Erläuterungen
To
Lumley, Esquire,
Director
of the Theatre of Her Majesty the Queen
Dear Sir!
Eine leicht begreifliche Zagnis überfiel mich, als ich bedachte, daß ich zu meinem Ballette einen Stoff gewählt, den bereits unser großer Wolfgang Goethe, und gar in seinem größten Meisterwerke, behandelt hat. Wäre es aber schon gefährlich genug, bei gleichen Mitteln der Darstellung mit einem solchen Dichter zu wetteifern, wieviel halsbrechender müßte das Unternehmen sein, wenn man mit ungleichen Waffen in die Schranken treten wollte! In der Tat, Wolfgang Goethe hatte, um seine Gedanken auszusprechen, das ganze Arsenal der redenden Künste zu seiner Verfügung, er gebot über alle Truhen des deutschen Sprachschatzes, der so reich ist an ausgeprägten Denkworten des Tiefsinns und uralten Naturlauten der Gemütswelt, Zaubersprüche, die, im Leben längst verhallt, gleichsam als Echo in den Reimen des Goetheschen Gedichtes widerklingen und des Lesers Phantasie so wunderbar aufregen! Wie kümmerlich dagegen sind die Mittel, womit ich Ärmster ausgerüstet bin, um das, was ich denke und fühle, zur äußern Erscheinung zu bringen! Ich wirke nur durch ein magres Libretto, worin ich in aller Kürze andeute, wie Tänzer und Tänzerinnen sich gehaben und gebärden sollen und wie ich mir dabei die Musik und die Dekorationen ungefähr denke. Und dennoch hab ich es gewagt, einen »Doktor Faustus« zu dichten in der Form eines Balletts, rivalisierend mit dem großen Wolfgang Goethe, der mir sogar die Jugendfrische des Stoffes vorweggenommen und zur Bearbeitung desselben sein langes blühendes [28] Götterleben anwenden konnte – während mir, dem bekümmerten Kranken, von Ihnen, verehrter Freund, nur ein Termin von vier Wochen gestellt ward, binnen welchen ich Ihnen mein Werk liefern mußte.
Die Grenzen meiner Darstellungsmittel konnte ich leider nicht überschreiten, aber innerhalb derselben habe ich geleistet, was ein braver Mann zu leisten vermag, und ich habe wenigstens einem Verdienste nachgestrebt, dessen sich Goethe keineswegs rühmen darf: in seinem Faustgedichte nämlich vermissen wir durchgängig das treue Festhalten an der wirklichen Sage, die Ehrfurcht vor ihrem wahrhaftigen Geiste, die Pietät für ihre innere Seele, eine Pietät, die der Skeptiker des achtzehnten Jahrhunderts (und ein solcher blieb Goethe bis an sein seliges Ende) weder empfinden noch begreifen konnte! Er hat sich in die ser Beziehung einer Willkür schuldig gemacht, die auch ästhetisch verdammenswert war und die sich zuletzt an dem Dichter selbst gerächt hat. Ja, die Mängel seines Gedichts entsprangen aus dieser Versündigung, denn indem er von der frommen Symmetrie abwich, womit die Sage im deutschen Volksbewußtsein lebte, konnte er das Werk nach dem neu ersonnenen ungläubigen Bauriß nie ganz ausführen, es ward nie fertig, wenn man nicht etwa jenen lendenlahmen zweiten Teil des »Faustes«, welcher vierzig Jahre später erschien, als die Vollendung des ganzen Poems betrachten will. In diesem zweiten Teile befreit Goethe den Nekromanten aus den Krallen des Teufels, er schickt ihn nicht zur Hölle, sondern läßt ihn triumphierend einziehen ins Himmelreich, unter dem Geleite tanzender Englein, katholischer Amoretten, und das schauerliche Teufelsbündnis, das unsern Vätern soviel haarsträubendes Entsetzen einflößte, endigt wie eine frivole Farce – ich hätte fast gesagt wie ein Ballett.
Mein Ballett enthält das Wesentlichste der alten Sage vom Doktor Faustus, und indem ich ihre Hauptmomente zu einem dramatischen Ganzen verknüpfte, hielt ich mich auch in den Details ganz gewissenhaft an den vorhandenen Traditionen, wie ich sie zunächst vorfand in den Volksbüchern, die bei uns [29] auf den Märkten verkauft werden, und in den Puppenspielen, die ich in meiner Kindheit tragieren sah.
Die Volksbücher, die ich hier erwähne, sind keineswegs gleichlautend. Die meisten sind willkürlich zusammengestoppelt aus zwei ältern großen Werken über Faust, die, nebst den sogenannten »Höllenzwängen«, als die Hauptquellen für die Sage zu betrachten sind. Diese Bücher sind in solcher Beziehung zu wichtig, als daß ich Ihnen nicht genauere Auskunft darüber geben müßte. Das älteste dieser Bücher über Faust ist 1587 zu Frankfurt erschienen bei Johann Spieß, der es nicht bloß gedruckt, sondern abgefaßt zu haben scheint, obgleich er in einer Zueignung an seine Gönner sagt, daß er das Manuskript von einem Freunde aus Speier erhalten. Dieses alte Frankfurter Faustbuch ist weit poetischer, weit tiefsinniger und weit symbolischer abgefaßt als das andere Faustbuch, welches Georg Rudolf Widmann geschrieben und 1599 zu Hamburg herausgegeben. Letzteres jedoch gelangte zu größerer Verbreitung, vielleicht weil es mit homiletischen Betrachtungen durchwässert und mit gravitätischen Gelehrsamkeiten gespickt ist. Das bessere Buch ward dadurch verdrängt und versank schier in Vergessenheit. Beiden Büchern liegt die wohlgemeinteste Verwarnung gegen Teufelsbündnisse, ein frommer Zweck, zum Grunde. Die dritte Hauptquelle der Faustsage, die sogenannten »Höllenzwänge«, sind Geisterbeschwörungsbücher, die zum Teil in lateinischer, zum Teil in deutscher Sprache ab gefaßt und dem Doktor Faust selbst zugeschrieben sind. Sie sind sehr wunderlich voneinander abweichend und kursieren auch unter verschiedenen Titeln. Der famoseste der »Höllenzwänge« ist »Der Meergeist« genannt; seinen Namen flüsterte man nur mit Zittern, und das Manuskript lag in den Klosterbibliotheken mit einer eisernen Kette angeschlossen. Dieses Buch ward jedoch durch frevelhafte Indiskretion im Jahr 1692 zu Amsterdam bei Holbek in dem Kohlsteg gedruckt.
Die Volksbücher, welche aus den angegebenen Quellen entstanden sind, benutzten auch mitunter ein ebenso merkwürdiges Opus über Doktor Fausts zauberkundigen Famulus, [30] der Christoph Wagner geheißen und dessen Abenteuer und Schwänke nicht selten seinem berühmten Lehrer zugeschrieben werden. Der Verfasser, der sein Werk 1594, angeblich nach einem spanischen Originale, herausgab, nennt sich Tolet Schotus. Wenn es wirklich aus dem Spanischen übersetzt, was ich aber bezweifle, so ist hier eine Spur, woraus sich die merkwürdige Übereinstimmung der Faustsage mit der Sage vom Don Juan ermitteln ließe.
