[229] Antwort an Gleim

Den 27. October 1781.


Seh' ich die Welt aus meinem Häuschen an,
Umgeben rund herum von Menschen, die ich liebe,
Und inniglich mich wieder lieben: dann
Ist mir, o Freund, die Aussicht nicht so trübe.
Denn, lieber Gleim, so schlimm, als dir er scheint,
Ist wahrlich nicht der Mensch. An meinem Rosenbache
Hätt' ich wohl sonst gewiß so oft geweint,
Als ich daran mit Weib und Kinde lache.
Gesetzt, der Mensch sey solch ein böses Thier,
Verfolgen würd' er mich selbst bis in diese Stille,
[230]
Und ach! der Ruhe warmen Mantel mir
Entreißen, Freund, in den ich hier mich hülle.
Doch gönnt er gern mir diese Einsamkeit,
Denn ich verlange nichts von seinen kargen Händen,
Er aber weiß, wie leicht den letzten Deut,
Auch ohne Dank, die meinen ihm verschwenden.
Mir ist der Mensch nicht böse, sondern schwach;
Entkräftet von dem Gift' des Luxus, und verblendet
Vom Schein' der falschen Ehre. Gib ihm nach!
Statt, wider sich, das Schwert ein Cato wendet.
Ach! bring du selbst auf der Capelle Herd
Nicht alle Freund', o Gleim! Bleib' aber ich im Feuer
Beständig, und wie lautres Gold bewährt:
(Versuch' es, Freund!) so sey der Mensch dir theuer.
Sag' nicht, das Leben sey dir eine Last,
So lang zur Stütze noch sich meine Händ' ihm bieten.
[231]
So lang du hier noch deinen Göckingk hast,
Flieh in die Wildniß nicht, gleich Eremiten.
Zwar ward ich selbst schon längst ein Eremit,
Doch mitten in der Stadt; wer will mich drum verdammen?
Denn was mein Herz als Freund nicht an sich zieht,
Das hängt mit ihm durch Faden nur zusammen.
Und ob Ein solcher zarter Faden reißt?
Ob Hundert? o! das macht das Auge mir nicht nässer;
Denn ich bedarf der keines, wie du weist;
Bedürfen sie auch mein nicht? desto besser!
Hast du dich, Freund, mit dicken Seilen, (ach!
Gutherzig, doch zu rasch,) an einen Duns gebunden,
Und schleppest du, gleich einem Klotz', ihn nach:
Er wird die Fers' auf jeden Schritt verwunden.
Wer hat für Freiheit, unser höchstes Gut,
Noch je zu viel gethan, noch je zu viel geboten?
[232]
So habe denn auch Alexanders Muth:
Zerhaue du den oft verschlungnen Knoten!
Dann sieh den Erdball an, wie ein Spital
Voll siecher Narren, Freund, verpflegt von den Gesunden.
Sey Arzt darin! So hast du auf einmal,
Was diese Welt gewähren kann, gesunden.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goeckingk, Leopold Friedrich Günther von. Gedichte. Lyrische Gedichte. Zweites Buch. Antwort an Gleim. Antwort an Gleim. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-DEE0-6