406. Romhild und Grimoald der Knabe

Die Hunnen oder Awaren waren mit Heereskraft in die Lombardei eingebrochen; Gisulf, Herzog von Friaul, stellte sich mannhaft entgegen, unterlag aber mit seinem schwachen Häuflein der großen Menge. Nur wenige Lombarden kamen lebendig davon; sie flüchteten mit Romhild, Gisulfs Gemahlin, und seinen Söhnen in die Festung Friaul. Als nun Cacan, der Hunnenkönig, vor den Mauern der Burg, um sie zu besichtigen, herritt, ersah ihn Romhild und sah, daß er ein blühender Jüngling war. Da ward sie entzündet und sandte ihm heimliche Botschaft: wenn er sie ehelichen würde, wolle sie die Burg mit allen, die darin wären, in seine Hände geben. Cacan ging dieses ein, und Romhild ließ die Tore öffnen. Die Hunnen verheerten die ganze Stadt; was von Männern darin war, töteten sie durchs Schwert, um die Weiber und Kinder aber losten sie. Doch entrannen Taso und Romoald, Gisulfs älteste Söhne, glücklich; und weil sie Grimoald, ihren jüngsten Bruder, noch für zu klein hielten, ein Roß zu besteigen, so dachten sie, es wäre besser, daß er stürbe als in Gefangenschaft fiele, und wollten ihn töten. Und schon war der Speer gegen den Knaben erhoben, da rief Grimoald mit Tränen: »Erschlag mich nicht, denn ich kann mich schon auf dem Pferde halten.« Sein Bruder ergriff ihn beim Arm und setzte ihn auf den bloßen Rücken eines Pferdes; der Knabe faßte die Zügel und folgte seinen Brüdern nach. Die Hunnen rannten hinterher, und einer fing den kleinen Grimoald; doch wollte er ihn, seiner zarten Jugend wegen, nicht töten, sondern zu seiner Bedienung aufheben. Der Knabe war schön von Bildung, glänzend von Augen und gelb von Haaren; als ihn der Hunne ins Lager zurückführte, zog er unversehens sein Schwert und traf den Feind, daß er vom Pferde zu Boden stürzte. Dann griff er schnell in die Zügel und rannte den Brüdern nach, die er auch, fröhlich seiner Tat, einholte.

[374] Der Hunnenkönig, um sein gegebenes Wort zu erfüllen, vermählte sich zwar mit Romhilden, behielt sie aber nur eine Nacht und gab sie dann zwölf Hunnen preis; darauf ließ er sie zu Tod an einen Pfahl aufspießen. Gisulfs Töchter hingegen waren nicht dem Beispiel ihrer geilen Mutter gefolgt, sondern sie hatten sich, um ihre Keuschheit zu bewahren, rohes Hühnerfleisch unter die Brüste gebunden, damit der Gestank des Fleisches jeden Feind, der sich ihnen nähere, zurücktriebe. Die Hunnen glaubten darauf, daß sie von Natur so röchen, verabscheuten sie und sprachen: »Die Lombardinnen stinken!« Durch diese Tat erhielten die Jungfrauen ihre Reinheit und wurden hernachmals, wie es ihrer edlen Geburt ziemte, vermählt; die eine dem König der Alemannen, die andere dem Herzog der Bayern.

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TextGrid Repository (2012). Grimm, Jacob und Wilhelm. Sagen. Deutsche Sagen. Zweiter Band. 406. Romhild und Grimoald der Knabe. 406. Romhild und Grimoald der Knabe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-0A19-E