Viertheil weiß, ist ein Miethling. – Je länger ich studire, je kürzer ist die Predigt. Bedenkt den Haufen Holz, und Stein, und Ziegel, und Dachpfannen, und Glas, und Kalk und tausenderlei, eh' es ein Haus wird. Steht das Haus; alles hat sechzig Fuß in die Länge und dreißig Fuß in die Breite Raum.
Je schöner aber die Rede, desto weniger behältst du. Das Gedächtniß hat keine Zeit, anzuhalten, keine Ruhe. So was Schönes kann nur die Kunst machen, wo kein Punkt, kein Komma, kein Semikolon ist. In der Natur hat die Sonne selbst Flecken. Ein Dichter hat das kleinste Donum docendi, setze ihn auf einen[118] Lehrstuhl, auf welchen du willst. Er wirst Strahlen, allein die meiste Zeit ist er umwölkt. Aratus hat ein berühmtes Gedicht über die Astronomie geschrieben, ohne daß er sie verstand. Er würde kein Gedicht, wenigstens kein berühmtes darüber geschrieben haben, wenn er sie verstanden hätte. So nachlässig der Anzug eines Dichters ist, so sieht's auch mit seinem Wissen aus. Da fehlt ein Hemdknöpfchen, da hat das Kleid einen Kaffeeflecken und an den Beinkleidern fehlt vorzüglich bei jedem Dichter was. Bitt' ihn, sein Stubenfenster zuzumachen, er riegelt nichts zu, er zieht nur an. Es ist kein gemeines, sondern ein heiliges Dunkel, so den Dichter umgibt. Eine schöne Dämmerung, und nach Bewandtniß der Umstände Morgen oder Abend.
Wer vielerlei weiß, ist biegsam, wer einerlei weiß, ist stolz. Jener steht ein, wie viel ihm fehlt, dieser ist ein Hahn auf dem Miste.
Haben wir mehr Wege zur Seele als Empfindung und Reflexion? Wer dieß die hohe und jenes die untere Schule nennt, hat sich übel erklärt.
Das Wohlfeile, das Schlechte dieser Erziehungsanstalten meines Vaters ist, mich dünkt, sehr auffallend; es sind alles Hausmittel (simplicia).
Allein bei alledem, lieber Vater, ist dieß nichts mehr als eine gute Unterlage. Noch bist du nicht immatriculirt, und meine Leser haben von Mutterleibe ausgehen müssen, um endlich auf die Börse der Gelehrsamkeit zu kommen, wo der Cours
vls. bestimmt und Dukaten und harte Thaler nach der Zahl der Liebhaber gewürdigt werden. Die Herren Geistlichen machen sich in jeder Predigt eine kleine Bewegung vom Paradiese aus, und keuchen daher gemeinhin, wenn sie an die Herzen ihrer lieben Gemeinde anklopfen. Wenn mein Vater nur nicht keucht, anstatt daß er von der Leber wegreden sollte. Den Stand der Unschuld, den Stand [119] der Sünden, den Stand der Gnaden und den Stand der Herrlichkeit wollen wir ihm verzeihen.
Die Akademien, mein Sohn (Gottlob, Land!), sind gut und nicht gut, so wie alles in der Welt. Niemand ist gut als der alleinige Gott.
Die Akademie ist das, was bei den Zünften und Handwerkern die Fremde ist.
Ich habe nie, das weißt du, der Akademie gejubelt und Lobopfer gebracht, allein auch nie habe ich mich wider sie durch eine niedergelegte Akte verwahrt. Die Wahrheit zu gestehen, wollt' ich mit dir anfänglich zum andern Thore hinaus. Es hat große Leute auf Akademien gegeben, obgleich Newton ein Münzmeister, Copernikus ein Domherr und Leibnitz ein Hofmann war.
Mein Vater warf die Frage auf, wer auf der Universität den Kürzern zieht, der Lehrling oder der Lehrer? Allein wenn er gleich über den Lehrer länger als über den Schüler den Kopf schüttelte, so sah er doch auf den Schüler in Seelen- und in Leibesgefahr. Professores sind, damit ihn meine Leser wieder selbst hören, Sklaven, die an Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre gebunden sind. Es sind Körper in der gelehrten Welt, die nicht ihr eigenes Licht haben, sondern die vielmehr ihr Licht gemeinhin von dem Vivat junger, roher Leute erhalten; Körper, die ihren Lauf alle halbe Jahre unselig vollenden, Uhren, die zu Ostern und Michael ausgestäubt werden. Professores sind stehende Wasser, die faul werden. Ich will es, wie ich schon oft gethan, kürzen, wenn auch der Zusammenhang dabei ein paar Grane einbüßt. Ein akademischer Lehrer muß, wenn er seine Kenntnisse gut verzinsen will, marktschreien und durch eine Universalpille die Leute an seine Bude locken. Die meisten haben ein Arcanum, ein Mysterium, das sie empfiehlt, wovon sie zwei Drittheile alle halbe Jahre für sechs bis acht Thaler schwer Geld verhandeln, ein Drittheil behalten sie[120] noch zurück. Man erfährt also das Ganze nicht eher, als bis es im Druck erscheint, und siehe da! kein Mensch findet das, was der Professor fand. Es ist ein gewöhnliches Compendium.
Weiß ein Professor nur einerlei, ist er ein Pedant. Seine Wissenschaft ist der Despot, der über ihn herrscht. Weiß er (und dies ist gemeinhin der Fall, weil er mit seinen Herren Amtsbrüdern oft eine Lanze brechen muß) mehr, ist's bloß so so. Das wenigste ist Wissenschaft, was wir haben, das meiste ist Muthmaßung, Weg, den man gehen muß, um zur Wissenschaft zu gelangen. Es geht mit den Wissenschaften wie mit der Liebe: die verstohlne ist die angenehmste. Das Handwerk wird einem jeden so geläufig, daß er auf keine Erfindung kommen kann? Per aspera ad astra. Würden die Professores bloß von regierenden Herren bezahlt werden, so dürften die Wissenschaften zwar gewinnen, allein die Lehrlinge würden alles verlieren. Wie die Nonne den Psalter singt, würde gelesen werden. Die Lehrer würden nur auf das denken, was gedruckt werden soll. Jetzt aber die Metaphysik für wenige Thaler kaufen, ist unschicklich. Ein Professor, der ein Autor ist, – und wer ist nicht beides? – hält es nicht der Mühe werth, junge Leute zu unterrichten. Die Welt ist sein Auditorium, und da sitzen Kaiser, Könige, Fürsten u.s.w. auf den Bänken. Ein Autor ist ein so stolzes Ding, daß er mit dem ganzen menschlichen Geschlechte spricht.
Ein Professor spickt (lardirt) seinen Vortrag. Er ist oft gezwungen, über gesunde Speisen ungesunde und unschmackhafte Brühen zu gießen.
Und dem akademischen Jüngling! was legt sich nicht in den Weg, ihn zu stören! Da ist ein Ständchen zu bringen; da kommt ein Landsmann; da hat er sich zu schlagen; da dem Professor, der die Privilegien schmälern will, die Fenster einzuschlagen. – Die Freiheit ist ihm der Weg zur Ungezogenheit. Seine Mitbrüder [121] ersticken bei ihm den Trieb, sich empor zu arbeiten. Will er ein ehrlicher Landsmann seyn, muß er, wie der Haufen, nichts lernen. Es sind kleine Höfe auf den deutschen hohen Schulen errichtet; der Prinz, der Reichsgraf halten sich Kammerherren, Stallmeister, Hofmarschälle u.s.w.
Auf Universitäten sagt dir jeder Lehrer, nicht was du zu wissen nöthig hast, sondern was er weiß. Da lernst du den Werth der Wissenschaft nicht von dem, der sie vorträgt, sondern von seinem Nachbar, einem andern Professor, der sie verachtet.
Erinnerst du dich, was der Herr Candidat von einem benachbarten Könige erzählte, der seinen Professor der Moral selbst prüfte. Herr, sagte er, moralisir' er mir was vor, damit ich seh', ob er was weiß. Ich fand hier viel richtiges gesagt, und noch eins auf den Weg von einem Professor der Moral, der durch seinen Wandel seine Lehren mit Gift hinrichtete. Was hör' ich von ihm? sagte der dirigirende Minister dieser hohen Schule. »Verzeihen Ew. Excellenz, ich bin nur Extraordinarius.«
Diese Rede widerrief nun zwar, mein Vater nicht, indessen lenkte er jetzt alles zum Besten, da er, wie er sich ausdrückte, durch ein anderes Thor mit mir hinaus wollte. Es muß, sagte er, eine Zeit seyn, wo man einsehen lernt, was man nicht weiß, und kein besserer Ort dazu ist, als eine hohe Schule. Ein Professor kann, wenn er seine Wissenschaft nicht bis zum Handwerk treibt und sie zuweilen ein Jahr ruhen läßt, unendlich weit kommen. Diese Wissenschaft ist eine liebe Frau, die man nach einem Jahre Entfernung wieder in seine Arme schließt; da ist's, als würde man auf's neue kopulirt. Ein Professor sieht, ob seine Saat gut sey, vor sich, er lernt eine Bewirthschaftung guter Köpfe, und wird ein Financier in der Gelehrsamkeit. Wer hat mehr Gelegenheit, Proben zu machen, als er? und seine Begriffe bis zum Anschauen deutlich, wer seine Wissenschaften mehr unüberwindlich [122] zu machen, als er? Durch alle fünf Species der Rechenkunst rechnet er seine Wissenschaft durch. Der Glaube kommt durch die Predigt. Steht der Professor hoch im Cours, so bringt er auch seine Wissenschaft in den nämlichen Werth. Er erleuchtet eine ganze Provinz, und macht, daß man seinen Namen annimmt, z.E.Wolfianer. Ein würdiger Professor hört sich in wohlgerathenen Schülern von der Kanzel, liest sich im Urtheil, sindet sich am Krankenbette.
Er ist in einer beständigen Wärme, wenn andere Gelehrte durch ihren Beruf sich erkälten und Mühe haben, wieder in gelehrte Transspiration zu kommen.
Auch die Alten hatten ihre Schulen, und so wie Kirchen gut sind, obgleich Gott überall ist, so sind Akademien nicht zu verwerfen. Wo habt ihr's denn her, daß ihr so gelehrt auf Akademien schelten könnt, wie ihr's thut. Beinahe könnte man sagen: die Deutschen wären Universitäts- oder akademische Köpfe. Warum wollt ihr eure Mutter verachten, weil sie nicht so gut gekleidet geht, als eure junge Frau?
Ist denn der Wetteifer nichts, wozu man auf Akademien Gelegenheit hat?
In der Schule locirt der Herr Präceptor, auf der Akademie locirt ihr euch selbst.
Es gibt auf Universitäten Gelegenheit, ohne ein beschwerliches Lexikon in die Hand zu nehmen und den Buchstaben und Zahlen nachzuschlagen, gleich zu lernen, was man nicht weiß. Ein Wort, das oft ein Lehrer im heiligen Enthusiasm verlor, das heißt, das er sagte, ohne es beinahe zu wissen – gewiß aber ohne es zu behalten; ein solches Wort fällt nicht auf die Erde. Der Jüngling faßt es; aus dem Meeresschaum wird eine Venus.
Eine Universität ist ein gewisses Ganzes der Gelehrsamkeit, eine Messe, wo man nicht an den Stadtkrämer gebunden ist, wiewohl [123] es auch hier oft heißt: Wenn die Narren zu Markte kommen, freuen sich die Kaufleute.
Freilich kann man Meister werden, ohne gereist zu seyn; allein wer achtet einen Meister, der nicht Certificate von fremden Ländern aufweisen kann? Die bekannte Authentica habita Cod. ne filius pro patre, welche sich vom römischen Kaiser Friedrich herschreibt, sagt ausdrücklich: Omnibus, qui causa studiorum peregrinantur, scholaribus et maxime divinarum atque sacrarum legum professoribus, hoc nostrae pietatis beneficium indulgemus. Was ist das? fragte meine Mutter auf Luthers Art, und mein Vater antwortete: Dieß Privilegium kommt nur gelehrten Wandersburschen zu. Gott geleite sie, sagte meine Mutter, und bringe sie gesund zu den lieben Ihrigen.
Man hat daher auch den gelehrten Zweifel aufgeworfen, fuhr mein Vater fort, ob diejenigen, welche auf einer Universität geboren werden, sich dieses Privilegiums zu erfreuen hätten? und ob auch Lehrer hierunter zu begreifen, die nicht divinarum atque sacrarum legum professores wären? Allein man ist der gelehrten Meinung ad eins gewesen, daß alsdann die Reise aus Mutterleibe unter den Worten: qui causa studiorum peregrinantur, zu verstehen sey, wenn man auf einer hohen Schule geboren würde, wie denn ein Professor aller Fakultäten, wenn gleich er haussäßig ist, jedennoch schon darum unter dem Privilegio Raum hat, weil er mit seinen Gedanken in die Kreuz und in die Quer verreist, und immer, er sey auch Doktor aller Fakultäten, ein scholaris bleibt. Das Wort maxime entscheidet ad zwei die gegebene akademische Frage so deutlich als möglich.
Alles dieses, mein Kind, sind akademische Gedanken, und kann ich dir einen Commentarius Auctore Helfrico Ulrico HUNNIO, doctore et in inclyta Academia Giessena Juris [124] Professore publico et ordinario, in die Hand spielen, woraus du dir eine Reisekarte zu zeichnen im Stande seyn wirst.
Hier ist eine große Lücke. Meine Leser werden die andere von selbst bemerkt haben. So viel noch hinzu. Meine Mutter traute dem Panegyrikus meines Vaters auf den Universitäten in usum Delphini nicht ganz. Sie merkte es ihm ab, daß er seine Zweifel nicht völlig los werden konnte.
Plato hat, wie erzählt wird, die Schriften des Comödienschreibers Aristophanes geliebt, und da er gestorben war, fand man noch im Bette die Schriften dieses gekrönten Comödienschreibers, der sich mit Sokrates wie ein paar Professores und ein paar bekannte Hausthiere vertrug. Dieß ist genug zur Vertheidigung meines Vaters bei seinen Seitenblicken.
Akademie (mein Vater läßt sich vernehmen) hieß der Ort, wo Plato seine Philosophie lehrte, die so schön war als der arkadische Garten dieses Unsterblichen. Wär's auch nur seinet- und des alten Herkommens halber, müßte man Universitäten besuchen.
Sollte nicht, sagte meine Mutter, die mit dem alten Herkommen und dem Plato noch bei weitem nicht zufrieden war, sollte nicht, da Adam und Eva doch wirklich relegirt wurden, schon das Paradies die erste Akademie –?
Und die Schlange und der Seraph mit dem bloßen Schwerte: fragte ich, liebe Mutter?
Wenigstens versetzte sie, war doch Eli Samuels Professor und Gamaliel des Paulus und die Prophetenkinder Studenten. – Und Stephanus, fiel mein Vater ein, voll Glaubens und Kräfte, that Wunder und große Zeichen unter dem Volk. Da stunden etliche auf von der Schule, die da heißt der Libertiner und der Cyrener und der Alexandrier und derer, die aus Cilicia und Asia waren, und befragten sich mit Stephano, und sie vermochten [125] nicht bei dieser Inauguraldisputation zu widerstehen der Weisheit und dem Geiste des, der es redete.
Meine Mutter war außer sich über diesen Text, nur die Alexandrier hätten sie gerne relegirt. Die gute Mutter! Sey ein Stephanier, sagte sie, lieber Sohn, ein Stephanier.
Mein Vater kettete seine Stammtafel der hohen Schule, von den Griechen und Römern an bis auf die gegenwärtige Zeit, zusammen, und ward diese akademische Stunde von Seiten meiner Mutter mit der Bemerkung beschlossen, daß ihres Wissens kein Doctor theologiae kurisches Brod gegessen, es müßte denn einer von den Herren Einhorns diese Würde incognito gehabt und aus heiliger Demuth sie verschwiegen gehalten haben. Mein Vater erklärte beiläufig nach seiner Weise die adelichen Rechte, welche denDoctoribus zustünden –
So wie den Literatis (meine Mutter verstand ihrenCasum), sagte meine Mutter, in Curland. Sie behauptete, es sey gleichviel, adelich behandelt werden und adelich seyn. Allein ich sagte: königlich essen, liebe Mutter, und König seyn, ist zweierlei. Und mein Vater war, zum Bedruck meiner Mutter, unerschöpflich über die Ehre des Adels. Er erklärte, was vierschildig sey, und ließ so viel auf der Ritterbank und an der Ehrentafel sitzen und in den deutschen, Marianischen, Johannis- und Maltherserorden, und in hoch-und andere adeliche Stifte aufnehmen, und die Grandes vor dem Könige von Spanien den Hut aufsetzen, bis meine Mutter zu Curlands Ehren behauptete, daß der Herzog beim Lehen sich auch einige Augenblicke bedecken könnte, wenn er wollte.
Laß den Braunen satteln, sagte mein Vater, um nach – zu reiten. Es sind zehn Jahre, daß ich den Herrn v. G. – nicht gesprochen habe. Meine Schuld ist es nicht, und die seinige, das hoff' ich, auch nicht. Die Zeit wird an's Licht bringen, was noch im Finstern verborgen ist. Herr von G – – will, daß du[126] mit seinem Sohne, der auch reisefertig und universitätsreif ist, diese Reise unternehmen sollst. Der alte Herr ist der Mäkler in dieser Sache gewesen.
In acht Tagen bist du vielleicht nicht mehr in dieser Hütte –
Pastorat, sagte meine Mutter. Deine Wäsche ist bereitet, setzte sie hinzu. Sechs Dutzend Oberhemden, sechs Dutzend Unterhemden, zwei Dutzend für den Sonntag, ein halbes Dutzend für hohe Feste. Meine Mutter registrirte noch mancherlei, was für mich bereitet wäre, allein mein Vater blieb bei den Hemden stehen, auf die meine Mutter gleichfalls einen besondern Accent legte. Sie dachte sich die weißen Kleider unter dieser Hieroglyphe, womit wir im Himmel angethan seyn würden. Was meinen Vater zum Stillstand vermochte, war etwas Irdisches. So viel Hemden, sagte er, haben zwölf Prinzen vom Hause nicht. Je vornehmer der Mann, je schlechter die Hemden, fuhr er fort, im monarchischen Staate, wo man nur auf das, was vor Augen ist, siehet. In der Schweiz, in Holland, in England feine Wäsche, und je vornehmer der Mann, je feiner. Wo ein Tyrann, ein Despot herrscht, will ich das Hemde nicht sehen. Die Menschen achten ihren Leib nicht, der ihnen nicht zugehört. Je näher auf den Leib in monarchischen Staaten, je schlechter der Anzug. Für einen Despoten ist ein grobes Isabellenhemde gut genug.
Also Sonntags- und Montagshemden, liebe Mutter, und wie Gott will! Sterbehemden und Prophetenkinderhemden; nur eins (das wett' ich) nicht – ein Brauthemde.
Da bin ich eben, wo ich seyn muß, um meinen Lesern den Schlüssel zur akademischen Ehrenpforte und zum Stall des Braunen getreulich einzuhändigen. Ein Schlüssel öffnet alles – die Eltern eilen gemeinhin mit ihren Söhnen aus dem Hause, sobald die Natur die Fabel vom Storch widerlegt. Ich will es nicht ausmitteln, in wie weit es gut sey, Kinder der Natur in diesem Stücke [127] an Heim zu geben, um die Frage unbeantwortet zur rechten Hand liegen zu lassen, ob es Kinder ins Treibeis bringen hieße, wenn man ihnen im zartesten Alter dieß Storchgeheimniß erklärt, und sie so altklug macht, daß sie selbst die Natur, wenn sie sich zum Belehren meldet, belehren und mit ihr disputiren können? Vom Blatterninoculiren haben wir guten Erfolg. Hier müßte auch Erfahrung entscheiden.
So viel dient nur hier zur Sache, daß Eltern, sobald sie den Sohn vaterfähig halten, ihm eine glückliche Reise anwünschen, recht als ob sie eine Befugniß zur besondern Oekonomie in optima juris forma bewilligten. Sie besorgen, die Söhne wollen sich an ihrem Hause einen Flügel anbauen lassen, und sehen es gern, wenn der Sohn reich heirathet, dieses letzte eben darum, warum viele Leute kein Testament machen. Hier ist der Beleg zu diesem Eingange.
Meine Mutter war nach meiner Krankheit zuweilen die dritte Person, wenn ich mit Minchen allein zu seyn Lust hatte. Die Liebenden, wenn sie lieben, glauben insgemein, es wüßte niemand, daß geliebt würde, und oft sieht's alle Welt. Sie bilden sich ein, ihre Liebe sey die einzige in ihrer Art, da aber jeder die nämliche Methode hat, und Adam selbst mit den Augen die erste Anwerbung gethan hat, so schläft der Verräther nicht. – Meine Mutter merkte, mein Vater merkte. – Beide sagten mir aber kein Wort. Meine Mutter, weil sie es für unmöglich hielt, daß die Liebe des Sohnes eines Literatus, des Anverwandten Paul Einhorns und Alexander Einhorns, des zweiten curischen Superintendenten, Wurzel fassen könne, wenn er die Tochter eines Töpfers, der zugleich Schuster und Schneider ist, liebt. Mein Vater, weil er wegzusehen sich verpflichtet hielt. Er verlangte von mir ein gänzliches kindliches Vertrauen; Minchen nahm er aus. Wie richtig ist Regel und Ausnahme? Kann man nicht das Recht lernen, ehe [128] man Recht spricht? Lehrt, Eltern, eure Kinder wählen, ehe die Natur sie lieben lehrt. Es ist eine unüberdachte Behauptung, daß Söhne kein Geheimniß (die Liebe nicht ausgenommen) vor ihren Eltern haben sollten; Irrthum – wer Liebe nicht ausnimmt, gibt seinen Söhnen im Lügen Unterricht. Der Sohn, der fühlt er könne Vater werden, ist von der Natur emancipirt, er hat in diesem Stücke keinen Vater mehr. Töchter behalten Vater und Mutter, bis sie einem zu Theil werden, dem sie als ein heiliges Depot überliefert werden müssen.
Ich hatte die Gewohnheit, zuweilen mit Minchen in ein benachbartes Wäldchen spazieren zu gehen, und nichts war mir angenehmer, als wenn ihre natürlich schöne Stimme die Nachtigallen zum Concert aufforderte und wenn sie von den Vögeln des Himmels accompagnirt wurde. Hätte sie bei einem Italiener Stunden genommen, keine Nachtigall hätte sich mit ihr eingelassen. Jetzt sang die ganze Natur mit, weil sich gleich und gleich gesellte, und ihr Gesang Natur war. Ich hatte Minchen umgefaßt, sie war mein. Mein Auge sagte laut: Ewig mein! und das ihrige antwortete: Ewig dein! – In dieser Stellung und während diesem Augengespräch und dem Concert, das die Natur dirigirte, traf uns mein Vater wie ein Blitz. Ich hatt' ihm sonst nie in diesem Wäldchen begegnet. Mich zu belauschen hatt' ers nicht angelegt, daß weiß ich. Da standen wir und sahen uns an. Lange hielt ich meinen Arm wie um ihren Hals geschlungen. Sie zog sich aus der Schlinge; allein ich hielt meinen Arm noch immer in der Höhe, als ob er ihren Hals hätte, und sie – die der liebe Gott so himmelan gebildet hatte, stand, wie mich dünkt, noch immer so von der Seite, so übergebogen, so angeschmiegt, als ob sie noch nicht auf freiem Fuße wäre, oder als ob sie sich nach mir geformt hätte. – Wie ich endlich meinen Arm fallen ließ, war's mir, als wenn die Welt fiel, so angst war mir. Wie ihr gewesen, da sie wieder ins gerade [129] Geleise kam, konnte sie nie angeben. Wir armen Kinder der Natur! Ich sehe ein, wie es dem Adam zu Muthe gewesen, da er zum erstenmale inne geworden, er sey nackt. Wer nicht empfinden kann, was Minchen und ich empfunden, thue mir den Gefallen und lese nicht weiter. – Ich glaube, ich werde den Eindruck nie verlieren, und hab' ich ihn gleich nach der Zeit nicht so stark empfunden, war es mir doch, so oft ich daran dachte, als ständ' ich mit Minchen im Wäldchen. – Ich empfand's, die Nachtigallen schwiegen und alles, was eben wachsen wollte, machte Stillstand und sah uns an. – Mein Vater war in der nämlichen Verlegenheit und hielt mit uns völlig das Gleichgewicht. Entweder wollte er sich heraushelfen, oder er wußte nicht, was er sagte. »Ist der Herr Vater nicht hier?« wendete er sich zu Minchen, und sie: »Nein, er ist auch nicht hier gewesen.« Kann wohl was Unschuldigeres auf die Frage: Ist der Herr Vater nicht hier? geantwortet werden, als: nein, er ist auch nicht hier gewesen. Das war kein Feigenblatt zur Schürze! O Minchen! Minchen! welch eine Süßigkeit ist's, dich zu lieben! Für dein: »Nein, er ist auch nicht hier gewesen,« verdientest du schon den Lohn der Unschuld, und könnte ich den Ton hinschreiben, in dem du dieses sagtest – du verdientest bis ans Ende der Welt gemalt und gezeichnet zu werden, mit der Umschrift: »Nein, er ist auch nicht hier gewesen.«
Wenn ich diese Naturscene, sowie sie ringsherum empfunden worden, getroffen hätte – (Was kann aber der Vater dafür, wenn ihm sein Kind nicht ähnlich ist?) Chodowiecki! es wäre dir mit Minchen gegangen, wie Adam mit Eva, Adam sah sie – Bein von seinem Bein, Fleisch von seinem Fleisch – sah sie wieder, küßte sie und – Du hättest diese Seite durch und durch gehüpft, sie gelesen und ihr Handgeld zur doppelten Unsterblichkeit gegeben.
Minchen, wie sie allmählig gen Himmel wächst – nicht [130] weil sie Gewitterwolken sah, weil sie aus Furcht dem Himmel auswich, weil sie Trost bei der Erde suchte, die, wenn der Vater im Himmel schilt, wie eine wahre Unser aller Mutter keinen Blick verschmäht, womit Schuld und Unschuld sich zu ihr wenden, nicht darum, sondern –
Chodowiecki! Schwestersohn der Natur, deutscher Mann! Du weißt dieß sondern so gut als ich. Zeichne diese Scene eben um des sondern willen, das dir dein Herz in Aug' und Hand dictiren wird – und dann liest man nicht Minchen bloß, man sieht – Da steht sie! und ich, froh darüber, fliege über Jahrhunderte zu Jahrtausenden, und juble und sage zu meinem Buche: fürchte dich nicht vor denen, die den Leib tödten und die Seele nicht tödten mögen. – Auch wenn der Leib Jahrhunderte lang zerstreut, und, wenn's hoch kommt, in Anleitungen zur Dicht- und Redekunst in wahre Gebeinhäuser gesammelt wird, wo man nicht kennt den Gerechten und Ungerechten. Ich bin's gewiß, es kommt die Stunde, in welcher eine Posaune des Geschmacks die Barbarei wegscheucht und dieß Buch zur Auferstehung und Leben aufhaucht, dann sey dieß Blatt, um Minchens wegen, das erste, das wieder lebendig wird!
Wir gingen alle zusammen nach Hause, und unterwegs erzählte uns der gute Mann wider seine Weise, was er künftigen Sonntag, geliebt's Gott! seiner lieben Gemeine vorsetzen würde. Das Ende dieser Geschichte war den folgenden Tag die Predigt von den Universitäten und die Nutzanwendung:
»Laß den Braunen satteln.«
Ich ging zu Minchen, der ich einen großen Theil von dem Werthe der Universitäten vorsagte, um sie zu meiner Abreise vorzubereiten. Ich erklärte ihr die Authentica habita Cod. ne filius pro patre. Omnibus, sagt ich, qui causa studiorum peregrinantur. Sie sah ein, was sie schon zuvor eingesehen hatte, daß [131] es gut sey, daß ich hingehe. Um Pastor zu seyn, ziehst du von hinnen, sagte sie. Zieh hin in Frieden.
Ich weiß, daß sich mancher den Kopf hart an dem Latein stoßen wird, das ich Minchen vorsagte, allein um Verzeihung! dieser Mancher versteht nicht, was Liebe ist, und ich hätte nicht ein Wort Latein von derAuthentica habita Cod. ne filius pro patre auf dem Herzen behalten können – die Liebe erträgt keinen Rückhalt, sie will alles, was man hat, alles, was man kann, es sey lateinisch oder deutsch. Daß ich indessen mit einer Uebersetzung, so treu als unsere Liebe, Minchen unterm Arm gefaßt, muß ich um des Schwächern willen anführen. Keine Manche, die geliebt hat, wird sich am Latein den Kopf stoßen oder das Aermchen streifen.
Der alte Herr, der mir ein tiefunterthänigstes Kompliment an Se. Hochwohlgeboren mitgab, that, was Mäkler thun, wenn sie den Käufer und Verkäufer angeführt: er wünschte mir Glück und Segen, wobei er aber nicht bloß meine Reise nach –, sondern auch die auf Universitäten verstand. Die Frau des alten Herrn, ein gutes Weib, zwar nicht aus dem Stamme Levi, doch aus dem Stamme der christlichen Einfalt und Ehrlichkeit, gab mir die Hand, da ich wegging. Gott geleite Sie, sagte sie, und segne Sie, und geleite Sie und segne sie immerdar, jetzt und in alle Ewigkeit!
Da ich noch auf eine längere Zeit nach – reisen werde, will ich mich, in Rücksicht meiner Leser, nicht lange in – aufhalten, obgleich ich drei Tage zu bleiben gezwungen war. Ich lernte den jungen Herrn mit Flinte, Jagdtasche und Hirschfänger kennen, sein Vater – ein rechter echter heller klarer Mann. Wie hat der Mann zehn Jahre meinem Vater den Rücken kehren können? Seine Gemahlin, eine gnädige Frau –
Ich will nicht vorfassen –
Die Frau v. G. – – brachte mich auf den Wunsch, wenn [132] Minchen so ein gewisses Etwas hätte, das man in der großen Welt in zwei Stunden lernt, wenn man in Purpur und köstlicher Leinwand geht, einen Gönner am Hofe und Geld auf Zinsen hat, und wozu man längere Zeit braucht, wenn eins von diesen Stücken gebricht. – Eine Viertelmeile von der gnädigen Frau war ich von diesem Etwas und meinem voreiligen Wunsche zurückgebracht. Ich überrechnete die Eigenschaften, die bei Minchen hierdurch leiden könnten, und was dacht' ich, da ich das Schöne der Natur rings um mich sah. Was ist diese künstliche Dreistigkeit – gegen die der Natur! Was ein Garten gegen Wald und Feld! Ein Junge, der ehemals unterm Phalanx gedient hatte und in Gnaden verabschiedet war, ließ mich wegen der Nachricht, daß Minchens Mutter gestorben, nicht ausdenken. Plötzlich sagte er, niemand konnte sich's vorstellen. Eben ist sie kalt geworden. Die Worte: »Gott geleite Sie und segne Sie, und geleite Sie und segne Sie immerdar, jetzt und in alle Ewigkeit!« fingen mir so lebhaft an zu werden, daß ich diese alte gute Mutter sah – und Minchen, sagt' ich? Ihro Königliche Hoheit, antwortete er, befindet sich wohl, außer daß sie halb todt wegen des Todes der Alten ist.
Mein ehrlicher Helm (er hieß eigentlich Wilhelm, seiner Tapferkeit wegen war ihm indessen die erste Sylbe allergnädigst erlassen) sagte dieß mit so viel Subordination (diese und nicht Ehrfurcht verlangte ich von den Meinen), daß er in jedem Wort Takt hielt. Er bemerkte unmaßgeblich, daß dieser Todesfall vor einiger Zeit durch ein Licht in der Kirche zwischen eilf und zwölf sehr richtig vorher verkündiget wäre, allein ich belehrte ihn, daß dieses Licht meiner Mutter Handlaternchen gewesen; ich, fuhr er fort, habe diesem An- und Vorzeichen nicht geglaubt. Desto besser, erwiederte ich. Unterthänigsten Dank, beschloß Helm, für die Parole »Handlaternchen«, ich werde sie weiter geben. – Gut! sagt' ich. [133] Soll ich mit, fragte Helm, und zeigte Briefe, die er wegschnellen sollte; ich winkte ihm ab, und mein Pferd, als ob es den Helm verstanden hätte, hielt am Trauerhaus. Ich fand Minchen die Hände ringen und laut, laut wimmern; meine Mutter! meine Mutter! Meine liebe Mutter!
Sobald ich ins Zimmer trat, artete ihr Schmerz in Kunst aus. Sie veredelte ihre ersten natürlichen Aufwallungen; sie schrie nicht aus, sie seufzte nur ein sanftes Ach! Sie weinte zwar, allein sie schluchzte nicht. Sie goß nicht Thränen, sie thaute sie nur; sie rang nicht mehr die Hände, sie faltete sie. Sie bedauerte ihre Mutter, allein sie war bemüht, dabei auch ihrem Vielgetreuen zu gefallen. Im allerersten Affekt hätte ich dieses vielleicht nicht über sie erreicht, jetzt aber opferte sie mir ihren Schmerz auf. Sie verließ ihre Mutter, um an mir zu hangen. Alle poetischen Uebel geben der Liebe Zuwachs. Ein Mädchen, das einen Bräutigam hat, kann unmöglich über den Tod ihrer Mutter anders als dichterisch betrübt seyn. Ihr Schmerz ist ein schöner Schmerz. Sie übersetzt den Schmerz, wenn ich so sagen soll, in wohlklingende Verse: Alles was sie that, gehörte der Seligen und mir zur Hälfte.
Hätten Sie sie sterben gesehen! Einen Gruß über den andern an sie. Sie ging so schön wie die Sonne unter; ich hätte was drum gegeben, wenn sie diese untergehende Sonne noch beschienen hätte. Gewiß sind Sie ihrem Geist begegnet.
Ich bin ihm begegnet, ich hab' sie gesehen, ich hab' sie gehört. Gott geleite sie und segne sie, und geleite sie und segne sie jetzt und in Ewigkeit! Ich hör's noch.
Da sah und hörte mich mein Vater. Alexander! rief er, und ich war kein Sonntagskind mehr, ich kam von meiner Mondsucht zurück. Mein Vater! antwortete ich –. Er hatte der Seele dieser frommen Alten mit einem andächtigen Zuspruch das Geleite gegeben, und selbst so etwas von Vollendung, von Himmel im Gesicht. [134] – Er sah selbst selig aus. Seine Erzählung war mir neu, ob er gleich erzählte, was ich wußte, was ich sah. Nach dieser Entzückung in den dritten Himmel kamen wir aufs Irdische, und ich erzählte ihm, daß ich erst in fünf Monaten abreisen würde. Willst du, sagte er noch zu guter Letzt, eine Leichenrede – darf ich bitten, sagte der alte Herr. – Minchen bat mich nicht, ich entschuldigte mich, und gewiß hätt' ich beim Sommergetreide eingebüßt, was ich beim Wintergetreide, bei der Predigt, eingenommen und eingeerntet, wenn ich bei dem Grabe Minchens und meiner Mutter eine Leichenrede übernommen. Dieß war wohl der größte Beweis, daß mein Vater nicht wußte, wie es mit Minchen und mir stünde. Er hielt's ohne Zweifel für Alexander- und Dariusspiel. Mein Vater ging zu Hause, ich blieb noch einen Augenblick zurück und ging mit Minchen ans Bett ihrer Mutter. Nie sah' ich die Aehnlichkeit, die diese Verklärte mit Minchen hatte, so klar als jetzt. Zwar ein Schattenriß, doch Minchen! und mir sollte grauen? – Ich nahm die mütterliche kalte Hand und rief sie zum Zeugen über mich, daß ich Minchen liebe und lieben würde. – Sie fahre über mich, sagte Minchen, so kalt sie da ist, wenn ich einen andern liebe, und tödte mich, wenn ich nicht Minchen liebe, jetzt und bis vor Gottes Thron, setzte ich hinzu.
Wir schieden dießmal von einander, als wenn wir Probe stürben! So gerührt! so –
Mein Vater, der gute Mann, der mich bei meiner Mutter angemeldet hatte, war so gütig gewesen, ihr zu verschweigen, wo er mich und den Braunen getroffen. Sonst war sie von den fünf Monaten und daß ich die Redeübung ausgeschlagen, unterrichtet und über beides erbaut. Die fünf Monate gaben ihr noch zu einer Rubrik unter den mitzugebenden Hemden Gelegenheit, und meine abschlägige Antwort? – ich erzähl' es ungern, daß meine Muttter hieraus meine Gleichgültigkeit gegen Minchen, wie aus [135] einmal eins eins heraus brachte. Liebe Mutter! die Liebe hält keine Reden!
Die fromme Alte wurde in aller Stille beerdigt, und ihr Grabmal war das heilige Kabinet, wo Minchen und ich in Liebesangelegenheiten zusammenkamen. Ein Engel mehr, sagten wir, der uns hört, ein uns so verwandter Engel.
Um meine Leser wegen der Rede schadlos zu halten, bin ich bereit, einem jeden, der hören will, eine von anderer Art vorzufechten. Liebe und Tod grenzen überall zusammen, im Roman und in der Geschichte.
Ich bin der festen Meinung, daß jedes, was schreiben kann, wenn's liebt, auch Liebesbriefe schreibe, geschrieben habe, auch schreiben werde. Die Liebe ist eine völlige Opferung, eine Universalsocietät. Man gibt alles, was man hat, man thut alles, was man kann. Man sagt alles, was man weiß, die Authentica habita Cod. ne filius pro patre nicht ausgenommen. Ein Bauer kritzelt den Namen seiner Grete in den Sand. Die Harke ist seine beste Feder. Schrammt er ihn in Kürbiß, schmeckt ihm dieser am süßesten. Schnitzelt er ihn in eine Linde, schmatzt er den Saft aus, der aus den Buchstaben quillt. Grete steht überall, wenn er's bis zu fünf Buchstaben gebracht hat; wenn nicht, ist der erste Buchstabe des Vornamens sein. Er pflügt ein G, er springt ein G, er geht ein G – und Grete? nennt ihn zwar Hans, allein sie näht den ersten Buchstaben seines Zunamens ins Tuch, das sie ihm schenkt. Hans Ficht heißt ihr Adonis, und sie streut ihre Tannen ins F, und kommt sie an die Blumen der Venus, von der sie aber Gottlob! nichts weiß, an Rosen und Myrthen, legt sie sie ins F. Selten weiß sie mehr als den ersten Buchstaben, allein den näht und streut sie – wie gedruckt. Sie sticht ihn mit Nadeln ins Eichenblatt, in alle Blätter. Die Rinde kommt dem Hansen zu; im Kürbißkabinet aber leben sie [136] in Gemeinschaft der Güter. Hier steht F und dort G. Das kleine gnädige Junkerchen macht Greten für die erste Handvoll Kuhblumen oder ein Eichhörnchen zum F die Vorschrift, oder Sr. Wohlehrwürden kleiner Benjamin, und dieser letzte gegen einen Maikäfer oder jungen Häufling.
Wenn nur eins schreiben, beide aber lesen können, ist das, was bloß liest, weit verliebter, wenn's zum Klappen kommt, als das, was lesen und auch schreiben kann. Das Schreiben zeigt von Bedachtsamkeit und Beständigkeit. Ein Philosoph will immer schreiben, allein selten kommt er dazu. Ein Dichter kann sich zur Noth, wo Gott für sey! auch ohne Schreiben behelfen. Dahero kommt's, daß oft große Dichter unrichtig buchstabiren. Der größte Philosoph schämt sich nicht und hat's auch wahrlich nicht Ursache, buchstabiren zu können. Er setzt die Worte, der Dichter wirft sie hin.
Man kann nur füglich im Stehen oder Sitzen schreiben, und es setzt eine gewisse Bedachtsamkeit zum voraus, welche die Liebe sehr bei der geliebten Person vergrößert, die nur geglaubt hatte, es wäre ein Ueberfall. Die Natur schlägt in der Liebe eine beliebte Kürze und Einfalt vor. Sie faßt die Frucht an, reif ißt sie sie vom Baum. – Die Kunst hat diesen Weg erweitert, und bald hätt' ich gesagt, verschö nert; es kommt auf den Geschmack an. Die schönsten Früchte von der Spitze des Baumes (welche die Hand nicht ohne Verlängerungsstange reichen konnte; der Mund kann gar nicht heran), die schönsten Früchte werden ausgewählt, auf porcellanene Teller gelegt, mit Blumen und Blättern, die, wenn man lang am Tische sitzt, vor unsern Augen den Geist aufgeben und welken, geschmückt, und so auf eine mit Spiegelglas und Puppen gezierte Tafel gesetzt. – Hier tanzt man, dort ging man. Die gnädige Frau, die das Obst aus der Hand des lieben Gottes nicht vertragen kann, der's Blähungen macht, läßt's verzuckern und [137] candisiren, und Mumien im ägyptischen Sinn daraus sieden. Pfefferkuchen ist ihr besser als Honig. Da man indessen sich heut zu Tage leider! fein sauber wäscht, anstatt daß man sich baden sollte, und wir unmöglich bis auf die erste Natur zurückgestimmt werden können, wo wir tausend und abermal tausend Dinge vergessen müßten, die wir jetzt wissen, dient das Schreiben zur Verfeinerung. Fühlt ihr also einen Ekel, die Früchte unterm Baum im Garten zu essen; schreibt Liebesbriefe, nur schreibt sie nicht aus dem Talander, und wenn er auch nur seit vierzehn Tagen in Paris gedruckt wäre, sondern aus dem Herzen. – Hier haben Sie den Schlüssel zu den folgenden vier oder sechs Seiten – ich weiß nicht, wie viel es, wenn's gedruckt wird, betragen werde – wenn Ihnen, Durchlauchtigste Prinzessin! gnädigste Gräfin! – diese Hausmannskost Blähungen macht, es sind, glaub' ich, auch eingemachte Sächelchen da. Finden Sie nichts – ich rathe zum Talander, es thut nichts zur Sache, ob's französisch oder deutsch ist, ob's 1697 oder 1776 gedruckt ist, was Ihnen das Herz verdirbt – ihr aber, meine Lieben! die ihr schmecket und sehet, wie freundlich Mutter Natur ist, denkt von meinem Vorbericht, was ihr am Ende von allen Liebesbriefen denkt, die man nicht selbst geschrieben hat. Und hiermit fünf Briefe von meinem Minchen, nach der Anzahl der Feierhemden, die mir meine Mutter bereitet hat, wenn sie mir nicht jetzt, wegen der Fünfmonatfrist, wider Vermuthen noch eins dazu legen sollte.
* * *
Sie an Ihn.
O du lieber, lieber Junge! – Was hast du für eine gute Art zu schelten! Es ist so was Herzliches drin, daß ich es mit [138] Fleiß auf ein Scheltwort von dir anlegen werde. Du bist ein ganzer Junge! ein Gott und sein Weib liebender Junge. Mein All, All, All, Alles bist du. Ich lese deinen Brief und schreib' an dich beinahe alles zusammen. – Was kann aber die Liebe nicht! du schiltst, daß ich durch Nähen und Stricken mir den Finger wund gemacht. Soll ich denn die Hände in den Schooß legen? da würd' eine Närrin aus mir werden, obgleich ich jetzt dein Weib bin. – Was Klügeres kann kein Mädchen in der ganzen weit und breiten Welt seyn, als dein Weib. Der Finger ist auch wohl behalten und heil, und sieht aus wie – neu hätt' ich bald geschrieben – wie zuvor. Er hat keinenschwarzen Band mehr. Die Trauer ist schon gestern abgelegt. Was willst du mehr? – Fast wünscht' ich, du möchtest noch mehr wollen, damit du schelten könntest. Schilt doch, lieber herzlieber Junge, schilt doch was rechts auf. – Die Musik war bei der Fingertrauer nicht verboten. Soll ich meine Doris missen, kann ich dir so herzbrechend singen und spielen: du sollst's hören. Mein Vater wunderte sich über den schnellen Gang in der Musik. Der gute Mann weiß nicht, daß ich eigentlich in der Schule der Liebe bin, und von ihr Klavierspielen lerne. – Gott im Himmel und dich in der Welt! Wie kann ich Gott lieben, den ich nicht sehe, wenn ich dich nicht lieben sollte, den ich sehe. Ich liebe Gott in dir. Es ist unaussprechlich, wie ich dich liebe. Du bist Gottesbote an mich. Gott gab mir dich. Meine Seele ist dein, und unsere beide Seelen sind Gottes. Heut sehen wir uns; allein nicht ganz, wir sprechen uns allein schwerlich drei Viertheil. Du müßt' es denn machen wie neulich. Deine Mutter braucht aber nicht alle Tage Pfefferkraut. Was ist doch die Liebe für eine Lehrerin? Wir sonderten uns vor aller Leute Augen ab, die mit uns gingen, und kein Mensch dachte Arges in seinem Herzen. Es fehlte nicht viel, deine Mutter selbst hätte darum gebeten, und das Beste war, wir fanden gleich so viel Kraut, [139] daß wir Zeit genug hatten, uns viel, viel zu sagen. Findst du aber, daß es weniger wird, was noch rückständig ist, und was wir uns noch zu sagen haben? ich nicht. – Wir zahlen nicht einmal alle Zinsen ab; diese werden noch Capital. Wann wird uns Gott in Stand setzen, Capital und Zinsen richtig zu machen. Wenn du Pastor bist und ich Pastorin. Dein Weib bin ich lang. Gott und alle seine heiligen Engel waren auf unserer Hochzeit, und die sind ständig beinahe sichtbar um uns, wenn wir allein sind. Es kann nur wenig, sehr wenig daran fehlen, um sie von Angesicht zu Angesicht zu sehen. – Da kann man wohl mit Recht über den betrübten Sündenfall klagen. Ist's denn Sünde, so zu lieben, als wir? und liebt nicht Gott unsere Liebe? Seine heiligen Engel sind ja unsere guten Männer gewesen, und wir sind nicht so verbunden – (ich wollte nicht verheirathet schreiben, allein ich ärgere mich über den Anstand, den ich drüber genommen, und schreib's zweimal hin) so verheirathet, wie die verkehrte Welt, sondern wieAdam und Eva. Gott selbst hat uns getraut, und sag': hat je ein böser Gedanke dein Herz verfälscht? mir ist keiner vorgekommen. Je frömmer ich bin, je inbrünstiger denk' ich an dich. In der Kirche höre ich deine Stimme unter hundert, und ich singe schnell mit, damit wir beide zusammen zu Gott kommen. Aus der ganzen Fülle meines Herzens bin ich dir gut. Bin ich nicht dein Weib, dein treues Weib, du Einziger, du Eva's Adam! Sag es mir tausendmal und wieder tausendmal, daß du mein Mann und ich dein Weib sey. Das lernt man immer schöner aussprechen, je öfter man es ausspricht. Wenn du es sagst, ist's mir himmlische Musik, Kirchengesang. – Jetzt sind wir nur beim lieben Gott bekannt. Ueber ein Kleines oder über ein Großes – mir ist's gleich, wird Gott uns auch unter die Leute helfen. Ich liebe deine Seele, und du die meinige. Du bist der Mann meiner Seele, und ich das Weib deiner Seele, sonst könnten die Engel mit uns [140] nichts mehr zu schaffen haben. Leb wohl! – Zu Mann und Weib hat uns der liebe Gott gemacht, zum Herrn Pastor und Frau Pastorin müssen es die Menschen thun. Da ist das ganze Räthsel.
N.S. Zur rechten Hand. Das Pfefferkraut würd' ich zum Kraut der Liebe machen, so gut bin ich ihm.