Hat es in der Wirklichkeit jemals einen Faust gegeben? Wie manchen andern Wundertäter hat man auch den Faust für einen bloßen Mythos erklärt. Ja, es ging ihm gewissermaßen noch schlimmer: die Polen, die unglücklichen Polen, haben ihn als ihren Landsmann reklamiert, und sie behaupten, er sei noch heutigentages bei ihnen bekannt unter dem Namen Twardowski. Es ist wahr, nach frühesten Nachrichten über Faust hat derselbe auf der Universität zu Krakau die Zauberkunst studiert, wo sie öffentlich gelehrt ward, als freie Wissenschaft, was sehr merkwürdig; es ist auch wahr, daß die Polen damals große Hexenmeister gewesen, was sie heutzutage nicht sind; aber unser Doktor Johannes Faustus ist eine so grundehrliche, wahrheitliche, tiefsinnig naive, nach dem Wesen der Dinge lechzende und selbst in der Sinnlichkeit so gelehrte Natur, daß er nur eine Fabel oder ein Deutscher sein konnte. Es ist aber an seiner Existenz gar nicht zu zweifeln, die glaubwürdigsten Personen geben davon Kunde, z.B. Johannes Wierus, der das berühmte Buch über das Hexenwesen geschrieben, dann Philipp Melanchthon, der Waffenbruder Luthers, sowie auch der Abt Tritheim, ein großer Gelehrter, welcher ebenfalls mit Geheimnissen sich abgab und daher, beiläufig gesagt, vielleicht aus Handwerksneid den Faust herabzuwürdigen und ihn als einen unwissenden Marktschreier darzustellen suchte. Nach den eben erwähnten Zeugnissen von Wierus und Melanchthon war Faust gebürtig aus Kundlingen, einem kleinen Städtchen in Schwaben. Beiläufig muß ich hier bemerken, daß die obenerwähnten Hauptbücher über Faust voneinander abweichen in der Angabe seines Geburtsorts. Nach der älteren Frankfurter [31] Version ist er als eines Bauern Sohn zu Rod bei Weimar geboren. In der Hamburger Version von Widmann heißt es hingegen: »Faustus ist gebürtig gewesen aus der Grafschaft Anhalt, und haben seine Ältern gewohnt in der Mark Soltwedel, die waren fromme Bauersleute.«
In einer Denkschrift über den fürtrefflichen und ehrenfesten Bandwurmdoktor Calmonius, womit ich mich jetzt beschäftige, finde ich Gelegenheit, bis zur Evidenz zu beweisen, daß der wahre historische Faust kein anderer ist als jener Sabellicus, den der Abt Tritheim als einen Marktschreier und Erzschelm schilderte, welcher Gott und die Welt besefelt habe. Der Umstand, daß derselbe auf einer Visitenkarte, die er an Tritheim schickte, sich Faustus junior nannte, verleitete viele Schriftsteller zu der irrigen Annahme, als habe es einen älteren Zauberer dieses Namens gegeben. Das Beiwort »junior« soll aber hier nur bedeuten, daß der Faust einen Vater oder älteren Bruder besaß, der noch am Leben gewesen, was für uns von keiner Bedeutung ist. Ganz anders wäre es z.B., wenn ich unserm heutigen Calmonius das Epithet »junior« beilegen wollte, indem ich dadurch auf einen ältern Calmonius hindeuten würde, der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gelebt und ebenfalls ein großer Prahlhans und Lügner gewesen sein mochte; er rühmte sich z.B. der vertrauten Freundschaft Friedrichs des Großen und erzählte oft, wie der König eines Morgens mit der ganzen Armee seinem Hause vorbeimarschiert sei und, vor seinem Fenster stillehaltend, zu ihm hinaufgerufen habe: »Adies, Calmonius, ich gehe jetzt in den Siebenjährigen Krieg, und ich hoffe Ihn einst gesund wiederzusehen!«
Viel verbreitet im Volke ist der Irrtum, unser Zauberer sei auch derselbe Faust, welcher die Buchdruckerkunst erfunden. Dieser Irrtum ist bedeutungsvoll und tiefsinnig. Das Volk identifizierte die Personen, weil es ahnte, daß die Denkweise, die der Schwarzkünstler repräsentiert, in der Erfindung des Buchdruckes das furchtbarste Werkzeug der Verbreitung gefunden und dadurch eine Solidarität zwischen beiden entstanden. Jene Denkweise ist aber das Denken selbst in seinem [32] Gegensatze zum blinden Credo des Mittelalters, zum Glauben an alle Autoritäten des Himmels und der Erde, einem Glauben an Entschädigung dort oben für die Entsagungen hienieden, wie die Kirche ihn dem knienden Köhler vorbetete. Faust fängt an zu denken, seine gottlose Vernunft empört sich gegen den heiligen Glauben seiner Väter, er will nicht länger im dunkeln tappen und dürftig lungern, er verlangt nach Wissenschaft, nach weltlicher Macht, nach irdischer Lust, er will wissen, können und genießen – und, um die symbolische Sprache des Mittelalters zu reden, er fällt ab von Gott, verzichtet auf seine himmlische Seligkeit und huldigt dem Satan und dessen irdischen Herrlichkeiten. Diese Revolte und ihre Doktrin ward nun eben durch die Buchdruckerkunst so zauberhaft gewaltig gefördert, daß sie im Laufe der Zeit nicht bloß hochgebildete Individuen, sondern sogar ganze Volksmassen ergriffen. Vielleicht hat die Legende von Johannes Faustus deshalb einen so geheimnisvollen Reiz für unsre Zeitgenossen, weil sie hier so naiv faßlich den Kampf dargestellt sehen, den sie selber jetzt kämpfen, den modernen Kampf zwischen Religion und Wissenschaft, zwischen Autorität und Vernunft, zwischen Glauben und Denken, zwischen demütigem Entsagen und frecher Genußsucht – ein Todeskampf, wo uns am Ende vielleicht ebenfalls der Teufel holt wie den armen Doktor aus der Grafschaft Anhalt oder Kundlingen in Schwaben.
Ja, unser Schwarzkünstler wird in der Sage nicht selten mit dem ersten Buchdrucker identifiziert. Dies geschieht namentlich in den Puppenspielen, wo wir den Faust immer in Mainz finden, während die Volksbücher Wittenberg als sein Domizil bezeichnen. Es ist tief bedeutsam, daß hier der Wohnort des Faustes, Wittenberg, auch zugleich die Geburtsstätte und das Laboratorium des Protestantismus ist.
Die Puppenspiele, deren ich abermals erwähne, sind nie im Druck erschienen, und erst jüngst hat einer meiner Freunde nach den handschriftlichen Texten ein solches Opus herausgegeben. Dieser Freund ist Herr Karl Simrock, welcher mit mir auf der Universität zu Bonn die Schlegelschen Kollegien über[33] deutsche Altertumskunde und Metrik hörte, auch manchen guten Schoppen Rheinwein mit mir ausstach und sich solchermaßen in den Hülfswissenschaften perfektionierte, die ihm später zustatten kamen bei der Herausgabe des alten Puppenspiels. Mit Geist und Takt restaurierte er die verlorenen Stellen, wählte er die vorhandenen Varianten, und die Behandlung der komischen Person bezeugt, daß er auch über deutsche Hanswürste, wahrscheinlich ebenfalls im Kollegium A. W. Schlegels zu Bonn, die besten Studien gemacht hat. Wie köstlich ist der Anfang des Stücks, wo Faust allein im Studierzimmer bei seinen Büchern sitzt und folgenden Monolog hält:
So weit hab ich's nun mit Gelehrsamkeit gebracht,
Daß ich allerorten werd ausgelacht.
Alle Bücher durchstöbert von vorne bis hinten
Und kann doch den Stein der Weisen nicht finden.
Jurisprudenz, Medizin, alles umsunst,
Kein Heil als in der nekromantischen Kunst.
Was half mir das Studium der Theologie?
Meine durchwachten Nächte, wer bezahlt mir die?
Keinen heilen Rock hab ich mehr am Leibe
Und weiß vor Schulden nicht, wo ich bleibe.
