[68] Nachts, zwölf Uhr

Der Himmel ist so trübe,
Es scheint nicht Mond, nicht Stern,
Der aber, den ich liebe,
Ist itzt so fern, so fern!
Und schwor an meinem Munde
Beim Auseinandergehn,
Gerad' um diese Stunde
Zum Mond' hinauf zu sehn.
Und du willst nicht erscheinen,
Daß unsre Blicke sich
Auf dir, o Mond, vereinen,
Der uns so oft beschlich,
Wenn Worte das nicht sagten,
Was Thränen kaum hinzu
Zu setzen, furchtsam wagten,
Die Niemand sah, als du?
[69]
Wenn Liebe nicht zu sprechen,
Ja kaum zu seufzen wagt,
Ist sie denn ein Verbrechen,
Das am Gewissen nagt?
So hab' ich kein Gewissen,
So hab' ich nur ein Herz!
Denn selbst nach tausend Küssen
Fühlt jenes keinen Schmerz.
Nur Sehnsucht schleicht mit Schmerzen
Sich jetzt zu mir heran;
Doch steckt ihr eure Kerzen,
Orion! Hesper! an:
Dann fällt mit einem Male
Auf euch des Trauten Blick,
Und o! mit Eurem Strahle
Auf Nanten gleich zurück!

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TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Lieder zweier Liebenden. Zweites Buch. Nachts, zwölf Uhr. Nachts, zwölf Uhr. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E140-B