N.S. Zur linken Hand. Warum hast du deinen letzten Brief so weitläufig geschrieben? Wenn du mir so gut nicht wärst, als ich weiß, daß du es bist, würd' ich mir Gedanken machen. Hab' ich es nicht von dir: »je kälter, je weitläufiger, wenn man Briefe schreibt.« »Wer liebt, läuft immer über. Er kennt nicht Maß und Gewicht.« Aber so bist du! auf deine Finger siehst du nicht, allein die meinigen sollen nicht trauern. Könnt' ich dann nicht dich und du mich lieben, wenn auch alle unsere zwanzig Finger in tiefer Trauer wären. Ich komme wieder aufs Vorige. Wer war es denn, der sagte, die Natur liebt eben die Finger nicht weiß. Rothe Wangen, starke Hände, wo gesundes Blut durchscheint, ist Naturuniform: wer war es? Ich muß noch ein Stück Papier mit der Nadel anheften. – Lieber Mann, ein Naturmensch, wie du, sollte nicht auf weiße Finger sehen. Das nenn' ich! ich! ich! nenn' das schelten! Grüße alle deine Finger von mir – sie sind meine Finger. Du bist ganz mein, ich ganz dein. Wir sind eins, ich habe deine Briefe unter meine Bibel gelegt. Erst Gott, und dann mein Mann. So gehört und gebührt es sich. – Ihr Männer, dünkt mich, seyd zum Reden und zum Schreiben. Wir Weibchen zum Thun, und wenn's hoch kommt, zum Lesen. Das wirft du wohl finden, ohne das ich's nöthig gehabt habe zu schreiben.
Sie an Ihn.
Wie du vom Alexander zum lieben Jungen erniedrigt, oder besser, erhöht bist! Unsere Liebe hat sehr gewonnen, jetzt da dein [141] Vater den zweiten Diskant singt. Ich wette, er hat mit dir zuvor etwas Großes im Schilde geführt. Gottlob! daß du jetzt Pastor wirst. So sind wir doch so sehr nicht auseinander. Lieber, lieber, lieber Junge! was meinst du? Die Regenten müssen sich doch auch zuweilen so nennen, wie wir, oder sie wissen nicht, was Liebe heißt, und dann sind sie ärmer, als wir, und ärmer, als alle Bettler in unserm Dorfe. Ich weiß doch auch, wie es einer Prinzessin zu Muthe ist; allein ich tausche nicht mit der Königin Elisabeth, da ich dich habe – und du nicht mit Alexander, da du mich hast. Wir würden jetzt schlecht Alexanderchen spielen! die alte Babbe würde die königliche Frau Mutter besser machen, als wir Alexander und Frau Alexander. Außer der Liebe, das fühl' ich, ist alles Possen und Unwesen in der Welt. Du hast recht, ganz recht, »die Liebe macht gleichgültig gegen Ruhm und Glanz, allein gegen die Menschlichkeit nicht. Sie schränkt das Herz ein, allein sie erweitert es auch. Eins liebt nur eins, wie Mann und Weib, alle Menschen aber, wie Schwester und Bruder. Einen Verliebten, glaub' ich, kann jeder Mann betrügen, er hält alles für ehrlich, was ihm begegnet, die Liebe ist stark Getränk für die Seele. Sie betrinkt sich in ihr, und Verliebten geht's kein Haar besser, als Leuten die ein Gläschen über'n Durst getrunken haben. Es ist ihnen alles besser, wie zuvor. Sie sehen alles in den besten Jahreszeiten, alles im Junius.« So weit du. Eine schöne Antwort auf deinen Brief. Ich schreibe ab, was du geschrieben hast. Mich dünkt aber – das ist die rechte Art für ein Weib. Sie ist eine Kopistin des Mannes, wenn sie schreibt. Denn dieß ist ihr Fach nicht. Das war wieder eine Abschrift von dir, und überhaupt bin ich ganz nur eine Abschrift von dir. Du hast mir gestern geschrieben, daß ich deine Buchstaben nachmache, und daß sie mit der Zeit wie deine seyn würden. Lieber Junge! ich leg' es nicht dazu an, ich mache sie nicht nach. Es kommt von selbst, ungebeten. – [142] Ich lese deine Briefe mir ins Herz und in die Hand. Wenn du morgen zu mir kommen willst, komm um vier; von vier bis sieben sind nur drei Stunden. Ich habe dir viel von der Liebe zu sagen, worauf mich dein Brief gebracht hat. So was muß man sich sagen; schreibt man, ist's so, als wenn man Schlagwasser aufs Schnupftuch gießt. Ich denke, die Liebe ist noch das Einzige, was in der Welt von ihrem Stande der Unschuld, und von der Zeit, da sie aus der lieben Gottes Hand kam, übrig ist. Und du lieber Gott! bei dem allen glaub' ich, daß nicht drei Paar in ganz Curland sich lieben, wie man recht liebt, sich lieben wie wir. – Du wirst über vieles lachen, was ich mir im Kopf gezeichnet, über vieles wirst du mich aber küssen. – Im Lande, schreibst du, wo man sich in der Landessprache nicht auf gute Weise dutzen kann, liebt man nur so so – – recht! ganz recht, lieber Junge, und wann hättest du nicht bei mir Recht? Das Dutzen ist so was zum Herzen, daß ich's nicht sagen kann. Was das hübsch ist, daß du deinen Vater und deine Mutter du zu nennen das Herz hast. Meinem Vater dürft' ich so nicht kommen, der Muttter wohl – darum liebst du auch deinen Vater mehr, als ich den meinigen. Unsere Mütter lieben wir, glaub' ich, gleich. – Den kleinen Finger von der Liebe, womit wir uns lieben, auch der nicht! – Ich habe schon gedacht, ihr Männer könnt nimmer so zärtlich seyn, als wir. Hörst du? als wir. Wo ich alles vernehme, was ich schreibe, mußt du besser wissen, als ich – denn in Wahrheit, wenn ich mich an das Papier setze, weiß ich kein Wort. Morgen von vier bis sieben! Ich würde nicht eine Sylbe an dich schreiben, wenn du es nicht so wolltest, aber du müßtest ohne Ende und ohne Ziel an mich schreiben, sonst wüßte ich nicht, was ich anfinge. Ich finde in keinem Buche das, was ich in deinen Briefen finde. – Was du aber in meinen findest, kann nicht viel seyn.
[143] N.S. Komm ja um vier; mich ärgert, daß ich alles so voll geschrieben habe, ich möchte dich gern noch einmal, und noch einmal drum bitten: um vier.
Sie an Ihn.
Sie an ihn! diese Erfindung macht dir Ehre. Du und ich, ich und du. Mehr ist für uns nichts in der Welt. Mir kommt's wenigstens so vor. Es geht dir mit meinen Sachen, wie mir mit den deinen. Ich könnte nicht leben, wenn ich nicht was von dir bei mir trüge. Ich sehe dieß als ein Pfand an, das du mit einem Kusse auslösen mußt. Den letzten Brief trage ich immer im Busen, bis ihn der folgende ablöst. Dein Tuch aber kann ich in der Hand halten und küssen, und mich damit vor aller Welt Augen erfreuen. – Mein Tuch und meine Feder, und mein Buch und das Band auf meinem Kopfe, das du nicht berührt hast, ist mir als ein ungetaufter Heide. Was du angefaßt hast, ist mir eingesegnet und geweiht. Die Stadtleute, die nicht wissen, wie schön es ist, Blumen an der Wurzel zu sehen – geben sich einander Blumen. Ihr Blumengeschenk – das habe ich von dir – ist ein Bild ihrer Liebe, die auch bald dahin stirbt. Ich möchte nicht in der Stadt wohnen um vieles! Die Leute, glaub' ich, haben da den lieben Gott nur in der Kirche, wir – der Name des Herrn sey gelobt! – haben ihn überall. – In Mitau werde ja nicht Pastor. Werd' es auf dem Lande. Da hast du halb predigen, und wir leben doppelt. In der Stadt ist man, wie's in der Bibel steht, lebendig todt. Man lebt sich da, wie du sagst, krank und todt. Daß du mir ja keine neue Feder mehr schickst. Ich will keine, mit der du nicht schon geschrieben, und die du nicht schon in Gang gebracht hast. Und was ich noch mehr will, das hätt' ich bei einem Haar vergessen. – Der alte Herr geht morgen aufs Land und bleibt drei Tage. –
[144] N.S. Um acht Uhr des Morgens kommt der Wagen nach ihm; um neun ist er gewiß nicht mehr hier.
Sie an Ihn.
Gestern, lieber Mann meiner Seele! Einziger! habe ich den Geburtstag unserer Liebe gefeiert. Im Buche der Lebenden, das vor dem Throne Gottes liegt, sind wir gewiß von Anbeginn in einer Reihe zusammengeschrieben. Ich zittere und freue mich. Es schaudert mich und ich bin entzückt, da ich an das zurückdenke, was gestern neu geboren ward. Der erste Kuß und mit ihm der Schwur: »Ewig mein!« ich habe meinen Schutzengel sehr gebeten, es dir einzuflößen, was ich gestern empfunden habe, es ist unausschreiblich! Denkst du auch noch zurück? Unsere Augen waren die ersten Bekannten; sie waren immer zusammen, wenn sie sich erreichen konnten. Eh man sich liebt, ist das Auge, wie du sagst, als eine Sonne mit Wolken belagert. Die Liebe steckt das Auge an, zuvor ist es eine unangezündete Kerze. Kaum brennt's, so ist auch der ganze Mensch hell. – Alles stufenweise in der Liebe! Nach dem Blick eine Berührung. Ich denke noch oft daran, wenn sich unsere Finger berührten, da du mir was reichtest, oder ich dir – die Funken spritzten mir bis in die Seele, so oft wir so Feuer anschlugen, und da ich dein Glas wie aus Versehen nahm, und du das meinige, und da ich mit gutem Bedacht an eben der Stelle trank, wo du getrunken hattest. Himmel, was trank ich! ich trank dich, ich war von dir betrunken, und mein ganzes Blut ward davon entzündet. Endlich das hohe Fest, dessen Jahrestag gestern war! Sprachen wir oder sprachen wir nicht? Ich glaube: Nein. Sprache und Liebe bestehen nicht sonderlich, das habe ich oft erfahren. Die Sprache ist ein ungetreuer Dienstbote. Gott, wie du mich küßtest und drei Blüthen vom Baume herabfielen, um diesen Ort zu heiligen, und die Nachtigall schlug, und wir dieß [145] alles nur halb sahen, nur halb hörten, bis wir uns von diesem Kusse erholt hatten! O Mann, o lieber Mann! welch ein Fest! Wie hab' ich gebetet, daß Gott mit unserer Liebe sey! Er, der die Liebe ist, sey mit unserer Liebe! Er weiß das Ja, das wir stammelnd vor seinem Angesichte ablegten, die Sonne beschien es, der Altar war mit Vergißmeinnicht bordirt und mit Blumen geschmückt, die so schön zusammenstanden, als ob sie auch untereinander vermählt und zusammen getraut wären. An diesem Tage, lieber Mann! müssen wir auch einmal, wenn Zeit und Stunde ist, vor der Welt zusammengegeben werden. Dieser unser Welthochzeittag sey uns ein untergeordnetes Fest, und also am nämlichen Tage! – Man muß Gott mehr lieben als die Menschen – ich habe sehr, sehr für dich gebetet. Ich bin deinetwegen beim lieben Gott Sturm gelaufen. Laut, laut schrie ich: Gott sey mit ihm, mit ihm! Ich nenn' dich immer zum lieben Gott Er. Gott weiß ja alle Dinge. Einmal – das muß ich dir ohrbeichten – kam mir der Alexander in den Mund, und ich ward so zurückgesetzt – ich schämte mich so vorm lieben Gott, daß ich in zwei Tagen kein Wort hervorbeten konnte. Ich denke, es kommt daher, weil wir Alexander gespielt haben, und weil der liebe Gott das Herz und kein Spiel haben will. Weißt du woher anders? schreib's mir. Es war doch nicht ein Schelmenstück, daß du den Alexander machtest, und mein Bruder Benjamin den Darius. Du heißt ja leider Alexander. Da bin ich wie deine Mutter! Ich gäbe was drum, wenn du Johann oder Gottlieb hießest. – Ich vergess' es nicht, was der Herr Candidat * sagte, der als Volontair nur einem der Feldzüge zusah, den dein Vater mitmachte: »Gut wär's, wenn überhaupt König nur gespielt würde!« Dein Vater schüttelte Nein! warum nein? – Ich bin des Herrn Volontairs Meinung.
Es hat doch bei unsern Schlachten kein Junge ein Bein gebrochen, und die Jungens sind alle so vollkommen, so stark. Benjamins [146] Fuß ist obenein gerader geworden; was fällt aber nicht, wie man hört und liest, im Kriege? Im Anfange glaubte ich, daß in der Geschichte die Zahlen verdruckt wären, ich fand's aber oft ganz ausgedruckt. Die Leute sollten's nicht so deutlich machen, damit man wenigstens denken könnte, es wäre eine Null zu viel. Da seh' ich, was ich zusammen geschrieben habe. Wenn du oder ein anderer Alexander das, was ich geschrieben, schreiben, oder besser zusammenlegen sollten, wär's ordentlicher und kürzer, glaube ich, aber nicht herzlicher. Ich streiche nichts. – Mögt ihr doch streichen, wenn ihr nur nicht das Herz herausstreicht, wie ich glaube, daß es die meisten von euch thun. Da fiel's mir neulich beim Pilatus ein: »was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.« Gott verzeihe mir's. Ich dachte – das Weib – er, als Landpfleger, hätte ja streichen können. Wie ich froh bin, lieber Junge, das wird dir dein Schutzgeist sagen. Der meinige hat ihn heute gewiß mehr als einmal besucht und es ihm erzählt. Wenn wir sie kennen lernen werden, das wird eine Lust seyn. Mir ist's sehr, sehr angenehm, an den Tod zu denken. Ei wie denn dir? Gott segne dich und behüte dich in alle, alle Ewigkeit! Amen! Amen!
(An der einen Seite:)
Heute gewiß einen Brief von dir. Es ist Geburtstag. Die Briefe werden sich begegnen. Ist er noch nicht abgeschickt, laß ihn den meinigen küssen; ich werd's empfinden; und eh' die Briefchen einmal, wenn wir zusammen sind, auch zusammen kommen und sich paaren, wird's noch eine Zeit dauern. An unserm Welthochzeittage wollen wir sie zusammen legen. Eben denk' ich dran, wie furchtsam unser erster Kuß war, um dir zugleich eine gute Lehre zu geben. Jetzt ist's so, als wenn du mir das Aug' austrinken wolltest, wenn du es küssest. – –
[147] Sie an Ihn.
Ich habe zum erstenmale einen Menschen sterben gesehen! und gleich zum erstenmale eine Mutter. Nun würde folgen, selbst zu sterben, und das Entsetzlichste – von deinem Tode zu hören. Denn dich sterben sehen, wär' unmöglich. Lieber Junge, alles auf einmal! Du wirst weg – meine Mutter ist schon weg. – Du kommst zwar wieder, allein meine Mutter nicht mehr. Du weißt, wie ich sie geliebt habe, und wie sehr ich Ursach dazu gehabt. Wenn wir zu einem Briefträger einen Vertrauten nöthig gehabt, wäre sie es gewesen. Du hast mir's gesagt und geschrieben: Ein Mädchen kann zur Vertrauten in der Liebe niemand anders als eine Mutter nehmen – höchstens einen Bruder. Wie wird's jetzt werden, da du dem Benjamin unsere Liebe nicht entdecken willst? – Du schreibst, ein guter, sehr guter Junge, nur ist er gewohnt in die Flucht geschlagen zu werden. Wer Geheimnisse bewahren will, muß des Siegens gewohnt seyn. Wir armen Leutchen! jetzt schreiben wir einander und tragen die Briefe selbst an Ort und Stelle. Wenn du aber nicht mehr dreißig Schritte für Männer, und sechzig Schritte für Weiber, und fünf und vierzig Schritte, wenn wir beide zusammen gehen, von mir entfernt seyn wirst, wie werd' ich dir meine Briefe im Buche reichen oder in die Hand drücken, oder auf diese oder jene Stätte legen, welche der liebe Gott bloß unserer Briefe wegen so dick mit Gras bewachsen ließ, um unser Geheimniß zu decken. O Gott! wenn ich an deine Abreise denke, ist's mir so, als wenn ich meine Mutter sterben sähe, und doch wirst du wieder kommen, und dein Weib bekennen vor den Menschen. Gott helf' uns dieses Bekenntniß vor dem Altare ablegen, wo wir ehemals unser Glaubensbekenntniß gen Himmel ablegten! Du mußt auf eine Universität, das hast du mir bewiesen, also gehe hin. – Ich werde dir noch viel, viel mitgeben, daß du dich meiner erinnern kannst! – Du armer Junge! ich behalte doch mehr zurück. [148] Dein Vater hat deine Finger, als wenn ich sie sehe. Wie werd' ich darnach blicken, selbst wenn er mir die Hand beim Beichtstuhle auflegen wird, selbst da werd' ich an deine Hand denken. Das ist keine neue Sünde! Was behalt' ich nicht noch mehr! Alle die Oerter, wo du gingst, wo du kamst. Wo Alexander siegte, wo ich deine Gefangene war, wo unsere Augen einen Bund machten; den Altar, wo wir getraut wurden; den Ort, wo wir Concert hielten; wo du oft, oft mich zusammennahmst und küßtest, und wo ich dir durch einen bescheidenen Kuß für deinen heftigen dankte; wo wir uns freueten, daß es Frühling war, und das erste Veilchen, die erste gelbe Blume, den ersten Schmetterling bewillkommten. Der Ort, wo dein Vater uns überfiel, lieber Junge! – ich glaube noch immer, du magst mir so viel sagen als du willst, der hat viel zu deiner Abreise beigetragen. – Der Tod sucht Ursach. Gott sey Dank! noch fünf Monat. – Was wimm're ich Thörin! du gehst hin, um beständig bei mir zu seyn, um Stroh zum Nestlein für uns zu holen. – Flieg denn aus, find bald dein Stroh, und denk, daß deine Sie auf dich wie eine von den klugen Jungfrauen wartet. Schick' mir dann und wann eine Taube mit einem Oelzweig. Wir müssen noch verabreden, wie wir's mit den Briefen halten wollen! – ich kann dir nicht sagen, wie mir ist! – So sind wir Menschen! Wer stirbt gern, wenn er gleich weiß, daß er dadurch zum ewigen Leben kommen soll? – Das Letzte ist gewiß. Leute, die recht sehr fromm sind, müßten hier schon wie dort seyn. Sie studiren die himmlische Geographie, und sind im Himmel so, wie ich in Gedanken auf all' den Universitäten seyn werde, wo du wirklich seyn wirst. – Wer stirbt aber gern? Wer? Warum ich eigentlich an dich schreibe, hab' ich dir noch nicht gesagt. Ich habe meine Mutter vor dir nicht sehen können; ich will sie unsere Mutter nennen, meinen Vater aber nie, nie unsern Vater. Der meinige ist er, weil's Gott hat haben wollen; warum sollst du dich [149] aber mit ihm beschweren? Gott verzeihe mir's! wenn ich hiedurch dem vierten Gebote zu nahe trete – du hast mich als Mann darüber losgesprochen und die Grenzen abgemessen: »Bis dahin und weiter nicht.« Als Pastor mußt du diesen Losspruch noch bestätigen und vollführen, Amen! Wieder von unserer Mutter ab – ich hab' dir noch etwas Schriftliches von ihrem Abschiede versprochen, weil ich's dir mündlich nicht sagen konnte.
Wisse also, mein lieber Junge, daß ich ihr, kurz eh' sie starb, unser Liebesgeheimniß entdeckt habe – ich habe vor der Minute gezittert, da es hieße: Vollbracht – nachdem ich ihr aber unser Geheimniß gesagt hatte, zitterte ich auch für ihre Besserung. – Ist's nicht gut, daß ich's ihr gesagt habe? – Sie hätt's doch im Himmel erfahren, und dann hätte sie Ursache gehabt, es mir zu verdenken, wenn dieß Wort im Himmel nicht verboten ist. – Was weiß ich – ich dachte, es wäre unrecht, sie ohne dieß Geheimniß sterben zu lassen. – O lieber Junge, welchen Segen hat sie über uns ausgesprochen. Sie war schon lange wie todt, hatte lange sprachlos gelegen, da ich ihr aber unsere Liebe erzählte, bekam sie ihre Sprache wieder. Zacharias fiel mir ein mit seinem – »er soll Johannes heißen.« Sie nannte dich Sohn. Das hätte sie in dieser Welt nicht das Herz gehabt, wenn ich gleich wirklich die Frau Pastorin gewesen wäre. Sie fühlte aber, wer sie war! Sie fühlte ihre Beförderung zum Engel. Sohn! Sohn! Sohn! sprach sie, als ob sie sich dabei was zu gut thäte, und blieb im Segnen. – – Gewiß hat sie's mit himmlischen Worten fortgesetzt, was sie mit irdischen angefangen; und was sie in Schwachheit begann, geendigt mit Kraft. Gott schenk' ihr die himmlische Seligkeit, die sanfte, ewige Ruhe der Auserwählten! Auf ihrem Grabe will ich oft Rath holen, wenn ich in deiner Abwesenheit Rath bedarf – du mußt noch oft, oft, – so schwarz, so nackt, so unbegrast, so unbeblümt es gleich da ist – (wer wird sich aber [150] vor Staub, vor seinesgleichen fürchten?) oft mußt du noch an ihr Grab mit mir wallfahrten. O Lieber! mir ist so – so – rings ums Herz, als wenn ich meiner Mutter bald folgen werde – und hätt' ich dich nicht – wie gern! wie gern! ich hätte diese letzten Zeilen gern weg! Aengstige dich nicht. Du kennst mich so gut, wie ich mich selbst kenne!
Du schreibst mir: »Schone dich! ich weiß, du bist in dein Leben nicht verliebt – schone dich meinetwegen!«
Junge! deinetwegen, deinetwegen, deinetwegen will ich leben, leiden und sterben! –
Da hab' ich ihn mit einem Griffe deinen lieben Brief, den ich aufsuchen wollte.
»O Mine, wenn doch unsere Väter alle Nächte den Himmel observiren möchten. – Was war das für eine Nacht! Mine – was für eine Nacht! Mine, was für eine Nacht! Wie feierlich, zwischen eilf und zwölf auf dem Kirchhofe zu seyn! mit dir! mit dir allein auf dem Kirchhofe.« – – Ich vergesse dieseszwischen eilf und zwölf in meinem ganzen Leben nicht. – Die Alten sahen auf der andern Seite des Kirchhofs nach den Sternen, und ich? »sah dich – dich – dich – doch warst es du? Sag, warst du entzückt, oder warst du wie sonst? Ein Mondstrahl umleuchtete dich – ich stand im Dunkeln und sah ein Gesicht im prophetischen Sinne. – Nie hab' ich so was gesehen! du warst verklärt, und dein Gesicht war wie eines Engels Angesicht: so – so – wie ich dich nach der Auferstehung der Todten sehen werde in alle Ewigkeit!«
Wozu diese Abschrift? – gleich, lieber Junge.
Gestern standst du in der Sonne! Sie beschien dein edles Angesicht – sanft und zurückhaltend war ihr Strahl, so als wenn Gott mit Menschen spricht. – Die Sonne blitzte nicht, sie hatte einen Augenschirm vor, und ich! kurz lieber Junge, wie es dir mit [151] dem Monde ging, ging es mir mit der Sonne; ich sah dich, ich kannte dich, allein du warst wie Moses, indem er vom Berge kam und mit Gott gesprochen hatte, und ein Gesicht voll Sonnenglanz mitbrachte – da dacht' ich: Sonne und Mond ist Mann und Weib. – Da sah ich uns beide im Himmel, dich in die Sonne, mich in den Mond gekleidet – ich weiß nicht, wie mir war! mir kam es so vor, daß ich bald stürbe, und daß meine Mutter ein Mondgewand in der Hand hielt, mir das Sterbehemde auszog und mich himmlisch einkleidete. Ich war in Wahrheit außer mir! – das hab' ich noch behalten, daß es selig wäre, selig, selig wäre zu sterben – wenn du mit stürbest. – Gottes heiliger Wille geschehe!
Oben wo sie angefangen hatte (das andere ist so voll geschrieben, daß kein Wort mehr Raum hat): Was haben wir nicht noch abzureden, ehe du gehst. Fünf Monate sind zu kurz, wenn wir von vier des Morgens anfingen und um neun aufhörten. Wie kommt's, daß wir nicht zum Worte kommen, wenn wir zusammen sind.
Dixi!
Und wenn gleich meine Mutter drei Hemde-Rubriken mehr während der Zeit erfunden hätte. Dixi!
Euch, gute Seelen, die ihr den Hänfling, den ein Bube aus dem Neste stahl, um ihn mit aufgeweichtem Brode zum Sklaven zu füttern, versteht, wenn er, seinem Kerker entflohen, auf dem benachbarten Kastanienbaume seinem Tyrannen Hohn singt;
Euch, gute Herzen, die ihr einer Pflanze die Wollust ansehen könnt, wenn der Gärtner sie aus dem Blumentopf in die weite Erde bringt, oder einen Feigenbaum, wenn der Besitzer in nördlichen Gegenden ihn vom Fenster in den schönen sanften Regen setzt;[152] Euch wenigen Edeln! die ihr, wenn die Bohne in eurem Garten eine schwere Geburt hat, ihr nachhelft und die Schlauben abstreift, um ihr Luft zu machen, und die Blume, die der Sturm wie eine Wittwe beugt, mit tröstender Hand aufrichtet, damit sie, so wie ihr selbst, gen Himmel sähe, euch, die mein Vater Seher, von Gott Angehauchte, nennen würde; Euch, die ihr höret und sehet, was Viele mit offnen Augen nicht sehen, mit offenen Ohren nicht hören, schreib' ich diese Briefe zu. Schützt sie wider Hof- und Stadtleute, die Ach und Weh über sie kreischen, wider die Schwätzer und Trunkenbolde in der Liebe, die, gewöhnt an italienische Musik, die kein Schäfchen blöken, keine Nachtigall schlagen, keine Biene schwärmen, keinen Käfer brausen hören können.
* * *
Es war eines Sonnabends – wie hätt' es wohl ein anderer Tag seyn können? – da mich meine Mutter bei der rechten Hand nahm, welche sie dieAuserwählte zu nennen pflegte, und sich folgendergestalt verlauten ließ: Mein Sohn, heute König, morgen todt. Es ist leicht möglich, daß, wenn deine Noviciatsjahre geendigt sind, und du dich, zu Ablegung der heiligen Gelübde, nach Curland zu den Altären deiner Väter mütterlicher Seits einfindest (mein Vater hätte gesagt: wenn du deine Jahre der Wanderschaft zurückgelegt und ans Meisterrecht denkst), du mich nicht mehr in dieser irdischen Hütte siehst. – Dort sehen wir uns gewiß und wahrhaftig; indessen hab' ich noch viel auf meinem Herzen für diese Welt, das ich nicht gern wie einen Haufen Reiser zusammenraffeln, sondern mit Zuckererbsen zur Saat lesen und sondern und dir ins Ohr säen, oder, nach dem ein und vierzigsten Psalm im achten Verse, raunen möchte.
Ich glaubte, daß dieser aufgespannte Pfeil Minchens Geschichte treffen würde, allein ich betrog mich am Ende, obgleich ich meine Mutter, um ein anderes tödtliches Gewehr anzuführen, Pulver auf [153] die Pfanne streuen und zielen sah, da sie von den Vorzügen eines guten, ehrlichen Herkommens sprach. Sie lenkte auf meinen Vater, ihren vielgeliebten Eheherrn, und legte es mir so nahe als möglich, daß ich sie fragen möchte, was sie wohl von seiner Abkunft dächte? Wir bogen beide zur Rechten und kamen nicht zusammen. Freilich hätt' ich auch gern gewußt, was meine liebe Mutter, baß als ich, von dieser Sache wußte. Ich befürchtete aber Aufträge zu gewissen Fragen an meinen Vater, und wie hätt' ich einen Mann foltern, oder wie meine Mutter sprach, stöcken sollen, der so väterlich war, mir wegen Minchen keine Frage ans Herz zu legen? Sie mußte also durch einen andern Weg in ihr Land. Ueber deinen Vater, sagte sie, habe ich tausend und abermal tausend Thränen vergossen. Selten wird ein Frauenzimmer das Wort Thränen trocken aussprechen, und ohne es anschauend zu machen, was Thränen sind.
Ich weiß zwar nicht, wo er her ist, und wer seine Eltern gewesen, bald hätt' ich liebe Eltern gesagt; Gott weiß aber, ob sie's verdient hätten und ob's nicht unschlachtig Volk gewesen. – Ich vermuthe, daß sie ihm eben keine Ehre machen können, denn sonst wüßte ich nicht, warum er so zurückhaltend über diesen Punkt zu seyn Ursach hätte. Hier fing sie so bitterlich an zu zeigen, was Thränen sind, daß ich sie herzlich tröstete. Sie jammerte mich von ganzer Seele.
Was ich weiß, will ich dir sagen; wollte Gott, daß es ohne die größte Bewegung meines Herzens geschehen könnte.
Ich verbat ihre Erzählung, da ich sah, wie sehr es sie angriff.
Nein, um des Himmels willen, nein, aber nein, rief sie aus, und wenn mir drüber das Herz brechen, wenn ich gleich sterben sollte, mußt du alles erfahren, was ich gewiß weiß, was ich hoffe, was ich glaube, was ich fürchte, und noch manches was mehr.
[154]
Nichts war es spät und frühe
sang sie –
Um alle meine Mühe;
Mein Sorgen war umsonst. –
Und nach Vollendung dieser Herzstärkung fing sie an: Du weißt, wie sich die Lebensläufe unserer in Gott ruhenden Vorfahren anfangen: »Was nun anlangt« – ich kann diesen Anfang nie, ohne Lust aufgelöst zu werden. – beten –
»Was nun anlangt die ehrliche Geburt, den Tauftag, den geführten christlichen Lebenswandel und die selige Sterbestunde unserer in Gott ruhenden Glaubensschwester, der weiland viel ehr- und tugendsamen Frauen, Frauen – – so ist selbige – – von christlichen Eltern geboren. Ihr Herr Vater war der weiland Wohlerwürdige, und ihre Mutter die weiland – – leibliche Tochter des weiland Wohlehrwürdigen – ihr Herr Großvater war der weiland Wohlehrwürdige – so viel Weilands Wohlehrwürden ohne Ende und Ziel.« Bei deinem lieben Vater ist ehrliche Geburt und alle Wohlehrwürden in die Rappuse gegeben. Gott gebe, daß dieser Gedanke ihm sein Sterbelager nicht schwer mache.
Es war im Jahr nach Christi Geburt 17 – den – da er zu deinem lieben, seligen Großvater gegen Abend um sieben Uhr ankam. Es schlug eben unsere Stubenuhr, die so katerhaft brummte, eh' sie eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben herauswürgte, daß ich kein Wort von den Erstlingen deines Vaters zu vernehmen im Stande war. Er schien mir mehr mit dem Rücken als mit dem Munde zu sprechen. – Es war der kälteste Winter, den ich je erlebt habe. Ich sehe noch, wie dein Vater that, als wüsch' er sich die Hände. Drei Aepfelbäume rührte der Frost in unserm Gärtchen, auch den letzten Zahn, wie es deine Großmutter nannte, oder den letzten Pflaumenbaum. Dein seliger Großvater pflegte im Scherz zu sagen, so viel wäre wohl außer Zweifel, daß das [155] Paradies nicht in Curland gestanden hätte – im Scherz sag' ich, denn er war sonst, wie sich's eignet und gebühret, mit Haut und Haar, mit Herzen, Mund und Händen, Curländer.
Deine liebe Großmutter, so gastfrei wie ich, bat abzulegen. Dein Vater that's nicht eher, als bis er die Anwerbung angebracht hatte – nicht um mich, so weit sind wir noch nicht, sondern um die Informatorstelle, die im Kirchspiele offen war – Hofmeisterstelle, sagte dein Großvater, und belehrte zugleich deinen Vater, daß ein Prediger Pastor hieße, und deß bin ich herzinniglich froh, und verehre im Staube die wunderbare Schickung Gottes in Curland; denn kein Titel hat solche Verkürzungen erlitten, als Pastor auf deutsch. Erst hieß es Pfarrherr, mithin Herr von vorn und Herr von hinten, wie's billig ist: Herr Pfarrherr. Nachher Pfarrer und jetzt Pfarr. Daß sich Gott erbarme! wer nicht buchstabiren kann, schreibt Farr, und das ist ein einjähriger Ochse. In der Aussprache ist so kein Unterschied, wenn man auch drei Ohren hätte. Mein Vater war bei Sr. Hochwohlgeboren, der für seinen Sohn einen Hofmeister suchte, Hähnchen im Korbe. Sehr gern, sagte mein Vater, wenn wir einig werden. – Jetzt spannte dein Vater sich aus, rauchte sein Pfeifchen und that eine Mahlzeit, daß meine Mutter nachher zu mir (auch im Scherze, denn sie hungerte vor Freuden, wenns ihrem Gaste schmeckte) sagte: wäre der Candidat unter den vier tausend Mann gewesen, so viel Körbe wären nicht übrig geblieben.
Dein Vater muß es selbst gemerkt haben, denn er bewies sehr gelehrt, daß man im Winter bessern Appetit, als im Sommer hätte, so wie eine übermäßige Kälte auch schläferig mache. Das eine hatte er weidlich bewiesen, das andere war er im Begriff zu thun.
Mir strahlte dein Vater, ich muß es frei gestehen, gleich ins Herz, obgleich eine übermäßige Kälte, so wie eine übermäßige [156] Hitze, schläfrig macht. Ich sah nicht mehr gerad aus, sondern sehr oft von der Rechten zur Linken, und war dein Vater, der uns oft besuchte, gegenwärtig, so konnte mich das mindeste roth machen. Ein gestohlenes Schaf machte mich über und über roth, wenn man den Dieb nicht wußte und die Frage aufwarf: wer kann es wohl gestohlen haben? Wenn mich dein Vater fragte: ob ich wohl geruhet hätte? war Feu'r im Dach – und ich konnte wohl aus dem schönen Liede:
Ich Erde, was erkühn' ich mich,
bei jeder Sylbe, die er sprach, mit Recht singen: Sie sang –
Ganz feurig wirb mir mein Gesicht,
Und das, was meine Zunge spricht,
Kann kaum mein Ohr vernehmen!
Ich bin voll Angst und Schämen. –
Ich weiß nicht, ob ich schon an- und ausgeführt habe, daß dein lieber Vater Hofmeister wurde. Man hatte es ihm sehr nahe gelegt, ein Frauenzimmer, das der Frau vom Hause Gesellschaft leistete, schön zu finden; allein er fand weder sie, noch irgend eine Dirne also. Einige glaubten, daß er die seltene Gabe der Enthaltsamkeit hätte, davon war ich durch sein dringendes, feuriges Auge eines bessern belehrt. Er blieb nicht lange Hofmeister; sondern in kurzem starb sein seliger Antecessor, und er bekam das Pastorat, wo er noch bis diese Stunde Gottes Wort rein und lauter (das muß man ihm lassen) verkündigt.
Kaum hatte er diese Stelle, kam er wieder einen Abend und wusch sich abermals die Hände. Dießmal konnt' es schwerlich aus Frost seyn, denn es war Sommertag. Die drei Aepfel- und der letzte Pflaumenbaum haben sich nie wieder erholt und den Kuckuk nicht mehr schreien gehört, denn der Garten war ohne Windkenntniß angelegt, wie dein lieber Großvater zu sagen pflegte. Meine Mutter hätte noch nie gebeten abzulegen, da er mit der Anwerbung [157] um mich anfing. – »So viel Neigung als Dankbarkeit« – Gut, sagte meine Mutter, Herr Pastor! allein, ehe man Ja sagt, muß man sich bedenken. Beim Nein kann man eher fertig werden. Sie sehen, wie sehr ich zum Ja mich neige. Sie verlangte zu wissen – und das konnt' ich ihr nicht verdenken – wo er her wäre? wer seine Eltern wären? ob sie noch am Leben? ob er Geschwister hätte? – und auf tausend antwortete der Herr Bräutigam nicht eins. Er liebte weder die seltenen noch gemeinen Fragen meiner Mutter, und wollte nicht mit der Sprache heraus, und da die Sache weiter getrieben wurde, erklärte er mit Ja und Amen: eher unglücklich zu seyn, und weder Theil noch Anfall auf mich zu haben, als diesen Vorhang aufzuziehen.
Deine selige Großmutter war das im ganzen Hause, was ich in der Küche bin, und wollte dein seliger Großvater wohl oder übel, er mußte den Kopfschütteln. Zum deutlichen Nein konnte sie es nicht bringen. – Das war ein Fersenstich für deinen Vater. Er war gekommen, einen Salz-einen ewigen Bund zu machen, und nun zerriß er alles aufs schierste. Starken Laufs, ohne Schnauben oder Drehen, ohne den Staub von seinen Füßen zu schütteln, ohne das Wasser glum zu machen, zu reden aus Ezechiel zweiunddreißig Vers zwei, ging er verstummt von seiner Scheererin von dannen. Man sah, was er litt, und gern hätt' ich ihm hülfreiche Hand geleistet. Der Abschied war kalt und warm, sauer süß, und weg war er.
Dein seliger Großvater hielt groß von deinem Vater und liebte ihn zu sehr, als er so ganz gelassen dabei bleiben sollen. Es war dein Großvater ein grundgelehrter Mann, der aber außer der Kirche nur bloß in seinem Studirstübchen Potentat war, und es auch nur hier seyn wollte, obgleich deine selige Großmutter auch hier zuweilen ihr Licht leuchten ließ, wowider er selbst nichts hatte. Was ich von seltnen Fragen und Antworten weiß, ist von ihr. [158] Sie hatte hiervon ein Naturalienkabinet, das nicht gemein war. Ich hab' oft gedacht, sie gäbe ihrem Manne manche Nuß aufzubeißen, darum ihre gelehrten Fragen! ich im Druck! und darum mein Gesang! Sie wußte, was für eine Farbe das Kleid gehabt, das der liebe Gott dem Adam gemacht, und behauptete, es wäre grün gewesen. Sie wußte die Apfelart, die Adam und Eva gegessen; wo das Paradies gestanden, und empfahl die Birnen als eine unschuldige Frucht, die auch allen Menschen besser thäte. Wenn ich's aufrichtig sagen soll, so geberdete sie sich bei Aepfeln und Birnen so, als ob diese ohne Erbsünde, jene mit Erbsünde behaftet wären – ich finde hiebei, wenn man's dazu anlegt, viel Erbauung. – Sie wußte, ob Rahel weiß oder braun gewesen; was für Federn Gabriel in seinen Flügeln gehabt; ob Adam mit einem Nabel versehen gewesen; ob David ein Adagio oder ein Allegro vor Saul gespielt; ob die Schriftgelehrten Doctores in der Theologie oder der Rechte gewesen, und ob Pilatus sich mit Seife gewaschen; wie vielmal Sela in der heiligen Schrift vorkäme.
Meinem Vater fehlt es weder an Seel' noch Leib, um meine Mutter so zu umzäunen, als ich es bin, allein, warum er nachgab, war um sich selbst ein Kreuz aufzulegen. Er behauptete, er hätte sein Lebtag keine Niete gezogen, sondern wär' allstets glücklich gewesen; und da man durch viel Trübsal zum Reiche Gottes eingehen müßte, so litt er gern diese Ungemächlichkeit, beklagte sich nur gegen mich, nachdem ich mein neunzehntes Jahr erreicht, und gegen einen einzigen guten Freund – ohne Trost anzunehmen, wohl wissend, es werde seiner lieben Frau jedes unnütze Wort noch vor Sonnenuntergang gereuen, was sie geredet hatte. Dieß geschah auch anfänglich; allein nach der Zeit weiß ich mich zu besinnen, daß es in wichtigen Fällen bis zweimal vier und zwanzig Stunden währte, alsdann aber war auch draußen schlecht Wetter, und die Sonne blieb im Bette, ohne einmal aufzustehen und zu [159] sehen, was für Wetter es sey. Hier ist der Schlüssel zu deines Großvaters Charakter.
Polykrates. Erbherr auf Samos, tödtete seinen jüngsten Herrn Bruder, und den Bruder schickte er nach Sibirien, um allein auf Samos zu wohnen. Polykrates war der älteste. Alles, was er wollte, ward.
Ich versicherte meine Mutter, die sonst Stationes liebte, daß ich diese Geschichte zur Noch wüßte, allein sie hatte, wie meine Leser es ohne Fingerzeig, so gut wie ich, merken werden, auf ihren Vortrag studirt. Bring mich nicht aus der Melodie, antwortete sie, dein Vater hat meinen Styl ohnedem ins Bockshorn gejagt. Sonst pflegten hahn und lahn und stahn meine Busenwörter zu seyn – jetzt aber muß ich genau auf die Noten sehen, um nicht aus der Weise zu kommen.
Sein guter Freund – des Polykrates nämlich – den das Glück seines Freundes nicht eifersüchtig, sondern besorgt machte, bat ihn sehr, er möchte doch Brunnenkresse zum Rehbraten essen, und nur etwas weniges sein Leben verbittern. Polykrates wirft seinen Ring ins Meer. Nach wenigen Tagen fäht ein Fischer einen ungewöhnlich großen Fisch, verehrt ihn dem Hofe und der Koch findet den Ring. Der gute Freund, der ihm gerathen, sich unglücklich zu machen, kündigt ihm nach diesem Vorfalle seine Freundschaft auf, weil er keinen so glücklichen Freund haben wollte, indem er ein so großes Unglück für ihn befürchtete, daß er ihm nicht würde beistehen können. So gesagt, so geschehen. Er fängt Krieg an. Seine Tochter warnte ihn, weil sie seinetwegen einen Traum gehabt. Es kam ihr nämlich vor, daß ihr Herr Vater vom Gott Jupiter gebadet und von der Sonne gesalbet worden. Er verwarf diesen Wink und lachte über den Finger seiner wahrsagenden Tochter. Allein siehe! Er zog nach Magnesiam, wo er von den Einwohnern jämmerlich getödtet und hernach aus Kreuz [160] geschlagen worden. So ward er, wenn's regnete, gebadet, und wenn die Sonne schien, gesalbet. – Diese Geschichte ist uns zur Lehre geschrieben, dachte dein seliger Herr Großvater. Er hatte in seinem Sinne die Hülle und Fülle und hielt sich so glücklich wie Polykrates, obgleich er nie einen Ring ins Meer geworfen und, wenn das Jahr um war, keinen Dreier übrig hatte.
Ich fand, sagt' er, von jeher die erste Rose, das erste Veilchen, die erste reife Pflaume; ging ich zu Bett, schlief ich; stand ich auf, war ich munter. Die bösesten Hunde kamen, mir die Hände zu küssen, um mir zu huldigen. Mein seliger Vorfahr hat den Pastoratsgarten bloß angelegt, um dem Winde ein Spielwerk zu machen; doch glaub' ich, wenn ich ihn so, wie er da ist, bepflanzen sollte, die curischen Stürme würden sich mit ihm vertragen; darum pflanze ich nicht wieder, was ausstirbt. Einen neuen Garten leg' ich nicht an, um dem Boden nicht, meiner glücklichen Hand wegen, Frohndienste aufzulegen. – Was ich in meiner Jugend setzte, ging alles auf. Eine Bohne, wenn sie gleich hektisch aussah, wuchs und trug gesunde Kinder. Schieß' ich, treff' ich! schießt ein anderer, weiß ich beinahe mit Gewißheit am Schuß, ob's Niete oder Gewinnst ist. Komm' ich nach Mitau, grüßt mich ein jeder, der mir begegnet, und ein jedes eher als ich. Bei allen meinen Examens ward ich über das gefragt, was ich den Abend vorher gelesen hatte. Ich schlage mit einer Klatsche wenigstens zwei Fliegen. Oft bemühe ich mich recht geflissentlich nur einer aufs Haupt zu schlagen, allein, indem ich den Streich vollführen will, kommen Freiwillige dazu; dieß macht mich aufmerksam. Erst dreißig fette Jahre, dreißig Jahre ununterbrochenes Glück, und drei Jahre darauf mager wie Pharao's Kühe. Wer nimmt sie? Dreißig magere Jahre aber voraus, und drei fette hernach, dürfen nicht öffentlich licitirt werden, man nimmt mit beiden Händen. Ich wollte nicht in der letzten Zeit meines Lebens [161] ausstreichen, was ich die vorigen Jahre geschrieben, und wie sollt' ich meinem Glücke Zaum und Gebiß in den Mund legen. Ich bin gesund, habe Nahrung und Kleider, und was noch mehr ist, habe mich von jeher damit begnügen lassen. – In Gottes Hände konnt' ich also nicht fallen, ich mocht's machen, wie ich wollte. Was war zu thun? ich gab selbst Gelegenheit, in Menschenhände zu kommen. Meine Ehegenossin muß schweigen in der Gemeinde, und ich schweige in meinem Hause.
Es war also, lieber Leser, mein Großvater mütterlicher Seits, wie es scheint, ein christlicher Sokrates; meine Großmutter aber keine Xantippe, und übrigens eine so ächte Pastorin als meine Mutter, nur jede von anderer Art.
Ein Mann soll meine Tochter heirathen, der nicht Schuster und Rademacher werden kann, sagte deine Großmutter, – der aber (sagte dein Vater im sanften Tone, als wenn er auf der Kanzel zu den Bußfertigen redete), der aber Pastor ist. Schlecht genug, schrie sie aus, daß er durch deinen Vorschuß es geworden. Ich weiß sehr wohl, daß er keinen Dreier hebräisch besitzt. Hierin hatte sie Recht. Ein Pastor, ohne die Sprache Gottes zu wissen! Da mein Vater wohl aus dem Tone hörte, daß es Zeit wäre entweder seines Leidens ein Ende zu machen oder sich zurückzuziehen, ging er gelassen aus dem Zimmer in sein Studirstübchen, wo er auch drei Stunden eingeschlossen blieb. Während dieser Zeit fing meine Mutter Bürgerkriege mit mir an. Bald war mein Kopf ein Wetterhahn, bald hatte ich läppische Angewohnheiten, und andere sieben Sachen mehr. – Der Zorn wider deinen Vater hatte sich gelegt, und sie schien es mir sehr deutlich zu verstehen zu geben, daß, wenn ich nur den Kopf gerade gehalten, mein Bräutigam wohl gesagt haben würde, wer sein Vater wäre. Endlich sprang ihr Zorn, so wie das Fieber, wenn's nicht mehr so heftig ist, das von deinem Vater auf deinen Großvater, und von deinem [162] Großvater auf mich gekommen war, von mir auf die Kathrine. So fuhr der Satan, meiner Mutter nicht zu nahe geredet, in die Säue. Kathrine hatte ihr, statt des Salzfasses, Pfeffer gereicht, woran sie freilich nicht gut reichte, denn meine Mutter schüttete so viel Pfeffer in die Fische, als sie Salz gebraucht haben würde. Pratz! eine Ohrfeige, und nun war der Zorn gelöscht. Zwar zischt' es noch, als wenn Wasser auf den glühenden Herd gegossen wird, indessen ward es zuletzt ganz, ganz mausestille.
Dieß Pratz war eben keine Christenpflicht; indessen was denkst du vom Pratz der Fr. v. ***, welche bei ganz kaltem Blute jedes neue Dienstmädchen, wenn es zum erstenmale Hand aus Porcellan legt, mit einem Pratz bewillkommt. Warum, gnädige Frau? »Damit ihr ein Andenken habt, so oft ihr das Porcellan zur Hand nehmt.«
Meine Mutter mochte dieser Blutreinigung wegen gern das alte Gesinde behalten, und ich bin ihrer Meinung. – Es muß doch wo einschlagen, und ersticken würd' ich! ich! Kreuzträgerin! wenn ich mich nicht ausschelten könnte. – Babbe wäre den andern Tag abgestellt, nachdem sie die königliche Frau Mutter gemacht hatte, wenn man mit neuem Gesinde so herumspringen könnte, als mit altem. – Ich weiß nicht, gegen das gemeinste Volk hab' ich, bis ich bekannt bin, rückhaltende Achtung; ich glaube, das macht das Bild Gottes, das es trägt.
Das Gebet vor Tische, welches dreimal so lang war, als leider das unsrige ist, betete meine Mutter ungewöhnlich laut mit, und das war schon immer ein gutes Zeichen, denn wenn sie das ganze Haus beinahe in einander geworfen hatte, betete sie am lautesten und inbrünstigsten, als wenn sie hiemit den Himmel versöhnen wollte, und alsdann war es alles wie abgeschnitten. Dieser ihrer Gemüthsruhe bediente sich mein Vater, deinem Vater eine Lobrede zu halten; sie gab kein Wort darauf.