Ich muß mich mit der Hölle verbünden,
Die verborgenen Tiefen der Natur zu ergründen.
Aber um die Geister zu zitieren,
Muß ich mich in der Magie informieren.
Die hierauf folgende Szene enthält hochpoetische und tiefergreifende Motive, die einer großen Tragödie würdig wären und auch wirklich größern dramatischen Dichtungen entlehnt sind. Diese Dichtungen sind zunächst der »Faust« von Marlowe, ein geniales Meisterwerk, dem augenscheinlich die Puppenspiele nicht bloß in bezug auf den Inhalt, sondern auch in betreff der Form nachgeahmt sind. Marlowes »Faust« mag auch andern englischen Dichtern seiner Zeit bei der Behandlung desselben Stoffes zum Vorbild gedient haben, und Stellen aus [34] solchen Stücken sind dann wieder in die Puppenspiele übergegangen. Solche englische Faustkomödien sind wahrscheinlich später ins Deutsche übersetzt und von den sogenannten englischen Komödianten gespielt worden, die auch schon die besten Shakespeareschen Werke auf deutschen Brettern tragierten. Nur das Repertoire jener englischen Komödiantengesellschaft ist uns notdürftig überliefert; die Stücke selbst, die nie gedruckt wurden, sind jedoch verschollen und erhielten sich vielleicht auf Winkeltheatern oder bei herumziehenden Truppen niedrigsten Ranges. So erinnere ich mich selbst, daß ich zweimal von solchen Kunstvagabonden das »Leben des Fausts« spielen sah, und zwar nicht in der Bearbeitung neuerer Dichter, sondern wahrscheinlich nach Fragmenten alter, längst verschollener Schauspiele. Das erste dieser Stücke sah ich vor fünfundzwanzig Jahren in einem Winkeltheater auf dem sogenannten Hamburger Berge zwischen Hamburg und Altona. Ich erinnere mich, die zitierten Teufel erschienen alle tief vermummt in grauen Laken. Auf die Anrede Fausts: »Seid ihr Männer oder Weiber?« antworteten sie: »Wir haben kein Geschlecht.« Faust fragt ferner, wie sie eigentlich aussähen unter ihrer grauen Hülle, und sie erwidern: »Wir haben keine Gestalt, die uns eigen wäre, wir entlehnen nach deinem Belieben jede Gestalt, worin du uns zu erblicken wünschest; wir werden immer aussehen wie deine Gedanken.« Nach abgeschlossenem Vertrag, worin ihm Kenntnis und Genuß aller Dinge versprochen wird, erkundigt sich Faust zunächst nach der Beschaffenheit des Himmels und der Hölle, und hierüber belehrt, bemerkt er, daß es im Himmel zu kühl und in der Hölle zu heiß sein müsse; am leidlichsten sei das Klima wohl auf unserer lieben Erde. Die köstlichsten Frauen dieser lieben Erde gewinnt er durch den magischen Ring, der ihm die blühendste Jugendgestalt, Schönheit und Anmut, auch die brillanteste Ritterkleidung verleiht. Nach vielen durchschlemmten und verluderten Jahren hat er noch ein Liebesverhältnis mit der Signora Lucrezia, der berühmtesten Kurtisane von Venedig; er verläßt sie aber verräterisch und schifft nach Athen, wo sich die Tochter des Herzogs in ihn [35] verliebt und ihn heiraten will. Die verzweifelnde Lucrezia sucht Rat bei den Mächten der Unterwelt, um sich an dem Ungetreuen zu rächen, und der Teufel vertraut ihr, daß alle Herrlichkeit des Faust mit dem Ringe schwinde, den er am Zeigefinger trage. Signora Lucrezia reist nun in Pilgertracht nach Athen und gelangt dort an den Hof, als eben Faust, hochzeitlich geschmückt, der schönen Herzogstochter die Hand reichen will, um sie zum Altar zu führen. Aber der vermummte Pilger, das rachsüchtige Weib, reißt dem Bräutigam hastig den Ring vom Finger, und plötzlich verwandeln sich die jugendlichen Gesichtszüge des Faust in ein runzlichtes Greisenantlitz mit zahnlosem Munde; statt der goldenen Lockenfülle umflattert nur noch spärliches Silberhaar den armen Schädel; die funkelnde, purpurne Pracht fällt wie dürres Laub von dem gebückten, schlottrigen Leib, den jetzt nur noch schäbige Lumpen bedecken. Aber der entzauberte Zauberer merkt nicht, daß er sich solcherweise verändert, oder vielmehr, daß Körper und Kleider jetzt die wahre Zerstörnis offenbaren, die sie seit zwanzig Jahren erlitten, während höllisches Blendwerk dieselbe unter erlogener Herrlichkeit den Augen der Menschen verbarg; er begreift nicht, warum das Hofgesinde mit Ekel von ihm zurückweicht, warum die Prinzessin ausruft: »Schafft mir den alten Bettler aus den Augen!« Da hält ihm die vermummte Lucrezia schadenfroh einen Spiegel vor, er sieht darin mit Beschämung seine wirkliche Gestalt und wird von der frechen Dienerschaft zur Tür hinausgetreten, wie ein räudiger Hund. –
Das andre Faustdrama, dessen ich oben erwähnt, sah ich zur Zeit eines Pferdemarktes in einem hannöverschen Flecken. Auf freier Wiese war ein kleines Theater aufgezimmert, und trotzdem daß am hellen Tage gespielt ward, wirkte die Beschwörungsszene hinlänglich schauervoll. Der Dämon, welcher erschien, nannte sich nicht Mephistopheles, sondern Astaroth, ein Name, welcher ursprünglich vielleicht identisch ist mit dem Namen der Astarte, obgleich letztere in den Geheimschriften der Magiker für die Gattin des Astaroths gehalten wird. Diese Astarte wird in jenen Schriften dargestellt mit zwei Hörnern[36] auf dem Haupte, die einen Halbmond bilden, wie sie denn wirklich einst in Phönizien als eine Mondgöttin verehrt und deshalb von den Juden, gleich allen anderen Gottheiten ihrer Nachbaren, für einen Teufel gehalten ward. König Salomon, der Weise, hat sie jedoch heimlich angebetet, und Byron hat in seinem Faust, den er »Manfred« nannte, sie gefeiert. In dem Puppenspiele, das Simrock herausgegeben, heißt das Buch, wodurch Faust verführt wird, »Clavis Astarti de magica«.
