[250] Drei Pindarische Oden

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1. Ode

1. Strophe.
Bezwinger jenes alten Nichts,
Erhabner Schöpfer weiter Welten!
Auf dessen Allmachtswink, sich tausend Sonnen stellten,
Vertheilte Quellen alles Lichts.
Vernünftiger Geschöpfe Glück!
Der Güter Urquell, die auf Millionen Erden,
Und in den Himmeln selbst, der Gottheit Meisterstück,
Das Paradies der Geister werden.
Herr! der du alles schuffst, und dessen Wunderhand
Noch jetzt das Sternenreich umspannt;
Des Weldbaus Pfeiler hält, daß sie nicht kraftlos wanken:
Von deren Drohn der Abgrund bebt,
Der Ocean erschrickt, und Inseln neu erhebt;
Wann Berge schreckensvoll mit bangen Häuptern schwanken.
Gott, aller Weisheit reicher Quell!
Laß Tropfen deiner Gunst in meine Seele fließen:
Daß Geist, Verstand und Wahrheit schnell,
Sich in mein Trauerlied um Sachsens Haupt ergießen.
1. Antistrophe.
Ihr Völker seufzet! Friedrich fällt:
Ihr Länder weint; der Elbstrom klaget.
Provinzen Sachsenlands, die ihr verzweifelnd zaget,
Schaut, eure Raute liegt zerschellt!
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Gebirge Mißniens erschallt!
Seht, der Hermundurer und Daleminzer Auen
Wie Dübens dunkler Hayn, und der Varisker-Wald,
Sind ganz untröstbar anzuschauen.
Frankoniens Bezirk, das reiche Henneberg,
Läßt seiner Grüfte Wunderwerk
In tiefer Kummernacht unangebauet stocken;
Und fühlt in seinem düstern Schacht,
Morbonens Grausamkeit und Mortens strenge Macht,
Im tönenden Geheul geschlagner Trauerglocken.
Lusatien, der Kreis der Chur,
Der Unstrut, Saal und Muld halb eingefrorne Ruthen,
Die solche Schreckenspost durchfuhr,
Erstarren tief gebeugt, so wie des Elbstroms Fluthen.
1. Epistrophe.
Gönner unsrer Philurenen,
Die ihr hier gerührt erscheint!
Hemmet doch die milden Thränen,
Die heut eure Wehmuth weint.
Euer höchst gerechtes Kränken
Gebe hier der Ehrfurcht Raum!
Solch ein ächzend Angedenken
Gnüget unsern Pflichten kaum.
Väter unsrer hohen Schulen;
Söhne der gelehrten Zucht,
Die ihr Künsten nachzubuhlen,
Unsern Helikon besucht!
Widmet dem erblaßten Haupte,
Welches uns die Vorsicht raubte,
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Lebenslang den Zährenbach;
Jetzo nur denkt Seinen Gaben,
Die wir früh verlohren haben,
Kummervoll, doch schweigend nach.
2. Strophe.
Wo heb ich an, Dich, Friederich!
Zu bald entrißnes Haupt! zu preisen?
Soll, nach gewohnter Kunst, ich deinen Stammbaum weisen,
Der nie dem allerschönsten wich?
Aus Wittekinds erlauchtem Blut,
Und Habspurgs Heldenstamm in ächter Reih entsprossen,
Gehörst du zweifelsfrey, an Werth und Edelmuth,
Zu Deutschlands höchsten Reichsgenossen.
Von Sachsens Friedrichen und Moritzen erzeugt,
Von welchen Fama noch nicht schweigt;
Von Drey Augusten auch, und mehr Johann Georgen;
Durch Josephs Reis vom Leopold,
Den Trieb zur Gottesfurcht und wahrer Tugend Gold,
Durch Beyspiel und Geburt, so glücklich zu erborgen;
War das kein Vorzug edler Art,
Der wenig Fürsten so, wie dir, o Churfürst! glückte?
