[225] [227]Jauer(?) Frühling 1721 – Oberleipe(?) Anfang Oktober 1721

[227] [229]Joh. Christian Günthers nothwendige und rechtmäszige Beantwortung der Schmähungen M(agister) F(ritsche)s in einer auf die S(iegeth- und Förstersche) Hochzeit in Lauban verfertigten Charteque

Salv. Hon.

Gern gelehrter Herr Magister!


Man hat so lange Friede, als der Nachbar will. Mit diesem durch die Erfahrung bestätigten Saze getraute ich mir leichte, so wohl vor meinem Gewißen als auch vor denen Augen der Warheit liebenden Welt alle satyrische Repressalien zu verantworten, wozu Ihr mich in der bey der S(iegethschen) Hochzeit verfertigten und vor dem Jahre in Lauban unter dem verkappten Nahmen gedruckten Schmähschrift wieder alles Vermuthen ausgefodert. Ich gestehe es aufrichtig, daß, sobald ich diese abgeschmackte und mit lauter pasquillantenmäßigen Ausdrückungen gefüllte Charteque zu Gesichte bekam, mein alter Adam mich nicht wenig gereizet, Eure unbesonnenen Vorwürfe mit der wohlverdienten Striegel nach Hause zu leuchten. Anfangs konte ich mich nicht so gleich besinnen, wenn und womit ich Euch doch wohl an die Schellen gegrifen, bis ich endlich ohngefehr auf die Stelle gerieth, die ich in dem Promotionsgedichte auf den H.D. Gorn ohne einige Absicht, Euch zu beleidigen, mit eingerücket. Sagt mir aber, in welchem Collegio Hermeneutico Ihr wohl gelernet, daß der dort von mir angeführte Choerilus den S.H. wohledlen, großachtbahren und wohlgelahrten Herrn M(agister) Fr(itsche) bedeute. Niemand hat es wenigstens von Euch verstehen können, niemand hat es auch meines Wißens Euch zum Nachtheil ausgeleget, und also zeiget es sich ofenbahr, daß Ihr von derjenigen Art Leute seyd, die sich noch vor der Anklage zu entschuldigen suchen und dadurch jedermann auf [229] den Argwohn bringen, daß sie ihr eignes Gewißen derjenigen Thorheiten überführe, die ohne Nennungen der Personen zu allen Zeiten und in jeden Rechten mit einer lustigen und poetischen Feder durchzuziehen erlaubet gewesen. Es ist schon ausgemacht: wenn man die Knüttel unter die Hunde wirft und einen großen Räckel trift, fängt er an zu schreyen. Dies Sprichwort wollte ich bey meiner Aufrichtigkeit auf Euch nicht gern appliciret wißen, wenn Ihr nur nicht selbst durch eine unzeitige Rachgier den Hasen so mercklich laufen laßen. Die Ordnung befiehlet mir, mich in etwas weitläuftiger zu er klären. Gesezt nun, ich hätte Eure Reimerey, welches doch nicht bewiesen werden kan, höhnisch angegrifen; gesezt auch, ich hätte Euren Versen die Belohnung, welche dort Alexander dem Choerilo an Nasenstiebern auszahlen lies, gleichfalls zugedacht; ja gesezt, ich hätte Euch gar in denen gründlichen Wißenschaften vor einen Erzignoranten gescholten, so würdet Ihr deswegen doch auch nicht einmahl eine scheinbare Ursache gefunden haben, weder in Foro Theologico noch Civili mit meiner Muse einen Injurienproceß anzufangen. Euren Gegenbeweis hättet Ihr vor dem Richterstuhle der gelehrten Welt mit unumstößlichen Gründen, richtigen Schlüßen und klaren Erfahrungen nebst deutlicher Darthuung meiner nach Eurer Einbildung Euch fälschlich Schuld gegebenen Einfalt führen können, wenn sichs anders der Mühe verlohnte, die vorhin mit unnüzen Streitigkeiten aus allen Facultäten beschwerten Buchdruckerpreßen noch mehr abzunüzen. Was habt Ihr also gegentheils nöthig gehabt, durch so viel ungerechte Lästerungen in oben angeführten Pasquille meine Redligkeit, deren Ruhm ich einzig und allein wieder alle Boßhaftige zu beschüzen gedencke, so lächerlich anzugreifen und die Menge meiner Feinde zu verstärcken, die, ich weis nicht aus waßerley Ursache, auch sonder ihren eignen Nuzen mich schon von Schulen her so sinnreich zu verfolgen gewust, daß ich aller meiner guten Meinungen und Bemühungen ungeachtet auch sogar bey denen besten Patronen mich niemahls aus dem Verdachte eines leichtsinnigen Gemüthes bringen können. Die Fehler und Gebrechligkeiten, so mir so wohl als allen [230] nach Unterscheid des Temperaments, des Alters und anderer Umstände anhängen, pflege