In dem Stücke, wovon ich reden wollte, bevorwortet Faust seine Beschwörung mit der Klage, er sei so arm, daß er immer zu Fuße laufen müsse und nicht einmal von der Kuhmagd geküßt werde; er wolle sich dem Teufel verschreiben, um ein Pferd und eine schöne Prinzessin zu bekommen. Der beschworene Teufel erscheint zuerst in der Gestalt verschiedener Tiere, eines Schweins, eines Ochsen, eines Affen, doch Faust weist ihn zurück mit dem Bedeuten: »Du mußt bösartiger aussehen, um mir Schrecken einzuflößen.« Der Teufel erscheint alsdann wie ein Löwe, brüllend, quaerens quem devoret – auch jetzt ist er dem kecken Nekromanten nicht furchtbar genug, er muß sich mit eingekniffenem Schweife in die Kulissen zurückziehen und kehrt wieder als eine riesige Schlange. »Du bist noch nicht entsetzlich und grauenhaft genug«, sagt Faust. Der Teufel muß nochmals beschämt von dannen trollen, und jetzt sehen wir ihn hervortreten in der Gestalt eines Menschen von schönster Leibesbildung und gehüllt in einen roten Mantel. Faust gibt ihm seine Verwunderung darüber zu erkennen, und der Rotmantel antwortet: »Es ist nichts Entsetzlicheres und Grauenhafteres als der Mensch, in ihm grunzt und brüllt und meckert und zischt die Natur aller an dern Tiere, er ist so unflätig wie ein Schwein, so brutal wie ein Ochse, so lächerlich wie ein Affe, so zornig wie ein Löwe, so giftig wie eine Schlange, er ist ein Kompositum der ganzen Animalität.«
Die sonderbare Übereinstimmung dieser alten Komödiantentirade mit einer der Hauptlehren der neuern Naturphilosophie, wie sie besonders Oken entwickelt, frappierte mich nicht [37] wenig. Nachdem der Teufelsbund geschlossen, bringt Astaroth mehrere schöne Weiber in Vorschlag, die er dem Faust anpreist, z.B. die Judith. »Ich will keine Kopfabschneiderin«, antwortet jener. »Willst du die Kleopatra?« fragt alsdann der Geist. »Auch diese nicht«, erwidert Faust, »sie ist zu verschwenderisch, zu kostspielig und hat sogar den reichen Antonius ruinieren können; sie säuft Perlen.« – »So rekommandiere ich dir die schöne Helena von Sparta«, spricht lächelnd der Geist und setzt ironisch hinzu: »Mit dieser Person kannst du griechisch sprechen.« Der gelehrte Doktor ist entzückt über diese Proposition und fordert jetzt, daß der Geist ihm körperliche Schönheit und ein prächtiges Kleid verleihe, damit er erfolgreich mit dem Ritter Paris wetteifern könne; außerdem verlangt er ein Pferd, um gleich nach Troja zu reiten. Nach erlangter Zusage geht er ab mit dem Geiste, und beide kommen alsbald außerhalb der Theaterbude zum Vorschein, und zwar auf zwei hohen Rossen. Sie werfen ihre Mäntel von sich, und Faust sowohl als Astaroth sehen wir jetzt im glänzendsten Flitterstaate englischer Reiter die erstaunlichsten Reitkunststücke verrichten, angestaunt von den versammelten Roßkämmen, die mit hannöverisch roten Gesichtern im Kreise umherstanden und vor Entzücken auf ihre gelbledernen Hosen schlugen, daß es klatschte, wie ich noch nie bei einer dramatischen Vorstellung klatschen hörte. Astaroth ritt aber wirklich allerliebst und war ein schlankes, hübsches Mädchen mit den größten, schwarzen Augen der Hölle. Auch Faust war ein schmucker Bursche in seinem brillanten Reiterkostüme, und er ritt besser als alle anderen deutschen Doktoren, die ich jemals zu Pferde gesehen. Er jagte mit Astaroth um die Schaubühne herum, wo man jetzt die Stadt Troja und auf den Zinnen derselben die schöne Helena erblickte.
Unendlich bedeutungsvoll ist die Erscheinung der schönen Helena in der Sage vom Doktor Faust. Sie charakterisiert zunächst die Epoche, in welcher dieselbe entstanden, und gibt uns wohl den geheimsten Aufschluß über die Sage selbst. Jenes ewig blühende Ideal von Anmut und Schönheit, jene Helena [38] von Griechenland, die eines Morgens zu Wittenberg als Frau Doktorin Faust ihre Aufwartung macht, ist eben Griechenland und das Hellenentum selbst, welches plötzlich im Herzen Deutschlands emportaucht, wie beschworen durch Zaubersprüche. Das magische Buch aber, welches die stärksten jener Zaubersprüche enthielt, hieß Homeros, und dieses war der wahre, große Höllenzwang, welcher den Faust und so viele seiner Zeitgenossen köderte und verführte. Faust, sowohl der historische als der sagenhafte, war einer jener Humanisten, welche das Griechentum, griechische Wissenschaft und Kunst, in Deutschland mit Enthusiasmus verbreiteten. Der Sitz jener Propaganda war damals Rom, wo die vornehmsten Prälaten dem Kultus der alten Götter anhingen und sogar der Papst, wie einst sein Reichsvorgänger Constantinus, das Amt eines Pontifex maximus des Heidentums mit der Würde eines Oberhauptes der christlichen Kirche kumulierte. Es war die sogenannte Zeit der Wiederauferstehung oder, besser gesagt, der Wiedergeburt der antiken Weltanschauung, wie sie auch ganz richtig mit dem Namen Renaissance bezeichnet wird. In Italien konnte sie leichter zur Blüte und Herrschaft gelangen als in Deutschland, wo ihr durch die gleichzeitige neue Bibelübersetzung auch die Wiedergeburt des judäischen Geistes, die wir die evangelische Renaissance nennen möchten, so bilderstürmend fanatisch entgegentrat. Sonderbar! die beiden großen Bücher der Menschheit, die sich vor einem Jahrtausend so feindlich befehdet und wie kampfmüde während dem ganzen Mittelalter vom Schauplatz zurückgezogen hatten, der Homer und die Bibel, treten zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wieder öffentlich in die Schranken. Wenn ich oben aussprach, daß die Revolte der realistischen, sensualistischen Lebenslust gegen die spiritualistisch altkatholische Askese die eigentliche Idee der Faustsage ist, so will ich hier darauf hindeuten, wie jene sensualistische, realistische Lebenslust selbst im Gemüte der Denker zunächst dadurch entstanden ist, daß dieselben plötzlich mit den Denkmalen griechischer Kunst und Wissenschaft bekannt wurden, daß sie den Homer lasen sowie auch die Originalwerke [39] von Plato und Aristoteles. In diese beiden hat Faust, wie die Tradition ausdrücklich erzählt, sich so sehr vertieft, daß er sich einst vermaß: gingen jene Werke verloren, so würde er sie aus dem Gedächtnisse wiederherstellen können, wie weiland Esra mit dem Alten Testamente getan. Wie tief Faust in den Homer eingedrungen, merken wir durch die Sage, daß er den Studenten, die bei ihm ein Kollegium über diesen Dichter hörten, die Helden des Trojanischen Krieges in Person vorzuzaubern wußte. In derselben Weise beschwor er ein andermal, zur Unterhaltung seiner Gäste, ebendie schöne Helena, die er später für sich selber vom Teufel begehrte und bis zu seinem unseligen Ende besaß, wie das ältere Faustbuch berichtet. Das Buch von Widmann übergeht diese Geschichten, und der Verfasser äußert sich mit den Worten:
»Ich mag dem christlichen Leser nicht fürenthalten, daß ich an diesem Orte etliche Historien von D. Johanne Fausto gefunden, welche ich aus hochbedenklichen christlichen Ursachen nicht habe hierher setzen wollen, als daß ihn der Teufel noch fortan vom Ehestand abgehalten und in sein höllisches, abscheuliches Hurennetz gejagt, ihm auch Helenam aus der Hölle zur Beischläferin zugeordnet hat, die ihm auch fürs erste ein erschreckliches Monstrum und darnach einen Sohn mit Namen Justum geboren.«
