[91] Streik

Ich fühle ein Zittern,
Wie glüht meine Seele!
Meine Nerven gewittern,
Wie wenn der Blitz in die Sturmnacht zuckt.
In Gelsenkirchen,
Im schwarzen Ruhrkohlenland,
Streiken die Grubenleute,
Und ist ein gewaltiges Wesen im Gange.
Man hat den Männern
Das Licht hoch angerechnet,
Das Sterbelämpchen der Fronfinsternis;
Man hat genullt
Und vom niedrigen Lohne gestrichen
Alle die Wagen,
Drin wie Kies in Gold
Steine zwischen die Kohlen
Spärlich geschlagen,
Drin die Stücke einmal zu klein geschlagen.
Und die man den Arbeitshunden gestohlen,
[92]
Hat nach dreien Tagen
Man ihnen wieder feilgespreizt
Mit Tigertatze
Zum höchsten Satze –
Ächzend den genullten Sack
Durfte das Pack
Nun selber teuer nach Haus sich tragen.
Und mit sinkenden Hungerlöhnen
Bei steigenden Nahrungspreisen
Wollte man sie gewöhnen,
Zur Überschicht in die Höhlen zu reisen.
Um zu leben,
Haben sie sich den Geldsäcken ergeben,
Verbrannt die Kohlen des eigenen Seins.
Nimmer, nimmer wurden
Sie des traurigen Lebens froh,
Steinkohlengüter für die zu hauen, zu heben,
Die Schaumglut saugen aus Champagnerreben
Der feurigen Erbfeindin
Witwe Cliquot.
Die menschlichen Arbeitstiere
Trugen ihr »freies Vertrags«-Glück
Mit wildem Weh,
Die göttlichen Börsenpapiere
Schlugen, ein Freiherrenwagstück,
In wilde Höh.
[93]
Die Mägen zu millionisieren,
Wurden die Muskeln genullt,
Da zerriß den armen Tieren
Der Strick der Geduld ...
Und hauen nicht mehr
Und schleppen nicht mehr
Und treiben nicht mehr,
Und die Wagen stehen kohlenleer.
In Kesselräumen spazieren umher
Die Inspizienten sohlenschwer.
Der Rotte mehr Lohn und feste Schicht?
»Erst Unterwerfung! Dann vielleicht
Sind wir geneigt,
Das zu bewilligen, was uns entspricht.«
Unterwerfen? Sklaven, Leibeigene und Hörige
Unterwarfen scheu sich dem Herrengesicht,
Der Arbeiter von neunundachtzig
Stirbt, aber unterwirft sich nicht ...
Meine Seele jauchzt,
Meine Saiten klingen,
Wie wenn der Orkan durch Harfen braust.
Bei den Werken
Um Dortmund, Bochum und Essen
Scharen die Männer sich zur Beratung
[94]
Fest und gemessen.
Zu den Fernsprechern stürzen
Die Inspektoren:
»Militär!
Sonst sind wir verloren.«
Mit Extrazug
Fliegen die rettenden Götter
Des Vaterlands.
Vor die schwarzen Hundsfötter
Blitzen Helmspitzen
Im Sonnenglanz.
»Seitengewehr – pflanzt auf!«
Spannend beklommen
Krümmt sich der Hauf
In sich zusammen. – –
Selig vom Kusse der Braut,
Zitternder Ahnungen voll
In die Nacht hinträumend,
Schreitet heimwärts
Friedlich die einsame Straße fort
Ein junger Bursch.
»Halt! Wer da?!« Kolbenstöße
Wuchten ihm zwischen die Rippen.
Entsetzengelähmt
Schwankt er zur Hütte:
[95]
»Vater, sie schlagen mich tot!«
Mit tastendem Tritte
Öffnet's die Türe:
»Sohn, was geschieht?
Komm nur, komm ruhig zu Bett!«
Blitzend ein Bajonett
Schlitzt durch das grobweiße Hemd
Dem greisen Hauer.
Todesschauer
Flirren im brechenden Auge ...
»Ach Gott! – Ach Gott!«
Krachend zurück schlägt's auf die Diele
Schwer,
Über ihn der Sohn. –
Der du 64,
66 und 70
Treu deinem Kaiser gedient,
Pulver- und sonnverbrannt,
Mit Gott für König und Vaterland –
Alter, du fällst auf dem Felde der Ehre!
Krämer und Schneider und kleine Rentiers
Trippeln aufs Trottoir aus dem Häuschen,
Tuscheln und zischeln ängstlich sich zu:
»Das Militär verhetzt uns die Leute,
Die Soldaten, Soldaten fort!
[96]
Und schon wieder ist Blut geflossen,
Eisenbahnpassagiere erschossen –
Das ist Mord.
