[Hier dieses ist der Ort/ der Held- und Thaten hält]

Die Schäfere/ ungewohnt sotahner abenteurlichen Begegnisse/ erstauneten halb von Bestürtzung/ waren auch gutes Willens zu lauffen/ doch kondē sie ihre Füsse so wenig von statten bringen/ als die nächste Steinklippe/ so hatte ihnen die Forcht alle Empfindlichkeit gehemmet. Endlich nahme sie beyde der Gott Pan bey den Händen/ und fürete sie mit sich in die Höle/ woraus er kommen/ und waren sie kaum hineingetreten/ da täte sich auch ermeldte Wasentür hinter ihnen zu/ worüm sie eine geraume Zeit in Finstern/ohne einiges Wissen/ wohin/ fortstrichen/ bis sie letzlich zu einer andern Tür kamen/ welche auch aus einem dichten Felsen geschnitten/ so füglich/ daß man dessen innerhalb gar nicht warnehmen mochte.

Sie befanden sich aber/ nachdem sie auch durch dieselbige eingangen/ mitten unter einem Hauffen Satyren oder Waldgötter/ welche alle mit feuerrohten Antlitzern und mosichten Bokksbärten/ auch zottichten Geisfüssen/ anzusehen/ und war dieses/ darinn sie waren/ eine fast zierlich und in die Runde ausgehauene Gruft/ so üm und üm mit Mos gleichsam schattieret war/ wiewol es eigentlich und natürlich aus dem Felsen hervorgewachsen/ hatte sich auch an den Wänden fast schikkmäßig herümgelegt/ also daß es mit seinen mannichförmigen Schattirungen viel Geschichten und alte Historien vorstellete.

Sie erschraken nochmehr/ wie sie sich unter so viel geisgefüsten Männern allein sahen/ zudem daß sie auch ihres Fürers nicht mehr konden ansichtig werden/ welcher sich bey letztbesagter [42] Tür von ihnen verlohren. Närlich aber waren sie in diese ihre Gesellschaft getretten: Seit willkommen/ ihr Schäfere/ fienge einer unter ihnen an/ euch hat der grosse Pan diesen Tag etwas sonderlichs vor andern erzeigen wollen/damit er erwiese/ wie gewogen er sey der löblichen Hirten-genosschaft dieser Gegende/ deren Mitglieder er euch zu seyn gar wohl weiß. Nach diesem nahme dieser/ (welcher Pyrops 1 heissen solte/) und noch einer den Klajus/ andre zween aber den Floridan zwischen sich mitten ein/ und: Wir haben Befehl/ fuhre dieser fort/ euch alles/ was hierinnen seltsames zu sehen/ zu zeigen/ und/ wo noht/ mit Ausdeutungen verständlicher zu machen/ so kommet derhalben mit uns/ ihr Schäfere/ und förchtet euch nicht/ dann wir euch mehr gewogen sind/ als ihr nicht meinet: Beschauet erstlichen diese Wände/ hernach wollen wir euch weiter füren.

Es waren aber/ wie gesagt/ an den Wänden viel Historien mit Mos gleichsam eingeleget/ die dann beyde Schäfere solcherley befanden/ als ihnen vordessen rümlich erwänter Thirsis erzälet und gelehret. Vnd sonderlich war daselbst zu sehen die Geschicht des Vulcanus/ der/ als er wegen seiner Garstigkeit von Jupiter aus dem Himmel geworffen worden/ 2 auf Raht des Bacchus Silens Esel geborget/ und nachdem er sich ümgekehrt darauf gesetzt/ den Schwantz an stat des Zaums in der Hand haltende wider gen Himmel geritten/ worüber dann auch Jupiter gelachet/ und ihn sobald widerüm in der Götter Gesellschaft aufgenommen. Nechst darbey sahe man/ wie der unselige Marsyas den Apollo mit seiner Blokpfeiffe ausgefordert/ 3 und aber/ überwunden/ von demselben lebendig geschunden/ und also üm seine Vnterfahung grausamlich gestraffet worden: Vnd konden sich dazumahl der Hirten Begleitere/ indem sie diese Trauergeschicht mit ihnen in Augenschein nahmen/ nicht enthalten/daß sie nicht dieses ihres lieben Gesellens erbärmliche Begegnis mit etlichen Trehnen nochmahls bezäreten.

