536. Der Virdunger Bürger

Zu Rudolfs von Habsburg Zeiten saß in der Stadt Virdung (Verdun) ein Bürger, der verfiel in Armut; und um aufs neue zu Schätzen zu gelangen, versprach er sich mit Hilfe eines alten Weibes dem Teufel. Und als er sich Gott und allen himmlischen Gnaden abgesagt hatte, füllte ihm der Höllenrabe den Beutel mit Pfennigen, die nimmer all wurden; denn sooft sie der Bürger ausgegeben hatte, lagen sie immer wieder unten. Da wurde seines Reichtums unmaßen viel; er erwarb Wiesen und Felder und lebte nach allen Gelüsten. Eines Tages, da er fröhlich bei seinen Freunden saß, kamen zwei Männer auf schwarzen Pferden angeritten; der eine zog bei der Hand ein gesatteltes und gezäumtes brandschwarzes Roß, das führte er zu dem Bürger und mahnte, daß er ihnen folgen sollte, wohin er gelobt hätte. Traurig nahm der Bürger Abschied, bestieg das Roß und schied mit den Boten von dannen, im Angesicht von mehr als fünfzig Menschen und zweier seiner Kinder, die jämmerlich klagten und nicht wußten, was aus ihrem Vater geworden sei. Da gingen sie beide zu einem alten Weib, die viele Künste wußte, und verhießen ihr viel Geld, wenn sie ihnen die rechte [520] Wahrheit von ihrem Vater zeigen würde. Darauf nahm das Weib die Jünglinge mit sich in einen Wald und beschwor den Erdboden, bis er sich auftat und die zwei herauskamen, mit welchen ihr Vater fortgeritten war. Das Weib fragte, ob sie ihren Vater sehen wollten. Da fürchtete sich der älteste; der jüngere aber, welcher ein männlicher Herz hatte, bestand bei seinem Vorsatz. Da gebot die Meisterin den Höllenboten, daß sie das Kind unverletzt hin zu seinem Vater und wieder zurückführeten. Die zwei führten ihn nun in ein schönes Haus, da saß sein Vater ganz allein in demselben Kleid und Gewand, in welchem er abgeschieden war, und man sah kein Feuer, das ihn quälte. Der Jüngling redete ihn an und fragte: »Vater, wie steht es um dich, ist dir sanft oder weh?« Der Vater antwortete: »Weil ich die Armut nicht ertragen konnte, gab ich um irdisches Gut dem Teufel Leib und Seele dahin und alles Recht, was Gott an mir hatte; darum, mein Sohn, behalte nichts von dem Gut, das du von mir geerbt hast, sonst wirst du verloren gleich mir.« Der Sohn sprach: »Wie kommt's, daß man kein Feuer an dir brennen siehet?« – »Rühre mich mit der Spitze deines Fingers an«, versetzte der Vater, »zuck aber schnell wieder weg!« In dem Augenblick, wo es der Sohn tat, brannte er sich Hand und Arm bis an den Ellenbogen; da ließ erst das Feuer nach. Gerührt von seines Vaters Qualen, sprach er: »Sag an, mein Vater, gibt es nichts auf der Welt, das dir helfen möge oder irgend fromme?« – »Sowenig des Teufels selber Rat werden mag«, sagte der Vater, »sowenig kann meiner Rat werden; du aber, mein Sohn, tue so mit deinem Gut, daß deine Seele erhalten bleibe.« Damit schieden sie sich. Die zwei Führer brachten den Jüngling wieder heraus zu dem Weib, dem er den verbrannten Arm zeigte. Darauf erzählte er Armen und Reichen, was ihm widerfahren war und wie es um seinen Vater stand; begab sich alles seines Gutes und lebte freiwillig arm in einem Kloster bis an sein Lebensende.

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TextGrid Repository (2012). Grimm, Jacob und Wilhelm. Sagen. Deutsche Sagen. Zweiter Band. 536. Der Virdunger Bürger. 536. Der Virdunger Bürger. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-082B-3