[163] Auf einmal fing sie von selbst an: Er liebt zu sehr, als daß er sie verlassen sollte, und man sehe sie, wer kann dreißig seyn, ohne stehen zu bleiben und sie zu lieben (Gott hatte mich schön gebildet, wie es noch am Tage ist). Wie gerade sie sich hält, fuhr deine selige Großmutter fort, welche feine Arten! Er wird sich besinnen und sagen, von wannen er kommt. Es ist ein sehr geschickter, feiner Mann. Man kann mit Wahrheit sagen, das Hebräische ausgenommen, dein Geist, lieber Mann, ruhe zwiefach auf ihm. Du Elias, er Elisa. Ich hatte diesen Gedanken gleich, da du ihm deinen alten Mantel verkauftest.
Denk das nicht, mein Kind! sagte dein seliger Großvater, der über den Namen Elias sich vergnügte, ich habe wenig Aussicht, denn er hätte gewiß, da er in die freie Luft kam, ein freundlich Wort fallen lassen; allein – meine Mutter blieb, der freien Luft unbeschadet, bei ihrer Hoffnung, und that unwillig, daß dein Großvater mir nicht einen Vater gönnte, dem dieser Unwillen hinreichend war, auch Hoffnung zu fassen.
Das Gespräch wurde auf die hebräische Sprache gerichtet, von welcher dein lieber seliger Großvater behauptete, daß sie eben nicht so nöthig für einen Diener des göttlichen Worts an einer christliebenden Gemeinde sey, und daß er selbst nicht einen Punkt zu verborgen, sondern nur zur höchsten Noch hätte. Dieser letzte Umstand beruhigte meine Mutter, und mich machte er noch betrübter als ich schon war, denn das einzige was mich bei dem Vorfall, wenn dein Vater mich verlassen, getröstet hätte, war der Umstand, daß er nicht hebräisch konnte, und also nicht alle gesunde Gliedmaßen als Geistlicher hätte.
Hier hielt meine Mutter an, und nachdem sie mich befragt, ob ich wozu Appetit hätte, und ich für alles gedankt, wandte sie sich nach dieser Vorbereitung ganz zärtlich zu mir, und bat mich dringend, dieser Umstände ungeachtet, alle nur mögliche Sorge auf [164] die hebräische Sprache zu verwenden, welches ich ihr auch feierlich versicherte. Es ist alle Vermuthung, daß dieß die Sprache der andern Welt ist, und dann darf ich meinen Sprachmeister nicht weit suchen. Ich war jetzt neugierig geworden, ihre Helden-, Staats- und Liebesgeschichte zu Ende zu hören, und hatte nicht Ursache, hierum zu bitten.
Wir gingen ein jeglicher seinen Weg ins Bette; allein, welche Vigilien für mich! So wie das Bild der Sonne im Auge fortdauert, wenn man die Augen gleich zuschließt, so sah ich auch, was ich, um zu schlafen, nicht sehen sollte. Eine arme Sündernacht war diese Nacht –
In welcher Nacht ich lag so hart,
Mit Finsterniß umfangen;
Von all'n meinen Sünden geplaget ward,
Die ich mein Tag begangen.
Gottlob, dacht' ich, die Sonne! Allein sie war mir nicht zum Glück aufgegangen.
Noch muß ich dir bei dieser erwünschten Gelegenheit vertrauen, daß eben dieser Zeitpunkt der war, da ich die geistlichen Lieder als das probatste Mittel, mein aufgewiegeltes Herz zu beruhigen, kennenlernte. Befiehl du deine Wege – Was Gott thut, das ist wohl gethan – Keinen hat Gott verlassen: das löschte meinen Durst bei meiner Angst. Wenn die Zunge an meinen Gaumen klebte, und ich zwischen der hebräischen Sprache, meiner Mutter und deinem Vater getheilt war, fing ich an zu singen. Fühlt' ich gleich nicht die Wahrheit in ihrem ganzen Umfange:
Wenn ich ein Lied von Herzen sing,
So wird mein Herz recht guter Ding,
so ward ich doch gottergebener und weicher, und da mein ganzes übriges Leben zwischen Thür und Angel ist, und ich nie aus diesem [165] Drang gekommen – sing' ich weiter, bis ich kommen werde zum hohen Halleluja vor dem Throne Gottes:
(Sie sang's)
Da, da,
Da ist Freude,
Da ist Weide,
Da ist Manna,
Halleluja! Hosianna!
Den andern Morgen ein Brief!
Ein Brief, sagte meine Mutter. – Hab' ich's nicht gesagt? Sie wog ihn – das Geschlechtsregister liegt drin. – Meine Mutter irrte; es war ein Brief an meinen Vater, und einer an mich.
Auch gut, sagte meine Mutter, laß hören.
Der Brief an meinen Vater enthielt eine Danksagung für alle Freundschaft. Das Herz redete darin. Dem wohlehrwürdigen Mann flossen Thränen die Wangen herab. Jede von diesen sanftabschleichenden Zähren verdiente in eine Perle verwandelt zu werden. Wenn er gestorben wäre, setzte mein Großvater hinzu, würd' ich nicht weinen; ich habe noch nie über einen Todten geweint, denn er ruhet in Gottes Hand; allein ich weine über ihn, weil er nicht todt ist.
Es ist ein sehr rührender Anblick, einen glücklichen Mann weinen zu sehen! – Ich glaube, wenn er je gewünscht, ein Kreuzträger anderer Art zu seyn, so war es jetzt. An deine Großmutter hatte dein Vater einen kostbaren Ring beigelegt, den er, wie er schrieb, für seine Braut bestimmt gehabt, und den er jetzt nicht besser, als auf diese Art anzuwenden wüßte. Mein Vater behauptete, dieses wäre das letzte Lebewohl; meine Mutter, es sey ein frischer Wurm zum Hamen. Mein Vater und meine Mutter behaupteten jedes seine Meinung, und ich ärgerte mich übern Wurm, wie Jonas über den, der ihm den Kürbiß stach.
[166] Würde er wohl, sagte meine Mutter mit entscheidendem Tone, solchen Ring beigelegt haben, wennn er nicht unter der Wildschur ein anderes Kleid hätte. – Ich weiß nicht, warum mir dieser Grund gleichfalls sehr wahrscheinlich auffiel; allein desto heftiger war mein Entsetzen, da ich vernahm, daß er den Pastor L – fleißig besuchte, und daß er die jüngste von seinen Töchtern, welche ein sehr lustiges und hübsches Mädchen war, heirathen würde. Diese Zeitung blitzte und traf; ich fiel, so lang ich war, zu Boden, und ward herzlich, jawohl herzlich krank. Die ganze Gegend wußte jetzt, daß dein Vater die Gabe der Enthaltsamkeit nicht hatte, desto besorgter war ich; denn so unangenehm es wir war, daß dein Vater nicht hebräisch konnte, wovon leider! manches geredet ward, so sehr lieb war es mir dagegen, daß man ihm die seltene Gabe der Enthaltsamkeit andichtete. Ich stand entsetzlich viel aus. Zu dem Gerüchte wegen der jüngsten Tochter des Pastors L – kam ein Traum, dessen ich mich jetzt erinnerte, und den ich, von der Stunde der Erinnerung an, Tag und Nacht in eins weg träumte. Die Nacht auf den Abend, da dein Vater die erste Mahlzeit bei uns aus allen Kräften that, und da er zu seiner Entschuldigung behauptete, daß man im Winter besseren Appetit hätte als im Sommer, die Nacht auf diesen Abend träumte mir, daß die jüngst Tochter des Pastors L – mir Gift eingäbe, und da es wirkte, billigte ihr Vater dieses Verfahren, und wollte mir noch eine vergiftete Pille von derselben Art im Säftchen beibringen, um, wie er sich großmüthig ausdrückte, mich nicht lange quälen zu lassen; allein seine Tochter ward des Landes verwiesen, und er ward Präpositus – wie besonders doch ein Traum ist. – Er Präpositus! Sie des Landes verwiesen! Daß ich das Säftchen des Herrn Pastor L – verbat, weiß ich! allein ob ich von dem Gifte seiner Tochter gestorben, oder nicht! konnt' ich mich nicht besinnen. Ich hatte bis dahin keine andere als biblische, oder solche Träume gehabt, [167] die in der heiligen Schrift vorkommen. Die sieben fetten und die sieben magern Kühe des Pharao zum Exempel, und die Sonne, Mond und Sterne des Josephs waren oft vorgefallen, und kein ehrliches Mädchen muß, ehe sie Braut wird, anders als biblisch träumen. Dieser Gifttraum richtete mich völlig hin. Zwar erzählte dein lieber Vater eben diesen ersten Abend, daß er den Pastor L – und sein Haus kenne, und hätte sich freilich alles natürlich erklären lassen; indessen ist und bleibt dieser Traum immer was besonderes. Man sage von den Kometen, was man will, sie sind und bleiben doch Kometen. Mein Blut siedete auf. – Ich hört' es kochen, wie das Wasser in einer Theemaschine, allein deine Großmutter hörte nicht sieden, nicht kochen. Sie nahm die ganze Sache auf die leichte Schulter, bis sie zu ihrem Erstaunen sah, daß mir das Herz zu brechen anfing. Jetzt dachte sie auf eine Kur, und diese glaubte sie mit dem Ringe auszurichten, allein sie goß Oel ins Feuer. Ich lag in einer Ungewitterhitze. Es kam ihr vor, es hätte sie etwas abgekühlt, und nun glaubte meine Mutter, wäre es Zeit, die Medicin einzunehmen. Sie schenkte mir den Ring und ich mußte ihn anlegen; allein sie goß Oel, siedend Oel zum Feuer. Bon dem Spitzchen, wo der Ring seinen Lauf angetreten, gings durch alle Adern – wellenschlagend! und ich schien außer Hoffnung. Man nahm mir den Ring ab, allein das Feuer, das er angezündet hatte, wüthete fort. Das Feuer ist ein schreckliches Element! In der Hitze wollte ich durchaus hebräisch lernen, und um mich zu beruhigen, mußte dein seliger Großvater mich darin unterrichten. Wenn ich zu mir selbst kam, seufzte ich nicht über meine Mutter, sondern über des Pastors L – jüngste Tochter. Der liebe Doktor Saft, dessen Sohn dir nächst Gott geholfen, half mir. Sein Recept war dein lieber Vater, und eine Mixtur von seiner eigenen Erfindung. Er war in der Medicin, so wie in Liebesangelegenheiten gleich stark und brauchbar. Sein Herr Sohn ist ihm [168] in der letzten Kunst nie gleich gekommen. Der alte Doktor Saft hat Wunderkuren durch Heirathen gethan.
Er verhieß es feierlich, deinen lieben Vater zurück an Ort und Stelle zu bringen. Ich sah zwar noch nicht, allein ich fühlte die Farben wie Blinde. – Wie viel hätte ich darum gegeben, wenn meine Mutter den Doktor Saft sogleich seine Straße ziehen lassen.
(Ich will meine Mutter, ihrer Lunge und der Geduld meiner Leser halber, ablösen, und das in Kurzem sagen, was sie im Langen gab.) Allein meine Großmutter und Doktor Saft gaben sich noch schwere Fragen auf: vom Kleide Adams und von seinem Nabel, vom Apfel, den er gegessen, von der Gesichtsfarbe der Rahel, und über den Punkt, ob Pilatus sich mit Seife gewaschen, obgleich meiner Mutter in ihrer Verfassung mit nichts weniger als schweren Fragen gedient war.
Mein Vater kehrte um und erhielt Ja von Mutter und Tochter, ohne daß er sagen durfte, von wannen er käme. Wer am wenigsten damit zufrieden war, ist keine kritische Frage. Der Doktor Saft sagte, indem er fortging:
Wär' dieser Trost nicht kommen,
So hätt' es große Noth.
Diese Spötterei hätt' ich ihm vergeben, versicherte meine Mutter, wenn sie bloß mich und nicht zugleich ein geistliches Lied betroffen hätte. Pastor L – war bitterböse, obgleich seine Tochter ohne hitziges Fieber davonkam und ihr Vater das Hebräische in der Fieberhitze nicht prostituiren durfte. Er hielt als Beichtvater die Traurede bei dem Myrthenfeste meines Vaters, wobei er die Vorzüge der ehelichen Geburt abhandelte. Hierbei fielen so viele Satyren auf meinen Vater, daß der arme Mann zum allgemeinen Gelächter wurde. Eine gewisse Frau v. – warf den ersten Stein und nahm Gelegenheit, in öffentlichen Gesellschaften zu behaupten, [169] er sey, wie sie sich ausdrückte, vom Kanapee und nicht aus dem Ehebette. Sie schadete sich indessen mit diesem Steinwurf. Sie warf ihn so unglücklich, daß er auf Ihro Gnaden zurückfiel.
Denn es kam bei dieser Stammgelegenheit aus, daß ihr Herr Vater seliger nicht wirklich Vater gewesen, sondern einer seiner Leute, den Hofmeister, Jäger, die Bedienten, Vorreiter ausgenommen, Vaterstelle vertreten – und so ging's bei dieser Gelegenheit sehr vielen, an deren ehelicher Abkunft vorher niemand gezweifelt hatte, in deren Augen, Nase, Mund und andern Gesichtsstellen man aber jetzt einen andern Vater lesen wollte.
Ein Ausdruck des Pastor L – war meinem Vater am gefährlichsten geworden: Nach der Weise Melchisedech. Meine Mutter sagte ihn mir ins Ohr. Mein Kind, setzte sie hinzu, dieser Name hat mir tausend und abermal tausend Thränen gekostet, und unter uns gesagt, wär' es kein Vorbild, ich hätte gewünscht, es wär' an Melchisedech nicht in der heiligen Schrift gedacht. Mein Vater wußte, daß ihn die ganze Gegend mit diesem Beinamen bezeichnete, und das ging ihm so nahe, daß er, wie meine Mutter versicherte, darüber seines Lebens müde ward.
(Hier muß ich wieder meiner Mutter den Lauf lassen.)
Melchisedech war ein König zu Salem, sagte sie ganz leise und auf Zehen, ein Priester des Allerhöchsten, oder Herzog und Superintendent von Curland in einer Person. Da dein Vater kein König ist, paßt der Name von dieser Seite nicht, allein sonst paßt viel: kein Mensch weiß, wo Melchisedech geboren, wer sein Vater gewesen, sein Geschlecht, sein Tod, alles geheim. – Als Abraham von der Verfolgung der vier vereinigten Könige, welche die Könige zu Sodom und Gomorra überwunden, und den Lot, seinen Vetter, mit sich als Kriegsgefangenen geführt, heim kam, ging ihm Se. Hochwürdigste Majestät Melchisedech bis ins Thal Sare entgegen (dieses Thal ward Königsthal benannt), ließ dem Abraham eine [170] schöne Tafel decken und sprach folgenden Segen über ihn: Gesegnet seyst du, Abraham, dem höchsten Gott, der Himmel und Erde besitzt, und gelobt sey Gott der Höchste, der deine Feinde in deine Hand beschlossen hat. Abraham gab dem Segnenden den Zehnten von allem, und mehr wissen wir von Melchisedechs Geschichte nicht. Wohl aber spricht der Psalmist im einhundert und zehnten Psalm und dessen vierten Vers: »du bist ein Priester ewiglich, nach der Weise Melchisedech.« Im Briefe an die Hebräer im fünften Kapitel und dessen sechsten und zehnten Vers, und im sechsten Kapitel und zwanzigsten, im siebenten und dessen ersten, zweiten und dritten Vers entwickelt sich dieses näher, welches du, wenn dein Vater nicht dabei ist, weiter nachlesen kannst.
Ich fand die Bemerkung meiner Mutter sehr bewährt, daß mein Vater weder öffentlich noch häuslich diesen Namen ausgesprochen. Die Nachrede vom Kanapee, welche die Frau Schwiegermutter ihrem Herrn Schwiegersohn getreulich, und oft wohl mit bittern Salzen, wie meine Mutter sagte, vorsetzte, hätten meinen Vater unfehlbar auf den Kirchhof gebracht, so daß sein Tod gewiß kein Melchisedechs Tod gewesen wäre, wenn er sich nicht plötzlich ermannt und über die Worte: Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet, eine Predigt gehalten hätte. In dieser Predigt, sagte meine Mutter, war so viel Salz undSchmalz, daß alles wie Schnecken, wenn sich ein Blättchen rührt, die Hörner einzog. Sein blutübertragenes Herz bekam Luft, und er genas. Nach der Predigt ward das Lied: In dich hab' ich gehoffet, Herr, gesungen, welchem M. Jakob Daniel Ernst in der historischen Confecttafel die rührende Befreiung des Herrn Andreas Steinberg, wohlverdienten Pfarrers zu Budin in Böhmen, zuschreibt, und wider welches ich kein Wort habe, außer daß mir der dritte Vers zu kriegerisch vorkommt.
[171]
Mein Gott und Schirmer steh' mir bei,
Sey meine Burg, darin ich frei
Und ritterlich mag streiten.
(Sie sang die drei letzten Strophen, die sich anfangen:)
Mir hat die Welt trüglich gericht't
Mit Lügen und mit falschem Gedicht –
Viel Netz und heimlich Stricke; – –
Hätte es deinem lieben Vater gefallen, mich bei dieser Liederwahl zu Rathe zu ziehen, so würden die Lieder einen ebenso allgemeinen Beifall gefunden haben, als die fanden welche ich bei deiner Predigt erkor. Jedes sprach von deines Vaters Predigt, niemand aber dachte an die Lieder, und doch gehört zurSeelenmahlzeit Essen und Trinken, Predigt und Gesang. Geschehene Dinge waren nicht zu ändern. Ich konnte nichts mehr thun, als zu Hause, um feurige Kohlen auf deines Vaters Haupt zu sammeln, einige treffendere Strophen singen. Ich sang:
(sie sang auch jetzt)
Woher wollt' ich den Aufenthalt
In dieser Welt erlangen?
Ich wäre längst schon todt und kalt,
Wo mich nicht Gott umfangen
Mit seinem Arm,
Der alles warm,
Gesund und fröhlich machet;
Was er nicht hält,
Das bricht und fällt,
Was er erfreut, das lachet.
Und gleich darauf stimmte sie an:
Er weiß viel tausend Weisen,
Zu retten aus der Noth,
[172]Er nähret und gibt Speisen
Zur Zeit der Hungersnoth;
Macht schöne, rothe Wangen
Oft bei geringem Mahl,
Und die da sind gefangen,
Entreißt er dieser Qual.
Das Lied: mein Dankopfer, Herr! ich bringe, ist wie auf diese Predigt gemacht.
Dich Lied sang indessen meine Mutter nicht, sondern empfahl es mir zum Nachlesen. Was es heiße, fuhr sie fort, er predigte gewaltiglich, hab' ich in dieser Predigt gelernt. Dein Vater trieb seine Feinde zu Paaren, zu Einzeln trieb er sie, ihre Stätte war nicht mehr. Melchisedech und Kanapee waren nun wieder Melchisedech und Kanapee. Gott sey dafür gelobt und gebenedeit! Meine Mutter versicherte mich hierbei mit Thränen, daß sie in der kritischen Zeit keinen Menschen aufs Kanapee zu nöthigen das Herz gehabt, wie sie denn auch auf die Rechnung Melchisedechs schrieb, daß ich erst im dritten Jahre nach ihrer Verheirathung das Licht der Welt erblickt (in parenthesi: ich war die erste und letzte Geburt).
Es werden nicht viele seyn, welche die eheleibliche jüngste Jungfer Tochter des Herrn Pastor L –, die ein Komet in dieser Geschichte ist, weiter interessirt, als daß sie ohne hitziges und hebräisches Sprachfieber abgekommen; indessen um alle Gerechtigkeit zu erfüllen, mag der geneigte Leser observiren, daß mein Vater ihretwegen auch nicht ein Wort beiher fallen lassen. Es war auch in diesem Pastorat erschollen, daß mein Vater die Gabe der Enthaltsamkeit nicht hätte, und dieß bewog den Pastor L – und die Pastorin (ob die Töchter daran Antheil gehabt, wußte meine Mutter nicht), meinen Vater zum Gastmahl einzuladen. Er kam und begrüßte die jüngste Tochter des Pastor L – eher als ihre [173] ältern Schwestern, und auf diesen Umstand gaben ihre Eltern die Einwilligung. Sie gefiel nach der Zeit dem – v. –, und da sich dieser mit seinen Lippen schon oft und viel zu ihr genaht, obschon sehn Herz fern von der heiligen Ehe war, geschah es, daß er sich einstmals noch mehr nähern wollte, und sie – gab ihm mit tugendhafter Hand eine Ohr –. Die Sache ward ruchbar und machte in Curland großes Aufsehen. Einige von den alten Häusern votirten, daß der jüngsten L – die Hand abgehauen werden sollte; andere Häuser, wo eben die Söhne von Universitäten gekommen waren (denen vielleicht dergleichen Ohrfeigen nichts Ungewöhnliches waren), votirten, daß die Hand eines artigen Mädchens keinen Cavalier entehren könnte. Die Stimmen waren sehr getheilt. Die Sache indessen ward zum Vergleich ausgesetzt, und schloß, wie sich die Komödien alle schließen, mit der Heirath. Der Herr v. – heirathete, o Wunder über Wunder! die jüngste Tochter des Pastor L –. So kann man auch zum Ehemanne und nicht bloß zum Ritter geschlagen werden! In Curl- konnte aber dieser Gräuel von Seiten des – v. – nicht von der Sonne beschienen werden. Der Pastor gab Geld und die Tochter – der Geschlagene nichts als Ja – weil er nichts weiter hatte und ein Krippenritter war. Das Paar reiste ab. Glückliche Reise! Mein Gifttraum, sagte meine Mutter, war wenigstens von Seiten der jüngsten Tochter des Pastors L – pünktlich erfüllt, obgleich der Pastor L – niemals Präpositus geworden ist und es auch schwerlich werden wird. Sein Säftchen war der Melchisedech, welches du ohne Auslegung verstehen wirst. Meine Mutter nahm mich beim fünften Westenknopf, von oben gezählt, und hielt mir wegen des Namens Alexander eine sehr lange Rede, die mir zugleich aufklärte, warum sie mich, wie es meine Leser selbst gehört, statt Alexander Einhörnchen genannt. Diese Aufklärung bin ich meinen Lesern zu ihrer gleichmäßigen Aufklärung schuldig. Meine Mutter war im [174] Grunde auch nicht zufrieden, daß der Ehren Einhorn, weiland zweiter Superintendent in Curland, Alexander geheißen, vielmehr sagte sie, welches mich erschrecklich befremdete, Herr Superintendent Einhorn hätte besser gethan, wenn er bei der heiligen Schrift geblieben wäre. Ich kann's nicht bergen, fuhr sie fort, daß ich dem NamenHabakuk vorzüglich zugethan bin, und wenn du so hießest, ich würde den silbernen Becher missen, der noch von meinem Großvater ist. Wenn ich's ändern könnte, Habakuk sollte mir gewiß nicht unter den kleinen Propheten seyn. War aber der Name Habakuk Sr. Hochwürden dem sel'gen Herrn Superintendenten nicht genehm, warum nicht einer von den großen Propheten, Jesaias, Jeremias, Klagelieder Jeremiä, Ezechiel oder Daniel? Warum denn Alexander? ein Name, der in der heiligen Schrift nicht sonderlich angeschrieben ist, und von dem es in der zweiten Epistel an den Timotheum, im vierten Kapitel und vierzehnten Vers, etwas mißlich heißt: Alexander, der Schmied, hat mir viel Böses beweiset, der Herr bezahle ihm nach seinen Werken; vor welchem hüte du dich auch, denn er hat unsern Worten sehr widerstanden.
Ich sah deinen Namen nicht anders als einen Höcker an. Damit ich mich indessen über diesen Auswuchs einigermaßen beruhigen möchte, nannte ich dich Einhörnchen, und dachte, geschieht dieß am grünen Holz, am Ehren Einhorn, weiland zweiten Superintendenten in Curland, was will am dürren, deinem lieben Vater, werden, von dem man außer, daß er in seiner Jugend früher Spargel gegessen als in Curland, nicht viel mehr weiß, was hierher gehören könnte.
Wie unzufrieden meine Mutter mit dem Alexanderspiel, wobei ihre Köchin Babbe die königliche Frau Mutter vorstellte, gewesen, hab' ich nie so deutlich als jetzt erfahren. Sie bezeugte ihren Todhaß gegen denHerkules, den mir mein Vater, wie sie sagte, [175] so süß vorgepfiffen, daß ich's bedauert, nicht auch Schlangen in der Wiege erdrückt zu haben. Herkules ist am Ende, sagte sie, ein blinder Heide, und Alexander auch. Ich freue mich, daß dein lieber Vater selbst in diesem Stücke seine Voreilung einsieht, und dich nicht mehr Alexander, sondern mein Sohn heißt. Du bist, Gott sey gedankt, schier ein guter Prophetenknabe, zierlich, manierlich! allein noch besser würdest du seyn, und nicht so oft in Gedanken, Geberden, Worten und Werken trommeln und querpfeifen, du würdest deine Meinung ohne Schäumchen aufgießen, wenn dein lieber Vater dich gleich mein Sohn, und nicht Alexander aufgerufen. Sobald ich dir anrieth, Särge zu schnitzeln, und Leichen zu begraben, lehrt' er dich Spieße und Bogen machen, und noch ganz klein stellte er türkische Bohnen wie Soldaten, von denen du Gottlob! damals keinen Begriff hattest. Wenn dich Leute küssen wollten, stieß er sie von dir. Brecht die Rose nicht, damit sie nicht welk werde. Er schien zu meinen, daß dir durch Küsse das Fett abgeschöpft würde. Wenn er lieben wird, setzte er hinzu, kann er küssen. Ich gab dir die wohlgemeinte Lehre, wenn eine große und kleine Pforte zu einem Wege führt, gehe durch die kleine, und hab' auch hiebei erbauliche Gedanken – Dein Vater sagte durch die große –
Ich: wenn du gähnst, schlag ein Kreuz und halt' die Hand vor.
Dein Vater: schlag kein Kreuz und laß jedem deinen Mund sehen (in diesem einzigen Stück hab' ich ihm nach der Zeit Recht eingeräumt).
Ich: wenn dir Brod oder Bibel, Gesangbuch und Luthers Katechismus, aus den Händen fällt, küß Brod, Bibel, Gesangbuch und Luthers Katechismum.
Dein Vater: küß weder Brod, Bibel, Gesangbuch noch Luthers Katechismus; heb auf, was fällt und Aufhebens werth ist, was Erd ist, laß zur Erde werden.
[176] Ich gratulir' am ersten Adventssonntag zum neuen Jahre; denn es ist der erste Tag im Kirchenjahre, und wünsche nicht nur dieses, sondern noch viele neue Kirchenjahre in Seelen- und Leibeswohlergehen anzufangen und zu beschließen. Ihm ist der erste Advent, wie der erste Sonntag nach Trinitatis – mir nichts, dir nichts. Kaum daß er am Laien-Neujahrstage, das ist den ersten Januar, Glück wünscht. Was ich eine Nickel und unehrlich nenne, heißt er unehelich. Bei dem letzten Umstande denk' ich mehr, als ich sagen kann.
Aus dem schnaubenden Saul ward ein frommer Apostel Paul, und auch du, mein Lieber! kann gleich aus keinem Alexander ein Habakuk werden: fleißige dich dennoch bei Leibesleben Superintendent in Curland zu werden. Der Name selbst würde, da schon zwei Alexanders Superintendenten geworden, wohl etwas von seiner Härte verlieren, wie Senf durch Zucker. – Hier sah man meiner Mutter eine gewisseSohnsfreude an, die bei Müttern die einzige ihrer Art ist. Wo ist ein Maler, der die Marienfreude ausgedrückt hat? Sie hätte keinen heiligen Schein nöthig, wenn dieß ein Maler treffen könnte! Man rechne, so genau man will, sagte meine Mutter schlüßlich, ein kleiner Bruch bleibt bei einem jeden Menschen übrig. – Er aber, der in dir angefangen hat das gute Werk, woll' es durch seinen heiligen Geist in dir bestätigen und vollführen, und dich kräftigen und gründen; ihm sey Ehre und Lob und Preis! Amen, Amen.
Was mich betrifft –
Sie sang:
Ich bin's gewiß und sterbe drauf,
In meines Gottes Händen:
Mein Kreuz undganzer Lebenslauf
Wird sich noch fröhlich enden.
[177] und nach dieser Strophe:
Thu wie ein Kind und lege dich
In Gottes Vaterarme,
Und laß nicht nach, bis daß er sich
Dein väterlich erbarme;
So wird er dich durch seinen Geist,
Auf Wegen, die du jetzt nicht weißt,
Nach wohlgehaltnem Singen
Aus allen Sorgen bringen.
Im Liede steht Ringen anstatt Singen. Wer wird indessen meiner Mutter diese Aenderung verdenken? Lieber hätte sie, das weiß ich, nach wohlgehaltenem Takte gesungen, sie mußt' aber den Reim bedenken.
Sie schloß in Prosa mit wiederholentlichem Amen, Amen.
Nach dieser Erzählung und diesen mütterlichen Wünschen las sie mir einen Aufsatz vor, den zum größten Theil ihr Vater für ihren Bruder aufgesetzt hatte, welcher aber in der Kinderlehre geblieben, wie sie sich ausdrückte. Vieles, sagte sie, ist deines Vaters, das meiste gehört mir. Ich will es meinen Lesern zum Besten von mächtiger zu mächtiger Stätte, von treuen zu treuen Händen mittheilen.
Noch nie war mir die Geschichte meines Vaters so sehr aufgefallen, als jetzo, wo mir die kleinsten Umstände nicht Adiaphora mehr waren, obgleich ich Summa Summarum nicht viel mehr erfahren, als ich schon wußte. Zu dem Spargel und der Pfeife in der freien Luft und den langen Manschetten war nur ein Kanapee und der königliche Priester Melchisedech gekommen. Ein Name, den ich noch nicht ohne Bangigkeit, man möcht' ihn übel deuten, ausspreche, und den ich meinen Lesern, so oft er vorgekommen, ins Ohr geschrieben habe.
[178] Denkzettel an den, der unter meinem Herzen und an meiner Brust lag, welche niemand außer seinem Vater (und der nur beiläufig) vor und nach ihm gesehen hat, der den – – – 17 – in einem kalten Winter meinen Leib öffnete und schloß, den ich die Hände falten und Gott aussprechen lehrte, und den ich in diesem Jammerthal, wo man auch bei frühem Spargel nicht an Ort und Stelle ist, nicht mehr sehen werde, aber – dort bei dem Herrn! allezeit.
* * *
Siehe zu, daß deine Gottesfurcht nicht Heuchelei sey, nicht ein Kranz, der Firne-Wein anmeldet wo doch nur Heerlingssaft ist, und suche nicht Ruhm bei Leuten durchs Weiße in deinem Auge, und durch ein Aussehen, als wenn du den Tag zuvor Medicin genommen. Die ganze Natur ist fröhlich und guter Dinge. Ehre Vater und Mutter mit der That, mit Worten und Geduld, auf daß ihr Segen über dich komme; denn des Vaters Segen baut den Kindern Häuser, aber der Mutter Fluch reißet sie nieder. Ihr Unwillen beschädigt das Dach, und es regnet ein ewiglich. Wie kann der Gott lieben, den himmlischen Vater, der nicht die liebet, die das wohlgetroffenste Bild vom Schöpfer und Erhalter an sich tragen; ehre Vater und Mutter, damit dir's wohlgehe und du lange lebest auf Erden. Sprich, wenn du Melchisedech sagen willst,der königliche Priester, so wie man den David den königlichen Propheten heißt, obgleich er auch in der Apostelgeschichte, im zweiten Kapitel, im neunundzwanzigsten Vers, Erzvater genannt wird. Gedenke, wenn du Spargel ißt, oder eine Pfeife in freier Luft rauchest und lange Manschetten siehst, oder Wein an der Quelle trinkest: deinen Vater ehren ist deine eigene Ehre, und deine Mutter verachten, heißt einen stinkenden Odem haben. Ein gutes Gewissen ist besser als zwei Zeugen. Es verzehrt deinen [179] Kummer, wie die Sonne das Eis. Eis ist ein Brunnen, wenn dich durstet, ein Stab, wenn du sinkest, ein Schirm, ein Riga'scher Pastorhut, wenn dich die Sonne sticht, ein Kopfkissen im Tode. – Der Herr, unser Gott, ist der Allerhöchste, und er schuf Löwen und Frösche, Adler und Mücken, und alles was auf Erden kreucht. Kein Sperling fällt ohne seinen Willen, und in ihm leben, weben und sind wir. Gleiche Brüder, gleiche Kappen. Gleichheit, sagt dein Vater, ist das Winkelmaß der Menschheit. Wer nicht über andere wegsieht, und am Tisch sich oben ansetzt, und nach der Hechtleber langt, erregt keinen Neid, und niemand spricht zu ihm: weiche diesem. Der größte Hümpler, die meisten Späne. Keine Antwort ist auch eine Antwort. So wie das Wasser Feuer löscht, so überwältigt die Bescheidenheit den Stolzen. Sie ist der Ring, den man dem Bären durch die Nase zieht. Gut macht Blut, Blut macht Muth, Muth macht Uebermuth. Es ist eine schwere Sache um die ächte Schamröthe. Bei vielen ist sie Schminke, und Pfui über die viele. Wenn sie aber auch gesundes, unverfälschtes Blut ist, kann man sich schämen, daß man Sünde daran thut, und kann sich schämen, daß man Gnade und Ehre daran hat, vor Gott und Menschen. Wer A sagt, muß B sagen. Aus Scham sterben heißt eben so viel, als aus Furcht sterben. Die Schamröthe bleichet nach einer Weile aus, wie eine sechsstündige Provinzrose. Kirchenbuße ist kein Staupenschlag. Wasch mir den Pelz, und mach ihn nicht naß. Wer ein Tiger in seinem Hause ist, pflegt ein Schaf außer demselben zu seyn. Sey langsam zu reden, schnell zu hören und langsam zum Zorn, denn des Menschen Zorn thut nicht, was vor Gott recht ist. Kaltes Blut hat mehr Unheil gestiftet als der Zorn! Thue nichts Böses, so widerfährt dir nichts Böses. Halte dich vom Unrecht, so trifft dich kein Unglück. Was bös' ist, bleibt böse, wenn's gleich viele thun. Wie das Bett, so der Schlaf Ringe nicht nach Gewalt bei Fürsten, denn sie sind Menschen und [180] können nicht, wenn sie auch wollten. Sey fröhlich mit den Fröhlichen, und weine mit denen, die zerschlagenen Herzens sind; denn Gott schuf uns all aus einem Erdenkloß, und blies uns einen lebendigen Odem in die Nase, und da ward eine lebendige Seele. Verzweifle nicht, wenn die Glocken um deinen Freund gezogen werden, und wenn es von ihm heißt: er ist versammelt zu seinen Vätern. Freue dich nicht, wenn dein Feind stirbt, gedenke, daß wir alle sterben werden,
Müss'n all' davon,
Gelehrt, jung, reich, alt, oder schön.
Willst du den Frevler kennen, steh ihn, wenn seinFeind den Arm bricht. Artet sein Herz zum Jubel aus, und raucht sein Haupt wie eine Flasche alter Wein, wenn man die Pfropfe herausgezogen, so hast du ihn auf ein Haar, wie dein Vetter getroffen ist im Kupferstich. – Wenn gleich der Gottlose in einem Palaste wohnet, irre dich nicht. Sein Palast ist wie das Haus der Spinne und wankender, wie ein Schauer, das der Wächter sich gemacht hat. – Es kommt die Stunde, da Schrecken ihn treffen, wie Wasser! Ein Platzregen kommt über ihn, wenn er ein seidnes Kleid anhat. Ohne Ordnung fällt man über ihn her, wie durch ein gesprengtes Thor; wie eine eingenommene Feste wird man ihn umzingeln. Ist nicht Tag und Nacht, Sommer und Winter, kalt und warm? Es liegt alles fingerdick in der Welt, das Gute und das Böse. Harre auf den Herrn, deine Seele hoffe auf ihn, er wird's wohl machen. Gott zerschmeißet und seine Hand heilet. Aus sechs Trübsalen wird er dich erretten, und in der siebenten wird dich kein Uebel rühren. Er wird deine lassen Hände stärken, damit du zu deiner Predigt den Takt schlagen könnest zur rechten Zeit, und wenn deiner Seele widert, den dunkeln Weg zu gehen, den kein Vogel entdeckt, und keines Geiers Auge gesehen; wenn es stockfinster ist, sey Gottes Wort deine Leuchte und das Licht auf deinem Wege! Er! der den Winden den Weg wies, führet seine Heiligen [181] zwar wunderlich, doch selig. Unsere Kraft ist nicht steinern, unser Fleisch nicht ehern, das weiß der uns schuf, und wird unser Lager leichtern und dir einenDr. Saft senden, wenn du krank bist, und einen Tröster, wenn deine Seele wimmert. Nichts kann uns mehr verstimmen, als das Geschrei kleiner Kinder! Die leiblichen Eltern finden es unerträglich, denn dieErbsünde ist's, die aus dem Kinde schreit, und sein Weinen verräth Unverstand und Eigensinn. So ist unser Weinen und Heulen dem lieben Gott – Kindergeschrei!
Wer am Wege baut, hat viele Meister. Leihe nicht einem Gewaltigern denn du bist; leihest du aber, so acht' es gestreut auf einen undankbaren Acker. Brich den Hungrigen dein Brod, und so du einen nackt siehst, glaube, daß ein Loch in deinem Strumpfe sey. Nackend bist du von deiner Mutter Leibe gekommen, und nackend wirst du auch heimfahren aus diesem Elend. Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen. Halleluja! Ein neuer Freund ist ein neuer Wein, laß ihn alt werden, und dann koste ihn und siehe da, solch ein Wein erfreut des Menschen Herz, daß er jung wird wie ein Adler. Wer Pech angreift, besudelt sich, wer mit Leidenschaft spielt, hat Lust zu betrügen, und wer oft tanzt, will heirathen. Sey züchtig, wenn von Dingen die Red' ist, die die Natur selbst mit Feigenblättern verhangen hat. Gewöhne dich nicht zur Sängerin, daß sie dich nicht mit einem Triller in die Flucht schlage, und dich zum schimpflichen Gefangenen mache für und für. Höre lieber eine Nachtigall, eine Lerche, oder so etwas, und dein Gemüth wirdgesund zu derselben Stund. Mit Ringen zu spielen ist nur dem Doge zu Venedig am Himmelfahrtstage erlaubt, wenn er sich mit der adriatischen See verlobet. Ich halte selbst dieß Spiel für sündlich und anstößig, wenn's gleich der heilige Dreifuß oder Sorgstuhl, auf dem dein Namensvetter, Papst Alexander der Dritte saß, im Jahr 1174 verordnete. Man muß [182] sich nicht verloben, wenn man nicht heirathen will; man muß keiner adriatschen See einen Ring geben, die nicht unsere Frau werden kann. Du verstehst, was du hörest und liesest, mein Sohn! Merke wohl, was ich sage!
(Die adriatische See war ohne Zweifel Minchen.)
Wehe dem Jüngling, der einer Dirne verspricht, was er nicht erfüllt, der mit ihr handgemein wird, wenn er nicht herzgemein mit ihr zu werden in den Umständen ist. Leute dieser Art meiden das Land wie die jüngste L – an der mein Traum erfüllt ist, und ihr Krippenritter, von dem mir nie etwas geträumt hat. Falsche Jünglinge bauen ein Gerüste von Schmeicheleien, und wenn ihr Gebäude fertig ist, zerstören sie das Gerüste, und seine Stätte ist nicht mehr. Du nicht also!
Wenn dich der böse Feind anficht
Zur linken und zur rechten Hand,
empfehl' ich dir das Tintenfaß, nicht wie unser Glaubensvater, ihm damit den Kopf zu bläuen, obgleich diese Tintenflecken an der Wand die schönste Malerei sind, die ein Christenauge in der Welt sehen kann. Der Teufel, da er schon an sich tintenschwarz ist, hatte keinen Flecken davon. Nicht des Wurfes wegen, sondern um eine Predigt oder geistliche Betrachtung daraus abzufeuern. Tinte sey dein Pulver, die Feder Flinte, die Sandbüchse Schrot. Vom Weihrauch thut dem Teufel der Kopf weh; es ist nicht fein, wenn ein Geistlicher mit etwas anderm räuchert. Um die Tinte gut zu kochen oder Teufelspulver zuzubereiten, werd' ich dir ein Recept zu deiner Wäsche packen. Es hat Kranke gegeben, auf die der Anblick des Recepts die nämliche Wirkung gemacht hat, als die Medicin, die darauf charakterisirt war. Sie schwitzten, sie gingen zu Stuhl. Der Teufel müßte sein Spiel haben, wenn dieß Recept in deine Wäsche Tintenflecken machen sollte. Stecke die Manschetten unter, wenn du schreibst, denn es steht nur einem alten wohlerfahrenen [183] Gelehrten an, mit Tintenftecken zu prangen. Leute, die die Sünde aus ihrem Fleische, wie den Staub aus ihren Kleidern herausklopfen und sich casteien, kennen den inwendigen Menschen nicht. Verse zu machen, mein Kind! ist ein probates Mittel wider die Erbsünde und die bösen Fleischeslüste, die man bloß durch Seelenmotion dämpfen kann. Es müssen die Verse aber gereimt, im Schweiß des Angesichts erarbeitet oder erjagt seyn. Dein Vater sagt, im Reimwörterbuch nachschlagen, heißt hetzen. Weg mit den Hunden; allein wo ist ein Jäger ohne Hunde? Ein Mensch, der die schmutzigsten Verse schreibt, wenn sie ihm wohlgerathen, läuft ihnen wie den unkeuschen Dirnen nach, die er besungen hat. Jammer und Schade um die Poesie! Sonst aber für jedes eine Reihe, für den Verstand eine, und für den Reim auch eine. Gib dem Verstande, was des Verstandes, und dem Reim, was des Reimes ist. Dichter probirt man wie irdenes Zeug durch's Klingen. Kein großer Sänger singt, wenn er in Gedanken ist, wie es die meisten thun, die nicht große Sänger und große Philosophen sind. Die letzteren reden mit sich selbst, und machen mit der rechten Hand eine Bewegung. Dichter pfeifen. Dein Vater. Nationen, die singend reden, und deren Sprache so ist, als wenn die Orgel gestimmt wird, singen schlecht. Alles dein Vater. Auch hab' ich von ihm die deutsche Sprache, sey nicht also. Der selige Herr Dr. Martin Luther sagt, der Teufel ist ein Trauergeist und macht traurige Leute; daher flieht er die Musica, und bleibt nicht, wenn man singt. Das Loblied Moses, der Prophetin Debora und Barak, als Sissera geschlagen ward, der gottseligen Hanna, das Loblied Hiskia, als er wieder gesund geworden, und des Jonas, da er aus dem Wallsische angelandet war, beweisen, daß nicht nur Männer, sondern auch Weiber heilige Lieder gesungen, und im neuen Testament singt der Priester Zachariä und auch die heilige Jungfrau. Durch die Instrumentalmusik spricht ein Stummer. Der Kranke [184] geneset, das Alter verjüngt sich. Durch die Stimmmusik zertheilen wir die Wolken und dringen zum Herrn. Nur die Engelstimmen gehen über Menschenstimmen. Wenn Barbaren, die kein Wort deutsch können, uns überfielen: singt! Wenn man eine Wagenburg schlägt, und euch an allen Orten ängstigt: singt! sag' ich, und abermals sag' ich's, singt! Gesang ist ein niederschlagendes Pulver, Cremor Tartari für die Seele. Mein Sohn, wenn auch ein anderer über dieß Schatzkästlein käme, er wüßte von jedem Worte, wessen Geistes Kind es sey, ob mein oder deines Vaters und deines Großvaters. Bei vielen hab' ich gesagt: dein Vater, bei vielen hab' ich's gedacht. Dein Großvater und Vater haben gepflanzt, ich habe begossen, Gott gebe das Gedeihen!
Plato und Pythagoras waren zwar blinde Heiden; indessen glaubten sie, daß der Lauf der Sterne ein Concert spiele. Lobe den, der sie in Melodie setzte. Alles was Odem hat, lobe den Herrn! Dein Vater sagt, wer dieses Sphärenconcert nicht hört, wenn er ein Loblied singt, ist ärger denn ein Heide. Die Traurigkeit macht feig; ein Lobgesang macht lustig. Durch den Gesang redet der Leib der Seele zu: Sey gutes Muths, kleine Närrin! Siehe die Lilien auf dem Felde, sie säen nicht, sie spinnen nicht, Gott nährt sie doch; sind sie denn mehr wie du? Ich sing', indem ich schreibe, und will, daß du singest, indem du liesest.
Was den Odem holet,
Jauchze, preise, singe!
Blick herauf und blicke nieder!
Er ist Gott,
Zebaoth!
Er ist hoch zu loben,
Hier und ewig droben!
Wer Gott dankt, um ihn zu bestechen, der dankt sich selbst. Mit dem Gebet kann man Gott nicht so schänden, als mit Lobopfer. [185] Bete wie ein klein Kind: Abba, mein Vater! dank auch so. Ich grüße euch, ihr englischen Sänger in der Stadt Gottes, wo alles lieblich zusammenstimmt! ich segne dich zweigliedrig, du Pforte des Himmels! du hast mir mein Herz genommen, himmlisches Jerusalem, mit deiner Süßigkeit, und die Lieblichkeit der Stimme des Vollendeten hat mich gefangen. Ich habe Lust zu singen ein Lied im höhern Chor, und den andern Diskant beim heilig, heilig, heilig! zu versuchen. Böse Gesellschaften verderben gute Sitten, und Buhlerblicke sind Pfeile, die die Seele verwunden, und da hilft nicht Kraut noch Pflaster. Hüte dich! die Buhlerin spielt dir dein Herz aus der Tasche. Hier steht sie, dort liebäugelt sie. Betrug ist ihr Gespinnst und Gewinnsucht ihr Zeitvertreib. Sieh nicht an eine Dirne, die betrübt ist, und ihr Auge niedergeschlagen hat. Wie die Gelehrten ihr Auge von der Sonne nicht wenden, wenn sie verfinstert ist, so zieht auch eine verfinsterte Schönheit die Jugend an. Jugend hat keine Tugend, und gleich und gleich gesellt sich gern. Das Werk lobt den Meister. Wie der Regent ist, so sind auch seine Amtleute; wie der Rath, so die Bürger. Ein wüster König verdirbt Land und Leute, wenn aber die Gewaltigen klug sind, gedeiht die Stadt. So wie unser Herr und Meister mit Zöllnern und Sündergesellen zu Tische saß, vermeide es auch nicht, mit Großen der Erde umzugehen. Ziele nach diesen Leuten, sonst trifft man sie nicht, und fleißige dich, den rechten Fleck zu treffen. Bücke dich, allein zerbrich nicht das Bein; sey höflich, allein nicht beschwerlich. Wende dich an die Frau, wenn du an den Mann ein Gesuch hast. Krieche nicht, denn du hast gesunde Füße. Bete nicht an güldene Kälber der Erde.
Du bist ja ein Hauch aus Gott,
Und aus seinem Geist geboren:
Darum liege nicht in Koth;
Bist du nicht zum Reich erkoren?