Der aber sehr erhöhet ward,
Durch Gaben, welche Gott in Dein Gemüthe drückte.
2. Antistrophe.
Stolziret nur mit Stamm und Blut,
Mit blanken Helmen grauer Ahnen,
Die ihr euch nie gewußt, des Nachruhms Weg zu bahnen,
Durch Tugend, Wissenschaft und Muth.
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Mein Fürst bedarf der Stralen nicht,
Womit sein altes Haus in den Geschichten pranget;
Ein Blöder schmücke sich durch sein erborgtes Licht,
Davon er wenig Glanz erlanget.
Von früher Wiegen an brach schon Sein Geist hervor,
Als er der Künste Gold erkohr,
Das gleich Aurorens Glanz die Sterblichen erquicket.
Wies nicht des Morgens Heiterkeit,
Den hellen Mittag schon, der Sachsen mit der Zeit,
In seines Herrschers Blick, so hoffnungsvoll entzücket?
Der Musen Freude brach schon aus,
Gleich Rosen, die bereits in vollen Knospen keimen.
Der schönste Kranz und Lorberstraus
Wuchs schon in ihrer Hand, Sein Haupt nicht zu versäumen.
2. Epistrophe.
O was läßt sich hier erblicken!
Seh ich recht? Prinz Friederich
Ueberfliegt der Alpen Rücken,
Zeigt im klugen Wälschland sich.
Seine Lehrbegier zu stillen,
Sucht er an dem Tyberstrom,
Um der alten Römer willen,
Das mehr neu' als alte Rom.
Herzogthümer, Königreiche
Biethen Alterthümer dar:
Und des Bodens tiefe Schläuche,
Deren Schlund ein Schatzhaus war,
Oeffnen in Neapels Fluren,
Tiefer Seltenheiten Spuren,
Die Vesuv in Asche grub:
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Als sein Innres, reich an Flammen,
Gluthen, Fels und Fluth zusammen,
Aus der Tellus Schooß' erhub.
3. Strophe.
Des Latiums gepriesne Kunst,
Die Tochter weiser Scipionen,
Der klugen Lälier, der großen Ciceronen,
Verlohr zuletzt der Römer Gunst.
Was Constantin verfallen lies,
Als er des Reiches Sitz bis nach Byzanz getragen;
Wo Wissen und Verstand sich im Verderben wies,
Latein und Griechisch umgeschlagen;
Fiel, bey der Heruler und Gothen Feldgeschrey,
Ins Joch der gröbsten Barbarey;
Und gieng auf tausend Jahr' in aller Welt verlohren.
Bis neuer Griechen beßrer Witz,
Aus wilder Türken Scheu, Florenz zum neuen Sitz
Der Weisheit und Vernunft und schönen Künst' erkohren.
Nunmehr ward Rom von neuem groß;
Durch den erwachten Geist, der edelsten Quiriten:
Als in Pabst Leons Vaterschooß,
Zu nieverloschnem Ruhm die Wissenschaften blühten.
3. Antistrophe.
So ward nun Rom der Erden Licht,
Die Sonne von Europens Staaten:
Die gleichfalls allgemach in gleiche Gluth gerathen,
Durch Beyspiel, Reiz und Unterricht.
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Bis in des tiefen Nordens Kreis
War, um Christinens Zeit der Künste Glanz gedrungen;
Stockholms und Upsals Hand brach manches Lorberreis,
Als es die Finsterniß bezwungen.
Wiewohl die Heldinn drang mit heiß entbrannter Brust,
Bis zu dem Quell erhabner Lust,
Von dem ihr bis dahin nur Bächlein zugeflossen:
Rom ehrte Sie als Königinn;
Noch mehr den weiten Geist, und aufgeklärten Sinn,
Den der Monarchinn schon der Norden aufgeschlossen.
Sie warf durch männliche Vernunft
In Rom den ersten Grund zu dem Arkaderorden;
Durch den so mancher wälschen Zunft,
Der seltsamste Geschmack durchaus geläutert worden.