Die zwei Stellen im älteren Faustbuch, welche sich auf die schöne Helena beziehen, lauten wie folgt:
»Am weißen Sonntag kamen oftgemeldete Studenten unversehens wieder in D. Fausti Behausung zum Nachtessen, brachten ihr Essen und Trank mit sich, welches angenehme Gäste waren. Als nun der Wein einging, wurde am Tisch von schönen Weibsbildern geredet, da einer unter ihnen anfing, daß er kein Weibsbild lieber sehen wollte als die schöne Helenam aus Graecia, derowegen die schöne Stadt Troja zugrund gegangen wäre, sie müßte schön gewesen sein, weil sie so oft geraubt worden und wodurch solche Empörung entstanden wäre. ›Weil ihr denn so begierig seid, die schöne Gestalt der Königin Helenae, Menelai Hausfrau oder Tochter Tyndari und Ledae, [40] Castoris und Pollucis Schwester (welche die Schönste in Graecia gewesen sein soll), zu sehen, will ich euch dieselbe fürstellen, damit ihr persönlich ihren Geist in Form und Gestalt, wie sie im Leben gewesen, sehen sollt, dergleichen ich auch Kaiser Carolo Quinto auf sein Begehren, mit Fürstellung Kaiser Alexandri Magni und seiner Gemahlin, willfahren habe.‹ Darauf verbot D. Faustus, daß keiner nichts reden sollte, noch vom Tische aufstehen, oder sie zu empfahen sich anmaßen, und geht zur Stube hinaus. Als er wieder hineingeht, folgte ihm die Königin Helena auf dem Fuße nach, so wunderschön, daß die Studenten nicht wußten, ob sie bei sich selbst wären oder nicht, so verwirrt und inbrünstig waren sie. Diese Helena erschien in einem köstlichen schwarzen Purpurkleid, ihr Haar hatte sie herabhangen, das so schön und herrlich als Goldfarbe schien, auch so lang, daß es ihr bis in die Kniebiegen hinabging, mit schönen kohlschwarzen Augen, ein lieblich Angesicht, mit einem runden Köpflein, ihre Lefzen rot wie Kirschen, mit einem kleinen Mündlein, einen Hals wie ein weißer Schwan, rote Bäcklein wie ein Röslein, ein überaus schön gleißend Angesicht, eine länglichte aufgerichtete gerade Person. In summa, es war an ihr kein Untädlein zu finden, sie sahe sich allenthalben in der Stube um, mit gar frechem und bübischem Gesicht, daß die Studenten gegen sie in Liebe entzündet wurden; weil sie es aber für einen Geist achteten, verginge ihnen solche Brunst leichtlich, und ging also Helena mit D. Fausto wiederum zur Stube hinaus. Als die Studenten solches alles gesehen, baten sie D. Faustum, er solle ihnen soviel zu Gefallen tun und sie morgen wiederum fürstellen, so wollten sie einen Maler mit sich bringen, der sollte sie abkonterfeien, welches ihnen aber D. Faustus abschlug und sagte, daß er ihren Geist nicht allezeit erwecken könnte. Er wollte ihnen aber ein Konterfei davon zukommen lassen, welches sie, die Studenten, abreißen lassen möchten, was dann auch geschah und welches die Maler hernach weit hin und wider schickten, denn es war eine sehr herrliche Gestalt eines Weibsbildes. Wer aber solches Gemälde dem Fausto abgerissen, hat man nicht erfahren können. Die [41] Studenten aber, als sie zu Bett gekommen, haben wegen der Gestalt und Form, so sie sichtbarlich gesehen, nicht schlafen können. Hieraus ist dann zu sehen, daß der Teufel oft die Menschen in Liebe entzündet und verblendet, daß man ins Hurenleben gerät und hernach nicht leicht wieder herauszubringen ist.«
Später heißt es in dem alten Buche:
»Damit nun der elende Faustus seines Fleisches Lüsten genugsam Raum gebe, fällt ihm um Mitternacht, als er erwachte, die Helena aus Graecia, die er vormals den Studenten am weißen Sonntag erweckt hat, in den Sinn, derhalben er morgens seinen Geist anmahnt, er sollte ihm die Helenam darstellen, die seine Konkubine sein möchte, was auch geschah, und diese Helena war ebenmäßiger Gestalt, wie er sie den Studenten erweckt hat, mit lieblichem und holdseligem Anblicken. Als nun D. Faustus solches sah, hat sie ihm sein Herz dermaßen gefangen, daß er mit ihr anfing zu buhlen und sie für sein Schlafweib bei sich behielt, die er so lieb gewann, daß er schier keinen Augenblick von ihr sein konnte, wurde also im letzten Jahre schwangeres Leibs von ihm, gebar ihm einen Sohn, dessen sich Faustus heftig freute und ihn Justum Faustum nannte. Dies Kind erzählet D. Fausto viel zukünftige Dinge, die in allen Ländern sollten geschehen. Als er aber hernach um sein Leben kam, verschwanden zugleich mit ihm Mutter und Kind.«
Da die meisten Volksbücher über Faust aus dem Widmannschen Werke entstanden, so geschieht darin von der schönen Helena nur kärgliche Erwähnung, und ihre Bedeutsamkeit konnte leicht übersehen werden. Auch Goethe übersah sie anfänglich, wenn er überhaupt, als er den ersten Teil des »Faust« schrieb, jene Volksbücher kannte und nicht bloß in den Puppenspielen schöpfte. Erst vier Dezennien später, als er den zweiten Teil zum »Faust« dichtete, läßt er darin auch die Helena auftreten, und in der Tat, er behandelte sie con amore. Es ist das Beste oder vielmehr das einzig Gute in besagtem zweiten Teile, in dieser allegorischen und labyrinthischen Wildnis, wo jedoch [42] plötzlich, auf erhabenem Postamente, ein wunderbar vollendetes griechisches Marmorbild sich erhebt und uns mit den weißen Augen so heidengöttlich liebreizend anblickt, daß uns fast wehmütig zu Sinne wird. Es ist die kostbarste Statue, welche jemals das Goethesche Atelier verlassen, und man sollte kaum glauben, daß eine Greisenhand sie gemeißelt. Sie ist aber auch viel mehr ein Werk des ruhig besonnenen Bildens als eine Geburt der begeisterten Phantasie, welche letztere bei Goethe nie mit besonderer Stärke hervorbrach, bei ihm ebensowenig wie bei seinen Lehrmeistern und Wahlverwandten, ich möchte fast sagen bei seinen Landsleuten, den Griechen. Auch diese besaßen mehr harmonischen Formensinn als überschwellende Schöpfungsfülle, mehr gestaltende Begabnis als Einbildungskraft, ja, ich will die Ketzerei aussprechen, mehr Kunst als Poesie.
Sie werden, teuerster Freund, nach obigen Andeutungen leicht begreifen, warum ich der schönen Helena einen ganzen Akt in meinem Ballette gewidmet habe. Die Insel, wohin ich sie versetzt, ist übrigens nicht von meiner eigenen Erfindung. Die Griechen hatten sie schon längst entdeckt, und nach der Behauptung der alten Autoren, besonders des Pausanias und des Plinius, lag sie im Pontus Euxinus, ungefähr bei der Mündung der Donau, und sie führte den Namen Achillea, wegen des Tempels des Achilles, der sich darauf befand. Er selbst, hieß es, der aus dem Grab erstandene Pelide, wandle dort umher in Gesellschaft der andern Berühmtheiten des Trojanischen Krieges, worunter auch die ewig blühende Helena von Sparta. Heldentum und Schönheit müssen zwar frühzeitig untergehen, zur Freude des Pöbels und der Mittelmäßigkeit, aber großmütige Dichter entreißen sie der Gruft und bringen sie rettend nach irgendeiner glückseligen Insel, wo weder Blumen noch Herzen welken.