[186] Sprichst du mit einem König, denke, du bist ein geistlicher König; sprichst du mit einem großen Gelehrten, du bist ein geistlicher Prophet, und mit dem Superintendenten in Curland, du bist ein geistlicher Priester. Dränge dich nicht nach oben, oder zur Rechten; allein verrichte auch nicht Lakaiendienste. Hüte dich, daß dein Fuß nicht einschläft, wenn du beim Vornehmen sitzst, und zerbrich keinen Teller, wenn du ihn dem Nachbarn aufdringst. Höre mein Kind auf eine Geschichte, die ich nicht erzählen kann, ohne daß Feuer in meinem Gesichte auskommt. Ein Literatus wollte bei seinem Gönner um eine Stelle anklopfen. Da der Herr verzog, glaubte der gute Candidat Zeit und Raum zu haben, seine Strümpfe zu spannen, die nachgelassen hatten; und siehe! eben nun kommt sein Gönner und erblickt das entblößte Knie und das Strumpfband, das zum Unglück ein Bindfaden war, in des Literatus Rechten. Das Amt ging vor ihm vorüber, als Wolken vom Winde getrieben, und der Gönner sprach, da er mit seinen Freunden zu Tische saß: in der Jugend eine Hure, im Alter eine Hexe. Aus einem Funken wird ein groß Feuer, und ein Lügner und Mörder sind Nachbars Kinder. Iß keine Rüben, wenn du zu Sr. Excellenz gehst, und lege deinem Magen ein Gebiß an den Mund, sonst sieht es aus, als ob du zum Essen kömmst. Eine alte Weste und neuer Rock sind wie eine alte Tresse und ein neues Kleid, zusammengebrachte Kinder. Schlucke nicht, und wenn's auch Wasser wäre, daß es aussieht, als wolltest du den Jordan austrinken. Willst du einen beständigen Gönner haben, mache, daß er dir eine Wohlthat erweist, die bekannt wird im Volke. Dieß bindet wie Kitt. Er läßt dich nicht, als ob er von seinem Vorschuß Zinsen haben wollte. Leihe dem Armen ohne Zinsen, dann bezahlt's Gott. Lern ein Glas leeren, nur mit Maaßen, damit du dich nicht aufreibst. Männer, die an einer großen Tafel keinen Tropfen trinken können, sehen aus wie Verschnittene am [187] Hochzeitstage. Sich am Wein warm trinken, heißt menschlich werden. Wenn ich mir zuweilen ein Schälchen nehme, ist's mir, als ob ich Menschenliebe getrunken hätte. Ein böses Gewissen ist ein Ofen, der immer raucht, ein Gewitter ohne Regen; es ist Kläger, Richter, Henker, in einer Person. Die Nachtigall singt dir: du bist ein Dieb; die Lerche: du hast gestohlen. Eine Krähe beißt der andern die Augen nicht aus, und wo der Bürgermeister ein Bäcker ist, backt man das Brod klein. Wenn ich streiten sollte, es gäbe im Stamme Levi keine zerbrochene Töpfe, die laufen lassen, würd' ich Krebse angeln. Was sich im grünen Kleide mit Gold schickt, schickt sich nicht in der Reverende, und auf der Kanzel muß man anders reden, als wenn man seine Füße unter einem gedeckten Tische beherbergt, und seiner Nachbarin eine Gesundheit zubringt, welches die Tischreden unseres Glaubensvaters sehr lebhaft bestätigen. Sey allen allerei, wie eine Citrone, die man von innen und außen brauchen kann. Leute, die sich völlig vor der Welt verschließen, die nur mit ungefallenen und in der Wahrheit gebliebenen Geistern Umgang haben, sehen oft, wo andere nichts sehen, und hören noch öfter, wo andere nichts hören; denn das Ohr ist leichtgläubiger als das Auge. Ein Pastor dieser Art hatte seiner Gemeinde das Nasenschneuzen und Husten abgewöhnt. Ich erzähle dir diese Geschichte mit den nämlichen Worten, wie mein seliger Vater sie mir erzählt hat. Es war in der Kirche dieses Pastors eine besondere Mannszucht, eine so heilige Stille, wie des Morgens bei schönem Wetter um vier Uhr. Ehe er zur Nutzanwendung überging, war es, wie ein Commando: präsentirt's Gewehr! Der Herr Pastor gab mit seiner Nase ein Zeichen, und alle Nasen folgten ihm, auch die, so es nicht nöthig hatten, aus Provision, oder weil's der Nachbar und der Herr Pastor that. Es begab sich, daß ein Fremder, der diese Straße zog und nichts von dem Uebergange zur Nutzanwendung wußte, und [188] die Sitten und Naseart dieser christlichen Gemeine nicht kannte, den natürlichen Wink seiner Nase befolgte. Der Pastor beschlug die Contrebande mit den Worten: wer grunzt in der Gemeine? allein der gute Pastor mußte, weil der Gast von Adel war, diesen Beschlag sehr theuer büßen, und schriftlich versichern, das Wort Grunzen nicht im bösen Sinne genommen, sondern vielleicht selbst gegrunzt zu haben, und vor's künftige ward der Herr Pastor angewiesen, seineNase in die Bibel zu stecken. Der Mensch ist gut, die Welt böse. Gehe fleißig in die Kirche und siehe zu Menschen beerdigen. Gedenke, wie er gestorben ist, mußt du auch sterben. Heute mir, morgen dir. Zeit liegt von Ewigkeit einen Sabatherweg, eine Viertelmeile, die den Kranken im alten Bunde zu reisen erlaubt war. Wenn du einen Kirchhof offen findest, gehe herüber, wenn du auch einige Schritte Umweg machst. Sieh die offene Thüre als eine Erinnerung an, daß auch du dem Kirchhofe, dem Zollhause der Ewigkeit geben wirst, was ihm gebührt. Wenn die Glocken gezogen werden, sprich: Gott schenke mir eine selige Stunde! Huste nicht im Vorzimmer des Großen, um dich hören zu lassen. Der Wein ist die Wage des Menschen; lege deinen Freund drauf, und prüfe, wie viellöthig er ist. Denke an den Tod des Tycho Brahe, der leider! unter seinem Stande heirathete, und verdamme nicht die Natur: sie leidets nicht. Plaudere nicht bei der Musik, denn predigen und singen hat seine Zeit. Die behagliche Genügsamkeit ist reich ohne Mühe. Den Edelstein fasse in Gold, und beim Wein singe. Gib fröhlich, was du gibst. Ein Geber, der nachdenkt über das, was er geben soll, gibt's nicht von Herzen, sondern vom Verstand. Wenn du den Weg nicht kennst, nimm einen Wegweiser. Ehre im Menschen das Bild Gottes. Diene mit Rath und That. Ehrliche Einfalt ist besser als spitzbübischer Witz. Man sagt von Geistlichen: Kinder und Bücher. Dein Vater und ich haben einen Sohn, wie [189] Abraham den Isaac, und der sey dem Herrn geopfert! Ein junger Mensch muß sich so in Gesellschaft der Alten führen, als einer, dem Geld zugezählt wird. Gehe nicht um mit Uebermüthigen. Was soll dir der irdene Topf bei dem ehernen? denn wo sie an einander stoßen, zerbricht jener. Wächst wohl Schilf, wo es nicht feucht ist? und wer hat gegen einen Großen einen Zeugen? Ein Wolf und ein Schaf ist wie der Reiche und der Arme. Ein Gottloser, wenn er arm ist, redet viel Böses; ein Frommer hat immer Schätze. Schicke keinen Hund nach Fleisch, und verpfände nicht das Lamm beim Wolfe; der Mensch verschießt wie ein Kleid, und wenn man alt ist, kann man nicht genießen, was man gesammelt hat. Darum freue dich in dem Herrn, und abermal sag' ich dir, freue dich! Denk an den Armen, wenn du deinen Geburtstag feierst, und laß ihm seine Wunden von deinem Barbier verbinden. Sprich nicht zum Goldklumpen: mein Trost, und zum sechslöthigen Silber: meine Hülfe. Ein Armer genießt selbst dieses Leben mehr als ein Reicher; denn ein Glücklicher und ein Reicher lebt bloß des Gedankens wegen nicht: Mensch, du mußt sterben. Wer täglich stirbt, hat den Tod lieb gewonnen, wie man ein häßliches Gesicht mit der Zeit gewohnt wird. Der Reiche zieht seine Zinsen in dieser Welt, und die meiste Zeit mehr, als die landüblichen. Der Arme hebt in diesem Leben die Zinsen nicht, sondern läßt sie beim lieben Gott stehen, der ihm sicher ist, und der ihm seine Zinsen fein zum Capital schlägt, für die andere Welt. Jeder Reiche fühlt, daß der Arme, wenn er stirbt, reich wird, es stehen ihm die Haare hiebei zu Berge, und wenn es so anginge, würd' er dem Armen wohl zehntausend Thaler Albertus leihen, um einen Wechsel auf ihn im Himmel zu haben. Allein bedenke, Reicher! dein Tod ist ein Bankerott. – Mein Sohn! theile in dieser Gnadenzeit den Leckerbissen mit dem Dürftigen. Das beste Mittel, gut zu verdauen, ist einen Armen essen sehen![190] Wirf deine Magentropfen zum Fenster hinaus, und brauche dieses Mittel. Dein Vater. Wenn dir ein Unglück begegnet, greift die Seele nach einem Geländer, wie der Körper nach einem Stab. Schilt im Podagra auf den Wein, beim üblen Wetter auf's schlechte Steinpflaster, im Tode auf's Leben. Was ist der Mensch, wenn er nicht unsterblich ist? Unser Leben währt siebenzig Jahr, wenn's hoch kommt, sind's achtzig Jahr, wenn's köstlich gewesen, ist's Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon. Wir bringen unsere Jahre zu, wie ein Geschwätz. Hüte dich, Hiobsposten zu bringen; man haßt den Verräther, und liebt die Verrätherei. Wer heut ein Spiel gewinnt, verliert morgen siebenfältig, und mancher gibt mit einem Auge, und mit sieben sieht er, was er wieder erhalte. Wem das Glück wohl will, den macht's zum Narren. Die Narren haben ihr Herz im Munde; aber die Weisen haben ihren Mund im Herzen. Wer mit einem Narren redet, redet mit einem Mondsüchtigen. Hüte dich vor dem, der sich selbst gezeichnet hat. Ueber einen Todten trauert man, denn er hat das Licht nicht mehr; aber über einen Narren sollte man trauern, weil ihm das Lämpchen im Verstände, wie den fünf thörichten Jungfrauen, ausgegangen. Der Schweiß eines Aussätzigen ist besser, als der Ambra eines Narren. Gin gelehrter Mann ist in Gesellschaft wie der Mond, bald voll, bald halb, bald ein Viertheil; in seinem Hause ist er immer eine Sonne. Lerne selbst, ehe du lehrst, und ahme nicht die Aerzte nach, die wie Schneider den Schnitt am fremden Tuch lernen. Kühle dein Müthlein nicht, wie deine liebe Großmutter, an Vater, Tochter oder Köchin, sondern lerne von deiner Mutter, auch ohne Schläge, dem Zorn ein Opfer bringen. Diene wieder deinem Knecht, der dir dient. Die Biene ist ein klein Vögelein, und gibt doch die allersüßeste Frucht. Wenn dir's wohl geht, denke, daß dir's übel gehen könne, und wenn dir's übel geht, denke, daß dir's wieder wohl gehen könne.
[191]
Auf Regen folget klare Zeit;
Auf Leid die frohe Ewigkeit.
* * *
Ich weiß, wen Gott will herrlich zieren,
Und über Sonn' und Sterne führen,
Den führet er zuvor herab.
Das Lied:
Warum betrübst du dich, mein Herz,
Bekümmerst dich und trägest Schmerz,
hat viele von übler Laune, von der Unzufriedenheit und der Schwermuth geheilt, und wenn dein Herz nicht verdorben ist, wenn du kein böses Gewissen hast, wirst du auch geheilt werden. Hast du ein böses Gewissen, so schlägt keine Seelenmedicin, kein Lied an. Beim siebenten Vers erinnere dich der Leiden, die deine Mutter des Namens Alexander wegen erduldet hat.
V. 7.
Des Daniels Gott nicht vergaß,
Da er unter den Löwen saß.
Seinen Engel sandt' er ihm,
Und ließ ihm Speise bringen gut,
Durch seinen Diener Habakuk.
Der zwölfte Vers aus diesem Herzensliede ist ein Universalmittel.
V. 12.
Alles was ist auf dieser Welt,
Das Seel' und Leib gefesselt hält;
Reichthum und zeitlich Gut,
Das währt nur eine kleine Zeit
Und hilft doch nichts zur Seligkeit.
[192] Traue deinem Feinde, wenn er sich gleich mit dir versöhnt, so wenig, als ein Leiter seinem Bären. Leide keinen Schmeichler, wie der Cypressenbaum keine Würmer leidet. Ein frommes Kind ist besser denn hundert, die den Herrn nicht fürchten, und es ist besser ohne Kinder sterben, als gottlose Kinder haben. Wer satt ist, wird wieder hungrig, wer des Morgens ausgeschnarcht hat, geht des Abends wieder zu Bette. Ein Reicher kann arm werden. Des Ungerechten Söhne wurzeln nicht, und seine Töchter sind Feigenbäume ohne Frucht. Kinder ziehen heißt gerade oder ungerade spielen. Erziehen heißt ein Fundament legen, wo unter der Erde gearbeitet wird und nichts zu sehen ist. Ein gut gezogenes Kind ist eine Rechnung ohne Probe. Der Jüngling muß beweisen wie die Zucht war. Lege dein Almosen nicht besonders, denn es segnet dein anderes Geld, daß es dir gedeihe für und für. Kleiner Topf, kleine Stürze; großer Vogel, großes Nest. Gesunder Leib ist besser denn eine Tonne Goldes. Die Sonne geht auf mit Hitze, und das Gras welkt und die Blume fällt ab: so verwüstet ein Reicher, wenn er verschwendet, sich, seinen armen Nachbar und deßgleichen. Sausen und Brausen macht siech, und was hilft ein güldener Galgen, wenn man hängen soll. Was ist ein schön Gericht für einen Kranken, dem schon der Geruch Blähungen macht? Der Tod ist besser als ein sieches Leben. Ein fröhlich Herz ist besser als Magenelixir, und eine Mahlzeit mit Wohlgefallen ist die sicherste Blutreinigung. So lange du selbst Töpfe und Schüsseln hast, untergib dich nicht dem Tische eines andern. Ziehe dich nicht eher aus, als bis du zu Bett gehst. Das Hemde ist dir näher als der Rock. Eigener Herd ist Goldes werth. Rathen macht Schuld, und du stellst Wechsel aus, wenn du Rath gibst. Die Naseweisheit ist, wenn man die Nase höher hält, als sie gewachsen. Nimm dieses zu Ohren und Herzen, denn du hast eine Nase, die was gilt unter den Leuten. Die Nase ist der Text zum Menschen, die Stirne [193] der erste Eingang, die Lippen das Thema, worüber in gegenwärtiger Stunde soll gepredigt werden. Wein und Weiber bethören die Weisen. Männerlist ist behend, Weiberlist ohn' End. Kleider, Scharrfuß, Lachen und Gang melden den Menschen an. Kluge Leute wissen schon, was am Jüngling ist, wenn sie ihn sehen die Nase schneuzen. Ein Thor ist schwerer als Blei. Krebs ist kein Essen auf der Post. Hilf dir selber, ehe du andere arzneiest. Was niemand wissen soll, sage keinem. Wer einen übeln Rausch hat, verscheucht seine Freunde, wie ein Schuß die Vögel. Erst Rauch, dann Feuer; so Scheltworte, dann Schläge. Der Arzt ist der Sünde Scharfrichter, ehre ihn, denn der Herr hat ihn geschaffen, und er trägt das Schwert nicht umsonst. Hüte dich vor böser Nachrede, denn die Welt liegt im Argen. Wenn man des Morgens von da herausgeht, wo man des Abends hinein gegangen, sagen die Leute, man sey die ganze Nacht da gewesen. Der Schlund der Welt ist ein offenes Grab; mit der Zunge handeln sie trüglich. Ottergift ist unter den Lippen, der Mund ist voll Fluchens und Bitterkeit. Die Obrigkeit ist des lieben Gottes Soldatenstand, die Priester sind sein Civilstand. Es ist traun! ein Weib aus dem Stamme Levi eine helle Lampe auf dem heiligen Leuchter. Mein! heirathe keine andere, denn sie hat ein gut Muster gehabt. Schone dein Auge für die hebräischen Punkte, und gaffe nicht nach Dirnen der Stadt. Denk nicht eher an eine Hausfrau, bis du ein Haus hast. Wo kein Zaun, ißt jeder das Obst, eh es reif ist; so auch bei einem Pastor ohne Pastorin. Leib und Seele können nicht zu gleicher Zeit essen und verdauen. Wer mit der Seele arbeitet, kann den Pflug nicht führen. Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden. Item, ein Lehrer ist seiner Calende werth. Wer säet, erntet in zwölf Monaten. Wer Gottes Wort verkündigt, erntet in Ewigkeit. Heil dir! du hast beim lieben Gott offene Tafel, du wirst einst vom Altar leben, und hier gedeihen, [194] wie' 's am Tage ist. Brosamen sind besser als Leckerbissen an den Tafeln der Abgötter, deren Bauch ihr Gott ist. Du bedarfst keines Theils in Israel; der Herr ist dein Theil und Erbe! Das Land Gottes trägt mehr als du bedarfst. Brich aber dem Hungrigen dein Brod, so wird es dir gehen wie der Oelwittwe. Wer den Armen segnet, spottet sein, wenn er diesen Segen nicht selbst in Erfüllung zu setzen anfängt. Dieser Unmensch will Gott Lehren geben. Erinnere dich, was man vor kurzem vom Herrn v. – erzählt, und erzähl' es deinen Kindeskindern, auf deinem Schooß, damit sie segnen lernen, wie Gott sein Volk segnet, der seine Fenster öffnet, und Früh-und Spatregen gibt, und in dem wir leben, weben und sind. Es strandete ein Holländer (wäre es nicht ein Holländer gewesen, wie viel mehr leid würd' es mir gethan haben; Holland ist der Strand von Europa), und der Herr v. –, der das Recht der Seestraßenräuberei hat, nahm ihm alles, was er hatte, bis auf einen holländischen Käse (der Herr v. – hatte oft Steinschmerzen) und ließ den geplünderten Holländer ziehen seine Straße, wie Hr. v. – sich ausdrückte,fröhlich; denn er schrieb ihm folgendes Certificat, das er einen christlichen offenen Wechsel nannte: »Da der Clas – – das Unglück gehabt zu stranden, und alles werthe Seinige einzubüßen, so wird ihm nicht nur Gottessegen zu seinem künftigen Fortkommen von mir herzlich gegönnt, sondern auch jeder, dem dieser offene Brief vorgezeigt wird, ersucht, ihm christlich fortzuhelfen und ihm, so viel er kann, unter die Arme zu greifen, wohl bedenkend, daß, wer dem Armen hilft, dem Herrn leihe, der es ihm zu Wasser oder Lande verdoppeln kann und wird, als welches ich dem armen Clas – aus christlicher Liebe anwünsche.« Den Herrn v. – möcht' ichfluchen hören, sagte Clas – und sah seinen Käse an. Der Holländer hatte keinen Steinschmerz. – Wer sich als abgebrannt und beraubt angibt, um Leute warmherzig zu machen, und sie zum Mitleiden [195] zu betrügen, ist ärger als ein Räuber und Brandstifter! Wehe dem, der auf diese Art Brandschatzung ausschreibt. Er bestiehlt nicht den Menschen, sondern die Menschheit. Sorge nicht für den andern Morgen, es ist genug, daß ein jeder Tag seine eigne Plage habe. Mache des Geldes wegen auf der Kanzel keineGans zum Schwan, keinen Häring zur Sardelle, und keinen Hasen zum Löwen; denn die Lehrer werden leuchten, wie des Himmels Glanz, wie die Sonne immer und ewiglich. Gott ehrte Aaron, und gab ihm alle Erstlinge. Seine Nachkommen aßen des Herrn Opfer, und wurden gespeiset an seinem Tisch. Gott war ihr Theil und Erbe, und darum hatten sie kein Theil am Lande. Wenn Kaffee aufs Kleid gegossen wird, ist's kein Kaffee mehr, sondern Schmutz. Es kommt viel auf Zeit, Ort und Gelegenheit an. Wenn du einem Edelmann Heil wünschest, sprich nicht: Gott, der den Wurm unterm Felsen erhält, sondern: der Allmächtige, der die Welt aufrief; wenn er in Diensten gewesen, und es bis zum Hauptmann gebracht, setze hinzu: und Helden in seinem Volke erwecket.
Ein Mensch, der keine Stimme hat, muß nicht den Adler und den Löwen auf die Kanzel bringen, er wird schon Thiere für sein Stimmchen in der Bibel finden. Ich selbst habe einen Diskantisten über die Worte:Sieh, es hat überwunden der Löwe aus dem Stamme Juda, predigen gehört. Es gibt Diskant-, es gibt Baßpredigten. Ein Geistlicher muß Gedächtniß haben. Wenn er liest, steht's aus, als ob er die Predigt auf drei Viertelstunden geliehen hätte. Auch Gras muß ein Pastor wachsen hören.
Ein Geistlicher sprach, da er zum zweiten Theil überging, indem er die Kanzelsanduhr, welche mehr als andere Sanduhren ein Sinnbild unsers Lebens ist, umkehrte: Noch ein Gläschen, meine Geliebten! und man nannte ihn, wie einen faulen Käse: Bierbruder.
[196] Man kann zwar auch hiebei erbauliche Gedanken haben; indessen hatte der Pastor L – nicht Gras wachsen gehört, da er die Frau v. – auf ihrem Krieg und Siegbette besuchte, und ihr die Worte Matthäi im einundzwanzigsten Capitel, im zweiten Vers, ins Herz schob: löse sie auf und führe sie zu mir. Noch größer ist's Uebel, wenn der Geistliche satyrisch auf der Kanzel seyn will; er verliert alsdann den Stachel, wie die Biene, wenn sie sticht.
Wenn du einen Umstand lange suchen müssen, fang ihn an: Wem ist's nicht bekannt; dadurch bestrafst du den Umstand, daß er sich versteckt hatte, und kein Mensch glaubt, daß du so lange gesucht hast. Dein Vater würde sagen: Windbeutelei, faul Holz statt Licht; allein klimpern gehört zum Handwerk. Einem Geistlichen steht's am wenigsten an, zu sagen, ich will dieß und das thun. Er steht in Gottes Dienst. Sage also, zu reden aus Jakobi im vierten Capitel und fünfzehnten Vers: So der Herr will und ich lebe, will ich dieß oder jenes thun. Fliehe die vergängliche Lust der Welt; denn nur hiedurch wirst du theilhaftig werden der göttlichen Natur. Um eines faulen Astes willen reiß nicht Stamm und Wurzel aus. Jeder Mensch hat was Gutes. Lege auf die Fingerspitze, wo der verdorbene Saft aus der Hand sich hingezogen, und wo er schwärt, Kraut und Pflaster, so behältst du die Hand. Brich hervor wie ein Feuer, und dein Wort brenne wie ein Kirchenlicht (ein Wachsstock ist nur eine Pfeife zu entzünden). Tröste den Bußfertigen, und laß über ihn aufgehen den Regenbogen mit seinen schönen Farben. Wenn dich eine Kälte im Ausdruck überfällt, wärme dich an ein paar Psalmen in der heiligen Schrift, und wenn böse Buben auf die Bibel lästern, denk daran, daß es Gottes Schulbuch sey, woraus groß und klein, arm und reich, vornehm und gering, alt und jung, unterrichtet werden sollen, und dann laß den Lästerer ein Buch [197] nennen, das so wie dieß zu diesem Zweck eingerichtet, und für all zusammen und für jeden einzelnen ist. Gott laß dich nie vor Narren zum Spott werden, noch deinen Rücken zur Brücke, worüber jeder geht. Wachse wie ein Palmbaum am Wasser, und dein Geruch sey süß vor dem Herrn, wie der Weihrauch im Studirstübchen deines Vaters. Er, der die Erde mit Schnee und Reif salzet, bereite dich zu seinem Knechte in seinem Weinberge: wenn aber das Salz dumm oder unkräftig wird, womit wird man salzen? Verrichte deine Andacht vor Gott und nicht vor Menschen. Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. Himmlische Glorie umstrahle dein Haupt, wenn du auf der Kanzel bist, damit man's fühle, daß du nicht von dir selber redest. Ein roh Ei (wenns angeht ein Kibitzei) hilft viel zur guten Predigt; wer wie ein Engel spräche und nicht verständlich wäre, fruchtet weniger als ein ausgelernter Staar, oder das Getöse der Glocken, das ich nie ohne Herzensschlag und Erbauung hören kann. Ich wünschte wohl, die Glocken, wenn ich begraben würde, hören zu können. Alte Kirchen haben dunkle Fenster, indessen weiß jeder seinen Stand. Ein Prediger dem die Zähne ausgefallen, muß sich nicht von einer andern Gemeinde vociren lassen. Man hat mir erzählt, daß Demosthenes und Cicero von Natur schlechte Stimmen gehabt; durch Kunst haben sie schön reden gelernt. Ich hätte sie nicht hören wollen. Mancher Pastor kann sich hören, mancher sich lesen lassen. Es kann also auch Redner geben, die stumm sind. Deine erste Predigt schlürftest du bei der Probe in der Speisekammer, als wenn du weiche Eier äßest. In der Kirche ging's besser. Lerne deine Gemeinde so kennen, wie ein Gelehrter die Sprache, der bei jedem Worte daswarum und darum weiß. Ein Pastor, der seine Gemeinde nicht kennt, und sich nicht wie der gemeine Mann ausdrücken kann, ist ein Miethling. Brauen und Backen geräth nicht immer. Allemal kanns nicht was Neues vom [198] Jahr seyn. Schneid an eine alte Predigt ein Zwiebelchen, lege Butter dazu, es ist eine frische Schüssel. Hunger ist der beste Koch. Ein Eierkuchen macht Appetit allen, die vorübergehen. Ein einzig faules Ei verdirbt die ganze Pastete. Wenn es mit deiner Predigt nicht fort will, und von drei bis in die Dämmerung gefischt und nichts gefangen ist, laß Licht anzünden, und es wird dir auch ein Licht aufgehen. Wenn du übern Tod predigst, mache deine Predigten nie am Tage, sondern des Abends. Predigst du vom Lobe Gottes, steh Morgens um vier auf. Wenn gleich das Andenken deiner Trübsal verwächst, suche eine Narbe zu behalten, damit du an Gottes Hülfe denken, und ihn in deinem Kämmerlein und in der Gemeinde des Herrn preisen könnest. Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Vater ist der, die Waisen und Wittwen in ihrem Trübsal besuchen, und sich von der Welt unbefleckt behalten. In deinen Predigten lehre Himmel und Hölle; sey nicht bloß Brenn-, sondern auch Bauholz. Halte dir selbst Wort, mein Lieber! so wirst du auch andern es halten. Narren ins Fegfeuer, Gottlose in die Hölle. Weide die Heerde und siehe wohl zu, nicht gezwungen, sondern williglich, nicht um schändlichen Gewinnes willen, sondern von Herzensgrund; nicht, als die über das Volk herrschen, sondern werd' ein Vorbild der Heerde, so wirst du, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unverwelkliche Krone der Ehren empfahen. – Siehe das übrige Taufwasser nicht als bloß gemeines Wasser an, sondern mache die Verfügung, daß es auf einen besondern oder heiligen Platz gegossen werde. Du wirst das Gras darauf sehen! im Paradiese könnt' es kaum grüner seyn! der Kirchthurm ist ein Finger, der gen Himmel zeigt, denk, so oft du einen siehst, an den Finger Gottes, ohne den nichts geschieht, was geschieht, und durch den ist, was ist. Am Martinstage iß eine Gans; es ist ein alter wohlhergebrachter Gebrauch, und denk an den unglücklichen BischofMartin, der durch eine Gans verrathen ward. Der Hahn ist [199] der richtigste Kalender, und was die Sonnenuhr im Zeigen ist, das ist ein Hahn im Schlagen: das richtige Zeitmaß. – Der Hahn, der zuerst kräht, ist Superintendent unter den Hähnen. Alles, was krähen kann, kräht ihm nach, so lahm und candidatenmäßig es auch zuletzt herauskommt. Ein Hahn hilft oft zu Thränen. Dein seliger Großvater hat eine Hu – auf diese Art zur Reue gebracht. Alle seine Ermahnungen waren vergebens; zum Glück krähte ein Hahn; diesen Umstand griff dein seliger Großvater, und sie weinte bitterlich. Findest du mühlsteinerne Herzen, verzweifle nicht – Gott kann dir aus Steinen Kinder erwecken. Rufe getrost! schone nicht! Lerne recht fürchterlich:wer da? schreien, wenn der Teufel herumgeht wie ein brüllender Löwe, und suchet, welchen er verschlinge. Wer bösen Leumund macht, vergeht am Ende wie das Unrecht.
Die Welt kann doch nichts geben,
Was wahre Ruhe gibt;
Wer hier und dort will leben,
Ist! Vater! der dich liebt!
Wenn du im Consistorio sitzst, rede niemand mehr nach deinen Worten, außer daß gesagt werde: du habest wohl gesprochen. Die Alten müssen sich freuen über deine Weisheit, und die Jungen müssen auf dich warten wie auf den Regen, und ihren Mund aufsperren, als auf den Abendregen. Sey des Blinden Auge, des Lahmen Fuß, des Verzagten Arm. Wenn du einen Brief schreibest, vergiß nicht A und O auf griechisch obenan zu setzen, das ist der geistliche Stempel. Aergere dich nur deiner Gesundheit wegen, und eben darum, warum man Gift in Arzeneien mischt. Dein Vater lernt alle fünf Jahre eine Sprache, um dem Gedächtniß eine Bewegung zu machen. Versuch, ob's deinem Gedächtniß gesund ist. Denk nicht zu scharf über einen Namen, und spiel nicht blinde Kuh mit ihm. Ich hab' gehört, daß jemand darüber den [200] Verstand verloren, und ihn eher nicht wieder bekommen, als bis ein andrer diesen Namen von ungefähr ausgesprochen. Es ist die Frage, ob sich ein solcher Andere so leicht findet? Wenn du betest, falte die Hände, denn dieß hilft, auch die Gebauten zusammen halten. Bist du betrübt, bete; bist du vergnügt, singe. Der Arbeiter ist seines Lohnes werth, und der Arbeiter Lohn, die euer Land eingeerntet haben, und von euch abgebrochen ist, schreiet, und das Rufen der Ernter ist kommen vor die Ohren des Herrn Zebaoth. Richte nicht, so wirst du nicht gerichtet; vergib, o wird dir vergeben; gib, so wird dir gegeben. Alles, was du willst, das dir die Leute thun sollen, thu ihnen auch. Wer selbst Fenster hat, schlage sie nicht dem Nachbar ein. Die Zunge ist ein klein Glied und richtet große Dinge an. Sieh ein kleiner Funken, welch einen Wald verwüstet er! Die Zunge singt Gott Lob und Preis, und die Zunge kann von der Hölle entzündet werden. Aus einem Munde blasen wir kalt und warm; aus einem Munde geht Loben und Fluchen. Wir loben Gott den Vater, und fluchen den Menschen nach Gottes Bilde gemacht.
Kann auch ein Feigenbaum Oel oder ein Weinstock Feigen tragen? Klügle nicht über deine Reverende, sondern trage sie wie deine Vorfahren mütterlicher Seits sie getragen haben. Die Banise in schwarz Corduan mit goldenem Schnitt sieht wie ein Gesangbuch aus. Wer Possen in geistlichen Melodien singt, zieht diesen eine Reverende an. Wehe dem, der diese Maske erfindet. Ein Geistlicher in seinem Geschmeide kann von einem Engel ungefähr unterschieden seyn, als ein Küster vom Priester. Der Küster muß aber entweder die Altarlichte anstecken, oder sie mit einem Löschnäpfe bedecken und auslöschen. Dinge, die oft im Munde am angenehmsten, sind am schwersten zu verdauen. Wenn du viel Austern gegessen, iß Käse darauf. Warum aber sinnenarme Austern? Wenn du etwas mit Umschweif zu sagen hast, fang's an mit dem [201] Worte: Kurzum, oder endlich, das befördert die Andacht. Wer nicht Tabak schnaubt und raucht, ist ein Republikaner, ein Curländer, ein freier Mensch. Wer kann den Hunger durchs Andenken an ein vorjähriges Gastmahl befriedigen? Denke am kürzesten und längsten Tage im Jahre an Zeit und Ewigkeit. Sey mausestill, wenn dich Jungen mit Koth bewerfen. Wer eine Ehrenstelle erhält, hat ein neu Kleid angezogen, und überall ist steife Leinwand. Zieh nie Sonntags ein neu Kleid an, denn dieser Tag ist verloren. Halt dir aber dein Alltags- und dein Feierkleid; ein Mensch, der Sonntags nicht ein ander Kleid anlegt, ist auf dem Wege, ein Freidenker zu werden. Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, auch die im Verborgenen geschehen sind, und den geheimsten Rath des Herzens offenbaren, dann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren. Die Hühner- und Elsteraugen schneide aus, doch so, daß du dabei vorsichtig zu Werke gehst; es sieht sonst so aus, als wäre man gichtbrüchig; und so sehr gut die Gicht einen alten Mann kleidet, so häßlich ist's, wenn ein Jüngling gichtbrüchig wandelt. Geizige Leute erhenken sich, um das Pulver zu sparen, und den Strick andern guten Freunden, und vor allen Dingen ihren lieben Erben, zurück zu lassen. Ein Geizhals ist leicht zur Bürgschaft zu bringen. Er will Gutes thun, ohne daß es ihn einen Heller kostet; allein der Geiz ist auch hier die Wurzel alles Uebels. Verbürge dich nicht, bezahle lieber für den Dürftigen; so hast du einen freien Kopf und ein freies Herz. Schreib deinen Vornamen nicht aus, damit die Leute das A für Adam, Abraham und andere biblische Namen halten. Streue nicht auf fremden Acker, wenn du willst ernten siebenfältig. Ich habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen und seine Kinder nach Brod gehen. Wenn du Obst gegessen, nimm ein wenig Brod, ehe du trinkest. Man sagt, es sey Wahn, allein es hilft. Wenn du des Nachts reitest, nimm einen Schimmel, er dient dir zur Laterne. Neckereien [202] machen gewitzt, Erfahrungen klug, Noth lehrt beten. Sieh nicht aufs Handgeld, sondern auf den Herrn. Der Teufel gibt Silberlinge, allein das Ende ist Verzweiflung. Hüte dich vor Prozessen in Curland. Gott weiß! wie es anderswo ist, denn am Ende heißt's, Esaias im achtundzwanzigsten Kapitel, im zehnten Vers: gebeut hin, gebeut her, gebeut hin, gebeut her, harre hie, harre da, harre hie, harre da, hie ein wenig, da ein wenig. Wer Gewalt übet bei Gericht, schändet sein Mündel, das er bewahren soll. Die Sachwalter machen's wie die Fischer; sie trüben das Wasser, eh sie angeln: bei hell und klarem Wetter ist nichts zu fangen. Sey gerecht gegen jedermann, gib auch, wenn du geschwinde schreibst, dem u seinen Strich, dem i seinen Punkt. Ich habe kein u um das Seinige betrogen, und mich ärgert, wenn man gewissen Worten den großen Buchstaben nehmen will, als bei Stubenuhr schreib ich S und U mit großen Buchstaben. Ehre, dem Ehre gebührt. Uebe dich auch mündlich abzuschlagen, was du nicht leisten kannst: schriftlich kann's jeder Narr. Bist du unentschlossen, ich setze zum voraus, daß dieß oder jenes nichts böses ist, worüber du getheilt bist! zerbrich dir nicht den Kopf, recipe zwei Loose: in eins schreib flugs Ja, ins andere flugs Nein. Mache sie sich einander gleich, greif eins, und thue, was du gegriffen hast, dieß ist eben so gut, als wenn du lange gedacht, und Ja und Nein auf einer Goldwage abgewogen hättest. Es ist eine Art von göttlichem Regiment, von Theokratie. Heißt es nicht so? Auch der Weiseste greift in einen Glückstopf. Glück und Glas, wie bald bricht das. In der Demuth stolz seyn, heißt falsch spielen. Wenn die Menschen Methusalems Alter erreichen könnten, würde man mit Gewißheit sehr früh behaupten können, wer gewiß hängen würde. Kluge Leute lesen ihre Briefe von hinten. Singe an deinem Geburtstage Neujahrslieder; sie haben was Tröstliches in sich. So wie der Geiz seinen eigenen Händen nicht traut, so traut auch der Kluge [203] seiner Vernunft nicht. Ein Bettler gab einem andern die Lehre: sprich keinen an, der allein geht; gehen zwei, geben beide; wäre jeder allein gegangen, hätte keiner gegeben. Die ungefärbte Menschenliebe ist erkaltet, und Stolz führt bei der Gabe die Hand. Der Weg zum Himmel ist mit lauter gutem Willen gepflastert. Guter Wille gilt bei Gott und allen ehrlichen Leuten so viel als die That. Zwinge dich nicht ohne Geld auszugehen, das heißt, aus einem guten ein schlechter Mensch werden wollen. Gib mit der Rechten, ohne daß es die Linke weiß, und sieh nicht, wie man's nimmt. Es ist schwer, gut zu geben, noch schwerer aber, gut zu nehmen. Tausche gegen einen Pfeifenkopf nichts, was Leben und Odem hat. Thiere, sagt dein Vater, sind unsere Gränznachbaren. Der Gerechte erbarmt sich auch seines Viehes. Pflanze keinen Baum, wo er ausgehen muß. Heirathe keine Mondsüchtige, wenn sie auch Superintendentens Tochter wäre. Schneide keine Blume ab, wie kämst du zum Köpfen? und die Blume, geköpft zu werden? sondern pflücke sie, wenn's nicht anders seyn kann, sonst aber laß sie ihren reisen Samen ausstreuen, und den Tod der Guten sterben, die ihr Ziel nicht verrücken, und ihr Leben durch Unmäßigkeit verkürzen. Ein Fleischer ist immer grausam; Blut ist ihm am Ende Blut. Gewisse Haare werden nie grau, und Alter schützt vor Thorheit nicht, decke aber die Schande des Alten. Ueber ein Wort muß man sich nicht den Hals brechen. Wort um Wort, Zahn um Zahn, Hals um Hals. Ein Arzt, der sein Latein falsch spricht, kurirt auch falsch; warum sagt er nicht lieber, ich weiß es nicht? und ein Geistlicher, der nicht die Grundsprachen versteht – – (daß sich Gott erbarm!) – – Einfältig heißt von einer Falte: So sey dein Herz gegen Gott und gegen deinen Nächsten; nicht wie ein Fächer, der vielfältig ist, und nicht wie eine Reisekarte, die man in ein Beinkleidertaschenformat legt, und wenn sie ausgekramt ist, deckt sie einen Tisch auf vier Personen. Edle Einfalt [204] war beim Anfang der Welt, und wird, wie ich nach der Liebe hoffe, bei der Welt Ende seyn. Eine Heerde und ein Hirte. Lobe nicht Leute, die nicht lobenswürdig sind. Ein Thor denkt nie beim unverdienten Lobe: »weißt du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leite.« Falsche Freunde sind Schwalben, die nur des Sommers da sind; Sonnenuhren, die nur brauchbar sind, so lange die Sonne scheint. Der Mensch geht in dieser Welt in die Schule beim lieben Gott. Der Tod befördert ihn zur Akademie. So wie du gewartet hast, ehe dir das Licht angezündet ward; so wart auch, bis es ausbrennt, oder ausgelöscht wird, und denk an die Sonne der Gerechtigkeit, die nach der Zeit über deinem Haupt aufgeht, ohne unterzugehen in Ewigkeit. Der Herr wird uns erlösen von allem Uebel, und aushelfen zu seinem ewigen himmlischen Reich; denn sein ist das Reich, und die Kraft, und die Herrlichkeit, von Ewigkeit, zu Ewigkeit, Amen. Wir sterben lieber in jeder Stunde, als daß wir die Hoffnung aufgeben sollten, wir halten täglich mehr aus, als den Tod, um der Hoffnung willen, noch länger zu leben, und müssen doch einmal recht aus dem Grunde sterben. Nimm dir recht vor zu sterben, so stirbst du am wenigsten und hältst beinahe die Stunde. Stirb als hättest du deinen Tod auswendig gelernt, und sieh nicht ins Concept; stirb von ganzem Herzen, so stirbst du den Tod der Gerechten, und deine Seele ist in Gottes Hand, und keine Qual rühret sie an. Wer so stirbt, der stirbt wohl! Sieh die du liebst zuweilen schlafen, damit du nicht trauerst um deinen Todten. Denke dir deinen ärgsten Feind im Himmel, damit du ihm verzeihest. Wem es so und nicht anders ist, ob sein Freund stirbt, und ob seine Pfeife ausgeht, ist nicht werth, einen Freund, wohl aber eine Pfeife zu haben. Diese Welt ist nicht ein Klima für den Frommen. Geht's ihm gut, so hört er's auf zu seyn; geht's ihm übel, so ringt er sich die Hände wund. Ist's dann nichts:
[205]
Aller Engel Schaar,
Und die lieben Seinen,
Sprechen immerdar,
Nirgend über Weinen,
Ohn' Gefahr und Pein,
Undim Himmel seyn.
Dein Vater sagt: Stirb, als wenn du den Tod observiren wolltest; so stirbst du nicht, sondern machst Observationen – ich nicht also. Sey getreu bis in den Tod, so wird dir die Krone des Lebens gegeben, und es wird heißen: Ei du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenig treu gewesen, ich will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freude! Wähle nie ein Amt, das größer ist als du, damit du hervorragest, und kannst du in eine Stelle kommen, die vor dir ein unbedeutenderes Männchen, als du, bekleidet, hast du gewonnen Spiel. Brauch' griechische, hebräische, arabische, chaldäische, lateinische Worte in deiner Predigt, die vertragen sich; um des Himmels willen aber kein einziges französisches, das ist in einer deutschen Predigt wie Katz und Hund. Die französische Sprache ist die zweite Erbsünde. Der geringste Uebelstand auf der Kanzel ist ein Flecken auf deinem weißen Kragen. Es scheint überhaupt die französische Sprache nicht für den Himmel und den schmalen Weg eingerichtet zu seyn. Wohl dem unter diesem Volke, der noch eine andere Sprache weiß! Diene deiner Gemeinde mit allen fünf Sinnen. Man meint, der Geschmack sey so ein Geizhals, daß ein anderer nichts davon hat; allein wer den andern mit Geschmack essen sieht, bekommt auch Lust. Willst du deine Gemeinde zu Abtragung der Calende bewegen, brauch Worte, diese rühren plötzlich. Willst du sie in den Himmel bringen, trag Sachen vor; diese wirken langsam, aber sie bleiben. Eine gute Predigt muß nicht zu breite Tressen haben, das Tuch muß zu sehen seyn. Wer eine gute Predigt drucken läßt, die er gehalten hat, hat geschaffen und erhalten. Bestimme, was [206] deine Kinder werden sollen, und wenn's seyn kann, die Erstgeburt der Kirche! Eltern, die ihren Kindern die Wahl lassen zu bestimmen, was sie werden wollen, irren; du wärst Alexander geworden, und jetzt gehst du auf dem Wege zur Superintendentur. Was süße schmeckt, hat einen übeln Nachgeschmack, und schleimt obenein; was herb zu Anfang ist, wird lieblich am Ende. Das gilt von der Tugend und vom Rheinwein. Pflanze nicht im Garten, ehe dein Feld bestellt ist, und mach dir keinen Schatten, bis du ein zinsbares Kapital haft. Beständige Ruhe ist keine Ruhe. Wenn's geregnet hat, ist's in freier Luft am schönsten. Wenn der Regen gerade herunterfällt, ist er am fruchtbarsten; man könnte sagen, die Natur hab' eine gute Geburt; so müssen auch deine Worte fallen. Kreise nicht, sprich aber gerade herunter. Ein junger Geistlicher muß seine Predigt blöd' anfangen, und dreist vollenden, dann hat er alles, was ihn hört, wie eine Klette am Kleide. Der Geruch hat seine Moden, die ein Pastor nicht mitmachen darf. Bisam und allerlei wohlriechende Wasser sind nicht für ein schwarzes Kleid. Willst du wohl riechen, so sey's nach Himmelschlüsseln, Rosen und Nägelchen (nicht Nelken, wie etliche wähnen). Diese Gerüche bekommen wie täglich Brod alle Menschen, und keine schwangere Frau wird darüber ohnmächtig am Beichtstuhle werden. Sey stark am inwendigen Menschen. Deine Seele sey wacker, dein Herz ohne Falsch, so wird auch der auswendige Mensch blühen und Früchte ansetzen. Die Seele ist der Gärtner, der Leib ist die Pflanze, die gezogen wird. Sprich zuweilen laut, sonst glauben die Leute nicht, daß es Ernst ist. Ich habe dir in deiner Jugend angerathen, das Skelett von den Butterblumen auf einmal wegzuhauchen. Es stärkt die Lunge. So wird Gott, der gerechte Richter, die Welt weghauchen! Ein jeder Lehrer muß mehr sagen, als im Concept ist. Was aus dem Herzen kommt, geht wieder zum Herzen; was aus dem Munde kommt, [207] geht wieder in den Mund; was aus dem Concept kommt, geht ins Concept, und was aus dem Buche, ins Buch. Ende gut, alles gut! Ich werde dir nicht erscheinen, mein Kind! wenn ich heimgehe – es würde dir und mir beschwerlich seyn; allein ich komme dir gewiß entgegen. Der Herr sey mit dir im Leben, und wenn du leidest, und wenn du stirbst. Geht's mit dir zu Ende, sey es mit dem Schluß deines Lebens, wie mit dem Jahresschluß, wo die Tage kurz sind! – Des Abends muß man einen schönen Tag loben. Amen, das heißt: Ja, ja, es soll also geschehen! Amen ist des lieben Gottes großes Siegel und der Frommen Zuversicht. Ich beschwöre dich beim Amen, daß du diese Regeln aufbehältst und sie befolgest, und sie alle Vierteljahre liesest, und vor der Lesung singst:
O Gott, du frommer Gott,
und nach der Lesung:
Groß ist, Herr, deine Güte. Amen!
Dieß war der Abschied, den meine Mutter von mir schriftlich nahm, wie sie ihn auch gern vom Conversus genommen hätte, und den sie, eben so wie den Tod, nicht auf die letzte Stunde ausgesetzt. Von meiner Mutter hab' ich, und auch meine Leser, in diesem Theil Abschied genommen.
Gute Nacht also, liebes Weib! Lebe wohl, liebe, theure Mutter. Deine heilige Harfe soll mein Herz in eine heilige Ruhe spielen, wenn es trotzig' oder verzagt' Ding seyn will, wenn es sich bäumt und wenn's sinkt. Ruhe der Religion der Vollendeten, du bist die Diät für Leib und Seele! Bin ich bestimmt, sechs Tage meines Lebens Last und Hitze zu tragen, laß mich wenigstens am siebenten ruhen von dieser Arbeit, und eine Seelen- und Leibeserlösung kosten. An diesem Sabbath soll dein heiliges Bild, liebe Mutter! vor meinen Augen schweben! Ich will dich hören, wie du das erste der drei großen Feste, als die Lerche den Frühling, mit dem:
[208]
»Dir, dir und deiner Güte,
Dir, dir, mein Gott, allein,
Dir, dir soll mein Gemüthe«
begrüßtest.
Wie du am heiligen Abend vor Weihnachten die Hirten des ganzen Kirchspiels vor das Pastorat versammeltest, und »Vom Himmel hoch, da komm' ich her etc.« anstimmen ließest – wie du dieß arme Volk, das seiner Sommergesellschaft am Ende ähnlich wird, zu christlichen Schäfern verschönertest, und in ihnen vor der ganzen Gemeinde ein Licht anzündetest, so daß jedes, auch im Weihnachten, Achtung für den Hirten hatte, da er nach dem Laufe der Natur am wenigsten gilt.
Deine Wörter: hahn, stahn, lahn, sollen mir besser klingen, als die weichlichen Worte der schwelgenden Poesie. Dein Titel: Weib Lobe san, den du dir selbst beigelegt hast, ist köstlicher als alle Welttitel. Ich will weit eher in den Vorhöfen des Herrn in der Halle wohnen, wozu dir dein Schutzgeist den Schlüssel für dich und deine Nachkommen gab, als in den Palästen der Gottlosen! Deine alten Worte: Wohlgemuth, fürbaß, und pflag, und traun! und schier! bezeichnen mir die Einfalt der Alten der güldenen Zeit, da die Menschen Gottes Nachbarn vorstellten, ihm über'n Zaun in seinen Himmel sahen, vor ihm wandelten und fromm waren, und wie sollt' ich diesen Kern gegen den Prunk dieses versilbert blechernen Jahrhunderts vertauschen? – Am Ende, wenn mir die Gedanken vergehen, wie ein Licht, das hin und her thut wanken, bis ihm die Flamm' gebricht, soll der Tod mir ein sanfter Schlaf seyn! Amen, das heißt: ja, ja, es soll also geschehen!
