407. Leupichis entflieht

Zu dieser Zeit wurde auch Leupichis als ein Kind aus dem Friaul in die Gefangenschaft mitgeschleppt, einer von fünf Brüdern, wovon die andern alle umkamen; er aber strebte, den Hunnen zu entfliehen und in seine Heimat wiederzukommen. Eines Tages führte er die vorgehabte Flucht aus, nahm bloß Pfeil und Bogen mit und etwas Speise; er wußte aber nicht, wohinaus. Da gesellte sich ein Wolf zu ihm und wurde sein Wegweiser. Und als er das Tier sich oft nach ihm umblicken und, sooft er stillstand, auch stillstehen sah, dachte er, daß es ihm von Gott gesandt wäre. So wanderten sie, das Tier und der Knabe, einige Tage durch Berge und Täler der Wildnis; endlich ging dem Leupichis das wenige Brot aus, das er hatte. Bald verzehrte ihn der Hunger, und er spannte seinen Bogen auf den Wolf, damit ihm das Tier zur Speise dienen sollte. Der Wolf wich dem Pfeil aus und verschwand. Nun aber wußte er nicht mehr, welchen Weg einzuschlagen, und warf sich ermattet zu Boden; im Schlaf sah er einen Mann, der zu ihm redete: »Stehe auf, der du schläfst, und nimm den Weg nach der Gegend hin, wohin deine Füße gerichtet sind, denn dort liegt Italien.« Alsbald stand Leupichis auf und ging dahinwärts; er gelangte zu [375] den Wohnungen der Slawen, eine alte Frau nahm ihn auf, verbarg ihn in ihrem Haus und gab ihm Lebensmittel. Darauf setzte er den Weg fort und kam nach wenig Tagen in die Lombardei, an den Ort, wo er herstammte. Das Haus seiner Eltern fand er so verödet, daß es kein Dach mehr hatte und voll Dorn und Disteln stand. Er hieb sie nieder, und zwischen den Wänden war ein großer Ulmbaum gewachsen, an den hing er seinen Bogen auf. Hernach bebaute er die Stätte von neuem, nahm sich ein Weib und wohnte daselbst. Dieser Leupichis wurde des Geschichtsschreibers Urahn. Leupichis zeugte Arichis, Arichis den Warnefried und Warnefried den Paulus.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grimm, Jacob und Wilhelm. Sagen. Deutsche Sagen. Zweiter Band. 407. Leupichis entflieht. 407. Leupichis entflieht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-06FD-1