Der Star von Segringen

Selbst einem Staren kann es nützlich sein, wenn er etwas gelernt hat, wieviel mehr einem Menschen. – In einem respektabeln Dorf, ich will sagen, in Segringen, es ist aber nicht dort geschehen, sondern hier im Land, und derjenige, dem es begegnet ist, liest es vielleicht in diesem Augenblick, nicht der Star, aber der Mensch. In Segringen der Barbier hatte einen Star, und der wohlbekannte Lehrjung gab ihm Unterricht im Sprechen. Der Star lernte nicht nur alle Wörter, die ihm sein Sprachmeister aufgab, sondern er ahmte zuletzt auch selber nach, was er von seinem Herrn hörte, zum Exempel: Ich bin der Barbier von Segringen. Sein Herr hatte sonst noch allerlei Redensarten an sich, die er bei jeder Gelegenheit wiederholte, zum Exempel: So, so, la, la; oder: par compagnie, (das heißt soviel, als: in Gesellschaft mit andern); oder:wie Gott will; oder: du Dolpatsch. So titulierte er nämlich insgemein den Lehrjungen, wenn er das halbe Pflaster auf den Tisch[199] strich, anstatt aufs Tuch, oder wenn er das Schermesser am Rücken abzog, anstatt an der Schneide, oder wenn er ein Arzneiglas zerbrach. Alle diese Redensarten lernte nach und nach der Star auch. Da nun täglich viel Leute im Haus waren, weil der Barbier auch Branntwein ausschenkte, so gab's manchmal viel zu lachen, wenn die Gäste miteinander ein Gespräch führten, und der Star warf auch eins von seinen Wörtern drein, das sich dazu schickte, als wenn er den Verstand davon hätte, und manchmal, wenn ihm der Lehrjung rief: »Hansel, was machst du?« antwortete er: »Du Dolpatsch!« und alle Leute in der Nachbarschaft wußten von dem Hansel zu erzählen. Eines Tages aber, als ihm die beschnittenen Flügel wieder gewachsen waren, und das Fenster war offen, und das Wetter schön, da dachte der Star: Ich hab jetzt schon so viel gelernt, daß ich in der Welt kann fortkommen, und husch zum Fenster hinaus. Weg war er. Sein erster Flug ging ins Feld wo er sich unter eine Gesellschaft anderer Vögel mischte, und als sie aufflogen, flog er mit ihnen, denn er dachte: Sie wissen die Gelegenheit hierzuland besser als ich. Aber sie flogen unglücklicherweise alle miteinander in ein Garn. Der Star sagte: »Wie Gott will.« Als der Vogelsteller kommt, und sieht, was er für einen großen Fang getan hat, nimmt er einen Vogel nach dem andern behutsam heraus, dreht ihm den Hals um, und wirft ihn auf den Boden. Als er aber die mörderischen Finger wieder nach einem Gefangenen ausstreckte, und denkt an nichts, schrie der Gefangene: »Ich bin der Barbier von Segringen«, als wenn er wüßte, was ihn retten muß. Der Vogelsteller erschrak anfänglich, als wenn es hier nicht mit rechten Dingen zuginge, nachher aber, als er sich erholt hatte, konnte er kaum vor Lachen zu Atem kommen; und als er sagte: »Ei Hansel, hier hätt ich dich nicht gesucht, wie kommst du in meine Schlinge?« da antwortete der Hansel: »Par compagnie.« Also brachte der Vogelsteller den Star seinem Herrn wieder, und bekam ein gutes Fanggeld. Der Barbier aber erwarb sich damit einen guten Zuspruch, denn jeder wollte den merkwürdigen Hansel sehen, und wer jetzt noch weit und breit in der Gegend will zur Ader lassen, geht zum Barbier von Segringen.[200]

Merke: So etwas passiert einem Staren selten. Aber schon mancher junge Mensch, der auch lieber herumflankieren, als daheim bleiben wollte, ist ebenfalls par compagnie in die Schlinge geraten, und nimmer herauskommen.

[1810]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Hebel, Johann Peter. Prosa. Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Der Star von Segringen. Der Star von Segringen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4347-6