Dieß war ungefähr das Gefühl, auf Worte herabgesetzt, das in mir brannte, da diese Anrede von meiner Mutter zum erstenmal verlesen ward. Beim eigentlichen Abschiede bezog sie sich auf die [209] schriftliche Haustafel, wie sie's nannte. Diese Hand, sie gab mir ihre Rechte, reich' ich dir nicht wieder, als in der Ewigkeit, nicht mehr beim Abschiede. – Dieß ist der Abschied, mein Sohn, das eigentliche Begräbniß. Wenn du wirklich von hinnen ziehst, wird nur der Paradesarg beigesetzt.
Von Minchen nahm ich Abschied, wie der Sommer vom Frühlinge; man merkt's nicht. Zehnmal dachten wir, es sey das letzte Lebewohl; allein es kam noch ein Lebewohl – und dann noch eins, bis eins, ohne daß wir's beide wußten, das allerletzte war. Wir hatten schon vorher verabredet, daß nicht Sie anIhn, sondern Er an Sie den ersten Brief schreiben sollte. Dieser erste Brief sollte an den guten Benjamin, um aus der Noch eine Tugend zu machen, zur Beförderung gerichtet werden, und der Brief an Benjamin sollt' eine Einlage eines Briefs an den Herrn Hermann seyn. Wie sehr wir über diesen Plan gedacht, kann ich nicht beschreiben. Er ist das Resultat von vielen Stunden. In diesem ersten Briefe sollt' ich meiner lieben Mine den Weg zeigen, an mich zu schreiben, denn da noch nicht ausgemacht war, welcher Universität wir anvertraut werden sollten, so konnte der Plan füglich nicht anders eingerichtet werden.
Die ehrlichen Jungens, die tapfern Griechen, hatten sich bei meiner Abreise versammelt, hielten sich gerade, Helm ragte vor, und alle sahen ihrem Könige nach, der avanciren und Student werden sollte.
Wir kamen gegen Abend in *** an, und für ein paar Leute, die sich in zehn Jahren nicht besucht, wohl aber, so oft sie sich nur reichen können, mit Gedanken, Geberden, Worten und Werken (wiewohl alles in Ehren, und wie es ein paar so klugen und so rechtschaffenen Leuten ansteht) gepfändet hatten, war der Empfang sehr freundschaftlich. – Wo bleiben Sie so lang, lieber Herr Pastor? ich hab' schon zehn Jahre auf Sie gewartet, sagte der Herr [210] v. G – und mein Vater wie aus der Pistole: eben so lange, einen halben Tag, den ich zur Reise nöthig hatte, abgerechnet, habe ich Ew. Hochwohlgeboren Briefe entgegengesehen. Hier eine Umarmung, und von der Frau v. G – ein tiefer Knix, vom jungen Herrn ein russischer, und von seinem Hofmeister ein französischer Bückling – und zwar so durcheinander, daß niemand wußte, wem eigentlich die Verbeugung oder der Scharrfuß gelten sollte. Nach diesem Zeichen der Wiedergeburt einer seit zehn Jahren verfallenen Freundschaft hätte man glauben sollen, es wäre zwischen Sr. Hochwohlgeboren und Sr. Wohlehrwürden alles berichtigt; allein es ging diesen beiden Leuten so wie Richtern, die sich zwar geeinigt haben, wer von beiden Kläger oder Beklagter, gewinnen oder verlieren soll? nachher aber über die Entscheidungsgründe, und die Gegengründe die Köpfe schütteln, und zuweilen an einander stoßen, um ein Urtheil zu formen. Alle Augenblick war ein Knoten, den keiner von beiden lösen konnte, den aber auch keiner von beiden so geradezu spalten wollte. Ich muß gestehen, daß ich nicht viel von dem beherzigt, was diese beiden streitführenden Mächte mit ein ander ausgefochten. Ich weiß kein Wort weiter, als daß wegen Hut und Trift kein Wort weiter vorfallen sollte, und daß eine Koppelweide brüderlich verabredet wurde. Man ging Hand in Hand zur Tafel. Der Vergleich war zugesäet, wurde mit einem ächten Glase Wein aus einem Schäuer begossen, und trug noch den nämlichen Abend tausendfältige Früchte. Morgen, denn heute seh' ich alles über Bausch und Bogen, will ich meine Leser mit den Charakteren dieses hochwohlgebornen curischen Hauses und seiner Art bekannter machen, oder wie es mir eben einfällt, sie sich selbst bekannt machen lassen. Ich will versuchen, diesen Tag nachzuschreiben; wenn ich gleich nicht ein Verballexikon, einen Wörterkram, über das, was damals geredet ward, besitze, so habe ich doch ein sehr richtiges Reallexikon, und hier darf ich nur klopfen, und es wird aufgethan. Hausrath [211] ist bald angeschafft, wenn man liegende Gründe hat. Wäre dieser Lebenslauf kein Lebenslauf, hätt' ich von der Kanzlei des Sir Karl Grandison einen Kanzlisten auf zwölf Stunden zum Anlehen erbeten; allein einem Lebensläufe schlägt er's ab. Wo hätte ich aber, wenn Sir Grandison fiat wie gebeten gesagt hätte, wo hätte, ich dem Ehrenmann Ort und Stelle anweisen sollen? Im ganzen Hause des Herrn v. G – war zur Ehre des Hauses keine spanische Wand und keine Vorhänge, als vor den Fen stern, auch die nur gegen Mittag. Die Gespräche sind originalisirt. Wer's versteht, was ein Eid de credulitate ist, wird wissen, was ich sagen will, wenn ich behaupte nach bestem Wissen und Gewissen meine Leser behandelt zu haben.
Der Schauplatz
in unserm Schlafzimmer.
Dieses Zimmer ging gerade auf eine Wildniß, einen Haupttheil des – Gartens, wo sich ein Blumenbeet, welches wie ein verschönertes Wiesenstück aussah, an einer alten Eiche zu halten schien, um die kleines Gesträuch rings herum stand, als wenn's in die Schule ginge, und lernen wollte auch so groß zu werden. Es war alles wie Wiese und Wald, was man sehen konnte, und doch war's nicht Wiese und Wald. Die Blumen anders, und wenn sie gleich nicht in Reih' und Gliedern standen, waren sie doch in einer entzückenden unordentlichen Ordnung. Bäume hinderten das Auge nicht, den Wald zu sehen, und es fiel von oben ein reines Wasser, [212] wie ein starker Regen, und schlenkerte durchs Blumenstück, und aus ihm heraus, wie ein Betrunkener.
Personen.
ICH. Nicht wie im Pastorate. Blinde Kuh gespielt. Zugegriffen, nichts erhascht. Die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. – Gewollt und nicht gekonnt.
VATER. Betten und Nester müssen nicht kalt werden. Ein neuer Bezug kostet mir zu Hause zwei schlaflose Stunden, ein neues Bett anderthalb Nächte.
ICH. Ich habe den neuen Bezug mit einer halben Stunde bezahlt, vom neuen Bette weiß ich erst seit sechs Stunden mitzureden.
VATER. Hätten wir keine Betten, würden wir nicht diesen Schlafzoll bezahlen. Es ist viel davon zu sagen. Wenn ja der Mensch nicht in sich selbst Wärme hätte, sollt' er nach Vorschrift der Natur auf Haarbetten ruhen.
ICH. Ich will's versuchen.
VATER. Wenn's nur nicht zu spät ist. Deine Mutter trägt die Schuld, daß dein Blut Federn kennt. Mich freut's, daß du diese Nacht so wenig mit dem Schlaf gezankt. – Wir haben beide gethan, als schliefen wir. Wer sich mit dem Schlafe überwirft, zieht immer den kürzern.
[213]ICH. Aber mit einmal Aufstand machen, und dem Schlaf zeigen, daß man sein Sklave nicht sey. Was meinst du, Vater?
VATER. Recht! in allen Fällen; nur nicht, wenn ein neues Bett daran schuld ist. Der Schlaf kann nicht büßen, was unsere Weichlichkeit verschuldet hat. – Wer, wenn er schnell aufwacht, nicht gleich herausspringt, versteht nicht Winke der Natur. Der zweite Schlaf ist ein Postscript, das keinem Manne ansteht. Mittagsschlaf ist ein brennend Licht am Tage. Achtung, Alexander! Schlag an, Feuer! bist du heraus?
ICH. Wie Blitz!
VATER. Merk's dir ewig. Wer einen Fuß aus dem Bette setzt, und den andern nachholt, arbeitet auch nur mit halbem Kopf.
ICH. Wie kann's anders? Ich hätte mögen den Dr. Luther hören und sehen das Walt sprechen, und aus dem Bette fahren.
VATER. Wer's vertragen kann, des Morgens und des Abends, kann's nicht schaden. Deine Mutter hatte die Gewohnheit zu kreuzen, wenn sie gähnte und den Mund hielt. Diese Kreuzschläge habe ich ihr so aus dem Grunde abgewöhnt, daß sie's nach der Zeit für Sünde zu halten schien, und den Schlagbaum des Mundes, um die vorigen Kreuze zu verbüßen, noch weiter aufriß, als es nöthig war. Das Kreuz war die gemeinste Strafe, womit man bei den Syrern, Aegyptern, Römern und andern Völkern einen Missethäter von der Welt brachte. Aus Schande ist Ehre geworden. Deine Mutter nannte dieß einen Triumph der christlichen Religion. Ein Kreuz ist ein Ritter- und Ehrenzeichen; es hat so was Edles in und an sich, als die liebe Sonne, die alles glänzend macht, was sie bestrahlt. Häng' es um ein schlecht' Gewand: [214] es übertrifft Purpur und köstliche Leinwand. Die Wappenkunst gehört zwar nicht zu Kanzelgaben; indessen rath' ich dir dieß Studium an, und da wirst du ein Andreaskreuz, ein Schächerkreuz, ein Ankerkreuz, ein Kleekreuz, ein Krückenkreuz, ein Lilienkreuz, ein Patriarchenkreuz und noch viele Kreuze kennen zu lernen die Ehre haben.
Eine Stille! Wir sahen beide zum Fenster, und jeder stieß eins wie auf's Kommando auf; – noch eine
Stille! –
VATER. Hast du gebetet?
ICH. Zweimal angesetzt, einmal vollendet. Aber keinen Morgensegen, denn ich habe nicht geschlafen. Ich kann dem lieben Gott für nichts danken, was ich nicht auch empfangen habe. Die sagen können: Wir danken Gott für seine Gaben, die wir von ihm empfangen haben, wenn sie vor Hunger sterben möchten, sind, denk' ich, Schmeichler, Heuchler, Schriftgelehrte und Pharisäer.
VATER. Zum Dank hat der Mensch, wie zum Trost, immer Gelegenheit. Auch das größte Unglück ist nicht so groß, daß man sich nicht noch ein Stockwerk drüber denken könnte. Der Armbruch ist nicht so arg als der Halsbruch. Viele Leute aber glauben freilich, so mit dem lieben Gott umzuspringen, als mit ihres Gleichen. Herz, Ehrlichkeit ist das, was Gott angenehm ist; ich denk', er verzeiht hundert Flüche eher, als ein Gebet und Lob von dieser Weise. Er will eigentlich nur die freudige Empfindung über das Gute, das wir gethan haben. Versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere. Thue was Gutes, und du betest – die ganze Natur betet und singt und die Raben selbst nicht ausgenommen. Siehst du einen schönen Abend, einen schönen Morgen, so fehlen nur Worte zum Gebete, und die sind nicht nöthig. Leute, die es auf bloße Worte anlegen, zaubern im eigentlichen Sinne; sie betrügen die Umstehenden, und erwerben sich Almosen, das nicht [215] immer ein Stück Brod und ein Vierting ist, sondern auch ein Bückling, ein Ehrenwort seyn kann, »das ist ein frommer Mann.« Es hat weise Heiden gegeben, die dafür hielten, man sollte laut beten, damit Gott nicht mit unklugen Bitten belästigt würde; allein die Herren mögen es mir verzeihen. Gott ist unser Vater, und wir können ihm alles sagen. Wir bleiben gegen ihn bis an's Ende kleine Kinder. Wir sollen Gott lieben! Liebe ohne Aufopferung von der geliebten Seite ist schwer zu denken. Gott opfert sich, wenn er uns Gutes thut, nicht auf. Es kostet ihn keine Mühe, wenn er Früh- und Spätregen und fruchtbare Zeiten gibt, wenn er uns die Hand reicht. Es wäre also nur Ehrfurcht, was wir gegen ihn hätten, wenn wir nicht beten dürften. Das Gebet hilft uns zu einer Liebe, die anders ist, als alle Lieben in der Welt. Christus hat die Lehre vom Gebet so vortrefflich abgehandelt. – Betet im Glauben; bestimmt nicht; laßt's Gott über. Plappert nicht; betet im Kämmerlein.
ICH. Viele Leute schämen sich, den lieben Gott auszusprechen. Sie sagen: der Himmel. Ich sag' ja nicht Mitau, wenn ich den Herzog meine. Einige sagen: die Vorsicht, das sind mir schon die rechten, nicht wahr, Vater?
VATER. Nicht immer wahr. Da muß man sehr duldend seyn. Ich sage gern, herzlich gern heraus: Gott, mein Gott, und freu' mich, daß ich nach meiner Religion darf. Andere Leute mögen andere Weisen haben. Man nennt oft nach der Hauptstadt den Hof, der Wiener Hof – ich werde bei meiner Weise bleiben.
ICH. Ich dacht', es wäre des ersten Ausflugs wegen. Der erste Ausflug aus dem Neste muß Alten und Jungen was Angenehmes seyn. Du verstehst mich – nach dem lieben Gott bist du mein Vater.
VATER. Sey gut, Alexander, und das wirst du seyn, wenn du Gott von Herzen Vater nennst.
VATER. Gleich – aber, lieber Freund, das Wasser hier ist von gestern. Nur Thee fehlt, so ist's Theewasser. Können wir nicht kaltes, frisches Wasser –
VATER. So oft ich taufe, ärgre ich mich, daß wir nicht untertauchen. Das wäre was für Leib und Seele.
ICH. Wenn wir so mit dem Feu'r umspringen könnten, Vater! wenn wir so die Sonne wie ein Kaminfeu'r ansehen, und, wär' sie näher, herantreten könnten, ohne von der Flamme ergriffen zu werden –
[217]VATER. Die offenbare See –
ICH. Ich möcht' mich doch da eher baden, als die Hände dicht am Sonnenkamin wärmen. Was auf der Erde ist, gehört uns, hast du mich gelehrt –
VATER. Das erste Feuer auf der Erde muß eine schreckliche Wirkung auf Menschen und Vieh gemacht haben. Ein Blitz schlug's vielleicht an, und die Menschen unterhielten ein heiliges Feuer, deß; sich jedes bediente, bis sich's jedes selbst anschlagen lernte. Der Mensch hat sich ohne Zweifel vorgestellt, die Sonne wäre herabgekommen und wandle unter uns.
ICH. Eine große Vorstellung!
VATER. Ich vergebe den Heiden, daß sie die Sonne angebetet. Sie ist eins von den großen Lichtern, die im Saal Gottes brennen. Wir haben sie noch so ziemlich aus der ersten Hand; in wenig Minuten ist der Strahl auf der Erde.
ICH. Ich wünscht', ich hätt' das erste Feuer auf Erden gesehen.
VATER. Auch ich; ich denk', der erste Feuerlärm ist die Ursache, warum wir noch immer ins Feuer sehen, wo wirs finden. Wir feiern das Fest des ersten Feuers. Kaminfeuer verdirbt das Auge, sagt man, und was thut denn der Rauch der Oefen? das Unwürdigste, was je die Menschen erdacht haben, höchstens für schwangere Weiber gut. Der Kreißstuhl steht am Ofen. Ich bin kein Republikaner, allein ich bin ein Mensch. Kein Mensch, der sich frei fühlt, sollte einheizen und sich die Haare stecken oder sie kleben. Wer nicht mit der Hand in die Haare kann, und mit unverwandten Augen ins Feuer sieht, und sich Feuer zu machen versteht, ist wenigstens kein Engländer. Ich bin für den monarchischen Staat, das weißt du, allein auch da gibt's Freiheit. Du weißt die Fabel vom Prometheus?
ICH. Dem Feuerdieb, ja!
[218]VATER. Man läßt es nicht, ins Feuer zu sehen, und wenn man seinen Augen drüber einen Bund macht, so sieht man nicht, man schielt, man stiehlt – die Thiere selbst machen große Augen und staunen das Feuer an. – Wie ich mich freue, wenn ich Spuren der Natur finde, das ist unbeschreiblich; ich denk' immer Gottes Finger zu sehen, wenn ich Natur sehe.
ICH. Ich sehe Gottes ganze Hand.
VATER. Junge! Tausendmal hab' ich gedacht, mein Ebenbild! nur etwas rauher, dünkt mich. – Schadet nichts, du bist in Curland geboren und ich in einer bessern Gegend. Du jung, ich – alt. Söhne, die der Mutter ähnlich sind, bekommen ihre Fähigkeiten und Neigungen, allein in höherm Maße. Sie sind Birnäpfel, ich würde sie alle zu Geistlichen bestimmen. Sie haben bis zum Papst Anlage, nur keinen Schuß vertragen sie. Hättest du etwas, Alexander, von diesen Wachsjungen, ich gäbe was drum.
ICH. Gott braucht auch Luthers im Dienst, nicht bloß Melanchthons, Vater! Ich wette, Luther sah seinem Vater ähnlich, wie ich dir, und Luther, das wett' ich auch, wär' ein so guter Generalfeldmarschall geworden, als er jetzt Glaubensvater ist, und hätt' so gut Sieg' erfochten, als einen Katechismus geschrieben.
VATER. Es würde manchmal gut seyn, wenn sich ein Geistlicher mit einem Narren von Freigeist herumschießen könnte. Gewiß würd' er mehr durchs Pulver als durch Gründe frommen, besonders in Curland, wo alles nach Pulver riecht – allein wer das Schwert nimmt, wird durchs Schwert umkommen –
ICH. Mit Dreien nehm' ichs auf – ich meine mit Freigeistern, sonst weiß ich auch, wer Herz hat.
[219]VATER. Feigheit fällt in alle fünf Sinne, man steht sie im Finstern. Einen muthigen Mann kennt man nicht so leicht. Er trägt nicht Spieß und Lanze. Gemeinhin sieht er blöde aus. Seine Miene ist sanft und edel; wenn er spricht, ist's, als spräche man mit einem Frauenzimmer.
ICH. Wer hat, darf nicht borgen.
VATER. Ein muthiger Mann ist ein vermögender Mann, und darum braucht er kein Creditkleid, keinen Empfehlungsbrief. – Er ist überzeugt, daß es ihm nicht fehlen könne. Muth ist ein edles Bewußtseyn, von dem einige Leute sehr einfältig sagen, er sey anzusehen. Stolz ist anzusehen, allein kein edles Bewußtseyn –
ICH. Wie kommt's aber, Vater! daß auch den Herzhaftesten der Muth zuweilen verläßt, und daß er nach einer Zeit wieder muthig wird?
VATER. Weil er krank war und wieder gesund wurde! das ist aber eine Krankheit ohne Namen, etwas Kolik ist immer dabei. – Ost kommt's, weil der Held mit einer Schlafmütze sein Haupt bedeckt hat, da er eben angegriffen wird. Er sollte selbst im Hute schlafen.
ICH. Im Hut oder im bloßen Kopf. – Vater, ich will dein Sohn nicht seyn, wenn ich je anders zu Bette gehe.
VATER. Du warst Alexander! jetzt bist du es nicht mehr, kannst es nicht mehr seyn, mußt es nicht seyn! Ich dacht' anders und Gott dacht' anders. Setze immer eine Schlafmütze auf und bekämpfe dich selbst, dann hast du Muth, auch ohne den Degen in der Faust und im Schlafrock und Pantoffeln. Muth braucht man, wie Salz, zu allem, und beim Kammertod mehr als auf dem Bette der Ehre, wo Wuth und Verzweiflung oft die Herzhaftigkeit einfeuert. Dieß ist ein eingeheizter Muth. Ist der Ofen kalt, ist alles kalt.
[220]ICH. Ich weiß, Vater, wie ich das Loch hier am Kopf kriegte, was es heiße, auf dem Bette der Ehre ein Loch kriegen, und wie ich krank war, was ein kalter Ofen heiße. Das Loch war mir weniger, als wenn ich mir das Hemde vorbei ins Fleisch gestochen. Ich wollt' drüber was Schriftliches aufsetzen, so weiß ich's. Sich selbst bekämpfen, Vater, und eine Hopfenstange seyn, ist doch zweierlei.
VATER. Sich in wagerechten Stand setzen und immer im Gleichgewicht halten, ist unmöglich. Wer nicht Leidenschaften hat, ist kein Mensch. Unser Herr und Meister jagte Käufer und Verkäufer aus Gottes Tempel. Wer im Sitzen schelten, und wenn er sich stößt beten kann, ist ein Mensch, mit dem ich nichts zu theilen haben will. Ich werd' gewiß betrogen. Ich hab' mich als Pastor zu dem »daß dich der Tausend« bequemen müssen, »daß dich der Teufel« sagt man, soll gesunder seyn. Es soll wie ein Glas Wasser abkühlen. Die Natur kühlt sich auch durch Donner und Blitz. Um dem Teufel nicht so viel Ehre anzuthun, sollte man ein ander Wort erfinden. Es kommt alles auf Begriffe an. Augustinus und Lactanz konnten sich nicht überreden, daß die Erde rund sey, weil sie die Schwere der Körper nicht kannten und –
ICH. Vater, was du mir sagst, ist mir, Augusti nus und Lactanz ausgenommen, so bekannt, als ob ich's gewußt hätte, und doch lernte ich's erst.
VATER. Das ist der größte Beweis der Wahrheit. Der Vers ist gut, den man auf einmal behält, und eine Sache, die, wenn wir sie gehört, uns so dünkt als hätten wir sie schon zuvor gewußt, ist gewiß wahr.
ICH. Du bist mir Philippus und Aristoteles in einer Person.
VATER. Wenn man den Kindern auf alle ihre Fragen antwortet, [221] kurirt man sie durch Aderlassen. Man macht sie schwach. Wenn du A frugst, antwortete ich B, und hierdurch gewöhnt' ich dir ab, zu fragen, und an, selbst zu denken. Wer immer in seiner Jugend gefragt hat, fragt auch, wenn er alt wird. Hättest du noch einen Bruder gehabt, hätt' ich ihn negativisch erzogen, und ihm nicht gesagt: hier geht der Weg, sondern: hier geht er nicht. – Wenigstens, Alexander, hast du einen mündigen Ausdruck. Du bist ein Mensch, der bei der Natur in die Schule gegangen, ein Stück vom Seher! – Wer bloß die Alten liest, ist ein Gläubiger; du kannst sie auch zur Noch lesen, diese erste Version der Natur. Laß uns jetzt gehen – der Thee ist schon erwünscht kalt.
ICH. Vater, ich möcht noch zehn Stunden hören.
VATER. Und ich bin lang' nicht so ein Vielwisser gewesen wie heut, und auch du umfassest alles, du sprichst so behend, und jedes Wort ist Schach dem König. Das machen die neuen Betten und die Nacht ohne Schlaf.
* * *
ICH. Das noch eins hab' ich nicht ersäuft; die gnädige Frau ruft mich Monsieur.
VATER. Besonders daß Monsieur bei den Deutschen zwei Pfund weniger als Herr, und Mamsell zwei Pfund mehr wiegt als Jungfer.
ICH. Immerhin, Vater! Ein Franzose mag ein Monsieur seyn, aber nicht ich. Zwei Pfund weniger oder mehr, ich ehre das Wort Jungfer.
VATER. Ich auch, Alexander, und auch darum mit, weil es sich rein hält und mit keinem Reim in Gemeinschaft tritt. Das [222] sind für mich königliche Wörter; sie geben sich nicht mit erst was ab.
ICH. Mamsell hieße, der sollte eine Ohrfeige mit dieser Hand haben, oder ich will Monsieur seyn. – Und immer in der dritten Person spricht die gnädige Frau. Wird Monsieur nicht haben wollen, will Monsieur nicht ein Glas Bier? Bin ich denn kein Du oder Sie werth! Kann sie mir nicht grad' ins Gesicht sehen, wenn sie mir zuspricht. Warum stößt sie denn nicht das Glas mit mir an. Sie schielt nur von der Seite herab. Gottlob, daß sie nicht mit Er herumwirft, ich wüßte nicht – Vater! – Wenn fängt man denn an, Literatus zu seyn?
VATER. Es ist nicht überall gleich. Im Mitauschen Kreise früher, im Bauskeschen Kreise später, im Seelburgschen Kreise noch später, im Doblehnschen Kreise früher als im Mitauschen, und so weiter durch alle Kreise.
ICH. Ihr Mann, Vater, hätte verdient den linken Flügel meiner Phalanx zu commandiren. Zum Parmenio. Vater, nicht wahr? Er weiß doch, was einem seligen Alexander zustehet. Von ihr, dünkt mich, kann's heißen: ihr Wurm wird nicht sterben, und von ihm: sein Feuer nicht verlöschen.
Im Garten.
Die Frau v. G. Die Vorigen. Herr v. G.
FRAU v. G. Sehr erfreut, Herr Pastor – Wohl geruht? Ich bitte Platz zu nehmen. Herr v. G. hat einem Sperling das Leben abgesprochen, und ist unten, ihm das Wort zu halten. Monsieur, bitte zu sitzen – Ohne Umstände. Gartenfreiheit! da sind wir alle gleich.
[223]ICH. Vom Paradiese her.
Mein Vater bückte sich bis ans Wort halten, ich
von Monsieur an.
VATER. Jedes Volk hat, was es bedarf, gnädige Frau, kann Original seyn, darf nicht Thee und Kaffee trinken.
FRAU v. G. Aber Wein?
VATER. Der ist vom lieben Gott fürs ganze menschliche Geschlecht eingesetzt, und dann, gnädige Frau! wächts nicht Wein in Curland?
FRAU v. G. Vielleicht würd' auch Thee und Kaffee wachsen.
VATER. Nimmer; und wenn es wäre: wie kann wohl die Natur mit Bohnen und Strauch die Absicht verbunden haben, die man jetzt damit verbindet?
VATER. Des Abends. In Curland geht's mit dem Frühstück beinah wie in England, und das hat, ich muß gestehen, sehr viel Verführerisches. Alles kommt ungeputzt zusammen, wie bei einer Brunnenkur, und mit einem so freien unverfäschten Kopf, daß es eine Lust ist, gute Leute frühstücken zu sehen. Die Seel' ist so wie der Leib im Negligé, und wenn's früh ist, ist der Tag selbst so. Sein Schleier ist ein liebenswürdiger wonnevoller Anzug – nicht immer [224] aber, gnädige Frau! können wir in Pyrmont seyn, und den Brunnen trinken, und unsrer Seele und dem Tage bei der Toilette aufwarten. Wir haben Geschäfte: die Morgenstunde –
VATER. So wie in allem, was die Diät betrifft, die ein jeder Arzt nach dem Schnitt seines Magens beurtheilt.
HERR v. G. einen todten Sperling in der Hand. Ha, willkommen im Grünen! Herr alter und Herr junger Pastor.
HERR v. G. Er erschrickt über dich, und ich auch, gnädige Frau. Für erst bitt' ich Herr statt Monsieur! Wer nicht vor einem Schuß erschrickt, ist kein Monsieur. Sieh ihm ins Gesicht. Ist er erschrocken?
HERR v. G. Herr Pastor, ich bitt' – ich nehm's für ein heimliches Verständniß mit meiner Frau, wenn Sie nicht thun, was ich bitte, was ich will. – Wenn ich sie gehört hätte, würde ich –
VATER. Eine gute Suppe und einen guten Nachtisch gefunden haben. Ein paar schöne Lieder, die seine Mutter ausgesucht hatte. Die Predigt war nur, um zu versuchen, ob Stimme und Anstand – nur des Leibes Nahrung und Nothdurft wegen, wenn ich so sagen darf.
HERR v. G. Das ist brav! ich auch so – da siehst du, Frau! was brave Kerls sind Indem er den Sperling wegwirft. Ein Dieb weniger in der Welt.
VATER. Ein wahrer Dieb. Unstet und flüchtig, wie das böse Gewissen.
HERR v. G. Indessen kommt's auf Erziehung an, und der Sperling singt, wie einer der schönsten Sänger unter den Vögeln, Dieb würd' er freilich auch bei einer Sirenenstimme bleiben. Ich selbst habe Proben, und der Schluß ist richtig. Kein Vogel hat eine eigenthümliche ihm von Gott verliehene Singstimme, sondern [226] nur Flöt'traversansatz, Fähigkeit zu allem vögelmöglichen Gesang. Es kommt auf den Cantor an: wie die Alten sungen, so zwitschern nach die Jungen! – Wo ist Fritz mit seinem halbehrwürdigen Hofmeister geblieben?
FRAU v. G. Der Junker Der Aceent auf Junker. kleidet sich an. Der Hofmeister leistet ihm Gesellschaft. Sie haben sich das Längste –
HERR v. G. Nichts geredet. Verstand ist des Herzens Spürhund. Ich kenne noch keinen beherzten Mann, der nicht mindestens fürs Haus Verstand hätte; aber verständige kluge Schurken kenn' ich dir so gut, als meine Kugel, Schrot, Wind-, Bürschbüchsen. Gewehr auf ein Haar. Ich weiß den Unterschied zwischen beherzt und gutherzig; allein Herz ist hol' mich – Herz. Es kommt alles auf eins. Du wirst dein Lebtag nicht einen beherzten Mann kennen, der nicht mitleidig, großmüthig, gutthätig ist, und sein paar Tropfen weinen kann. Verstand! Sieh doch! was ihr Weiber dieß Wort in den kleinen Mund nehmt. Dieß Wort ist mit Ew. Gnaden Erlaubniß generis masculini, oder wenn du es im Deutschen haben willst: Es hat Haar um den Bart.
FRAU v. G. Wird aber oft kahl geschoren.
HERR v. G. Einfall! Euretwegen aber wächst wieder. Ha, gnädige Frau, wie gefällt Ihnen meine Predigt in der freien Luft? Die Anwendung werden Sie selbst machen.
FRAU v. G. Mich dünkt, es zeigt wenig Verstand, Böses von seinen Kindern zu sprechen. Monsieur – der Herr – wollt' ich sagen, wird sich einen schönen Begriff vom Junker machen.
[227]HERR v. G. Böses? sagt' ich nicht guter Junge –
FRAU v. G. Junge! Schon dieß Wort in gewisser Gegenwart, Auf die Bedienten weisend. ich denk' doch, er hieße so gut Herr v. – als Ew. Hochwohlgeboren?
HERR v. G. Es scheint, Ew. Gnaden wollen mein Schiff entern. Gehorsamer Diener, so nah sind wir noch nicht. Weißt du, was entern ist? frag's nach in Liban!
FRAU v. G. Entern hier, entern da, es schickt sich wenig –
HERR v. G. Albern! es muß sich schicken. Er ist Edelmann, weil ich einer bin, dabei ist wenig auf seiner Seite.
FRAU v. G. Der Adler ist darum Adler, weil sein Herr Vater einer war.
HERR v. G. Warum Adler; warum nicht Gans? so bleibst du in der Landsmannschaft – Adler! ha! ha! ha! Engel haben keinen Zunamen; Teufel auch nicht. Wenn nicht Zunamen wären, würden mehr Menschen seyn. Weißt du wohl, wie lang es ist, daß Zunamen sind. Der Teufel hol' den Schlingel, der sie zuerst aufbrachte. Man thut darum selbst nichts, und sieht vor oder hinter sich. Hat doch dieser und wird doch jener – In Curland besonders, in Curland ist ein Edelmann ein Erdschollen, glebae adscriptus, nicht wahr, Herr Pastor?
VATER. Ich hab's oft gesagt, da ist aber nicht der Edelmann, Curland und Semgallen sind Schuld. In diesem Fall hat ein Literatus den Vorzug, daß er, wie die Apostel, in alle Welt geht. Befällt ihn ja das Heimweh, er stirbt wenigstens nicht auf der Stelle, wo er geboren ist. Mit ihm ist's Komma, Kolon, Semikolon, mit dem Adel Punktum.
HERR v. G. Recht, Punktum, ein groß Punktum, man kann es einen Klecks nennen; da wo ich geboren bin und sterben werde, sind schon sieben geboren und gestorben, und mein Jung' wird den Punkt nicht verrücken.
[228]FRAU v. G. Warum denn nicht?
HERR v. G. Will er nicht kann, und kein Curländer es kann. – Für ihr Vaterland Korn und Weizen säen, das ist alles, was in ihrer Macht ist. Darum Punktum! Punktum! Punktum!
FRAU v. G. Der Himmel gebe, du machtest Punktum, und wir singen was anders an.
HERR v. G. Mit dir, wenns Ew. Gnaden gefällt. Aber, Herr Pastor, wie kommt's, daß es mit gelehrten Leuten in gewisser Art nicht besser geht?
Die gnädige Frau ging beim Wort: gelehrten Leuten, sehr freundlich ab. Ihr Compliment für mich zeigte, daß ich Herr und nicht mehr Monsieur in ihren Gedanken war.
VATER. Sie haben Recht. Ein Gelehrter hat selten einen Sohn, der seinem Bilde ähnlich ist. Mit ihm fängt's an, mit ihm hört's auf; allein dieß gilt nur von Gelehrten majorum gentium, von halb Engeln; ganz Engel gibt's nicht unter Menschen, die Fleisch und Bein haben; Copernikus, Newton, Kepler, Leibnitz – –
HERR v. G. Das waren Kerls! dem Copernikus bin ich am gutsten, Gott weiß warum. Seinetwegen wünscht' ich ein Preuße zu seyn.
VATER. Es ist wahr, Copernikus schloß den Himmel auf. Es war ein Petrus, zu dem Gottes Stimme erscholl: ich will dir des Himmel reichs Schlüssel geben. – Newton aber war chargé d'affaires des menschlichen Geschlechts, im Himmel und auf Erden, und unter der Erden. Licht war sein Blick, und was er machte, das gerieth wohl. Kepler, ein Haushalter über Gottes Geheimnisse, Siegelbewahrer der Natur; und Leibnitz, ein Kammerherr unter ihnen, ein Mann, der allen allerlei war, der erfinden konnte, ohne Bleifeder und Schreibtafel in der Hand zu [229] haben, der, wie man von Newton erzählt, keinen Damenfinger, so viel ich weiß, verbrannt hat.
HERR v. G. Kein Mensch weiß von dieser Leute Kinder, und doch ist Nachruhm entweder gar nichts, oder Erbgut. Wer keine Kinder hat, thut thöricht, sich von fremden Leuten nachrühmen zu lassen: »Er hatte Verstand, er hatte Geld.«
VATER. Geld wirst keinen Nachruhm ab. Es trägt nur Zinsen, so lang man lebt. Ein Reicher ist, so lang er lebt, Souverain in diesem Jammerthale. Er kann sich alles kaufen, vielleicht gar ruhiges Gewissen und Gesundheit. Ist er geizig – und wo ist ein Reicher, der es nicht wäre? – wird er wenigstens seltener krank, wie ein andrer. – Kein epischer Dichter hat solch eine Einbildungskraft, wie er. Er genießt alles in der Einbildung. Kein Wunder, daß er sich nie den Magen verdirbt. Er sieht seinen Geldkasten an, und da steht er Wagen und Pferde, da steht er seinen Tisch mit allem Neuen vom Jahr besetzt – Leckerbissen und seine Weine! Das sieht man in keinem optischen Kasten, was der Geizhals alles steht. Hier ist der Hals übel gepaart, der Geizige müßte denn am fremden Orte seyn, wo es ihm nichts kostet. Geld sollte das Mittel seyn, um zu genießen; allein der Reiche hat gemeinhin Mittel, um sich neue Mittel zu erwerben, und am Ende Mittel über Mittel; allein keinen Zweck. – Im Tode heißts: »Sohn, du hast dein Gutes empfangen in deinem Leben,« es thut nichts, ob in Prosa oder im Gedicht, ob wirklich oder in Einbildung. Das Geld bleibt zurück, und wenn man ja an den seligen Herrn denkt, so heißt's der Geck! so schönes Geld! und ein so schlechter Keller! Mit dem Nachruhm des Gelehrten ist's eine andre Sache. Verstand trägt Zinsen bis an der Welt Ende. Newton hat keine Kinder nöthig. Jeden Gelehrten hat er über die Taufe gehalten, ist's ein Jude, hat er ihn beschnitten. Jeder seiner Schüler ist sein Sohn. – Ein Gelehrter dieser Art hat das [230] Glück, lauter wohlgerathene Kinder zu haben, es sind Seelenerben, die er mit Geist und Wahrheit nährt – Er darf weder Gastwirth, noch Schwertfeger, noch Fechtmeister, noch Wäscherin für sie bezahlen.
HERR v. G. Alles gut, lieber Pastor, was hat aber Newton und alle von seinem Gelichter davon?
VATER. Ein doppeltes ewiges Leben – in jener Welt eins, in dieser Welt eins. Ein Gelehrter, der sich seiner Unsterblichkeit bewußt ist, hat einen Beweis mehr in sich, daß er nicht aufhören werde. Diese Unsterblichkeit und jene Unsterblichkeit sind verwandt – und rechnen Sie dieß Bewußtseyn für nichts, ehe solch ein doppelt Unsterblicher den Weg geht, den alle gehen? Er lebt doppelt – schmeckt sterbend doppelte Kräfte der künftigen Welt.
HERR v. G. Pastor, es ist mir nicht anders, als wenn ich losdrücken will, und der Vogel stiegt davon – ich bin so nahe an der Ueberzeugung; allein weg ist der Vogel.
VATER. Allein, in Wahrheit, er ist nicht andenkenswerth. Die Historie wird mit der Zeit ein Familienstück werden, und es wird heißen: dort linker Hand wohnt die Historie in sechs Häusern – die gelehrten Familien aber aus dem Fuß, wie wir sie bis jetzt kennen – vielleicht viel Vorruhm: allein desto weniger Nachruhm. Die meisten Menschen halten den Nachruhm für Nachhall: allein gefehlt! sehr gefehlt! Aufrichtig, ich kenn' bis jetzt keinen stiftsfähigen Familiengelehrten. Der Sohn lernt beim Vater das Handwerk aus, und hat Vorzüge beim Meisterwerden. Der Sohn [231] behält des Vaters Leisten, und alles ist nach väterlicher Weise. – Man nennt dieß Wissen: Familiengelehrsamkeit.
VATER. Witz erfindet, Urtheilskraft behandelt. Wer Witz hat, kauft den Acker. Wer Urtheilskraft besitzt, theilt die Felder ein, säet und umzäunt. Der Witzige vergleicht, der philosophische Richter verknüpft oder trennt. Der Witzige macht allem, was schön ist, die Aufwartung. Der Philosoph ist für Verlobung und Beilager, und was er zusammengefügt hat, soll der Witz nicht scheiden. Der Mensch ist stumpf, heißt: er hat nicht Witz. Der Mensch ist dumm, heißt: er hat nicht Urtheil.
HERR v. G. Setzt man nicht Kopf dazu, Dummkopf, Stumpfkopf?
VATER. Ja! allein sehr unrichtig. Man entweiht den Namen Kopf, denn er deutet Scharfsinn an. Das ist ein Kopf, heißt: er ist scharfsinnig. Er ist kein Kopf, heißt: er ist es nicht.
ICH. Aber, Vater, wenn man von einem Kinde sagt: es hat einen Kopf?
VATER. Ein Kopf seyn, und einen Kopf haben, ist zweierlei. Beim Kopf seyn, fingirt man sich, der Mann sey lauter Kopf, a potiori fit denominatio. Einen Kopf hat jeder.
ICH. Aber, Vater! in welchem Jahr stellt sich denn der Scharfsinn ein, und wenn kann man von einem, der einen Kopf hat, sagen: er sey ein Kopf?
VATER. Allerdings! in Hoffnung! man sieht, was die junge Seele werden wird, so wie im Frühling die Ernte, des Morgens den Tag! Die meisten Knospen haben den Geschmack der künftigen Frucht.
Hier machten wir uns alle drei Complimente, und stießen die Köpfe im Guten an einander. Der geneigte Leser wird mir diese Stöße gern erlassen. Es würde auch unartig gewesen seyn, wenn einer dem andern den Kopf abgesprochen hätte.
VATER. Gedächtniß, Schärfe der Sinnen, sind beim Witz und Urtheilskraft Gesellschaftskavaliere, Sekretärs, Haushofmeister u.s.w. Verstand hat dasVotum decisivum.
HERR v. G. Gott ehr' mir den Witz, weil er zu lachen macht; das Klügste, was die Menschen können.
VATER. Ueber Witz lacht man. Die Urtheilskraft aber macht seelenfroh. – Die Seelenfreude ist eine ganz besondere Freude. Man kann hiebei auf seine eigene Hand, wie ein König, vergnügt seyn. Dieß ist der einzige Fall, da man sich auch ganz allein einen geistigen Rausch antrinken kann. Der Witz liebt Gesellschaft. Bei der Urtheilskraft erfreut man sich über die zurückgelegten Schwierigkeiten, wenn wirklich die Sache uns schwer gewesen. War sie uns leicht, so freut man sich der Leichtigkeit wegen, und macht sich selbst ein Compliment.
HERR v. G. Wenn ich vier Köche und Jungens ohne Zahl mit weißen Schürzen herumlaufen sehe, ehe die Flügelthüren zur Tafel geöffnet werden, sag' ich schon vor Tische: prosit. Mir [233] schmeckt es nicht. Auf Hochzeiten ess' ich am wenigsten; ich könnt' immer Medicin einnehmen, eh' ich zur Hochzeit führe. Ich denk', Herr Pastor! Witz und Vergnügen ist wie Vater und Sohn, und Vergnügen, wenn's gleich noch so viel kostet, muß so aussehen, als wenn es Geschenk wäre.
VATER. Jeder Einfall hat die Natur, daß er uns in der Erwartung betrügt; im gemeinen Leben gehört ein Gesicht dazu, Einfälle zu sagen. Es gibt Witz, der im Anfang nicht ausfällt, allein in der Folge wird man überrascht, und das ist der regelmäßigste, der beste. Er gefällt im Nachgeschmack; wir wußten nicht, wohin man uns führte; allein auf einmal ein schöner Platz. – Mancher Witz kommt von vorn, mancher von hinten, dieser ist englisch, jener französisch. – Wie die Seidenzeuge in England und Frankreich, so auch englischer und französischer Witz. – Der Engländer hat Baß-, der Franzose Diskantsaiten. Aus einem englischen Gedanken macht der Franzos ein halb Dutzend.
HERR v. G. Und der deutsche Witz?
VATER. Noch ist nicht viel von ihm zu sagen. Er soll aber, wenn uns Gott leben und ge sund läßt, die Tenorstimme haben, halb französisch, halb englisch. Witz müßte des Deutschen Erholungsstunde werden; Gründlichkeit, Ordnung, sein eigentliches Kopfwerk. Zwischen Einfall und Einsicht ist ein so großer Unterschied, als zwischen nachthun und nachmachen, zwischen Form und Materie, zwischen Ursache und Folgen. Ein Genie – stößt mich fort, ein Philosoph leitet mich. Unsere Kinder werden sehen und hören, was wir in Deutschland noch nicht sahen, noch nicht hörten.
VATER. Wüßt' ich, daß meine Erwartungen mich nicht [234] trügen, ich würde wie Simeon sagen: Herr, nun lassest du deinen Diener in Frieden fahren!
HERR v. G. Ich auch, obgleich ich eigentlich kein Diener Gottes, sondern des lieben Gottes Fröhner bin. – Wissen Sie, Pastor, was ich mir für Begriffe von Verstand mache? Vernunft ist major, Verstand ist minor, bei der Conclusio gehen Verstand und Vernunft paarweise.
VATER. Ich habe nichts dawider. Verstand urtheilt, Vernunft schließt. Vernunft ist Urtheil a priori, Verstand a posteriori.
ICH. Auf die Art ist Vernunft grob Geld, Verstand klein Geld.
HERR v. G. Was ist das aber für ein Ding, wodurch man heilige und unheilige Scribenten auslegt? – kann man's Witz nennen?
VATER. Witz, Herr v. –, allerdings Witz; allein Witz den man im Schlafrock sitzend, ein Knie übers andere gelegt, haben muß. – Eine Federmütze kann nichts dabei verderben. Witz, bei dem man so langsam geht, als wenn man einer Leiche folgt, und in Wahrheit folgt man einer Leiche.
HERR v. G. Lassen Sie uns aufräumen, Pastor, Sie sind ein Mann, der zum Menschen menschlich redet. Viele der Herren Philosophen haben da erst so einen Wörterkram, daß mir der Kopf darüber bricht, und was sollt' ich mir den Kopf über Worte brechen! Ueber Sachen mit Freuden. Man muß erst drei Jahre schweigen, ehe man ein Wort mitreden kann. Sie sind immer bis an die Zähne verschanzt. Sie sind die Priester, die lateinisch zu Werke gehen. Wir armen Leute wissen nur Amen und Gospodipomila. Sollte denn nicht alles, was gelehrt ausgedrückt wird, auch in der gemeinen Sprache Raum haben? Es kommt nur, dünkt mich, darauf an, daß die Herren Philosophen sich den Kopf [235] zerbrechen, anstatt daß sie ihn uns brechen lassen. Was ich sagen wollte, betrifft ein paar Worte: Naiv und Laune, meine Frau und mich. Sie braucht das Wort Naiv, ich Laune; allein was beides eigentlich sagen will, wissen wir, hol' mich der – beide nicht; ob wir es gleich gewiß so wissen, wie man das meiste weiß. So viel aber glaub' ich, daß man nur von einer Frau sagen kann, sie wäre naiv: von unser einem aber, wir hätten Laune.
VATER. Um Sie beim Wort zu halten, wenn man etwas Philosophisches, etwas Richtiges in der gemeinen Sprache sagt, ist man, dünkt mich, naiv. In Einfalt richtig denken und thun, heißt naiv seyn. Philosophie ohne Kunstwörter würde ich eine naive Philosophie nennen. Launig ist man, wenn man, ohne auf sich Acht zu haben, oder wenigstens diese Achtsamkeit merken zu lassen, spricht und handelt. Man kann auch durch seinen Anzug, durch die Farbe im Kleid Laune verrathen. Man könnte sagen, man wäre launig, wenn sich die Seele ohne Spiegel angezogen hat.
HERR v. G. Von der Laune auf die beste Welt. Wenn man dem Worte das Menschliche nimmt: könnte man sagen, Gott habe die Welt bei Laune gemacht. – Was will man eigentlich mit der besten Welt? Leibnitz hat keiner Dame den Finger verbrannt, sagten Sie, und ich sage, er selbst hat sich auch nicht die Finger verbrannt. – Ich wünschte von Herzensgrund, die Welt wäre die beste! Zu sehen ist's nicht.
VATER. Mit dem sterblichen Auge nicht, wohl aber mit dem unsterblichen. Leibnitz hat mit diesem Gedanken kein Licht anzünden wollen, er hat nur ein schon brennendes geschneutzt, oder höchstens ihm den Räuber genommen. Es brannte dieses Licht im Auditorio, wo vom Ursprünge des Bösen disputirt wurde, und dieß Zimmer wollte er helle machen. Mit diesem Schuß mußt' er das Ziel erreichen. Die Sache also war da, er wandte sie nur an. [236] Das Kleid war fertig, er setzte nur Knöpfe darauf, und zwar Knöpfe mit Gold besponnen.
HERR v. G. Aber konnte Gott nicht machen, was er wollte?
VATER. Warum sollt' er aber wollen, das Schlechtere dem Bessern vorziehen? So will kein lieber Gott. Es ist gewiß, daß der liebe Gott in seinem Verstande sich Risse von allen möglichen Welten machen könne; denn sonst würde man seine Erkenntniß verschränken.
HERR v. G. Ich kann ja über jedes einzelne Ding poetisch oder schön denken, ich meine, es von der Spreu reinigen, es sichten wie den Weizen, und das muß auch in der Summe angehen. – Ich kann mir vorstellen, wenn der liebe Gott dem Blitz und Donner keine Macht und Gewalt beigelegt, und Blitz und Donner bloß Gottes Feuerwerk wäre, daß ich's mit Wonne sehen würde, über die nichts ist. Ich liebe Blitz und Knall.
VATER. Ergebenster Diener. Also kann Welt über Welt gedacht werden.
HERR v. G. Aber gelt! Ein Gedanke, wie aus der Pistole. Können nicht zwei gleich gut seyn? So wäre nicht die beste, nur eine gleich gute da. – Können sie nicht al pari seyn, wie die Kaufleute reden?