[43] Hart dabey konde man auch sehen den Anlaß des Vorigen/ nemlich/ wie die Pallas am Vfer erwänte Pfeiffe erstlich erfunden/ und darauf geblasen/ und aber/ als sie den Vnform jhres Mundes/ in dem sie pfiffe/ in der Bach wahrgenommen/ dieselbige unwillig von sich geworfen/ welche nachmahls erwänter Marsyas gefunden/ und folgends darauf so lieblich spielen gelernet/ daß er sich erkünen dörfen/ der Leyer des Apollo einen Kampf anzubieten/ wiewohl/ wie gehöret/ zu seinem grossen Vnglük. 4

Insonderheit aber waren alle Her- und Ankünfte der Götter daselbst befindlich/ als des Jupiters/ Bacchus/des Mercurius/ welcher/ wie er kaum einer Wochen alt gewesen/ dem Apollo seinen Bogen und Köcher/und als der hierüber zornig worden/ die Leyer dazu gestohlen/ 5 wie nicht minder Mulcibern seinen Hammer/ Nächst diesem der Pallas/ welche in Jupiters Hirn gezeuget worden/ worüm ihr Vulcan mit einem Beil den Ausgang öffnen müssen/ udg.

Sobald die Schäfere solche durchsehen/ nahmen sie die Satyren abermahls bey den Händen/ und füreten sie zu einer andern Tür hart an der vorigen/ mit deren sie auch eines Zeugs und Form war/ welche sich auf blosses Anrüren eines unter ihnen auftäte/ und giengen sie sobald in Gesellschaft der Viere hinein: Vnsre Mitgesellen/ sagete Aegopus 6 auch deren einer/ werden hingehen die Geschenke von den Schäferen zu nehmen und hereinzubringen/ (es war aber eben üm die Stunde des Tages/ da die Schäfere das Morgenbrod essen/ und dem grossen Pan in ihren irdinen Gefäsen Milch und Honig brachten) indessen/ daß wir euch/ ihr Hirten/ die Seltenheiten dieser Höle ausfürlich zeigen.

Die Schäfere verwunderten sich erstes Trits über den hellen Tag der Hölen/ worein sie traten/ (in die vorige fiel er durch ein breites Krystallen-Fenster/ das oben an der Dekke eingemachet) aber die Vrsach dieser Verwunderung schlug ihnen bald in eine [44] blinde Forcht aus. Dann an den beyden Ekken jenseits (diese Höle aber war vierekkicht/ und zwar etwas ablang) stunden zwey Krystallen-Pfeilere/ mit güldnen Füssen und Kräntzen/ auf deren jeglichem aber ein Cupido oder Liebesgott/ unter welchen der eine die Senne seines Bogens weit an sich gezogen/ und mit aufgelegtem Pfeil gerad auf die Tur zielete/ Der ander aber zwar sich verschossen zu haben schiene/ aber allem Ansehen nach bereits willens war/ einen frischen Pfeil aus dem Köcher am Rükken zu langen/ und den auch auf die Hereingehenden zu drükken/ (massen dann dieser so meisterlich ausgebildet war/ daß er mit den Augen allbereit zu drohen schiene/ was er in kurtzem mit dem Bogen zu Werk zu richten willens/) die Satyren lacheten/ als sie die Schäfere Eingangs sich etwas sträuben sahen/ und wiesen ihnen sobald zwey gleiche Pfeiler zu beyden Seiten der Tür/ versichreten sie auch daneben/ der Schützen Absehen wäre nicht auf sie/sondern auf die ober den Pfeilern disseits stehende Nymphen gerichtet. Froh waren die beyde/ als sie sich vor einer so (vermeintlich) grossen Gefahr sicher wusten/ und beschaueten erstlich die beyde Pfeiler beym Eingang/ und derer Nymphen/ welche dann von weissem und reinem Marmel über die massen künstlich gebildet waren/ also daß sie an ihnen nichts vermisseten/ als das wahrhaftige Leben: Die zwey Liebsgötter aber gegenüber waren von klarem Albaster/ und zwar nicht weniger kunstmässig ausgearbeitet/ als die Nymphen. Vnd waren beyderley Kunst-stükke üm so viel desto sehwürdiger/ weil sich der Meister der natürlichen Adern der Steine bedienet/ üm die vollständnisse der blossen Gliedmassen desto lebhafter auszudrükken/ massen sie auch die Schäfere ersten Anblikks für wahrhafte Nymphen und Götter gehalten hatten.

