[123] [125]Fünf Ostern

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1.

Im Orient, wo – wie aus blüh'ndem Hage
Ein spielend Kinderpaar rothwangig grüßt –
Das heit're Märchen und die sinn'ge Sage
In Rosenwäldern zwischen Blumen sprießt,
Dort gibt manch rauher Hirte dir die Kunde:
Es walle Jesus Christus, ungesehn,
Zu Ostern jährlich um die Morgenstunde
Im Auferstehungskleid auf Oelbergs Höhn
Und seh' hinab nach seines Wandelns Thale,
Das ihm ein Kreuz und Leichentuch einst wies;
Wo Zion stolz geprangt im goldnen Strahle,
Granitnes Bollwerk, das sein Fluch zerblies!
Und Ostern war es einst; der Herr sah nieder
Zur kahlen Flur, verödet und ergraut,
Rings Trümmer, Asch' und Staub und Trümmer wieder
Und Schutt auf Schutt, soweit das Auge schaut!
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Er weiß, es sind dieß nur die wirren Schollen
Durchwühlten, neugepflügten Ackerlands,
Wo einst die Saatenwogen fluthen sollen,
Und winden sich der goldne Garbenkranz!
Er sieht daraus den Baum der neuen Lehre
Mit tiefer Wurzel, ries'gem Säulenschaft
Sich steigend wölben über Land und Meere
Und weithin streuen Schatten, Früchte, Kraft!
Des Tods Triumphzug ging durch diese Gründe,
Rings keine Spur von eines Menschen Pfad,
Kein Vogel singt, es rauscht kein Blatt im Winde,
Es weht kein Halm, es grünet keine Saat.
Daß doppelt groß der Sieg des Todes rage,
Lebt spärlich hier noch Eines Lebens Schein:
Es seufzt, wie eines Dichters Leichenklage,
Des Kedrons Quelle zischend durchs Gestein:
»Einst streckt' ich wohlbehaglich meine Glieder
Im Blüthenpfühl, auf weichem Silberkies,
Bis von Moria's alter Veste nieder
In meinen Schooß der Sturm die Trümmer stieß!
Nun ich den Leib von Stein an Steine trage,
Muß ich wohl ächzen laut vor Schmerz und Zorn;
Nun die Gelenk' an Trümmern wund ich schlage,
Ist, gleich als blut' er, jetzt so roth mein Born.
Mein Born, so klar einst, weisend noch als Spiegel
Der Kön'ge Burg, den Tempel gottverklärt,
Palastbesäte, wallumkränzte Hügel
Und auch ein Volk, einst solcher Fülle werth!
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O daß sich am Gestein zu Scherben schlüge
Der Spiegel, dem einst Solches ward zu schaun,
Auf daß dieß Bild des Tods er nimmer trüge,
Dieß Bild verdorrter Fluren, voll von Graun,
Der Fluren, die bluttrunken als Hyäne
Der Menschen Besten, Titus, würgend sahn!
Ob er auch Abends da geweint die Thräne:
Nicht sei des Guten heut genug gethan?
Ob, als er trümmerfroh sein Beil ließ schimmern,
Die Hand ihm niemals bebte, ahnungsvoll:
Daß seine Mutter Rom von Zions Trümmern
Gesteinigt einst, erschlagen werden soll?
Nicht ahnt' er's! Denn dem Meere der Verheerung
Geböt' er wohl zu zügeln sonst die Wuth,
Statt daß er, ein Neptunus der Zerstörung,
Rings aufbeschwor zum Sturm der Wogen Fluth!
Ha, wie des Gottesfluches Worte, liegen
Gestein und Leichen übers Thal gesät,
Darüber Roma's Aar in Siegesflügen
Als Leichenrabe, schwarzen Fittigs, weht.
Hier lag sie einst, die Königin der Städte,
Der Hügel vier bedeckt' ihr Riesenleib,
Vier goldnen Pfosten gleich am Königsbette,
Drauf ruht im Sonnenkleid das hohe Weib.
Fruchtreiche Gärten, ihr zu Füßen, standen
Als Blumenvasen rings ums Bett gereiht,
Und neben ihr die Palmenhügel sandten
Ihr Kühlung zu aus Fächern, grün und breit.
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Des goldnen Tempels Kuppel krönte glänzend
Als heil'ge Krone ihrer Stirne Saum:
Nur Eine Kron', ein Königshaupt bekränzend!
Ein Tempel Gottes nur im Erdenraum!
Und ihre beiden lichten, schönen Augen:
Die Söhn' und Töchter waren's ihres Lands;
Wer mag den Preis der Zwei zu richten taugen?
Wer sagt es, welches glomm in schön'rem Glanz?
Den edlen Bau der königlichen Glieder
Hielt ihr ein dreifach Bollwerk fest umspannt,
Gleichwie von Gold und Erz ein schimmernd Mieder,
Um das ich mich als Demantgürtel wand.
Da liegt sie nun, die größte aller Leichen!
Vom Haupt fiel ihr die Kron' und barst am Stein!
Der Quadern Trümmer rings, die fahlen, bleichen,
Sind ihres Leibs zerfallenes Gebein!
Die Gräber nur, die sie in Fels einst hieben,
Sie halten jetzt noch, wie seit Jahren schon;
Sie sind rings um dieß große Grab geblieben,
Termitenhügel um den Libanon!
Und als der alte Bau zusammenkrachte,
Flog weit des Staubes Wolke, riesengroß,
Daß grau die Flur jetzt, die so grün einst lachte,
Und grauen Schleier trägt das ärmste Moos!
Da floh des Volkes Rest, lebend'ge Leichen,
Todt ohne Tempel, Satzung, Vaterland!
Da sah ich Baum und Strauch weithin erbleichen
Und morsch aufs Antlitz sinken in den Sand!
[130]
Fort flogen da der Büsche Nachtigallen,
Die Vögel all', weit übers ferne Meer;
Nicht ziemt es ihrem freud'gen Lied, zu schallen,
Wo Alles schweigt und trauert rings umher.
Fort zogen da die Rosen auch nach ihnen,
Bis an das blaue Meer, das: Halt! gebot;
Da blühn sie, gaukelnd, nun die reichen, grünen
Gestad' entlang, ein Blumenmorgenroth!
Fort zogen auch die bunten Jahreszeiten;
Kein Lenz ist, wo nichts keimt, nichts grünt und glüht,
Es will kein Herbst die kahle Flur durchschreiten,
Denn kein Verwelken gibt's, wo nichts geblüht.
Fort alle Farben, fort auch alle Töne,
Und alles, alles Leben fortgedrängt!
Ich blieb allein zurück als eine Thräne,
Die an dem Auge der Vernichtung hängt.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. Schutt. Fünf Ostern. 1. [Im Orient, wo - wie aus blüh'ndem Hage]. 1. [Im Orient, wo - wie aus blüh'ndem Hage]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-1065-6