VATER. Das will sagen, eine so vollkommen als die andere.
HERR v. G. Vollkommen! der Henker, Herr Pastor, nein, das will was anders sagen, wenn ich nicht irre. Ich bin nicht so roh, als mir das Haar auf die Stirn gewachsen, ich hab's gehegt; was soll mir eine höhere Stirn, als der liebe Gott wollte? Ich denke aber, vollkommen ist, wenn alles auf eins herausläuft, wenn viele Mannigfaltigkeiten unter Eine Regel sich wenden, diese mag seyn, welche sie will, Peter oder Paul. Es ist mir so als [237] ein monarchischer Staat: daß sich Gott erbarm; alles zu Einem. Ein Dieb ist, mit der Herren Philosophen Erlaubniß, vollkommen; ein Betrug ist mit der Herren Philosophen Bewilligung vollkommen. Es hat mir nie, unter uns gesagt, von den guten Herren gefallen, daß sie so was vollkommen heißen, indessen ist dem nicht also, Herr Pastor?
VATER. Im respektiven, nicht aber im absoluten Verstande. In diesem letzten Sinne stimmen die Philosophen mit Ihnen. Sie nennen etwas nur vollkommen, in sofern das Mannigfaltige den Grund einer Realität in sich enthält. Je größer diese, je größer die Vollkommenheit. Wie wollen Sie aber Realität von Realität als Realität unterscheiden?
HERR v. G. Wie ich alles unterscheide, durch zehn Dinge, die in jener nicht sind, und in dieser sind.
VATER. Wenn Sie also zwei Welten von einander unterscheiden wollten, müßten Sie in einer etwas annehmen, was in der andern nicht wäre. In dieser wär' eine Null, eine Verneinung; in jener ein Eins. Realitäten unterscheidet man durch den Grad derselben, durch Größe und Schranken.
HERR v. G. Können denn nicht zwei Raritäten, oder Realitäten – ich wünschte, ich könnte bei der Eins bleiben – allein es läßt sich nicht – können nicht zwei Realitäten von gleichem Grade in ihrer Beschaffenheit sich von einander unterscheiden?
VATER. Nein, denn eben hierdurch würd' in einer etwas seyn, was in der andern nicht ist; hier eine Eins, dort eine Null. [238] Da haben Sie den Mangel, den Zaun, die Verneinung, und die Probe des Unterschiedes von Seiten des Grades.
HERR v. G. Ich verstehe so halb und halb; um es ganz und gar, durch und durch, oder das Netto provenü zu verstehen, würd' ich ohne Kopfschmerz nicht abkommen. In der besten Welt, der besten Welt wegen Kopfweh, das würd' ich der besten Welt, und die beste Welt es mir übel nehmen, ich könnte schon was drüber reden, schreiben aber nicht – das ist in meiner Sprache, zwar losschießen, nicht aber gut treffen. Nach meiner Art denk' ich, und mich dünkt, ich fasse die Sache wie den Stock, das ist beim Knopf: Gott ist das gütigste, das weiseste Wesen, und kann also nicht werden heißen, was diesen Eigenschaften nicht ähnlich ist. Ueber die Möglichkeit und Unmöglichkeit, denk' ich, ist keine Frage, denn die Welt ist da – ich sehe Sonne. Mond und Sterne, Fische im Meer, Vögel in der Luft, und den Menschen.
VATER. Recht! ganz recht! Sie fassen die Sache beim rechten Ende, und ich – ich weiß selbst nicht wo. Sie reden von der Leber, und ich plaudre aus der Schule. Wider Sie ist kein Zweifel, wider mich aber noch ein Berg. – Ein Philosoph des Alterthums meinte, ehe die Leiber waren, existirten die Seelen. Gott ließ die Seelen loosen, und was kann er dafür, wenn dieses oder jenes eine Niete zog. Indessen das Ende vom Liebe. Wenn ich unter Irrthum wählen soll, will ich lieber eine gütige Nothwendigkeit, als eine Freiheit, die das Beste verwirft.
HERR v. G. Herr Pastor, nur nicht auf den monarchischen Staat angespielt! Da haben wir gestern Halt gemacht, und ich möchte nicht gern meiner Liebe zur Freiheit durch einen monarchischen Thron zu nahe kommen lassen. Noch etwas Philosophisches, Herr Pastor! Wir wollen aber englisch Dame ziehen, und hin und zurückschlagen – ich will mich schon anstrengen. – Auf Ehre, [239] manches Wort von Ihnen, lieber Pastor, ist mir eine Nominaldefinition. – Heißt es nicht so?
VATER. Gehorsamer Diener, Herr v. –
HERR v. G. Aber, Pastor, sagen Sie, sind wir nicht ein Paar Verneinungen, ein Paar Nullen, ein Paar Narren gewesen, daß wir uns und so manchen Realitäten sieben Jahre, wenn's nicht mehr ist, den Rücken gekehrt? Ich glaube, wir hätten schon ein neu System, einen neuen Kalender in der gelehrten Welt während dieser Nullenzeit eingeführt. Ein immerwährender ist unter euch hochgelahrten Herren nicht möglich. – Lassen Sie uns einmal von uns selbst eins plaudern. Wir verdienen, daß wir uns eins versetzen, wir wollen aber das ganze Geschlecht zur Gesellschaft mitnehmen. Ich hab' es, glaub' ich, von Ihnen, wer gen Himmel fahren will, muß erst Höllenfahrt halten. Wer Gott erkennen will, erkenne sich erst selbst. Nosce te ipsum. Das ist die Lehre von Buße und Glauben.
VATER. Das Wörtchen ich ist ein Gemälde der Seelen! Es will mehr sagen, als Singularis. Es ist der Singularis im Superlativo. Ich ist natürlicher Werth, du, er, wir, ihr, sie, nur in so weit ich voraussieht. So lange es heißt ich, ist's recht, sagt man aber ich selbst, so ist man krank, und recipe: den Menschen von sich selbst abzuziehen. Bei der Noth meines Nachbars denk' ich an meine Sicherheit; wenn man den Nachbar wegen seines Eheprocesses beklagt, denkt man an seine Frau. Dem Reichen immer den ersten Stuhl; man könnte ihn, denkt man, doch wohl nöthig haben. Die Gegend aus meinem Fenster ist die schönste, das Landgut meines Freundes das schattenreichste. Ein Gereister lobt in seinem Vaterlande die Fremde, in der Fremde sein Vaterland. Die Faulheit ist oft der Sporn des Fleißes: die künftige Gemächlichkeit, nicht das Edle der Arbeit, treibt. Kein Sohn läßt den Vater begraben, ohne vorher die Nachlaßbalance zu [240] ziehen, und die Bücher zu schließen, und wenn auch der Verstand zuweilen Recht sprechen will, das Seihst vertritt ihm den Weg Rechtens. Je mehr man dieses ich versteckt, je mehr Welt hat man. Die Selbstschätzung besteht nur darin, daß uns andere nicht gering schätzen. Sogar, wenn man in Gesellschaften sich selbst tadelt, ist's verdrießlich; man will lieber mit einem Tubus nach Sternen sehen, und aus einem indifferenten Standpunkt die Welt betrachten, als andere Leute ich aussprechen hören. Man glaubt, dieses ich spotte uns nach, und mache uns Männchen. Der Mensch ist zum Tausch geboren, er möchte seinen Stand, seine Seele, seinen Leib, nur nicht sein ich vertauschen. – Wenn man ein Buch schreibt, kann man ich brauchen, ohne daß es so übel genommen wird, denn die größten Dinge sind durch Selbstbilligung entstanden. Diese wirst ein Licht auf alle Gegenstände, die uns beschäftigen. Wir haben einen heitern guten Tag durch dieses Licht. Es ist schade, daß die deutsche Sprache drei Buchstaben beim ich hat. Man kann aber, wie meine Frau zu sagen pflegt, bei allem erbauliche Betrachtungen haben. Beim Schmerz leidet das ch, ist man betrübt, leidet das i.
HERR v. G. Herr Pastor, ich habe noch nie vom ich so viel sprechen gehört, ohne daß man sich meint, als Sie. Ihr ich ist bloß Bild aller Menschen; das Selbst ist das Ziel, wornach wir alle schießen, mancher trifft in's Schwarze, mancher dicht bei, mancher weit davon. Aber darüber eine Erklärung: warum gehört zur Beobachtung sein Selbst Anleitung! Warum Kunst, sein eigener Zuschauer zu seyn? obgleich man sich vor der Nase hat.
VATER. Warum muß man die Alten lesen, um zur Natur zu kommen? Warum brauchen wir Dolmetscher, da die Natur doch Deutsch versteht?
ICH. Und wenn wir nicht kuriren wollen, sollten wir Medicin studiren, um dem Arzte zu sagen, was uns fehlt.
HERR v. G. Fast dächt' ich, es wäre nöthig, und darum so viel Gräber, weil sich beide nicht verstehen. Der Doktor spricht aus dem Buch, der Kranke spricht aus dem Leben – jener Latein, dieser Deutsch.
VATER. Die Aerzte müssen entweder Menschen, oder alle Menschen müssen Aerzte werden.
ICH. Viele Menschen, denk' ich, Vater, besehen sich bloß, wie man sagt, er hat die Welt gesehen oder besehen.
VATER. Sie sind in einem Naturaliencabinet, in einer Bibliothek ohne Kenntnisse. Sie lassen sich alles zeigen; sobald sie heraus sind, weiß kein Mensch ein lebendig Wort, höchstens todte, wie ein Reise- Journal geschrieben.
HERR v. G. Ueberhaupt, denk' ich, ist das Reisen nicht die Art, Menschen zu kennen. Zu den meisten Reisenden könnte man sagen: bindet ihm Hände und Füße, und werft ihn in sein Vaterland. Der Mensch versteckt sich, so wie das Wild. – Kein Bild ist ihm ähnlicher, als das in der heiligen Schrift: »Adam versteckte sich unter die Bäume im Garten,« machte sich grüne Vorhänge. Er ward aus einem Freunde Gottes ein Wilder.
VATER. Ich glaube keinem Gereisten, wenn er von den Menschen spricht. Unsere meisten Reisebeschreiber zeichnen das Zimmer, wo sie abgetreten, die Wirthin oder ihre Tochter, den Herrn Wirth oder seinen Wildfang von Sohn. Eher wollt' ich aus dem Hervorgeruch der Apotheken, wenn ich vorbeigehe, schließen, was für Krankheiten in Stadt und Land gang und gäbe sind. Aus einem Wirthshause geht der Weg in die Welt, allein nicht in die Nation. Reisende, selbst Entdecker neuer Völker, sollten nur erzählen, was sie gesehen und gehört, was ihnen vorgekommen und vorgefallen, ohne Vor- und Nachklang; denn was thut man nicht[242] einem guten Einfall, einer Wendung, einem Lieblingsgedanken zu Gefallen. Dem Beschreiber sind keine Glocken zu gestatten; er muß nie läuten lassen.
ICH. So wär's wohl am besten, daß jemand aus dem Volke selbst das Volk beschriebe.
VATER. Ja, wenn er gereist ist, ohne an eine Reisebeschreibung fremder Länder gedacht zu haben, wenn er kein Amt und doch zu leben hat, wenn – und noch viele Wenns.
HERR v. G. Aber, lieber Pastor, um wieder an Ort und Stelle zu kommen, sind denn nicht alle Menschen Menschen, und hat man nicht alle, wenn man sich hat?
HERR v. G. Indessen, denk' ich, ist's gut, zuweilen zu phantasiren, im musikalischen Verstande, und das liebe ich an den Nagel zu hängen; es versteht sich, an einen festen, der nicht reißt; bei sich nicht Feuer zu machen, sondern beim Nachbar essen zu gehen. Bete und arbeite, das heißt: lerne dich und andere kennen.
VATER. In einer sehr freien Uebersetzung. Alle Merkzeichen, wodurch man an den Tag legt, man gebe auf sich selbst Acht, man sey auf dem Observatorio, geben unsern Handlungen ein linkes, steifes, gebrechliches, bucklichtes Ansehen.
HERR v. G. Und der vornehme Mann will ohne dieß, daß man auf ihn, und nicht auf sich selbst Acht geben soll. Da denk' ich an das Irrlicht, von dem die gemeinen Leute erzählen, es ließe sich dabei eine Stimme hören: hier her, hier her! und wenn man sie befolgt, bumbs! liegt man im Sumpfe. Wie kommt's, lieber Pastor, wer mit Frauenzimmern umgehen kann, versteht es [243] auch mit Fürsten und Gewaltigen, und mit den Herren der Welt? – alle Welt sagt von ihm: er hat Lebensart.
VATER. Vornehme und Frauenzimmer haben sehr viel Aehnliches; sie wollen geschmeichelt seyn, und wir thun's gern, weil wir sie übersehen. Männer sehen auf das, was man von ihnen denkt; Weiber, was man von ihnen sagt. Wir huldigen dem Geschlecht, nicht der Dame; wir huldigen dem Amt, nicht Sr. Durchl. Lebensart ist Geschick schwere Sachen leicht vorzutragen, durch treffende Beispiele sie zu erleichtern, sie faßlich zu machen, ein Buch, anstatt es zu lesen, es zu durchbildern. Die Franzosen sind diejenigen unter Europens Nationen, welche Lebensart haben. Ihre Schriftsteller haben in der Philosophie nur die Bilder gesehen. Schönheit und Farben setzen eine Substanz voraus, worauf sie angebracht werden sollen. Schöne Wissenschaften ohne Philosophie ist Farbe ohne Leinwand und Pinsel. Der Verstand muß der Sinnlichkeit, und nicht diese jenem untergeordnet seyn. Er ist der Compaß, der die Weltgegend zeigt, das Schiff commandirt und ihm die Richtung gibt. Weltkenntniß heißt Menschenkenntniß, wie das Haus nach dem Herrn, und nicht nach Weib und Kind.
HERR v. G. Was meinen Sie, Pastor? – Man führt die Weiber bei der Rechten, um sie obenan zu lassen. Unding! ich denke, Se. Durchl. zur Rechten, allein ein Weib müßt' uns zur Linken gehen, zum Beweis, daß sie Schutz bedarf, und daß wir sie begleiten oder beschützen. Es ist ein unnatürliches Compliment, sie an der rechten Hand zu führen. Bei der Trauung ist's, glaub' ich, nicht so!
ICH. Das Herz liegt ohnedieß zur Linken (ich dacht' an Minchen).
HERR v. G. Zumich, lieber Pastor, gehört auch Lachen und Weinen; das eigentliche Lachen, das Lachen mit Leib und [244] Seele, ist bloß dem Menschen eigen – ich halte viel aufs Lachen, und sind's fürs beste Digestiv.
VATER. Jammer und Schade daß wir gleicher Meinung sind, denn sonst würd' es doch noch was zu lachen geben. Ueber Wahrheiten muß man mit fröhlichem Munde, mit dem Munde der Wahrheit streiten. Alle Menschen, wenn sie sich malen lassen sehen freundlich aus, zum Beweise, daß dieß die beste Miene sey. Einem von Leidenschaften gefesselten Menschen vorpredigen, heißt: einen Galeerensklaven Glück greifen lassen. Ich hasse einen tapfern offenen Feind; ich verachte, was an sich keinen Werth hat. Die Art, Laster verachtungswerth vorzustellen, ist die beste. Wer es hassenswürdig macht, thut oft der Menschheit Schaden, und zieht Menschenfeinde. Der Mensch ist durch Hang zum Scherz geboren. Er hat viele, viele Thorheiten; allein die größte ist, wenn er sie zu wichtigen Dingen macht.
HERR v. G. Es steht nicht geschrieben, daß Christus gelacht habe; allein er nannte den Herodes einen Fuchs, und das setzt ein Lächeln zum voraus. Die Schrift spricht: der Herr lacht ihrer, ich glaube gar Pastor, es wäre nicht übel, auf der Kanzel selbst so ein Fuchswörtchen zu verlieren.
Als Adam hackt' und Eva spann,
Ei, wo war da der Edelmann?
Meine Frau kann, ohne Lebensbalsam in der Hand, daran nicht denken. – Ist's also nicht auf der Kanzel, so doch, wenn man herunter kommt – die ganze Natur lacht.
VATER. Ich glaub' es selbst – und gute Menschen finden, daß, wenn sie fröhlich sind, alles um sie herum froh ist. Der Mensch lacht, wenn andere lachen, und oft noch lauter, als der, so den Ton angab. Die Traurigkeit des andern rührt; allein mit Schluchzen und großen oder Platzthränen können wir nicht dienen. Die Mitfreude, das Mitleid beweist, daß wir alle einen Gott und Vater haben, und alles, was Augen hat, kann sympathisiren.
HERR v. G. Jeden Menschen aber, lieber Pastor, kleidet das Lachen nicht; ich glaub', es gehört dazu, wie zu allem, Uniform, was ordentlich seyn soll. Einem kleinen dicken Mann steht's herrlich – das sollten sich die Luftspieler merken, und keinen langen, groß gewachsenen Menschen Possen reißen lassen.
VATER. Man freut sich, daß der kleine dicke Mann eben wegen seines lustigen Wesens so dick und fett geworden. Ein groß gewachsener Mann ist schon zum Beschatten, zum Anlehnen geboren; es ist eine Stange, an die sich der Feigenbaum und die Bohne schmiegt und ranket.
HERR v. G. Vernünftig lachen ist schwer.
VATER. Mich dünkt, vernünftig weinen noch schwerer. Vielleicht kann es jeder Mensch, wenn er gleich seine siebenzig erreicht, nur zweimal in seinem ganzen Leben; wenigstens hat der fürs menschliche Geschlecht ein größer Verdienst, der es zu lachen macht, als der Thränen preßt; indessen ist viel beim Lachen zu erinnern. Es entsteht aus einem Widerspruch. Man lacht, wenn jemand fällt, und sich nicht Schaden thut; besonders lachen dann gemeine Leute, die nicht feinere Widersprüche begreifen können. Man lacht über Kleidung, wenn Eitelkeit und nicht Armseligkeit zu sehen ist. Wenn jemand, der aufziehen will, wieder aufgezogen wird, und den Kürzern zieht, so, daß ihm zum Nachtheil der Vorhang fällt, [246] klatscht alles in die Hände. Ist's aber nicht Eitelkeit und armseliger Stolz, über armselige Ungereimtheiten sich zu ergötzen? Sollte man wohl darüber lachen, weil man klüger als ein anderer ist? Hier gibt's so viele Feinheiten, daß ich gewiß glaube, das Lachen sey die Probe vom Menschen; – wie und wenn er lacht, zeigt was er ist, obschon das Gesicht das Protokoll vom Charakter, und die andern Theile das Protokoll vom Temperament sind. – Scheint es Ihnen nicht auch, der menschlichste Mensch, der beste Lacher, begeht einen Widerspruch, wenn er über einen Widerspruch sich freut, das ist, wenn er lacht. – Jemanden mit weinenden Augen lachen sehen, ist ein schöner Anblick. – Ein Regenbogen ist's. – Schriftsteller, die Thränen mit dem Lachen kämpfen lassen, so, daß keines die Oberherrschaft erhält, treffen das Leben eines Weisen.
HERR v. G. Citronensaft mit Zucker. Ich für meinen Theil liebe nichts Sauersüßes. Es lebe das fröhliche Herz. Ist das Lachen gleich Widerspruch, auch da ist das Leben getroffen, wenn gleich nicht das weise Leben. Was ist in der Welt ohne Widerspruch? Sind doch bei uns im Sommer oft kalte Tage, regnet es doch, wenn wir ernten wollen, und doch ist diese Welt die beste! Wer mir selbst die heiligsten Sachen mit finsterer Stirne sagt, wird mein Herz nicht aufschließen, und hat's nie aufgeschlossen. Daher denk' ich, mit Ew. Hochwohlehrwürden Erlaubniß, richten die Herren Geistlichen so wenig aus. Der Pater von Sancta Clara hat mehr Gutes gestiftet, als zehn Kopfhänger.
VATER. Betrübniß kommt gemeinhin aus dem hohen Begriff, den sich der Mensch vom Leben macht. Beim Schmerz leidet der [247] Leib, bei der Betrübniß die Seele, und wenn die Herrschaft trauert, trauert der Bediente mit, nicht aber umgekehrt.
HERR v. G. Ich denk' die Traurigkeit oder Betrübniß, oder was weiß ich, wie es recht heißt, kommt aus der gar zu großen Ordnung, die man sich vorschreibt.
VATER. Beide recht! Warum sagt man aber sein Geheimniß lieber einem unordentlichen guten Jungen, als einem abgemesseneren nach Maß und Gewicht, oder nach Grundsätzen, gut Handelnden?
HERR v. G. Weil jedes Geheimnis etwas Unordentliches, etwas Unregelmäßiges an sich hat. Ich hab' immer gedacht, Geheimniß und Wunder sind mit einander verwandt.
VATER. Und warum eine Mutter just den wildesten, aufgewecktesten unter ihren Buben zum Liebling, der Vater den gesetztesten?
HERR v. G. Die Weiber brauchen Leute, die sich balgen; die Männer Leute, die vernünftig eine Pfeife rauchen.
VATER. Ich wollte fragen und antworten; allein meine Fragen haben ihren Mann gefunden.
HERR v. G. Nun geb' ich Karten? was denken Sie von dem monarchischen Staat? – (daß dich! wie komm' ich auf den monarchischen Staat?) ich wollte sagen vom Despotismus der Empfindung?
VATER. Wir empfinden nichts, was nicht sinnlich ist – wer es sich gemächlich als Philosoph machen will, nennt dunkle Vorstellungen: Empfindungen, und anstatt sie zu entwickeln, thut er seine Augen nicht auf, sondern schlägt an seine Brust, und spricht: ich empfinde!
[248]VATER. Durch die Evidenz und öftere Wiederholung der Vernunftideen werden diese geläufiger, so, daß sie uns von selbst anwandeln. Wir kennen sie im Dunkeln. Diese Kette dunkler, hurtigfolgender Ideen nennen wir Empfindungen.
HERR v. G. Das laß ich gelten – und Ordnung, lieber Pastor?
VATER. Ordnung ist nur Mittel, an sich hat sie keinen Werth. Es ist das Schweißtuch, worin man das vergräbt, was man erhalten hat. Es ist ein Bücherschrank mit Glasthüren. Weiber müssen ordentlich seyn. Reinlichkeit und Ordnung, oder die Entfernung des Fremdartigen sind ihre Fächer. Die Weiberordnung muß aussehen wie gesucht, die Männerordnung wie in der Lotterie gewonnen, von selbst zugefallen. Ordnung ist übrigens bloß das Formale; daher kann man den größten Theil der Wissenschaften, ich hätte bald gesagt die ganze Philosophie, das Formale nennen.
HERR v. G. Wie kommt's aber, daß die Menschen die Formen höher schätzen als die Materialien?
VATER. Die Form gibt die Kunst, das Geschick, die Materialien die Natur. Jedes Kind schätzt den Vater höher als die Mutter, und den, der regiert, höher als den, der ernährt. Den Verstand hält man höher als die Sinnlichkeit, ohne die doch der Verstand unthätig wäre.
VATER. Und Genie. Ein Verstand, der seine Erkenntnisse sinnlich zu machen weiß, ist für mich vorzüglicher Verstand; wenn er Sinnlichkeit den Verstandesbegriffen ertheilt, macht er sie anschauend, und ein solcher Verstand heißt ein gesunder Verstand.
HERR v. G. Und steht aus, wie alles, was frisch und gesund ist. Nicht wahr, er kennt keine Terminologie?
VATER. Er kocht freilich nicht aus der philosophischen Speisekammer, sondern nimmt's aus der Welt. Er gibt nichts Geräuchertes; Früchte, Geküche trägt er auf.
HERR v. G. Sinne sind die Bauern. Sie stehen zwar unter der Obrigkeit, indessen, wenn sie nicht wären? Ich ärgere mich, wenn man die Sinne wie das liebe Vieh nimmt und herabsetzt – bald hätt' ich mich verredet und gesagt: sie sind ja auch Menschen – Sie verstehen mich schon, Pastor.
PASTOR. Ich habe schon einen Grund angegeben; hiezu kommt, weil wir alles hassen, was uns unsere Freiheit raubt, und sie einschränkt. Gelt! das ist ein Grund für einen Monarchenfeind. Beinahe eben darum würd' ich allen Herren Moralisten, weß Standes, Alters und Ehren sie seyn mögen, anräthig seyn, die Tugend nicht in ihrer erhabenen Hoheit, im hohen Lichte zu zeigen, sondern liebenswürdig. Nicht als einen König im Diadem, sondern als ein hübsches Mädchen; denn selbst wofür wir Respekt zu haben verbunden, wird uns beschwerlich. Lieber bei Freunden, als Gönnern.
HERR v. G. Ich wenigstens kann auch das Laster nicht martern sehen, aber wie wir erst abvotirten – in der Narenkappe.
PASTOR. Das ist der wahre Standpunkt; denn der Mensch kann nichts weniger ausstehen als Spott. So denkt jeder, der gut [250] erzogen ist, oder eigentlich, der sich selbst erzogen hat. Wir sind beinahe wieder, wo wir ausgingen; fröhlich zogen wir unsere Straßen, fröhlich sind wir wieder zurück.
HERR v. G. Wo ich »Vivat das Lachen hoch!« rief. Es lebe! – Hoch! hoch! aber sagen Sie mir die Lustigkeit.
PASTOR. Sie ist mehr als Zufriedenheit; allein wer mehr Mittel, als nöthig sind, zur Glückseligkeit anwendet, ist der glücklicher? Ueber seine Bedürfnisse etwas haben, macht das reich? In der Sparsamkeit liegt so viel Stoff zur Glückseligkeit, daß es unaussprechlich ist. Ein Verschwender verzählt sich alle Augenblick in seinem Vergnügen; er wird in seiner Lust betrogen. Die Sparsamkeit hat Vor- und Nachgeschmack und Genuß – der Verschwender höchstens Genuß, höchstens Wollust für einen gegenwärtigen Augenblick. Die Lustigkeit ist was Convulsivisches, was Erschöpfendes. Ein Lustigmacher ist ein Mensch, der zu tausend Gerichten ohne Hunger und bei verdorbenem Magen verdammt ist. Da will ich lieber bei Wasser und Brod sitzen.
HERR v. G. Ich denk' aber, Pastor! wir leiden darum einen Lustigmacher nicht, weil wir ihn beneiden; wenn er sich zum Narren macht, stehen wir ihn aus, denn wir verlangen nicht, uns mit ihm zu vertauschen.
ICH. Ich glaube, weil wir ihn verächtlich finden, weil er unser Bild verächtlich macht, weil wir uns den Grad seiner Verzagtheit vorstellen, wenn es ihm übel ginge, weil seine Lustigkeit keinen Wiederhall abgibt. Schmerz und Freude sind gesellig; allein wenn sie das Mittelmaß überschreiten, werden sie uns unnatürlich. Wir wollen uns nicht betrinken, sondern nur trinken.
[251]HERR v. G. Aber, Pastor, wie kommt's, daß die liebe Jugend so sehr auf Tragödien hält, das Alter auf Comödien?
PASTOR. Die Alten lassen der Jugend nicht die Maschinen sehen, durch welche die Oper der Welt gespielt wird. Um sich selbst bei ihr im Ansehen zu erhalten, müssen sie vieles bei Ehren halten. Ein jedes Mädchen ist dem jungen Menschen eine verwünschte Prinzessin, und er glaubt sie vom feuerspeienden Drachen zu erlösen, sie zu entzaubern, wenn er sie heirathet. Er sieht Vorfälle in der Welt, allein er sieht sie nicht in Verbindung.
HERR v. G. Wie ich jung war, dacht' ich, wie schwer muß es fallen, Herzog zu seyn; allein jetzt: man mache mich heute zum Kaiser, und ich wette, ich will Kaiser seyn wie irgend einer. Sie haben Recht, Pastor! Die Jugend fliegt, macht sich tausend Chimären. Sie kennt die Menschen zu wenig, drum setzt sie alles in Feuer und Flammen.
PASTOR. Wer bloß zusieht, findet Gaukeleien unerträglich; wer mit agirt, dem ist der Hanswurst ein allergnädigst privilegirter Witzling, eine bedeutende Staatsperson, und wo ist ein großes Haus, wo ein Hof ohn' ihn? – Man schafft hie und da Titel vom Hofnarren ab; allein die Hofwürde bleibt, und ich verdenk' es keinem großen und kleinen Herrn, der gut verdauen will, daß er sich ein Lachen bereiten läßt. Lachen ist das beste Desert. Am Ende kommt heraus, daß die Thränen ein Beweis von unsrer eingeschränkten Weltkenntniß sind. Wo die Jugend Schicksal sieht, schimmert dem Alter eigene Schuld hervor.
HERR v. G. Aber machen wir diesen Jüngling Auf mich zeigend. nicht zu klug? Geben wir ihm nicht die Waffen wider uns in die Hand?
PASTOR. Ich befürchte nichts. Talent und Verdienst des Verstandes ist so unterschieden wie Wissen und Thun. Insoweit der Verstand den allgemeinen und verhältnißmäßigen Werth der [252] Dinge schätzt und hiernach wandelt, heißt's: Verstand kommt nicht vor Jahren. So was muß Erfahrung lehren.
ICH. Oder bestätigen, Vater! Ich habe keinen Beruf zur Altklugheit. Ich denke, das heißt Klugheit ohne Erfahrung. Wie es mir vorkommt, muß man alt, wie ein Mann seyn, um einen Mann beurtheilen zu können – ich wollt' auch nicht meine Jugend verklügeln, um wie viel.
HERR v. G. Und was ist's am Ende! Es ist ein elend, jämmerlich, kränklich Ding mit aller Menschen Leben, von Mutterleibe an, bis sie in die Erde begraben werden. Das Alter und die Jugend sind krank. Das Alter ist hektisch, die Jugend hat das hitzige Fieber. – Die Lunge hat keine Nerven.
PASTOR. Besonders aber ist's, daß Leute, die vorzüglich im Trauerspiel weinen können, es selten bei Vorfällen des gemeinen Lebens thun. Sie haben sich verwöhnt; sie sehen im gemeinen Leben keinen König, keinen Kaiser leiden, und wer leidet so schön, als im Trauerspiel, wer so großmüthig! In der Tragödie sieht man eine Sonne unter Wolken; drei Ungewitter begrüßen sich um sie herum, und machen Allianz und verschwören sich. – Die Sonne aber, ihrer Größe bewußt, ruht, und dann und wann blickt sie auf, um die verwaisete, um ihre Königin bekümmerte Erde zu trösten. – Da ist ja schon ein Trauerspielsanfang. – Wer in der Comödie lacht, lacht auch im gemeinen Leben; denn wahrlich, wenn sie gut ist, trifft sie die Welt bis auf Coloritskleinigkeiten. Wenn man sich sehen lassen will, zieht man ein Feierkleid an. Wer will aber das Kleid, und nicht den Mann?
HERR v. G. Und endlich, Pastor, da wir einmal im Schauspielhaus sind, hab' ich gefunden, daß eine Tragödie im Lesen, eine Comödie in der Vorstellung gewinne.
[253]PASTOR. Weil man zwar für sich tragisch und betrübt, nicht aber anders komisch vergnügt seyn kann, als in Gesellschaft. Eigentlich sollt' ein Lustspiel ein Spiel seyn, wo das Ende nach meinen Wünschen ausfällt, und so würd' auch manches Trauerspiel ein Lustspiel werden.
PASTOR. Schwerlich, obgleich wir bei vielem keine andere Summe ziehen. Ich liebe die Abwechselung, die Mannigfaltigkeit durch verschiedene Zeiten. Wer im Bett immer auf einer Stelle liegt, schwitzt ohne Bezoarpulver.
HERR v. G. Wenn man immer auf einerlei bleibt, wird man stehend Wasser. – Das glaub' ich sind, mit Ehren zu melden, alle Einsiedler und Weltflieher gewesen, und sind es noch.
PASTOR. In der Welt außerhalb der Welt seyn, das ist Weisheit. Ein Diogenesfaß in der Vorstadt und nicht in der Wüste verdient den Namen Auditorium. Ein beständiger Hunger nach Neuem ist eine Zeitungskrankheit, ein verdorbener, verzärtelter Appetit. Eine Kriegslist gilt nur einmal, eine Medaille bezeichnet einen Tag. Kann man aber nicht denselben Gegenstand von einer andern, und wieder von einer andern Seite, und von tausend andern Seiten sehen, ihn durch und durch ganz und gar sehen, und zeigt dieß nicht mehr Scharfsinn, als immer einen neuen haschen? Ein Gedanke, der an sich leicht und natürlich ist, den man endlich so oft sagt, daß ihn der gemeine Mann gefaßt hat, verliert von seinem Ansehen. – Feine Irrthümer sind ein Reiz für die Eigenliebe, man will nicht offenbare Wahrheiten, weil sie auf allen Straßen feil sind, man will Erkenntnisse; sind sie gleich ungesund,[254] wenn sie nur was kosten, und nicht gar zu gut Kauf sind. – Darum von einem aufs andere.
HERR v. G. Darum die Liebe zum Seltenen.
PASTOR. Mit der Seltenheit ist's, wie mit dem Magnet, was mit ihm bestrichen wird, zieht auch an. Ein Mensch, der viele Seltenheiten gesehen hat, wird auch für selten gehalten.
HERR v. G. Man sieht ihn indessen bloß wie Meerwunder an, man will nichts weiter als ihn sehen.
PASTOR. Man glaubt, er sey nur für Seltenheiten, und traut ihm nicht. – Noch mehr! Je mehr Bekannte man hat, je weniger Freunde findet man. Leute, die sich öffentlich zeigen, haben selten Busenfreunde. Wer das Publikum zum Freunde hat, hat wenige oder keinen Privatfreund.
HERR v. G. Man glaubt, daß die Herzensflügelthüren eines solchen Menschen schon zu oft auf- und zugemacht sind, als daß sie noch zusammenhalten könnten.
PASTOR. Bei Feierlichkeiten gehen die Menschen paarweise. Ich denk' Ein Weib und Ein Freund – das übrige dient nur zur Folie.
HERR v. G. Ich glaube, Pastor, das weibliche Auge, das einen jungen Menschen zum erstenmal electrisirt, ist sein Ideal der Schönheit, seine Venus, denn jeder hat seine. Die Liebe kommt auf einmal, sie wohnt parterre. Die Freundschaft steigt Treppen, und es gehören Jahre dazu, ehe ein Freund ein Freund wird. Ein Zorniger und ein rasend Verliebter sind stumm, keiner kann erzählen, was ihm fehlt. Sehen Sie, Pastor! ob ich nicht auch was weiß; über Freundschaft und Liebe könnt' ich schon zur Noth mitreden. Nun sind wir für mich an Ort und Stelle. Ich bin Ehemann und Freund, beides wie es sich eignet und gebühret.
PASTOR. Die Liebe ist Natur, die Freundschaft Kunst. Nase und Augen sind Natur, Stirn und Mund, und Hand und Fuß [255] sind zu Kunst geworden. Gott hat den Menschen aufrichtig gemacht; allein er sucht viele Künste. Wir sehen einem Menschen, den wir wollen, ins Gesicht, vorzüglich in die Augen. Seine Affekte liegen auch im Naturtheil, und rings herum. Wer sich sehr verstellen kann, treibt sie nach unten, und immer zugleich in Hand und Fuß. Fuß und Hand sind wie Mann und Weib ein Leib; Fuß der Mann, Hand das Weib. Das Gesicht ist das Bild und die Ueberschrift der Seele. Um den Mund herum liegt die Mienensprache, zu fordern und abzuschlagen, um die Augen herum, zu bejahen und zu verneinen. Dieß ist die verehrungswürdigste Sprache, die alle Welt versteht, die auch ein guter Theil Thiere faßt. Mein Gott! Warum lernt man sie nicht mehr?
HERR v. G. Sie würd' uns das Herz abstoßen. Das ABC, was wir haben, ist schon so herzbrechend.
PASTOR. Es würde aber viele Kunst dazu gehören, um diese Natur auszuspähen. Ihre Probe wäre, daß sie von aller Welt gleich verstanden würde.
HERR v. G. So hat sie ja eine gleiche Probe mit dem Guten, nicht wahr? Da muß auch das Urtheil allgemein seyn? beim Schönen nicht. Was die Sonne am Himmel, das ist das Auge dem Menschen; indessen hab' ich gefunden, daß die Größe nicht immer gleich ist; ich selbst hab's bald groß, bald klein – oft Augenfinsterniß.
PASTOR. Wenn die Augenlider weiter aufgethan sind als gewöhnlich, ist der Mensch heiter – froh. Wenn er einen großen Gedanken faßt, sind die Augen nur halb offen, zum Zeichen, daß dieser Gedanke von innen komme, und daß man ihn da gern sehen möchte, wenn's möglich wäre.
HERR v. G. Aber wieder was von der Liebe, Pastor, mir zur Ehre, denn da habe ich Sitz und Stimme. Was ist hübsch?
PASTOR. Was ohne Reiz gefällt. Viele Mädchen haben [256] Reize, die nicht hübsch sind – bei einem hübschen Mädchen ersetzt die Natur, die Geschlechterneigung, das Fehlende. Reiz gehört zur Liebe. Rührung zur Furcht, zur Achtung.
HERR v. G. Ich glaube, das andere Geschlecht ist nie so häßlich als das unsrige: wer die Häßlichkeit nicht verzeichnen will, muß eine Mannsperson wählen, und doch flieht alles ein altes Weib. Einem alten Mann gibt man eher die Hand; wie kommt das?
PASTOR. Man vergleicht ein Weib mit Weibern, kein Wunder, wenn es verliert. Man lasse aber einen alten Kerl Weibskleider anziehen, wir bleiben länger bei Odem. Es geht uns länger nach der Männerweise, als ihnen nach der Weiberweise. Der Mann ist in einem Stück ganz gemacht, das Weib ist zusammengesetzt. – Es ist mit Deckel und Schraube.
HERR v. G. Kein Wunder also, daß es ein starkes und schwaches Werkzeug ist.
PASTOR. Sie haben Recht, in der Ehe ist der Mann gegen das Weib stark und schwach, wie man's nimmt. Daß er physisch stark gegen sie ist, zeigt der Augenschein; allein wer gibt nach?
HERR v. G. Ein gemeiner Mann schickt seine Frau, so oft es zu reden gibt.
PASTOR. Weil die Weiber eine natürliche, zum Herzen gehende Beredsamkeit besitzen, und an wen schickt er sein Weib ab? an Männer. Gewiß kommt aber der Mann selbst, wenn z.B. die gnädige Frau eine Wittwe ist, und den Gütern vorsteht. Eine gesunde gute Saat ist nicht hinreichend, es muß auch ein gutes Land seyn, wohin sie gestreut wird.
HERR v. G. Das läßt sich hören. Die Geschlechterneigung kömmt also mit in die Erklärung, und in tausend Fällen ist sie die Feder, die das Werk regiert. Warum aber, Pastor, sind die Weiber [257] stolzer wie die Männer? Meine ist es auf eine übertriebene Weise, aber im Grunde sind sie es alle.
PASTOR. Weil ihr Rang sehr zweideutig ist. Der Fürst ist gegen einen Grafen stolzer als gegen einen Edelmann. Ist des Mannes Rang dazu auch zweideutig, ist er z.B. ein neuer Edelmann, so ist ihr Stolz gränzenlos.
HERR v. G. Warum putzen sich die Weiber, wenn sie gleich schon an sich gefallen?
PASTOR. Nicht unsertwegen. Gegen Männer brauchen sie ihre natürlichen Waffen; andere ihres Geschlechts zu verdunkeln, andere zu überglänzen, darum der Putz.
HERR v. G. Pastor! das nenn' ich fragen und antworten wie gedruckt! wie abgeredt! und eben so als ein Buch, das frag- und antwortweise abgefaßt ist. Was ich über die Liebe gelesen und gedacht habe, ist viel; was ich gethan habe, ist wenig. Man denkt und liest von dieser Art das meiste in blanko (ich bin ein halber Kaufmann, das hören Sie wohl, ich handle und wandle wie wir eurische Cavaliere alle handeln und wandeln –). In blanko, wahrlich in blanko, denn wie es zum Ausfüllen kam, fand sich's, daß meine gnädige Hausehre eben nicht erdacht und erlesen war! Sie könnte besser seyn, – Pastor! dafür steh' ich del credere (da ist wieder der Libauer Kaufmann), daß man ohne Theorie heirathen müsse. Nur um des Himmels willen kein dummes Weib, denn wie die Mutter, so die Söhne, wie der Vater, so die Töchter.
PASTOR. Eher haben die Großeltern auf den Geist der Großkinder Einfluß, auch der Leib ist mehr der Großeltern Abdruck. Hierüber habe ich Bemerkungen von besonderer Art gemacht. Oft ist der Körper auf ein Haar die Mutter, die Seele aber der Vater und umgekehrt.
[258]HERR v. G. Mein Sohn – Zu mir. – den ich Ihnen empfehle, er selbst wird es schwerlich – ist die Mutter in meinem Jagdrock. – Der Jung' ist nicht ich. Was ist zu machen? Die Welt ist nicht die beste.
PASTOR. Weil sie selbst nichts erwerben, und von Zinsen leben. Jedes Zinsenleben ist vom Geiz begleitet.
HERR v. G. Die Schlußfrage Wir hörten die Kommenden. warum sprechen Sie nicht Zu mir. mit?
ICH. Weil ein junger Mensch in Gesellschaft der Alten nicht anders als Secretär ist, der aufschreibt.
Da sehen meine Leser, wie es zugegangen, daß ich so viel behalten habe. Erst Sekretär! dann Rath! So geht es in allen gesitteten freien Reichsstädten. Jetzt wird es große Lücken geben. Ich kann nur wieder sagen, was ich gehört, und wiederholen, was ich selbst dazu beigetragen habe, also je nachdem ich gegangen, je nachdem ich gestanden, je nachdem ich gesessen.
Da ist der Herr v. W., seine Frau, ein kleines Fräulein. Mein Herr Schwiegervater, reitend beim Wagen, den Hut alle Augenblicke unterm Arm. – Herr v. G – und sein Haus, ihnen entgegen. Mein künftiger Herr Reisegefährte und sein Herr Hofmeister, die sich nicht lang mehr haben werden, schließen sich an. – Noch eine Ladung, und noch eine! noch eine! – ich armer Schreiber! wenn es anginge, wünschte ich Diensterlassung. Für ein so großes Kollegium hat mich die Natur mit zehn Fingern zu wenig ausgerüstet. – Meine Leser (ich werde mich protestando verwahren), werden finden, daß ich gethan, was ich gekonnt.
[259] Im Zimmer.
HERR v. W. Um Verzeihung, Herr Bruder, daß ich dem Herrn Bruder noch einen Gast mitbringe.
HERR v. G. zum HERRN v. W. Bei mir hat gebetener und ungebetener denselben Platz – Zum Literatus. ich gratulire zum Hermann! Herr, alter Herr!
HERMANN. (So will ich von Stund an meinen vielbenannten oder namenlosen Schwiegervater nennen.) Ich dank' unterthänigst.
HERR v. G. Das läßt sich hören. Sonst war der rechte Hermann ein frommer stiller Mann, aber der alte Herr ist ein geborner Hofschranze von Kindesbeinen an gewesen.
HERMANN. Ich bitte unterthänigst um Vergebung, ich habe oft zu sehr die Wahrheit geliebt, ich habe sogar die Ehre gehabt, Märtyrer der Wahrheit zu werden.
HERR v. G. Hier! Herr Hermann, hier ist Pulver auf die Pfanne – ich weiß, Sie mußten zum Beispiel drei Tage und drei Nächte wachen.
HERMANN. Der reinen Wahrheit wegen. Ew. Hochwohlgeboren haben die Gnade, mich recht zu gelegener Zeit daran zu erinnern, oder wie Sie es zu nennen geruhen, mir Pulver auf die Pfanne zu reichen. Ich setzte dem Herrn v. – eine Grabschrift: Hier schläft ein Mann, der nie gewacht hat; höchstens that er, als wacht' er. Genau genommen sprach er im Traum. Wanderer, bete für ihn, sonst verschläft er den jüngsten Tag.
HERR v. G. Wahr, allein warum wahr? weil der Todfeind [260] des Herrn v. – dem Grabschriftsteller wohlthat. Wie oft, lieber alter Herr, haben Sie sich auf den Mund geklopft, und sich eine Palinodie recantatio und Widerruf gefallen lassen müssen, so was geschieht nicht salva fama. Herr! Sie waren klug genug, die Lebendigen leben zu lassen, Sie trieben nur Muthwillen an den Todten! indessen fand sich doch noch hie und da ein Grabrächer, und Ew. Hochedeln mußten, ihrer Grabschriften ohne Censur wegen, den selig Verstorbenen ehrenerklären. – Ei, denken Sie noch an Ihre selbsteigene Grabschrift: Das nenn' ich Retorsion und Beleg zu der güldenen deutschen Regel: Auf eine Lüge eine Maulschelle.
»Hier wacht der lebendig Todte.«
HERMANN. Die Zeiten sind gottlob! vorbei.
HERR v. G. Zu Grabschriften freilich, allein Sie waren, wie ich merke, erst mehr ein Fechter, jetzt mehr ein Tänzer. Wenn ich wie mein Schwager v. W – wäre, ich würd' Ihnen die Bücklinge abgewöhnen – und dann würden Sie ein brauchbarer Mann seyn! allein mein Schwager liebt die Höflichkeit – die Schmeichelei – wie soll es heißen?
HERR v. W. Höflichkeit und Schmeichelei sind zwei unterschiedene Dinge.
HERR v. G. Herr Bruder! da kommen wir in zehn Jahren nicht von einander. Ich weiß, bei dir macht die Seele mit dem Leibe, und der Leib mit der Seele Umstände. – Du sagst zu dir selbst, wenn du allein im Walde bist und niesest, Gott helf! und wenn das Echo nachsagt: Gott helf! sprichst du, ich bin ergebenst verbunden; wenn du dich am Baum stößest, bückst du dich mit den Worten: ich bitte tausendmal um Vergebung. – Das ist einmal deine Weise: Gott helf dir mit dem Petrus an der Himmelsthür aus einander! Was darf aber Herr Hermann accompagniren? und sich wie eine Klinge biegen, die man probirt?
[261]HERMANN. Ich bitte unterthänigst um Verzeihung.
HERR v. W. Ich nicht – ich fordere dich auf deine eigene Klinge heraus. Klingen, die sich biegen, springen die wohl? Herr Hermann, richten Sie sich nach der Jahreszeit. – Beim Herrn v. G. – ist alle Mühe vergebens. Glaub mir, Herr Bruder, du verfehlst deinen Zweck – du willst ein Deutscher seyn; die deutsche Sprache ist dir eine Fundgrube, und du erniedrigst sie. Wo ist eine, in der mehr Samen zur Höflichkeit keimt?
HERR v. G. In meiner deutschen Sprache nicht.
HERR v. W. So sprichst du die curländisch-deutsche, das ist, eine Sprache, die man so gut, wie die curische, undeutsch nennen könnte.
HERR v. G. Wenn du behauptest, die deutsche Sprache sey höflich, so behaupt' ich, sie sey grob, wenigstens ist sie beides in gleichem Grade. So lange das verdammte Wort Dero drin ist, hat das Genie einen Todfeind in der Sprache. Entweder alles Sie, oder alles Du, sonst – daß Euch der Teufel mit Ew. Hochwohlgeboren –
HERR v. W. Herr Bruder, das ist noch der einzigste Beweis, daß wir der Deutschen Nachbaren sind – sonst wären wir Barbaren, in diesem verfluchten Du-Lande.
HERR v. G. Wir sollten hier in Norden kurz seyn. Die Worte frieren sonst im Munde.
HERR v. W. Und ich denk', in Süden hat man nicht Lust, den Mund zu bewegen. Reden ist eine Bewegung.
HERR v. G. Es kann seyn; indessen ist die Bewegung, die Ew. Hochwohlgeboren sich dabei machen, höchstens stubenlang. – Du bleibst immer auf einer Stelle. Man sagt von den Seeleuten, wenn sie sich gleich Landgüter von vielen Meilen kaufen, daß sie nur so weit spazieren gingen, als ihr Schiff lang war. – Du sprichst, wie die Seeleute gehen.