Ich habe über den zweiten Teil des Goetheschen »Faustes« etwas mürrisch abgeurteilt, aber ich kann wirklich nicht Worte finden, um meine ganze Bewunderung auszusprechen über die Art und Weise, wie die schöne Helena darin behandelt ist. Hier [43] blieb Goethe auch dem Geiste der Sage getreu, was leider, wie ich schon bemerkt, so selten bei ihm der Fall, ein Tadel, den ich nicht oft genug wiederholen kann. In dieser Beziehung hat sich am meisten der Teufel über Goethe zu beklagen. Sein Mephistopheles hat nicht die mindeste innere Verwandtschaft mit dem wahren »Mephostophiles«, wie ihn die älteren Volksbücher nennen. Auch hier bestärkt sich meine Vermutung, daß Goethe letztere nicht kannte, als er den ersten Teil des »Faustes« schrieb. Er hätte sonst in keiner so säuisch spaßhaften, so zynisch skurrilen Maske den Mephistopheles erscheinen lassen. Dieser ist kein gewöhnlicher Höllenlump, er ist ein »subtiler Geist«, wie er sich selbst nennt, sehr vornehm und nobel und hochgestellt in der unterweltlichen Hierarchie, im höllischen Gouvernemente, wo er einer jener Staatsmänner ist, woraus man einen Reichskanzler machen kann. Ich verlieh ihm daher eine Gestalt, die seiner Würde angemessen. Verwandelte sich doch der Teufel immer am liebsten in ein schönes Frauenzimmer, und im älteren Faustbuche weiß auch Mephistopheles den armen Doktor in dieser Gestalt zu kirren, wenn den Ärmsten manchmal fromme Skrupel überschlichen. Das alte Faustbuch erzählt ganz naiv:
»Wenn der Faust allein war und dem Wort Gottes nachdenken wollte, schmücket sich der Teufel in Gestalt einer schönen Frauwen für ihn, hälset ihn und trieb mit ihm alle Unzucht, also daß er des göttlichen Worts bald vergaß und in Wind schlug und in seinem bösen Fürhaben fortfuhr.«
Indem ich den Teufel und seine Gesellen als Tänzerinnen erscheinen lasse, bin ich der Tradition treuer geblieben, als Sie vermuten. Daß es zur Zeit des Doktor Faust schon corps de ballets von Teufeln gegeben hat, ist keine Fiktion Ihres Freundes, sondern es ist eine Tatsache, die ich mit Stellen aus dem Leben des Christoph Wagner, welcher Fausts Schüler war, beweisen kann. In dem sechzehnten Kapitel dieses alten Buches lesen wir, daß der arge Sünder ein Gastgelag in Wien gab, wo die Teufel, in Frauenzimmergestalt, mit Saitenspielen die schönste und lieblichste Musik machten und andre Teufel »allerlei seltsame [44] und unzüchtige Tänze tanzten«. Auch in Affengestalt tanzten sie bei dieser Gelegenheit, und da heißt es: »Bald kamen zwölf Affen, die machten einen Reigen, tanzten französische Ballette, wie jetzt die Leute in Welschland, Frankreich und Deutschland zu tun pflegen, sprungen und hüpften sehr wohl, daß sich männiglich verwunderte.« Der Teufel Auerhahn, der dem Wagner als dienender Geist angehörte, zeigte sich gewöhnlich in der Gestalt eines Affen. Er debütiert ganz eigentlich als Tanzaffe. Als Wagner ihn beschwur, ward er ein Affe, erzählt das alte Buch, und da heißt es: »Der sprang auf und nieder, tanzte Gaillarde und andere üppige Tänze, schlug bisweilen auf dem Hackebrett, pfiff auf der Querpfeife, blies auf der Trompete, als wären ihrer hundert.«
Ich kann hier, liebster Freund, der Versuchung nicht widerstehen, Ihnen zu erklären, was der Biograph des Nekromanten unter dem Namen »Gaillarde tanzen« versteht. Ich finde nämlich in einem noch ältern Buche von Johann Prätorius, welches 1668 zu Leipzig gedruckt ist und Nachrichten über den Blocksberg enthält, die merkwürdige Belehrung, daß oberwähnter Tanz vom Teufel erfunden worden; der ehrbare Autor sagt dabei ausdrücklich:
»Von der neuen gaillardischen Volta, einem welschen Tanze, wo man einander an schamigen Orten fasset und wie ein getriebener Topf herumhaspelt und wirbelt und welcher durch die Zauberer aus Italien nach Frankreich ist gebracht worden, mag man auch wohl sagen, daß zu dem, daß solcher Wirbeltanz voller schändlicher unflätiger Gebärden und unzüchtiger Bewegungen ist, er auch das Unglück auf sich trage, daß unzählig viel Morde und Mißgeburten daraus entstehen. Welches wahrlich bei einer wohlbestellten Polizei ist wahrzunehmen und aufs allerschärfste zu verbieten. Und dieweil die Stadt Genf fürnehmlich das Tanzen hasset, so hat der Satan eine junge Tochter von Genf gelehret, alle die tanzend und springend zu machen, die sie mit einer eisernen Gerte oder Rute, welche der Teufel ihr gegeben gehabt, möchte berühren. Auch hat sie der Richter gespottet und gesagt, sie werden sie nicht [45] mögen umbringen; hat deshalb der Übeltat nie keine Reue gehabt.«
Sie sehen aus dieser Zitation, liebster Freund, erstens, was die Gaillarde ist, und zweitens, daß der Teufel die Tanzkunst aus dem Grunde fördert, um den Frommen ein Ärgernis zu geben. Daß er gar die fromme Stadt Genf, das kalvinistische Jerusalem, mit seiner Zaubergerte zum Tanzen zwang, das war der Gipfel der Frevelhaftigkeit! Denken Sie sich alle diese kleinen Genfer Heiligen, alle diese gottesfürchtigen Uhrmacher, alle diese Auserwählten des Herren, alle diese tugendhaften Erzieherinnen, diese steifen, eckigen Prediger- und Schulmeisterfiguren, welche auf einmal die Gaillarde zu tanzen beginnen! Die Geschichte muß wahr sein, denn ich erinnere mich, sie auch in der »Daemonomania« des Bodinus gelesen zu haben, und ich hätte nicht übel Lust, sie zu einem Ballette zu bearbeiten, betitelt: »Das tanzende Genf«!
Der Teufel ist ein großer Tanzkünstler, wie Sie sehen, und es darf wahrlich niemanden wundern, wenn er in der Gestalt einer Tänzerin sich einem verehrungswerten Publiko präsentiert. Eine minder natürliche, aber sehr tiefsinnige Metamorphose ist es, daß sich, im älteren Faustbuche, der Mephistopheles in ein geflügeltes Roß verwandelt und auf seinem Rücken den Faust nach allen Ländern und Orten brachte, wohin dessen Sinn oder Sinnlichkeit begehrte. Der Geist hat hier nicht bloß die Geschwindigkeit des Gedankens, sondern auch die Macht der Poesie; er ist hier ganz eigentlich der Pegasus, der den Faust zu allen Herrlichkeiten und Genüssen dieser Erde hinträgt, in der kürzesten Frist. Er bringt ihn im Nu nach Konstantinopel, und zwar direkt in den Harem des Großtürken, wo Faust unter den erstaunten Odalisken, die ihn für den Gott Mahomet hielten, sich göttlich ergötzt. Auch trägt er ihn nach Rom und hier direkt in den Vatikan, wo Faust, unsichtbar allen Augen, dem Papste seine besten Gerichte und Getränke vor der Nase wegstibitzt und sich selber zu Gemüte führt; manchmal lacht er laut auf, so daß der Papst, der sich im Zimmer allein glaubte, innerlich erschrak. Eine Animosität gegen Papsttum [46] und katholische Kirche überhaupt tritt überall grell hervor in der Faustsage. In dieser Beziehung ist es auch charakteristisch, daß Faust, nach den ersten Beschwörungen, dem Mephistopheles ausdrücklich befiehlt, ihm hinfüro, wenn er ihn rufe, in der Kutte eines Franziskaners zu erscheinen. In dieser Mönchstracht zeigen ihn uns die alten Volksbücher (nicht die Puppenspiele), zumal, wenn er mit Faust über Religionsthemata disputiert. Hier weht der Atem der Reformationszeit.