Wenn der Kaiser nur käme
Und man ihnen den Willen täte!
Was sie fordern, ist nicht zu viel,
Und sie gehen ruhig aufs Ziel.
Sollen doch ordentlich weiterberaten!
Aber die verfluchten Soldaten
Treiben's mit einem Mal ins Extrem.
Unheil, Unheil!«
Schüsse fallen.
Husch, husch ins Häuschen, zischeln und tuscheln
Krämer, Schneider und kleine Rentiers,
Trippeln und hören mit klopfenden Herzchen
Die vorzüglichen Repetiergewehre knallen.
Zu Berlin
Im schimmernden Fahnenaudienzsaal
Vor dem Kaiser
Stramm ragen drei Abgesandte
Der Grubenleute im Sonntagsanzug.
Bergmann Schröder
Schlecht und recht
Dankt im Namen der Knappen,
Dankt für die Gnade,
[97]
Gehör zu finden.
»Wir verlangen,
Was wir ererbt,
Achtstündige Schicht,
Mehr vorderhand nicht.
Aber die Arbeitszeit muß sich mindern.
O Majestät,
Mit einem Wort
Können Sie furchtbares Elend lindern!«
Und der junge,
Dreißigjährige Thronherr
Im Generalsrock
Geruht zu reden.
Neben ihm der Adjutant,
Hinter ihm der Stenograph
Schreiben die väterlich
Strengen und warnenden,
Wichtigen Kaiserworte auf:
»Jeden Untertan
Hört natürlich
Des Herrschers Ohr.
Ich nehme Anteil,
Persönlichen Anteil
An Euch.
Ihr seid kontraktbrüchig.
Ihr habt Euch
[98]
Ins Unrecht gesetzt.
Meine Behörden
Werden nun prüfen,
Was Rechtens ist,
Und dann entscheiden.«
Pause.
Starr ins Auge
Forscht er dem Bergmann,
Dann:
»Solches sag Ich in Gnaden,
Und daneben allen Ernstes:
Seid auf der Hut,
Daß Ihr nicht Unrecht zum Unrecht tut!
Laßt Mir die Politik aus dem Spiel,
Kinder!
Denn verliert Ihr den Halt,
Fallt Ihr dem Aufruhr in den Schoß,
Wandelt Ihr auf verbotenen Wegen
(Und er schlägt mit der Faust auf den Degen,)
Brauch' Ich Gewalt,
Und Meine Gewalt ist groß.
Jeder Sozialdemokrat
Ist Mein Feind.
Unnachsichtlich schieße Ich scharf.
Bis jetzt hab Ich's noch gut gemeint,
Was Ich dann nicht mehr darf.
[99]
Fahrt nun nach Hause!
Geht an die Arbeit!
Seid willig!
Kinder!
Ich nehme Anteil,
Persönlichen Anteil
An Euch.«
Ein huldschwer Nicken.
Halbgläubig blicken
Die Bergmänner:
»Wir danken,
Daß Majestät uns gehört.
Wir sind nicht starrköpfig.
Adjes!«
Machen Kehrt,
Und langsam rücken
Mit breitem Rücken
Sie aus dem schimmernden
Fahnenaudienzsaal.
Und schon fahren zu Tausenden wieder
In die grausigen Tiefen sie nieder.
Viel hundert Fuß
Unterm Blumenboden,
Kaum grüßt der Sonne Gruß
Die Todmaroden.
[100]
Liegen im Höhlenwasser nackt,
Sind mit dreißig Jahren kontrakt.
Atmen Sumpfgrubengase,
Phosphorluft.
Infernalische Blumenvase
Haucht belebenden Maienduft.
Köstliche Frucht
Labt ihre Zungen,
Liebliche Sucht
Letzt ihre Lungen.
Achtstündig römisch-russisches Bad,
Drei Mark Badelohn obendrein:
Welcher beladne Kommerzienrat
Möchte nicht fröhlicher Bergmann sein?
Tonwolkengedränge!
Schwarzwildes Gemenge,
Hohl gewitternde
Rhythmenwucht ...
Leise zitternde
Hoffnungsklänge,
Froh erschütternde
Wetterflucht.
Mir brennt im Busen das Weltgebot.
Sie naht, sie naht,
Die Wende der Not.
[101]
Nun bin ich heiter bis in den Tod.
Aus der Tiefe
Seh ich sie steigen,
Die Erlösung
Unserer Welt,
Zittern werden die Schlechten und Feigen,
Wenn der menschenrettende Reigen
Seinen leuchtenden Einzug hält.
Kommt nun zu Hauf,
Edle von nah und weit!
Singt, sing der neuen Zeit
Jubelnd Glückauf!

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Henckell, Karl. Gedichte. Buch des Kampfes. Streik. Streik. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4F26-1