[262]PASTOR. Indessen ist die Bewegung dieselbe. Der Mensch nimmt zwar gern einen entfernten Ort, wohin er gehen will; dieses Ziel leistet ihm Gesellschaft. – Er unterhält sich mit ihm, er fragt es: werd' ich bald da seyn? – Geht er mit Freunden und Freundinnen, geht er wie der Schiffsmann; denn die Gesellschaft ist Seelenbewegung, die geht über die körperliche. Sonst aber glaub' ich, je weiter das Ziel, desto entschlossener der Kopf. Auch bei Erholungen will man Zweck.
HERR v. W. Das allgemeine Du in Curland ist und bleibt mir unerträglich; alles ist Bruderherz und Du.
HERR v. G. Und der Hund eines alten Edelmanns ist erkenntlich, und dutzt auch nicht. – Herr! um Ihnen ganz deutsch zu sagen, Sie sind –
* * *
Schade! – der junge Herr von G – nahm mich, und wir gingen im Garten eine grüne Straße auf und ab, wie ein Paar Schiffsleute.
Im Garten.
HERR v. G. Ich, jagen und studiren. Man wird doch wohl einen akademischen Jäger, einen Nimrod treffen, der Jagdcollegia liest. Fechten und Jagen ist gut, Jagen ist der Mittelpunkt. Ich wünschte, der Vater gäbe mir den Satan mit.
ICH. Ich bin kein Jagdfreund, ich werd' es nie seyn. Man lernt da auf Unschuld anlegen und zielen, und meuchelmorden.
HERR v. G. Essen Sie kein Wild?
ICH. Gern – ich lass' aber das Jagen, wie das Schlachten und Kochen, andern über. – Mein Vater sagt, jede Köchin sey grausam. Das Kochhandwerk ist ein Handwerk für Männer, die sich auch, sobald es ins Große geht, nicht von ihrem angebornen, ihnen angestammten Recht abbegeben. Jagen und Kochen, denk' ich, sind sehr nahe verwandt.
HERR v. G. So weich, und haben Krieg geführt?
ICH. Um meinen Arm auszuarbeiten. Hätt' ich einen göttlichen Beruf gehabt, Soldat zu werden, zum ersten Schlage würd' ich nicht seyn, allein zum zweiten Herr v. – wie der Donner auf den Blitz. Hätte mein Vaterland den ersten Schlag erhalten, wär' ich verbunden gewesen, es zu freien – und zu Kopf, zu Händen und zu Füßen hätte der Muth heraus gewollt. – Im gemeinen Leben muß man oft erweichende Mittel brauchen; im Kriege würde man uns darüber als Narren auskrähen, wenn wir die Segel streichen ließen. Der Feind heißt Legion; ihrer sind viele.
HERR v. G. Ich schieße nichts, was nicht vor den Schuß läuft.
ICH. Das sind Jägergrundsätze; ein laufender Feind ist keinen Schuß Pulver werth. Im Kriege muß man schießen, was steht.
[264]HERR v. G. Das ließ' ich brav bleiben! ich würde das Spiel durchsehen, fänd' ich es zweifelhaft, was ist natürlicher, als die Karten zusammen zu legen.
ICH. Ich würde kein Menschenjäger, sondern Soldat, Held, wenn Sie wollen, würd' ich seyn. In der Hölle muß man nicht Waffenstillstand machen, sondern auf den letzten Mann steuern und wehren. Wäre noch ein Mittel, den Teufel zu bekehren, wär' es dieß; ich habe Krieg gespielt, aber nach dem Leben.
HERR v. G. Und ich bin wirklich auf der Jagd gewesen, und habe manchen Wildbraten bereitet. – Laßt uns Brüderschaft machen!
ICH. Wir dienen nicht Einer Fahne – unsere Herzen schlagen nicht einerlei Wirbel; indeß auf's näher kennen, Bruder! –
HERR v. G. Beleidigen, wollt' ich sagen! ich wollt' ihn! – Herr Bruder, du wirst mich nicht verlassen.
ICH. Das Herz immer auf einmal. Das weiß ich, Bruder! – Ich hab' zwar nicht von unten auf gedient; allein ich hab' mich von unten auf gedacht, und als Alexander oft gemeine Dienste gethan. Wenn ein Feldherr nicht gemeiner Kerl seyn kann, ist er nicht des Ordens werth. – Er wird nicht wie ein Ruderknecht [265] schreien, nicht betäuben; allem er wird ein gemeiner Kerl zum Malen werden. Er wird ihn allerliebst machen; es seyn, darf er nicht.
HERR v. G. Ich hab' gehört, daß ein General, der schon im Felde gewesen, nicht mehr so viel Herz habe. – Junge sollen die besten seyn.
ICH. Junge kennen vielleicht die Gefahr nicht, und da sie schon Heldenphysiognomien kennen, so verzagen sie, sobald sie Züge davon entdecken. Blindhereinhauen ist ein Kunstwort, und ein wahres Wort.
HERR v. G. Eine Jagd, Herr Bruder, müssen wir noch zusammen machen, lieber heut' wie morgen! Es wird dir gefallen.
ICH. Ich zweifle. Mir gefällt zweierlei: Kühe und Rinder auf einer Wiese. Das ist der edle Friede, und eine Wiese voll wiehernder Pferde, das ist der edle Krieg.
HERR v. G. Zur Probe, Herr Bruder!
ICH. Meinetwegen. Herr laß weg – bei Bruder schickt es sich nicht. Ich werde dich so nicht nennen; Bruder ist kein Herr; Herr Bruder ist halb Bruder. Pfui! über halb! –
Die Gesellschaft hatte sich während dieser Zeit in den Garten verfügt, und ging an uns paarweise vorbei.
Der Herr v. W. und mein Vater.
Der Herr v. G. und Hermann.
Ich kann also nur wieder erzählen, was ich beigehend vernommen. Mein Vater pflegte zu sagen: Man hört im Sitzen besser, man sieht im Stehen schärfer, im Gehen ist Ohr und Auge nicht zuverlässig.
PASTOR. Wenn man nur nicht am Ende glaubt, ein verbindliches Wort sey die That selbst. Wünsche müssen kommen, wenn unser Vermögen zu helfen aufhört. – Todten muß man wünschen.
HERR v. W. Warum soll man aber nicht Canel auf die Grütze streuen, und seine helfende Hand mit einem weißen Handschuhe bekleiden, den Wein mit Zucker und Pomeranzen veredeln, und Butter aufs Brod streichen.
DER JÜNGERE HERR v. G. Bruder, du würdest doch nicht leiden, daß dein Fibelrektor dich bis an dein Lebensende meistern sollte?
ICH. Das thut auch kein Vater einem Sohne, der in gewissen Jahren ist.
HERMANN. Und stellte in aller Einfalt und Kürze, »Gott gebe,« setzt' er hinzu, »zu aller Seelen Erbauung und Besserung,« vor:
»Die beste Kur des Podagra.«
Im ersten Theil: Der Patient muß, wie der Gichtbrüchige im unserm Evangelio, einsehen, daß er aus sündlichem Samen erzeugt sey; er muß zweitens Vergebung suchen, und drittens aufstehen und wandeln.
HERR v. G. Ich hätt' ihn schon gehalten. Man wird doch wohl in der Gemeinde mit Ehren die Gicht haben können?
DER JÜNGERE HERR v. G. Auf den ersten Gegenschlag kommt viel an.
ICH. Alles, Bruder. Eine Hauptregel beim Kampf. Gib [267] zuerst den guten Wein, und wenn dein Gegner trunken, den geringern. Der erste Schlag ist die erste Frage beim Examen. Die erste Antwort entscheidet.
DER JÜNGERE HERR v. G. Ich denk' immer, Bruder, ein Armer ist allein herzhaft.
ICH. Hat er denn weniger zu verlieren als ein Reicher? Leben ist Leben! – Zu viel Herz macht kühn, zu wenig Herz macht desperat. Der Kampf ist in beiden Fällen blutig.
DER JÜNGERE HERR v. G. Ein General hat das beste Theil erwählt. Er ficht nicht allein; er weiß, wer ihn umgibt. Das möcht' ich seyn!
ICH. Ein Adler fliegt allein, Bruder. Küh' und Schafe gehen zusammen. Ein General ist der Hahn, der die Veränderung des Wetters zuerst merkt, der den Ton angibt. Meine Mutter meint, der Hahn, der zuerst kräht, sey der Superintendent unter den Hähnen. Der Generalstitel steht dem Hahn besser an. Hiemit genug vom Muth. Es sieht thrasonisch aus, viel über den Muth zu sprechen. Der Muth hat seine Theorie; er fängt mit der Praxis an und hört mit der Theorie auf.
PASTOR. Das hab' ich nie geläugnet. Es ist der Schlüssel zum geheimsten Herzenskämmerlein; der eine drückt in die Hand, der andere legt es unvermerkt auf den Tisch; dieser gibt in Papier gewickelt, der in Geld, der in Geldes Werth; dieser wird roth, der blaß – der steht freundlich aus, der als ob er im Spiel verloren, der andächtig, als wenn er etwas in den Gotteskasten legt, und vom lieben Gott einen Wechselbrief entgegen nimmt, oder ihn[268] bezieht, der als wenn er die Musikanten bezahlt und von ihnen erwartet, daß sie ihm den Dank vorgeigen möchten. Jeder Griff bei allen diesen Arten ist aus dem Herzen genommen. Wenn ich einen Menschen gesehen ein Geschenk geben, so müßt' ich mich sehr irren, wenn ich seinen Charakter nicht auf ein Haar treffen sollte.
HERR v. W. Also die Manier, der Anstand, die höfliche Art – Herr v. G. – würde das Geschenk an den Kopf werfen.
PASTOR. Vielleicht edler, als es mit überdachten Worten geben, und den Nehmer noch in mehr Schuldigkeit setzen – die höfliche Art macht es nicht.
Diese beiden Leute schieden sehr höflich auseinander, und so wie Wasser zu Wasser, so flossen Herr v. W. und Hermann zusammen.
DER JÜNGERE HERR v. G. Wirst du viel Bücher mitnehmen?
ICH. Sehr wenig. Ich bin sehr für geliehene Bücher. Hat man selbst das Buch, glaubt man: ein andermal. Man sieht es im Schranke und denkt: wenn ich gelegenere Zeit haben werde. Ein Bibliotaphus, ein Büchergeiziger, ist, nach meines Vaters Ausdruck, ein Teufel, ein Seelenverderber.
DER JÜNGERE HERR v. G. Wenn man ein Buch leiht, sagt mein Hofmeister, ist es am sichersten, sich Auszüge zu machen; ich glaub', es hilft dem Gedächtnis.
ICH. So ist das Buch da. Auszug, wenn er ja den Namen [269] verdient, ist eine Brühe. Ich bin nicht für Brühen, solang ich gesund bin.
HERR v. W. Ich leide keine Uebertreibung. Einem Kinde, was todt auf die Welt kommt, den Verstand ansehen wollen, find' ich zu hoch geflogen.
HERMANN. Wenn es indeß die Züge des Vaters hat, und der Vater –
ICH. Manches Buch soll uns nur die Stirn lichten – von manchem dürfen wir nur die Thaler Alberts behalten. Ist es nöthig, daß ich etwas bis auf Ort und Vierding weiß, kauf' ich mir das Buch, um mir nachzuhelfen, um einen Stab zu haben, an dem ich gehe.
DER JÜNGERE HERR v. G. Erst Gewehr, dann Bücher. – Leib und Seel', sagt alle Welt, und nicht Seel' und Leib.
ICH. Beim Edelmann Leib und Seele, beim Literatus Seel' und Leib, wenn es gleich wider den Redegebrauch ist.
HERR v. G. Je reiner und dünner die Luft, hab' ich wo gelesen, je feiner die Köpfe.
PASTOR. Mich dünkt, zu schönen Künsten; zur Philosophie ist rauhe Witterung die beste. Man ist an Schwierigkeiten und an Unerschrockenheit und Stärke, sie zu überwinden, gewohnt, und Schönheit gehört unter einen sich immer gleichen Himmel; man zieht nicht das Gesicht vor Kält' und Wärme; man kämpft nicht mit seinen Gesichtsmuskeln. Frauenzimmer, die in Einer Luft bleiben, haben eine schöne Haut. – Mustern Sie in Curland gemeiner Leute Köpfe, werden Sie wohl einen Bauernkopf finden, der in ein historisches Gemälde passe? Ich kenn' ein Volk, wo ich alle Götter und Göttinnen des Alterthums in kurzem zu finden wetten will. Haben Ew. Hochwohlgeboren in Curland auch nur einen Venuszug gesehen? Eben so wenig ist ein Altarstück, ein [270] Marienzug zu haben. Was ich in Curland von Schönheit bemerkt, schränkt sich auf den Wuchs ein. Schönheiten für Bildhauer, allein für Maler nicht.
HERR v. G. Wenn alles bei kleinen Leuten proportionirlich ist, kann man ihnen den Ehrennamen schön nicht absprechen.
PASTOR. Kein Zweifel, und so auch mit wohlproportionirten Erkenntnißkräften – und die Anwendung? –
Sie bogen sich so, daß ich keine Sylbe haschen konnte.
HERR v. G. Ich will nicht vorurtheilen; aber daß die Leute im demokratischen Staate klüger sind als im monarchischen, Pastor, das müssen Sie zugeben.
PASTOR. Gern – weil sie an der Regierung theilnehmen, weil sie mitsprechen. In England gibt es einen sehr klugen gemeinen Mann, und das machen die Zeitungen. Dieß Staatsmittel könnt' auch im monarchischen Staate probirt werden.
HERR v. G. Im monarchischen Staate gibt's keine Zeitungen. – Wenn die Regierung Zeitungen schreiben läßt, sind es Seifenblasen, womit die Kinder in der Sonne stehen.
ICH. An gnädig erkenn' ich sie. Eine gnädige Mutter, Bruder, ist ein Unding. Bei Bibel und Gesangbuch seh' ich deinen Vater. Bibel und Gesangbuch muß man sich nicht kaufen, sondern von den Eltern haben, und eben so wie du, so auch ich, Bibel vom Vater, und Gesangbuch von der Mutter.
ICH. Sie waren vieljährige Freunde; sie schieden sich, wie mein Vater sagt, von Tisch und Bett, allein ihre Herzen blieben gebunden.
DER JÜNGERE HERR v. G. Wir wollen uns nie von Tisch und Bett scheiden. Kommen wir von Universitäten, wirst du mein Pastor, und dann wollen wir leben wie auf der Universität – du studiren! ich jagen.
HERR v. W. Es scheint unhöflich. Doch wie der Ast, so der Hieb. Man muß sich über den Herrn v. G. wegsetzen.
HERMANN. Kriechend zu mir?
HERR v. W. Ich hätte Worte mit Hänkelchen? Traget die Groben, weil ihr höflich seyd. Es sind, unter uns gesagt, manche Ausdrücke in der Bibel, die nicht auf unserer Seite sind.
DER JÜNGERE HERR v. G. Wenn ich das Wort Schreck höre, empfinde ich es. Was wollte dein Vater gestern Abend damit sagen, daß der Schreck der Anfang zu allen Leidenschaften sey?
ICH. Schreck, sagt' er, ist die Vorbereitung, das Präludium zu allen heftigen Affekten, und das ist wahr. Hast du dich je recht sehr über eine Sache erfreut, ohne daß du vorher erschüttert warst? Alle heftigen Leidenschaften sind wie ein kaltes Fieber, Frost, Kälte, dann Hitze.
[272]DER JÜNGERE HERR v. G. Du hast es besser behalten wie ich.
ICH. Er führte Beispiele an, daß Leute vor Freuden gestorben wären, und daß kein großes Loos in der Lotterie, ohne den Gewinner auf eine kleine Zeit zurückzusetzen, von jeher gewonnen sey. Der Mensch, sagt' er, traut sich nicht recht die Freude in dieser Welt zu. Er besinnt sich erst, ob er ihr sein Herz öffnen, ob er sich freuen könne. Er läßt sie von hinten und verstohlen ein. Seine Freude scheint eine Entfernung des Schmerzes, und wer läßt einen alten guten Freund ohne Bewegung von sich?
DER JÜNGERE HERR v. G. Es ist von meinem Vater – Aber was dein Vater vom Vergnügen und Schmerz anmerkte –
ICH. Weiß ich auch. Er widerlegte sich selbst. Er glaubte, Vergnügen sey die Empfindung von Lebensbeförderung, und Schmerz Empfindung von Lebenshinderniß, und wenn es schon so weit gekommen wäre, daß man die Lebenshindernisse nicht überwinden und das Feld behalten könnte, meint' er, sey Vergnügen die Kunst, sich selbst von sich zu entfernen, die große Kunst, nicht an sich zu denken.
DER JÜNGERE HERR v. G. Ich bin noch im Schreck, in der Vorbereitung, denn bis jetzt fass' ich's noch nicht.
HERR v. G. Was meinen Sie, lieber Pastor! wenn wir nur negative weise und gut sind, ist es nicht schon viel, und sollte man nicht diesen Gedanken auszuüben suchen?
PASTOR. Ich weiß nicht. Wissenschaften, die bloß Irrthümer widerlegen, sind, wenigstens was mich betrifft, unangenehm. Der [273] Mensch ist von Natur träge und negativ, durch Grundsätze wird er thätig.
HERR v. G. auf den Herrn v. W. und Hermann zeigend. Licht und Lichtknecht.
Alles lagerte sich auf einen Rasen, und war so still, daß man sah, was ich oft gesehen. Die Natur behauptet ihre Rechte, sobald wir ruhig sind, sobald wir Zeit haben sie anzuhören, sobald wir uns auf's Gras, ihren Lehnstuhl, setzen. Alles verstummt und empfindet. Gott! warum fallen wir der Natur so oft unzeitig in's Wort!
Für uns, den jungen Herrn v. G. und mich, war kein Raum in diesem Naturaudienzzimmer. Herr v. G. der Jüngere ging zur gnädigen Mutter, ich einen grünen finstern Gang – was ich hörte (ich konnte nicht bemerkt werden) will ich aufschreiben.
KLEINE. Ja, gnädige Mutter! damit er gut würde; er hatte dem lieben Gott einen Vogel weggestohlen, den bot er mir zum Kauf an. Der Vogel schrie zum lieben Gott (singen könnt' er nicht mehr) sehr ängstlich, und der Junge hielt ihn in der Hand, und wollt' ihn nicht gen Himmel schreien lassen. Der Junge muß sich wohl gefürchtet haben, daß der liebe Gott schelten würde. Es bezog sich, wo er stand, als wären es Gewitterwolken.
FRAU v. W. Und du?
KLEINE. Ich gab dem Jungen das Geld und den Vogel gab ich dem lieben Gott wieder. Es wurde gleich so klar, wenigstens mir vor den Augen, ich bildete mir ein (sie sprang dabei), daß ich [274] den lieben Gott sähe, wie er sich darüber freute. Der Junge mag es wohl aus Noth gethan haben.
EIN FRAUENZIMMER, DAS DIESE LIEBE KLEINE BEGLEITETE. Wir sind im Streit, Ew. Gnaden. Das Fräulein gab ungezählt; so denk' ich, gibt man einem Bettler, allein keinem Dieb.
KLEINE. Wer hat nun Recht?
FRAU v. W. Du nicht völlig, meine liebe Seele! Ei, wenn gleich wieder so ein böser Junge mit des lieben Gottes Vögelchen gekommen wäre, und du hättest kein Geld gehabt?
KLEINE. Ja, dann hätt' der liebe Gott den Vogel strafen wollen. Setzt man doch auch Menschen in's Gefängniß.
FRAU v. W. Mit Recht, aber auch mit Unrecht. – Man muß nicht für sich, sondern auch für andere sparen. Um mehr Gutes zu thun, kann man dingen. Gottes Geschöpf – wer kann das bezahlen? Hätte der Junge den Vogel nicht minder lassen wollen, wär's ein anders. – Was war's für ein Vogel?
KLEINE. Ich habe nicht gefragt, Gnädige! Ich weiß nur, daß es ein Vogel war, und daß er fliegen konnte. Haben Sie's mich nicht gelehrt, man muß nicht nach dem Namen fragen, wenn man Gutes thut. Sie hätten nur sehen sollen, der Vogel konnte vor Freuden nicht recht fliegen! Er war betrunken, aber der Junge mußt's mir versprechen, ihn nicht mehr zu haschen.
DAS FRAUENZIMMER. Seit der letzten Nachtigall im Garten ist ihr jeder Vogel eine Nachtigall. Ew. Gnaden waren so gnädig zu sagen, Mensch ist Mensch, aber Vogel ist nicht Vogel.
FRAU v. W. Aber, was meinst du, Kleine! Des Jungen wegen sollst du Lieschen Recht geben. Sah er dir denn so bös aus, daß er eine Nachtigall dem lieben Gott stehlen könnte?
KLEINE. Recht! und ich Unrecht, ein so betrübtes Vögelchen, als eine Nachtigall! o! wer kann das drücken – ich möcht' es gern trösten, wenn ich könnte.
FRAU v. W. Es scheint zuweilen, daß es sich selbst tröstet; als wenn es schluchzt und wieder lacht.
KLEINE. Ja, Gnädige! und dann bin ich so froh! so froh! aber wie kann man im Augenblick weinen und lachen?
[276]FRAU v. W. Lachen und Weinen hat einerlei Züge, mein Kind! Sey darum auf die Nachtigall nicht böse. Es ist weit leichter, daß Einer, der weint, lacht, als Einer, der ernsthaft ist. Wenn wir einen Betrübten zum Weinen bringen, haben wir ihn bald zum Lachen – das trifft uns Weibchen mehr, als das andere Geschlecht.
* * *
FRAU v. W. Sollt! allein wer legt seinen Garten nach der Natur der Gegend und des Landes an? – Ein Garten, der die Ehre gehabt, in's Geschrei zu kommen, ist die Vorschrift zu zehn und zehn, zu fünfzig und fünfzig, zu hundert. Durch Gärten kann man, denk' ich, noch weit eher, als durch Haus und Hof Geschmack zeigen. Umstände sprechen hier mit, und die Mode hat keine Stimme.
ICH. Der beste Garten indessen ist ein Gefängniß, wenn er umzäunt ist. Das Paradies war die Welt, und die Welt das Paradies.
FRAU v. W. Jetzt können wir schwerlich uns ohne Zaun behelfen. Er kann sich aber allmählig verlieren – und dann lasse ich ihn gelten. Hecken sind mir weit unausstehlicher.
ICH. Ein lebendiger Zaun!
FRAU v. W. Ein schönes Leben, das unter der Scheere des Gärtners steht. Mir kommt jede Hecke wie ein Tanzboden vor, man lehrt die armen Bäume die Beine gerade setzen, in die Quere treten, Brust heraus, und andere Possen mehr – und wenn man noch dazu Hecken an seine Fenster anlegt, ist's mir völlig unerträglich. Ich habe einen Amtmann, der sich eine Fensterhecke von einem armen Feigenbaum gemacht hat. Die Kleine da sagte, der Feigenbaum sey ans Kreuz geschlagen.
Fische fangen und Vogelstellen
Verdirbet manchen Junggesellen.
erklärt mein Vater vom Herzen.
FRAU v. W. Und sehr richtig. Wer in der Jugend Vögel in die Festung bringt und Fische anführt – wird ein Betrüger, und wenn es hoch kommt, grausam und –
ICH. Ich weiß nicht, gnädige Frau! ob ein Amtmann, der dem Feigenbaum Daumen schraubt und ihn torquirt, es mit den Bauern nicht so zu machen Lust hat, als mit dem Feigenbaum? – Dem Baum fehlt nur ein lebendiger Odem.
Die gnädige Frau ward abgerufen, und ich sah mich mit der kleinen Fräulein an, ohne daß wir alle beide mehr thaten, als lächeln. Ich [278] weiß nicht, wie das kommt, daß junge Mannspersonen gegen Kinder so blöde sind! Frauenzimmer sind in diesem Stücke dreister. Sie können eher an ihre Bestimmung denken, als es uns nach der jetzigen Einrichtung erlaubt ist. Oft, wenn ich auf diese Art mein unschuldiges Minchen mit kleinen Kindern sich abgeben und spielen sah, fielen mir die Worte ein: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht
des himmlischen Vaters. Daß ich gegen eine große Dame nicht blöde gewesen, siehe oben. Das Daumenschrauben und Torquiren hätte ich unterwegs lassen können, wie es mir gleich, nachdem ich's gesagt hatte, einfiel. – Die Frau v. W. kam wieder.
FRAU v. W. Gut, mein liebes geduldiges Kind. Sehr gut! dein Bruder hätt' es morden können, allein wir Frauenzimmer müssen keine Mücke tödten. – Wir sind zur Geduld geboren. Verjagen höchstens.
KLEINE. Und wenn auch, ich bin's gewohnt. Der liebe Gott helfe nur dann meinem Bruder, der den Mückentodtschlag in der Hand hat.
FRAU v. W. Das nicht, mein Kind! man sieht nichts aufgehen. Man sagt daher, Gras wachsen hören; zum Sehen hat's keiner gebracht.
KLEINE. Die beiden dort sind, so wie mein Bruder und ich, nach der Größe.
FRAU v. W. Sieh nur her, wie behutsam diese Aufgehende die Erde auf ihrem kleinen Rücken trägt. – Sie hebt sie, sie ehrt ihre Mutter.
* * *
ICH. Mein Vater erklärt ihn so: Gott wollte, die Leute sollten nicht zusammenbleiben, nicht in die Höhe bauen, sondern in die Länge, und die Erbe benutzen, die Gott ihnen angewiesen hatte.
FRAU v. W. Ich hab' oft gedacht: dadurch, daß sich die Menschen vertheilten, entstand die Verschiedenheit der Sprachen.
KLEINE. Nein, Gnädige! ich beklage nur Sie – und doch könnt' ich öfter herumlaufen – wäre der babylonische Thurm und das Französische nicht.
Es war Mittag und alles fand sich von selbst zusammen. Frau v. G. – hielt bei allem Hochdünkel sich nicht zu vornehm, die Tafel zu bereiten; die Küche nicht – und das steht keiner Dame an; höchstens einen Ueberblick.
FRAU v. G. Darf ich bitten –
HERR v. G. Was meinen Sie Zu meinem Vater. das sagt meine Frau gutherzig und allerliebst. Ich habe sie bloß dieses darf ich bitten wegen geheirathet. Ich hall's ihr bloß nach, darf ich bit ten. – Herr Bruder, Herr Pastor, Herr Bruder, Herr Bruder, wie ihr alle steht.
FRAU v. G. Ich bitt' –
Man ging Hand in Hand, ich mit der Kleinen v. W. – und (ich rede von der Tischgegend, wo ich war) wir saßen. Der Herr v. W. – (er hatte sich herunter genöthigt), gradüber wohlbedächtig Herr Hermann. Der Herr v. G. –, die Kleine v. W. –, mein Vater, der junge Herr v. G. –, noch allerlei vom Unterhause und Ich.
HERR v. W. Alle Feierlichkeiten, Herr Bruder, gehen zuletzt auf Schmausereien hinaus.
HERR v. G. Beim Tisch macht alles Friede, da verliert matt das Uebel und das Gute empfindet man lebhafter.
HERR v. G. Ich nicht! jeder Tisch muß fröhlich seyn, wir [281] müssen mit Danksagung empfahen und zu uns nehmen, und uns auf Gott verlassen lernen.
PASTOR. Alles, was groß ist, geschieht bei Tische. Das Paradies ging bei Tische verloren, Monarchien und Regenten entstanden und gingen unter bei Tafel; alle Ehen werden im Himmel und bei Tische geschlossen. Jemanden zu Tische bitten, ist die feinste Art zu bestechen; hat man den Revisionscommissarien nur einmal zu essen gegeben, ist das Spiel gewonnen. Bei Tische kommt der Mensch seinem natürlichen Zustande näher. Der Vornehme sieht, daß er hier mit dem Geringern gleichen Appetit hat; da er mit ihm aus Einer Schüssel ißt, aus Einer Flasche trinkt, fängt er an, ihn für seines Gleichen zu halten. Alle Herzenssachen, wozu ich den größten Theil der Religion zähle, gehören vor einen weißbedeckten und mit Essen und Trinken besetzten Tisch. Die christliche Religion gibt uns hiezu viele Gelegenheit.
HERR v. G. Recht, lieber Pastor! Magen und Herz sind Nachbarskinder, sowie sich die Drüsen im Munde und Magen verwandt sind. Was jene reizt, bringt diese in Bewegung. Bei Tisch lernt man thun, wirken, in den Schulen lernt man reden. – Mit meinem Freunde muß ich genießen.
PASTOR. Die herzliche Beredsamkeit, wo eine Einsylbe oft mehr gilt als ein prahlendes: Allerseits nach Stand und Würden, ist auch bei Tisch zu Hause. Bei Tisch wird man nicht alt. Sehr richtig. Was uns hiedurch an Zeit abgeht, ersetzen Stärke, Gesundheit und eine lachende, alles leicht findende Stirn. Hiedurch richten wir in einer Stunde mehr aus, als ein Kurzesser in einem halben Tage.
HERR v. G. Es lebe Luther und seine Tischreden! – Ein schönes Stück von ihm, eine Ehrensäule für die Menschheit. – Hätt' er die nicht nachgelassen, ich würd' ihn lange nicht für das halten, was er war. Die Fröhlichkeit, die Freundschaft an einem [282] wohlbesetzten Tisch, die Gerechtigkeit, lieber Pastor, und ihre Ausübung, an einem rothbehangenen unbesetzten Tisch.
PASTOR. Sie muß nüchtern verwaltet werden. Wer am besetzten Tische Recht spricht, beugt das Recht. – Viele Leute sind der Meinung, man müsse nüchtern schwören, und halten es für Mißbrauch des Namens Gottes, wenn sie gefrühstückt haben. Ein Richter muß aber keinen Wein trinken, wenn er Recht spricht. Er sieht gleich alles anders an. Mit der Gerechtigkeit ist es eine besondere Sache, ein einzig Gläschen macht oft einen andern Menschen; wer mitleidig ist, weicht vom Wege ab und –
HERR v. G. Mit Ihrer gütigen Erlaubniß, ich glaube, daß es zu manchen Begebenheiten auch besondere Gerichte gäbe. Unsere lieben Alten sind uns darin rühmlichst vorgegangen.
HERMANN. Eben hierdurch wird das Essen schmackhaft. Vielleicht könnte man trostgebende, glückwünschende Gerichte erfinden.
HERR v. W. Ich habe noch niemand frische Milch mit saurem Gesicht essen gesehen.
PASTOR. Die Natur hat zwar jedem Essen seine Jahreszeit angewiesen, alle aber kommen am Ende darin überein, daß wir dabei fröhlich und guter Dinge seyn sollen. Nennen Sie mir eine Schüssel, die Thränen auspreßt?
HERR v. W. Der Grad des Vergnügens indeß könnte verschieden seyn.
HERR v. G. Hiebei kommt viel auf die Einbildung an. Nachdem eine Schüssel selten, das ist vornehm gehalten wird.
Aber, meine Herren da unten, die Suppe wird Ihnen kalt.
HERR v. W. Freilich! bei ihr sollte nicht gesprochen werden.
PASTOR. Wer sie ißt, wird sich von selbst hüten. – Man [283] kann leicht dabei den Weg verfehlen. – Suppe geschickt zu essen, ist sehr schwer – ich esse keine.
PASTOR. Suppen sind für Kranke, es sind Fleischessenzen, und für Leute, die kein Fleisch mehr verdauen können.
HERR v. G. Ich bin nicht darauf gefallen, aber der Pastor hat Recht. – Braten ist das natürlichste, wenn von Fleisch die Rede ist.
PASTOR. Wer Fleisch und die davon erpreßte Suppe ißt, ißt den Kern und nachher die Schale, genießt den Saft und hinterher die Hülse.
HERR v. W. Wenn Sie mir gleich nicht besondere Festtagsgerichte gestatten, Nationalspeisen werden Sie mir wenigstens zugeben?
PASTOR. Gern, und da ist beim Engländer Braten, bei dem Deutschen Mehlspeise, beim Franzosen Kraut auf dem Felde. Die Deutschen sind Männer des Tisches. Sie sitzen lange dabei, ihr Tisch ist der beste. Kein Wunder, daß sie am längsten dabei weilen. Sie sind die gastfreiesten, die menschlichsten Esser und Trinker.
HERR v. G. Katholiken kochen vortrefflich Fische.
PASTOR. Noch lehrt beten. Wenn ich zu reformiren hätte, müßte das schöne Geschlecht, wenn es ja kochen soll, mit strenger Ausschließung alles dessen, was Odem gehabt, sich auf Milchspeisen und Gemüse einschränken. Kein Fleisch und Fische müßten sie kochen, sondern bloß natürliche Gerichte würden zu ihrem Departement gehören. Obst aus Frauenzimmerhänden ist beinahe wie vom Baum.
[284]HERR v. G. Obst, Pastor, denk' ich, sey die natürlichste Speise in der Welt.
PASTOR. Es ist ein paradiesisches Essen, ein Manna, das noch vom Himmel fällt, wonach alle Kinder einen Erbgeschmack mit auf die Welt bringen.
HERR v. G. Obst ist die gesundeste Speise unter allen. Nach Obst Milch und Honig.
PASTOR. Ich bin nicht von denen, die schon das liebe Brod in der Welt zu gekünstelt finden, und sich auf die allerersten Naturelemente reduciren wollen. Wer mir aber Obst verachtet –
HERR v. G. Ist ein verderbter unnatürlicher Mensch. Er hat seine Unschuld verloren und trägt davon das Malzeichen an sich. Pastor, ein Glas Wein aus den Händen eines Frauenzimmers –
PASTOR. So wie ein Glas Wasser und aller Trank aus ihren Händen. Der Trank ist mehr der Kunst entgangen als die Speisen, und aus Gottes Händen ziemlich unverfälscht auf uns gekommen. Ein Glas Wein bei der Quelle.
Wie bange mir bei dem Worte Quelle ward, können sich meine Leser nicht vorstellen. Ich habe wenigstens ein Quartblatt, dicht geschrieben, drüber verhört, und doch ging es glücklich ab, obgleich eine allgemeine Stille darüber ward.
HERR v. G. Säle sind gut, nach Tische hineinzugehen. Beim Speisen ein schmales Zimmer, um nah zusammen zu seyn. Man hat sich mehr.
PASTOR. Daher ein runder, ein Artustisch und eine kleine Gesellschaft. – Wir sitzen hier an einer deutschen Tafel in allem Betracht.
HERR v. G. Was meinen Sie, Pastor, von den vielen Schüsseln? Ist nicht Eine genug?
PASTOR. Viele Schüsseln verlängern den Tisch und mithin [285] auch das Vergnügen. Es ist wahr, es reizt mehr zu essen; indessen liegen in uns auch vielerlei Appetite. Sobald es wahr ist, daß wir Fische, Fleisch, Obst, Gemüse essen können, daß die Natur eine Schatzkammer für uns sey, so seh' ich nicht ab, warum wir geizen sollten.
PASTOR. Ich esse auch keinen Braten mit Salat. So eine Hauptschüssel, so eine natürliche Schüssel braucht keine Anreizung.
HERR v. G. Ich hab' es von einem Beobachter, der im Vorzimmer eines vornehmen Mannes bemerken konnte. Ein Franzose kam, ging an den größten Spiegel im Zimmer und schnitt Capriolen; ein Engländer setzte sich aufs Kanapee, ein Deutscher stellte sich an den Ofen, ein Russe ging an den kleinsten Spiegel und zog sich die Haare in Ordnung. Wär' ein Curländer gekommen, der hätte sich die Stiefeln aufgebunden, und ein Pole den Bart gestutzt. So, lieber Pastor, sind diese Leute auch am Hofe, an der Tafel, als Schriftsteller.
PASTOR. Um Verzeihung! ich würd' in Europa nur vier Völkern Sitz, Tisch und Stimme erlauben: Engländern, Franzosen, Deutschen – und einem Volk in Norden. – Vier Hauptwinde, der Engländer Ost-, der Franzose Süd-, der Deutsche Westwind, und das Volk in Norden der Wind seines Namens.
[286]HERR v. G. Curland würde dieses Volk wohl schwerlich heißen – aber, Pastor, der Tischstyl ist allgemein – leicht, nicht wahr? – Man könnte den französischen zum Muster vorschlagen.
PASTOR. Warum das? je nachdem der Mann, der spricht, je nachdem das Gastmahl, je nachdem der Styl. Der hört die Austern wie einen russischen Fuhrmann pfeifen, der läßt sie erst verstummen vor ihrem Scheerer, der ißt sie mit Haut und Haar, der barbiert sie erst! Fremde Gewürze verderben das Essen und das Gespräch; die liebe Natur muß bei Tafel präsidiren.
HERR v. G. Ich bete nicht eher, als bis Salz auf dem Tische ist. – Es ist ein Sinnbild vom Verstande, und ich denke, gewisse Art Leute müssen bei Tisch nie anders reden, als daß es zur Noth aufgeschrieben werden könnte. Der Tischstyl und der Briefstyl sollte freilich aus der ersten Hand seyn; wer kann Natur genug predigen? Wir sind wie Affenleiter, wie Bärenleiter, die ihre Thiere schlagen, wenn sich selbige vergessen und zur Natur kommen. Gemeine Sprache ist Wassersuppe. Ausgesuchte Worte sind Canel, Muscatennuß; es fällt auf die Zunge; allein es macht Hitze. – Lieber Pastor! gießen Sie Oel in meine Lampe, sonst geht sie aus.
PASTOR. Sie brennt trefflich!
Der junge Herr v. G. fing an, mir etwas leise zu sagen.
Der alte Herr v. G. verlangte, daß er's laut sagen sollte und der junge Herr v. G. verstummte.
Eine Weisung vom Herrn v. G. dem ältern, bei Tische nicht leise zu reden. Es sieht, sagte der alte Herr v. G., nach Verräthern aus.
Herr v. W. setzte hinzu: und ist ein Verstoß wider die Höflichkeit.
Obgleich eben diese ungebetene Anmerkung ein dergleichen Verstoß war.
[287] Wir waren bei Fischen. Herr v. G. behauptete, es gäbe Gerichte, bei denen man nicht sprechen müßte.
Sie leiden es nicht, sagt' er, und wollen durchaus, daß man sich mit ihnen allein beschäftigt. Sie sollen auch besser schmecken, wenn sie still gegessen werden. – Fische, fuhr er fort, sind von der Art.
PASTOR. Es gibt Augenblicke, wo man auch beim Fleisch, beim Brode nicht sprechen kann. Anakreon starb, weil ihm eine Traube in die unrechte Kehle kam.
Man machte eine Pause, und die Sache blieb nach einem langen Stillschweigen unausgemacht, obgleich beinahe jedes Gräten bekam, weil sich keins des Lachens enthalten konnte. Ich gewinne bei diesem Carthäuser-Silentio, und meine Leser, furcht' ich, auch. Am Ende blieb es unausgemacht, weil ein verabredetes Stillschweigen keine Probe seyn könnte. Herr v. G. war dieser Meinung.
PASTOR. Wer mit mehr als zweien bei Tische spricht, muß sehr lustig seyn, sonst verliert der vierte. Mit zweien muß man sprechen; denn man ist freilich bei Tische nicht immer in den Umständen sprechen zu können. Drei wechseln sich beständig um. Unvermerkt kommt's an jeden. Sind vier, spricht selten mehr als einer. Zwei können nur streiten, der dritte entscheidet; dieses aber muß nicht als gravissimus praeses, sondern als Nachbar seyn.
HERR v. G. Was meinen Sie, Pastor! wie man spricht, ißt man, wie man ißt, kleidet man sich.
PASTOR. Nicht immer. Ein Stolzer kleidet sich prächtig, ißt schlecht, und spricht schwülstig; ein Wollüstling –
HERR v. G. Das meint' ich. Was gebilligt wird ist gut, was vergnügt ist angenehm, was gefällt ist schön. Ich glaube, wir thun dem Herrn v. W. einen Gefallen, wenn wir von Kleidern sprechen. Er wechselt drei- bis viermal an manchem Tage.
HERR v. W. Ich schicke mich in die Zeit, und bin ein festlicher Mann, das ist: die vergnügten und traurigen Vorfälle meines Lebens sind mir beständig im frischen Andenken. Oft traur' ich an demselben Tage und bin fröhlich an demselben Tage.
PASTOR. Sehr natürlich! – Selten ist ein Tag, der nicht seine Plage hat.
HERR v. W. Alles dieses drück' ich durch Kleider aus. Man hat Trauer-, warum denn nicht Freudenkleider?
HERR v. G. Da hat der Herr Bruder einen guten Gedanken, an Freudenkleider denkt niemand, und doch sollte man Freudenfarben und Freudenkleider erfinden, und sie dazu privilegiren. So was hat Einfluß auf uns. Wenn ich Pleureusen, Trauersäume –
PASTOR. Pharisäersäume!
HERR v. G. Gehe, ich bin betrübt. – Es erinnert mich an alles Trübe des Lebens – ich fühle die Krankheit von weitem, an der ich sterben werde. Das, glaub' ich, fühlt jedes, wenn es betrübt ist.
[289]PASTOR. Nur nicht immer Mittagssonne oder Mitternacht! – Sind Morgen- und Abendröthen nicht die schönsten Stücke am Tage? Gibt's nicht eine gewisse Ruhe, die besser ist als Tanz und Jubel? Warum immer Adagio, oder Allegro? – Das männliche Alter ist die Mittagssonne. Die Jugend aber hat ihren Reiz, und das Alter hat auch sein bescheidenes Theil. Das Alter genießt, es verweilt, wenn die Jugend herumwankt und vom Hoffnungswinde hin und her getrieben wird.
HERR v. G. Gott erbarm! So ein Curländer! Solang das Land steht, hat es solche höfliche Männer nicht gehabt, als dich und deinen Waffenträger, den Hermann. Wir gehen in Stiefeln! und du, Herr Bruder, wie ein Papst, in Pantoffeln. Schuhe sind dir schon zu schwer.
HERR v. W. Die Frage ist, wie's sich leichter geht? – Wir haben darüber schon so oft und viel gesprochen – ich behalte meine Weise, und lass' jedem die werthe seinige.
HERR v. G. Eins indessen, Herr Bruder, mit deiner Erlaubniß. – Warum bleibst du im Cirkel deiner Familie? Du solltest ein Path' und Leichenbegleiter und Hochzeitsgast von der ganzen Welt seyn, und als ein Kosmopolit –
HERR v. W. Das Hemde, ob es gleich nur von Linnen ist, bleibt uns näher als das Kleid. Wenn die Noth der ganzen [290] Christenheit mit der meinigen stimmt, und wenn ich sie weiß, accompagnir' ich gern. So auch mit der Freude.
HERR v. W. Von ungefähr hab' ich manches erfahren, und ich läugne es nicht, es gibt gewisse an sich rothe Tage, im Staats- und Hof-, so wie im Hauskalender, als da ist der einunddreißigste Julius.
HERR v. G. Darf ich –
HERR v. W. Benedictus I., der LXII. römische Papst, starb an diesem Tage, und auch Ignatius Lojola im fünfundsechzigsten Jahre seines Alters. Mein Großvater ist am nämlichen Tage, gleichmäßig im fünfundsechzigsten, meine Mutter am nämlichen Tage im zweiundsechzigsten Jahre verstorben.
HERR v. G. Das ist ja ein rechter Pesttag.
HERR v. W. Nicht genug. Mein Sohn Casimir bekam am nämlichen Tage die ersten Zahnsprossen, und starb acht Tage nach diesen Todeskeimen. Meiner Mutter Bruder brach ein Bein, und –
HERR v. G. Spare deinen Zinnober, schon roth über roth! – Zweiundsechzig und fünfundsechzig! Du sprachst die Zahlen so feierlich, so groß aus, daß ich ordentlich römische Zahlen hörte – ich kondolire von Herzen. An dem Tage wohl ganz tiefe Trauer?
HERR v. W. Du willst spotten – allein man lebt nur durch dergleichen Kunstgriffe, sonst betrügt man sich um das Leben. Kleider sind das, was Ceremonien in der Kirche sind.
HERR v. G. Das letzte mag seyn, das erste nicht also. Du, hochzuverehrender Herr Bruder, du! du selbst bist der größte Lebensbetrüger, [291] den ich kenne, du lebst die vorige Zeit so vielmal, du wiederholst dich selbst so oft –
HERR v. G. Wer weise ist, Herr! ist auch fröhlich. – Weg mit diesen Zusammenfügungen, die die Natur nicht selbst veranstaltet, mit diesen elenden Kupplereien. Wasser allein, Wein allein.
HERMANN. Aber mit Ew. Hochwohlgebornen Erlaubniß –
Hier ist wieder etwas außerhalb der Linie. Dieß Etwas gehört auf die Rechnung der Frau v. G. Sie winkte mir, um mir einige Festfragen wegen meiner Predigt der Frau v. W. zur Lehre und Trost vorzulegen. Meine Leser haben über diese Predigt schon mehr als eine Predigt gehört. Ich antwortete der Frau v. G., bückte mich gegen die aufs Wort merkende Frau v. W., und gern hätt' ich dieses Predigtwasser mit dem weinreichen Gespräch des Herrn v. G. gemischt, wer hat aber Cäsars Fähigkeit? der lesen, schreiben und seine sieben Sachen diktiren konnte. So viel weiß ich, daß Herr Hermann zum förmlichen Waffenträger des Herrn v. W. installirt wurde. – Herr v. G. war Brabevta. Um in der obigen Figur zu bleiben, muß ich es eine Taufe nennen. Jetzt sitz' ich wieder, meinen Lesern zu dienen, an Ort und Stelle.
HERR v. G. Einen Tag, Herr Bruder, will ich dir noch aus der Geschichte zum Geschenk machen. Wenn ich nur, so wie du, römische Zahlen aussprechen könnte. Den achtzehnten April –
ICH. Diogenes aus Sinope, der Cyniker, dem Alexander, obgleich Alexander klein war, doch schon zu viel Schatten machte. Diogenes ist Alexander unter den Philosophen.
[292]HERMANN. Und auch der Tempel zu Ephesus wurde an diesem Tage eingeäschert.
HERR v. G. Ei! Ei! Herr Hermann, das war ein Pathenpfennig von der Göttin Diana, da Alexander geboren ward.
HERR v. W. Du weißt, Herr Bruder, für wen ich sie bestimmt habe Auf den Herrn v. G. den jünger zeigend.
Eine Gesundheit.
Zusammen: alle gute Dinge!
HERR v. W. Diesen guten Tag muß ein Kleid bezeichnen, das gefallen soll. Du spottest über meine Kleider, Herr Bruder! [293] Alles, was Augen hat, soll diesem Ehrenkleide den gegenwärtigen und den künftigen Alexander ansehen, und alles –
HERR v. G. Gefallen soll, Herr Bruder? Wird, willst du sagen. Man kann nicht sagen: es soll gefallen, sondern wenn es hoch kommt: es wird.
HERR v. W. Da hast du Recht. Mit dem Geschmack muß man complimentiren, ich beicht' und widerrufe mich.
HERR v. G. Pastor! mit Ihrer Erlaubniß, eine kleine Wiederholung über die Farben von gestern Abend; ein Versuch, ob ich behalten habe. Bei den Farben gibt's heilige Zahlen. – Es sind drei Hauptfarben: roth, blau, gelb. Roth ist die älteste Farbe in der Welt; das Chaos war ohne Zweifel roth. Blau ist die Leibfarbe der Erde, gelb die Leibfarbe der Sonne. Die weiße Farbe ist die Seele, das Licht zu allem. – Was denken Sie, Pastor?
PASTOR. Mein Satz ist: folg der Natur! Sieh die Lilien auf dem Felde. Die Natur hat nichts, was sich nicht passen sollte. Die Blüth' ist das Kleid; der Spiegel die Weste.
HERR v. W. Schön! wahr! viel gesagt! Wenn ich ein halb trauriges, halb lustiges Fest habe, roth und schwarz – und da kann man Feinheiten anbringen. – Ist der Uebergang von der Trauer zur Freude, so ist das Kleid licht, die Weste dunkel; ist's von Freude zur Trauer, umgekehrt; ist's allmählig, so auch der Uebergang, so allmählig, daß man nichts merkt.
PASTOR. Das erste nennt man es schreit, als wenn ihm auf den Fuß getreten wäre, das andere könnte man: es spricht, nennen, und so könnt's bis ins Ohr so leise herunter kommen.