Mephistopheles hat nicht bloß keine wirkliche Gestalt, sondern er ist auch unter keiner bestimmten Gestalt populär geworden wie andere Helden der Volksbücher, z.B. wie Till Eulenspiegel, dieses personifizierte Gelächter, in der derben Figur eines deutschen Handwerksburschen oder gar wie der Ewige Jude mit dem langen achtzehnhundertjährigen Barte, dessen weiße Haare an der Spitze wie verjüngt wieder schwarz geworden. Mephistopheles hat auch in den Büchern der Magie keine determinierte Bildung wie andre Geister, wie z.B. Aziabel, der immer als ein kleines Kind erscheint, oder wie der Teufel Marbuel, der sich ausdrücklich in der Gestalt eines zehnjährigen Knaben präsentiert.
Ich kann nicht umhin, hier die Bemerkung einfließen zu lassen, daß ich es ganz dem Belieben Ihres Maschinisten überlasse, ob er den Faust nebst seinem höllischen Gesellen auf zwei Pferden oder beide in einen großen Zaubermantel gehüllt durch die Lüfte reisen lassen will. Der Zaubermantel ist volkstümlicher.
Die Hexen, die zum Sabbat fahren, müssen wir jedoch reiten lassen, gleichviel auf welchem Haushaltungsgeräte oder Untier. Die deutsche Hexe bedient sich gewöhnlich des Besenstiels, den sie mit derselben Zaubersalbe bestreicht, womit sie auch ihren eigenen nackten Leib vorher eingerieben hat. Kommt ihr höllischer Galan etwa in Person sie abzuholen, so sitzt er vorne und sie hinter ihm bei der Luftfahrt. Die französischen Hexen sagen: »Emen-Hetan, Emen-Hetan!«, während sie sich einsalben. »Oben hinaus und nirgends an!« ist der Spruch der deutschen Besenreuterinnen, wenn sie zum Schornstein [47] hinausfliegen. Sie wissen es so einzurichten, daß sie sich in den Lüften begegnen und rottenweis zum Sabbat anlangen. Da die Hexen, ebenso wie die Feen, das christliche Glockengeläute aus tiefstem Herzen hassen, so pflegen sie auch wohl auf ihrem Fluge, wenn sie einem Kirchturm vorbeikommen, die Glocke mitzunehmen und dann in irgendeinen Sumpf hinabzuwerfen, mit fürchterlichem Gelächter. Auch diese Anklage kommt vor in den Hexenprozessen, und das französische Sprüchwort sagt mit Recht, daß man nur gleich die Flucht ergreifen solle, wenn man angeklagt sei, eine Glocke vom Kirchturm Notre-Dame gestohlen zu haben.
Über den Schauplatz ihrer Versammlung, den die Hexen ihren Konvent, auch ihren Reichstag nennen, herrschen im Volksglauben sehr abweichende Ansichten. Doch nach übereinstimmenden Aussagen sehr vieler Hexen, die auf der Folter gewiß die Wahrheit bekannt, sowie auch nach den Autoritäten eines Remigius, eines Godelmanus, eines Wierus, eines Bodinus und gar eines de Lancre habe ich mich für eine mit Bäumen umpflanzte Bergkoppe entschieden, wie ich solches im dritten Akte meines Ballettes vorgezeichnet. In Deutschland soll der Hexenkonvent gewöhnlich auf dem Blocksberge, welcher den Mittelpunkt des Harzgebirges bildet, stattgefunden haben oder noch stattfinden. Aber es sind nicht bloß deutsche Nationalhexen, welche sich dort versammeln, sondern auch viele ausländische, und nicht bloß lebende, sondern auch längst verstorbene Sünderinnen, die im Grabe keine Ruhe haben und, wie die Willis, auch nach dem Tode von üppiger Tanzlust gepeinigt werden. Deshalb sehen wir beim Sabbat eine Mischung von Trachten aus allen Ländern und Zeitaltern. Vornehme Damen erscheinen meistens verlarvt, um ganz ungeniert zu sein. Die Hexenmeister, die in großer Menge sich hier einfinden, sind oft Leute, die im gewöhnlichen Leben den ehrbarsten, christlichsten Wandel erheucheln. Was die Teufel anbelangt, die als Liebhaber der Hexen fungieren, so sind sie von sehr verschiedenem Range, so daß eine alte Köchin oder Kuhmagd sich mit einem sehr untergeordneten armen Teufel begnügen muß, während [48] vornehmere Patrizierfrauen und große Damen auch standesgemäß sich mit sehr gebildeten und feingeschwänzten Teufeln, mit den galantesten Junkern der Hölle, erlustigen können. Letztere tragen gewöhnlich die altspanisch burgundische Hoftracht, doch entweder von ganz schwarzer oder gar zu schreiend heller Farbe, und auf ihrem Barette schwankt die unerläßliche blutrote Hahnenfeder. So wohlgestaltet und schöngekleidet diese Kavaliere beim ersten Anblick erscheinen, so ist es doch auffallend, daß ihnen immer ein gewisses »finished« fehlt und sich bei näherer Betrachtung in ihrem ganzen Wesen eine Disharmonie verrät, welche Auge und Ohr beleidigt: sie sind entweder etwas zu mager oder etwas zu korpulent, ihr Gesicht ist entweder zu blaß oder zu rot, die Nase zu kurz oder ein bißchen zu lang, und dabei kommen manchmal Finger wie Vogelkrallen, wo nicht gar ein Pferdefuß, zum Vorschein. Nach Schwefel riechen sie nicht, wie die Liebhaber der armen Volksweiber, die sich, wie gesagt, mit allerlei ordinären Kobolden, mit Ofenheizern der Hölle, abgeben müssen. Aber gemein ist allen Teufeln eine fatale Infirmität, worüber die Hexen jedes Ranges in den gerichtlichen Verhandlungen Klage führten, nämlich die Eiskälte ihrer Umarmungen und Liebesergüsse.
Luzifer, von Gottes Ungnaden König der Finsternis, präsidiert dem Hexenkonvente in Gestalt eines schwarzen Bocks mit einem schwarzen Menschengesichte und einem Lichte zwischen den zwei Hörnern. Inmitten des Schauplatzes der Versammlung steht Seine Majestät auf einem hohen Postamente, oder einem steinernen Tische, und sieht sehr ernsthaft und melancholisch aus, wie einer, der sich schmählich ennuyiert. Ihm, dem Oberherrn, huldigen alle versammelten Hexen, Zauberer, Teufel und sonstige Vasallen, indem sie, mit brennenden Kerzen in der Hand, paarweise vor ihm das Knie beugen und nachher andächtig sein Hinterteil küssen. Auch dieses Homagium scheint ihn wenig zu erheitern, und er bleibt melancholisch und ernsthaft, während jubelnd die ganze vermischte Gesellschaft um ihn herumtanzt. Diese Ronde ist nun jener berühmte Hexentanz, dessen charakteristische Eigentümlichkeit darin besteht, [49] daß die Tänzer ihre Gesichter alle nach außen kehren, so daß sie sich einander nur den Rücken zeigen und keiner des andern Antlitz schaut. Dies ist gewiß eine Vorsichtsmaßregel und geschieht, damit die Hexen, die später gerichtlich eingezogen werden möchten, bei der peinlichen Frage nicht so leicht die Gefährtinnen angeben können, mit welchen sie den Sabbat begangen. Aus Furcht vor solcher Angeberei besuchen vornehme Damen den Ball mit verlarvtem Gesichte. Viele tanzen im bloßen Hemde, viele entäußern sich auch dieses Gewandes. Manche verschränken im Tanzen ihre Hände, einen Kreis mit den Armen bildend, oder sie strecken einen Arm weit aus; manche schwingen ihren Besenstiel und jauchzen: »Har! Har! Sabbat! Sabbat!« Es ist ein böses Vorzeichen, wenn man während des Tanzes zur Erde fällt. Verliert die Hexe gar im Tanztumult einen Schuh, so bedeutet dieser Umstand, daß sie noch in demselben Jahre den Scheiterhaufen besteigen müsse.
