Der Alte

Ich werde viel älter und Schwermuth und Plage
Droht meiner schon sinkenden Hälfte der Tage:
Kaum wallet noch weiter mein zögerndes Herz
Bei winkenden Freuden, bei lockendem Scherz.
Die schmeichelnde Falschheit der lachenden Erben
Verheißt mir das Leben und wünschet mein Sterben:
Ein fingernder Doctor besalbt mir den Leib:
Bald lärmet der Pfarrer, bald predigt mein Weib.
Die warnenden Kenner der Wetter und Winde,
Die stündlichen Forscher: Wie ich mich befinde?
Die thränenden Augen, die keichende Brust
Entkräften den Liebreiz, verscheuchen die Lust.
Nun soll mich doch einmal mein Leibarzt nicht stören.
Verjüngende Freunde, hier trink ich mit Ehren!
Weib, Pfarrer und Erben, nur nicht zu genau!
Hier frag' ich nicht Pfarrer, nicht Erben, noch Frau.
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Im Beisein der Alten verstellt sich die Jugend:
Sie trinkt nur bei Tropfen, sie durstet vor Tugend;
Ich ehrlicher Alter verstelle mich auch,
Bezeche den Jüngling und leere den Schlauch.
Mein Auge wird heller: wer höret mich keichen?
Ich suche der muthigen Jugend zu gleichen;
Und will, auch im Alter, bei Freunden und Wein,
Kein Tadler der Freuden, kein Sonderling sein.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Hagedorn, Friedrich von. Gedichte. Oden und Lieder. Drittes Buch. Der Alte. Der Alte. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-30F0-C