HERR v. G. Es geht mit den Farben der Kleider vielleicht [294] wie mit den Festen meines Freundes. Es widerspricht sich oft, es paßt nicht alles.
PASTOR. Wenn eine Farbe der andern beinahe gleich ist, sieht es aus, als falle sie ihr ins Wort. Es hat das Ansehen, als wenn eins so wie das andere werden will, und nicht werden kann. Das verdrießt den Zuschauer, er sieht keinen erwünschten Ausgang ab. Der Knoten bleibt geschürzt. Also eine solche Farbenwahl, daß wegen ihres Unterschieds kein Zweifel bleibt.
HERR v. G. Blau und roth! Die preußische Uniform!
PASTOR. Ganz recht; allein die Weste sollte roth, das Kleid blau seyn, und das der Vermischung wegen. Diese entsteht, wo die Farben recht zusammenstoßen; denn hier wird selbst diese Vermischung eine begreifliche in rerum natura existirende Farbe. Ist das Kleid roth, die Weste blau, gibt die Vermischung ein schmutziges, ein ekles Roth. Es sollte jedes Land seine Uniform haben, jetzt tragen sie höchstens die Soldaten.
HERR v. G. Jede Uniform kleidet. Wenn ein Officier seinen Dienstrock auszieht, ist's oft so, als wenn er Anstand und Geschmack und alles mit ausgezogen hätte.
PASTOR. Uniform kleidet. – Sie haben Recht, allein warum? Die meiste Zeit, weil sie Gesetz ist. Man nimmt's nicht so genau. Man weiß, daß man sie tragen muß. Ist dieser Zwang vorbei, sieht man den Menschen in naturalibus.
HERR v. G. Pastor, Sie hatten gestern Abend den Einfall, daß die Worte Kleider der Gedanken wären, und daß man sich auch hier Farben denken könnte. Wahrlich, manches Wort ist wie ächte, manches wie unächte Farbe, manches Wort ist ein violettes, grünes, rothes Kleid.
HERR v. W. Ich hab' indessen Leute gekannt, denen vom Rothen übel ward. Es war ihnen ein Ach und Wehgeschrei.
PASTOR. Es ist die härteste Farbe, der Stand der Natur, [295] der Stand der Wilden. Die Jugend scheinen helle, einfache, das Alter zweifelhafte, vermischte Farben zu kleiden. Jene könnte man kühne, diese bedächtige Farben nennen. Den Blonden kleiden blasse, oder ganz schwarze Farben; jenes wegen der Harmonie, dieses wegen des Contrastes. Den Brünetten kleiden harte Farben. So gibt's auch seidene, baumwollene Gesichter, und Gesichter von Garn. – Ich halte dafür, ein jeder Mensch, ich sage Mensch, muß seine königliche, priesterliche und prophetische Stunden, und auch so seine dreierlei Kleider haben. Meine Frau hat mich darauf gebracht. So stimme ich mit dem Kleiderschmuck Sr. Hochwohlgeboren des Herrn v. W., und so weich' ich von ihm ab. König geht eigentlich auf die vergangene, Priester auf die gegenwärtige, Prophet auf die künftige Zeit; indessen gibt es Zeiten, wo die Minute, wo der Augenblick den König, den Priester, den Propheten fordert.
HERR v. G. Pastor, die Idee gefällt mir, ich glaube, jeder kluge Junge, das heißt doch eben so viel, als jeder Mensch, ich sage Mensch – ist König, Priester und Prophet, wenigstens weiß ich mir Zeitpunkte zu besinnen, wo ich König, Priester und Prophet gewesen, und wäre mir das Wort König nicht so gehässig – würd' ich nicht gern mit Cromwell: anstatt dein Reich, deine Republik komme! beten; König wäre meine Lieblingsuniform.
PASTOR. Sie können immerhin ihre republicanischen Fasces beibehalten. Sie dürfen kein Kö nigscher werden, um im Geiste König zu seyn – ich bin für Könige, das heißt was anders, als froh wie ein König seyn.
Hier breche ich ein Politisches Gespräch ab, das wie ein Heckenfeuer heraussprang, und wobei mir viel entging. Wie sich dieß Gespräch auf [296] den Aufschlag am Kleide reducirte, weiß ich nicht. Das Ende vom Liede war, daß Curland ein Aufschlag von Polen sey, und daß, wenn ja ein anderer Aufschlag, als von dem nämlichen Tuche, seyn
sollte, er lichter seyn müßte.
HERR v. G. Das wahre Verhältniß von Polen gegen Curland.
* * *
PASTOR. Geschmack ist die Bemühung, unser Urtheil mit andern allgemein zu machen. Die Deutschen werden es nie zu viel Genies bringen, welche Flügel der Morgenröthe haben; sie besitzen aber sehr große Anlage zum Geschmack; alles zu berichtigen, ist ihre Sache. Man könnte den Geschmack eine Galanterie des Verstandes nennen; er will sich bequemen. Der Mensch hat Appetit, heißt: der Wirth ißt an seiner Tafel gut; der Mensch hat Geschmack, heißt: er macht, daß andere mit Appetit bei ihm essen. Ein Genie trägt einen rothen Rock, oder so was; ein Geschmackvoller eine sanfte Farbe. Er will alle Leute bestechen, wenn man so sagen darf. Engländer haben Genie, Franzosen Geschmack, Deutsche beides. Wem es in einem Stück an Geschmack fehlt, wird schwerlich irgendwo Geschmack zeigen. Der Geschmack ist aristokratischer Staat. Geschmack ist das allgemeine Gefallen, Gefühl ist ein Privatgefallen. Geschmack ist das Geschick, die Fähigkeit zu wählen, was jedem gefällt. Gefühl hat man, Geschmack lernt man.
HERR v. G. Von wem aber?
PASTOR. Die Pluralität entscheidet, nicht aber die Pluralität des Volks, sondern von Leuten, die Gelegenheit gehabt haben sich in der Welt umzusehen. Geschmackvolle Leute wissen zu treffen, was allgemein gefällt. Man hat indessen Geschmack bloß anderer wegen. Alles Schöne sucht und liebt man für die Gesellschaft, und man kann es sich kaum vorstellen, was man nicht der Gesellschaft alles zu Gefallen thut. Man wählt ein schönes Weib nicht seinetwegen; [297] man nimmt sie, damit sie andern auch gefalle. Der Eifersüchtige macht hier keinen Einwand, sondern auch er wählt nicht anders.
PASTOR. Ein Garten gefällt in Gesellschaft; Wald, wenn wir allein sind. Ungesellige haben keinen Geschmack. Man sollte glauben, der Geschmack habe keine Regel, allein er hat seine Regeln. Man kann indessen nur durch Erfahrung darauf kommen.
HERR v. G. Wenn man Freunde hat, sendet man nicht zuvor Kundschafter aus, um zu fragen, was jeder essen will; indessen müßt es doch mit dem Teufel zugehen, wenn man nicht eine Mahlzeit anrichten sollte, die jedem gefiele.
PASTOR. Wenn Sie ihr das Leben absprechen, gut! so kann auch die deutsche Sprache zu der Ehre kommen, welche der griechischen und lateinischen, eben weil es selige und vollendete Sprachen sind, zusteht. Solang eine Sprache lebt, wird dieß Wort adelich, dieß bürgerlich, dieß bäuerisch, nachdem es die Mode will. Es geht mit den Worten, wie mit den Familien: dieß kommt empor, jenes fällt. Heut' ist es am königlichen Hofe, in der Epopee, willkommen, morgen findet man es schon bis im Schäfergedicht unausstehlich. Gedankenwendung, Denkart, alles ist im ägyptischen Diensthause der Mode. – Gewinnsucht, Eigensinn in der Nation, kann [298] Worte erhöhen und erniedrigen. Alle Münzen in einer lebendigen Sprache sind der Reduction unterworfen – und wenn dann die Tyrannei triumphirt, und Götzengräuel die heiligen Stätten schändet, wenn von den Tempeln des Geschmacks kein Stein auf dem andern ist, wenn Barbarei das Land deckt, sind Homer und Pindar, Virgil und Horaz –
HERR v. G. Wenn aber der Geist der Weltweisheit in einem Volke wohnt, welcher Tyrann kann da das Land verheeren?
PASTOR. Philosophie ist Festung, ich gesteh' es, wo ist aber eine, die unüberwindlich wäre? Die Wissenschaften, sie mögen bloß schön oder zugleich gründlich seyn (Kolorit, Geschmack, muß jedes Buch haben, wenn es nicht mathematisch ist), sind mit einander verwandt. Hatten denn die Alten kein Licht in der Weltweisheit? Wo bist du Sonne blieben, singt die christliche Kirche, und meine Frau mit ihr. Die schönen Künste und Wissenschaften sind die Mobilien, die Pretiosen. Die Hände der Noth greifen sie zuerst an; allein am Ende verbreitet sich die Tyrannei über alles – dürr ist das Land, das Volk in Ketten, der Priester des Wütherichs Gevatter – bis ein Heerführer in der Nation hervorragt, Feuer sieht, und nach den Schätzen der Alten gräbt – dann kommen auch tabulae naufragae der Natur zum Vorschein.
HERR v. G. Der Himmel wende diese Gefangenschaft von Deutschland und seinen Gränzen ab, und wenn Deutschland ja Ziegel streichen muß, und ihre Knaben in der Geburt erstickt werden, schenk' er ihnen Mosen, und führ' sie zurück nach Kanaan!
HERR v. W. Ohne durch eine Wüste zu gehen.
PASTOR. Noch ist Deutschland im Werden. Ein schönes Gewächs! wird man bald sagen. Noch ist es weit vom Luxus, der wie das eigene Fleisch und Blut der ärgste Feind ist, ein innerlicher Fresser, ein Bürgerkrieger. – Solang es einfältig ist, [299] schlecht und recht, wie die Natur einhergeht, wer kann es verwüsten?
HERR v. G. Deutschland fing mit Blitz, Donner und Hagel an, und das war (so finster es rings umher aussah, wie kann es anders bei Donner, Hagel und Wolken?) ein deutscher Anfang. Die asiati sche Banise, meiner Frau Leibroman, ist –
HERR v. W. Blitz, Donner, Hagel reinigt die Luft, und alles gedeiht wohl.
HERR v. G. Ich weide mich an der Vorstellung, daß Deutschland, das so vortrefflich zu blühen anfängt, auch Frücht' ansetzen werde zum ewigen Leben.
Wir feiern, fing Herr v. W. – an, als ob er den Faden gefunden hätte, den Herr v. G. – und mein Vater verloren, wir feiern das selige Andenken unserer in Gott ruhenden Vorväter, die, wenn gleich sie ein Glas über Durst tranken, dieß und noch mehr in Ehren thaten, und Wein und ein Kuß in Ehren, soll niemand wehren.
HERR v. G. Sie gaben Gott was Gottes, dem Kaiser was des Kaisers, dem Freunde was des Freundes, ihren Weibern was der Weiber war.
PASTOR. Sie waren tapfer, ohne durch ein Aushängeschild [300] ihren Muth zu verkündigen. Frisches, unvergiftetes Blut röthete ihre Wangen, sie liebten ihre Weiber wie Menschen, ihre Freunde wie Engel, wie starke Geister. Sie waren beglaubt ohne Schwur. Wollte Gott, daß ihre Kinder eine solche Denkungsart nie unter das alte Eisen legen möchten!
HERR v. G. Wir feiern die selige Zukunft, da sich die Wissenschaften zu diesen deutschen Eigenschaften wie Weib zum Manne gesellen, und nichts soll dieses Paar scheiden! Jeder, der in Curland deutsch spricht, empfinde, daß er ein deutscher Nachbar, ein Mitdeutscher sey!
HERR v. W. Damit wir uns dem Genie einer Sprache bequemen, die zur Bescheidenheit und zur Höflichkeit, zum Unterschiede zwischen Herr und Knecht geboren ist. So rauh auch unsere Vorfahren waren, so rauh ihre Sprache auf uns gebracht worden, die noch bis diesen Augenblick nicht über alle Botmäßigkeit des Vorwurfs erhaben ist; so sehr unterscheidet sie sich von allen Sprachen, wegen des in ihr liegenden Originalstoffs zur Höflichkeit. Was schadet ein harter Ton, wenn die Kraft der Sprache ihn widerlegt?
Hier entstand Krieg und Kriegsgeschrei. Endlich hatt' alle Fehd' ein Ende. Ein Friedensartikel war, daß Herr v. W. – diesen Tag, als Fest der Deutschen, auf Kindeskind bringen würde.Omne trinum perfectum perorirte Herr Hermann, dem es mit diesem lateinischen Brocken besser ging, als mit dem Tempel der Diana. Fest der Deutschen, fuhr Hermann fort, mütterlicher Geburtstag (die Mutter des Herrn v. W. – hatte an diesem Tage das Licht der Welt erblickt), vorläufiger Verlobungstag. – Man dachte auf feierliche Einweihung dieses Festes, und es ward ein Schäuer gebracht, welchen der Herr v. G. – zu leeren anfing [301] und den er die Runde gehen ließ. Herr v. W. – war außer sich wegen dieser feierlichen Anstalten. Ich hätte dieses wissen sollen, sagte er. An ihn kam der Schäuer zuletzt. Sein Dank war rührend. Der gute Mann jammerte mich, und, wie ich hoffe, wird er alle meine Leser jammern. Er ließ eine Thräne in den Wein fallen, die er lange gesammelt hatte. »Diese heilige Thräne,« fing er an, »Allerseits Hochwohlgeborne, Wohlehrwürdi ger und Hoch-Edler, Hoch- und Werthgeschätzte Herren und Freunde, diese heilige Thräne,« mehr erlaubte ihm die Wehmuth nicht. – Da man einsah, daß Herr v. W. – kein Wort mehr in seiner Gewalt hatte, fing mein Vater an:
PASTOR. Wer allein trinkt, schämt sich. Wer in Gesellschaft trinkt, stärkt sein Leben. – Wir bringen uns durch den Trunk in Norden in ein besseres wärmeres Klima. Wir sind im Geist in dem Lande, wo der Wein gewachsen ist, den wir trinken; Branntwein macht heimlich, Bier schwer, Wein gesellig.
HERR v. G. Im Weine ist Wahrheit.
PASTOR. Das Temperament nicht, aber die Gesinnung kann man durch den Trunk beim Menschen erkennen – allein auch das Essen verändert den Menschen, und öffnet verborgene Kammern. Leute, die sich im Trinken vor Spionen hüten, sind nur auf einer Seite gedeckt. Ist der Mensch trunken, so ist er schwach, und das ist Glück für ihn, sonst würde er seinen Phantasien nachlaufen und Schaden nehmen; so wie ein Nachtwandler, wenn er die Augen brauchen könnte. Der Wein löst die Zunge bei Leuten, die in sich gekehrt sind. Schwätzern, die einen witzigen Einfall zu verbeißen für Kindermord halten, und ihre Schwangerschaft nicht verheimlichen, sondern lachen, ehe sie noch entbunden sind, Schwätzern stopft der Wein den Mund. Es ist diese Wirkung eine besondere Sache; indessen bestätigt sie die Erfahrung. Jeder kluge Mann spricht, wenn er ein Glas getrunken, und jeder Narr verstummt, und [302] wenn er ja zu sprechen sich erkühnt, ist es so etwas Unausstehliches, daß niemand lacht, als er selbst. – Anderer Art Narren, die sich nur dadurch von ihm unterscheiden, daß sie nicht lustige Rollen spielen, sondern stillnärrisch sind, selbst die achten sich zu gut, Theil an ihren beredten Landsleuten zu nehmen. – So unterschieden, wie Bauern und Astronomen den bestirnten Himmel ansehen, so unterschieden ist hier die Wirkung des Weins.
HERR v. G. Pastor, für dieß Wort zu seiner Zeit. Das Wort zu seiner Zeit!
Sie tranken alle.
PASTOR. Leute, die eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die im Staat bezeichnet sind, können sich nicht betrinken, ohne sich verächtlich zu machen – wie zum Exempel Pastores und Juden. Alles läuft ihnen nach. – Man sieht den Noa, wenn man einen trunkenen Pastor und Juden sieht. In England, wo ein Prediger kein Erzvater ist, würde es weniger anstößig seyn, einen kopfhängenden Pastor in betrunkenem Muthe zu sehen.
HERR v. G. Ein Schwärmer ist ein Seelentrunkener. Wenn ich schon nüchtern unter Trunkenen seyn soll, will ich lieber unter Leibes- als Seelentrunkenen seyn. Betrunkene verstehen sich unter einander; so auch Schwärmer.
PASTOR. Durch den Körper haben wir Anschauung. Wer mit der Seele sieht, ist ein Schwärmer, ein Geisterseher. Ein Enthusiast ist ein edler Phantast. Ein Phantast glaubt etwas zu empfinden, was er sich einbildet. Insofern sein Ideal sein Maximum, das er sich ohne Sinnen aus sich selbst denkt, einen ruhmwürdigen Gegenstand trifft, ist's Enthusiasmus. Ueber Schwärmerei und Seherei muß man reden, wenn man, wie wir, ein paar Gesundheiten getrunken hat.
HERR v. G. Lieber Pastor, ich habe mir unter einem Schwärmer einen Menschen vorgestellt, der tanzen will, und nicht Takt [303] halten kann. So wie die Biene um eine Blume herumsummt, und hie und da was herauszieht, so auch ein Schwärmer mit seinem Gegenstande. Nicht jeder Schwärmer kommt an einen Lindenbaum. Honig macht er gar nicht.
PASTOR. Ein Schwärmer rechnet, ohne das Einmaleins der Seele zu wissen, er baut, ohne ein privilegirter Architekt zu seyn. Die Philosophen bedenken sich oft zu lange, ein Schwärmer oft zu kurz. Der Philosoph sieht nach der Uhr, der Schwärmer nach der Sonne. Der Schwärmer ist eher Feldherr, als ein Philosoph; oft zeigt der Schwärmer dem Philosophen kühne Wege; der Philosoph pflastert sie, und dann geht sie jedermann. Der Tag gehört dem Philosophen, so wie die Nacht dem Schwärmer.
HERR v. W. Das Gallakleid der Mannsperson, das Negligé der Dame.
HERR v. G. Hab' ich Recht, Pastor, ein Hypochondrist ist ein Mensch, der sich selbst, wie ein Geiziger seinen Kasten, bewahrt der sein Leben lieb hat. –
PASTOR. Und es eben darum verliert.
HERR v. G. Ich würde, wenn der Mensch an der Seele krank ist, die Kur des Leibes, und wenn er am Leibe hinfällig ist, die Seelenkur vorschlagen. Diese sympathetischen Mittel sind nicht zu verachten.
Die Kleine schritt ohne Umstände zum Werke.
FRAU v. W. Das strengste Augenmaß und Händegewicht, so ich kenne, Oel, Essig, Salz. – Jeder Blick, jeder Griff trifft. Sie schneidet alles ohne Elle. Sie mißt kein Band.
[304]HERR v. G. Wir wollen, um sie auf die Probe zu stellen, alle Augen auf sie richten, ich wette, sie ärgert sich, und gibt zu viel Essig.
Das Fräulein v. W. lächelte bei diesem examine rigoroso, ohne aus der Fassung zu gleiten. Der Salat erhielt allgemeinen Beifall. Der Braten ward hinterher gegessen, wie erwiesen war. Bei dieser Gelegenheit votirten wir ab (da dieses den obigen Grundsätzen nicht entgegenstand), daß alle Speisen und Getränke, die öffentlich abgebrauen und angerichtet würden, durch Frauenzimmerhände gehen müßten. Es ist, sagte.
Das Fräulein v. W. mit dem vortrefflichen Augenmaß und Handgewicht bat, nachdem sie ihre Salatpflicht, die sie vielleicht noch so lange zurückgehalten, mit dem Salze vollendet, Erlaubniß von ihrer Mutter, frische Luft zu holen. Ihre Bitte that sie sehr beredt mit dem rechten Auge. Sie erhielt, was sie wollte; ich drang mich auf, sie zu ihrer Aufseherin zu begleiten. Sie ging, wie aus einer belagerten Stadt. Der jüngere Herr v. G. würde mir diese Ehre der Begleitung gern ganz abgetreten haben, wenn seine gnädige Mutter ihn nicht zu seiner Bräutigamspflicht aufgefordert hätte. Wir gingen und kamen, ohne eine Sylbe zu sagen. – Indem ich mich setzte.
HERMANN. Schön, sagte der Jude, nachdem er das Porcellan gesehen. Ich bitte, damit Sie sich nicht mehr als einmal ärgern, einen Tag anzusetzen, an dem alles auf einmal in Stücken gebrochen werde.
HERR v. G. Ich kann den Herrn v. –s mir vorstellen. Der witzige Jude hat indessen Unrecht. Selbst die Art, womit man dergleichen zerbrechliche Dinge behandelt, machen sie angenehm. Man denkt mehr daran, man genießt sie also mehr. Pastor, Sie [305] sprachen gestern wider die Gleichförmigkeit bei Trink- und Eßgeschirren? –
PASTOR. Jedes meiner Hühner ist von anderer Art. Jede Tasse sollte eine andere Malerei auszeichnen. So wie Tapeten zu einem Zimmer voll Schildereien, so mein Vorschlag zu einem Service. Beim Service liegt eine gewisse Idee vom Geiz, der sich aber auch hier wie allemal im Wege ist, denn wenn ein Stück aus dem Service zerbricht, hat das Ganze keinen Werth mehr.
HERR v. G. Was auf bloßen Nutzen ausgeht, muß gleichförmig seyn. Die Franzosen zeichnen alle nach einem Muster; die Engländer auch. Alles ist Service bei ihnen, ihre Werke sind Tapeten. In Deutschland, wie verschieden ist Klima und Regierungsform. Sie können werden, Pastor, wie Ihre Hühner. Sie können Schildereien aufstellen.
Es ward Champagner gebracht, und ein anderer Pokal klar wie Krystall. Mein Vater hatte (ich ergänze mein Protokoll) bei dem ersten Pokal die Bemerkung gemacht, daß nichts unstimmiger, unrichtiger wäre, als geschliffenes Glas zum Trinkgeschirr. Der Wein, sagte er, ist für das
Auge eben so, wie für Nase und Mund.
Man trank das Wohl aller ehrlichen Wei ber.
Herr v. W. hätte das Weiber gern zierlicher gegeben, und es in Damen verwandelt, wenn er nicht besorgt hätte, wegen Diebshehlerei vom Herrn v. G. in Anspruch genommen zu werden, der ihn sich wegen des Festes der Deutschen bis zur Thräne verpflichtet hatte. Auch das Beiwort ehrlich war dem Herrn v. W. [306] anstößig; indessen rügte er auch diesen Verstoß nicht, des Festes der Deutschen wegen.
Herr v. G. leerte noch einen Pokal voll Rheinwein auf die Gesundheit der Frau v. W. rein aus, und ich bückte mich tief, als ob ich daran Theil nähme.
HERR v. W. blieb diese Höflichkeit nicht schuldig, sondern erwiederte sie, mit allen Zeichen der Dankbarkeit, durch ein gerüttelt, geschüttelt und überflüssig Maß Champagner, den er nicht wie Herr v. G. eingoß; sondern einsprudelte.
HERR v. G. Warum Wind, Herr Bruder?
HERR v. W. war dieser Frage wegen in Verlegenheit, antwortete keine Sylbe, sondern bewies durch eine Nagelprobe, daß er den Pokal geizig, bis auf den letzten Tropfen, geleert halte.
Es kam bei dem Herrn v. X. noch ein Staatsfeuer aus, welches aber gleichfalls, durch die vortrefflichen Anstalten, sogleich in der Geburt erstickt ward, und da die Herren v. X., Y., Z., die außer curischen Staatsangelegenheiten nichts mehr als höchstens von Pfeifenköpfen und Hunden zu sprechen wußten, sehr viele lange Weile gehabt, so fing Herr v. G., um die Herren v. X., Y., Z. zu entschädigen, an, ein Kappfenster bei der gepreßten Luft, welche diese Leute umzingelt hatte, zu öffnen.
HERR v. G. Es ist wohl kein Land in Europa, wo die Hunde so viel geachtet werden, als in Curland und Semgallen.
Die drei Herren fielen mit Hundeshunger dieser Unterredung zu. Die Transplantation des Gesprächs war, wie in der Heilungskunst, magnetisch, magisch – ich müßt' indessen eine Unwahrheit begehen, wenn ich behaupten sollte, daß ich bei dem Jagd- und Waldgeschrei der Hochwohlgebornen Jäger v. X., v. Y., v. Z. alles in Dach und Fach hätte bringen, und mir hinter das Ohr schreiben können. Ihr Gespräch war ein Gesammtkauf, nicht eine Klapper, sondern eine Geschreijagd. Einer schoß dem andern [307] das Wort von dem Munde. – Mein Vater pflegte zu sagen: »Ein gewisser Stand in Curland am Pfropfenzieher, ein gewisser anderer am meerschaumenen Pfeifenkopf.« Ich würde, wär' ich so ein Antagonist wider Curland wie er gewesen, die Hunde nicht übergangen haben. Die Herren von X.Y.Z. begnügten sich nicht mit ihren sehr gesunden Jagdkehlen. Während der Zeit, daß Herr v. G – ihnen so liebreich entgegen gekommen, hatt' einer von ihnen einen Ueberfall veranlaßt. Es ließen sich zwei Waldhornisten, zum höchsten Verdruß des Herrn v. W –, der nur Kammermusik liebte, hören. Herr Hermann trug die Schleppe dieser Meinung nach, und rümpfte, wiewohl, da er nicht einmal die Hunde der Herren von X.Y.Z. zu duzen sich unterfangen hätte, wenn er mit diesen Hunden conversiren sollen – nur unter der Serviette die Nase.
Mein Reisegefährte war begeistert, und konnte nicht sitzen bleiben.
Die Herren v. X.Y.Z., die den Hunden, nach Landesmanier, gleich nach dem Literatenstande den Rang anwiesen, behaupteten in corpore, daß der Hund wegen seiner Treue ein weltberühmtes Thier sey.
PASTOR. Auch wegen seiner Gierigkeit, seines Neides, und seiner Nicken. Vater- und Kindermördern ward er beigepackt.
CAVE CAVE CANEM.
X.Y.Z. Der Hund bewacht' im Kasten Noa die ganze Welt.
HERR v. G. Ei, der Archenhahn und die Gans, von welcher in gerader Linie die aus dem Capitolio abstammte.
Bei dem Capitolio brauchten die Herren v. X.Y.Z. eine Fähre zum Ueberfahren.
X.Y.Z. Hunde sind die Auxiliartruppen vom Menschen, [308] durch deren Allianz er die meisten Thiere zwingt, die nach dem Fall Adam seinen Commandostab verkennen.
X.Y.Z. Was ist fleißiger, als ein Spürhund, behender als ein Windhund? Dieß ward von allen zugegeben. Der jüngere Herr von G – schlug an seine Brust und betheuerte. Herr v. G – der ältere war selbst ein großer Freund, nur kein Sklave von der Jagd, und ich merkte zum erstenmale an meinem Vater, warum er sich lieber des meerschaumenen Pfeifenkopfs und des Pfropfziehers als der Hunde bedient, um gewisse Stände in Curland zu bezeichnen. Mein Vater hielt die Hunde für wohlhergebrachte adeliche Thiere. Die Herren v. X.Y.Z. waren mit den erschrienen Trophäen befriedigt, ihre gnädigen Frauen aber hatten noch eine Frage: »Was ist schmeichelhafter als ein Schooß-, ein Zimmerhündchen?«
FRAU v. W. Wer wird sich schmeicheln lassen? Wer sich verwöhnen? Wir haben Engel bei uns. – Wer wird Thiere in ihre Gesellschaft bitten – solang ich noch Menschen zu Freunden haben kann, warum zu Thieren? Warum soll ich nicht eher des Hirts Liese, die Gottes und mein Bild an sich trägt, erziehen, als den Fripon?
Sie sagte dieses nicht im Lehrton, wie ich's herschreibe, sondern allerliebst! – sie trieb auch zur Freude ihres Mannes die gnädigen Damen X.Y.Z. in die Enge; die Frau v. G – wollte die Frau v. W – ins Weite bringen, und nahm sich ihrer verstummten Gesellschaft an, mit der sie in Absicht dieses Punktes gleich dachte, über die sie sonst aber (sie hatt' einen G – zum Gemahl) unendlich erhaben war. Wir, beschloß die grundgütige Frau [309] v. W –, wir können schon in dieser Welt Engel werden, das Thierische ganz ablegen und auferstehen.
Dieses brachte meinen Vater geraden Weges auf die Seelen der Thiere, auf die himmlischen Sternbilder dieses Namens, und auf das Schicksal der Thiere in der andern Welt. Die Frau v. W – fand nichts dabei einzuwenden, die andern Damen aber, so sehr sie auch ihre Jolichens liebten, desto mehr. Sie lebten mit der Idee in Todfeindschaft, daß sie dort mit Kammerzofen in Einem Paar gehen, und in Gemeinschaft der Güter leben sollten, und dachten in ihrem Innersten: Stände müßten seyn. – Jetzt, da sie die Pforten der andern Welt sogar den Thieren geöffnet sahen, die ungefähr das dort vorstellen sollten, was hier der gemeine Mann; so waren sie über diese himmlische Toleranz so bitterböse, daß sie die andere Welt für ein Linsengericht verkauft hätten. – Diese Unterredung würde Schatten zu Herzenssilhouetten von diesen Damen abgeworfen haben; allein Herr v. W – hatte schon geraume Zeit darauf gedacht, einen Tag, eine Mahlzeit, die alleinannum siderum platonicum verdiente, nicht so unangemessen zu schließen. Dieser Tag war ihm merkwürdiger als der achtzehnte April, an welchem Alexander und Diogenes gestorben waren; die Herren v. X.Y.Z. schienen ihm wieder in Schlachtordnung, und sie waren es wirklich. Herr v. W – fing daher zur Zerstreuung von der Musik an, wozu ihm die Waldhörner Gelegenheit zubliesen. Herr Hermann fand sich hiebei getroffen, und wünschte nichts mehr, als ein Spinet, damit die Meinung des Herrn v. W – bestätigt würde, die darin bestand, daß die Feldmusik bloß zu Krieg und Jagd zu verbannen wäre. Mein Vater ließ den Harfenschläger Arion auf einem Meerschweine vorreiten. Die Herren v. X.Y.Z., gewohnt an die Jagdfolge oder das Recht, ein bereits angeschossenes Thier, welches auf eines andern Grund und Boden entflieht, zu verfolgen und zu erlegen, [310] waren eben bereit, die Waldhörner, um sie zu vertheidigen, zu überschreien. Von diesem Plan wären sie nicht abgegangen, wenn selbst das erwünschte Spinet, wie lupus in fabula geheult hätte; allein das Meerschwein und Arion kamen ihnen so unerwartet, als ein Wild oder Hirschkalb. – Sie waren, außerdem daß sie jagdgerechte Weidmänner waren, auch gute Stallmeister, und wunderten sich höchlich über diesen Ritt. Herr v. W – machte von diesem Zeitpunkt Gebrauch, und befragte meinen Vater, was er überhaupt von der Musik dächte?
PASTOR. Ich bin für die Musik der Seelen, so nenn' ich ie Poesie, für die Harmonie der Sphären, die dem platonisch-philosophischen Ohre hörbar ist. – Was die andere Musik betrifft, so fällt mir oft dabei ein, wie Dionysius einen Musikus behandelte. Er versprach, ihn reichlich zu belohnen, und da er den Lohn abforderte, verwies er ihn aufs Gehör, um Null mit Null aufgehen zu lassen.
Der Herr v. W – fand diese Antwort für einen Dionysius viel zu sein, und gewiß würde er die Waldhornisten, so höflich er übrigens war, anders abgefertigt haben. Aus Angst und Noth Der natürliche Weg zum Wortspiel. kam Herr V. W – aufs Spiel, und freute sich herzlich, da er das Interesse bemerkte, das die Herren v. X.Y.Z. an diesem Worte nahmen.
PASTOR. Es verdrießt ihn, daß er es nicht gleich mit einem Blick umzingelt, und eben dieser Verdruß zerstreut ihn.
HERR v. G. Das Kartenspiel ist ein Krieg. Alle Leidenschaften ziehen zu Felde. Man hat über die Moralität des Spiels [311] gestritten, allein oft aus sehr falschen Gesichtspunkten. Einem Mann, der von Zinsen lebt, ist das Spiel ein Amt, und so etwas von Amt ist nöthig, um die nöthige Portion Galle in den Magen zu sprengen.
Herr v. W – glaubte sein Spiel hierdurch gewonnen zu haben, allein die Sache wurde den Herren von X.Y.Z. nicht nach ihrem Sinn abgehandelt, und sie fingen auf gut weidmännisch den Hafen zu anatomiren an. Mein Reisegefährte wußte so gut wie sie, was Balg, Löffel und Sprünge hieße, und was es sagen wolle, der Hase drückt sich. – Man handelte die Hohe-, Mittel- und Niederjagd ab. Ich ärgerte mich nicht wenig, daß Lerchen und Wachteln mit Mardern und Heistern zur Niederjagd gehören; allein der Herr v. W – ärgerte sich noch weit mehr, daß er aus dem Regen unter die Traufe gekommen war. – Alles war über und über. – Herr v. W – mußte also aus der Noth eine Tugend machen, und bracht' eine Gesundheit auf die glückliche Reise des jungern Herrn v. G – in Vorschlag. Ich hatte die Ehre mit eingeschlossen zu werden, so wie unsere beiden Väter. Diese Gesundheit wurde unter dem Vorsitz des Herrn v. W – geblasen – und zwar, nach des Herrn v. W. – Anordnung, auf die Art, als wenn Kanonen gelöset würden. Es war ein jämmerlicher Ton. Dem wohlmeinenden Herrn v. W – ging er durch die Seele. Er hatte noch etwas wegen der Kuchen anzubringen. Das Resultat seiner Meinung war, daß gewisse Signaturen dabei angebracht, und Trauer- und Freudenfeste darauf bezeichnet werden könnten. Herr v. G – widersprach. Frau v. G – brachte das Wappen in Vorschlag, welches sie in jeder Serviette gewebt hatte. Die Waldhörner hörten nicht auf, und der Herr v. W – bekam Seelenkrämpfe, die ihm mein Vater, wiewohl nur auf eine kurze Zeit, durch eine freundschaftliche Theilnehmung linderte.
Der Name Waldhorn deutet schon an, sagte mein Vater, daß [312] dieß Instrument im Walde zu Hause ist, wo Dissonanzen so nicht zu bemerken sind. Das war dem Herrn v. W – Balsam; indessen griff der vorige Schmerz wieder um sich, und Herr v. W – schien zu meinem Vater das Zutrauen zu verlieren, da mein Vater wider alle Tafelmusik sich erklärte. Es ist ein schlechtes Compliment, das der Wirth sich selbst und seinen Gästen macht, erinnerte mein Vater, wenn er das Gespräch an der Tafel durch Musik unterbricht. Hr. v. G – glaubte die Tafelmusik, wenn es eine Kammermusik, wäre bei gewissen Festen nöthig, und fand also nirgend Trost. – Das letzte. Mittel war, die Tafel aufzuheben. Herr v. W – griff so schwer dazu, als man zum Trepan greift. Was war zu machen? Die Herren von X.Y.Z. hatten, ohne die öffentlichen Gesundheiten abzuwarten, reichlich den Werth des Weins bewiesen, und die Tafel mußte (Herr v. W – mochte wollen oder nicht) aufgehoben werden.
Die letzte Gesundheit und Schluß der Tafel war Luthers Gesundheit:
»Daß es uns wohlgeh' auf unsre alte Tage!« Der Herr v. G – wollte noch besonders des seligen Dr. Luthers Gesundheit in Rheinwein trinken, es war aber schon alles auf den Beinen.
Herr v. W –, dem Profit die Mahlzeit viel zu unhöflich war, wollte ganz was besonders sagen; allein könnt' er vor den Waldhörnern? Alles ging seinen eigenen Weg. Ich, zu meinem Vortheil, quartierte mich in ein klein Zimmerchen ein, wo ich den heutigen Tag in Kürz' und Einfalt wiederholen wollte. Dieser Umstand ließ mich hören, was meine Leser lesen sollen.
DER ALTE. Ich schäm' mich es zu sagen, da ich Sie sehe. Es ging mir, wie dem ungerechten Haushalter – ich schämte mich zu betteln.
HERR v. G. Vater! – wäret Ihr mein leiblicher Vater, ich würd' mich Eurer nicht schämen. Dieß habt Ihr aber freilich nicht wissen können. Ich habe gute Freunde bei mir, seyd so gut, einer davon zu seyn.
DER ALTE. Was wichtiges, Herr! zu ster ben – ich will es wohl alles sagen, wenn wir allein sind – (ich hielt den Odem zurück), ich habe nur höchstens acht Tage zu leben.
HERR v. G. Wie wißt Ihr das?
DER ALTE. Das weiß ich so – ich kann es selbst nicht sagen – weil ich es weiß, weil ich es fühle, weil es gewiß ist – und nun! Meine Tochter und ihr Mann haben mich zwei Jahr ernährt.
HERR v. G. Da haben sie ihre Pflicht gethan.
DER ALTE. Ich hatte mir so viel Geld gesammelt, um niemand aufs Alter beschwerlich zu fallen. Wie ging's? Ich lehnte dieß Gelb einem Cavalier; der aß und trank und war fröhlich und guter Dinge, bis er nichts wiedergeben konnte. Verzeihen Sie, gnädiger Herr! Sie sind ein Cavalier, allein ich sage die Wahrheit.
HERR v. G. Und ich höre sie so gern, beträf' es mich selbst, als Ihr sie nur sagen könnt.
DER ALTE. Klüger wär's gewesen, wenn ich mich zu Tode gearbeitet hätte. – Da fiel ich einmal blaß und bleich hin, und das hielt ich für Gottes Wink, in dieser Welt zu schließen. [314] Gnädiger Herr, ich habe nicht die Arbeit gescheut; wie ich jung war, kurirt' ich mich mit Arbeit, ich habe nie andere Medicin gebraucht. Was einen in der Jugend stärkt, schwächt im Alter – ich konnte nicht, Herr, ich hatte schon ein halb Jahr bloß gebetet und gesungen, da ging mein Gelb verloren; ich versuchte meinen Arm, ich fing an zu wollen, ich wollt' im ganzen Ernst; allein ich könnt' nicht, ich konnt' nicht – verzeihen Sie diese Thränen. Ich habe keine betrübtere Stunde als eben diese Probestunde gehabt, wo ich so schlecht bestand.
HERR v. G. Da gingt Ihr zu Euren Kindern?
DER ALTE. Ja, Herr, und sie kamen mir entgegen. Ich habe nur eine Tochter, ich fand aber an ihrem Mann einen Sohn. Was sie hatten, hatt' ich. Sie pflegten mich, obgleich ich ihnen keinen Dreier nachlassen konnte. Gott labe sie dafür an seinem himmlischen Freitisch auch aus Gnad' und Barmherzigkeit, wie sie's hier an mir gethan.
HERR v. G. Und jetzt, Vater, sind sie gegen Euch kälter?
DER ALTE. Nein, Herr, das nicht! aber sie sind arm geworden. Das Gewitter schlug ihr Häuschen zu Grunde. Sie hatten etwas zu meinem Begräbniß abgelegt – ich bin so ein alter Geck auf ein ehrliches Begräbniß, und diesen Sterbepfennig, Herr, haben sie angegriffen – darum geh' ich betteln. Wenn ich sterbe, sollen sie die unvermuthete Freude haben, mein Begräbniß bestellt zu finden. Sie hatten geborgt, Herr, um mir nach meinem Tode zu Gefallen zu leben, das weiß ich; allein das wollt' ich nicht. So bin ich, Herr, ein alter Mann, allein ein junger Bettler!
DER ALTE. Das ist brav, gnädiger Herr! In acht Tagen sehen Sie gen Himmel, dann (Gott sey gedankt), dann ist meine Wohnung nicht mehr geheim.
HERR v. G. Aber wo glauben Euch jetzt die Eurigen?
DER ALTE. Ich sagt', ich hätt' ein Gelübde auf mir und müßte nach Gottes Welt sehen; sie wissen, daß es mein letzter Gang ist.
HERR v. G. Nehmet, Vater, Gott sey mit Euch!
DER ALTE. Herr, so viel! Nein, Herr, so war es nicht gemeint. Ich brauche nur noch zwei Orte, das übrige hab' ich nicht nöthig. Im Himmel brauch' ich nichts.
DER ALTE. Nun dann sind wir's beide. Ich bin es auch über und über, weil ich zwei Ort' angenommen. Sparen Sie, gnädiger Herr, das übrige für Leute, die länger für Sie beten können als ich.
DER ALTE. Nein, Herr, ich will dem lieben Gott nicht ins Amt fallen. Alle Leute, die mich sahen, boten mir Essen an. Ich [316] habe mir aber den Magen nicht verdorben. Es wär' ein schlechter Dank beim lieben Gott, wenn ich jetzt mitnehmen sollte. Doch – ein Glas Wein, ein einziges!
HERR v. G. Mehr, Vater!
DER ALTE. Nein, Herr, nur eins. Mehr trag' ich nicht. – Sie sind es werth, daß ich zum letztenmal vom Gewächs des Weinstocks bei Ihnen trinke. Es soll der letzte Weintropfen seyn, den ich in der Welt nehme, sonst würd' ich nicht gefordert haben. Nun kann ich im Himmel erzählen, wo ich den letzten Labetrunk genossen. – Lieber Gott, ein Glas kalt Wasser bleibt schon nicht unvergolten.
Der Herr v. G – holte den Wein selbst, der alte Mann hob seine Hände gen Himmel, da er allein war, und sprach.
Den letzten Wein! Das Nachtmahl hab' ich schon vor acht Tagen genommen. Lieber Gott, erquicke den Geber, wenn ihn kein Trunk mehr erquickt!
DER ALTE gen Himmel. Habe Dank, lieber Gott, für alles Gute, für diese Welt habe Dank! Er trank etwas. jetzt Zum Herrn v. G –, sie stießen zusammen. Gott schenke Ihnen ein sanftes Ende, wie ich's gewiß haben werde!
HERR v. G. Vater, bleibt diese Nacht hier, ich bitt' Euch. Kein Mensch soll Euch sehen, wenn Ihr es so wollt.
DER ALTE. Herr, ich wünscht' Ihretwegen, daß ich noch mehr brauchte. Sie sind ein guter Herr; allein ich hab' auf der [317] Welt nichts mehr als – noch einen Handschuh nöthig. Ich hab' ihn verloren.
DER ALTE. Dieser Hand fehlt nichts. Es ist bloß die Linke, so die Luft nicht vertragen kann. – Ich werd' an Sie denken!
Noch war ich dieses Gesprächs wegen in einer unaussprechlichen Bewegung, in einer schwermüthigen Wonne – auf einem schönen baumreichen Kirchhofe, als Herr v. G – der jüngere mich im Namen meines Vaters aufsuchte. Ich flog, mein Vater reichte mir die Hand entgegen und ging mit auf unser Zimmer, stieß ein Fenster auf und fing an: »Ich dachte, Alexander, noch vierundzwanzig Stunden um dich zu seyn; mein Amt will mich. Der – ist im Letzten.«
Dieser arme Mann war ein Bekannter von uns. Das erst' und letztemal, da er eine Flinte losdrückte, oder vielmehr, da sie ohne sein Vorwissen und Mitwirkung in seiner unerfahrnen Hand losging, erschoß er seinen Sohn. Er wollte seiner Frau Bruder, [318] der auf Vogelwild ausgegangen war, eine unerwartete Freude ma chen und ihm in Jägeruniform entgegenkommen. – Das Trauerspiel geschah in dieses Jagdverständigen Hause und also nicht in unserem Kirchspiel, wo, wie meine Mutter zu sagen pflegte, die Erde keinen Tropfen unschuldig Blut (er wäre denn von einem Barbier verspritzt) getrunken hätte. – Knall und Fall! Die Gerichte sprachen ihn frei, allein er sich selbst nicht. Er hat sich nie in der Welt ein Lachen bereitet. Sein Weib starb aus Gram, mehr über den Gram ihres Mannes, als über den Verlust ihres einzigen Sohns. Dieser Unglückliche war jetzt in Seelenangst. Ich soll meinen Gerg sehen, rief er mal über mal. Er wollte, mein Vater sollt' ihm an die Hand gehen, wie er sich gegen seinen Sohn in der andern Welt führen sollte? Gott helf' ihm über, sagte mein Vater. Es ist schwer, wenn ein Vater seinem Sohn im Himmel abzubitten hat.
Ich erzählte meinem Vater den Vorgang zwischen dem Herrn v. G – und dem Alten. Diese Vorfälle (ich will mir die Ehr' erweisen und unsere Trennung mit in diese Summe bringen) brachten meinen Vater, der sonst, wie meine Leser wissen, sehr beredt war, zu einer rührenden Kürze. Ich lag an seiner Brust. Ob es hier am rechten Ort steht, kümmert mich nicht; allem ich habe nie meinem Vater die Hand geküßt. Küsse für Weiber, pflegt' er zu sagen.
Hier, fing er an, eine versiegelte Schrift! Oeffne sie nicht eher, als wenn du in der größten Noth bist. Ich wollt' ihn dieser versiegelten Schrift wegen, die zur Aufschrift ἀνέχου καὶ ἀπέχου hatte, befragen, allein er fuhr fort:
Unser Herr und Meister sagte zu seinen Jüngern: ich hab' euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es nicht tragen. Uns sind allen beiden die Thränen nahe. Der alte Mann mit dem einen Handschuh, der in acht Tagen sterben wird, und der Kreuzträger, der wegen des Grußes, womit er seinem Sohn im Himmel begegnen soll, verlegen ist (ich glaube, der Herr v. W – würd' es selbst seyn, wenn er in der Stelle dieses Armen wäre) haben uns äußerst bewegt. Ein Abschied, der auf einen nassen Boden fällt, bringt keine Früchte. Es ist ärger als der steinige Acker, den der alte Herr in Musik gesetzt hat. Ueberhaupt redet kein Mensch ein kluges Wort, wenn er Thränen in den Augen hat. Sey ein guter [319] Streiter, ein Alexander, kämpfe recht, so wirst du die Lebensessenz, das ist die Krone des Lebens, hier und dort empfahen!Amen.
* * *
Amen! auch in Absicht des ersten Bandes. Ich hoffe die folgenden zwei, die Ich noch zu laufen hab', in kurzem zu vollenden. Ueber diesen ontologischen Theil hätt' ich noch viel zu sagen; vielleicht aber heißt es auch von vielen meiner kritischen Leser, wie von meinem Vater und mir:
ihr könnet es nicht tragen!
Da jede Stadt, jeder Flecken zwei Thore hat, eines beim Eingang und eines beim Ausgang, so sey es mir erlaubt, denen, die in diesem Theile zu wenig Geschichte gehabt, schließlich den Trost zu lassen, daß die folgenden Bände sie entschädigen werden. Wer Romane liest, sieht die Welt im optischen Kasten, ist in Venedig, Paris und London, je nachdem die Bilder vorgeschoben werden. Dieses sey ein Wort ans Herz für die, welche meinen Lebenslauf zu sehr als Lebenslauf finden, wo dieEinheit der Zeit und des Ortes zu eng das Vergnügen verschränkt; denn wenn gleich meine Leser oft nur Thal, Berg und Gesträuch gesehen haben, so war es doch wenigstens nicht durchs Glas. Ein andermal von der gerechten Klage über die verkehrte Welt, daß Geschichte in vielen Fällen Roman, und Roman Geschichte geworden.
Ich wiederhole, daß ich mich befugt glaube, auf einforum privilegiatum Anspruch machen zu können, und nicht verbunden zu seyn, überall Recht oder Unrecht nehmen zu müssen. Druckfehler wolle der gerechte Richter (ich habe schon anderswo, eben da mir eineLese- und Buchstabirrecension über ein gewisses Buch zu Gesichte kam, gesagt, wie weit ich vom Druckorte bin, und füge diesem Umstande noch hinzu, daß ich sehr unleserlich schreibe) nicht rügen und der geneigte Leser selbst verbessern. – Mein Weib undKind bitten zu grüßen. Es mag übrigens dieser Nachtrag, wenn er nicht als ein zierlicher Nachbericht gelten kann, als ein Codicill, als eine donatio mortis causa, als ein Avertissement aufBlaupapier oder eine Nachricht für denBuchbinder angesehen werden.