Noth und Hoffnung

Ein Gespräch.


Nach dem Griechischen.

1.
Ihr Götter, weh mir, daß ich Noth und Gram
Zu Lebensführerinnen mitbekam!
Geängstiget von außen und von innen,
Wann werd' ich Ruh im Spiel der Welt gewinnen?
2.
Ihr Götter, wohl mir, daß Ihr Noth mir gabt
Und mit der Hoffnung Liebekuß mich labt!
Von außen soll die eine fort mich dringen,
Von innen macht's die andre mir gelingen.
1.
Der Fels des Sisyphus ist unsre Müh;
Sie steiget schwer, und schwerer sinket sie.
[374]
Ixion's Rad, es brennt in unserm Herzen,
Auch wenn mit Wolken wir und Hoffnung scherzen.
2.
Der Erde Saat ist unsre kurze Müh;
Sie sinket leicht, und frisch erstehet sie.
Wie junges Grün soll unsre Hoffnung grünen;
Bald ist es Frucht, wo Blüthen nur erschienen.
1.
Der Herbst entlaubt das Leben und den Hain,
Und Winterfrost wird Deine Hoffnung sein.
2.
Der Frühling kommt mit Hain und Hoffnung wieder,
Und süße Noth besingen alle Lieder.
Ihr Nachtigallen, klaget süße Pein,
Ihr Turteltauben, girret Liebe drein,
Ihr Knospen, sproßt der Mühe süßes Streben,
Ihr Lerchen, singt der Hoffnung Frühlingsleben!
1.
So will ich denn, des Lebens mich zu freun,
In Noth getrost, in Hoffnung glücklich sein.
Wenn unter Rosen oft auch Dornen stechen,
Von Dornen will ich meine Rosen brechen.

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TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Fünftes Buch. Noth und Hoffnung. Noth und Hoffnung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5744-D