[226] Solferino

1859.


Dort sitzt noch an derselben Statt
Der alte Trommler wieder;
Der Hand entfiel das Zeitungsblatt
Und glitt zu Boden nieder.
»Magenta! – Solferino!« stöhnt
Im Selbstgespräch er heute,
Und seiner Stimme Nachhall tönt
Wie traurig Grabgeläute.
»Und drum zehn Jahre Tag und Nacht
Getrommelt und geblasen!
Im Drillschritt uns mit Heeresmacht
Zertreten Saat und Rasen!
Und wer nicht bunten Kragen trug
Ein Knecht betreßter Massen!
Verwaist die Werkstatt und der Pflug
Und leer gestürzt die Kassen!
[227]
Doch jetzt! auch nicht ein kleinster Sieg
Die Herzen aufzufrischen!
Ein Krieg, der schreit nach neuem Krieg,
Das Brandmal zu verwischen!
Der einstudirte Schwertertanz
So grauenvoll mißrathen!
Einst rissen aus des Korsen Kranz
Manch Blatt doch unsre Thaten!«
Sein Finger trommelt auf den Tisch
Den Kriegsmarsch längst verklungen;
Den Alten macht er träumerisch,
Doch fremd klingt er den Jungen.
Jetzt horcht er auf: was soll das sein?
Ein Freudenruf und Klagen!
Da tritt sein jüngster Enkel ein
In buntem Rock und Kragen;
Das Haupt gesenkt, das Herz so schwer,
Den Arm in schwarzer Binde:
»Von Solferino komm' ich her,
Kein dunkler Wort ich finde!«
Da spielt ums Greisenhaupt ein Licht,
Das ebnet manche Falte,
Und milden Blicks zum Enkel spricht
Und sanften Tons der Alte:
[228]
»Aus dunklem Schacht steigt helles Erz,
Aus schwarzem Grund die Rose;
Ob echt und recht ein Kriegerherz
Befrag' ich Unglücksloose.
Das war das alte Schlachtroß noch,
Doch nicht Radetzky's Zügel!
Voll Mark und Kampflust war's, – jedoch
Ein Andrer saß im Bügel.
Die Götter, die für Lorbeerglanz
Ein Feldherrnhaupt nicht finden,
Sie wollen Euch mit vollem Kranz
Die tapfre Faust umwinden.
Wie jener Römer sprang zum Schlund,
Dem Götterzorn sich weihend,
So sankt Ihr auf der Wahlstatt Grund,
Das Volk daheim befreiend.
Mein Oesterreich, gar manchen Sohn
Als Sühne sahst du bluten,
In Schmerz und Schmach doch fühlst du's schon:
Das Elend führt zum Guten.
Denn nur aus Unglück kommt dir Heil,
So will's dein alt Verhängniß;
Dem Volk erblüht das Segenstheil
Aus seiner Herrn Bedrängniß;
[229]
Der ihr Panier in Staub gelegt,
Der Sturm, schwellt unsre Fahnen;
Des Hochgewitters Brausen fegt
Der Freiheit rein die Bahnen.« – –
Als wieder Kirchweih' und im Kreis
Die Buden stehn und Schilder,
Zu jenem alten kauft der Greis
Die neuen Feldherrnbilder.
In Glas und Rahmen an der Wand
Bewahrt er treu die Blätter:
»Der Himmel schickt, o Vaterland,
Dir wundersame Retter!«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grün, Anastasius. Gedichte. In der Veranda. Der Tambour von Ulm. 1.. Solferino. Solferino. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0DFB-9