3. Epistrophe.
In viel aufgeklärtern Zeiten,
Zog hier Sachsens Churprinz ein.
Jede Kunst begann zu streiten,
Jede wollt die liebste seyn.
Alles beut Ihm froh die Hände;
Alles sieht Er gnädig an.
Geist- und weltlich, alle Stände,
Reich und arm, und was nur kann,
Sammlet sich in Friedrichs Zimmern;
Wo Er als ein Phöbus sitzt,
Und durch holder Blicke Schimmern,
Jedes Meisters Trieb erhitzt.
Alterthümer und Geschichte,
Tonkunst, Reden und Gedichte,
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Bildschnitz- Baukunst, Malerey;
Alles treibt den Argwohn höher,
Daß Er der Hyperboräer
Wirklicher Apollo sey.
4. Strophe.
Mit Ruhm gekrönt eilt er daher,
Durch Apennins beschneyte Klippe,
Begrüßt den breiten Po, Ravennens alt Gerippe,
Und dann das Adriater-Meer.
Hier thront der Städte Königinn,
Der Staatskunst tiefer Brunn, das Wunder neuer Zeiten;
Venedig, dessen Glanz sich ost- und westwärts hin,
Vorzeiten wußte zu verbreiten.
Dein volles Arsenal zeigt noch die alte Macht,
Dein Marcus-Platz Verstand und Pracht,
Du Vormaur des Gebieths der stolzen Ottomannen!
Dieß alles sah Prinz Christian,
Und wand es einsichtvoll zu wahrer Staatskunst an,
Aus seinen Staaten einst manch' Uebel zu verbannen.
Nun gab Ihm das gekrönte Wien,
Der Deutschen Kaisersitz, der ihm schon winkte, Flügel;
Der Alpen höchste Reihe schien
Für seiner Räder Schwung, ein sanft gebähnter Hügel.
4. Antistrophe.
Wie freudig hofft Amalia
Dich, ihren Enkel, zu umfassen!
Du kömmst; der höchste Hof, ganz Wien steht lüstern da:
Wer könnte Josephs Abkunft hassen?
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An Jahren jung, an Klugheit alt,
Beschämt Dein Anblick schon die Blicke reifer Weisen;
Verdunkelt Wort und Spruch, an Nachdruck und Gewalt,
Auch das geprüfte Wort von Greisen.
Indeß entweicht allhier Prinz Friedrichs Blicken nichts.
Der Sitz des deutschen Rechts und Lichts,
Des Reiches Kanzelley, die Burg und Favorite,
Und mancher wohlbebaute Platz:
Schönbrunn, das Meisterstück, von deines Ahnherrn Güte;
Vor allen Karl, Theresia;
Die Oestreichs Kraft und Ruhm, in voller Stärke wiesen:
Allein dich reizt dein Ithaka
Noch mehr, als jenes sich Ulyssen angepriesen.
4. Epistrophe.
Sachsen eilt Dir schon entgegen!
Komm zurück, Prinz Friederich!
Alles wünscht Dir tausend Segen,
Freuet Deiner Ankunft sich.
Hoher Aeltern theuren Händen,
Liefert dich Dein Wackerbart,
Der bey hundert Gegenständen
Dein getreuer Mentor ward.
Welch entzückendes Umfangen
Labet der Geschwister Zahl!
Wie's mit sehnlichem Verlangen,
Napels Königinn empfahl.
Hof und Adel schwimmt in Freuden,
Selbst der Bürger stimmt mit beyden,
[260]
Voll getreuer Sehnsucht ein.
Höre, Vorsicht! unser Flehen,
Laß ein standhaft Wohlergehen
Unsers Prinzen Krone seyn.

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TextGrid Repository (2012). Gottsched, Johann Christoph. Gedichte. Gedichte. Drei Pindarische Oden. 1. Ode. 1. Ode. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E3C6-D