ich an meinem Nechsten so gerne zu vertragen, als ernstlich ich wüntsche, durch die Erkäntnüß der Warheit mein redliches Gemüthe in Stand zu sezen, mit meinem schlechten und mir anvertrauten Pfunde Gott und der Welt einmahl zu dienen. Wir können freylich nicht alle große Kirchenleuchter abgeben noch in dem gemeinen Wesen mit gleicher Fähigkeit und Würde die von dem Verhängnüß ausgetheilten Ehrenämter bekleiden; unterdeßen gehören zu dem Bau des vortreflichsten Tempels kleine Füllsteine und schlechter Sand so gut als etwan große Quaderstücke und ausgehauene Marmorsäulen, und mit diesem Troste werde ich nimmermehr ermüden, auch unter denen abscheulichsten Nachreden meiner Misgünstigen die Gemüthsruhe zu erhalten, die aus einem ehrlichen Vorsaze entspringet, meine und anderer zeitliche und ewige Glückseeligkeit nach Vermögen zu befördern. Hat die Übereilung meiner Jugend und die noch nicht verrauchte Hize der ersten Jahre sich so wohl in Wercken als schriftlich dann und wann vergangen, so versichere ich hier öfentlich, daß es niemahlen aus Boßheit geschehen und daß ich es hiermit jedem, den ich entweder durch Ärgernüß oder andere Schwachheiten beleidiget, ofenherzig will abgebethen haben; indeßen aber bin ich so wenig verbunden als gesonnen, aus einer blöden Furcht und mir dann und wann Schuld gegebnen Weichligkeit alles ohne Unterscheid auf mir ersizen zu laßen, womit sich die Tadelsucht vieler thörichten Verfolger an meinem jezo ziemlich gedrückten Zustande zu küzeln gedencket. Das mir so wohl als allen angebohrne Recht der Natur erlaubt mir allemahl eine abgedrungne Gegenwehr, und wer meiner Ehre entweder aus Thorheit oder Misgunst zu nahe tritt, der darf sich niemahls befremden laßen, wenn ich ihm zu meiner Entschuldigung die Larve vom Gesichte ziehe und mit einer scherzhaften Stachelschrift die Feigenblätter von seiner Blöße reiße, die er durch anderer Flecken zu verstellen gesucht. In dieser Absicht nahm ich mir damahls vor, Eure alberne Reime, gelehrter Herr Magister, weitläuftig und mit gutem Grunde nach [231] ihren Verdiensten zu hecheln; und die Arbeit wäre auch längst herumgeflogen, wenn nicht die vernünftige Zuredung etlicher von Euren guten Freunden bey mir so viel gewürcket, daß ich selbige zurückzuhalten und Euch Eures künftigen geistlichen Amtes wegen zu verschonen gänzlich beschloß. Nach der Zeit habe ich nichts desto weniger hin und wieder hören müßen, wie höhnisch Ihr Euch über meine Verschwiegenheit geküzelt und, ich weiß nicht ob aus Einfalt oder Boßheit, gerühmet, als ob ich wieder Eure Beschuldigungen nichts einzuwenden hätte und also Eurer scharfsinnigen Poesie (denn so habt Ihr sie selbst genennet) nichts Taugliches entgegenzusezen wüste. Herr Magister, dencket doch, daß über dem Berge auch Leute wohnen, besinnt Euch doch, daß auch Ihr nicht alle Weißheit gefreßen, und glaubt nur, daß, wenn mir an dem Gelächter über die auch von Euch begangne Thorheiten viel gelegen wäre, ich mich vor allen Euren orthodoxischen Drohungen und Donnerkeilen so wenig fürchten würde als vor einem aus 16. Postillen zusammengestoppelten Praedicanteneifer. Eure grobe Feder sezet ausdrücklich auf die Arbeit meiner Muse einen Hundelohn; o sparet doch nur diese ungeschickte Ausdrückungen einmahl vor Eure Dorfbauren, sie damit nach vieler Gewohnheit auf der Canzel fein deutsch zu erinnern und zu bestrafen, wenn sie Euch einmahl in denenDecimis eine Handvoll Haber zu wenig gegeben. Macht Euch doch nicht selbst zum Hurenadvocaten, wenn Ihr der mit Recht von mir gestriegelten Rhodope das Wort reden wollet. Mein Phoebus heißet Euch nur einen Krippenreuter; wie schöne reimt sich drauf: das schreibt ein Bärenhäuter. Und habt Ihr ja so viel Geld im Vorrathe, meiner Dürftigkeit, der ich mich nicht schäme, damit zu trozen, so ist es gut vor Euch; Ihr könnet desto eher einmahl einen reichen Miedling abgeben und andere, die Euch bey ihrer Armuth an Verdiensten übertrefen, in denen jezigen Priesterauctionen desto glücklicher überbiethen. Wie man in den Wald