Sie verstunden aber von der Satyren einem/ daß die Nymphe zur rechten Hand des Eingangs Echo/ die zur Linken aber Syringa wäre. 7 Vnd dieweil jene/ ehe sie wegen des hartsinnigen [45] Narcissus zur Stimme worden/ den Pan geliebet/ und hinwieder von ihme geliebet worden/ hatte sie einen guldnen Pfeil in dem Leib/üm die Gegend des Hertzens 8; Syringa aber/ als die in ihrer Härtigkeit gleichs. verhärtet und zum Schilfgeröre worden/ stund unverletzet/ und schiene es/ als ob der ihr entgegen gestellte Liebesgott zornig wäre/daß er fast alle seine Pfeil an sie verschossen/ und sie dannoch nicht verliebt hatte machen können.

Sehr verwunderten sich die Schäfere/ nachdem sie dieselben etwas genäuer beschauet/ über die Schönheit bey der Nymphen/ sonderlich aber der Echo. Sie giengen aber/ als sie sie gnug betrachtet/ zu beyden Seiten der Tür aufwarts an der Wand/ die sie gleichfalls mit Mos überwachsen/ darunter aber viel Historien befanden/ und waren dieser Hölen Wände nicht allein viel kunstreicher und zierlicher als die vorigen/(alldieweil man von fernen wänete/ solche Geschichten wären mit dem Pinsel dahin gemahlet) sondern auch in dem von jenen unterschieden/ daß sie nicht mangerley/ sondern allein des Pans Lebensläufe/ und Geschichten ausdrükketē. An der Wand gegenüber hienge das sprenklichte Pardelfell/ (worinnen ihn erstlich Mercurius soll gen Himmel getragen haben) wie auch die aus der Siringa Rohren geschnittene Pfeiffe/welche beyde Pan/ wann er sich zu Feld sehen lässt/noch immer mit sich zu haben pfleget. Vnten am Ende (zur linken Seiten der Tür) war ein frölicher Dantz angebildet/ in welchem die Napeen/ Oreaden/ Dryaden/Hamadryaden usw. (welche mit den Eichen jung werden/ und wann jene abgehauet/ auch mit ihnen wieder sterben sollen) üm den Pan/ welcher mittē unter ihnen auf seiner Rohrpfeiffe spielte/ herümsprungen und sungen. Sie gelangeten aber in kurtzem disseits der Tür unten an eine Ekke der Hölen/ worbey sich ein Altar/ mit mannichfärbichen Feldblumen bewachsen von der Erden erhube/ auf welchē allbereit etliche Hirtengeschenke geliefert stunden 9: An den vier Ekken desselben stiegen vier kertzengerade Fichtē (welcher Baum [46] dem grossen Pan von langen Zeiten her heilig gewesen) bis an die Dekke des Gemaches/welche zimlich hoch sich zeigete/ woselbst sie ihre dikkbelaubten Arme einander gleichsam boten/ und mit Vereinigung derselbigen den Altar fast anmutig überdacheten. Allernächst diesem war ein langes/vierekkichtes unngleichförmiges Stükk Erde/ in Form einer Tafel/ zu sehen/ woran vielleicht der Pan mit den Satyren Speiß und Trank zu nehmen pflegete. Vnd war sonst diese Höle auf dem Boden so milde/und dabey so zierlich/ mit Gras überwachsen/ daß es eine Lust zu sehen war.

