356. Der Altar zu Seefeld
In Tirol, nicht weit von Innsbruck, liegt Seefeld, eine alte Burg, wo im XIV. Jahrhundert Oswald Müller, ein stolzer und frecher Ritter, wohnte. Dieser verging sich im Übermute so weit, daß er im Jahre 1384 an einem Grünen Donnerstag mit der ihm im Angesicht des Landvolkes und seiner Knechte in der Kirche gereichten Hostie nicht vorliebnehmen wollte, sondern eine größere, wie sie die Priester sonst haben, vom Kapellan für sich [333] forderte. Kaum hatte er sie empfangen, so hub der steinharte Grund vor dem Altar an unter seinen Füßen zu wanken. In der Angst suchte er sich mit beiden Händen am eisernen Geländer zu halten, aber es gab nach, als ob es von Wachs wäre, also daß sich die Fugen seiner Faust deutlich ins Eisen drückten. Ehe der Ritter ganz versank, ergriff ihn die Reue, der Priester nahm ihm die Hostie wieder aus dem Mund, welche sich, wie sie des Sünders Zunge berührt, alsbald mit Blut überzogen hatte. Bald darauf stiftete er an der Stätte ein Kloster und wurde selbst als Laie hineingenommen. Noch heute ist der Griff auf dem Eisen zu sehen und von der ganzen Geschichte ein Gemälde vorhanden.
Seine Frau, als sie von dem heimkehrenden Volke erfuhr, was sich in der Kirche zugetragen, glaubte nicht daran, sondern sprach: »Das ist so wenig wahr, als aus dem dürren und verfaulten Stock da Rosen blühen können.« Aber Gott gab ein Zeichen seiner Allmacht, und alsbald grünte der trockne Stock und kamen schöne Rosen, aber schneeweiße, hervor. Die Sünderin riß die Rosen ab und warf sie zu Boden, in demselben Augenblick ergriff sie der Wahnsinn, und sie rannte die Berge auf und ab, bis sie andern Tags tot zur Erde sank.