schreyet, so schallet es wieder heraus, und darum laßet es Euch nicht verdrießen, daß ich auf Eure mir vorgeworfene Lügen Euch die Warheit in Prosa, das ist fein derb, sage. Habt Ihr was an meiner Poesie, [232] deren Schwäche ich selbst gut genug erkenne, auszusezen, so soll es mir lieb seyn, wenn mich Eure bescheidne Erinnerungen beßern. Mein Gemüthe hat von Natur einen Hang zu allen Künsten und Wißenschaften, welche den Wiz, das Gedächtnüß und den Willen des Menschen so wohl beßern als belustigen, und ich versichere, daß ich mich an nichts mehr vergnüge, als in diesen gelehrten Übungen mich mit meines gleichen vernünftig zu besprechen. Schulgezäncke und unnöthige Grillenfängereyen lerne ich nach und nach mehr verachten, dabey aber auch geduldig leiden, daß ein und ander Pedante seinen angebohrnen Hochmuth mit der Verachtung meines Fleißes küzelt. Euer Urtheil ist noch lange nicht das Urtheil aller klugen und ehrlichen Gelehrten, und darum klettert mit Euren Einbildungen am Parnaßus nur nicht zu hoch und hizig, Ihr möchtet sonst einen unglücklichen Gänsesteiger abgeben und oben nicht so sicher hinüberkommen als etwan die lastbahren Thiere durch die unwegsame und enge Höhe der Alpengebürge. Die Alten sagten, es wäre ein jedweder zeitlebens einen Narren schuldig. Laßet seyn, daß auch ich, wie Ihr meinet, solchen bezahlet, als ich mir das gecrönte P. aus unbedachtsamer Begierde an den Nahmen flicken laßen; verdiene ich den Titul eines Poeten nicht durch die Vollkommenheit meiner Muse, so verdiene ich ihn vielleicht durch Lust und Liebe zu dieser Kunst, so gut als Ihr Eure Magisterkappe, unter welcher doch wohl auch die Weißheit nicht alleine nisten wird. Concordantien reuten, Pillen drechseln und sich mit Acten tragen ist noch keine zulängliche Bemühung, zu dem Nuzen der Republic das Seinige beyzutragen. Und daß ich hierbey zufälliger Weise auch meine Liebe zu dem Studio Medico vertheidige, so hat es mich vielmahl nicht wenig gewundert, daß Leute meines Handwercks hinter dem Rücken so unverschämt mich beschuldiget, als wenn ich nur allemahl an so genannten Galanteriestudiis die Zeit verdorben und aus Nachläßigkeit meinen Zweck, die Gesundheit meines Nechsten einmahl zu bedienen, aus denen Augen gesezet. Müste ich hier nicht aus Bescheidenheit und aus Furcht, mich in den Argwohn des Eigenlobes zu bringen, innehalten, so wollte ich mit [233] denen stärcksten Beweisgründen vor denen Augen aller Welt manchen hocheingebildeten Herren mit dem großen D. ziemlich bey der Nase züpfen und denen in dieser Sache Erfahrnen zur Entscheidung überlaßen, mit was vor Gewißen so mancher Cursiste, der [ohne] die Erkäntnüß der natürlichen Geseze und Bewegungen in dem natürlichen Cörper, ohne die Übung der Kräfte des Verstandes in gründlichen Schlüßen aus denen 3. academischen Lehrjahren nichts mehr als ein Packt abgeschriebener Recipe mit nach Hause bringet, mit was vor Gewißen, sag ich, ein solcher Marcktschreyer hernachmahls ohne Unterscheid den gefehrlichsten Patienten der gewißen Genesung auch ofters mit den grösten Schwüren versichern könne, hiervon wird ein andermahl Zeit seyn zu sprechen. Jezo ersuche ich nur der christlichen Liebe wegen meinen hochgeehrten Herrn Magister, mich, der ich allen Groll bey Seite seze, mit solchen groben und unvernünftigen Zänckereyen zu verschonen, als auf welche ich mit diesem gegenwärtigen Blate einen gleichmäßigen Keil sezen müßen. Mein Vorsaz ist, weder ihm noch andern ohne gegebene Ursache zu nahe zu treten; giebt man mir aber mit Gewalt die Schleuder in die Hände, so kan mir niemand verargen, wenn ich, der Goliath sey so groß, als er wolle, mich zu beschüzen alle Kräfte zusammennehme.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Günther, Johann Christian. Gedichte. Gedichte. Lob- und Strafschriften. Jauer Frühling 1721 - Oberleipe Anfang Oktober 1721. Joh. Christian Günthers Beantwortung der Schmähungen. Joh. Christian Günthers Beantwortung der Schmähungen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-23DE-C