Indeme höretē sie ein ungewönliches Knarren und Schnurren/ wie eines Rades/ welches wo es herrüre/die Schäfer mit Gebärden gnug dartäten/ da sie es gerne gewust hätten. Worüm einer unter den Satyren/der solches merkete/ anfienge/ und sie berichtete/ wie daß in einer nahangräntzenden Höle die drey Parcen ihren Wohnsitz hätten/ welchen sie sich darüm solcher Orten erwälet/ damit sie von dannen desto freyer in die Welt wandern/ und von der Menschen Leben und Tod Vrteil und Ausspruch geben möchten 10: Vnd hat Clotho/ sagete er/ allererst gestern einen neuen Rokken angeleget/ der/ wie sie vorgabe/ etlichen Teutschgelehrten lauter Gold abspinnen soll: Worüm dann der Lachesis Rädlein fast unmüssig ist/wiewol sonsten der Atropos sobald nichts davon abzuschneiden werden wird: Vnd ob sie wohl sämtlich sich unferne hiervon verhalten/ so ist doch Menschlichen Augen verboten/ sie daselbst heimzusuchen. Die Vrsach aber/ daß sich Pan mit seinen 3. Schwestern aus Arcadien an dieses Ort begeben/ meldete einer unter den vieren/ diese zu seyn/ weil besagte Gegend der Zeit von wilden und ungezämten Leuten bewohnet würde/ die von Verehrung der Götter gar nichts wüsten/ zu deme so hätte ihn auch/ sein Erdgemache der Orten auszuwälen/ bewogen die an der Pegnitz neuaufgerichtete Hirtengesellschaft/ von derē Mitgliederē seiner mit Geschenken und Liedern am bästen würde gepfleget werden/ er verhoffete.

[47] Welche seine Hoffnung/ fuhre der Satyr fort gegen ihnen/ ihme seither auch gar nicht versaget. Daher er dann dem Vrheber dieses Ordens unnd allen dessen Mitgenossen mit merklichen Gnaden gewogen ist/ hat auch krafft deren heutiges Tages euch beyden alle diese Gunst erweisen wollen/ damit er euch also nochmehr zu Bedienung und Verehrung seiner anfrischete. Die Schäfere bedanketen sich hierauf/ soviel ihnen ihre Geschikklichkeit zuliesse/ mit untertänig-ehrbezeugenden Gebärden/ und folgeten im übrigen ihren Füreren zu der

Seiten der Hölen oberhalb/ alda sie eine Felsenwand befanden/ welche die Höle/ in deren sie waren/von einer andern/ in welche man durch einen Schwibbogen eingehen muste/ unterscheidete. Sie lasen aber aussen über dem Schwibbogen folgende Reimen:


Hier dieses ist der Ort/ der Held- und Thaten hält/ 11
Wo mancher Löwenmuht wird preißlich vorgestellt/
Hier lebt der Tugend Lohn/ den nach dem Sterben erbt
Der/ welcher rümlich stirbt und löblich hat gelebt:
Wer so nach Ehren klimmt/ hat überwohl gestrebt/
Du/ Fremder/ halte Fuß/ ließ/ was der Ruhm gekerbt:
Sie hat das Lobgerücht nach Würden ausgemahlt/
Die Feder ihren Geist/ der Pinsel die Gestalt.

Fußnoten

1 Feuermund. Besihe Gesp. CCIIX. sonst Feurgesicht.

2 Nat. Com. Myth. I. 2. c. 6.

3 Idem. I. 6. c. 15 Ov. I. 6. Metā.

4 Id. ibid. Athenæ. I. 14.

5 Lucan. Dial. Iov. & Vulc.

6 Geisbild/ so: Geisfuß.

7 Ov. I. 1. Metam.

8 Ov. I. 1. Metā. Nat. Com. I. 5. c. 6.

9 Nat. Com. I. 5. c. 6.

10 Nat. C.I. 3. c. 6 Mythol.

11 Vberschrift.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Harsdörffer, Georg Philipp. Gedichte. Fortsetzung der Pegnitz-Schäferey. Hirtengedichte. [Hier dieses ist der Ort- der Held- und Thaten hält]. [Hier dieses ist der Ort- der Held- und Thaten hält]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-34F0-6