Die Musikanten, welche zum Tanze aufspielen, sind entweder höllische Geister in fabelhafter Fratzenbildung oder vagabundierende Virtuosen, die von der Landstraße aufgegriffen worden. Am liebsten nimmt man dazu Fiedler oder Flötenspieler, welche blind sind, damit sie nicht vor Entsetzen im Musizieren gestört werden, wenn sie die Greuel der Sabbatfeier sähen. Zu diesen Greueln gehört namentlich die Aufnahme neuer Hexen in den schwarzen Bund, wo die Novize eingeweiht wird in die grausenhaftesten Mysterien. Sie wird gleichsam offiziell mit der Hölle vermählt, und der Teufel, ihr finsterer Gatte, gibt ihr bei dieser Gelegenheit auch einen neuen Namen, einen nom d'amour, und brennt ihr ein geheimes Merkmal ein, als ein Andenken seiner Zärtlichkeit. Besagtes Merkmal ist so verborgen, daß der Untersuchungsrichter bei den Hexenprozessen oft seine liebe Not hatte, dasselbe aufzufinden und deshalb der Inquisitin von der Hand des Büttels alle Haare vom Leibe abschneiden ließ.
Der Fürst der Hölle besitzt aber unter den Hexen der Versammlung noch eine Auserwählte, welche den Titel Oberste Braut, »Archi-sposa«, führt und gleichsam seine Leihmätresse [50] ist. Ihr Ballkostüm ist sehr einfach, mehr als einfach, denn es besteht aus einem einzigen goldnen Schuh, weshalb sie auch die Domina mit dem güldenen Schuh genannt wird. Sie ist ein schönes, großes, beinahe kolossales Weib, denn der Teufel ist nicht bloß ein Kenner schöner Formen, ein Artist, sondern auch ein Liebhaber von Fleisch, und er denkt, je mehr Fleisch, desto größer die Sünde. Ja, in seinem Raffinement der Frevelhaftigkeit sucht er die Sünde noch dadurch zu steigern, daß er nie eine unverheuratete Person, sondern immer eine Vermählte zu seiner Oberbraut wählt, den Ehebruch kumulierend mit der einfachen Unzucht. Auch eine gute Tänzerin muß sie sein, und bei einer außerordentlichen Sabbatfeier sah man wohl den erlauchten Bock von seinem Postamente herabsteigen und höchstselbst, mit seiner nackten Schönen, einen sonderbaren Tanz aufführen, den ich nicht beschreiben will, »aus hochbedenklichen christlichen Ursachen«, wie der alte Widmann sagen würde. Nur soviel darf ich andeuten, daß es ein alter Nationaltanz Sodomas ist, dessen Traditionen, nachdem diese Stadt unterging, von den Töchtern Lots gerettet wurden und sich bis auf heutigen Tag erhalten haben, wie ich denn selber jenen Tanz sehr oft tanzen sah zu Paris, Rue Saint-Honoré No. 359, neben der Kirche der heiligen Assomption. Erwägt man nun, daß es auf dem Tanzplatz der Hexen keine bewaffnete Moral gibt, die in der Uniform von Munizipalgardisten die bacchantische Lust zu hemmen weiß, so läßt sich leicht erraten, welche Bocksprünge bei oberwähntem Pas de deux zum Vorschein kommen mochten.
Nach manchen Aussagen pflegt auch der große Bock und seine Oberbraut dem Bankette zu präsidieren, welches nach dem Tanze gehalten wird. Das Tafelgeschirr und die Speisen bei jenem Gastmahl sind von außerordentlicher Kostbarkeit und Köstlichkeit; doch wer etwas davon einsteckt, findet den andern Tag, daß der goldne Becher nur ein irdenes Töpfchen und der schöne Kuchen nur ein Mistfladen war. Charakteristisch bei dem Mahle ist der gänzliche Mangel an Salz. Die Lieder, welche die Gäste singen, sind eitel Gotteslästerungen, und sie [51] plärren sie nach der Melodie frommer Kantiken. Die ehrwürdigsten Zeremonien der Religion werden dann durch schändliche Possenreißerei nachgeäfft. So wird z.B. unsere heilige Taufe verhöhnt, indem man Kröten, Igel oder Ratten tauft, ganz nach dem Ritus der Kirche, und während dieser scheußlichen Handlung gebärden sich Pate und Patin wie devote Christen und schneiden die scheinheiligsten Gesichter. Das Weihwasser, womit sie jene Taufe verrichten, ist eine sehr frevelhafte Flüssigkeit, nämlich der Urin des Teufels. Auch das Zeichen des Kreuzes machen die Hexen, aber ganz verkehrt und mit der linken Hand; die von der romanischen Zunge sprechen dabei die Worte: »In nomine patrica aragueaco petrica, agora, agora, valentia, jouando goure gaits goustia«, welches soviel heißt wie: »Im Namen des Patrike, des Petrike, von Aragonien, zu dieser Stunde, zu dieser Stunde, Valencia, all unser Elend ist vorbei!« Zur Verhöhnung der göttlichen Lehre von der Liebe und Vergebung erhebt der höllische Bock zuletzt seine furchtbarste Donnerstimme und ruft: »Rächt euch, rächt euch, sonst müßt ihr sterben!« Dieses sind die sakramentalen Worte, womit er den Hexenkonvent aufhebt, und um den erhabensten Akt der Passion zu parodieren, will auch der Antichrist sich selbst zum Opfer bringen, aber nicht zum Heil, sondern zum Unheil der Menschheit: der Bock verbrennt sich endlich selbst, er lodert auf mit großem Flammengeprassel, und von seiner Asche sucht jede Hexe eine Handvoll zu erhaschen, um sie zu späteren Malefizien zu gebrauchen. Der Ball und der Schmaus sind alsdann zu Ende, der Hahn kräht, die Damen fangen an sehr zu frieren, und wie sie gekommen, so fahren sie von dannen, aber noch schneller, und manche Frau Hexe legt sich wieder zu Bette zu ihrem schnarchenden Gemahle, der es nicht bemerkt hatte, daß nur ein Scheit Holz, welches die Gestalt seiner Ehehälfte angenommen, in ihrer Abwesenheit an seiner Seite lag.
Auch ich will mich jetzt zu Bette begeben, denn ich habe, teurer Freund, bis tief in die Nacht hinein geschrieben, um die Notizen zusammenzustellen, die Sie aufgezeichnet zu sehen [52] wünschten. Ich habe weniger dabei an einen Theaterdirektor gedacht, der mein Ballett auf die Bühne bringen soll, als vielmehr an den Gentleman von hoher Bildung, den alles interessiert, was Kunst und Gedanken ist. Ja, mein Freund, Sie verstehen den flüchtigsten Wink des Dichters, und jedes Wort von Ihnen ist wieder befruchtend für diesen. Es ist mir unbegreiflich, wie Sie, der erprobt praktische Geschäftsmann, doch zugleich mit jenem außerordentlichen Sinn für das Schöne begabt sein konnten, und noch mehr erstaune ich darüber, wie Sie unter allen Tribulationen Ihrer Berufstätigkeit sich soviel Liebe und Begeisterung für Poesie zu erhalten wußten!